Kurz kommentiert
Dienstag, 30. September 2014
»Nicht erst durch das Votum des Ethikrats über das Inzestverbot steht die Keimzelle der Gesellschaft auf dem Spiel.«- Reinhard Müller, Frankfurter Allgemeine vom 25. September 2014 -
Zum Gesagten sei angemerkt: Schon die Empfehlung des Ethikrats reicht aus, um das Sturmgeschütz des deutschen Konservatismus' auf den Plan zu rufen. Die Familie stehe schließlich auf dem Spiel. Wenn Inzest nicht mehr strafrechtlich geahndet werden könne, so meint man wohl in Frankfurt, dann gehen sämtliche Brüder und Schwestern zur Familienplanung über. Der Konservative neigt ja generell zur Panik. Er sieht Flüchtlinge und sagt, »wir sind nicht das Sozialamt der ganzen Welt« oder er sieht Proteste gegen Sozialabbau und sagt, »den Sozialismus in seinem Lauf - wir müssen ihn aufhalten«. Pars pro toto ist seine Liga. Und wenn vereinzelte Fälle von Inzest auftreten, dann sieht er bereits die Gesellschaft in ihren Festen erschüttert. Er malt sich immer alles drastisch aus. Zwischentöne erschweren nur alles.
Mit der Erklärung, Inzest sei deshalb richtigerweise strafrechtlich relevant, weil sie mit Erbschäden bei etwaigen Nachwuchs einhergehen könnte, kann man heute nicht mehr punkten. Der Inzest war schon unter Strafe geächtet, als man von Genen und Vererbung noch gar nichts wusste. Damals ging es um Konventionen, um die herrschende Moral - es war wahrscheinlich ein unbewusst elterlich-evolutionärer Imperativ. Wer aber mit Erbschäden argumentiert, der sagt, dass behinderte Kinder unbedingt zu vermeiden seien. Eine Entscheidung, die man den jeweiligen Paaren überlassen sollte und die nicht dem Gesetzgeber und damit der Gesellschaft obliegt. Letztere hat unter Aspekten der Gleichheit aller Menschen eine solche Einschränkung unbedingt zu unterlassen. Denn wäre man dann konsequent, müsste man auch Beziehungen zwischen behinderten Menschen unter Strafe stellen. Außerdem sollte man heute wissen, dass man als Paar nicht mehr unbedingt miteinander schläft, um Nachwuchs zu zeugen. Man verhütet und hat trotzdem Sex. Weil es Spaß macht, gut tut, die Paarbeziehung entspannt. Er ist insofern nicht nur Zeugungsnotwendigkeit - das dürfte doch auch bei Konservativen angekommen sein. Hoffen wir es.
Wenn Liebesbeziehungen heute ohnehin seltener zu Nachwuchs führen, kann das Argument mit dem eventuell behinderten Kindern nur noch milde belächelt werden. Nein, es geht um die Erhaltung einer alten Moral. Reinhard Müller redet da ja auch nicht lange um den heißen Brei. Das Votum des Ethikrats spielte ihm ethisch betrachtet übel mit. Biologisch nicht ganz so sehr. Zwei Texte rang ihm das ab. Man sieht: Hier wankt ein Weltbild. Liebe zwischen Geschwistern kann nicht sein, darf nicht sein, weil es noch nie geduldet wurde. Aber stichhaltige Gründe, warum man bestrafen soll, was so gut wie gar nicht gesellschaftsrelevant ist, weil es schlicht kaum vorkommt, gibt es da so gut wie keine. Vielleicht ist es nur die Sorge eines Vaters, der sich vorstellt, wie schrecklich es für ihn wäre, wenn Sohn und Tochter mehr wären, als nur Geschwister. So wie sich mancher Vater auch nicht vorstellen möchte, dass sein Kind homosexuell ist. Möglich, dass das evolutionäre Affekte sind. Schließlich ist die Erhaltung der Familie (und insofern der Art - »die Hubers«, »die Müllers«, »die Rodríguez'«) gefährdet. Die Inzestkinder könnten ja mehr Kinder zeugen, wenn sie sich exogame (also externe) Partner suchten. Claude Lévi-Strauss meinte etwas ganz Ähnliches, als er behauptete, dass »die biologische Familie nicht mehr allein ist und sich mit anderen Familien verschwägern muss, um zu überleben«.
