Lobet und preiset die Herrn

Dienstag, 31. März 2009

Es lohnt sich kaum, über den Abgang einer Charaktermaske des herrschenden Klüngels zu diskutieren. Was sich aber lohnt, was durchaus einmal aufs Tableau der öffentlichen Diskussion gehörte, wenn sie denn öffentlich wäre und nicht in der Hand desselben Klüngels, das wäre der Umstand, wie diese Charaktermasken miteinander umgehen, konkreter: wie sie vor Publikum miteinander umgehen. Denn was Masken wie Merkel und Mehdorn sich unter vier Augen zu sagen hätten oder in einer illustren Runde von Kastenangehörigen, das mag ganz anders klingen, als jenes, was Merkel publikumswirksam an die Medien weiterreichte. Gelobt hat sie ihn, ihren Respekt hat sie ihm ausgesprochen, erfolgreich sei er gewesen und dergleichen Lobhudelei mehr.

Das Lob ist ein Hohn für diejenigen, die nun mit Mehdorns Mitwissen ausspioniert wurden, die jahrelang immer wieder um höhere Löhne stritten, während die Mehdorn-Junta sich fröhlich die Bezüge erhöhte; ein Hohn auch für die Bahnkunden, die heute miesere Fahrpläne und schlechteren Service ertragen müssen, von den oft phantastischen Preiserhöhungen gar nicht erst zu sprechen; und es ist ein Verhöhnen all derer, die ihre dann irgendwann doch erhöhten Löhne erhielten, dafür öffentlich in die Pfanne gehaut wurden und als Hauptgrund gigantischer Ticketpreiserhöhungen herhalten mußten - gerade so, als wären Personalkosten der einzige Faktor für den Verkaufspreis einer Ware oder Dienstleistung.

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Facie prima

Samstag, 28. März 2009

Ein kurzes Geleitwort: Von Menschen, die in der Öffentlichkeit behandelt werden, kann man nicht nur lesen, man kann sie auch sehen. Die Visualisierung der Person, vielmehr des Images, das einer Person anhaftet oder angeheftet wird, ist ein wesentlicher Bestandteil der Berichterstattung der Massenmedien. Daher sagt ein Bild mehr als tausend Worte, es erläutert bereits mit einem flüchtigen Blick, wess' Geistes Kind derjenige sein soll, über den gerade aktuell berichtet wird. Facie prima (lat. auf den ersten Blick) soll als neue unregelmäßige Kategorie bei ad sinistram eingeführt werden. Diese soll sich mit solchen konditionierenden Visualisierungen von Personen auseinandersetzen, in ein Paar Worten erklären, welche Image-Maske man dem jeweiligen Akteur aufgesetzt hat. An dieser Stelle sei auch an das kleine Latinum erinnert, welches fortan in der Kopfzeile nachschlagbar ist. Darin soll kurz und bündig erklärt werden, was sich hinter den latinisierten Kategorien ad sinistrams verbirgt.

Heute: Der Macher, Peer Steinbrück

Grüblerisch schaut er drein, geistesabwesend wirkt er, in tiefer Reflexion versunken. Egal welche größere Tageszeitung man auch aufschlägt oder im Internet anklickt, der philosophische Steinbrück, die personifizierte Denkerstirn, begegnet dem Leser regelmäßig in diesen Tagen der Krise. Eine Krise, wie man uns versichert, die in den Händen unserer politischen Eliten, in den Händen Steinbrücks, sicher verwaltet würde. Und wer möchte dem widersprechen beim Anblick des denkenden Peer? Denn genau darum geht es, der ansonsten stets dümmlich dreinblickende Steinbrück ist der Sieger der Krise, vielleicht nicht materiell, darüber läßt sich derzeit nicht berichten, aber doch ideel. Seitdem dieses Land einen fachlich einwandfreien Finanzminister braucht, ist er zu einem drapiert worden. Weil Krise ist, schweift der Blick Steinbrücks in die Ferne, läßt man ihn bildlich den Visionär mimen, der sein Geschau gen Horizont richtet, den er mittels diffiziler und profunder Denkarbeit zu erreichen gedenkt.

