Wenn unten es zusammenknallt ...

Mittwoch, 31. Juli 2013

Eine Gegendarstellung.

Der Studie zum Zusammenhalt ist energisch zu widersprechen. Und die Menschen in Deutschland halten doch zueinander! Dazu braucht es keine Gegenstudie - das zeigt der täglich angesammelte Erfahrungsschatz.

Ein Blick in die Zeitung zeigt, was da alles zusammenhält. Da spricht sich ein Staatsanwalt schon vorher über den medialen Kanal mit einem Steuerhinterzieher über das Strafmaß ab. Minister und Kanzlerin halten eisern zusammen in ihrem Beschluss, den Abhörstaat als etwas bahnbrechend Sinnvolles hinzustellen. Die Eliten aus der Wirtschaft üben sich im Zusammenhalt mit einer Regierung, die die südliche Hemisphäre Europas wie ein Testlabor instruiert. Macht einer den Mund auf, posaunt hinaus, was er weiß, ist man sich unter denjenigen, denen dieses Wissen gefährlich werden kann, völlig einig darüber, dass er weggesperrt gehört. Die Steuern seien zu hoch, die Alimentierungsanreize zu hoch, Arbeitskraft zu teuer. Und jeder Versuch der Reichen, sich aus dem Sozialstaat auszuklinken, findet jemanden mit Mandat, der es kleinhält, deeskaliert und vielleicht sogar ganz vertuscht, wenn er die Mittel dazu hat.

Man hilft sich, ist füreinander da, springt ein, wenn es nötig ist. Dass der Zusammenhalt schwindet ist ein Gerücht. Die Gruppenkohäsion ist intakter als je zuvor. Die Demokratie wirkt doch. Das, was unter Demokratie verstanden wird: gesellschaftliche Kontrollmechanismen zum Schutz der reichen Minderheit.

Man muss nur hoch genug gehen, untere gesellschaftliche Schichten überspringen, um den wahren Kitt dieser formaldemokratischen Gesellschaft betrachten zu können. Dass der Zusammenhalt in unteren Regionen bröckelt, das ist kein Indikator für Entsolidarisierung alleine, sondern eine Folge der Solidarisierung ganz oben. Denn man teilt und zerpflügt, wiegelt Gruppen gegeneinander auf, sät Mißtrauen und warnt A vor B und B vor C und C vor A. Und obenhalb dieser sich beäugenden Gruppen ist man sich einig, so wie man sich unter Leuten mit viel Geld immer einig war, dass man sich nicht an den Karren pisst, wenn es brenzlig wird, dass man sich gegenseitig hilft mit allen Mitteln. Der Feind stehe nämlich nicht in denselben Reihen, sondern unten, in den Schichten der Neider und der Irrsinnigen, die meinten, Demokratie bedeute, dass auch sie etwas zu melden hätten.

Wenn unten es zusammenknallt, oben gibts Zusammenhalt. (Alte Bauernregel?) Es schließt sich gar nicht aus, dass Studien den mangelnden Zusammenhalt offenlegen und wir täglich vom tiefen Zusammenhalt der Besitzstandswahrer lesen können. Das ist einfach nur dieselbe Chose.


Hier weiterlesen...

... wenn man trotzdem lacht

Dienstag, 30. Juli 2013

"Metaphysik ist der Versuch, in einem verdunkelten Zimmer eine schwarze Katze zu fangen, die sich gar nicht darin befindet."

Hier weiterlesen...

Ein, zwei, viele Worthülsen

Montag, 29. Juli 2013

Zufrieden zeigten sich die offiziellen Kanäle, dass nun auch der Bundespräsident ein kritisches Wort zur NSA-Affäre gesprochen habe. Von ARD bis Springer zierte sein "Es beunruhigt mich sehr"-Sermon die Schlagzeilen. Damit gilt Gauck nun plötzlich als Kritiker der Kontrolletti-Praxis.

Dabei hat der Mann wie immer nur zungenfertiges Wischiwaschi geredet, kam nicht auf den Punkt, sprach zwischen den Zeilen mehr als in ihnen.

Er schafft ein, zwei, viele
Worthülsen.
So erklärte er der Passauer Neuen Presse etwas von der Angst der Leute, "von ausländischen Nachrichtendiensten erfasst und gespeichert" worden zu sein. Gauck macht hier schon mal Abstriche, modelliert die Debatte um, macht aus dem "Skandal der Überwachung" einen "Skandal der Überwachung durch ausländische Instanzen" und drechselt aus einer klassistischen Komponente (Eliten überwachen Volk) eine nationalistische. Plötzlich gibt es da bei ihm diese Einschränkung. Die USA sollten es nicht sein, die die deutschen Bürger aushorchen. Und die Bundesrepublik? Darf sie ihre Bürger überwachen? Wenn das Abhören durch ausländische Geheimdienste "die Freiheit an sich beschädigt", stellt dann die Kontrolle durch deutsche Dienste Freiheit her?

Gauck ist rhetorisch viel zu intelligent, um sich hier eindeutig zu äußern. Seine sprachliche Intelligenz wird besonders an der Stelle augenfällig, an der er anbringt, dass er selbst schon zweifelte, ob er noch telefonieren und mailen solle. Hier setzt er sich ins Boot mit denen, die die NSA-Geschichte für einen Skandal und einen Angriff auf ihre Privatsphäre halten. Und trotzdem: Man dürfe freilich nicht verzagen, weiterhin das Beste hoffen, denn Freiheit hat ihren Preis.

Durch ein Hintertürchen äußert sich Gauck aber dann doch zur Rechtmäßigkeit von Überwachung. Um Sicherheit sicherzustellen, könne der Staat nämlich auch mal Freiheit einschränken. Als Beispiel nennt er eventuelle Terroranschläge. Und damit es nicht so böse klingt, schiebt er den Begriff Verhältnismäßigkeit nach. Dieses Gequake ist nicht sehr originell oder neu, Gauck plappert einfach nach, was er schon mal irgendwo aufgeschnappt hat. Wann aber etwas verhältnismäßig ist und wann nicht, definiert er nicht mal ansatzweise, denn sein Beispiel "Terroranschläge" ist ja nicht konkret, sondern ein drohender Dauerzustand.

Ist das die bundespräsidiale Kritik, von der als deutliches Signal in den Medien gesprochen wurde? Die schrieben alle geschlossen von seiner Beunruhigung. Aber so beunruhigt scheint der Mann gar nicht zu sein. Er kann sich seinen ruhigen Schlaf in einem Staat, der auch mal überwachen muss, durchaus vorstellen.

Er fordert außerdem "verbindliche Vereinbarungen" zwischen westlichen Staaten, damit Bürgerrechte gewahrt bleiben. Das ist eine weitere Unverbindlichkeit und Worthülse ohne Inhalt. Wenn man sich verbindlich einigt, dass man über Internetdienste bestimmte Daten gegenseitig verfügbar macht, dann geschieht das fortan "transparenter", legal und damit fast schon unter Schutz von Bürgerrechten, die einer solchen Vereinbarung unterstellt würden. Wenn sich die westlichen Staaten darüber einig werden, dass es Privatsphäre nur als ein bedingtes Bürgerrecht gibt, weil das kollektive Sicherheitsdenken wichtiger sei, dann gibt es eben auch keine offiziellen Beanstandungen mehr, dieses Bürgerrecht bitte zu wahren.

Am Ende lobt er auch noch Snowden. Vor einigen Wochen hatte er noch kein Verständnis für den Verrat und diesen Whistleblower. Gauck weiß, wie er sich die Gunst seiner Deutschen sichert, spricht ihnen nach den Mund, wenn das seiner Beliebtheit dient. Das heißt, er redet ihnen nicht nach den Mund, sondern schaut ihnen aufs Maul und baut sich dann Texte zusammen, die so aussehen, als wäre er ein kritischer Geist. Gauck bastelt sich aber Zeilen lediglich, um zwischen ihnen Aussagen machen zu können. Er hätte auch mal grundsätzlich die Überwachungspraxis angreifen können. Aber grundsätzlich ist Gauck nie grundsätzlich gegen irgendwas, so wie er grundsätzlich auch nie für etwas ist. Das ist seine ganz persönliche Freiheit in Verantwortung.

Wieder mal hat der Mann viel geredet und nichts gesagt. Wie gelingt es ihm immer wieder, als kritischer Zeitgenosse durchzugehen, obgleich er kein kritisches Wort sagt? Obwohl er sich vor klaren Aussagen drückt, durch die Gazetten laviert und ein, zwei, viele ungezählte Worthülsen wirft?

Es scheint das Schicksal dieses Mannes zu sein, dass man seine geübte Schwammigkeit ständig als Ausdruck eines kritischen Charakterkopfes voll revolutionärer Courage wertet. Er äußert sich regelmäßig zu spät, redet dann zu allem Überfluss auch noch um den heißen Brei herum, sieht dabei aber recht gut aus, klingt vornehm und wird letztlich als bürgerlicher Held hingestellt. Auf dieser Grundlage wurde er einst zum Bürgerrechtler, später zum Bundespräsidenten und nach und nach wird er so auch noch zum "kritischen Sachverstand" emporgeschrieben.


Hier weiterlesen...

Passt euch endlich an!

Samstag, 27. Juli 2013

Ein Kommentar von Ernesto Elizondo*.

Aber nein, liebe Bildzeitung, niemand will die Deutschen von Mallorca drängeln. Wer sich anpasst und integriert, der ist auch weiterhin auf Mallorca willkommen. Die Mallorquiner sind auch weiterhin gastfreundlich gegenüber denen, die sich benehmen.

Die mallorquinische Leitkultur sieht einfach nicht vor, dass Party ein Dauerzustand sein soll. Wer dort sein will, der sollte sich nicht in eine partyeske Parallelgesellschaft verabschieden, sondern Respekt vor den Gastgebern haben. Integration braucht nicht nur Sangría, sondern die Bereitschaft, die Werte der spanischen Verfassung zu achten. Und in der steht eben nicht, dass das Leben auf spanischen Inseln ein einziges Besäufnis sein soll.

Wer an spanischen Stränden feiert, der muss wissen, dass er auf dem Boden des spanischen und mallorquinischen Wertekanons steht.

Es kann doch nicht sein, dass die Mallorquiner nur als Gastgeber gut genug sein dürfen, während sich die Deutschen dort nicht anpassen wollen. Manche Deutsche sprechen nicht mal ein einziges spanisches Wort, obwohl sie seit Jahren mehrmals im Jahr auf Mallorca sind. Es gibt deutsche Kneipen, deutsche Läden und deutsche Bäcker. Wer krank wird, sucht einen deutschen Arzt auf. Mallorca überfremdet zwischen Komasaufen und Feinripp.

Voll daneben nennt ihr es, dass man die Deutschen rausdrängeln will. Voll daneben ist aber, dass unter Sonnenschirmen auf spanischen Boden verächtliche Reden gegen Spanier geschwungen werden. Müssen die Mallorquiner sich Hassprediger gefallen lassen? Witze über spanischen Zungenschlag und Siesta, über Krise und Faulheit? Woher kommt nur dieser Spanierhass?

Und wo ist da der Respekt, wenn ihr aus einem Heilbad (Balneario) ein verballhorntes Ballermann macht? Schweinefleischfresser aus dem Mund türkischer Jugendlicher fandet ihr doch auch respektlos. Und wenn wir schon dabei sind: Es heißt nicht Malle oder Malorga.

Nicht alle Deutschen sind so. Einige sind wirklich um Integration bemüht, bestellen auf Spanisch ihre Surhaxe und ziehen sich sogar ein Unterhemd an, wenn sie die Kathedrale von Palma betreten. Das wissen wir zu schätzen. Das ist ein Anfang. Aber Spanischkurse für deutsche Finca-Besitzer müssen schon sein. Das ist keine Gängelei, sondern dient der Erleichterung des Miteinanders.

Hier wird niemand rausgedrängelt, aber wer nach Mallorca kommt, muss sich anpassen. Das verlangt schon die Fairness.

* Prof. Ernesto Elizondo war nie Gründungsintendant des Deutschlandradios.



Hier weiterlesen...

Entmutigung. Aushöhlung. Entwöhnung.

Freitag, 26. Juli 2013

Schlagworte einer Kanzlerschaft.

Mehrfach hat man die Politik der Kanzlerin als eine im schlechtesten Sinne brüningsche bezeichnet. Vorallem Volkswirtschaftler kritisierten, dass sie wie weiland der Reichskanzler, die Abwärtsspirale per Spardiktum betätige. Sie stellten Brüning dem New Deal gegenüber und machten klar, dass man in der Zeit spart, nicht in der Not.