Als Elternteil kann man diese Sorgen um seinen Nachwuchs verstehen. Für den Gesetzgeber und für die allgemeine Moral sind diese Gedankengänge jedoch keine Ansätze. Der Mensch hat sich aus der Evolution herausgenommen. Er sollte langsam die evolutionistisch entstandenen Vorstellungen, all die Atavismen und Rudimente überdenken und falls notwendig aufheben. Der Ethikrat hat das insofern schon getan. Nur der Konservatismus hockt immer noch in den Bäumen.
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Mit der Erklärung, Inzest sei deshalb richtigerweise strafrechtlich relevant, weil sie mit Erbschäden bei etwaigen Nachwuchs einhergehen könnte, kann man heute nicht mehr punkten. Der Inzest war schon unter Strafe geächtet, als man von Genen und Vererbung noch gar nichts wusste. Damals ging es um Konventionen, um die herrschende Moral - es war wahrscheinlich ein unbewusst elterlich-evolutionärer Imperativ. Wer aber mit Erbschäden argumentiert, der sagt, dass behinderte Kinder unbedingt zu vermeiden seien. Eine Entscheidung, die man den jeweiligen Paaren überlassen sollte und die nicht dem Gesetzgeber und damit der Gesellschaft obliegt. Letztere hat unter Aspekten der Gleichheit aller Menschen eine solche Einschränkung unbedingt zu unterlassen. Denn wäre man dann konsequent, müsste man auch Beziehungen zwischen behinderten Menschen unter Strafe stellen. Außerdem sollte man heute wissen, dass man als Paar nicht mehr unbedingt miteinander schläft, um Nachwuchs zu zeugen. Man verhütet und hat trotzdem Sex. Weil es Spaß macht, gut tut, die Paarbeziehung entspannt. Er ist insofern nicht nur Zeugungsnotwendigkeit - das dürfte doch auch bei Konservativen angekommen sein. Hoffen wir es.
Wenn Liebesbeziehungen heute ohnehin seltener zu Nachwuchs führen, kann das Argument mit dem eventuell behinderten Kindern nur noch milde belächelt werden. Nein, es geht um die Erhaltung einer alten Moral. Reinhard Müller redet da ja auch nicht lange um den heißen Brei. Das Votum des Ethikrats spielte ihm ethisch betrachtet übel mit. Biologisch nicht ganz so sehr. Zwei Texte rang ihm das ab. Man sieht: Hier wankt ein Weltbild. Liebe zwischen Geschwistern kann nicht sein, darf nicht sein, weil es noch nie geduldet wurde. Aber stichhaltige Gründe, warum man bestrafen soll, was so gut wie gar nicht gesellschaftsrelevant ist, weil es schlicht kaum vorkommt, gibt es da so gut wie keine. Vielleicht ist es nur die Sorge eines Vaters, der sich vorstellt, wie schrecklich es für ihn wäre, wenn Sohn und Tochter mehr wären, als nur Geschwister. So wie sich mancher Vater auch nicht vorstellen möchte, dass sein Kind homosexuell ist. Möglich, dass das evolutionäre Affekte sind. Schließlich ist die Erhaltung der Familie (und insofern der Art - »die Hubers«, »die Müllers«, »die Rodríguez'«) gefährdet. Die Inzestkinder könnten ja mehr Kinder zeugen, wenn sie sich exogame (also externe) Partner suchten. Claude Lévi-Strauss meinte etwas ganz Ähnliches, als er behauptete, dass »die biologische Familie nicht mehr allein ist und sich mit anderen Familien verschwägern muss, um zu überleben«.
Als Elternteil kann man diese Sorgen um seinen Nachwuchs verstehen. Für den Gesetzgeber und für die allgemeine Moral sind diese Gedankengänge jedoch keine Ansätze. Der Mensch hat sich aus der Evolution herausgenommen. Er sollte langsam die evolutionistisch entstandenen Vorstellungen, all die Atavismen und Rudimente überdenken und falls notwendig aufheben. Der Ethikrat hat das insofern schon getan. Nur der Konservatismus hockt immer noch in den Bäumen.