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Berufung

Freitag, 27. März 2009

Ich mache nur meinen Job, meint der verhartze Büttel und verordnet dem Kunden betitelten Bedürftigen einen drei Monate dauernden Notstandsspeiseplan.
Ich befolge nur Anweisungen, erklärt der Angestellte des Energieriesen und eröffnet einer verarmten Familie per Leitungsabklemmung ein Leben in der elektritzitätsbefreiten Steinzeit.
Ich tue nur meine Arbeit, rechtfertigt sich der Bedienstete einer Krankenkasse und verwährt einem leidenden Patienten die nicht im Leistungskatalog stehende, doch wirkungsvolle Behandlung.
Ich folge nur den vorgeschriebenen Prinzipien meiner Stellung, sagt der Personalchef und entkettet an einem Vormittag fünf Familienväter, schenkt ihnen die Freiheit der Arbeitsagentur.
Ich richte mich nur nach Anordnungen, entschuldigt sich die vermenschlichte Wanze und späht weiterhin im Namen ihrer Firma Mitarbeiter aus.
Aber ich handle nur nach Stadtverordnung, behauptet der Polizist und führt den bettelnden Obdachlosen mit kühler Miene ab.
Befehl ist Befehl, salutiert der Soldat und schießt präventiv auf alles, was sich bewegt, auch auf zivile Moorhühner.
Befehl ist Befehl, salutierten einst Soldaten mit Runenzeichen auf der Mütze und schossen Internierten in den Schädel.

Oh ja, wir leben in einer Welt der beruflichen Versessenheit. Trefflich ist es da, Gesetze, Anordnungen und Befehle zu haben, um seinen räudigen Beruf, seinen Dienst an der Verunmenschlichung, wenigstens in den schönsten Farben zu malen. Versessen sind sie auf Hehres wie Gesetz und Befehl, die ihr eigenes Gewissen betäuben, die eichmanniarisch wohlig schlafen lassen, mit dem zufriedenen Gefühl des ungebremsten Diensteifers im Traume. Bloß nicht Mensch bleiben, bloß nicht Mitleid oder Verständnis empfinden. Dafür sind Gesetze nicht gemacht. Maske auf und kalt sein, kalt wirken, Kälte fabrizieren, Eiszeit in die Gesellschaftsadern spritzen. Das Menschliche taub stellen, mit einem Eisspray betäuben, mit dem Eisspray der eigenen Herzenskälte, versteckt hinter Paragraphen und Anordnungsschreiben.

Ich aber, ein in ethischen Kategorien denkender Mensch; ich aber, Schreiber dieser bescheidenen Trauerrede, will diese Eiseskälte, will die Erbarmungslosigkeit der Berufsritter, den Frost ihres Tuns benennen. Ich aber, der über diese Gesellschaft schreibt, über die verlorene Menschlichkeit, über das Versteckspiel hinter Berufsmasken, bin moralisch dazu verpflichtet, diese verstümmelten Charaktere immer wieder anzumahnen, sie als Eichmänner im Kleinen zu demaskieren. Sie, lieber Leser, müssen schon verzeihen. Schließlich ist das mein Beruf, meine Berufung, sagt der Vater dieser Zeilen und legt den Finger in jene klaffenden Wunden, die die gesellschaftsimmanente Unmenschlichkeit bestialisch reißt.

Freiheit für Vorfahrt!

Donnerstag, 26. März 2009

Was für ein Chaos. Stünde ich nicht selbst auf dieser Kreuzung, ich würde die folgende Szene nicht für möglich halten. Naja, ich stehe hier nicht, jedenfalls nicht im Sinne dieses Wortes. Vielmehr, und ich spüre es mittlerweile auch als stechenden Schmerz vorallem im unteren Rückenbereich, bin ich zwischen zwei Fahrzeugen eingeklemmt. Vor mir ein deutsches Fabrikat, auf dessen Dach ich blicke, hinter mir ein unaussprechlicher Koreaner, dessen holpriger Namenschnörkel sich unförmig in die Haut meiner Heckseite presst. Sie werden sich fragen, wie ich in eine solch unpässliche Lage geraten konnte; das ist eine lange Geschichte, die ich Ihnen ausführlich erzählen werde, da die beiden Autohalter nicht gewillt sind, ihre Fahrzeuge zu entfernen. Das heißt, gewillt wären sie sicherlich, aber können können sie nicht. Zwar sehe ich bereits den Krankenwagen, den ich telefonisch bestellt habe, aber zwischen uns stehen noch sieben Autos, zwei Radfahrer mitsamt ihrer Drahtesel und ein verwaister Rollstuhl. Ich werde also ausreichend Zeit haben, meine Situation zu erläutern.

