Sit venia verbo

Mittwoch, 30. April 2008

"Sosehr die politischen GegnerInnen und die meisten Medien auch hetzten, überall im Land zogen in den folgenden Jahren Grüne in die Parlamente ein. Sie brachten lang unterdrückte Anliegen von Bewegungen ins Parlament.
Hatten wir die Gefahren der Integration ausreichend analysiert? In unseren linken Kreisen gaben wir dem Projekt die Chance, für ein paar Jahre die Widerstandsbewegungen zu stützen und die bundesdeutsche Gesellschaft zu verändern. Vielleicht acht bis 15 Jahre spekulierten wir, bevor die Anpassungsmechanismen dieser Gesellschaft das Projekt verschluckt haben würden, wenn nicht eine neue außerparlamentarische, antikapitalistische Bewegung Motor einer gesellschaftlichen Dynamik werden würde, die den Integrations- und Anpassungsdruck aushebeln würde. Bis dahin hatten die verschiedenen Linken bei den Grünen die Chance, sich zusammenzuschließen und dann ein ökosozialistisches Projekt neu zu beginnen - so glaubten wir."
- Jutta Ditfurth, "Das waren die Grünen" -

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In nuce

Auch die TAZ widmet sich nun den beiden "Bierfreunden" BILD und Lidl. Innerhalb der lose zusammengeworfenen, großformatigen Blätter fand sich kein Wort der Kritik, stattdessen schwieg man zunächst, um nach den Sturm der Entrüstung mit einer Hofberichterstattung aufzuwarten. Fazit der BILD-Berichterstattung: Da ist Lidl zwar ein Schnitzer passiert, aber es ist ja alles nicht so tragisch. Und Entschädigungszahlungen bezahlt Lidl auch noch! Was für ein verantwortungsvolles Unternehmen! Die TAZ dazu: "Bei Bild war dann erst mal Ruhe im Karton. Dass der Skandal den Lidl-Umsatz einbrechen ließ, der Discounter die Kameras abbaute: Die LeserInnen der gedruckten Bild-Ausgabe erfuhren davon nichts. Dafür kam am vergangenen Montag für sie gleich der nächste Schock: "Neuer Preis-Schub bei Lebensmitteln", titelte das Blatt in der Großereignissen vorbehaltenen Buchstabengröße. Quelle? Die Lidl-Chefs Klaus Gehrig und Frank-Michael Mros. Im fast ganzseitigen Interview erklärten sie nochmal, von allem nichts gewusst zu haben, "genau so fassungslos" zu sein "wie alle anderen auch" - und verkündeten eine "Dankeschön-Zahlung" von 300 Euro für die MitarbeiterInnen, die "in dieser Situation so zum Unternehmen gehalten haben". Das Geld können diese gut gebrauchen, denn "es wird einen Preisschub bei Lebensmitteln in den nächsten Monaten geben", so Gehrig." - Man darf davon ausgehen, dass Lidl mit Hilfe der BILD-Zeitung bei der Fußball-Europameisterschaft wieder Unmengen an fettigen Chips und drittklassigem Bier günstig an die Kunden verscherbeln will. Die BILD wird daran munter mitverdienen. So ein Geschäft ruiniert man sich doch nicht mit kleinlichem Gekeife wegen "angeblicher" Bespitzelungen. - Ein Freund, ein guter Freund...

An guten Tagen stellt sich ein Vertreter der christlichen Kirchen vor die Kameras und verkündet mit ehrfurchsvoller Miene, man dürfe Menschen nicht ausbeuten, müsse ihnen einen fairen Lohn überweisen, der ihnen das Leben, zumindest aber das Überleben sichert. Nun ist dieses Aufgreifen gesellschaftsinterner Axiome, wonach wertvolle Arbeit auch ethisch, d.h. in dieser Gesellschaft durch höhere Zahlungen, vergolten sein soll, aus dem Mund des Klerus schon sehr seltsam anmutend, aber man kann - trotz der Gleichschaltung auch der Kirchen - ein gewisses Maß an ethischen Verantwortungsgefühl nachzeichnen. Soweit wäre das alles noch begreifbar, auch wenn die Kirche in diesen Fällen ein menschenwürdiges Leben an den "Faktor Arbeit" und damit an den "Faktor Nutzen" kettet. Wie aber erklären die wohlmeinenden Kirchenvertreter Zustände in den eigenen Reihen, die diesem selbstformulierten "ethischen Imperativ" zuwiderlaufen? - "Nach ARD-Recherchen müssen Mitarbeiter kirchlicher Einrichtungen zusätzlich zu ihrem Einkommen Hartz-IV-Leistungen in Anspruch nehmen. Arbeitnehmervertreter sprechen von "Dumpinglöhnen", die Lage sei schlimmer als bei Aldi und Lidl."

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De dicto

Dienstag, 29. April 2008

„Das kleinste Problem von Hartz-IV-Empfängern ist das Untergewicht. [...] Wer als Hartz-IV-Empfänger die Kraft für ein Ehrenamt hat, sollte vielleicht auch mal die Kraft aufbringen, sich um Arbeit zu bemühen, und dort seine ersten Aktivitäten hineinlegen. [...] Ich bin seit 35 Jahren in der SPD, weil sie sich am meisten für eine aktive Zukunftsgestaltung einsetzt. Dazu gehört aber auch, dass man über den richtigen Weg diskutiert!“
- Thilo Sarrazin (SPD), Berliner Finanzsenator, bei "Anne Will", zitiert aus der BILD-Zeitung -
Zum Gesagten sei angemerkt: Das alles und noch so einiges mehr, was hier keine Zitierung fand, ist also in Augen des Berliner Finanzsenators Sarrazin Ausdruck fruchtbaren Diskutierens, ist legitime Form demokratischen Ringens um "richtige Wege". Nun darf man selbst vermuten, was Sarrazin unheilschwanger als den "richtigen Weg" begreift. Die Historie, gerade auch der deutsche Teil selbiger, bietet viele Beispiele von "richtigen Wegen", die man einzuschlagen habe. Alleine dieses unpräzise Schwadronieren um nicht definierbare Heilsziele macht den Senator verdächtig. Und tatsächlich: Wenn man die verächtlich-zynische Masche dieses Herrn mit den Maschen vergleicht, die in braun-uniformierter Vergangenheit gleichermaßen zynisch und ehrabschneidend wirkten, dann muß man den "neuen, richtigen Weg" als einen eigentlich "alten, falschen Weg" einstufen.

Es ist schon mehr als dreist, sich als Stimme der Vernunft zu verkaufen, die um Erkenntnis bemüht ist, dabei "unbequeme Wahrheiten" ausspricht, denen natürlich hinter vorgehaltener Hand zugestimmt wird - (Die BILD dazu: "
Und viele sagen: Na und, der hat doch recht!") -, während man im selben Atemzug jene diskreditiert, die sich selbst nicht zu helfen wissen. Hört man sich dann noch an, wie Sarrazin zur Begrenzung der Managergehälter steht, die seine Partei in halbherziger - d.h. in guter sozialdemokratischer Nicht-Fisch-nicht-Fleisch-Manier - ersonnen hat, so wird vollends sichtbar, welche Sorte Sozialdemokrat in diesem Mann schlummert. Wertlose Symbolpolitik sei dies, daher zu unterlassen. Jeglicher Idealismus scheint einem fatalistischen Nihilismus gewichen zu sein, zumindest in Fragen, die jene betreffen, die sich noch wehren können, die sich auf Millionengehälter stützen können, wenn es um ihre Belange geht. Den Wehrlosen aber, die keine Lobby in dieser Gesellschaft (mehr) haben, drückt man eine verbale Frechheit nach der anderen aufs Auge, ergänzt die "praktischen Frechheiten" - also das System der sterilen Armenverwaltung - durch Hetztiraden. Ja, man gibt ihnen gar Speisepläne vor, die unausgegorenes Halbwissen offenbaren und deutlich machen: Wer nicht arbeitet, nicht arbeiten kann oder will, der soll hungern, soll in einer Gesellschaft, in der es volle Lebensmittelregale gibt - die irrationale Rationalität -, Brühe schlürfen und trockenes Brot kauen.

Einst berichtete die BILD mit einer offensichtlichen Spur von Verächtlichkeit von den "Sozen", die dem Land nur Kosten aufbürden und keine rechte Politik - sic! - zu machen wissen. Heute feiert die BILD auch Sozialdemokraten, läßt einerseits "kantige Hardliner" wie Sarrazin oder vormals Clement hochleben, tut andererseits betrübt, weil der Bundestag ohne Peter Struck bald farbloser sei. Die Sozialdemokraten sind zu einem konservativen Faktor geworden, den auch die BILD-Zeitung nicht mehr lächelnd beiseite schieben kann. Wer sich an Reformen wagt - die selbst die schwarz-gelbe Koalition nicht umsetzten wollte (Man denke an den Spitzensteuersatz, der damals 51 Prozent betrug, während er unter Rot-Grün auf 42 Prozent abgesenkt wurde!) -, so wie es die Schröder-Regierung tat, der kann ja gar nicht so teuer und stümperhaft Politik machen, wie man es der SPD früher nachsagte. Nein, wer so verfährt, der ist konservativer als die Konservativen und daher auch für die BILD erwähnens- und lobenswert. Und wer es versteht, eine platte Hetzkampagne als Weg der Erkenntnis an den Mann zu bringen, der wird in der BILD zum fähigen und tatkräftigen homo politicus, zum politischen Heroen verklärt; zum Hoffnungsträger einer Nation, in der sonst nur angeblich schlaffe Politikernaturen, die teilweise noch dem veralteten Menschenbild der Aufklärung nachhängen, ihren Dienst nach gutmenschlicher Vorschrift tun. Beamtennaturen wie Sarrazin haben den "neuen Typus Mensch" verinnerlicht, daher gelten sie im Hause Springer als die zukünftigen Männer, die dieses Land formen werden.

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Die Rebellion des Menschen ist unantastbar

Samstag, 26. April 2008

Wenn ein fundamentales Element des Rechtsstaatsprinzips ausschert, um den Einzelnen - der ja eigentlich von diesem Element profitieren sollte - die Garrotte um den Hals zu wickeln, wenn es zum sicheren Unterstand für die herrschende Klasse und deren Regelungen verunstaltet wird, dann muß die Frage aufgeworfen werden dürfen, welche Existenzberechtigung ein derartiges ius positivum hat. Welche Berechtigung darf man den Machenschaften im folgendem Falle zusprechen?
"Die Arbeiter einer oberfränkischen Baufirma hatten Pech. Das Unternehmen ging Pleite, die Mitarbeiter verloren ihren Job. Doch es kam noch schlimmer: Bald nach der Firmenpleite meldete sich der Insolvenzverwalter bei ihnen - sie sollten den Lohn von drei Monaten zurückzahlen. Die Begründung: Sie hätten wissen müssen, dass die Firma zahlungsunfähig war und hätten deshalb gar nicht mehr zur Arbeit erscheinen sollen. Die Arbeiter fühlen sich betrogen - vom Insolvenzverwalter und vor allem vom geltenden Gesetz."
Dazu sei anzumerken, dass Arbeitnehmer dazu verpflichtet sind, drei Monate auch ohne laufende Auszahlung des Lohnes, weiterzuarbeiten. Hätten die Arbeitnehmer der oberfränkischen Baufirma die Arbeit niedergelegt - was durchaus nachvollziehbar gewesen wäre -, dann hätten sie sich eine Sperrung des Arbeitslosengeldes eingehandelt - auch hier eine Form willkürlich gesetzten Rechtes, welches Arbeitnehmer in Unmündigkeit und Abhängigkeit stößt, sie zum Spielball "höherer Interessen" ernennt. Bezeichnend zudem: Die Gleichschaltung der Institutionen. Der Gewerkschaftsvertreter saß und sitzt im Gläubigerausschuss und hat sich der Entscheidung, die ehemaligen Arbeitnehmer um ihren Lohn zu betrügen, nicht erwehrt, sondern sich gekonnt der Stimme enthalten. Wer Freund, wer Feind ist; wer Schwein und wer Mensch, bleibt einmal mehr unauflösbares Paradoxon, manifestiert in einer Gesellschaft, die Alternativen vorgaukelt, um die eigene Alternativlosigkeit und die damit einhergehende Gleichschaltung zu überspielen. Wer also Arbeitnehmer vertritt oder sie tritt, ist auf den zweiten Blick, bei genauerer Betrachtung der Umstände, kaum noch feststellbar.

