Funktionsloser Wert
Freitag, 30. Mai 2008
In einer Gesellschaft, die sich als Produkt von Arbeitsschritten und -vorgängen begreift, die also Arbeit als ihren Blutkreislauf versteht, werden aus Menschen Funktionsträger. Schleichend wird aus dem Kind - das übrigens mehr und mehr auch zum Kostenfaktor und als vulgär-individualistischer Egoismus von Ehepaaren verstanden wird - kein Erwachsener, sondern eine Funktion, die er in seinem Leben zu erfüllen hat. Der Funktionsträger erfüllt seinen bescheidenen Teil, um die Arbeitsgesellschaft am Leben zu erhalten. Aus der Notwendigkeit bestimmter Arbeitsprozesse wird eine Arbeitsgläubigkeit und -verklärung. Und obwohl dieser Imperativ der Adelserhebung aller Arbeitenden in jedem noch so kleinen Bereich unseres Lebens Platz gefunden hat, wird erst bei denen die Brutalität dieser Vedinglichung des Menschen zur Dienstleistung und Funktion sichtbar, die aus welchem Grund auch immer, nicht in der Rolle einer ausführenden Funktion innerhalb der Gesellschaft leben müssen. Das sind greise Menschen, die ihre Funktion alters- und krankheitsbedingt abgeben mußten und deshalb als nutzlose Gesundheitskostenpotenzierer angesehen werden; das sind aber auch Ehepartner, die sich nur auf Erziehungsarbeit konzentrieren und von ihren Bekannten deshalb schief angesehen, aber auch bemitleidet werden; und das sind vorallem "arbeitsfähige" Menschen, die ihre ehemalige Funktion verloren haben oder nie eine hatten und daher als Ballast an der wirtschaftlichen Gesundheit des Volkes eingestuft sind. Gerade dort, wo Funktionsfähigkeit vorherrscht und nicht gelebt wird, ist die Härte entmenschlichter Nutzbarmachung des Individuums am stärksten zu spüren.
Die Funktionssuche der Funktionslosen offenbart sich am Arbeitsmarkt. Schon alleine dieser Begriff ist verdächtig. Am Arbeitsmarkt treffen Angebot und Nachfrage aufeinander, Arbeitskraft und diejenigen, die Arbeit kaufen wollen. Dass es sich dabei um Menschen handelt, die das einzige zu Markte tragen müssen, was sie besitzen - d.i. das bißchen Energie, dass sie von Natur aus in sich tragen -, wird in dieser Abstraktion der Begriffserklärung verschwiegen. Der Arbeitsmarkt ist in erster Linie ein Menschenmarkt; der fehlende begriffliche Bezug zum Menschen ist gewollt, um den Arbeitnehmer der kapitalistischen Welt, nicht mit den Arbeitnehmern der Historie - Sklaven, Leibeigene etc. - in Verbindung zu bringen.
Gleichermaßen verhält es sich mit den Funktionsbörsen, die den Menschen, die zur Verdinglichung ihres Daseins gezwungen werden - der "Arbeitsmarkt" regelt ja offiziell Angebot und Nachfrage, was vermuten ließe, dies alles läuft zwanglos ab; dabei ist die oft würdelose Funktionssuche des Menschen keine Freiwilligkeit sondern eiskalte Erpressung seitens der Machthabenden - terminologisch vorspiegeln, sie wären die Regulatoren massenhafter Funktionsangebote, die nur sie gerecht und maßhaltend verteilen könnten. Das Jobcenter als zentrischer Punkt, an dem alle Angebote zusammenlaufen und verwaltet werden; die Agentur für Arbeit als Treffpunkt listiger Agenten, die den Unternehmern Funktionsmöglichkeiten aus der Tasche kitzeln!