An die Zeiten, in denen es noch sowas wie einen Verhaltenskodex für den Straßenverkehr gab, erinnere ich mich nurmehr vage. Zugegeben, diese Zeiten sind kalendarisch gesehen, noch nicht solange her, aber im Gewimmel des heutigen Verkehrs vergißt man schnell, wie es einst war, als die Welt noch besser schien. Vormachen darf man sich aber nichts, obwohl es Regeln gab, obwohl man sich an Lichtsignale und bunt bemalte Metallteller auszurichten hatte, war die damalige Ordnung auch kein Zuckerschlecken. Es gab böse Unfälle, Verletzte und Tote, und ich erinnere mich, wie meine Eltern über den damaligen Straßenverkehr klagten. Als man aber dazu überging zunächst den Schilderwald zu fällen, ich erinnere mich gut, wie damals führende Politiker von einer großen Deregulierung des ausufernden Verkehrsgeschehens sprachen, da nahm das Unheil seinen Lauf. Die Unfälle häuften sich, was statistische Erhebungen auch belegten. Aber die Medien sprachen lediglich von einer Anhäufung an Blechschäden, Kollateralschäden, die eine Deregulierung mit sich bringe, die man ertragen müsse, wenn man das ganze System leistungsfähiger machen wolle. In jener Zeit starb mein Vater, er wurde überfahren; ebenso machten zwei Nachbarn und ein ehemaliger Schulfreund physische Bekanntschaft mit Blechschäden.

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Untragbare Verhältnisse

Mittwoch, 25. März 2009

Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt.
Dieser Annahme sind solche Menschen, die ein oder zwei Häuser im ländlicher Gegend haben – oder mehrere.
Solche, die sich dazu noch eine städtische Eigentumswohnung leisten – oder mehrere.
Solche, die einer Familie angehören, in der jedes Familienmitglied ein eigenes Auto fährt – oder mehrere.
Solche, die jährlich zwei Kurzurlaube in Europa und einen in weiten Fernen verbringen – oder mehrere.
Solche, die zweimal in der Woche in mittelmäßigen Tavernen und zweimal in sündteueren Restaurants speisen – oder noch öfter.
Solche, die Maßanzüge anfertigen lassen, die Abendroben bestellen, die Nobelmarken in den Schrank packen – oder packen lassen.
Solche, die einkaufen, erziehen, putzen lassen – und noch Weiteres veranlassen.
Solche, deren Kinder in eine Universität hineingekauft wurden – auch mit weniger: weniger Intelligenz.

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Nomen non est omen

Heute: "sozial"
"Sozial ist, was Arbeit schafft – diese Maxime ist oberste Richtschnur unseres Handelns."
- gemeinsamer Beschluss der Präsidien von CDU und CSU vom 4. Mai 2003 -

"Die üblen Tricks der Hartz IV-Schmarotzer."
- Aufmacher der BILD-Zeitung, von BILDblog analysiert -

Sozial bedeutet im eigentlichen Sinne des Wortes das Wohl anderer im Auge zu behalten und steht im Gegensatz zum Egoismus. Fürsorglichkeit, Altruismus und Hilfsbereitschaft kennzeichnen eine soziale Einstellung. Das kleine Adjektiv "sozial" wird im heutigen politischen Sprachgebrauch in vielerlei Hinsicht sprachlich normiert, um eigene Ziele und Interessen durchzusetzen. Die vielseitige Sprachmanipulation des Begriffes offenbart eine mehrdimensionale Zielsetzung.