Sebastian Haffner schrieb in seiner "Geschichte eines Deutschen" einige markante Zeilen zu Brüning. Er sah ihn als Vorbereiter der Diktatur; die "effektvollsten Folterinstrumente" Hitlers habe Brüning eingeführt. Zur Sparpolitik gesellte sich so auch die "Beschränkung der Pressefreiheit und die Knebelung des Parlaments". Und das alles tat er "im tiefsten Grunde zur Verteidigung der Republik". Haffner nannte das Brüningregime eine "Semi-Diktatur im Namen der Demokratie und zur Abwehr der echten Diktatur". Er schreibt: "Wer sich der Mühe unterziehen würde, die Regierungszeit Brünings eingehend zu studieren, würde hier schon alle die Elemente vorgebildet finden, die diese Regierungsweise im Effekt fast unentrinnbar zur Vorschule dessen machen, was sie eigentlich bekämpfen soll: die Entmutigung der eigenen Anhänger; die Aushöhlung der eigenen Position; die Gewöhnung an Unfreiheit; die ideelle Wehrlosigkeit gegen die feindliche Propaganda; die Abgabe der Initiative an den Gegner; und schließlich das Versagen in dem Augenblick, wo alles sich zu einer nackten Machtfrage zuspitzte."

Entmutigung, Aushöhlung, Entwöhnung. Dazu noch verabreichte intellektuelle Wehrlosigkeit und auferlegtes Phlegma. All das wird zum "Markenzeichen einer sterbenden Demokratie", wie es neulich Albrecht Müller ganz treffend formulierte. Die Nähe zu Brünings Politik läßt sich nicht einfach nur an der Sparpolitik kenntlich machen. Zwischen der Regierung Brüning und Merkel gibt es tiefere Gemeinsamkeiten, quasi fast metaphysische Grundlagen, die sich mit der Politik des Sozialabbaus bedingen. "... und niemand regt sich auf" hieß der Artikel von Müller: Diese Überschrift ist das Leitmotiv einer entmutigenden, aushöhlenden, entwöhnenden Politik. Die Regierung Brüning bereitete demgemäß auf die Diktatur vor und zu wenige regten sich auf.

Merkel entmutigt. Ihre eigenen Anhänger so, wie den Rest der Bevölkerung - und Europa. Ihre Politik streut keine Hoffnung, keine Perspektiven. Die einzige Hoffnung, die für viele bleibt ist der Seufzer: "Hoffentlich reicht mir das Brot bis morgen!"
Merkel höhlt aus. Ihre eigenen Positionen ebenso, wie die Substanz eines freiheitlich-demokratischen Staates - und Europas. Kein sozialstaatliches oder rechtsstaatliches Ideal ist unter ihrer Ägide mehr unumstößlich. Sie unterwirft die Menschenwürde dem Sachzwang.
Merkel entwöhnt. Von der Freiheit, wie von der Idee einer solidarischen Gesellschaft - und eines Europas auf Augenhöhe. Dass heute ganz ungeniert von autoritären Phantasien gesprochen werden kann, ist auf diese "Gewöhnung zur Unfreiheit" zurückzuführen.
Merkel macht wehrlos. Sie ertränkt jeden Kritikpunkt in Phrasen ohne Aussagegehalt. Stottert einstudierte Standardsätze herunter und bindet Eliten aus allen Bereichen der Gesellschaft an sich, ermutigt sie so zur "ideellen Wehrlosigkeit" und trägt so zum Abbau von notwendiger Intelligenz bei.
Merkel lähmt. Jede Initiative gegen sie, erstickt sie mit ihren eigenen Aktionismus und der Hilfe eines Heeres an Leitmedien, die ihr nach dem Mund reden und sie zur Sonnengestalt aufbauen.

Haffner beschrieb die Zermürbung des Demokratischen, den sukzessiven Eintritt in ein Lebensgefühl, das sich so tief im Niedergang des Demokratischen eingenistet hat, dass es sich etwas anderes fast schon nicht mehr vorstellen konnte. Er beschrieb in wenigen Worten das Klima jener Brüningjahre, das auch das Klima der Merkeljahre ist. Entmutigung, Aushöhlung und Entwöhnung sind auch heute die Folgen.

Merkel entmutigt, weil sie alternativlos regiert. Merkel höhlt Solidarität aus. Merkel gewöhnt uns an die Unfreiheit, siehe: ihre verhaltene Reaktion zu Prism. Und dann ist da noch das von Haffner beschriebene "Versagen in dem Augenblick, wo alles sich zu einer nackten Machtfrage zuspitzte." Das erleben wir jetzt, in dieser Epoche sich häufender Skandale. Alles wird kleingehalten, vertuscht, beschönigt, runtergespielt. Wir sehen zu, wie diese Frau ihren nackten Machtanspruch befriedigt und scheinen schon so zermürbt zu sein, dass uns kaum noch Widerworte einfallen.

Wir haben es mit Schlagworten zu tun, die immer dann passen, wenn die Demokratie als leere Hülle betrieben wird, wenn sie blutleer abgekurbelt wird wie ein Leierkasten. Schlagworte, die die Grundlage sind zur Demokratieverdrossenheit, die die Bereitschaft anfachen, die Demokratie als eine dummen Einfall menschlicher Geschichte anzusehen. Zu Brünings Zeit schrie man schon nach dem starken Mann, der endlich Ordnung schaffe sollte - zu diesen Zeiten liest man viele antidemokratische Vorschläge, angefangen beim Entzug des Wahlrechts für Senioren, bis hin zu straffen Überwachung aller Lebensbereiche und eine Ausrichtung nach einem streng betriebswirtschaftlichen Diktat. Das Vakuum läßt sich eben auf verschiedene Weisen ausfüllen.


Hier weiterlesen...

Keine Vertreibung aus dem Paradies

Donnerstag, 25. Juli 2013

Es ist eine bürgerliche Lebenslüge, dass wir derzeit die Zerlegung demokratischer Strukturen erleben. Sie wird nicht zerlegt, sondern geht nur ihren wahren Bestimmung nach. War sie denn je mehr als eine Vielzahl gesellschaftlicher Kontrollmechanismen zum Schutz einer reichen Minderheit?

Neulich habe ich mit einem Freund telefoniert. Er wollte wissen, wie es mit meinem Kind so läuft. Und so beklagte ich mich über den Teenager und seine Pubertät. Mein Kind wolle viel zu oft seinen Willen durchsetzen, erzählte ich ihm. Mit der Arroganz eines genervten Vaters stellte ich aber fest, dass es meckern kann soviel es will, gemacht wird letztlich, was ich sage. Es darf seine Meinung haben, aber ich gebe den Takt vor. Mein Gesprächspartner hielt fest: "Du hast eben trefflich die Demokratie beschrieben."

Hier weiterlesen...

#Aufschrei der Dummheit

Mittwoch, 24. Juli 2013

Am Jahrestag des Stauffenberg-Attentats wollte die Alternative für Deutschland bei Facebook ein Zeichen setzen. So zierte kurzzeitig ein Titelbild die Seite, auf dem an den 20. Juli 1944 erinnert wurde. Wahrscheinlich war das nicht nur als Gedenken gemeint, sondern barg eine politische Botschaft. Die AfD litt ja von Anfang an unter dem Vorwurf, ein rechter Verein zu sein. Wenn sie nun Stauffenberg gedenkt, dann lenkt sie vom Verdacht ab und stilisiert sich selbst als Erben dieses Widerstandes. Besonders deutlich schrieb ein Kommentator dann auch, dass "Stauffenberg [...] genau wie die AfD, Deutschland von einer Tyrannei befreien" wollte.

Die Alternative für Deutschland unterstreicht dieses Erbe, indem sie deutlich macht, dass Stauffenberg politisch rechts war, während es der Nationalsozialismus nicht war. Über letztere These kann man streiten, ganz falsch ist diese Position nicht. Stauffenberg jedoch in eine Opposition zur Diktatur bringen zu wollen, ist aber grundsätzlich falsch. Robert Gellately erzählt, wie viele junge Offiziere der Reichswehr am 30. Januar 1933 Freude zeigten: "Als sich die Menge zu einer Freudenbekundung formierte, um die neue Regierung Hitler zu feiern, setzte sich ein junger Leutnant in voller Uniform freudig an die Spitze. Später wurde er dafür von seinen Vorgesetzten milde getadelt [...] Der junge Leutnant war Claus Schenk Graf von Stauffenberg." Doch das nur nebenbei. Darum soll es an dieser Stelle gar nicht gehen.

Was die AfD da beschwört ist das rechtskonservative Erbe, in dem es zu stehen meint. Stauffenberg war durchaus kein Pazifist, wollte die Bewahrung des status quo als Hegemon Europas - nach Beendigung des Krieges. Er wollte die Kapitulation verhindern. In Analogie dazu wandelt heute die AfD. Sie will die Hegemonie Deutschlands erhalten, eine EU gleicher Partner hält sie für unvereinbar mit dem nationalen Interesse. Sie will die sofortige Beendigung des Finanzkrieges, nicht aus Gründen des (sozialen) Friedens, sondern weil sie deutsches Geld verbrennen sieht, wie weiland die Leute um Stauffenberg deutsche Männer verbraten sahen.

Tatsächlich erntete das Titelbild der AfD bei Facebook nicht nur viele Klicks und Teilungen, sondern auch Kommentare, die das Publikum dieser Partei skizziert. Einer parolierte, dass die Erfinder der Konzentrationslager (er meint die Briten) und die Ausrotter der Inkas und Indianer auch nicht ständig erinnert würden an ihre Geschichte. Deshalb: Macht endlich Schluss mit dem Erinnern! Selbstbewusstsein entwickeln. Andere sehen im 20. Juli einen letzten deutschen Ehrentag, den man völlig ohne Hintergedanken begehen könne - alle anderen sind leider versaut von den Stimmen der Erinnerer.

Die AfD vollzieht so ihren ganz persönlichen #Aufschrei, einen rechtskonservativen, der sich von faschistischen Modellen abgrenzt, indem es sich zum Widerstand dagegen stilisiert - das ist die Taktik vieler Rechtskonservativer seit 1945. Manchmal war das nicht mal gelogen. Ähnlichkeit zur Weltanschauung der Faschisten gab es aber deshalb trotzdem. Das sieht man alleine schon am Aufstand der Offiziere um Stauffenberg. Manchmal bekriegen sich Brüder schlimmer als solche, die nicht miteinander verwandt sind.


Hier weiterlesen...

Stigma in Gelb

Dienstag, 23. Juli 2013

Die Tour de France war noch nicht beendet, da las man schon vom möglichen Doping des voraussichtlichen Siegers. Spiegel Online wunderte sich über die Allmacht Froomes während des gesamten Rennens und zitiert einen Sportwissenschaftler, der mit "Manche sind cleverer als andere" undeutlich deutlich machte, was angeblich alle denken. Focus Online bezieht sich auf denselben Experten, fragte aber wesentlich undiplomatischer: "Designierter Toursieger gedopt?" Stern.de berichtet indes, dass das Team von Froomes Kontrahenten Contador zweifle, ob Froome sauber sei. Auch das Schweizer Medienportal Blick.ch fragt gleich ganz direkt: "Gedopt oder nicht?" Und die Frankfurter Allgemeine bezieht sich auf Le Monde und bringt den Begriff "Froomstrong" ins Spiel.

Hat sich der Sportjournalismus völlig vom Prinzip der Unschuldsvermutung verabschiedet? Glaubt er, dass mit vorauseilender Spekulation ordentlicher Journalismus zu machen ist? Moralische Beweislastumkehr, weil ein Radsportler zu schnell, zu kraftvoll, zu souverän war?

Diese Attribute sind übrigens Gerüchte, sind nicht auf Tatsachen gründende Vernebelungen. So omnipotent war Froome nämlich auch wieder nicht. Er fuhr nicht allen davon, wie man nun liest, er musste auf mancher Etappe etwaige Kontrahenten ziehen lassen. Froome hatte auch deutliche Augenblicke der Schwäche. Nur passen diese Augenblicke nicht in die Spekulation. Das Dopinggespenst braucht die völlige Dominanz zur Entfaltung seiner Absichten.

Die seltsam geleerten Siegerlisten, die Tour-Sieger, die nie die Tour gewannen, die durch die Disqualifikation anderer zu Siegern wurden, haben ein Klima erzeugt, in dem jeder Träger des Gelben Trikots a priori ein Dopingsünder ist, bis er die Öffentlichkeit vom Gegenteil überzeugt, bis ihn die Zeit vom Makel seiner Leistung reingewaschen hat. Ist das Gelbe Trikot nun das Symbol des Schnellsten oder doch nur noch ein Stigma? Die Berichterstatter scheinen sich darüber einig zu sein, dass es die Trophäe für das schnellste Cleverle ist, für den besonders findigen Betrüger, ein Preis auf Zeit, bis endlich bewiesen ist, was schon immer spekuliert wurde.