Viele Mißstände drängen sich bei dieser konkreten Problematik auf. Man könnte viel dazu erläutern, könnte daran die resignierte und verbitterlich stimmende Landschaft einer durchkommerzialisierten, sterilen und auf die Gottheit des freien Marktes fixierten Gesellschaft bloßstellen. Aber die spezielle Frage, die sich hier aufdrängt ist unabhängig von dieser Gesellschaft; ist Frage einer jeden Gesellschaft, in der Gesetze positioniert werden - die eben gesetzt sind, um das Zusammenleben zu regeln. Kann demnach eine gesetzliche Bestimmung, hinter der sich die Machthaber und ihre Marionetten - im erläuterten Falle z.B. der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages - verstecken, welche sichtbar ein Unrecht zum Recht erklärt, Geltung für diejenigen haben, die mit dieser Auslegung betrogen werden? Und kann sich der ausführende Insolvenzverwalter, oder allgemeiner gefragt: Kann sich der Anwender von rechtlich fixiertem Unrecht hinter seiner Funktion innerhalb des Systems verstecken, wenn er lapidar feststellt, dass er "nur seinen Job tut"?

Von einem der ehemaligen Mitarbeiter der Baufirma war zu hören, dass man ihn wohl einsperren müsse, denn er wird die Gelder nicht zurücküberweisen. Schließlich habe er ja für seinen Lohn auch gearbeitet, Leistung erbracht. Kann man jemanden, der aufgrund seiner Standhaftigkeit zum moralischem Recht eingesperrt wird, gleichsetzen mit jemanden, der aufgrund von Betrug, Hinterziehung oder Körperverletzung eingesperrt wurde? Oder ist ein solcher Gefängnisaufenthalt nicht sogar als Auszeichnung zu verstehen? Als Auszeichnung an der eigenen moralischen Unbeugsamkeit? Gemäß Thoreau, wonach es "in einem Staat, der seine Bürger willkürlich einsperrt", eine "Ehre für einen Mann" sei, "im Gefängnis zu sitzen"? - Freilich würde ein Standhafter aus den Reihen der ehemaligen Mitarbeiter der Baufirma nicht selbstlos handeln, so wie es die "durch Gefängnisaufenthalte geadelten" Gandhi, King oder Mandela taten. Mit Selbstlosigkeit wäre das Verweigern, die eigenen materiellen Grundlagen zu bewahren, nicht gleichzusetzen. Doch kann dem eine politische Botschaft innewohnen, wenn es die betrogenen Arbeitnehmer in ihrem Kampf für ihr eigenes Recht nicht vergessen, eine allgemeine Verneinung gesetzlicher Willkür damit zu verbinden. Bleibt die formulierte Kritik an der Insolvenzpraxis begrenzt auf die eigenen vier Wände (wovon leider auszugehen ist), so atmet die Kritik keine verantwortungsvolle Luft allgemeiner Gerechtigkeit, sondern ergießt sich in jammervollem Selbstmitleid. Daran scheitert zuweilen jede Sache im Diensten gerechter Forderungen.

Es sind weniger Antworten, die, angekommen an einem Punkt der Ohnmacht, neue Wege aufzeigen können. In Fragen, im Zweifel an der gängigen Praxis, im kritischen Betrachten liegt die Wurzel dessen, was wir als Widerstand bezeichnen. Man kann davon überzeugt sein, dass die Unbeugsamkeit in so einem absurden Falle, wie dem oben erwähnten, ein menschliches Naturrecht darstellt, in dem der Staat keinen Anspruch haben kann, den "aufgestachelten Mob" - erst mit Gesetzen und verbaler Pression, nachher unter Umständen mit physischer Gewalt - zu bändigen. Jene, die nun um ihren Lohn ringen, die darum kämpfen, dass ihr Engagement innerhalb des ehemaligen Betriebes wenigstens kein brotloses Schuften war, fühlen sich von Staat und von ihren eigenen Vertretern verlassen. Sie stehen alleine im Sturm, plagen sich mit Anwälten und Pfändungsaktionen ab und hören sich von der Politik und Interessenverbände an, dass alles nach Plan, d.h. alles rechtens, nach Gesetz laufe. Was kann also jemanden an einen Staat binden, der von selbigen im Stich gelassen, verspottet, verlacht und damit ausgebeutet wird? Und ist es nicht sogar notwendig, zunächst ein "Staatenloser" zu werden, um eine scharfe Waffe der Kritik aufbringen zu können?

Natürlich handelt es sich hierbei um einen Fall, der relativ nichtig ist, der keine großen Werte in Zweifel stellt, der nicht willkürlich Freiheit in Ketten legt, weil es ein Despot so möchte. Der Despot, als Einzelherrscher, landete bereits vor Jahrzehnten auf dem Müllhaufen der Geschichte; heute versteckt sich das Staatswesen hinter Tausenden von Despoten und Despötchen, die ihre Funktion innerhalb der Gesellschaft zum Antrieb ihrer Unmenschlichkeit ernennen, die sich auf fadenscheinige Gesetzeslagen und ihre Unmündigkeit innerhalb ihres Arbeitsverhältnisses stützen, um ihre Frechheiten begreif- und erklärbar zu machen. Relative Nichtigkeit: Aber im Kleinen beginnt das große Unrecht sich zu formieren. Bevor man willkürlich einsperrt, raubt man den - im wahrsten Sinne des Wortes - gerechten Lohn; bevor man auf friedliche Demonstranten einschlägt, erläßt man Gesetze, die differente Meinungsansätze verächtlich machen; bevor das Wahlrecht entzogen wird, sinniert man ganz demokratisch und im Mantel der Vernunft gehüllt über die Sinnhaftigkeit des herrschenden Wahlrechts. Wer also im Kleinen nicht aufbegehrt, nährt das Unrecht im Großen, forciert eine Gesellschaft, die blind wird für die offensichtlichsten Ungerechtigkeiten innerhalb ihrer selbst.

Persönlich halte ich die Frage nach dem "Widerstand gegen die Staatsgewalt" für unangebracht, weil sie im Wesen des Menschen verankert ist. Ob Revolte oder nicht, wird uns weniger von Außen herangetragen, als es in uns vorgezeichnet ist. Als Teil der conditio humana ist die Frage nach Widerstand gegen seinen Herrn, eine Frage nach dem Dasein des Menschen. Um es mit Camus zu sagen: "Das Übel, welches ein Einzelner erlitt, wird zur kollektiven Pest. In unserer täglichen Erfahrung spielt die Revolte die gleiche Rolle wie das "Cogito" auf dem Gebiet des Denkens: sie ist die erste Selbstverständlichkeit. Aber diese Selbstverständlichkeit entreißt den einzelnen seiner Einsamkeit. Sie ist ein Gemeinplatz, die den ersten Wert auf allen Menschen gründet. Ich empöre mich, also sind wir."

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Sit venia verbo

"Darum muß jeder von uns für sich selber finden, was erlaubt und was verboten - ihm verboten ist. Man kann niemals etwas Verbotnes tun und kann ein großer Schuft dabei sein. Und ebenso umgekehrt. - Eigentlich ist es bloß eine Frage der Bequemlichkeit! Wer zu bequem ist, um selber zu denken und selber sein Richter zu sein, der fügt sich eben in die Verbote, wie sie nun einmal sind. Er hat es leicht. Andere spüren selber Gebote in sich, ihnen sind Dinge verboten, die jeder Ehrenmann täglich tut, und es sind ihnen andere Dinge erlaubt, die sonst verpönt sind. Jeder muß für sich selber stehen."
- Herrmann Hesse, "Demian - Die Geschichte von Emil Sinclairs Jugend" -

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Deutsche Sozialismen

Donnerstag, 24. April 2008

Viel wird in diesen Tagen vom real existierenden Sozialismus gesprochen. Immer dann, wenn es darum geht, die Sozialgesetzgebung zur mehr Verteilungsgerechtigkeit zu führen, den vom sozialen Netz abhängigen Menschen ein wenig mehr an Spielraum zu geben, treten besorgte Mienen vor die Presse und ziehen Parallelen zum Sozialismus, wie er sich einst real äußerte. Dabei wird kein gutes Haar an der DDR gelassen, die zum deutschen Mahnmal sozialistischer Lebensart ernannt worden ist. Nun gibt es freilich wirklich Vieles, was man an der DDR kritisieren kann, wahrscheinlich gibt es kaum einen Bereich, dem man nicht kritisierend begegnen darf. Aber die DDR zum Absolutum deutschen Sozialismus' zu ernennen, sie als einzigen Versuch sozialistischer Denkweise zu verklären, kann als latenter Versuch deutschen Revisionismus gewertet werden.

Denn wenn wir von den Erscheinungsformen des Sozialismus auf deutschen Gebiet sprechen, dann dürfen wir den Nationalsozialismus als perverserste Spielart desselbigen nicht herauslösen und getrennt halten. Was ihm an Internationalismus abging - wobei auch Stalin diese internationale Komponente auf Eis legte, um sie durch seinen "Sozialismus in einem Land" zu ersetzen -, glich er durch Nationaltümelei, Volksgemeinschaft, deutsches Blut aus. Was die Gleichheit aller Klassen im Osten, war die Rasse als verbindendes Merkmal in Deutschland. Was im Mutterland des real existierenden Sozialismus der "Held der Arbeit", war im NS-Staat der Ausspruch, wonach "Arbeit adelt". Beide Varianten zielten darauf ab, eine verschworene Gemeinschaft aller Genossen zu erschaffen, in der das Wohl der dazugehörigen Mitglieder gesichert sein soll. "Ungläubige" wurden hüben wie drüben gnadenlos verfolgt und beseitigt.