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Die SPD ist high

Montag, 23. März 2009

So titelt heute der Stern in seiner Online-Ausgabe. Und man möchte ihm zurufen: Nicht nur die SPD! Auch deine Journalisten! Und wie! Die sind mal so richtig benebelt, vollkommen breit. Wie anders soll man es auch auslegen, wenn sich ein Journalist einen Partei-Aufschwung aus den Fingern saugt, den bis dato niemand, wirklich niemand, wahrscheinlich auch kein halbwegs fanatisierter Sozialdemokrat, bemerkt hat? Was Sebastian Christ - so der Name des Benebelten - zusammentrug, um den Leser über Entwicklungen zu informieren, die er exklusiv im Stern - und nur dort! - nachlesen kann, ist ein derart verqueres Aneinanderreihen von Banalitäten, dass es kaum der Rede wert wäre. Aber reden wir dennoch darüber.

Er versteift sich, so könnte man es deuten, auf Hubertus Heils Mimik, die irgendwie wie die Mimik eines Gewinners aussehen soll, weil man sich in der SPD ja für eine finanzielle Unterstützung von Opel ausspricht. Aus irgendeinem Grunde kommt Christ damit auf die Idee, die Sozialdemokratie hätte damit Profil erhalten, weil sie mal wieder so tut, als sei sie der Anwalt des kleinen Mannes, zumindest aber der Anwalt des Opelaners. Und nach der schlimmsten SPD-Krise seit langem, die sich am Namen Kurt Beck festmacht, würde Heil nun Selbstvertrauen ausstrahlen. Verstanden? Nein? Macht nichts, muß man wahrscheinlich auch nicht. Denn um ehrlich zu sein, der gesamte Text des Benebelten gibt wenig Sinn, er ist nicht schlüssig und wirkt zusammengeschustert, als hätte der Autor in verschiedenen Texten zur SPD gefischt, um sich einen neuen Text zusammenzustellen - Artikel Marke Baukastensystem. Mittendrin fällt ihm aber dann doch noch ein, dass die highe SPD bei der Sonntagsfrage keinen Boden gutgemacht hat - braucht sie auch nicht, denn Hubertus Heil wirkt so selbstbewußt und stark, wer braucht da schon Wahlumfragen?

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Ein Brief an eine Redaktion

Sehr geehrte Damen und Herren,

heute wende ich mich an Sie, weil ich es nicht mehr ertragen kann. Das heißt, ich kann Sie, Ihr Radiokonzept, diese Masche der Anbiederung nicht mehr ertragen. Sicherlich werden Sie sich bereits nach diesen zwei Sätzen fragen, warum ich nicht einfach einen anderen Sender wähle, Ihren Sender nicht einfach verstummen lasse. Legitime Frage, ein Totschlagargument zwar, aber durchaus logische Fragestellung. Antwort: Was kann denn die von Ihnen gesendete Musik, die mir weitestgehend zuspricht, dafür? Sie kann doch nichts für die Dürftigkeit zwischendrin, zwischen den einzelnen Musikstücken. Und Sie werden hoffentlich in der Folge verzeihen, wenn ich mich einer direkten Wortwahl bemächtige, nicht herumlaviere und floskeliere, sondern gleich in medias res gehe. Mag sein, dass Sie diese Direktheit als unsachliche Herangehensweise betrachten, aber genau besehen, geht man damit der Sache gründlicher auf die Spur als durch nett stilisierte Phrasen, die so oder anders deutbar wären, und die der Sache niemals auf den Grund gehen können, weil sie sich in ihrer eigenen Vornehmheit selbst behindern; ich bin also folgend sachlich, was als unsachlich mißverstanden werden mag – die jeweilige Sichtweise steht Ihnen frei.

Was regt mich also auf? Was macht es mir mehr und mehr unerträglich, Ihren Radiosender zu hören? Nein, lassen Sie mich zunächst einmal lobend vorgehen. Die Musik, für die Sie nichts können, doch für deren Auswahl Sie verantwortlich sind (auch das erkenne ich als Leistung an), ist in großen Teilen angenehm, manchmal sogar hervorragend. Außerdem höre ich gerne die Kultursendung, die zwar freilich oft ein Who is Who Ingolstädter Spießbürgerlichkeit ist, aber dennoch ein hohes Maß an intellektuellem Anspruch zeitigt. Ebenso die Kirchensendung – Radio K1 -, die selbst ich, als Atheist, hervorragend und herausfordernd empfinde. Hier wird trefflich über Religiöses und Philosophisches berichtet, zudem kommen die Diskutanten dort nicht mit jenem Löffel daher, von dessen Weisheit sie gefressen zu haben behaupten – im Zweifelsfall lassen sie es offen, animieren den Hörer selbst zum Nachdenken. Und weiter? An dieser Briefstelle sitze ich bereits zwölf Minuten, beinahe dreizehn und es werden vielleicht sogar noch einige Minütchen mehr. Ich denke darüber nach, was ich Ihnen noch lobend bescheinigen kann. War das schon alles? Musik, Kultur und Religion? Es muß doch noch was geben, ich bin bester Absicht die Auflistung zu erweitern. Aber alleine mir fehlt eine Idee, daher lassen Sie uns weiterschreiten. Zum Stein des Anstosses also...