Kann sein, dass Froome gedopt hat. Nur warum spricht man schon jetzt von Doping, obgleich es keine Beweise außer die sportliche Leistung des Athleten dafür gibt? Die Unschuldsvermutung im Radsport erstickt an einem paranoiden Zeitgeist, der hinter jedem Parforceritt Doping wittert. Eine Presse, die kritischen Bericht mit der Bedienung von Spekulation und generellen Argwohn verwechselt, kommt über den Status gut bezahlter Tratsch- und Waschweiber nicht hinaus.

Solange es keine Anhaltspunkte, keine Belege für Doping gibt, sollte man darüber schweigen. Wenn aber die gute Leistung schon als Beleg gilt, dann entfesseln Journalisten einen inquisitorischen Esprit. Dann ist Leistung schon verdächtig und der Sieger schon ein Dopingsünder, bis es ihm gelingt, alle vom Gegenteil zu überzeugen. Froome hätte jetzt aber einfach nur ein grandioser Fahrer zu sein. Das wäre nur fair. Alles andere ist Hexenjagd und ungefähr so journalistisch, wie es die üblichen Verdächtigungen der Else Kling waren.


Hier weiterlesen...

Der Egoismus ist zurück?

Montag, 22. Juli 2013

oder Hä? War er denn je weg?

Nicht umsonst stehen Ökonomen, die sich an reiner Theorie aufgeilen, im Verruf, sich in ein Second Life der "Fachlichkeit" zurückgezogen zu haben. Dann beglücken sie die Öffentlichkeit mit realitätsfernen und undurchdachten Elaboraten und nennen es Wissenschaft. So wie neulich der Bernau in seinem FAZ-Blog.

Es sei wohl eine "große Welle" gewesen, die da durch die Ökonomie schwappte, erzählt Bernau. Der Egoismus sei nämlich beerdigt worden, dieses Substrat des Neoliberalismus (er nennt das böse Wort nicht) hatte zeitweilig ausgedient. Dazu unterlegt er seinen Text mit zwei Links, die ins Wirtschaftsressort der Frankfurter Allgemeinen lotsen. Ein wenig Selbstreferenzialität zur Unterlegung seiner These muss schon sein. Und nun strickt sich Bernau einen Phönix aus der Asche, denn -Tatatataaa! - der Egoismus ist zurück, darf wieder Gegenstand der Volkswirtschaftslehre sein. Die "alten Freudenrufe werden relativiert", schreibt Bernau und meint damit die angeblichen Ökonomenstimmen des Abgesangs des Egoismus'.

Sagt mal, Leute, habe ich irgendwas verpasst? Wovon spricht der Mann?

Der Finanzkapitalismus war und ist in der Krise. Aber er hat doch mit Kriseneintritt nicht auch nur ansatzweise seine Prämissen überdacht. Gier und Egotrips standen nie zur Debatte. Kaum in den Kommentarspalten, nicht bei den Ökonomen und in der Realität noch viel weniger. Der Neoliberalismus hat befremdlich überlebt.

Bernau bezieht sich auf einige Spielchen, die er "wichtige Experimente" nennt. Und die belegen angeblich, "dass die Menschen einige ziemlich egoistische Fasern in ihren Körpern haben". Unter biologischen Aspekten machen wir es heute nicht mehr. Die Soziologie ist tot - es gibt nur noch Gene!

Egoismus ist für Bernau folglich eine menschliche Eigenart, ist Bestandteil der conditio humana, eine "Faser im Körper", nicht ein anerzogenes (Fehl-)Verhalten. In welchem Milieu Menschen sozialisiert wurden, welcher ideologischen Grundkonzeption diese Prägung unterworfen war, welches Wertesystem gelehrt wurde, das spielt für ihn gar keine Rolle. Nein, der Egoismus ist Biologie, ist vorinstalliert und daher zwangsläufig. Das hat er natürlich deswegen zu sein, weil man ihn dann nicht als schlechtes Benehmen abstreifen kann, sondern hinnehmen und ins Konzept einarbeiten und einweben muss. Und das nicht nur in Einzelfällen, bei der Freundin, die nur redet, aber nie zuhört oder bei dem Elternteil, das sein Umfeld terrorisiert, weil es das eigene Kind als Nabel der Welt deutet. Nein, auch im ganz großen Stil, also im Wirtschaftssystem. Das hat dann auf fast schon naturgesetzlicher Grundlage egoistische Affekte zu bedienen, Egoismus zu unterstützen und Egozentrik zu honorieren. Denn nur so lebt der Mensch in einem Klima, das seiner menschlichen Natur entspricht.

Was Bernau nicht sagt: Die Probanden der Spielchen kommen allesamt aus dem Neoliberalismus. Wie wir alle. Auch sie sind in einem Milieu gereift, in dem die gängige Ökonomie tagein, tagaus lehrte, dass jeder seines Glückes Schmied zu sein habe - und zwar ausschließlich jeder für sich selbst. Eigenverantwortung nennt sich in dieser Systematik, welchem sozialen Rang man schafft, beibehält oder eben verliert. Die Probanden haben diese angelsächsische Variante von Wirtschaftsordnung intus. Wir leben ja alle lange genug darin und ertappen uns alle immer wieder mal im Kosten-Nutzen-Schemata denken, in Preis-Leistung bewerten - und das nicht nur dort, wo es sinnvoll ist, sondern auch in privaten Lebensbereichen. Uns hat man über Jahrzehnte beigebracht, dass Verlierer notwendig seien, damit es Sieger geben kann. Und die sind dann nicht mal Zwangsopfer, sondern selbst schuld. Vielleicht fehlt ihnen ja etwas Egoismus in den Fasern! Wirtschaft wird uns seit Jahren als Krieg verkauft, nicht als Organisation und Verteilung. Studien mit Probanden neoliberaler Konditionierung als Beweise für den Egoismus aufzuführen, das gleicht in etwa einer etwaigen Studie, die beweisen möchte, dass es eine genetisch bedingte menschliche Abneigung gegen Rindfleisch gibt und zu der man nur Hindus als Testpersonen zugelassen hat.

Das alles mögen wissenschaftlich betrachtet spannende Geschichten sein. Mit Ökonomie haben sie nichts zu tun. Der Mensch benötigt kein Wirtschaftssystem nach seiner egoistischen Natur, weil er a) nicht von Natur aus egoistisch ist, sondern von Natur aus Wahlmöglichkeiten hat - und weil b) die Organisation von Produktions- und Arbeitsabläufen, die Verteilung von Gütern und die damit verknüpfte sozio-kulturelle Teilhabe sich keiner Grundlagen bemächtigen sollte, die das Gegenteil von all dem bewirkt. Zu glauben, man könne mehr soziale Gerechtigkeit über einen Markt intelligent gesetzter Egoismusanreize schaffen, der darf auch keinen Widerspruch in kriegerischen Parolen erkennen, die den Frieden als Schlagwort führen.

Egoismus ist eine menschliche Option und Charaktereigenschaft, keine geeignete Grundlage für ein Gemeinwesen. Die Ideologie mit dem biologisch begründeten Egoismus ist die Legitimierung eines räuberischen Konzepts, das nicht räuberisch sein will, sondern sich einfach nur als "menschlich bedingt" entschuldigen möchte - das ist ein Weltbild, in dem der Mensch nicht mehr als intelligenzbegabtes Wesen vorkommt, sondern als eine allerlei Unarten in ihren Fasern tragende organische Bestie. Die Tugend, den eigenen Egozentrismus zu bändigen, gerät damit vom Status einer Kulturleistung zu einem überkommenen Impuls, zu einer Entfremdung von der eigentlichen Menschlichkeit.


Hier weiterlesen...

Wenn nicht jetzt, wann dann?

Samstag, 20. Juli 2013

Nach dieser gestrigen Pressekonferenz sollten Blogger und Publizisten, kritische Bürger und Aktivisten,  ohne deshalb gleich Wahlkampf für Steinbrück zu machen, an der Absetzung dieser Regierung arbeiten. Es ist an der Zeit!

Im Vergleich zu dem, was diese Regierung und ihre im Hosenanzug steckende Richtlinienkompetenz in Griechenland und Spanien anrichtete, was sie Hartz IV-Empfängern und Arbeitnehmern antat, nimmt sich die Prism-Affäre relativ bescheiden aus. Aber es wäre nicht neu, dass politische Macht über Kleinigkeiten stolpert, nachdem die großen Schandtaten ungesühnt blieben. Das scheint fast ein Prinzip in der Geschichte der Menschheit zu sein. Warum sollte also nicht diese Pressekonferenz des Nullsprechs das Fanal sein können?

"Land der Freiheit" oder "Es gilt nicht das Recht des Stärkeren, sondern die Stärke des Rechts" - mit solchen Zoten hält sie die Menschen hin. Sie nennt das Aufklärung. Merkels Aufklärung geschieht nach dem Schema einer besonders raffinierten Verschleierung. Sie klärt stets nur darüber auf, dass es nichts zum Aufklären gibt.


Ich habe die Pressekonferenz nur gehört, die Bilder dazu habe ich erst später in den Nachrichten gesehen. Ich stellte mir beim Zuhören vor, wie diese Kanzlerin vor einem Meer von Mikrofonen (meine kindliche Vorstellung einer PK!) stand und ihre obligatorische Handhaltung machte. Nachher sah ich erst, dass sie am Tisch saß und nicht stand. Jeder in diesem Land kennt diese Haltung, bei der sie beide Daumenkuppen aufeinanderpresst und eine Art Dreieck, ein Prisma von oben erzeugt. Ich stellte mir vor, wie sie dieses Prisma formte und dabei sagte, dass sie keine Ahnung von Prism habe. Ich stellte mir vor, dass das das verklausulierte Zeichen ihrer Mitwisserschaft sei. Irgendwie ist sie ja doch ehrlich, dachte ich mir. Dass sie nicht mal so ehrlich war, habe ich wie gesagt erst später gesehen.

Was muss denn eigentlich noch passieren? Jeder ahnt, wie sich diese Regierung drückt. Jeder merkt, dass sie sich windet. Jeder sieht, wie sie die Wogen glättet und es aussitzen will. Merkel und ihre Entourage hat schon lange jegliche moralische Berechtigung verloren. Ihre Europapolitik ist da der noch lange nicht abklingende Tiefpunkt. Die Prism-Affäre zeigt nun auch denen, die vorher noch fromm vom faulen Griechenpack lasen, dass nicht die Griechen faul sind, sondern diese Regierung. In jedem anderen "Land der Freiheit" der Welt, würde ihr das die Macht kosten. Wenn nicht jetzt, wann dann?

Selbst die großen Zeitungen äußern sich kritisch, sehen in dieser Pressekonferenz eine Farce. Die Bildzeitung schrieb erstmal nichts dazu. Während sich Stern, Spiegel und Focus schon ärgerten, gab es für die Bildzeitung zunächst keinen Bedarf zur Einordnung der Lage. Später nur ein kurzer Beitrag, der mit "Deutschland ist kein Überwachungsstaat" überschrieben war. Ist das schon ein Grund zur Hoffnung?

Diese Zeitungen hätten vorher schon fragen müssen: Wenn ihr nichts gewusst habt, was für Vollidioten seid ihr dann überhaupt? Es gibt doch nur diese zwei Möglichkeiten: Entweder haben sie es gewusst und nach Snowdens Offenlegung gelogen oder sie haben es wirklich nicht gewusst und bewiesen, dass sie unfähige Blödiane sind, nicht fähig dieses Geschäft namens Deutschland zu leiten. Man hat viel darüber geschrieben, dass Geheimdienste eben so arbeiteten. Das ist wohl wahr. Doch auch das hätte eine Frage ergeben müssen, die keine Zeitung gestellt hat: In welche Welt haben wir uns da eigentlich sukzessive hineinmanövriert? Aber das ist eine andere Geschichte. 

Wer bin ich schon, einen Aufruf starten zu wollen, mit an der Absetzung dieser Regierung zu arbeiten? Ich bin ein publikatives Nichts. Genauer gesagt arbeite ich nicht an der Absetzung, weil mir dazu einige Millionen fehlen. Leser wie Euro. Aber schön wäre es schon, wenn jetzt der publikative Druck erhöht würde. Nicht, dass ich mir erwarte, dass mit Steinbrück eine neue Zeit heraufzöge. Das nicht! Aber wenn wir wirklich in der Alternativlosigkeit leben, so ist mir Steinbrück mittlerweile zur sympathischeren Alternativlosigkeit geworden.

Wenn im Zuge dieser Affäre dieses Nullsprech-Gestell nicht politisch zur Strecke gebracht wird, dann dürften wir sie gar nicht mehr los werden. Wenn nicht jetzt, dann nie!


Hier weiterlesen...

Im Schwebezustand

Freitag, 19. Juli 2013

Von einem Polizeistaat will ich nicht sprechen. Dafür fehlen einige wesentliche Indikatoren. Aber ein flaues Gefühl habe ich durchaus. Denn wenn dieses Land auch kein Polizeistaat ist, so gibt es nicht wenige in dieser Truppe, die ihrem Handwerk voll brutaler Leidenschaft nachgehen.