Der Historiker David Schoenbaum kam in seinem Buch "Die braune Revolution" auf keine eindeutige Antwort, was denn der Nationalsozialismus eigentlich gewesen sei. Viele Faktoren ermöglichten ein nationalsozialistisches Deutschland, viele Theoreme - wie z.B., dass es sich beim Nationalsozialismus als Aufstand des Klein- und Spießbürgertums handelte - können als teilweise zutreffend eingestuft werden. Der von den Nationalsozialisten gepredigte Sozialismus innerhalb der Volksgemeinschaft muß aber ebenso als wichtiges, vielleicht sogar grundlegendes Motiv erkannt werden. Schoenbaum führt hier unter anderem auf, dass es gerade Wähler der Sozialdemokraten und Kommunisten waren, die zu Hitler überschwenkten, weil sie ihre sozialistischen Vorstellungen nur von ihm verwirklicht sahen in der Zukunft. Gerade die umfallende Sozialdemokratie trieb die Menschen in die Arme des neuen nationalen Sozialismus, der jedem ein Auskommen garantierte, solange er Volksgenosse und regierungstreu sei.

Die damaligen Zeitgenossen sahen sich ebenso als Erscheinungsart sozialistischer Prägung. Ein Doktorkandidat schrieb über das Reichssiedlungsgesetz, dass es "die Änderung in der Blickrichtung des neuen Deutschlands vom liberalistisch-kapitalistischen Westen nach dem sozialistischen Osten" sei. Hermann Göring kritisierte gar, dass einige Parteimitglieder das im Namen der Partei befindliche Wort "sozialistisch" zugunsten des Wortes "national" vernachlässigten. "Der Sozialismus, den wir predigen, ist ein Sozialismus des Heroismus, ein Sozialismus der Männlichkeit.", ließ Goebbels vermelden, während Robert Ley ergänzte, dass "dieser Sozialismus kein Mitleid sei". Goebbels' Adjutant Schaumburg-Lippe bekannte: "Dies war der Sozialismus, den ich suchte und dem mit allen Fasern zu dienen mir eine Ehre war." Das nationalsozialistische Hetzblatt "Der Angriff" romantisierte: "Sozialismus ist Lebensbejahung, Sozialismus ist Gemeinschaft, Sozialismus ist Kameradschaft und Treue, Sozialismus ist Ehre. Sozialismus, mein Freund, ist das Blut und die Rasse, der heilige tiefernste Glaube an einen Gott." Der Glaube an eine klassenübergreifende, nur rassisch motivierte Gleichheit aller Genossen, findet in Leys Worten Ausdruck, die er auf einer Versammlung von Unternehmern aussprach: "Ich will und werde zu Ihnen so sprechen, wie ich eben vor Abertausenden von Arbeitern gesprochen habe. Früher mußte sich der Redner immer einstellen auf Klassen und auf die Schichten und Berufe." In gewissem Sinne läßt sich die These Ernst Noltes, wonach "der Archipel GULAG ursprünglicher als Auschwitz" sei - jene These, die 1986 den sogenannten "Historikerstreit" auslöste -, durchaus bejahen, denn sie bringt zusammen, was zusammengehört. Sie entblöst den Nationalsozialismus als deutsche Variante des Sozialismus, angereichert um vielerlei Perversitäten freilich, aber dennoch in seinem Urantrieb sozialistisch gesinnt.

In diesen Tagen wird indirekt viel von der DDR gesprochen. Sie sei, so vermutet man, wenn man den Diskussionen folgt, die einzige Verfehlung des Sozialismus in diesem Lande gewesen. Der Nationalsozialismus bleibt als einzigartiges Phänomen beiseite gestellt, auch wenn er sich "qualitativ" in keinster Weise von "sozialistischen Stalinismus" unterscheidet. Man will sich heute freilich nicht eingestehen, dass der gesamtdeutsche Versuch eines Sozialismus' ebenso von Unternehmen und Konservativen erwünscht war. Dass beide Phänomene Kinder der gleichen Epoche waren, dass die DDR einen Anachronismus aus dieser Epoche darstellt, wird dezent verschwiegen. Haben wir wirklich zuviel DDR übernommen? Sind also zu sozialistisch gesinnt? Und ist es nicht auch zuviel "brauner Sozialismus", wenn man heute Gemeinschaftsgefühle nährt, indem man Randgruppen oder Bedürftige stigmatisiert, um die "Fleißigen und Unbescholtenen" hervorzuheben? Oder wenn man öffentlich fordert - wie ehemals Kurt Beck -, dass man den Leistungsträgern dieser Gesellschaft Hilfe zukommen lassen muß, nicht denen, die nichts leisten? Ist das "neue Ermächtigungsgesetz" zum Schutz unserer Gemeinschaft nicht auch Ausdruck des alten und neuen Sozialismus? Zutreffend ist sicherlich, dass in dieser Gesellschaft der Individualismus ins Hintertreffen gerät, um einem kollektiven Denken Raum zu schaffen. Dies ist nicht nur DDR, sondern durchaus auch Drittes Reich. Aber das meinen jene, die von "zu viel DDR" sprechen ja nicht...

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In nuce

Mittwoch, 23. April 2008

Conrad Brean (Robert De Niro), Berater des US-Präsidenten, setzt alles daran, seinen Herrn vor einem Skandal - der Präsident hatte eine sexuelle Affäre mit einer Minderjährigen - zu retten. Ein Krieg muß her, um die Krise im Inneren, durch ein Manöver von Außen zu kanalisieren. Diese altbewährte Methode politischer Ablenkung, findet im Computerzeitalter natürlich seine Perfektion. Bread will nicht, dass wirkliche Soldaten in den Krieg ziehen, sondern dass Hollywood einen Krieg in die US-amerikanischen Haushalte liefert. "Sie möchten, dass ich Ihren Krieg produziere?", fragt Regisseur Stanley Motss (Dustin Hoffman), als er den Auftrag erhält, der Nation einen heldenhaften Kampf zu liefern, der nur in den Köpfen von Drehbuchautoren stattfindet, nur in Pappkulissen und Computeranimationen geschlagen werden soll. Und tatsächlich geht der Plan auf. Patriotisch verfolgt die Bevölkerung den heroischen Einsatz der US-Streitkräfte in Albanien. Einmal Blut geleckt, will Motss sein Kind aber nicht aufgeben, will diesen "erfundenen Krieg" weiterführen, spinnt sich in Gedanken bereits einen Oscar zusammen, den er für dieses monumentale Werk erhalten muß. Aber Bread macht ihm deutlich, dass der Krieg ein Ende gefunden hat, weil er seine Aufgabe erfüllt hat: "Der Krieg ist vorbei, ich hab es im Fernsehen gesehen."
Was uns in "Wag the Dog" vor rund zehn Jahren als Satire begegnete, findet heute eine reale Umsetzung: "Mit einer gigantischen PR-Truppe hat die Bush-Regierung die Öffentlichkeit in den USA seit Jahren hinters Licht geführt." Krieg ist, was die Medien an die Heimatfront senden. Wenn die Lüge der gezielten Desinformation ausgestrahlt wird, wenn sie das Tagesgeschehen dominiert und die Menschen einlullt, dann wird sie zur Wahrheit, mit der sich politische Entscheidungen begründen lassen. "Wenn der Schwanz mit dem Hund wedelt", lautet der deutsche Untertitel der US-Satire von Barry Levinson. Diese Metapher umschreibt treffend die verquere Lage, in der sich der Information suchende Bürger befindet. Nicht reales Geschehen dominiert das Berichten, sondern die Berichtenden meißeln sich ein Geschehen zurecht. Der Hund wird von seinem eigenen Schwanz hin und her geworfen.

Das "neue Ermächtigungsgesetz", angepriesen als Fortschritt in der Terrorbekämpfung, fixiert das Rückschreiten des Rechtsstaates. Das soll das BKA dürfen, unter anderem dürfen: "Datenbestände jeder Behörde, jedes Unternehmens und jeder Privatperson erheben, um sie nach bestimmten Merkmalen zu rastern (Rasterfahndung)." Oder: "Wohnungen durchsuchen. Bei der Durchsuchung einer Wohnung hat der Wohnungsinhaber das Recht, anwesend zu sein. Ist er abwesend, so ist, wenn möglich, sein Vertreter oder ein erwachsener Angehöriger, Hausgenosse oder Nachbar hinzuzuziehen." Oder: "Sachen in Abwesenheit des Eigentümers geheim durchsuchen." Kurzum: Der unter Verdacht geratene Bürger hat sich mit Leib und Seele der "heiligen Inquisition der Terrorjäger" zu verschreiben. Der "ewige Notstand" als Konstante bundesrepublikanischer Gesetzgebung!

Nachdem die Überwachungsmechanismen innerhalb des Lidl-Imperiums bekannt wurden, meldeten sich viele Medien zu Wort. Selten war man sich so einig, dass dies verbrecherische Methoden waren und sind, die dort vollzogen werden. Die BILD-Zeitung hielt sich allerdings zurück. Mit einer "kleinen Meldung unter Freunden" wurde das Thema quasi nicht beachtet. Ein knapper Artikel, ganze vier Sätze widmete man damals den Frechheiten des Discounters. Zudem wollte man sich auch nicht festlegen, wollte Lidl nicht a priori verurteilen, was man bei der BILD sonst eigentlich gerne tut. "Angeblich" seien Überwachungskameras installiert worden. Angeblich! Klingt fast so, als sei das eine dreiste Unterstellung diverser Medien gewesen, bar jeglichen Beweises. Nur verwunderlich, dass Lidl auf diesen ungerechtfertigten Rufmord nicht mit juristischen Schritten reagierte. Aber man wollte im Hause Springer auch nicht die Liaison gefährden, eine tiefe und innige Liebe. Jetzt darf Lidl-Aufsichtsratchef Klaus Gehrig sein Unternehmen reinwaschen, denn die BILD bietet ein Forum und glänzt durch bieder-brave Fragestellung. Man darf erläutern, wie in Zukunft Bespitzelung verhindert wird, wie man sich aus der Schuld an den Mitarbeitern per Einmalzahlung herauskauft und wie die Lidl-Oberen ebenso kalt erwischt wurden, als die Bombe platzte. Wo ist nur der BILD-Zeitung bissiger Fragestil geblieben?

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Nomen non est omen

Täglich begegnen uns in den öffentlichen Debatten Begriffe, die wir aufgrund steten Hörens und Benutzens kaum noch hinterfragen. Dabei stört es kaum, dass es sich oft um gestelzt wirkende Begriffe, um paradox zusammengeschusterte "hölzerne Eisen" oder vollkommen sinnfreie Wortarrangements handelt. "Nomen non est omen" soll jene Worte aufgreifen und kurz analysieren, die von den neoliberalen Reformern in den allgemeinen Sprachgebrauch geworfen werden, um Debatten damit ideologisch zu beeinflussen. Auch wenn man es auf dem ersten Blick, dem ersten Hören nicht erkennen kann, so gilt doch Talleyrands Ausspruch: "Wer eine Wahrheit verbergen will, braucht sie nur offen auszusprechen."