Da dieses Kitzeln kein Modell ist, welches Erfolge zeitigt, und das Verwalten bei einer übersichtlichen Anzahl von freien Arbeitsplätzen eine langweilige und zudem halbwegs unnütze Aufgabe ist, schiebt man die Schuld ab: Der "Markt weigere sich", mehr Menschen "in Lohn und Brot zu bringen". Der Markt! Die Verdinglichung der Verantwortung! Kein Mensch trägt die Verantwortung dafür, dass Menschen ohne Funktion bleiben müssen, keine Konzernsvorstände, keine mißratenen Reformen von Politikern - über die rückständige Idee, Automatisierungen wieder zurückzunehmen, um möglichst vielen Menschen Arbeit zu geben, soll hier nicht geurteilt werden -, sondern das Ding "Markt". Der "Markt" steht somit in einer langen Tradition von Schuldverlagerung, nimmt die Rolle ein, die man einst Gottheiten einräumte ("Der Herr weist alle Wege!" Oder: "Deine Erkrankung ist eine Prüfung des Herrn!").
So sitzen Menschen zuhause, werfen sich selbst vor, keinen Wert mehr zu besitzen, weil sie keine Funktion tätigen dürfen und gleiten in Depressionen ab. Sie wollen verdinglicht sein, funktionieren, wollen sich in diesen Momenten mit ihrem bloßen Menschsein - bar jeder Funktion - nicht zufrieden geben. Das kann nicht wundern, denn sie bekommen täglich zu hören, wie aufwendig ihre Unterhalt doch ist, wieviel man sich sparen könnte, wenn ihre Existenz eine funktionstüchtigere wäre. Und so suchen und suchen sie, finden aber nicht oder kaum - und wenn, dann schlecht bezahlte und menschenverachtende Arbeitsverhältnisse. So wie die depressiven Phasen dieser Menschen anwachsen, schmelzen die Möglichkeiten einer Funktionsausübung in sich zusammen. Bezeichnenderweise gleitet ihre Suche ins Mysteriöse ab, entschwindet der materiellen Welt. Denn sie suchen dann schon nicht mehr nach einem Lohn, der sie materiell zufriedenstellen könnte, sondern nur noch nach dem propagierten Gut, dem metaphysischen Urwert "Arbeit". Viele Leidtragende verkünden, mit dem letzten bißchen Stolz, das sie noch aufzubringen imstande sind, dass sie jede Tätigkeit annehmen würden, dass sie alles dafür machen würden, um nur Arbeit zu haben. Freilich verteilt man in dieser Gesellschaft an solche Zeitgenossen ausreichend Schulterklopfer. Schließlich tragen sie das System weiter, obwohl sie von ihm ausgeklammert werden. Doch das Wollen alleine reicht nicht aus, es ist unzureichend, wenn man funktionieren will, aber nicht kann, weil keine Gelegenheit dazu geboten wird. Wer nicht funktioniert, wer von seiner Funktion entbunden wieder vermenschlicht, der Dinglichkeit entweicht, legt den Funktionsträgern Kosten auf. Ist nicht mehr nutzvoll einsetzbar und daher als wertlos abgestempelt. Die Einzelschicksale kümmern indes nicht, sie bleiben im Nebel verborgen, um denen, die keine Funktion mehr erfüllen, bloß nicht begreiflich zu machen, dass sie vom Mittel wieder zum Zweck zurückgekehrt sind. Denn das könnten solche Menschen ohne Funktion sein: Sich selbst der Zweck! Entkommen der verdinglichten Daseinsform, sich wieder dem widmen, was sie als Menschen ausmacht. Dumm für den, der in seiner Funktion sein Menschsein sah, womöglich weil man ihn jahrzehntelang darauf abgerichtet hat.