Spätestens seit Heiligendamm und Stuttgart war mir klar, dass diese Polizei immer stärker die Rolle einer von der öffentlichen Hand bezahlten Privatarmee für Besitzständler übernimmt. Das konnte seither nicht mehr verleugnet werden. Sie trägt ja von Natur aus einen systemkonformen Charakter - aber dass sie so charakterlos ist, Menschen mit anderen Ansichten wie lästige Mücken zu behandeln, konnte ich da erst wirklich glauben. So naiv war ich bis dorthin! Fernab dieses staatspolitischen Aufgabenfeldes, so meinte ich bislang, sei die Menschenverachtung noch nicht so weit gediegen. Tja, dann kam Westerburg und der Vorfall an diesem Brunnen in Berlin und viele "Einzelfälle" mehr.

Zwischendrin ein kurzes Hoch auf das Smartphone und die Möglichkeit, seine Erlebnisse filmisch zu dokumentieren: Man sieht, man kann damit mehr anfangen als sich Bilder seines Abendessens zu knipsen und zu posten. Als die iranische Polizei vor einigen Jahren Unruhen im eigenen Land brutal niederschlug, da lobten westliche Politiker die Möglichkeiten, die Smartphones, Digitalkameras, Facebook und Twitter lieferten. Ich glaube, Twitter wurde in diesem Land erst richtig bekannt durch die iranischen Demonstranten; Was ist dieses Gezwischter eigentlich? fragte und erklärte damals manche Journaille. Man verpasste seinerzeit dem ganzen Techno-Plunder einen revolutionären Anstrich. Und nun, da man bei Facebook einen Clip sehen kann, in dem ein psychisch verwirrter Mann von einem Polizisten erschossen wird, obgleich da ein ganzes Rudel Polizisten herumlief, findet man das gar nicht mehr so bahnbrechend. Jetzt findet man es menschenverachtend, was da bei Facebook und YouTube zu sehen ist.

Das Filmen der Menschenverachtung ist menschenverachtend. Aha! Für mich ist das die Sprache der Verrohung, ein Idiom in einen Staat, der kein Polizeistaat ist, aber Freifahrtscheine für diese immer roher werdende Armee der Reichen gegen die Nutzlosen und Lästigen verteilt. Sei es, wie es sei: Das Smartphone und seine Möglichkeiten hat mich in einem Land erwachen lassen, in dem man sich vor der Polizei wieder fürchten muss. Ich halte es jetzt nicht mehr für unmöglich, in eine Polizeikontrolle zu geraten, in der man plötzlich mit gespreizten Beinen auf der Motorhaube seines Wagens lehnt. Eventuell war man zu flapsig oder genervt und etwas vorlaut und ehe man sich versah ...

Bilde ich es mir ein oder hat sich nicht nur das Bild des Polizisten, sondern auch der Typus, der Polizist wird, geändert? Man darf nichts verherrlichen, die Polizei war nie irgendwelchen Demonstranten freundschaftlich verbunden. Aber im "zivilen Umgang" benahm sie sich weniger arrogant und willkürlich als heute. So nehme ich das jedenfalls wahr.

Ich erinnere mich an einen Vorfall, den ich mir heute so nicht mehr vorstellen könnte. Damals war ich vielleicht Fünfzehn und vor der Haustüre unserer türkischen Nachbarn lag ein Säugling in einem Korb. Bekannte der Familie hatten es warum auch immer dort abgelegt. Ich glaube es war ein Freitagabend und bei unseren Nachbarn öffnete niemand die Türe. Andere Nachbarn kamen dazu und irgendwer rief die Polizei. Schnell waren zwei Polizisten vor Ort, ein jüngerer und ein etwas älterer Mann. Sie versuchten die Nachbarn und deren Bekannte ausfindig zu machen, der ältere Polizist nahm während dieser Fahndung das Kind auf den Arm und schaukelte es, sprach mit ihm und war auch gegenüber der Nachbarschaft sehr angenehm. Ein böses Wort gegen "unsere türkischen Mitbürger, die andere Ansichten wie wir haben, wie Sie sicher wissen" (das war mal ein O-Ton von einem Beamten, mit dem ich Jahre später zu tun hatte) fiel damals noch nicht.

Wenn ich mir die arroganten jungen Männer und Frauen, denen ihr Elitedünkel ins Gesicht geschrieben steht, von heute vorstelle, dann kann ich mir einen solchen menschlichen Einsatz nicht mehr vorstellen. Wann genau überschritten wir die Linie? Wann wurde aus der Polizei im "zivilen Umgang" eine technokratisch unterkühlte Ordnungsinstanz ohne Bezug zu den Bürgern, für die man vorgibt dazusein? Der Polizist damals war cool, weil er ruhig blieb, keine Hektik entfaltete, ein uniformierter Bürger war. Heute gibt es natürlich weiterhin viele coole Polizisten. Ihre Coolness sieht nur anders aus, gleicht der eines Dirty Harry oder anderer Hollywood-Sheriffs mit Sonnenbrille. Den unkomplizierten Polizisten gibt es noch bei München 7 oder im Großstadtrevier; in der Realität wollen sie dagegen keine Polizisten mehr sein, sondern Cops. Ich glaube, das ist auch der Grund, warum solche deutschen Vorabendserien ganz gut ankommen. Der Mangel an polizeilicher Menschlichkeit läßt die menschliche Serienpolizei erfolgreich sein.

Das alles ist nur ein subjektiver Eindruck, vielleicht auch eine Fehleinschätzung. Möglicherweise aber auch nicht. In einem Polizeistaat könnte ich das hier wahrscheinlich nicht schreiben oder müsste mich nach Erscheinen auf dem Revier einfinden. Ich gehe davon aus, dass es hierzu nicht kommen wird. Wie nennt sich dieser Schwebezustand zwischen Polizei- und Rechtsstaat eigentlich, in dem wir uns zu befinden scheinen? Ist es dem misanthropen Vakuum geschuldet, in dem wir leben? Ist sie das Exekutivorgan eines Zeitgeistes, in dem Menschen als organischer Sachwert angesehen werden?

Ich bin dafür, dass die Ausbildung zum Polizisten weniger körperlichen Einsatz und Eskalation beinhaltet, dafür mehr psychologische Schulung, Lesen von Kant bis Camus und etwas Knigge würde auch nicht schaden. Aber humanistische Bildungsvorgaben sind in dieser Gesellschaft erledigt. Wir züchten uns Fachidioten in allen Branchen an. Und diese moderne Polizei hat eben die mit Gummiknüppel ausgestattete Fachidiotie zur Bewahrung und Stabilisierung des Status quo zu sein. Und sonst nichts.


Hier weiterlesen...

Der Papst und die Linke

Donnerstag, 18. Juli 2013

Dass die Linke traditionell ein schwieriges Verhältnis zur katholischen Kirche und zum Papsttum hat, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Instanzen hilfreiche Mitstreiter im Kampf gegen Armut und Ausgrenzung sein können. Die linke Ablehnung von Religion braucht Grenzen.

Die letzten drei Päpste haben unter Linken nicht gerade einen guten Eindruck hinterlassen, schließlich wurde der "linke Katholizismus" aus Südamerika von der Kirche verfolgt und mundtot gemacht. Der "linke Katholizismus", eine Befreiungstheologie, machte sich zum Programm, die Bibel von der Lebenserfahrung der Armen her auszulegen. Wer das als Theologe aktiv probierte, dem entzog Rom flugs die Lehrerlaubnis.

Hier weiterlesen...

Kein Nordkoreaner hat je meine e-Mails gelesen!

Mittwoch, 17. Juli 2013

oder Die Welt darf kein Hinterhof werden.

Nach dem Skandal um NSA und BND häuften sich antiamerikanische Stimmen,, liest man in den Kommentarspalten wieder häufiger. Ich kann dazu nur sagen: Ich bin nicht antiamerikanisch. Denn gegen Amerikaner habe ich nichts. Aber ich gehöre durchaus zu denen, die einen gesunden Antiamerikanismus für notwendig erachten.

Eine Ideologie

Der Amerikanismus ist kein Lebensgefühl, wie das die Kritiker antiamerikanistischer Töne oft darlegen. Er hat mit dem american way of life oder der unverbrüchligen Freunschaft mit diesem Urland der Demokratie und Freiheit kaum zu tun. Wer so gegenargumentiert, der verschleiert.

Linke Intellektuelle haben schon vor Jahrzehnten den Kulturimperialismus der Vereinigten Staaten kritisiert. Sie sahen sich zwischen McDonalds und kommerzialisierter Rockmusik intellektuell aufgerieben. Dazu griffen sie den handfesten, den geopolitischen Imperalismus an. Zu Zeiten des Vietnam-Krieges hatte diese Position Hochkonjunktur. Später flaute die Bereitschaft, die USA für ihre Interventionen anzugreifen, fast völlig ab. Es galt mehr denn je als chic, die Verbündung und die Freundschaft mit diesem Land aggressiver Außen- und Kriegspolitik zu beteuern.

Amerikanismus ist nicht die Befürwortung von blue jeans und Coca-Cola. Es ist die Parteinahme für eine globale Expansion der Monroe-Doktrin. Der Hinterhof der Vereinigten Staaten ist nicht mehr nur der amerikanische Kontinent, sondern alle Kontinente sind zu Hinterhöfen degradiert. Amerikanismus ist eine knallharte militärisch-expansionistische Ideologie, moderner Imperialismus, der nicht im spießigen Stehkragen daherkommt, sondern in legerer und sich pragmatisch gebender Gönnerhaftigkeit. Amerikanismus ist nicht das Pendant zum französischen savoire-vivre oder zur deutschen Gemütlichkeitskultur, sondern gleichbedeutend mit dem Empire colonial oder Großdeutschland. Er reicht über den ursprünglichen Interamerikanismus hinaus, handelt global und setzt seine eigenen Maßstäbe bei anderen Kulturkreisen an.

Wer da mit Romantizismen kommt, von Burger und Hollywood schwärmt, der macht sich zum Teil dieses Problems. Guantanamo ist nicht romantisch. Und Kollateralschäden einer angeblich präzisen Kriegsführung, wie sie die US-Administration in ihrem globalen Sendungsbewusstsein in vielen Teilen der Welt anwendet, sind es auch nicht.

Teheran, Khartum, Pjöngjang? - Washington!

Als Bürger der Bundesrepublik lohnt es sich festzustellen, dass man bislang mit keinen Eingriffen seitens des Iran, des Sudans oder Nordkoreas zu tun hatte. Diese Länder aus der axis of evil, diese Schurkenstaaten, terrorisierten die deutsche Öffentlichkeit bislang nicht. Washington hingegen schon, verletzte Persönlichkeitsrechte und terrorisiert dieselbe Öffentlichkeit gleich nochmal, indem es Botschafter der atlantischen Freundschaft aussendet, die die Frechheit kaschieren und herunterspielen sollen.

Michael Moore schreibt in Stupid White Men, dass er sein Leben lang von Schwarzen gewarnt worden sei. Oft ganz unterschwellig, manchmal auch ganz direkt. Der Schwarze ist das Synonym für Betrug, Gewalt und Kriminalität in den USA. Moore aber stellt fest: "Schaue ich aber auf mein Leben zurück, zeigt sich da ein seltsames, aber unverkennbares Muster. Definitiv jede Person, die mir in meinem Leben jemals weh getan hat - der Boss, der mich gefeuert hat, der Lehrer, der mich durchfallen ließ, der Direktor, der mich bestrafte, der Kerl, der mir einen großen Stein auf den Schädel schlug [...] - das waren ausschließlich Weiße!" Und das führt ihn zur Frage: "Also, warum sollte ich ausgerechnet vor Schwarzen Angst haben?"

Warum fürchten wir uns ausgerechnet vor dem Iran, der uns nichts getan hat? Noch nie hat uns Pjöngjang abgehört und ausgehorcht. Noch nie hat Pjöngjang seine Soldaten in fremde Länder geschickt, dort Menschen foltern und entführen lassen, um sie dann Jahre von der Bildfläche verschwinden zu lassen. Was sind wir doch für Stupid German and European Men!

Das Böse ist Ansichtssache

Ich will nicht in einer Welt leben, in der Angriffskriege aus ökonomischen Interessen, der Überwachungsstaat und immer mehr Laissez faire-Auslegung des Gemeinwesens als gut bezeichnet werden, während man andere Gesellschaftsentwürfe ohne genau Kenntnis darüber diabolisiert. Es ist nicht zwangsläufig so, dass man als Linker oder Linksliberaler antiamerikanistisch werden muss. Auch in den USA hat die Linke viele Impulse gesetzt und hat eine leider mittlerweile fast vergessene Tradition. Aber diese Vereinigten Staaten, die ihren Status als Weltpolizei so ausgebaut haben, dass sie sich mittlerweile als Weltdespot aufführen, kann keinem Linken schmecken. Washington ist der Leader in der anderen Achse des Bösen - und Berlin und London reihen sich da ein.