Heute: "Eigenverantwortung"
„Wir werden Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fördern und mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen abfordern müssen.“
- Altbundeskanzler Gerhard Schröder in seiner Agenda 2010-Rede -
„Selbsthilfe und Eigenverantwortung sind die leitenden Motive gegenwärtiger grüner und auch hartzscher Modelle des Sozialen.“
- Dirk Jacobi, Bündnis 90/Die Grünen, Landesverband Berlin -
„Um soziale Gerechtigkeit leben zu können, ist Eigenverantwortung der Menschen notwendig.“
- Bundeskanzlerin Angela Merkel -
Das politische Schlagwort der Eigenverantwortung genießt große Popularität und wird, mit Ausnahme der Linkspartei, von allen Parteien verwendet. Neutral definiert bedeutet das Schlagwort, Verantwortung für sich selbst und seine Entscheidungen zu übernehmen. Demzufolge muss das Individuum auch die Konsequenzen aus der selbst getroffenen Entscheidung tragen. Die Eigenverantwortung ist nicht zwingend ein Gegensatz zur Solidarität, wird jedoch durch die politische Neuprägung des Begriffes zunehmend dazu gemacht. Wie ein Leitmotiv durchzieht das Schlagwort viele Politikfelder. Es symbolisiert weniger Staat und mehr Markt. Weniger staatliche Solidarität, dafür mehr privates Risiko.

Die inflationäre Benutzung des Schlagwortes der Eigenverantwortung ist der Versuch zur Legitimierung gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse. Schließlich soll dieser Begriff eine Wirklichkeit konstruieren, indem jeder sein individuelles Glück und persönlichen Erfolg in der freien Marktgesellschaft finden kann, wenn er sich nur ordentlich anstrengt (Stichwort: Leistungsgerechtigkeit). Dass in Deutschland strukturelle Ungerechtigkeiten vorherrschen haben alle PISA-Studien eindeutig bewiesen. Auch die 1. World Vision Kinderstudie bestätigte, dass in Deutschland die soziale Herkunft den Bildungsverlauf weitgehend bestimmt und eben nicht die eigene Leistung. Gymnasien besuchen nur 1% der Kinder aus der Unterschicht, aber 18% der Kinder aus der Oberschicht.

Die Eigenverantwortung löst sich zudem von dem traditionellen Gerechtigkeitsideal der SPD einer Verteilungsgerechtigkeit. Ziel sei es fortan eben nicht mehr den gesellschaftlichen Reichtum gerecht zu verteilen, sondern nur noch die Individuen dahingehend zu befähigen am Erwerbsleben teilnehmen zu können. Ignoriert werden dabei eine Reihe vorrausetzungsvoller Bedingungen:
  • Der Zugang zu wichtigen wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Handlungsressourcen sind ungleich verteilt und werden selbst bei erfolgreicher Aktivierung des Einzelnen nicht aufgehoben
  • Reichtumsbericht der Bundesregierung sehr ungleichmäßig verteilt. Während die unteren 50% der Haushalte nur über etwas weniger als 4% des gesamten Nettovermögens verfügen, entfallen auf die vermögendsten 10% der Haushalte knapp 47%.
  • Auch die Chancen auf dem Arbeitsmarkt beim Aufstieg von prekärer Beschäftigung in stabile Erwerbsarbeit sind ungleich verteilt, denn prekäre Beschäftigung tritt verstärkt in bestimmten Erwerbsgruppen
Das Schlagwort der Eigenverantwortung gehört zu einer ganzen Reihe von politischen Schlagwörtern, welche die Wahrnehmung der Wirklichkeit ideologisch neoliberal filtern und insofern bestehende Herrschaftsverhältnisse legitimieren will.

Dies ist ein Gastbeitrag von Markus Vollack aka Epikur.

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Der VdK reiht sich ein

Montag, 21. April 2008

Die Mai-Ausgabe der VdK-Zeitung bringt auf der ersten Seite eine kleine, fast unscheinbare Meldung. Beinahe wirkt es so, als schämten sich die Macher ein wenig dafür, doch davon kann man nicht ausgehen. Ich zitiere den Artikel zur Gänze, da er nur wenige Zeilen umfasst:
"Sozialverband VdK fordert eine Pflicht zur Riester-Rente
Das Zögern der Politik bei der zusätzlichen Altersvorsorge erhöht nach Ansicht des VdK die Gefahr, sozial abzustürzen. Wer nicht vorsorge, dem könne Altersarmut drohen, warnte VdK-Präsident Walter Hirrlinger. Der VdK fordert, dass neben der gesetzlichen Rente eine obligatorische betriebliche Altersvorsorge aufgebaut wird, in die Arbeitnehmer und Arbeitgeber paritätisch einzahlen. "Wo das nicht möglich ist, brauchen wir eine Pflicht zur Riester-Rente", so Hirrlinger. Freiwillig hätten bisher nur zehn Prozent aller Beschäftigten eine solche Versicherung."
Nun auch noch der VdK, der in den Chor einstimmt, wonach die staatliche Rente nicht mehr ausreiche, man sich privat versichern müsse. Warum sie nicht mehr ausreiche, warum nur zehn Prozent aller Beschäftigten riesterversichert sind, scheint dem VdK nicht von Relevanz zu sein. Lieber fordert man Zwang, wenn die Menschen nicht so spuren, wie es die Politik will oder wenn sie einfach die finanziellen Mittel nicht aufbringen können, um nebenbei Vorsorge zu betreiben. Wissen wohl Hirrlinger und die VdK-Oberen, dass sie mit so einer Aussage die umlagefinanzierte Rente weiter diskreditieren, ihr das Fundament untergraben? Dass sie denen Aufwind geben, die von einer in Agonie liegenden gesetzlichen Rentenversicherung delirieren? Kann man von Mutwilligkeit des VdK sprechen oder ist es Arglosigkeit?

Wenn ein Sozialverband solche Töne äußert, wenn er nicht fähig ist, kritische Worte zu finden, zu einer Praxis, die jegliches Vertrauen in die staatliche Rente unterminiert; wenn zudem die Verpflichtung zur Privatrente gefordert wird (schöner "freier" Markt, der Zwang als Grundlage von Profitmaximierung duldet), dann muß man sich fragen, wo der Bürger sich noch fachgerecht vertreten fühlen soll. Es ist unbegreiflich, wenn ein Sozialverband in das altbekannte Klagelied einstimmt, wonach man ja keine Alternativen anbieten könne. Es steht a priori fest und ist unumstößlich in der öffentlichen Diskussion: Man muß privatvorsorgen. Alternative Ansätze, wie man die gesetzliche Rentenversicherung wieder festigen, wie man den Menschen wieder Vertrauen einflössen kann, damit sie um die Vorteile der Umlagefinanzierung wissen, werden beim VdK überhaupt nicht auf den Tisch gebracht. Nein, man reiht sich uniform in die herrschende Meinung ein, die durch Propaganda entstanden, zur gültigen Wahrheit wurde. Wie war das noch gleich bei Orwell mit der Lüge, die in die Geschichte einging? Der VdK tut sein Bestes, um aus dieser Lüge eine historische Wahrheit zu machen, so wie es viele Verbände, Organisationen, Behörden, Privatmenschen, Unternehmer usw. tun, um aus einer fadenscheinigen Prämisse, die finale Wahrheit abzuleiten. Für den VdK jedenfalls, der Millionen von Rentner vertritt, scheint die umlagefinanzierte Rente ein Auslaufmodell zu sein, dem man keine Unterstützung mehr angedeihen lassen will.

Wo soll der Bürger noch Vertrauen fassen, wenn selbst ein Sozialverband in die Irrlehren neoliberaler Apologeten einstimmt? Wenn ein Sozialverband so tut, als gäbe es zum ökonomischen Zeitgeist keine Alternative mehr? Man kann nur resigniert feststellen, dass der VdK keine Alternative sein kann, sofern er die gleichen Lieder singt wie jene, die das Vertrauen in die staatliche Rente zerstören wollen. Im Gleichschritt unterwerfen sich sämtliche Verbände und Organisationen den herrschenden "Wahrheiten" und vollziehen somit eine stille Gleichschaltung. Mehr und mehr fühlt man sich in eine alternativlose Gesellschaft gepresst, in der man zwischen denen, die einen vertreten und jenen, die einzig ihre Partikularinteressen durchgesetzt wissen wollen, nicht mehr unterscheiden kann. Man kommt sich vor, wie Orwells Farmtiere, die am Fenster stehend beobachten, wie die Schweine mit den Menschen verhandeln: "Die Tiere draußen blickten von Schwein zu Mensch und von Mensch zu Schwein, und dann wieder von Schwein zu Mensch; doch es war bereits unmöglich zu sagen, wer was war."

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Sit venia verbo

Samstag, 19. April 2008

„Zu engagieren? Sehen Sie, für mich ist das gar kein besonderes Engagement. Das kommt natürlich, spontan. Ich kann eben einfach heute nicht denken, ohne als selbstverständlich mitzudenken, was um mich herum vorgeht, was in der Welt geschieht. Und zwar nicht nur in meiner näheren Umgebung, sondern in den Ghettos in den Vereinigten Staaten, in Südostasien, in Lateinamerika, überall wo das Elend und die Grausamkeit und die Unterdrückung einem ins Gesicht starren, selbst wenn man nicht hinsehen will, man fühlt es, man liest es, man weiß es. Ich würde sagen, das ist für mich kein besonderes Engagement, das ist der natürliche Ausdruck meiner Existenz.“
- Herbert Marcuse, "Revolution oder Reform?" -

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In nuce

Wo der Bürger nur noch Kunde ist, dort stirbt die Demokratie. Politikwissenschaftler Benjamin Barber geht hart mit der Krämermentalität in Politik und Unternehmenswelt ins Gericht: "Man sagt uns, Freiheit hat mit Wahlmöglichkeiten am Markt zu tun, mit der Auswahl, die der Konsument hat. Das ist aber nicht die Art von Freiheit, die die bürgerliche Freiheit meint. Die wichtigen Entscheidungen, die unsere Gesellschaften prägen, sind nicht Ergebnis privater Konsumentenentscheidung, sondern von demokratischen, öffentlichen Entscheidungen. Also: keine privaten Entscheidungen, sondern gemeinsame Entscheidungen." - Konkreter und damit die Unfreiheit der Kundenfreiheit formulierend: "Wenn Sie nach Los Angeles gehen, dann haben sie eine unendliche Freiheit, was die Mobilität betrifft: Sie können zwischen 200 Automarken wählen, sie können sie kaufen, leihen oder leasen. Sie können ein Auto für 11.000 Dollar kaufen oder eines für 200.000 Dollar. Aber es gibt ein Ding, das nicht zur Auswahl steht: öffentlicher Personenverkehr. Das gibt es nicht. Die wichtigsten Dinge für eine freie Gesellschaft sind öffentliche Entscheidungen - und die kann der Markt nicht ersetzen."

"Jugend in eigener Sache - Fit in die berufliche Zukunft" - Mit diesem Slogan werben die Deutsche Bank und die Fachhochschule Ludwigshafen am Rhein für eine pflichtversessene, marktorientierte Jugend, die sich den Umständen des Arbeitsmarktes anzupassen hat. In 12 Leitsätzen mahnt man zur Eigenverantwortung, Selbstdisziplin, Belastbarkeit und zu sonstigen "Tugenden", die aus dem Jugendlichen einen linientreuen Unternehmenssoldaten machen sollen. Wer sich den 12 "Weisheiten" unterwirft, so könnte man annehmen, wird eine Karriere wie im Bilderbuch hinlegen. Und heute lacht man über die weltanschauliche Beeinflussung von Jugendlichen in der DDR! Das dortige Kollektivdenken wird ebenso verlacht, dabei scheint im Weltbild unternehmerischer Kaderschulen gleichwohl kein Individualismus Platz zu haben. 12 Leitsätze für neue "Helden der Arbeit"!