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Ridendo dicere verum

Sonntag, 22. März 2009

"Prolet vor Gericht

Stehst du in dem Menschenschranke?
Die da wolln dich strafen.
Du bist müde, bleich und krank;
die sind voller Tatendrang,
satt und ausgeschlafen.
Zum Juristenwerk, wohl vertraut,
wird man sich vereinen...
Junge! Wehr dich deiner Haut!
Dreie gegen einen!

Der Direktor, fein mit Ei,
hackt mit kurzen Fragen.
Auf die schlimmste Pflaumerei
darfst du gar nichts sagen.
Spitzel kann mit Vorbehalt
unter Schutz erscheinen.
Protokoll und Staatsanwalt:
Fünfe gegen einen!

Staatsanwalt und Plädoyer.
Kommst du noch nach Hause?
Antrag. Die Justiz-AG
macht erst Frühstückspause.
Vier Jahre Zuchthaus.
"Abführn den... !"
Leis zwei Frauen weinen-
Wirst du je sie wiedersehn?
Alle gegen einen!

In Zellen bricht mach euer Leben
für etwas, das ihr niemals saht:
Für Freiheit müßt ihr Tüten kleben,
ein jeglicher ein Volkssoldat.
Herauf ihr! Aus den Kohlenzechen!
Baut in Betrieben Stein auf Stein!
Es kommt der Tag, da wir uns rächen:
Da werdet ihr die Richter sein!"
- Kurt Tucholsky, "Deutschland, Deutschland über alles" -

Das Unerträgliche

Freitag, 20. März 2009

Vor einigen Monaten mußte man sich ärgern, weil der nörgelnde Buchkritiker - jener der das deutsche Fernsehen geißelte -, bei seinem Tête-á-tête mit einem langbeinigen Fernsehmoderator, nicht den Mut oder die Eloquenz aufbrachte, die einzelnen Miseren mit Namen zu benennen. Konkret wurde er nicht, stattdessen lavierte er, deutelte mit dem Finger, lobte Shakespeare und Brecht und widmete sich nicht den Punkten, die einer Kritik bedurft hätten. Er könne es nicht ertragen: dieser Satz war die immer wieder repetierte Krone seiner Kritik. Unerträglichkeit. Aber warum, wie genau, wielange schon, all das blieb auf der Strecke, blieb beim bündlerischen Männerabend zwischen den Sitzpolstern hängen. Eine Scheindebatte wurde inszeniert, ein wenig Oppositionspielen, so tun, als sei das deutsche Fernsehen manns genug, sich einer Kritik auch offen zu stellen. Bevorzugt dann, wenn die Kritik keine Kritik, sondern ein subjektives, vages Gefühl ist, das man nur mit Unerträglichkeit zu umschreiben trachtet, nicht aber mit Fakten und Motiven unterlegen will.

Ich ertrage es nicht! Man hat an dieser Stelle Reich-Ranicki einen Vorwurf daraus gemacht, man hat ihn gescholten, weil er so schwammig blieb, die Kritik als poröses Etwas gestaltete, als etwas eigentlich nicht Faß- und Beschreibbares. Endlich trat dortmals jemand auf, mediengerecht arrangiert zwar, um die verdummendste aller Branchen zu schelten, bekommt flugs eine Plattform und läßt sie unausgefüllt vorüberziehen. Seinerzeit schien die Kritik ob dieser kritiklosen Kritik berechtigt, nun drängt sich aber der Gedanke auf, dass man damals falsch lag mit dieser Kritik an substanzloser Kritik, die ja letztendlich als nur gespielte und gemimte Schein-Opposition dem herrschenden Medienzustand eher in die Hände spielte, ihn als demokratische Institution aufwertete, als Negation des Ist-Zustandes zu sein.