Das Böse ist zuweilen eine Sache der Ansicht. Bei Despoten wie Hitler und Stalin sicher nicht. Bei Leuten wie Eichmann und Tibbets wird es schon schwieriger. Aber die Welt ist eben nicht voller Hitlertypen. Was also böse ist und was nicht, kann nicht immer einheitlich beschlossen werden. Der Bundespräsident lobt regelmäßig den Einsatz der Bundeswehr für die gute Sache. Diese gute Sache fiel mancher afghanischen Familie in Form von Bomben ins Schlafzimmer, kostete Menschenleben und Blut. Aus Sicht eines Afghanen ist dieser Bundespräsident ein Prediger des Bösen. Für das bürgerliche Deutschland ist es der Wunschpräsident. Ob Afghanen wohl glauben, dass die Deutschen alle blutrünstig sind? Verallgemeinern sie so, wie die Deutschen es gerne tun, wenn sie mutmaßen, dass in jedem Moslem die Aggression schlummert?

Der Bereich aller amerikanischen Bereiche ist nicht angeklagt

Mir bleibt nichts anderes übrig, als antiamerikanistisch zu sein. Gegen Amerikaner generell habe ich nichts. Nur werde ich nun auch nicht den Fehler machen und wie so viele behaupten, dass die Amerikaner ein tolles Volk seien. Das sind sie so wenig wie andere Völker auch. Unter den Amerikanern finden sich leider viel zu viele Amerikanisten. Man muss nicht alles schmähen, was aus Amerika kommt. Denn es gibt Amerika so wenig, wie es die Welt gibt. Amerika ist Barbecue und New School of Social Research, ist Todesstrafe und Mark Twain, ist Notaufnahme im Krankheitsfall und Noam Chomsky, ist Prism und Hannah Arendt, McCarthy und Larry Flint, Bukowski und günstige Immobilienkredite, Genozid und Big Deal, Agent Orange und Martin Luther King. Amerika ist für alle diese und viele andere Dinge nur ein Bereich der Bereiche, um es mit Markus Gabriel zu sagen.

Aber um all das geht es mir nicht. Man muss seinen Antiamerikanismus schon konkret halten, an der Ideologie messen und nicht einfach alles verdammen, was von dort kommt. Es geht nicht um den Bereich aller Bereiche, die es in dem Gebilde, das sich Vereinigte Staaten nennt, gibt. Das kulturelle Erbe ist nicht automatisch beschmutzt, nur weil es sich plötzlich in einer Ideologie wiederfindet. Es gibt insofern den Antiamerikanismus nicht, weil die Vereinigten Staaten nur ein Bereich sind, in dem es viele Sinnfelder gibt. Aber nicht jedes Sinnfeld ist von der Ideologie des Amerikanismus befleckt. Der Begriff des Antiamerikanismus klingt fast so, als generalisieren man die Wut auf alles, was von drüben kommt.

Warum ich antiamerikanistisch sein muss!

Wir sind in ein Stadium der Geschichte eingetreten, in der man nicht einfach so tun kann, als sei dieser Amerikanismus, den wir schon aus dem 20. Jahrhundert kennen, eine seltsame Marotte, die man sich über dem großen Teich einfach mal leistet. Wir haben es bei diesem Phänomen nicht mit der selbstlosen Politik der Eindämmung irgendwelcher Regimes zu tun - Washington macht seine nationale Politik immer häufiger und brutaler auf internationaler Bühne. Völkerrecht und die nationale Selbstbestimmung wischt man hierzu einfach weg. Es geht doch um so viel mehr: Um Erze, um Erdöl, um Gold und wer weiß was noch. Der Zugriff auf die Ressourcen bestimmt das Handeln der Vereinigten Staaten unter anderem. Es geht dieser als Demokratie bezeichneten aristokratischen Theokratie nicht um eine bessere Welt, sondern um Weltherrschaft, um die Schaffung vieler kleiner Quislinge, die im Sinne Washingtons zappeln.

Die technologischen Möglichkeiten haben die Option der totalen Kontrolle möglich gemacht. Der Kontrollwahn dieses Amerikanismus, der sich auf allerlei nationale Regierungen stützt, ist auch keine Marotte mehr, sondern eine handfeste Gefahr für die Zukunft. Die Ausrichtung der Politik an die Vereinigten Staaten ist nicht visionär oder gar sinnstiftend, sie ist strikt mit der Gefährdung der europäischen Vorstellung von Demokratie verknüpft.


Hier weiterlesen...

Aus fremder Feder

Dienstag, 16. Juli 2013

"Macht es nicht Mühe, tagaus, tagein das Selbe zu sagen und zu schreiben, sich vorwerfen zu lassen: Ah, schon wieder! - und es dann doch wieder zu tun, nicht aus Armut, sondern aus dem Gefühl heraus, dass gewisse Anschauungen in die deutschen Köpfe gehämmert werden müssen? Es macht müde. Und es kommt wohl bei Allen, die nachdenken, der Punkt, wo sie zögern, zaudern, zweifeln... Sollen wir noch?"

Hier weiterlesen...

Wer ohne Schuld ist ...

Montag, 15. Juli 2013

Ein kurzer Abriss zur alten, aber immer noch beliebten Partnerschaft zwischen Krankheit und Schuld.

Die Mainzer Universität befragt im Rahmen einer Studie Bürger, wie diese zum Thema "Selbstverschuldet erkrankt - Behandlung aus eigener Tasche bezahlen?" stehen. Dieses Verfahren findet Kritik. Mancher vermutet dahinter den Versuch einer weiteren Verschärfung der Entsolidarisierung im Gesundheitswesen. Mittlerweile scheint selbst der Rückgriff auf mittelalterliche Vorstellungswelten als Mittel zum Zweck recht zu sein.

Schon in "Auf die faule Haut" weise ich darauf hin, dass sich das etwas antiquierte Wort für Qual oder Leid, das Wörtchen "Pein" (englisch pain, spanisch pena, französisch peine) vom lateinischen poena, "der Schuld" ableitet. Ein Gepeinigter ist demnach der Wortherkunft nach jemand, der eine Schuld auf sich geladen hat.

Die Flagellanten wollten sich durch
Selbstgeißelung von der Sünde reinigen
und so die Pest ausrotten.
Knüpft man Krankheit an etwaige Schuldfragen, so zapft man direkt die Vorstellungswelt jener Chronisten an, die zum Beispiel den Pesterkrankten für einen Bestraften aufgrund schlechten Lebenswandels ansahen. Bis weit in die Neuzeit hielt sich diese Ansicht, wonach Krankheit immer auch die Strafe für ein Fehlverhalten im Leben war. Die Sünde und die Krankheit waren seit alters miteinander verbunden. Wer sich versündigte, den strafte die Schwindsucht. Was im Mittelalter noch Unwissenheit war, war später einfach nur der ignorante Sport einer calvinistisch abgerichteten und letztlich selbstgerechten Bourgeoisie.

In der Esoterik entblödet man sich bis heute nicht, dieses überholte Weltbild offensiv zu verfechten. Da spricht man ganz ungeniert von negativen Energien, die man im Laufe seines Lebens auf sich gezogen habe und die nun in den Krebs mündeten. Die Heilerin Catherine Ponder schreibt in einem ihrer Bücher: "Krankheit ist selbst verursacht! Krankheit wird durch falsche Gedanken, Einstellungen und Glaubenssätze ausgelöst, die den Körper tangieren und durchdringen und dabei die Lebenskraft drosseln. Neid, Hass und Angst - wenn solche Gefühle zur Gewohnheit werden, können sie organische Veränderungen und letztlich Krankheit auslösen."

Natürlich ist die Universität Mainz kein esoterischer Klub - und dass Krankheit nicht von der Sünde kommt, dürfte sie auch wissen. Gleichwohl bringt sie Schuld und Krankheit wieder zueinander, wenn auch auf etwas andere Weise als unsere Vorfahren. Die Medizin, die im Laufe vieler Jahrhunderte immer tiefer ins Wesen der Krankheit vordrang, hat sich irgendwann von dieser spröden Ethik gelöst, die meinte, sie müsse den moralischen Aspekt von Erregern oder unkontrollierbaren Zellveränderungen aufs Tapet bringen. Mit der Anhäufung und Dokumentation von Wissen war für diese Ethik der Schuldzuweisung kein Platz mehr.

Zu den historischen Errungenschaften der Medizin gehört primär die Heilung und Ausrottung vieler Krankheiten, die einst als unheilbar galten - sekundär ist es ihr Verdienst, dass sie die moralische Begutachtung von Kranken als wenig zielführenden Humbug enttarnte. Die ärztliche Verpflichtung, jeden helfen zu sollen, der medizinische Hilfe benötigt, dokumentiert nachhaltig diese Errungenschaft und unterstreicht, dass sich die Medizin als ein Betätigungsfeld falscher Moralvorstellungen historisch überholt hat. Medizin hat sich als ein mehr oder weniger ethisch neutraler Raum manifestiert. (Mit all seinen Nachteilen, als man ganz neutral dem Biologismus bestimmter politischer Gruppen attestierte.) Die Universität Mainz weicht mit ihrer Fragestellung diese Neutralität auf und baut dabei wie die mittelalterlichen "Moralisten der Krankheit" auf fadenscheinige Anschauungen.

Nur ein kurzer Einwurf: Über die Auswirkungen der Einschränkung der Kassenleistungen nach Maßgabe von Schuldaspekten, will ich hier so gut wie gar nicht spekulieren. Nur soviel: Ein französisches Sprichtwort sagt, dass die meisten Menschen an ihren Ärzten sterben, nicht an ihren Krankheiten. Dieser Spruch kann nur in einem Gesundheitswesen entstanden sein, das intakt war - wo die Schuld als Bestandteil der Anamnese auftaucht, da sterben Menschen wieder "ganz natürlich" an ihren Krankheiten, weil sie sich einen Arzt nicht mehr leisten können.

Die Uni Mainz weiß zwar, dass man wegen des Schielens auf die Frau des Nachbarn keine Krätze bekommt, meint aber mit "selbstverschuldet erkrankt" Patienten, die womöglich Risikosportler sind. Wie die Zeitgenossen von 1347 fehlerhaft Erklärungen herleiteten, so scheinen die Verantwortlichen der Studie ebenfalls falschen Herleitungen durch bloßen Augenschein aufgesessen zu sein. Denn tatsächlich ist es der Breitensport und nicht der Extremsport, der mehr medizinische Behandlungen nach sich zieht. Die Verantwortlichen der Umfrage kitzeln die üblichen Konnotationen der Bürger, suggerieren, es gehe um Fallschirmspringer oder Bergsteiger, um Randgruppen also. Sie ähneln dabei jenen, die einst im ungehörigen Leben vor Gott die Ursache von Krankheit vermuteten - das ungehörige Sporteln vor der Gesellschaft ist das zeitgemäße Pendant dazu.

Addiert man alle Patienten- und Risikogruppen all die Dicken und Raucher, die Herzpatienten, die trotzdem ein nervenaufreibendes Fußballspiel verfolgen, die Choleriker, die sich trotzdem aufregen, die Frauen, die trotzdem bei ihren gewalttätigen Männern bleiben, zusammen, so gibt es keine Kranken mehr, die unverschuldet krank wurden. Wer jetzt noch ohne Schuld ist, der werfe Steine. Die Uni Mainz schlägt die Etablierung der Schuld, die ethische Bewertung der Krankheit, als ein generelles Kriterium im Gesundheitswesen vor. Es geht nicht um Randgruppen, sondern führt direkt zu einer generellen Selbstbeteiligung bei allen Behandlungen.

Das was die Universität Mainz betreibt ist keine medizinische oder soziologische Studie, es ist unbewusste Mediävistik, ein Mittelalterjahrmarkt mit pseudoelitärer Attitude und einem Hauch calvinistischer Prädestinationslehre.


Hier weiterlesen...

Lass uns Terrorismus machen!

Samstag, 13. Juli 2013

Wie erwartet ist Friedrich geläutert und überzeugt aus den Vereinigten Staaten zurückgekehrt. Ganz besonders überzeugt scheint er indes vom Klischeebild eines Terroristen zu sein.

Dass er eingeknickt ist, darüber kann man jetzt natürlich berichten. Eine Überraschung ist das aber nicht. Dass sich aber ein Innenminister allen Ernstes vor die Presse stellt und erklärt, wie Prism genau funktioniere, indem es nämlich "gezielt nach Begriffen wie Terrorismus" suche, darüber müsste nun eigentlich aggressiv berichtet werden. Ja, was hat denn dieser Mann für Vorstellungen von Menschen, die terroristische Akte planen? Wie glaubt er kommunizieren diese Menschen? Schreiben die in jedem dritten Satz "Terrorismus"? Haben sie in ihrem Adressbuch Kontaktdaten wie capmahmudterrorist@gmx.de stehen? Schreiben sie sich mit "Lieber Terrorist" oder besser mit "Lieber Mitterrorist und Mitwisser" an? Oder animieren sie sich mit Sätzen wie "Komm, lass uns Terrorismus machen!" gegenseitig zur Gewalt?