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Der Kunde ist Täter

Tatsächlich soll Lidl Marktanteile eingebüßt haben, seitdem von den Überwachungs- und Kontrollmethoden gegenüber dem eigenen Personal die Rede war. Dies sei die "Macht des Verbrauchers", wird optimistisch festgestellt. Der mündige Kunde würde eine derartige Behandlung nicht tolerieren, sich von einem solchen Unternehmen abwenden, am freien Markt ein anderes Angebot auswählen. Die Moral finde also einen Platz im System, wird nicht von erbsenzählender Kundschaft als Nebensächlichkeit abgetan, sondern vielmehr als grundlegende Basis für ein Geschäftsverhältnis. Man geht davon aus, dass diese ominöse "Macht des Kunden" ein wohl durchdachter Schritt desselbigen ist, lehnt es gleichzeitig ab, dahinter nur eine kurzfristige Trotzreaktion zu erblicken. Ein Trotz, dem bereits im Beginn ein schnelles Ende innewohnte, wenn nur das billige Angebot folgt, das ewige Schnäppchen lockt.

Aber vom kurzen Gedächtnis des Kunden soll nicht die Rede sein. Seine Bereitschaft, sich nach Alternativen umzublicken sei hervorgehoben - auch wenn diese Bereitschaft nicht selten einem kurzen Strohfeuer gleicht. Die Alternativen zu Lidl sind Legion: Aldi, Plus, Schlecker, Edeka, Penny, Netto, Norma, Rewe und viele mehr. Dumm nur, dass Lidl-Methoden bei allen diesen vermeintlichen Alternativen ans Tageslicht kamen. Wie sieht es nun mit der "Macht des Verbrauchers" aus? Was, wenn ein moralisch gesitteter Kunde - der mit einem schmalen Portemonnaie gestraft ist, daher von einem Discounter abhängig ist - es sich zur Aufgabe gesetzt hat, nur dort einzukaufen, wo die Angestellten wie unbescholtene Menschen, nicht wie potenzielle Verbrecher behandelt werden? Welche Alternativen bieten sich ihm?

Es ist geradewegs ein kafkaesker Zustand, in den sich ein Kunde geworfen fühlen muß. Kein Lichtschimmer, der das Dunkel erhellt. Gleich bei wem er seine Lebensmittel einkauft, er unterstützt damit ein Unternehmen, welches ein negatives Menschenbild pflegt; ein Unternehmen, das Niedertracht und Hinterlist zum dominierenden Wesensmerkmal von Menschen erhebt, weswegen absolute Kontrolle angeraten scheint. Direkter: Der Kunde lädt Schuld auf sich, weil er diese Methoden unterstützt - unterstützen muß! Wie der lohnabhängige Angestellte eines solchen Unternehmens, so ist auch der Kunde an selbiges gekettet. Seine Ketten sind variabel, nicht an ein einziges Unternehmen geschmiedet; er hat die Auswahl innerhalb einer ganzen Branche, aber innerhalb dieser Branche bleibt er doch an der Kette. Seine Moral verkommt zur sinnlosen Tätigkeit, weil er sich letztendlich immer zwischen amoralischen Arbeitsverhältnissen zu entscheiden hat.

Diese "Alternative der Alternativlosigkeiten" ist Spiegelbild einer ganzen Gesellschaft. Auswahl gibt es freilich genug: Der freie Markt erschafft ein riesiges Angebot, bietet Alternativen, aber zieht immer ähnliche "Produkte" heran. Es sind Alternativen im vorgegebenen Rahmen, sich ähnelnd und manchmal sogar haargenau gleichend. Wir geben uns umweltliebend, tun aber täglich unseren Teil dazu, der Umwelt einen weiteren Stoß zu verpassen; wir hegen Mitgefühl für die Menschen in der Dritten Welt, stacheln aber mit unseren Konsumverhalten, unserer gleichgültigen Einkaufsroutine, die Diskrepanz weiter an. Der Mensch dieser Gesellschaft ist a priori ein Mittäter. Oft ein unwissender Täter freilich, aber doch ausführend und damit zerstörend. Selbst wenn er erkannt hat, dass sein Handeln ausbeutet, ausraubt, verletzt und tötet, kann er sich kaum eines alternativen Weges bedienen. Die gebotenen Optionen bewegen sich stets in einem engen Rahmen, unterscheiden sich nur in Nuancen. Der Mensch entkommt nicht den Mechanismen, sondern versucht sein Bestes, sich damit zu arrangieren, ersinnt Ausreden und Ausflüchte, erfindet sich Lügen, zieht sich eine innerliche Gleichgültigkeit heran, will in Unwissenheit verweilen, um sich eines reinen Gewissens zu erfreuen. Mit der Einsicht, beinahe bei jedem Schritt, bei jeder Handbewegung, eine Mitschuld zu tragen, freunden sich die wenigsten Menschen an. Und tun sie es doch, so verfallen sich in depressive Phasen ob des "schlecht Gegebenen", des geradezu aussichtslosen Zustands.

Dem Menschen der modernen Industriegesellschaft ist es nicht gestattet, sich festgesetzter Rituale und Vorgehensweisen zu entziehen. Er muß - gerade auch, wenn er finanziell angebunden ist - sich sogenannten Discountern unterwerfen. Das liberale Gesäusel pflegt hier so zu tun, als habe jeder Kunde die freie Wahl. Doch ein Kunde, der einen Niedrig- und Hungerlohn bezieht, hat diese Freiheit nur als idealistisches Abstraktum, nicht als realistisch umsetzbare Möglichkeit des Handelns. Zumindest sofern er nicht Hungern will. Innerhalb einer Unternehmenslandschaft, die Kontrolle und Überwachung zur allgemeinen Mentalität gemacht hat, ist er - der Kunde - a priori zur Mittäterschaft verurteilt. Der wahre Skandal aus Sicht des Kunden ist nicht, dass Lidl kriminelle Vorgehensweisen benutzt hat, um das eigene Personal zu durchleuchten, sondern dass die Alternativen keine wahren Auswahlmöglichkeiten darstellen. Dass man unbescholtene Menschen zu Handlangern einer menschenverachtenden Praxis macht.

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Das schlecht Gegebene

Freitag, 18. April 2008

Heimlich, still und leise fanden Überwachungsmöglichkeiten Einzug in einen Gesetzesentwurf, die aus "1984" entsprungen scheinen. Der Polizei soll es ermöglicht werden, neben den bereits erlaubten Anbringen von Wanzen, auch Überwachungskameras in Wohnungen zu installieren. Das monatelange öffentliche Gezerre um die Online-Durchsuchung privater Rechner, hat diesen Vorstoß dezent kaschiert. Gleichzeitig versucht das Gesetz eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Großen Lauschangriff - wonach Wanzen abzuschalten seien, wenn Verdächtige "private Lebensäußerungen" von sich geben - zu revidieren. Der Gesetzesentwurf beinhaltet ausdrücklich, dass verdächtigen Personen keine Privatsphäre zugestanden werden kann, denn aus Planungen zu einem Anschlag könnten schnell private Gespräche werden; private Gesprächsfetzen zwischen dem Bombenbau würden eine Abhörung verunmöglichen.

Freilich haben auch hier wieder Union und SPD zueinandergefunden; freilich ist qualitativ auch in diesem Ressort zwischen beiden Parteien kein Unterschied feststellbar. Beide Lager gehen von der irrigen Annahme aus, man könne Freiheit durch Unfreiheiten bewahren. Dazu bedient man sich der Maßnahmen, die in privaten Unternehmen bereits seit Jahren Realität sind. Was bei Lidl für Entrüstung sorgt, scheint für die "nationale Sicherheit" nicht bedenklich. Man kann durchaus von einer Privatisierung der Geisteshaltung sprechen. Man kopiert sich Abhör- und Kontrollmechanismen von diversen Unternehmen - Lidl ist ja kein Einzelfall - und versucht sie auf den Staat zu übertragen. Nicht jeder Staat ist im Keime Überwachungsstaat. Diese Modifizierung öffentlichen Denkens wird vorallem von der Privatwirtschaft beeinflußt. Dort bekommt die Öffentlichkeit zu sehen, wie man Mitarbeiter aushorcht, auf Bänder aufzeichnet, sie durchleuchtet. All das erscheint als Alternative für ein Staatswesen, dass sich selbst in einen stillen Krieg geworfen sieht. Eine Alternative, die vorgaukelt, man könne mit repressiven Mitteln, mit SA-Terror gegen Demonstranten, mit finanzieller Garrotte und eben mit prophylaktischer Nacktheit aller Bürger eine Freiheit bewahren, die zwar nie wirklich "frei" bedeutete, aber doch gerade immer soviel Raum zuließ, um damit das System als Narkotikum für weitergehende freiheitliche Bestrebungen zu nutzen.

Dieser ominöse Gesetzesentwurf ist natürlich nur ein Auswuchs "durchsichtigen Denkens", mit der unsere Zeit bestraft ist. Und nicht selten nimmt der Bürger selbst aktiv am Herunterziehen seiner Hosen teil. Müßte man aufreihen, in welchen Bereichen des alltäglichen Lebens das Individuum bereits zum Schauobjekt erniedrigt wurde, so wäre man sicher ausreichend beschäftigt. Die Aufzählung Christian Soeders kann somit nicht als komplett gelten, gibt aber eine konkreten Überblick über die Geisteshaltung innerhalb der Gesellschaft:
"Der Staat möchte per Online-Durchsuchung Zugriff haben auf Computer, Verbindungsdaten müssen sechs Monate lang gespeichert werden, Reisepässe gibt es nur noch mit Fingerabdrücken, die Kanzlerin fordert mehr Videoüberwachung öffentlicher Plätze, der Verteidungsminister möchte Flugzeuge mit Terroristen abschießen lassen, Kunden lassen sich bereitwillig anhand ihrer Payback-Karte durchleuchten, Kinder und Jugendliche machen sich im Internet in sozialen Netzwerken wie StudiVZ bereitwillig zum gläsernen Menschen, Firmen heuern Detektive an und lassen systematisch ihre Angestellten überwachen und ihr Privatleben analysieren."
- Christian Soeder, "Die totale Überwachung" -
Das Ausschöpfen technischer Möglichkeiten gebiert eine Kontrollgläubigkeit, die es den Menschen förmlich aufnötigt, ihre Lebensdaten effizienter, sachgerechter und schneller abrufbar verwalten zu lassen. Gerade Privatinitiativen haben sämtliche Methoden der Überwachung und Verwaltung - die ja Hand in Hand gehen - forciert und sublimiert. Nun findet der Geist betriebswirtschaftlichen Orwellianismus in den öffentlichen Angelegenheiten seinen Raum. Passend zum betriebswirtschaftlichen Analysieren und der daraus resultierenden Reformitis. Es ist die Totalität privatwirtschaftlicher Unternehmen, die das Angesicht moderner Staaten prägen, sofern man das Erwirtschaften von Profiten zum dominierenden Wert desselbigen kürt. Einerseits der freie Markt, die von Unternehmen postulierte Freiheit; andererseits das strenge Regiment über das bezahlte Personal, die im Unternehmensinneren veranstaltete Diktatur. Zwei Gegensätze vereint im Universum betriebswirtschaftlicher Struktur und bei der Umstrukturierung der Gesellschaft; zwei Gegensätze, die den Menschen ein Ohnmachtsgefühl vermitteln, das unverblümt erkennen läßt, dass "das schlecht Gegebene" (Adorno) zum Dauerzustand der allüberwachten Gesellschaft werden wird, in mannigfachen Bereichen schon ist. Die Kunst derer, die orwellianischen Dystopien zur Realität verhelfen wollen, besteht darin, die Überwachung und die dauernde Kontrolle den Menschen schmackhaft zu machen, sie förmlich dahin zu drängen, überwacht werden zu wollen. Hierin wirken privatwirtschaftliche Medienunternehmen, die vollkommen entfesselt Thesen umwerben, die man zu sogenannten Reformen umgesetzt wissen will.