All dies führt dazu, dass die Menschen nicht Lohn suchen, nicht nach einer Möglichkeit sich über Wasser zu halten, sondern bloß auf "Arbeit" aus sind. Dies äußert sich auch gerade dort, wo in einem Bewerbungsgespräch abgeraten wird, schon bald das Gehalt oder die Arbeitszeiten zu erfragen. Obwohl das die maßgebenden Größen eines Antritts zu einem Arbeitsverhältnis sind, obwohl der Funktionssuchende es als das wichtigste Anliegen ansieht, einen Lohn zu beziehen, den er in seiner Freizeit nutzen kann - so er denn eine hat, weswegen die Frage nach den Arbeitszeiten durchaus Priorität hat -, soll diese Frage in den Hintergrund gedrängt werden. Es ist scheinbar ausreichend, eine Funktion zu besitzen; die Kosten-Nutzen-Maßhaltung, die die unternehmerische Welt überall ansetzt, gilt in diesem Moment nicht für den Suchenden. Er soll nicht abwägen, sondern die "Segnungen der Arbeit" genießen, gleich wieviel sie ihm bringt, ob sie ihn absichert, ob er noch freie Zeit zum Menschsein hat.
Der Arbeitsbegriff konnotiert Gehalt, Selbstwert, soziales Ansehen. Aber nur oberflächlich, denn für immer mehr Menschen bedeutet Arbeit: Hungerlohn, Minderwertigkeitskomplexe, soziale Ausgrenzung. Und selbst denen, die ein Auskommen in ihrer Arbeit haben - hier spiegelt sich der Irrtum gravierend, denn es ist nicht "ihre" Arbeit, sondern gehört dem jeweiligen Käufer der Arbeitskraft -, bietet der Arbeitsbegriff nur oberflächliche Autonomie. Sie bleiben Sklaven ihres Herrn, gebunden an eine Autorität, die Profite zum Selbstzweck erhebt, die nicht den Mensch, aber sehr wohl seine nutzbare Energie will. Zudem bedeutet es für die Käufer der "gekauften Arbeitskraft" mehr und mehr, felsenfest zu glauben - und daher zu fordern -, auch die Meinung und die absolute Loyalität des Arbeitnehmers erworben zu haben. Letzterer sollte schließlich die Hand nicht beißen, die ihn füttert.
Und obwohl die jeweilige Person in Unmündigkeit gestossen wird, wenn sie innerhalb einer Funktion ihr Leben fristet, erklärt man diesem Typus des verdinglichten Menschen, der nur noch Mittel zum Zweck ist, dass er der vollwertigste aller Bürger des Landes ist, weil er arbeitet, weil er schafft, weil er schwitzt und blutet.
Keiner dieser Apologeten der Arbeitsromantik, die vom schweißtreibenden Paradies der arbeitenden Menschen phantasieren, erklärt auch nur einmal, dass vollwertige Bürger all jene darstellen, die Menschen sind. Ganz unabhängig von ihrer Funktion! Wie sollten sie dies auch erklären, wo ihnen die Rückführung des Menschen zum Menschsein ein Graus sein muß. Vielleicht würde sich der moderne Mensch nämlich bewußt, dass die Hysterie um Mobilität, Flexibilität, Wachstum und Fortschritt einen historischen Irrtum darstellt, wie die Menschheit dann und wann immer wieder einem Irrtum unterlegen war. Ja, vielleicht würden die Menschen sogar erkennen, dass die eine Hälfte dessen, was der Markt ihnen bietet, nutzlos, die andere Hälfte, mit noch weniger Arbeit produziert wäre. Auf Nutzen reduziert und damit verdinglichtes Mittel seiend, ist der Mensch diesen Herrschaften wertvoller.