Nochmal, was glaubt dieser Mann, wie das Prinzip von Gewaltaktionen funktioniert?

Die Frage ist doch die: Ist Friedrich so töricht oder verarscht er uns? Haben die Verantwortlichen der NSA vielleicht eine Weile mit ihm geplaudert und ganz schnell gemerkt, dass dieser german guy niemals auch nur ansatzweise raffen werde, was Prism bedeutet und haben sie deswegen dann umgeschwenkt und die komplexe Praxis infantilisiert, ihm einfach gesagt, sie suchten nach Terrorismus, indem sie quasi nach "Terrorismus" googelten? Indem sie das Googeln erweitern, weil sie es auch auf e-Mails ausweiteten und in Facebook hinein ermöglichten?

Ist er selbst so blöd oder hält er die Bürger für so blöd, dass sie ihm diese Unsinn abnehmen?

Die Aufregung war also völlig umsonst. Prism ist also nur der lausige Versuch von Dilettanten, via Suchfunktion dem Terror auf die Schliche zu kommen. So wie unsereiner "Hemd kaufen" eingibt, wenn er sich ein Hemd online kaufen will. Formulieren wir täglich nicht ähnliche Suchanfragen? Sind wir nicht alle ein bisschen Prism?

Mir fällt gerade ein, dass ich "Terrorismus" schon in mancher Korrespondenz benutzte. Meist bezogen auf Sozialabbau und Neoliberalisierung. Ist es das, was er meinte, als er der Presse sagte es gehe "sehr strikt geregelt um Terrorismus"? Seine Beruhigungsversuche beruhigen mich demnach nicht. Irgendein Muttchen vielleicht, das mit ihrer Freundin nur über Wetter, Schwimmbad und Orangenhaut schreibt, darf jetzt freilich durchatmen. Und ich? Und all die kritischen Menschen, die Fragen stellen und in der herrschenden Ökonomie einen Akt des Terrors wittern?

Man musste immer annehmen, dass Friedrich in Stereotypen denkt und Klischees als die Komprimierung von Fakten betrachtete. Mit dieser Haltung leitete er Islamkonferenzen und setzte linke Sachbeschädigungen mit rechten Körperverletzungen gleich. Dass er aber glaubt, dass sich Menschen, die potenziell Gewaltakte in Erwägung ziehen, unterhalten wie Abziehbildchen aus einer schlichten Klamotte, wie irgendwelche stümperhafte Bankräuber in einem alten Otto-Film, das schlägt dem Fass den Boden aus und den Bürgern mitten ins Gesicht.

Wenn wir uns via Prism auf die Suche nach Neoliberalen machten, wäre "Neoliberalismus" kein Suchwort mit Erfolgsaussichten. Diese Leute benutzen dieses Wort nämlich nicht und leugnen dieses Phänomen strikt. Wenn wir Sexualstraftäter so suchten, könnten wir uns "Vergewaltigung" schenken. Möglich, dass Friedrich seine Korrespondenz mit "Ich bin der Innenminister! Ich bin der Innenminister!" garniert - normale Menschen betonen das, was sie tun, aber nicht kontinuierlich.


Hier weiterlesen...

But I love all - all people

Freitag, 12. Juli 2013

oder Und alles nur, weil sie uns lieben ...

Marx bemerkt irgendwo, dass Hegel irgendwo bemerkt habe, alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen ereigneten sich sozusagen zweimal - und er fügte Hegels Ausspruch noch hinzu, dass dies einmal als Tragödie und das andere Mal als lumpige Farce geschehe. Marx hat allerdings vergessen hinzuzufügen, dass dies von technologischen Stand abhängig ist. Insofern wiederholt sich, was wir heute teils wütend, teils belustigt in der Ostalgie bestaunen. Freilich ist nicht der partizipatorische Leitgedanke des idealistischen Sozialismus Wiedergänger, nur die autoritäre Kontrolle des real existierenden Sozialismus ist zurück. Was heute in der Rückschau wie eine Farce wirkt, ereignet sich jetzt als Tragödie.

Was wäre für diesen in die Autorität hineingescheiterten Versuch des Sozialismus alles möglich gewesen! Briefe aufdampfen musste er. Brief für Brief für Brief. Mühselig musste man Querverweise anlegen, Hinz schreibt oft mit Kunz und Kunz kennt den Metzger von Schneider, der sich schon mal regimekritisch geäußert hatte. Das war alles so kompliziert und unübersichtlich. Heute wird gescannt, abgelegt, gebacklinkt und man weiß ganz schnell, wer über wieviele Ecken geistig miteinander verwandt ist. Wer jetzt noch glaubt, dass das NSA nur scannt und nicht gezielt die Briefe öffnet, die relevant sein könnten, der muss sich fragen lassen, zu welchem Zweck man sich diese Scannerei eigentlich antut.

Die Liebhaber des Westens betonen natürlich, dass dies alles nur geschieht, damit die Welt ein besserer Ort wird. Aus Liebe zum Menschen bespitzelt man Bürger der freien Welt - und die Bevölkerungen unfreier Landstriche natürlich auch. Es klingt oftmals so, als würde der Leiter des NSA ganz mielkianisch sagen: "But I love – I love all – all people..." Nur lachen diesmal keine Abgeordneten im Hintergrund. Es applaudieren stattdessen Atlantiker, die nochmal bekräftigen: Ja, es ist tatsächlich Liebe. Seht es doch endlich ein. Und alles nur, weil wir euch lieben ...

Irrgeleitete Liebe oder doch nur Kontrollsucht zwecks Systemerhalt und zur konsumistischen Einstufung der Bevölkerung?

Ich schrieb kürzlich über die Unmöglichkeit reinen Lebens und zitierte Monika Maron: "Muss der Handelnde schuldig werden, immer und immer? Oder, wenn er nicht schuldig werden will, untergehen?" Gilt das auch für die "Achse des Guten", die unsere e-Mails liest, Briefe scannt und Telefonate abhört? Sind auch sie von der "Ohnmacht des Geistes" gegenüber der "Übermacht des Faktischen" erschlagen, wie Ernst Toller das mal ausdrückte? Schrieb ich damals nicht auch, dass man Mielke von seinem Standpunkt aus durchaus verstehen könnte, als er damals von der Liebe zu den Menschen sprach? Wie Toller erkenne ich im Widersprüchlichen doch eine klare Kante. Man kann aus Liebe widerlich Dinge tun, die man nicht mal im Hass für möglich hält. Wahrscheinlich ist dieser Liebesdienst nicht an "die Menschen" gerichtet, sondern orientiert sich am Ideal des westlichen homo oeconomicus - es ist weniger Karitas als Fetisch, ist nicht personengebunden, sondern richtet sich an ein Objekt. Die Überwachung ist ein Götzendienst, dem man den Namen "Erhalt der Freiheit" gegeben hat. Ein Widerspruch, den nur denen auffällt, die in die Liturgie nicht eingebunden sind. Für alle anderen ist es allerdings nicht paradox.

Eine "rückhaltlose Aufklärung" wird es nicht geben. Diese Bespitzelung ist kein Unfall innerhalb des "demokratischen Westens", sondern gehört zum neuen Selbstverständnis des Abendlandes. Im real existierenden Sozialismus war die Bespitzelung der Bürger auch nicht einfach nur ein Fehler, ein Missgriff des Systems, sondern dem System geschuldet, das autoritäre Produkt einer Mangelgesellschaft, die so glaubte, den gesellschaftlichen Zusammenhalt gewährleisten zu können. Es kommt den Systemwahrern nicht darauf an, die Datensammelei einzudämmen oder abzustellen. Sie sitzen es aus, überstellen es dem Vergessen, denn auch sie wissen, dass die Zeit alle Wunden heilt. Sich die naive Freiheit zu nehmen, an eine Rücknahme dieser Praxis zu glauben, grenzt an Illusion. Die Naivität ist eine der letzten Freiheiten, die man uns läßt.

Gab es nicht auch im Sozialismus Stimmen, die unkten, man würde das System nie bewältigen können? Auch die täuschten sich doch, oder nicht? Aber diese Kultur der Überwachungsstaaten auf Karteikartenbasis, mit Block und Bleistift, der sich auf Steno und eilige Notizen gründete, das war die Farce - die Tragödie spielt sich nun ab. Es ist eine Tragödie, weil wir heute in Hochfrequenz beobachtet werden. Es ist eine Tragödie, weil Galaxien von Datenmengen entstanden sind, von denen sozialistische Spitzel nur träumen konnten. Und es ist eine Tragödie, weil das Ausmaß der Bespitzelung so groß und verwirrend ist, so über Kreuz geht, dass man gar nicht weiß, wer vom wem Daten erhielt und wer welche Daten wo lagert. Die Bürger der DDR konnten zur Wendezeit die StaSi-Zentrale anlaufen und hatten dort einen konkreten Ort gegen den sich ihre Wut richtete. Wo soll der Bürger des modernen Überwachungsstaates hin? Nach Pullach zum BND oder einen Flug in die Staaten buchen, um dort die NSA zu belagern?

Der Unterschied zu damals ist, dass wir in der Tragödie leben. Wer in einer Farce lebt kann hoffen. In der Tragödie ist man unentrinnbar gefangen. Dort kann man über Vorgänge nicht lachen. In unserer Tragödie sind die Protagonisten nicht lächerliche Technokraten mit Hornbrillen, sondern smarte Typen, die so tun, als sei ihr Liebesdienst der größte Beitrag zur Verbesserung der Welt. In der DDR wusste man, es geht einfach nur um den Erhalt eines Staates, der vorgibt, es ginge ihm um den Erhalt einer Idee. Heute weiß man das nicht. Die Überwachung ist in dieser Tragödie ein sozialer Beitrag - in der Farce war es noch ein Affront, der keinerlei triftiges Argument vorweisen konnte.

Und weil wir in der Tragödie einer Tatsache leben, die schon mal als Farce da war, werden wir mit der Überwachung auf allen Kanälen leben müssen. Eine Tragödie endet traurig. Unsere Tragödie ist, dass wir einen technologischen Stand erreicht haben, der uns in der Tragödie festhält.


Hier weiterlesen...

Das ästhetische Ideal des Neoliberalismus

Donnerstag, 11. Juli 2013

Die als alternativlos verkaufte Politik der deutschen Regierung vermittelt uns, dass eigentlich alles richtig läuft und dass wir auf einem guten Weg sind. Wie keine deutsche Regierung zuvor, kultivierte die unter Merkel den totalitären Kitsch des Neoliberalismus.

In "Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins" befasst sich Milan Kundera ausgiebig mit dem Kitsch. Er sei "die absolute Verneinung der Scheiße [und] schließt alles aus seinem Blickwinkel aus, was an der menschlichen Existenz im wesentlichen unannehmbar ist". Natürlich hatte Kundera damals den Kitsch des real existierenden Sozialismus im Auge. Er fragte sich, warum so viele seiner tschechischen Landsleute sich mit diesem System arrangiert hatten und nannte diese Haltung das "kategorische Einverständnis mit dem Sein", was für ihn nichts anderes war, als eine Welt, "in der die Scheiße verneint wird und alle so tun, als existiere sie nicht". Dieses "ästhetische Ideal" heiße letztlich Kitsch.

Hier weiterlesen...

Jede Zumutung ist Arbeit

Mittwoch, 10. Juli 2013

oder Aus der Gosse des Arbeitsmarktes.

Der Roman Faktotum könnte als Dokument der heutigen Arbeitswelt durchgehen. Könnte. Es gibt nur ein Problem. Er ist schon aus dem Jahr 1975 und beschreibt die Situation der arbeitenden Unterschicht im Amerika der Vierzigerjahre. Na ja, und er stammt zudem vom Dirty Old Man, der ja nicht jedermanns Geschmack ist.

Charles Bukowkis Alter Ego Henry Chinaski hangelt sich von Job zu Job. Meist arbeitet er für einige lausige Mücken. Kündigungsfristen oder gar -schutz gibt es nicht. Dafür Blut, Schweiß und Tränen. Und Bosse, die ihre Belegschaft als Arbeitssklaven verbraten. Chinaski arbeitet in Lagern oder fährt Sachen durch die Gegend, tut das, was keiner machen will - und das ist fast alles. Alles was anstrengend ist, stinkt, entwürdigt oder gefährlich ist. Er ist ein Allestuer, ein Faktotum. Unterbezahlt und desillusioniert.