Die Überwachungspolitik macht den Totalitarismus des freien Marktes komplett, ergänzt den "totalen Krieg" für Profit und Unternehmertum und reiht das Individuum in eine Masse zu verwaltender Humaneinheiten ein. Der Individualismus wird zunehmend lauter zur Irrlehre vergangener Tage verklärt...

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De dicto

Donnerstag, 17. April 2008

"Friedliche Diplomatie statt Krieg - Papst Benedikt XVI. redete US-Präsident George W. Bush bei seinem USA-Besuch ins Gewissen!"
- BILD-Zeitung am 16. April 2008 -
Zum Gesagten sei angemerkt: Der US-Präsident sollte im Vatikan in Lehre gehen. Dort bekommt er die Vorzüge hoher Diplomatie vor Augen geführt. Diplomatisch setzt sich der oberste Hirte über die Wünsche und Forderungen seiner Glaubensgemeinschaft hinweg; diplomatisch wird die Empfängnisverhütung diabolisiert und der afrikanischen Glaubensgemeinschaft wird in diesem Zuge auch das Präservativ moralisch anrüchig gemacht. Homosexualität wird zur Krankheit, das Zölibat zum jesuanischen Lebensentwurf verklärt. Abtreibung sei in jedem Falle Mord, Frauen werden von der Ordination ausgeschlossen, Protestanten immer noch als Anhänger einer irrigen christlichen Lehre diffamiert, demokratische Grundstrukturen in den Gemeinden eingeschränkt. All das - und mehr - wird mit einer nasalen Fistelstimme, im streng diplomatischen Stile an die Christenwelt weitergegeben. Natürlich werden es manche Theologie nennen wollen, was vom sancta sedes aus vermittelt wird. Doch "was diese Wissenschaft betrifft, es ist so schwer den falschen Weg zu meiden; es liegt in ihr so viel verborgnes Gift, und von der Arzenei ists kaum zu unterscheiden." Auch hier, ob Theologie oder nicht, kommt es nur auf den Verkauf der Dogmen in der Öffentlichkeit an. Dogmen, die gar nicht unmenschlich und unrealisitisch genug sein können, solange man sie im diplomatischen Jargon an den Mann bringt.

Was der US-Präsident im Vatikan lernen könnte, wäre kein exquisit benediktinisches Honig-ums-Maul-Schmierens, sondern ist Ausdruck des Papstums an sich. Die Diplomatie des Papstes ist die Allmacht des Papstes, seine Unfehlbarkeit. Was er von der Kathedra herunterfabuliert, sei es noch so diplomatisch gehalten, ist für seine priesterlichen Laufburschen Gesetz. Friedliche Diplomatie? Freilich, zum Waffengang ruft das Papstum nicht auf, zu schwach ist die eigene Position geworden. Doch trägt es täglich den Krieg in die Betten von Priestern, Schwulen, verhütenden Frauen; es stellt den Gläubigen indirekt nach, späht unter die Decken, will reglementieren wo Hände anzufassen, Geschlechtsteile hineinzustossen, Lippen anzusetzen haben. Mit "repressiver Toleranz" (Marcuse) begegnet der Episcopus Romanus seinen Kritikern. Sie dürfen alles ansprechen, was ihnen zuwider ist, aber bitte so, dass der kirchliche Ablauf nicht gestört wird, dass nicht ganze Gemeinden zum Nachdenken animiert werden. Mancher verbohrte Kritiker wurde schon mit dem Entzug der Lehrerlaubnis "belohnt".

Die BILD wertet das Papstum zur diplomatischen Autorität auf, weil es sich um einen Papst aus "unserer Mitte" handelt. Natürlich wurden auch andere, vormalige Päpste verteidigt, weil es generell ins Konzept der BILD paßt, wenn da ein Patriarch an der Spitze steht, der seine Gläubigen im Griff hat oder wenigstens so tut, als hätte er sie im Griff. Einer solchen Autorität muß man auch journalistisch devot begegnen, muß sie - wie im obigen Artikel - hofieren und deren Auftreten zelebrieren. Schließlich braucht der BILD-Leser - ob Katholik oder nicht, ob Christ oder nicht - eine unantastbare moralische Instanz. Das ist auch der Grund, weshalb die BILD mit keinem Wort danach fragt, warum der Papst seinen Geburtstag ausgerechnet im Hause eines fanatischen Kriegstreibers medienwirksam in Szene setzt...

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Sit venia verbo

Dienstag, 15. April 2008

"Der Tauschwert zählt, nicht der Wahrheitswert. In ihm fasst sich die Rationalität des Status quo zusammen, und alle andersartige Rationalität wird ihr unterworfen."
- Herbert Marcuse, "Der eindimensionale Mensch" -

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Mit HauRUCK zur Reformfähigkeit

Sonntag, 13. April 2008

Nachdem Altbundespräsident Roman Herzog kürzlich davor warnte, dass dieses Land zur "Rentner-Demokratie" verkomme - womit er sich latent für eine Wahlrechtsänderung zugunsten junger Menschen ausspricht, damit diese nicht weiter "ausgeplündert" werden - mehreren sich die kritischen, teils aber auch erstaunten Stimmen. Wie kann jemand, der einst das höchste Land in dieser Republik innehatte, solche undemokratischen, ja geradezu reaktionäre Selektierungsgedanken hegen? Naiv geben sich nun jene, die sich dezent zur Kritik an Herzogs Äußerung hinreißen lassen. Gerade so, als ob Herzog eine Wandlung vom Paulus zum Saulus durchgemacht hätte...

Sein klares Ja zum freien Markt, der sich mittels Selbstheilungskräften und der "unsichtbaren Hand" prächtig entwickeln soll, sein Missionarseifer, der die Menschen zu den "dazu benötigten" Reformen treiben soll und sein teils chauvinistisch zur Schau gestellter Antidemokratismus, waren bereits in seiner Amtszeit nicht zu übersehen. Ausdruck findet dieses überhebliche Weltbild gerade auch in seiner berühmten "Ruck"-Rede, die er 1997 im Berliner Hotel Adlon hielt, und in der er bemüht war, den Menschen eine Reformbereitschaft einzutrichtern, mit der sie wie Schafe zur Schlachtbank geführt werden sollten. Nach seiner Amtszeit, zog sich Herzog nicht zurück, sondern engagierte sich - und tut es immer noch - im "Konvent für Deutschland", einem konservativen, radikal-liberalen Zusammenschluß diverser Unternehmer und ihrer Politiker. Ziel dieser Vereinigung ist es, die Menschen zur Reformbereitschaft zu bringen, zwar nicht in einzelnen Bereichen Reformen anzumahnen, aber eine sogenannte "Reform der Reformfähigkeit" durchzusetzen. Anders ausgedrückt: Der Geist entfesselt-liberalen Reformismus, soll jeden Teilbereich des öffentlichen Lebens erfassen und Deutschland zu einem bedingungslosen und dynamischen Wettbewerbsstaat umformen.

In diesem Kontext ist Herzogs öffentliches "Wirken" zu begreifen. Wer nichts von seiner Tätigkeit als "Knecht der Arbeitgeberseite" weiß (tatsächlich findet sich bei Wikipedia unter "Roman Herzog" kein Eintrag zum "Konvent für Deutschland"), der fragt sich durchaus, warum der Altbundespräsident plötzlich so deutliche Worte politischen Radikalismus findet. Dabei fiel er nicht zum ersten Mal auf, sondern gilt bereits seit Jahren als eine der konservativsten Kräfte in Deutschland, als einer mit unkritischem Hang zum entfesselten Markt. Sein ehemaliges Amt verleiht ihm dabei Reputation, moralische Grundlage, auf die man vertrauen könne. Der späte Amtsmißbrauch des Roman Herzog!
Es ist kaum ein Monat her, dass Herzog feststellte, dass "das Volk macht, was es will". Die Festigung der LINKEN, d.h. deren scheinbar erzielte Position, als fünfte Partei im deutschen Parteienwesen, schien im schwer im Magen zu liegen. Da Parlamente, die sich aus fünf Fraktionen zusammensetzen, keine zielgerichtete Politik umsetzen können, da es zu Blockierungen kommen müsse, so meint er, sei das Wahlrecht zu reformieren. Man könnte auch festhalten, dass ein Wahlsystem dann zu verändern sei, wenn das Volk zu sehr demokratischen Gebrauch davon macht, oder wenn - wir erinnern uns - die "Reform der Reformfähigkeit" in Gefahr ist. Eine LINKE könnte arg unternehmerfreundliche Gesetze im Keime ersticken, sie könnte andere Parteien an ihr Erbe erinnern, d.h. die Sozialdemokratie etwas weiter nach links drängen - also wieder zur Mitte hin - und damit das Monopol konservativer Politik zumindest zeitweise beseitigen. Solange bis sich die LINKE in die traute Einigkeit der vier anderen Parteien hineingetastet hat; bis die LINKE ihren Joschka Fischer hat, der sie regierungsfähig, d.h. für Unternehmen und Wettbewerb attraktiv macht.

Es scheint überhaupt die Mission des Roman Herzog zu sein, das aus seiner Sicht unmündige und nicht verstehen wollende Volk zu belehren und anzutreiben. Warum sollte er also nicht die "Rentner-Demokratie" anmahnen, wenn es einen Monat zuvor kaum Kritik für seine Plänen erntete? Wenn man es kaum kritikwürdig findet, ein Wahlrecht deswegen zu verändern, weil die Wähler einem nicht mehr geheuer sind? Warum soll man nicht weiter in die gleiche Kerbe schlagen? Bereits vor einem Jahr schon äußerte sich Herzog ebenso belehrend, wie er es heute noch tut - ebenso ohne Kritik einstecken zu müssen. Damals lobte er die Politik, in der SPD und Union unisono gegen das Volk agierten, während er den Menschen dieses Landes ein schlechtes Zeugnis ausstellte. Da hieß es: „Die Mehrheit der Deutschen hat noch nicht verstanden, was und wie viel sich ändern muss.“ Oder: „Die Deutschen sind generell zu lethargisch, was den Umbau anbelangt." Nochmal ein Jahr zuvor, im Jahre 2006 also, teilte er mit, wann der vielzitierte Ruck zu kommen gedenkt: "Naja, wenn's dem deutschen Volk mal richtig schlecht geht, dann könnte er [Anm.: der Ruck] kommen."