Es gilt dem entgegenzutreten und klar zu formulieren, dass alleine das Menschsein ausreicht, um respektvoll behandelt zu werden, um einen Wert zu besitzen. Wie die Feldmaus Frederick in der gleichnamigen Kindergeschichte, muß das Individuum nicht funktionieren, um für die Gesellschaft einen Wert zu besitzen. Frederick half nicht bei den Vorbereitungen für das Winterquartier, er genoss die letzte Sonne, die allerletzten Farben des Herbstes, während seine Gefährten emsig Lebensmittel anhäuften. Dies warfen sie ihm natürlich vor. Er solle doch auch etwas tun, nicht so faul sein! Er behauptete, er sei aber doch beschäftigt, sei nicht faul. Als sich die Vorräte aufbrauchten und der Winter einfach nicht verging, wußten die Mäuse sich den Hunger nicht mit Geschichten und Erzählungen wegzuphantasieren. Die Langeweile drückte aufs Gemüt und ließ den leeren Bauch erst recht spürbar werden. Doch dann erzählte Frederick von der Sonne und wärmte seine Gefährten damit, und die Farben des Herbstes erfüllte sie alle mit Phantasie. Offensichtlich hatte Frederick keine Funktion in seiner Gesellschaft. Seine Gefährten sahen dies jedenfalls zunächst so. Aber plötzlich wurde offenbar, dass seine Funktionslosigkeit einen Nutzen hatte. Wehe derjenigen Gesellschaft, in der sich Funktionslose dieser Einsicht gewiß werden. Dann bleibt kein Stein mehr auf dem anderen stehen...
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Die Funktionssuche der Funktionslosen offenbart sich am Arbeitsmarkt. Schon alleine dieser Begriff ist verdächtig. Am Arbeitsmarkt treffen Angebot und Nachfrage aufeinander, Arbeitskraft und diejenigen, die Arbeit kaufen wollen. Dass es sich dabei um Menschen handelt, die das einzige zu Markte tragen müssen, was sie besitzen - d.i. das bißchen Energie, dass sie von Natur aus in sich tragen -, wird in dieser Abstraktion der Begriffserklärung verschwiegen. Der Arbeitsmarkt ist in erster Linie ein Menschenmarkt; der fehlende begriffliche Bezug zum Menschen ist gewollt, um den Arbeitnehmer der kapitalistischen Welt, nicht mit den Arbeitnehmern der Historie - Sklaven, Leibeigene etc. - in Verbindung zu bringen.
Gleichermaßen verhält es sich mit den Funktionsbörsen, die den Menschen, die zur Verdinglichung ihres Daseins gezwungen werden - der "Arbeitsmarkt" regelt ja offiziell Angebot und Nachfrage, was vermuten ließe, dies alles läuft zwanglos ab; dabei ist die oft würdelose Funktionssuche des Menschen keine Freiwilligkeit sondern eiskalte Erpressung seitens der Machthabenden - terminologisch vorspiegeln, sie wären die Regulatoren massenhafter Funktionsangebote, die nur sie gerecht und maßhaltend verteilen könnten. Das Jobcenter als zentrischer Punkt, an dem alle Angebote zusammenlaufen und verwaltet werden; die Agentur für Arbeit als Treffpunkt listiger Agenten, die den Unternehmern Funktionsmöglichkeiten aus der Tasche kitzeln!
Da dieses Kitzeln kein Modell ist, welches Erfolge zeitigt, und das Verwalten bei einer übersichtlichen Anzahl von freien Arbeitsplätzen eine langweilige und zudem halbwegs unnütze Aufgabe ist, schiebt man die Schuld ab: Der "Markt weigere sich", mehr Menschen "in Lohn und Brot zu bringen". Der Markt! Die Verdinglichung der Verantwortung! Kein Mensch trägt die Verantwortung dafür, dass Menschen ohne Funktion bleiben müssen, keine Konzernsvorstände, keine mißratenen Reformen von Politikern - über die rückständige Idee, Automatisierungen wieder zurückzunehmen, um möglichst vielen Menschen Arbeit zu geben, soll hier nicht geurteilt werden -, sondern das Ding "Markt". Der "Markt" steht somit in einer langen Tradition von Schuldverlagerung, nimmt die Rolle ein, die man einst Gottheiten einräumte ("Der Herr weist alle Wege!" Oder: "Deine Erkrankung ist eine Prüfung des Herrn!").