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Wahrer Fortschritt

Donnerstag, 19. März 2009

Die Menschheit hat es weit gebracht, jedenfalls jener Teil der Aufrechtkriechenden, der in dieser, unserer Weltregion sein Dasein fristet. Was hat der Mensch dem Menschen doch quer durch die Jahrhunderte alles angetan! Aber er hat daraus gelernt und hat die Gegenwart zu einer Insel der Glückseligkeit gemacht, zu einem zivilisierten Fleckchen Zeit. Wie haben die Zeiten sich doch gewandelt!

Es gab Zeiten, da konnte man über Märkte bummeln, die bestes Menschenfleisch anboten. Von Leben erfülltes Menschenfleisch, lebende Leiber. Kräftige Burschen, flinke Mädchen, die das Geschäft potenter Herrschaften besorgen sollten. Die Krämerseelen, die die inkarnierte Ware feilboten, putzten freilich die körperlichen Vorzüge ihres wandelnden Lebensunterhaltes fein heraus, präsentierten kraftstrotzende, arbeitsame, nimmermüde Menschlein, die jeder akkordigen Herausforderung gewachsen zu sein schienen. Diese romantischen Erinnerungen sind passé, auf Sklavenmärkten treten keine in Ketten gelegte Sklaven mehr auf. Der Fleischbeschau ist aus der Öffentlichkeit verbannt, wird in stillen Hinterzimmern, in Personalbüros umgesetzt.

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Wer arbeiten läßt, ist ein Idiot

Dienstag, 17. März 2009

Nachdem vermehrt gemeldet wird, dass es Unternehmen viel zu leicht gemacht wird, sich Kurzarbeit zu erschleichen, wird sich Wirtschaftsminister Guttenberg in leicht angetrunkener Pose zu Anne Will setzen und seine Zahlen präsentieren. Gesichert seien sie und abbringen lasse er sich auch nicht davon: 20 bis 25 Prozent der Unternehmen würden die Möglichkeit kurzarbeiten zu lassen mißbrauchen, sich mit falschen Angaben diese Leistung erschleichen. Nachfragen wird Will nicht, sie wird diese Zahlen erstmal so stehenlassen, Guttenberg wird aber auch nicht offenlegen, wie er sich diese vergleichsweise hohen Prozentzahlen errechnet hat. Studien gäbe es jedenfalls keine dazu, räumt er gegen Ende der Sendung entnervt ein.

Noch am nächsten Tag wird der Wirtschaftsminister eine Broschüre drucken lassen. Darin wird er sich gegen die untragbaren Zustände wenden, wird neben den obligatorischen Hymnen auf das Kurzarbeitergeld drastische Worte finden. Schmarotzer und Parasiten seien solche, die sich die Kurzarbeit erschleichen, Kriminelle der schlimmsten Sorte, Selbstbediener am Sozialstaat. Daher sei das Sanktionspotenzial auch so weitreichend angelegt worden... naja, wird es bald angelegt werden, man arbeite noch daran.

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Sit venia verbo

„Positive Kritik ist erlaubt, willkommen sogar. Sie ist systemimmanent. Um als Demokratie zu funktionieren, braucht das Regime Opposition, Kritik, Widerspruch. Aber eben: Widerspruch innerhalb des normierten Realitätsfeldes. Wer das System selbst in Frage stellt, wird pathologisiert.
Eine subtile Dialektik beherrscht das Feld. Das „normierte“ Verhalten steht nicht einfach dem „abweichenden“ gegenüber. Die „positive“ und die „negative“ Kritik stehen in einer komplexen, gegensätzlichen und stets umkehrbaren Beziehung zueinander. Der Systemgegner ist zunächst ein Störenfried, einer, der die Zelebrierung des Kultes stört; der Ungläubige zerreißt plötzlich den Vorhang und bringt eine Wirklichkeit an den Tag, die verborgen bleiben sollte. Der Gegner ist der Wiedertäufer, gleicht dem Mann im 16. Jahrhundert, der auf dem Platz von Münster den Mächtigen ins Gesicht schreit, sie seien Sünder und die Welt gehe unter.
Er wird so lange geduldet, als er zu bestimmten Stunden an dem für ihn vorgesehenen Platz erscheint, und unter der Bedingung, dass auch er rituelle Ausdrücke verwendet, die von denen, die ihm zuhören, vorgesehen sind. Doch sobald er sich anschickt, gegen die Institutionen vorzugehen, sobald er versucht, sich selbst Zugang zu den Entscheidungsinstanzen zu verschaffen, indem er ein unvorhergesehenes und der gesellschaftlichen Kontrolle sich entziehendes Projekt vorlegt, wird er ganz einfach gefährlich und wird verbrannt. Wie Thomas Müntzer.“
- Jean Ziegler, "Die Schweiz, das Gold und die Toten" -