Dieser Arbeitswelt der US-amerikanischen Vierzigerjahre gleicht sich unsere Zeit und unser Arbeitsmarkt immer mehr an. Man fliegt und kommt schnell wieder unter. Man wird gehiret und gefiret. Einen Scheißjob findet man immer wieder, es wird im unteren Segment des Arbeitsmarktes nur selten im Vorleben bei anderen Arbeitgebern geforscht. Bosse sind froh, wenn sie jemanden finden, die den Mist erledigen, den sonst keiner machen will. Heute fährt man Pakete aus und schleppt sie in den achten Stock, morgen schon zieht man sich ein Lagerregal hoch, um nach irgendwelchen Kunststoffblenden zu sehen.

Der schöne neue Arbeitsmarkt, der in den Niedriglohnsektor expandiert, ist nicht nur eine Sackgasse, sondern eine Reminiszenz an einen Arbeitsmarkt, der schon vor Jahrzehnten direkt in der Gosse seine Zelte aufschlug. So wie für Chinaski, gibt es heute für viele Menschen keine Kontinuität, ständige Umstellung, unstete Arbeitszeiten und häufige Arbeitsplatzwechsel. Auch sie werden geheuert und gefeuert, ja nach Laune - Kündigungsschutz gibt es im Niedriglohnsektor zwar auf dem Papier, nicht aber als tatsächliche Sicherheit.

Bukowski beschreibt in Faktotum eine Schicht urbaner Gelegenheitsarbeiter und Tagelöhner, Kulis und Hilfsarbeiter, die auf Grundlage fast schon feudaler Strukturen im Groß- und Kleinstadtdschungel ausgebeutet werden. Seit einigen Jahren kristallisiert sich auch in Europa und Deutschland eine solche Schicht ungesicherter und sprunghafter Menschen heraus. Sie sind das Opfer eine Ökonomie, die diese Masse an zu kurz gehaltenem Proletariat benötigt, um die Nachfragen der Mittel- und Oberschicht zu bedienen - um deren Kinder zu hüten, Straßen zu reinigen oder um für sie Verkaufsregale schnellstmöglich wieder aufzufüllen.

Faktotum kommt aus dem Lateinischen, bedeutet wortwörtlich Tu alles! und meint dabei ein Mädchen für alles. Jede Arbeit ist zumutbar schreibt jenes Konzept der Unterschichtverwaltung vor, die vulgo Hartz IV genannt wird. Die Unterschicht soll dazu verdammt sein, sich als Faktotum zu verdingen. Als Mädchen für alles und somit als Mädchen für nichts. Für die, die man in die Gosse des Arbeitsmarktes stoßen will, ist nicht jede Arbeit zumutbar, sondern so gut wie jede Zumutung nennt sich dort Arbeit. Niemand sonst würde tun, was Chinaski und der Unterschicht zugemutet wird.

Ob Bukowksi wohl an Fuck totum!, Fickt euch doch alle! gedacht hat, als er seinen Roman taufte? Unter dieser Losung firmiert der Gemeinsinn in einer Schicht, die keine pekuniäre Sicherheit, keine Planbarkeit kennt und halb rechtlos gehalten wird. Wieviel mehr sollte man dort unten auch von einer solchen Gesellschaft halten?


Hier weiterlesen...

Kurz kommentiert

Dienstag, 9. Juli 2013

"Das wichtigste Tennisturnier der Welt in Wimbledon wurde zum Minderheitenprogramm. Man darf gespannt sein, ob Sabine Lisicki bei ARD und ZDF einen Sinneswandel bewirkt hat."
- Wolfgang Scheffler, Frankfurter Allgemeine vom 7. Juli 2013 -
Zum Gesagten sei angemerkt: Schwand das öffentliche Interesse an Tennis nur, weil ARD und ZDF nicht mehr davon berichteten? Scheffler sieht an der Realität im sportiven Deutschland vorbei. Denn er stellt es so hin, als sei das Interesse für eine Sportart alleine von der Berieselung abhängig. Ist es aber nicht. Sport ist in Deutschland immer dann massentauglich, wenn es einen Deutschen gibt, der dort Erfolge einsammelt. Wäre Vettel nicht Schumacher gefolgt, wäre die Formel 1 nur noch eine Randnotiz. Der Radsport ist nach dem Abgang Ullrichs dort angelangt, wo er über Jahrzehnte war: Im öffentlichen Niemandsland. Sollte ein neuer Pedaleur mit Tour-Ambitionen aus Deutschland kommen, wird das Interesse plötzlich wieder entfacht und alle Doping-Schmähungen sind dann erst mal ausgeblendet.

Eine Begeisterung der Massen für Tennis gab es in Deutschland nie. Es gab stets nur eine Begeisterung der Massen für "deutsches Tennis". Für Becker und Graf, manchmal für Stich und Huber. Das ist ein gravierender Unterschied, den Scheffler kaum zur Kenntnis nimmt. Würde er das, hätte er den öffentlich-rechtlichen Sendern schon vorher mal ans Herz legen sollen, sich wieder stärker dem Tennis zuzuwenden. Doch dazu brauchte es jetzt mal eine Finalteilnahme einer deutschen Tennisspielerin. Vorher hat sich auch Scheffler dafür nicht interessiert. Insofern ist Schefflers Überschrift, "Tennis ist wieder quotenfähig" völlig realitätsfern - richtig ist: Deutsche Erfolge im Tennis sind quotenfähig; und sie sind nicht "wieder quotenfähig", denn das waren sie immer. Das ist auch der Grund, warum sich zur Fußball-Weltmeisterschaft so viele Ahnungslose um diesen Sport tummeln und Leute über Lisickis Rückhand sprechen, als sei das die Marke eines Racketherstellers.

Es ist aber vermutlich nicht fair, die Verantwortung für die Sportentgeisterung alleine beim Publikum zu suchen, das ja plötzlich kein Publikum mehr sein will. Denn wahrscheinlich geht sie aus einer Wechselwirkung hervor. Die Sender strahlen weniger Sportarten ohne oder mit nur marginaler deutscher Beteiligung nicht mehr aus, weil sie weniger Zuschauer vermuten und die Zuschauer entfiebern sich von der jeweiligen Sportart, weil die Berichterstattung spärlicher wird und Unwichtigkeit suggeriert.

Gleich wie, dass in den Kommentarspalten ausgerechnet jetzt Aufrufe zu mehr Tennis im Fernsehen zu lesen sind, hat nichts mit Liebe zum Sport zu tun, sondern das sind Ausformungen einer dümmlich chauvinistischen Wir-sind-wieder-wer!-Mentalität, die genau so lange herhält, wie es deutsche Erfolge darin gibt.


Hier weiterlesen...

Femme fatalistisch

Montag, 8. Juli 2013

Dieses Land ist im Wahlkampf und gleichzeitig im Stillstand. Es ist, als sei alles nur noch Formsache. Die Tragik dabei ist: Es ist alles nur noch Formsache. Wir haben uns im Merkelismus eingerichtet. Haben uns abgefunden mit einer Politik, die totspart, die keinen roten Faden und Ideale kennt und die mit dem Sozialstaat umgeht, wie eine Abrissbirne mit einer Ruine.

Die Zeitungen beschreiben wieder mal einen Zustand, den es nicht gibt. Sie bilden ein Land ab, das im September eine Wahl vollzieht. Sie suggerieren eine gesunde Demokratie, in der die Alternative trotz alternativloser Politik noch wach ist. Nur ist die Wahl keine Wahl, denn der Herausforderer ist ein unglaubhafter Opportunist, der mit seinem Technokraten-Charisma niemanden vom Hocker reißt.

Die ewige Wiederkehr des
"Weiter so!"
Es ist wie eine Wiederbelebung der Adenauer- und der Kohl-Ära. Immer wenn ein Konservativer Kanzler ist, fällt dieses Land in Lethargie und findet sich mit dem ab, was gespielt wird. Das muss man konservativen Regierungen lassen: Sie impfen, verdummen, verängstigen die Wähler so sehr, dass die meinen, alles andere als die amtierende Regierung käme einen Weltuntergang gleich. Sie immunisieren die Bevölkerung gegen den Pluralismus, der "den guten Weg, auf dem wir uns befinden" gefährdet. Sie machen klar, dass wir "Keine Experimente!" machen dürfen. Mit dem guten Eindruck von Beharrlichkeit in einem kleinkarierten und unsozialen Ist-Zustand ködern sie die Wähler. Besser eine konservative Scheißregierung als gar keine Regierung!

Merkel bleibt. Vielleicht ist der Partner Verhandlungssache. Das wars aber schon. Hört man sich so um in seinem Umfeld, dann ist dieses Weiter so! so wenig zweifelhaft wie diskutabel. Man nimmt es stoisch hin, als könnte man sich die Wahl auch gleich sparen. Politisch gesehen sind wir gelähmter denn je. Schon die Wahlkämpfe der letzten Jahre waren lähmende Veranstaltungen, bei denen es nicht um Politik, sondern um Parteipolitik ging. Gesellschaftliche Fragen kamen in diesen Wahlkämpfen immer nur als Fragen finanzieller Möglichkeiten und ökonomischer Vernunft vor. Dass dieser aktuelle Wahlkampf nicht mal mehr mit Parolen hantiert, in gesetzter Schweigsamkeit begangen wird, das ist die Vollendung eines seit Jahren gärenden unpolitischen Klimas.

Mir sagte letztens einer, spätestens im nächsten Jahr schicke Merkel wieder Gelder nach Griechenland. Die Aussage alleine war schon Ausbund von Ahnungslosigkeit. Ich antwortete wider besseren Wissens: Die muss zunächst mal gewählt werden. Er: Ach, wann ist denn Wahl? Können sich die Menschen überhaupt noch dieses Land ohne dieser Frau vorstellen? Manchmal hat man den Eindruck, Merkel hatte keinen Anfang und nimmt kein Ende. Der letzte, bei dem es so war, findet sich im Alten Testament.

Man wird den Eindruck nicht los, dass sich zwar niemand auf die Wahl vorbereitet, wohl aber jeder auf das, was danach folgt. Man tut so, als sei der schon letztes Jahr in Aussicht gestellte Kahlschlag des Sozialstaates - man denke nur an die stets neu bemühte Studie, wonach das Kindergeld verpuffe! (Wetten, dass die nochmal wichtig wird!) -, unumgänglich und unvermeidbar, gibt sich fatalistisch dem Merkelismus hin. Rücklagen schaffen und erhalten, jetzt noch Vorteile verbuchen, sich auf das dicke Ende einstellen. Die Sparpolitik wird auch Deutschland erfassen. Es ist, als ob dies jeder insgeheim wüsste, ohne Konsequenzen daraus ziehen zu wollen.

Ist diese Haltung innere Emigration? Was wir im Bezug auf diesen Fatalismus namens Merkel beobachten können: Optimismus ist in diesem Klima nur eine Lebenseinstellung der Funktionseliten. Sonst nur Pessimismus und Verdrossenheit und ein dumpfes Ohnmachtsgefühl. Manche geben sich kämpferisch, wollen Merkel nicht wählen, weil sie den Griechen deutsches Geld in den Hintern geschoben hat: Rebellen in Zeiten, da Ahnung und strukturiertes Denken zwischen RTL und Bildzeitung verjuxt wurde.

War es dasselbe Klima von Regungslosigkeit und Verzagtheit, das die jungen Menschen in der Ära Adenauers befiel? Erstickte Schröders neuer Konservatismus ein ganz ähnliches Gefühl nach den vielen Jahren mit dem Oggersheimer?


Hier weiterlesen...

Neusprech

Freitag, 5. Juli 2013

Heute: Service
"Auch bei der Telekom erhalten Sie als Kunde einen sehr umfangreichen und ausgewogenen Service. Sie haben die Möglichkeit bei einem Problem jederzeit auf einen umfassenden Telekom Service zurückzugreifen."
- Deutsche Telekom -
Das schwammige Plastikwort "Service" erreicht bei der Suchmaschine google ungefähr 6.000.000.000 Ergebnisse. Es ist eines der absolut zentralen Begriffe der ökonomischen Lebenswelt. Er bezeichnet die Dienstleistung am und für den Kunden. Es gibt Service-Zentralen, Service-Management, Service-Mitarbeiter, Service-Rufnummern und vieles mehr. Stets suggerieren Kundennähe, Kundenpflege und Kundenorientierung, dass man die Wünsche und Bedürfnisse des Verbrauchers ernst nehmen würde. Mit der Realität hat das meist wenig zu tun.

Hier weiterlesen...

Zwischenmenschlichkeit im regen Wechsel

Im regelmäßigen Intervall einen neuen Sachbearbeiter oder Fallmanager vor die Nase gesetzt zu bekommen, ist für Hartz IV-Berechtigte nicht selten. Mit Neustrukturierung der Verwaltung hat dieses Vorgehen allerdings wenig zu tun. Es geht nur darum, potenzielle Bezugspersonen zu vermeiden.