So sitzen Menschen zuhause, werfen sich selbst vor, keinen Wert mehr zu besitzen, weil sie keine Funktion tätigen dürfen und gleiten in Depressionen ab. Sie wollen verdinglicht sein, funktionieren, wollen sich in diesen Momenten mit ihrem bloßen Menschsein - bar jeder Funktion - nicht zufrieden geben. Das kann nicht wundern, denn sie bekommen täglich zu hören, wie aufwendig ihre Unterhalt doch ist, wieviel man sich sparen könnte, wenn ihre Existenz eine funktionstüchtigere wäre. Und so suchen und suchen sie, finden aber nicht oder kaum - und wenn, dann schlecht bezahlte und menschenverachtende Arbeitsverhältnisse. So wie die depressiven Phasen dieser Menschen anwachsen, schmelzen die Möglichkeiten einer Funktionsausübung in sich zusammen. Bezeichnenderweise gleitet ihre Suche ins Mysteriöse ab, entschwindet der materiellen Welt. Denn sie suchen dann schon nicht mehr nach einem Lohn, der sie materiell zufriedenstellen könnte, sondern nur noch nach dem propagierten Gut, dem metaphysischen Urwert "Arbeit". Viele Leidtragende verkünden, mit dem letzten bißchen Stolz, das sie noch aufzubringen imstande sind, dass sie jede Tätigkeit annehmen würden, dass sie alles dafür machen würden, um nur Arbeit zu haben. Freilich verteilt man in dieser Gesellschaft an solche Zeitgenossen ausreichend Schulterklopfer. Schließlich tragen sie das System weiter, obwohl sie von ihm ausgeklammert werden. Doch das Wollen alleine reicht nicht aus, es ist unzureichend, wenn man funktionieren will, aber nicht kann, weil keine Gelegenheit dazu geboten wird. Wer nicht funktioniert, wer von seiner Funktion entbunden wieder vermenschlicht, der Dinglichkeit entweicht, legt den Funktionsträgern Kosten auf. Ist nicht mehr nutzvoll einsetzbar und daher als wertlos abgestempelt. Die Einzelschicksale kümmern indes nicht, sie bleiben im Nebel verborgen, um denen, die keine Funktion mehr erfüllen, bloß nicht begreiflich zu machen, dass sie vom Mittel wieder zum Zweck zurückgekehrt sind. Denn das könnten solche Menschen ohne Funktion sein: Sich selbst der Zweck! Entkommen der verdinglichten Daseinsform, sich wieder dem widmen, was sie als Menschen ausmacht. Dumm für den, der in seiner Funktion sein Menschsein sah, womöglich weil man ihn jahrzehntelang darauf abgerichtet hat.
All dies führt dazu, dass die Menschen nicht Lohn suchen, nicht nach einer Möglichkeit sich über Wasser zu halten, sondern bloß auf "Arbeit" aus sind. Dies äußert sich auch gerade dort, wo in einem Bewerbungsgespräch abgeraten wird, schon bald das Gehalt oder die Arbeitszeiten zu erfragen. Obwohl das die maßgebenden Größen eines Antritts zu einem Arbeitsverhältnis sind, obwohl der Funktionssuchende es als das wichtigste Anliegen ansieht, einen Lohn zu beziehen, den er in seiner Freizeit nutzen kann - so er denn eine hat, weswegen die Frage nach den Arbeitszeiten durchaus Priorität hat -, soll diese Frage in den Hintergrund gedrängt werden. Es ist scheinbar ausreichend, eine Funktion zu besitzen; die Kosten-Nutzen-Maßhaltung, die die unternehmerische Welt überall ansetzt, gilt in diesem Moment nicht für den Suchenden. Er soll nicht abwägen, sondern die "Segnungen der Arbeit" genießen, gleich wieviel sie ihm bringt, ob sie ihn absichert, ob er noch freie Zeit zum Menschsein hat.