Unsachlich sachlich bleiben

Montag, 16. März 2009

Aberaber, Herr De Lapuente, hieß es kürzlich wieder. Auch wenn ich mich ratlos gab ob dieser Reaktion, so tat, als wisse ich nicht, was ein solches Aberaber bedeuten solle, war ich doch im Bilde. Stattgefunden hat dies vor einigen Wochen, beim Blutnehmen im Labor des Facharztes, den ich regelmäßig zum Aufsuchen gezwungen bin. Grund war die Sparpolitik Ulla Schmidts, die ja gerade Bayerns Fachärzte in die Enge treibt - so sagen jene jedenfalls - und die von mir gemachte Äußerung, wonach die gesamte Gesundheitspolitik dahingehend ausgerichtet wird, nurmehr sogenannten Leistungsträgern ein wohliges Dasein zu ermöglichen, während der ganze Rest, die menschlichen Unkostenfaktoren also, sehen soll wo er bleibt. Ja, so meinte ich weiter, sagen wir es doch in aller Direktheit: Die große Masse der Hilfebedürftigen kann, laut Weltbild dieser selbstverliebten Eliten, gut und gerne verrecken. – Aberaber, Herr De Lapuente!

Dabei pflichtete sie, die mir blutabnehmende Sprechstundenhilfe, durchaus bei, war inhaltlich gar nicht so different. Sie begründete ihr Aberaber nur spärlich, eben damit, dass ich so drastische Worte benutzte, aber freilich und ohne Umschweife natürlich vollkommen recht habe. Was ich aber dahinter vermutete war mehr, war durchaus an der Reaktion ablesbar. Ich habe vom Verrecken gesprochen, habe keine alltagsgebräuchliche Formel verwendet, nicht vom Von-dannen-Gehen in eine andere Sphäre, nicht vom Dahinscheiden oder In-eine-andere-Welt-hinübergleiten gesprochen, sondern die Realität in Worte gefaßt. Wenn man daran denkt, dass ein Patient, dessen fachgerechte Behandlung sich die Solidargemeinschaft nicht mehr leisten will, irgendwann einmal das Zeitliche segnet, dann ist es vielleicht erträglich, weil man sich einen weißen, gut gepflegten Raum vorstellt, weiße und saubere Bettlaken, eine Fachkraft, die den Leidenden pflegt; aber spricht man vom Verrecken, dann wird das ganze Elend offenbar, es wird vor dem geistigen Auge schier anfaßbar, denn man imaginiert sich einen armen Kauz, der in einer verwahrlosten Wohnung herumlungert, verschreibungsfreie Schmerzmittel schluckt, ungewaschen und stinkend vor sich hingammelt, und irgendwann, wenn er des Leides genug ausgehalten hat, aus dem Gestank seiner eigenen Unerträglichkeit in eine vielleicht andere Welt hinüberverreckt.