Gewundert hatte ich mich schon, dass man mir ständig einen neuen Sachbearbeiter vor die Nase setzte. Das Jobcenter erklärte das mit Neustrukturierung innerhalb des Verwaltungsapparates. Erst im Laufe der Zeit habe ich entdeckt, dass dies das Los aller Langzeitarbeitslosen ist. Mit welchem Leidensgenossen ich auch (jobcenterübergreifend) ins Gespräch kam: Die meisten wussten von immer neuen Köpfen zu berichten, die man ihnen vorsetzte. Wenn es wieder hieß, man sollte vorbeischauen, um über die "persönliche Bewerbersituation" zu sprechen, dann konnte man damit rechnen, gleich noch einen neuen Ansprechpartner kennenzulernen.

Strukturieren die Jobcenter in diesem Lande nur? Oder hat das nicht etwa System?

Die Idee des Fallmanagements beabsichtigte - jedenfalls in der Theorie -, dass sich der Arbeitsvermittler in die Situation des Erwerbslosen hineintasten sollte. Er sollte Umfeld und persönliche Geschichte aufgreifen und das mit seiner Vermittlungsarbeit verknüpfen. Problem ist hierbei nur, dass halbwegs emotional intelligente Arbeitsvermittler einen menschlichen Bezug zu ihrer "Kundschaft" entwickeln können. Und plötzlich ist nicht mehr gewährleistet, dass der eisige Hauch des Sozialgesetzbuches mit der notwendigen Professionalität ins Gesicht der Langzeitarbeitslosen geblasen wird.

Der rege Wechsel der Bezugsperson am Amt soll wahrscheinlich den Hannemann-Faktor minimieren. Mitarbeiter des Jobcenter mit Verständnis oder gar Mitleid verunmöglichen dieses aus Gängelei und Unterstellung bestehende Tagesgeschäft nachhaltig. Der Büttel hat Büttel zu bleiben und soll nicht dieser fixen Idee von Zwischenmenschlichkeit erliegen, nach der er sich einbildet, plötzlich als Bürger vor dem Bürger sitzt zu müssen.

Die Umsetzung des Fallmanagements wird insofern eigentlich unterbunden. Sobald ein Fallmanager ein komplexes Bild von dem Erwerbslosen hat, der da vor ihm sitzt, wird es für ihn schwieriger, Druck anzuwenden. Beim eher abstrakten Arbeitslosen, den die Jobcenter ihrem Personal theoretisch lehren, gibt es weniger Hemmungen. Wenn man sich aber annähert, sich vielleicht sogar sympathisch wird, dann wird das ganze Menschenbild, das im SGB II vermittelt wird, ad absurdum geführt. In dem ist der Mensch zwischen den Zeilen als stimulierbarer organischer Apparat, der auf Anreize wie Drohung mit materieller Armut gefügig gemacht werden kann, beschrieben. Wenn man sich aber kennt, versteht und als Mensch mit Sorgen und Nöten betrachtet, dann geht dieser ganze feine Plan nicht auf.

Der Wechsel der Zwischenmenschlichkeit hat natürlich einen schönen Nebeneffekt für die Behörde. Der Langzeitarbeitslose zermürbt sich, erklärt dem neuen Ansprechpartner abermals seine Situation, wie schon den vier Arbeitsvermittlern vor ihm. Reibt sich auf im Repetitio seiner wechselhaften Bezugspunkte, läuft gegen einen für ihn immer kafkaesker werdenden Apparat an.

Mit jedem neuen Gesicht wuchs in mir die Angst: Was ist das für ein Mensch? War es doch mühevoll genug, den Vorgänger zu "domestizieren". Nach einer Weile konnte ich mir meinen jeweiligen Sachbearbeiter ganz gut ausrechnen. Ich schuf ja immer ganz offensiv menschliche Berührungspunkte, lotste das Gespräch auf private Gefilde - Smalltalk zwischen Sanktionsandrohung und Beweislastumkehr. Das war manchem ganz offensichtlich zuwider. Wahrscheinlich ahnte er, dass ich an meiner Vermenschlichung in seinen Augen arbeitete.

Ich stelle mir vor, wie die Dienststellenleiter diverser Jobcenter einen auf Colonel Kurtz machen. Sie raunen nicht wie der "Das Grauen! Das Grauen!", sondern "Das Menscheln! Das Menscheln!" - was letztlich für sie auf dasselbe hinausläuft.


Hier weiterlesen...

Ein Bündnis zwischen Mob und Elite

Donnerstag, 4. Juli 2013

Ob Arbeiter oder Angestellter – viele Menschen dieses Landes glauben, dass Ausländer ihnen den Arbeitsplatz wegnehmen. Höhere Gesellschaftsschichten applaudieren: Die genetische Wettbewerbsfähigkeit der Bevölkerung sei gefährdet. Der Rassismus wirkt klassenübergreifend.

Zwei jüngere Episoden aus meinem Alltag: Eine prekär beschäftigte Person klagt über seine berufliche Stagnation. Ausländer seien schuld, die nach Deutschland kämen und den Sozialstaat unbezahlbar machten. Wegen denen müsse er prekarisiert schuften. Die andere Episode: Ein Unternehmer spricht von der Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte. Er betont, man dürfe nicht die falschen Menschen ins Land holen, die Leistungskraft nicht geschmälert werden – dieser Ex-Senator aus Berlin hätte schon in die richtige Kerbe geschlagen.

Hier weiterlesen...

Das Märchen von Rose Joads Titten

Mittwoch, 3. Juli 2013

Wenn es erst mal allen schlechter gehe, dann würde die soziale Frage wieder mit mehr Nachdruck beantwortet. So hört man das als Alltagsweisheit recht häufig. Und genau das ist Unfug. Denn wenn wir mehrheitlich in Not und Armut rutschen, dann ist es für Veränderungen zu spät.

Die edle Armut, die die Armut säugt?
Erst kürzlich impfte mich so ein Kerl mit dieser These. Merklich gehe es allen schlechter, sagte er. Aber in Deutschland geschähe nichts, weil die Situation a) immer noch nicht schlecht genug sei und b) immer noch zu wenig Menschen litten. Massenweise Leid sei nämlich der Motor der Hilfsbereitschaft und letztlich der Treibstoff für soziale Veränderungen. Die Armut, die sich in die Mitte der Gesellschaft schleicht, würde demnach eine soziale Dynamik entwickeln. Wenn Armut ein Massenphänomen wird, dann wachen die Menschen endlich auf.

Ich musste sofort ganz unwillkürlich an die Brüste von Rose Joad denken. Die hatte in John Steinbecks Roman "Früchte des Zorns" eine Totgeburt. Das war wenig verwunderlich, denn Rose war ein Martyrium widerfahren. Sie war die Tochter einer Farmerfamilie, die in den Vereinigten Staaten der Depressionsjahre nach Kalifornien aufbrach, um dort ihr Glück zu machen. Doch es erwartete sie nur Hunger und Misstrauen; sie verlor Angehörige und ihr Mann lief ihr davon. Letztlich kam ihr Kind tot zu Welt und was ihr davon blieb war ein kümmerlicher Milcheinschuss. In einer Hütte suchten die Joads Obdach und fanden darin einen Jungen und seinen Vater. Beide waren ausgehungert - der Mann jedoch so sehr, dass er dem Tode nahe war. Ihm etwas zu essen zu geben, war nicht möglich, sie hatten ja selbst nichts. Rose aber setzt sich zu ihm, bettet den Kopf des Mannes auf ihre Brust, fummelt sich die Brustwarze aus der Bluse und gibt ihm die Milch, die eigentlich für ihr Kind bestimmt war.

Nun war Steinbeck ein Schriftsteller mit sozialromantischen Hang. Er liebte es, die Menschlichkeit ins tiefste Jammertal zu verfrachten. "Früchte des Zorns" endet mit dieser Szene und Steinbeck drückte damit aus, dass die menschliche Hilfsbereitschaft unendlich ist. In seinem gesamten Werk sind viele seiner Charaktere unbeschreiblich arm, aber immer auch kollegial und edelmütig. Realist war Steinbeck nur in der Szenerie, in die er seine Romane ansiedelte; die Charaktereigenschaften seiner Figuren waren hingegen fast immer idealisiert. Das ist das Recht des Künstlers - eine Kopie der Wirklichkeit muss er nicht abliefern. Manchmal ist es nur eine Abstraktion der Realität. Aber realistisch betrachtet ist die Armut kein sehr nährreicher Boden, um ebendiese Armut zu stillen. Jorge Semprún hat diese Erkenntnis einst wesentlich realistischer gezeichnet - ich schrieb darüber vor gut zwei Jahren.

In die Gedanken zu Roses Brüsten, mischten sich Berichte, die ich über die Slums und Favelas gesehen hatte. Ich konnte mir eine Rose Joad dort nicht vorstellen. Aber ich hörte von Egoismus, von Gewalt und dem Recht des Stärkeren. Und ich nehme daher an, dass im wirklichen Leben die Armut keine Grundlage ist, um der Armut an den Kragen zu wollen. Von welcher Substanz soll der Einsatz gegen die Armut und der Kampf für mehr materielle Gleichstellung auch herkommen? Von welcher Energie soll man Kraft abzwacken?

Nee, Kumpel, habe ich geantwortet. Nee, wenn es uns allen schlechter geht, dann gibt es nur eine Wahrheit. Nämlich die: Dann geht es uns einfach allen schlechter. Und nichts, aber auch gar nichts, deutet darauf hin, dass es dann besser werden könnte.

Ich nehme nicht an, dass der Typ besonders viel von Hegel gelesen hatte. Gut, Hegel ist ja auch so gut wie unlesbar. Wer dem gesagt hat, er könne schreiben ... aber das ist eine andere Geschichte. Trotzdem argumentierte er quasihegelianisch. Bemühte des Philosophen Welterklärungsmuster namens List der Vernunft, also den Niedergang als Trick der Geschichte, um eine nächste Entwicklungsstufe zu erklimmen. Erst der Niedergang durch Massenarmut und dann der Aufschwung zur Teilhabe: Wenn das mal nicht so eine Vernunftslist sein soll!

Natürlich klingt das irgendwie auch logisch, was der Kerl da meinte. Und das meinen ja viele Menschen, nicht nur er. Sie wissen freilich auch, dass sie von den Reichen nichts zu erwarten haben. Die Reichen werden sicherlich nicht der Motor der sozialen Frage sein. Und das sehe ich nicht anders. Milliardäre werden sicherlich nicht gegen die Armut anrennen, denn das könnte bedeuten, dass sie schon bald keine Milliardäre mehr sind. Einen solchen Einsatz gibt die Ideologie des Reichtums nicht her. Nur wahr ist auch: Wer im täglichen Überlebenskampf steckt, zwischen der fragenden Ungewissheit, morgen überhaupt etwas zum Essen zu haben und der Furcht, ab nächsten Monat ohne Dach über dem Kopf zu sein, der hat andere Probleme als die soziale Frage. Wenn einem die eigene Existenz fraglich wird, werden abstrakte Fragen ausgeblendet.

Insofern ist die Verarmung auf Massenbasis nicht der Motor zu Verbesserung, sondern eine Abwärtsspirale, schafft ein immer egoistischeres Gemeinwesen, in dem die Armen nicht aufeinander blicken, sondern sich argwöhnisch beäugen. Die Not im KZ, so beschreibt es ja auch der oben genannte Semprún, hat nicht Solidarisierung der Notleidenden bewirkt, sondern einen Überlebenskampf untereinander entfacht. Und wer das Werk Bukowskis kennt, der hat eine konkrete Vorstellung davon, wie in der Unterschicht getreten und gekratzt wird, um irgendwie über die Runden zu kommen.

Rettende Titten, wie jene von Rose, sind ein Märchen. Es gibt sie in Romanen - sonst nirgends. Reiche Gestalten haben sich milchspendende Ammen geleistet, sieche Bischöfe ließen sich säugen. Aber nie hat die Armut der Armut eine Amme gegeben. Edle Armut ist ein Ammenmärchen.

Ich habe das dem Kerl zu erklären versucht. Seine logische Frage war: Wer denn sonst? Der Plattner vielleicht oder der Hopp? Ich antwortete sinngemäß, dass es eigentlich Aufgabe wehrhafter Demokraten aus der Mitte der ganzen Substanz wäre. Aber die ist ideologisch so eingespannt in einen ökonomischen Biologismus, der lehrt, dass der Starke sich damit rechtfertige, dass er wirtschaftlich aufblüht und der Schwache schwach sei, weil er arm ist, dass auch dieses eigentlich natürliche Segment gesellschaftlicher Dynamikanschiebung ausscheidet. Der Kerl sagte Aha, drehte sich um und ging weg.


Hier weiterlesen...

  © Free Blogger Templates Columnus by Ourblogtemplates.com 2008

Back to TOP