Der Arbeitsbegriff konnotiert Gehalt, Selbstwert, soziales Ansehen. Aber nur oberflächlich, denn für immer mehr Menschen bedeutet Arbeit: Hungerlohn, Minderwertigkeitskomplexe, soziale Ausgrenzung. Und selbst denen, die ein Auskommen in ihrer Arbeit haben - hier spiegelt sich der Irrtum gravierend, denn es ist nicht "ihre" Arbeit, sondern gehört dem jeweiligen Käufer der Arbeitskraft -, bietet der Arbeitsbegriff nur oberflächliche Autonomie. Sie bleiben Sklaven ihres Herrn, gebunden an eine Autorität, die Profite zum Selbstzweck erhebt, die nicht den Mensch, aber sehr wohl seine nutzbare Energie will. Zudem bedeutet es für die Käufer der "gekauften Arbeitskraft" mehr und mehr, felsenfest zu glauben - und daher zu fordern -, auch die Meinung und die absolute Loyalität des Arbeitnehmers erworben zu haben. Letzterer sollte schließlich die Hand nicht beißen, die ihn füttert.
Und obwohl die jeweilige Person in Unmündigkeit gestossen wird, wenn sie innerhalb einer Funktion ihr Leben fristet, erklärt man diesem Typus des verdinglichten Menschen, der nur noch Mittel zum Zweck ist, dass er der vollwertigste aller Bürger des Landes ist, weil er arbeitet, weil er schafft, weil er schwitzt und blutet.
Keiner dieser Apologeten der Arbeitsromantik, die vom schweißtreibenden Paradies der arbeitenden Menschen phantasieren, erklärt auch nur einmal, dass vollwertige Bürger all jene darstellen, die Menschen sind. Ganz unabhängig von ihrer Funktion! Wie sollten sie dies auch erklären, wo ihnen die Rückführung des Menschen zum Menschsein ein Graus sein muß. Vielleicht würde sich der moderne Mensch nämlich bewußt, dass die Hysterie um Mobilität, Flexibilität, Wachstum und Fortschritt einen historischen Irrtum darstellt, wie die Menschheit dann und wann immer wieder einem Irrtum unterlegen war. Ja, vielleicht würden die Menschen sogar erkennen, dass die eine Hälfte dessen, was der Markt ihnen bietet, nutzlos, die andere Hälfte, mit noch weniger Arbeit produziert wäre. Auf Nutzen reduziert und damit verdinglichtes Mittel seiend, ist der Mensch diesen Herrschaften wertvoller.
Es gilt dem entgegenzutreten und klar zu formulieren, dass alleine das Menschsein ausreicht, um respektvoll behandelt zu werden, um einen Wert zu besitzen. Wie die Feldmaus Frederick in der gleichnamigen Kindergeschichte, muß das Individuum nicht funktionieren, um für die Gesellschaft einen Wert zu besitzen. Frederick half nicht bei den Vorbereitungen für das Winterquartier, er genoss die letzte Sonne, die allerletzten Farben des Herbstes, während seine Gefährten emsig Lebensmittel anhäuften. Dies warfen sie ihm natürlich vor. Er solle doch auch etwas tun, nicht so faul sein! Er behauptete, er sei aber doch beschäftigt, sei nicht faul. Als sich die Vorräte aufbrauchten und der Winter einfach nicht verging, wußten die Mäuse sich den Hunger nicht mit Geschichten und Erzählungen wegzuphantasieren. Die Langeweile drückte aufs Gemüt und ließ den leeren Bauch erst recht spürbar werden. Doch dann erzählte Frederick von der Sonne und wärmte seine Gefährten damit, und die Farben des Herbstes erfüllte sie alle mit Phantasie. Offensichtlich hatte Frederick keine Funktion in seiner Gesellschaft. Seine Gefährten sahen dies jedenfalls zunächst so. Aber plötzlich wurde offenbar, dass seine Funktionslosigkeit einen Nutzen hatte. Wehe derjenigen Gesellschaft, in der sich Funktionslose dieser Einsicht gewiß werden. Dann bleibt kein Stein mehr auf dem anderen stehen...