Erinnert sei auch an Herzogs Vorsitz in der nach ihm benannten Kommission, die sich mit der Reform der deutschen Sozialversicherungen zu befassen hatte. Es versteht sich von selbst, dass sich diese Kommission aus Wirtschaftsvertretern und deren Lobbyisten zusammensetzte. Da fanden sich Kirchhof und Merz gleich neben Mitarbeitern der Beraterfirma McKinsey, die die wirtschaftlichen Auswirkungen der Vorschläge berechnen sollten. Dass McKinsey nebenbei Unternehmen dahingehend berät, Effizienz mit Personalabbau gleichzusetzen, wird in so einem Zusammenhang nicht gerne erwähnt. Dabei wäre die Anwesenheit so einer Firma innerhalb einer Kommission, die über öffentliche Belange zu beraten hat, durchaus ein zu diskutierender Punkt. Alleine daran konnte man ermessen, was von dieser ominösen Runde von "Fachmännern" zu erwarten sei. Resultat war seinerzeit die sogenannte "Kopfprämie", die das Gesundheitssystem revolutionieren sollte. Eine einheitliche Prämie pro Person - 264 Euro -, gleichgültig ob die Person ein niedriges Einkommen oder ein Millionengehalt hat, sollte das Gesundheitswesen bezahlbar machen. Man darf anmerken, dass es dann für viele unbezahlbar gewesen wäre. Auch wenn diese Pläne keinen Einzug in die Realpolitik fanden, wenn sie nur real die Geldbeutel der Kommissionsteilnehmer und vorallem der McKinsey-Leute füllten, so ist dies doch ein Vorgeschmack auf die "Reform zur Reformfähigkeit", so wie sie der "Konvent für Deutschland" versteht.

Der dezente Aufschrei, mit dem man jetzt Herzogs Hetztirade gegen ältere Menschen bestraft, steht in keiner Relation zu dem reaktionären Weltwild, das dieser Herr tatsächlich pflegt. Man kann sehr wohl mit den Kritikerstimmen konform gehen, die hier von Volksverhetzung sprechen. Nur ist dieser Tatbestand sicher keine Neuigkeit, sondern ein chronischer Zustand, wenn man die Bemühungen des "Konvent für Deutschland" - und damit namentlich Herzogs Bemühungen - gerade in Fragen der demographischen Entwicklung betrachtet. Dort wird seit Jahr und Tag gegen die angebliche Vergreisung agitiert und für einen kopflosen Reformismus geworben, den später die Bürger auszubaden haben. Dass nebenbei fälschlicherweise ganze Bevölkerungsgruppen als Sündenböcke eingestuft, quasi zu Ballastexistenzen verklärt werden, die ja deswegen schuldig sind, weil sie einfach zu lange leben und deswegen mitzuernähren seien, wird natürlich tunlichst abgewiegelt. Man sorge sich ja nur um die Leistungsfähigkeit des Landes. Sorgen muß man sich aber auch machen, wenn man die Leistungsfähigkeit der "intellektuellen Köpfe" dieses Landes betrachtet, die wie Herzog nicht für Aufklärung eintreten, sondern für niedere Interessen eines freien Marktes, dem jegliche Aufklärung ein Graus sein muß.

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Folgende Werbemöglichkeiten werden derzeit angeboten:

Samstag, 12. April 2008

160×160-Banner in der rechten Sidebar. Kostenpunkt: Verhandlungsbasis.

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728x90-Banner am Seitenende, unterhalb der Besucherzahlen. Kostenpunkt: Verhandlungsbasis.

Sämtliche Werbeflächen werden zeitlich befristet (mit Verlängerungsoption) vermietet. Mindestlaufzeit: sechs Monate.

Bei weiteren Fragen schreiben Sie mir bitte einfach eine kurze e-Mail mir Ihren Kontaktdaten und ich rufe Sie gerne zurück: robjoa@yahoo.de.

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In nuce

Donnerstag, 10. April 2008

Alle lieben Tibet! Der Dalai Lama wird als Friedensengel gefeiert, die Tibeter als friedlichstes Volk unter der Sonne verklärt und das "Dach der Welt" als irdisches Paradies feilgeboten! Wie konnte es dazu kommen, dass in Europa dies märchenhafte, geradezu irrationale Bild entstand? - Tom Grunfeld, Professor am Empire State College der State University in New York, beantwortet diese Frage und greift nochmals auf, was Karénina Kollmar-Paulenz in ihrer "Kleinen Geschichte Tibets" bereits kundtat: "Das nahm seinen Anfang im 18. und 19. Jahrhundert, als Westeuropäer durch die ganze Welt reisten, jeden Gipfel erklommen, jede Flussquelle erforschten – doch ein Ort, den sie nie erreichen konnten, war Tibet. Und je weniger zugänglich es war, desto lockender erschien es. Und je mehr es lockte, desto mehr wuchs der Mythos um die vermeintlichen Geheimnisse, die sich dort verbargen. Aber Asiaten durften immer nach Tibet reisen, es gab Handelswege und Pilgerzüge. Tibet war kein geschlossenes Land, nur für Westler war es verboten. Ich habe eine Liste mit den Namen aller Westler, die bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts jemals nach Tibet gereist sind, und die ist nicht sehr lang. Vielleicht ein paar Dutzend Namen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts erlebten wir im Westen die Gründung neuer Religionen, vor allem die Theosophen, die ihre Vorstellungen vom tibetischen Buddhismus in ihre Religion einbringen. Und dann, in den 20er-Jahren, schrieb der Amerikaner James Hilton „Lost Horizons“: die Geschichte einer perfekten Welt, wo niemand alt wird, niemand arbeiten muss, die Sonne immer scheint – ein westlicher Wunschtraum, natürlich. Aber daraus wurde ein Broadway-Hit, ein Kinofilm und das bestärkte die Vorstellungen dieses geheimnisvollen Ortes, die bereits vorhanden waren."

Die Demonstration als Ausdrucksmittel des Widerwillens. In den letzten Tagen fand sie hier Kritik, wurde als Einflußnahme des Bürgers auf die Politik angezweifelt, auch weil ihr ein theoretisches Fundament fehlt. Die uneingeschränkte Erreichbarkeit des Individuums, eingebettet in einer Gesellschaft der Flexibilität und Mobilität, bietet vielleicht neue Wege des Protests. Sogenannte Flashmobs provozieren, regen zum Nachdenken an, formulieren Widerwillen. Über Internet und Mobiltelefone verabreden sich fremde Menschen, um Aktionen zu starten, die verschiedene Formen annehmen können. Mal liegen 20 Personen am Boden eines Sportgeschäfts und schlafen, mal klatschen mehrere Menschen gleichzeitig ohne Grund oder es wird kollektiv ein vollkommen sinnfreier Satz an verblüffte Passanten weitergegeben. Spätestens nach ein Paar Minuten löst sich die Gruppe auf, jeder Einzelne geht seines Weges. Manchmal werden noch Flugblätter hinterlegt oder verteilt, die die Motivation der Handlung erklären. So diente die Flashmob-Aktion im Sportgeschäft dazu, die Menschen auf die Arbeitsbedingungen in großen Sportkonzernen aufmerksam zu machen.
Was in vielen Fällen als Ausdruck banalsten Dadaismus' daherkommt, kann tatsächlich als Protestform der Zukunft begriffen werden. In einer Gesellschaft, in der die Polizeigewalt schrittweise gestärkt, die Zugriffsmöglichkeiten der Staatsgewalt ausgebaut werden, können vielleicht Blitz-Demos ein wenig formulierten Unmut im politischen Alltag belassen, die allglückliche Gemeinschaft aller Bürger, entworfen in den Köpfen der Machthabenden, zum ewigen Traum derselbigen degradieren.

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) fordert: "Konkret verlangen die Experten aus Paris die Abschaffung des Ehegattensplittings, die kostenlose Mitversicherung von Ehepartnern bei der Krankenkasse und den Ausbau der Kinderbetreuung. Nur so könne die Aufnahme einer Vollzeitarbeit für verheiratete Frauen und für Frauen mit Kindern attraktiv gemacht werden." - Die allgegenwärte DDR darf als Metapher dienen. Alle müssen in den Produktionsapparat miteingespannt werden. Arbeit adelt! Und wenn sich wirklich jemand um seine Kinder kümmern will - ob Mann, ob Frau -, so muß die Politik eben einschreiten und dafür sorgen, dass die Arbeit eines Ehegatten bloß nicht ausreicht, um eine Familie zu sättigen. Man fragt sich, wann der "Held der Arbeit" wieder eingeführt wird, damit sich jeder angespornt fühlt, seine Normen zu überbieten; damit jeder danach giert, als nützliches und strebsames Mitglied der Gesellschaft durchzugehen.

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BILD und die "Macht der Alten"

Es fällt schwer zu glauben, dass alleine eine kleine Rentenerhöhung genügt, um die Reformer auf die Barrikaden gehen zu lassen. Wie tief muß deren Angst sitzen, wenn sie glauben, wegen ein Paar Euro mehr würde sich das Vertrauen der Bürger zur gesetzlichen Rentenversicherung wieder festigen? Denn an dieser "Vertrauensfrage" stößt sich die aktuelle Kampagne der Springer-Presse, die den Generationenvertrag zum Generationenkonflikt verwandelt. Wenn also nur eine geringfügige Erhöhung der Renten ins Land steht, dann könnte dadurch das bereits geschädigte Ansehen der umlagefinanzierten Rente wieder etwas aufpoliert werden und die Reformer hätten Monate medialer Indoktrinierung umsonst betrieben, geradezu wertvolle Energien im Kampf für die Privatrente und gegen die staatliche Rente verschenkt.

Eigentlich ist man es ja gewohnt, man kennt die Mittel, mit denen die BILD-Zeitung versucht, die gesellschaftliche Stimmung kippen zu lassen. Grundvorraussetzung ist der Totalitarismus, d.h. die Gleichschaltung sämtlicher relevanter Ressorts. Da äußert sich jeder Kolumnist einzeln - greifen wir unser Beispiel doch auf - zur staatlichen Rente, die politische Berichterstattung (sofern sie in der BILD überhaupt diesen Namen verdient) ist sowieso darauf getrimmt, das Feuilleton bzw. alle Zeilen feuilletonistischen Stils schlagen in die gleiche Kerbe, der Wirtschaftsteil berichtet von der "Gesellschaft der Greise" und dem "nicht mehr funktionierenden Rentensystem", wirbt im Nebensatz für Privatrente und - oft großformatige - Werbeanzeigen bieten "supergünstige" Volksrenten oder dergleichen mehr an. Dem Leser soll suggeriert werden, dass nur ein einziges Thema die Republik beschäftigt; ihm soll in sein Denken eingepflanzt werden, dass dieses Land kurz vor dem Ende steht, wenn man sich der Problematik nicht "schonungslos und mit aller notwendigen Härte" widmet.