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Für unerklärbar erklärt

Sonntag, 15. März 2009

Die Verwissenschaftlichung der Welt hat dazu geführt, dass wir alles von der Wurzel weg begreifen wollen. Wir forschen, messen und beobachten, um uns die Welt erklärbar zu machen. Freilich gibt es auch innerhalb eines wissenschaftlich-rationalen Weltbildes Grenzen, läßt sich zwar die "Mechanik des Lebens" beispielsweise erklären, nicht aber die Frage beantworten, was denn Leben letztendlich eigentlich sei. Diese Schwelle des Unerklärbaren, diese letzte, womöglich ewige Grenze, wird versuchsweise immer weiter nach hinten verlegt. Man gibt sich mit der Sicherung des bereits stehenden Schlagbaumes nicht zufrieden, will das bereits gesicherte Terrain erweitern, um die Grenze finaler Fragen überschaubar zu halten. Würde man sich mit der Existenz solcher jetzt unbeantwortbarer Fragen zufriedengeben, blieben sie auf immer ohne Antwort, gäbe es kein Bemühen mehr, sich dieser dann sakrosankt gewordener Bereiche anzunähern - sie wären zur unantastbaren Prämisse geworden.

Diese Gesellschaft, und das ist ein paradoxer Zustand dieser verwissenschaftlichten Gegenwart, bringt Charaktere hervor, die sich diese letzte Grenze ziemlich knapp abstecken. Sie wollen ihren Mikrokosmos überschaubar halten und zäunen sich ringsrum ab, machen das Gewußte zur raren Ware, während sie einem Heer von unbeantwortbaren Problematiken gegenüberstehen. Dieser Umstand peinigt sie auch gar nicht, denn sie zelebrieren ihn als Segen. Wenn es keine finale Antwort, zumindest aber keine möglichen Antwortmuster gibt, kann man sich eines Problemes entledigen. Über Fragen nachzudenken, deren Antwort a priori ausgeschlossen wird, erscheint sinnloser Zeitvertreib, bestenfalls als Vergnügen für theologische und metaphysische Vabanquespieler.

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Ein dringender Nachtrag zur "Schulkarriere"

Samstag, 14. März 2009

Jene Handvoll Zeilen, die vor einigen Stunden das Tageslicht erblickten, widmen sich einer fiktiven Schulkarriere, wie sie so fiktiv nicht ist, weil sie sich auf Erzählungen, Erlebtem und Zugetragenem gründet. Sie handeln die Pathologisierung eines Schülers ab, der aufgrund seiner Sensibilität und seines Andersseins nicht toleriert, wohl aber in die Enge einer Gummizelle getrieben wird. Auch wenn es sich um eine Erzählung handelte, blieb dieser drastische Schritt, einen Menschen, der den Druck nicht mehr ertragen kann, zum psychisch labilen Zeitgenossen zu erklären, keine bloße Phantasie. Wir erleben dies oft, manchmal nur bei banalen Dingen, und fast ist man geneigt festzustellen: wir erleben dies immer öfter.

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Eine Schulkarriere

Damals, als ich den Sprung aufs Gymnasium geschafft habe, da sah die Welt, meine eigene Welt versteht sich, noch rosig aus. Endlich schien eine standesgemäße Bildung gesichert.Seinerzeit glaubte ich auch noch, ich würde mich in den Schulbetrieb einfinden, habe all die Geschichten, die man mir im Vorfeld über das grassierende schlechte Schulklima erzählte, einfach ausgeblendet. Aber schon nach einigen Wochen habe ich realisiert, dass es kein Zuckerschlecken würde. Als Schüler war ich zwar gar nicht so schlecht, konnte dem Lehrstoff sehr wohl folgen, aber das Umfeld, die Rahmenbedingungen machten mir schnell zu schaffen.

Häufig wechselnde Lehrer erlaubten keinen Aufbau eines Vertrauensverhältnisses, zudem waren viele dieser Exemplare vollkommen unterkühlt und man merkte ihnen an, dass sie Jugendliche weder verstehen noch tolerieren wollten. Dafür erzeugten sie ordentlichen Druck, bauten einen geschickt inszenierten Wettbewerbdruck auf; hofierten die besonders tollen Schüler, die Leistung brachten und dem dazugehörigen Druck trotzten. Ich rang aber mit diesem Druck, war ihm unterlegen, konnte mich davon nicht befreien. Wie gesagt, ich konnte dem Lehrstoff folgen, der Preis war aber großer zeitlicher Aufwand, Freizeit hatte ich kaum noch und dazu lastete immer die Angst auf mir, dass selbst diese zeitliche Investition irgendwann nicht mehr ausreichen würde, um doch noch ein halbwegs passabler Schüler zu sein.

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