Mit diesem journalistischen Totalitarismus, dieser Einheitsfront der BILD-Ressorts, hat die öffentliche Meinung derzeit zu kämpfen. "Öffentliche Meinung" klingt in Ohren der BILD-Macher gefährlich, geradezu freidenkerisch, weshalb eine pausenlose Agitation vonnöten ist, um den "kleinen Mann von der Straße" zu den hohen Weisheiten der Reformer zu führen.
Nachdem man bereits im Vorfeld gegen eine damals noch "mögliche" Rentenerhöhung wetterte, die entstehenden Unkosten als Staatsuntergang darstellte, reicherte man nach der Entscheidung, die Renten also um sagenhafte 1,1 Prozent zu erhöhen, die Diskussion um ein notwendiges Schlagwort an. Aus der "Rentenerhöhung" wurde nun der "Rentenbetrug", damit die zu beanstandende Veränderung auch nicht zu positiv klingt; damit sie mit etwas Verruchtem, geradezu Kriminellem in Konnotation tritt. Angereichert wird die "Berichterstattung" vom Rentenbetrug mit Worten jener Menschen, die selbst Rente beziehen und demnach die Profiteure der Erhöhung sind - wenn man bei 1,1 Prozent überhaupt vom Profitieren reden kann. Zwar finden sich einige erfreute Stimmen unter den Befragten, aber der Grundtenor der verrenteten Mehrheit ist klar: Die Erhöhung bringe ja doch nichts und die Jungen hätten es auszubaden. O-Ton: "Wenn jetzt auf Kosten meiner Kinder und Enkel zu viel erhöht wird, dann verzichte ich lieber. Ich will meine Kinder nicht belasten." Oder: "Diese Erhöhung ist doch Betrug an der Jugend."

BILD-Kommentator Oliver Santen setzt noch einen drauf: Er würde "belogen und betrogen". Egal wie plump, egal wie läppisch die Argumentation (im Falle Santens gibt es gar keine) - Hauptsache das Vertrauen in die Staatsrente wird weiter ausgehöhlt. Im Falle Santens ist das besonders dreist, denn als objektiver Betrachter kann der ehemalige Pressesprecher der Allianz nicht gerade gelten. Verstärkung erhält Santen von Thomas Straubhaar, den man wie immer als unabhängigen Wirtschaftsfachmann vorstellt. Der INSM-Mann verkündet unheilschwanger, dass zum ersten Mal die ältere Generation den Jüngeren gezeigt hat, wer im Land künftig das Sagen habe. Dies sei die "neue Macht der Alten". Nebenbei fordert dieser lupenreine Demokrat, dass man das Wahlrecht ändern müsse, um den Senioren nicht zu viel Macht zu überlassen. Das ist Demokratie, wie sie in der Zentrale der INSM begriffen wird. Man soll zwar wählen dürfen, aber der Wähler hat so zu wählen, dass es den Herrschenden genehm ist. Und dann phantasieren die Arbeitgeberknechte der INSM davon, dass in diesem Lande mittlerweile zu viel DDR herrsche - manchmal finden eben auch blinde Hühner ein Korn und Lügenbarone ein Fünkchen Wahrheit.

"Gekonnt analysiert" die BILD den greisenhaften Zustand der Bundesrepublik. So erkennt sie, dass z.B. auch die Parteien immer älter werden. Knapp die Hälfte aller CDU-Mitglieder sei mittlerweile über 60 Jahre. Das klingt so, als haben einst nur junge Menschen Politik gemacht. Adenauer, der bei seinem Amtsantritt 73 Jahre alt war, kann wohl nicht ernsthaft für diese These herhalten. Erhard und Kiesinger wohl auch nicht, Lübke war auch nicht gerade ein Jundspund. Und wenn heute weniger junge Menschen zu einer Parteimitgliedschaft finden, könnte das durchaus an einer Politik liegen (betrieben von relativ "jungen" Menschen wie Pofalla, Kauder und Merkel - wenn wir bei der CDU verharren, bei der SPD wäre es nicht besser -), die den Jungen kaum Perspektiven bietet. Wenn man betriebliche Probezeiten und damit die Möglichkeit einer begründungslosen Entlassung verlängert, Kündigungsschutz lösen will, Zeitverträge zum Standard erhebt, Leiharbeit hofiert und als wichtiges Werkzeug in der Arbeitsmarktpolitik vorstellt, dann darf man sich nicht wundern, wenn junge Menschen keinen Bezug zur Politik und damit zu einer Partei aufbauen können. Davon schreibt die BILD in ihrer "Analyse" nichts. Aber dafür warnt sie eindringlich: "Die neue Macht der Rentner - wird aus dem GenerationenVERTRAG nun ein GenerationenKONFLIKT?" - Eine berechtigte Frage, wenn man die Hetzpropaganda der BILD so betrachtet. Aber schuld ist natürlich der Rentner Gier, nicht die einseitige Berichterstattung der BILD.

Und wenn man glaubt, es könne nicht schlimmer kommen, dann kommt von irgendwo der "tägliche Wagner" daher. Selbstverständlich hat auch er einen Auftrag erhalten, der Einheitsfront innerhalb der BILD-Zeitung beizutreten. Und in gewohnt schmierigem Stil macht er sich daran, der Großeltern Liebe zum Enkelkind zu proklamieren: "Opas und Omas wollen, dass es ihren Kindern besser geht." Und: "Omas und Opas haben das Recht, dass man sie über die Straße begleitet und ihnen den Weg zeigt." - Sind wir nicht generös gegenüber den Senioren? Über die Straße geführt zu werden, das sei ihr Recht; eine winzige Rentenerhöhung zu gestatten, das übersteigt das Maß des Generösen aber um ein Vielfaches. Er beschließt seinen geistigen Auswurf damit, dass Großeltern sich nicht für Rentenerhöhungen interessieren, solange ein Enkel da sei, der sie nach Hause bringt. Oder anders: Ältere Menschen leben von der Liebe zu ihren Nachkommen, sie brauchen keine materielle Sicherung, denn sie sättigen sich am Stirnkuss, den sie ihrem Enkel aufdrücken. Angesichts dieses Gedankenguts, ist es nur noch ein kleiner Schritt zur Empfehlung, um seiner Enkel willen möglichst früh sozialabzuleben.

Divide et impera! - Indem die BILD teilt, die Gesellschaftsgruppen spaltet, zwischen Jungen und Alten einen Stacheldraht zieht, ermöglicht sie sich selbst ein herrschendes Meinungsmonopol, dass nur selten hinterfragt wird. Die BILD zeigt in plumper Manier auf, wie Herrschaft konzipiert ist, wenn sie um ihrer Selbstwillen geschieht. Man verunmöglicht eine Gesellschaft, die in Einheit zueinandersteht, die sich selbst als Grundlage der Macht begreift; man beschäftigt sie mit gesellschaftsinternen Grabenkämpfen.

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De dicto

Mittwoch, 9. April 2008

"Ich sehe das Potential darin, dass auch in Heiligendamm so viele junge Leute da waren. Ihnen fehlt aber ein theoretischer Unterbau. Das führt dazu, dass das Engagement relativ schnell wieder weg ist. Das war damals anders. Die Apo hatte den Anspruch, Theorien und Vorstellungen darüber zu entwickeln..."
- Netzeitung, Hans-Christian Ströbele am 8. April 2008 -
Zum Gesagten sei angemerkt: Was Ströbele hier anspricht ist durchaus zutreffend. Es fehlt der aktuellen außerparlamentarischen Bewegung, sofern sie diesen Namen überhaupt verdient, an fundierter Grundlage, an einem utopisch gesitteten Idealismus. Freilich ist damit keine Utopie gemeint, die als Heilsvorstellung im Raume schwebt, wie es für den Christen der Garten Eden tut oder wie es dem Sozialdemokraten um 1900 die in der Ferne liegende Weltrevolution war. Der "Nicht-Ort" (griech.: u- für nicht; tópos für Ort) hat als Sturmbock (Henri Lefebvre) zu fungieren, muß mit den Worten Oscar Wildes begriffen werden: "Der Fortschritt ist die Verwirklichung von Utopien." - Kurzum: Eine emanzipatorisch gesinnte Bewegung, die die gängige politische Praxis, das Wirtschaftsgefüge verändert wissen will, kann es sich nicht leisten, das Träumen als wesentlichen Faktor menschlichen Strebens auszuklammern. Hält die Bewegung aber Distanz zum erträumten Idealzustand einer Gesellschaft - wie auch immer der aussehen mag; dies ist hier nicht relevant -, und bewegt sich zu allem Überdruss im Rahmen der reglementierten Bewegungsabläufe des bekämpften Systems, so mutet jegliches Demonstrieren als öder Zeitvertreib an.

Derartiger Aktionismus im Zuwiderhandeln gegen den zu bekämpfenden Zustand, muß als wackeliges Konstrukt begriffen werden, weil es an Fundamenten mangelt. All das mag an der vermeintlichen Ideologiefeindlichkeit unserer Tage liegen. Aufbauend auf die Erfahrungen des 20. Jahrhunderts, scheuen sich viele Menschen, sich an Thesen und Fakten zu bedienen, die auch nur nach Dogmatik riechen könnten. Aber wo würde die Menschheit landen, wenn man sich gewisser Ideologien verschließt? Ist nicht der Respekt vor dem Mitmenschen eine Schlußfolgerung aus diversen Ideologien, aus dem Christentum, das offiziell als Religion geführt wird, aber letztendlich doch nur ideologisches Sammelsurium verschiedener Weisheiten, Einsichten und Ressentiments ist? Ist nicht im Grunde jeder Lebensentwurf eine Folge subjektiver Ideologie, die man sich im Laufe eines Lebens, im Zuge eines unerschöpflichen Repertoires an Erfahrungen zurechtgeschustert hat?
Was aufklärerisch wirkt, was die Emanzipation des Individuums fördert, muß nicht zwangsläufig als Ideologie durchgehen. In diesen Tagen ist man schnell mit jenem Prädikat zur Hand. Fordert man höhere Arbeitslosengelder oder eine höhere Besteuerung von Besserverdienenden, so wird man umgehend zum "kommunistischen Ideologen" ernannt, der nur darauf aus ist, seine Dogmen durchzuboxen.

Zur historisch verständlichen Ideologiefeindlichkeit gesellt sich wohl eines der fundamentalsten Probleme unserer Zeit. Jenes, das kaum erkannt, nur als eine Randerscheinung thematisiert wird. Geschlagen mit einer "Sprache der Sprachlosigkeit", einem optimistisch gehaltenen Wirtschaftsjargon, fällt es schwer, sich politischer Mißstände überhaupt bewußt zu werden. Und wird man sich doch - auf Umwegen - bewußt, dass - um ein Beispiel zu nennen - die "Privatisierung" eben kein Vorgang vernunftbezogenen Rückzuges des Staates ist, um die Kompetenz eines Privatunternehmens ans Ruder zu lassen, sondern lediglich damit die "Privatisierung der Profite" gemeint ist, die zudem nicht selten mit der "Vergesellschaftung der Unternehmensverluste" einhergeht, so erlaubt dies Vokabular kaum Ansatzpunkte, die eine deutliche Kritik erlauben würden. Wenn das Kind nicht beim Namen genannt wird, läßt es sich nicht einordnen, nicht bewerten, nicht fassen.

Und so gleichen die heutigen Maßnahmen, ob beim G8-Gipfel oder bei Bush-Besuchen, dem bunten Treiben eines Volksfestes. Es darf als "Event" verstanden werden, wenn bei Brötchen und Bier Parolen geschwungen werden. Alles bewegt sich dabei im Rahmen des Gegebenen. Zwar umgeht man Absperrungen, liefert sich zuweilen Straßenkämpfe mit der Polizei, aber die Forderung sind dermaßen banal in die herrschenden Zustände gebettet, dass damit keine Veränderung zu erzielen ist. Und weil also ein fundiertes Weltbild fehlt, will man nur Zugeständnisse, nicht aber wirkliche Veränderungen.

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