Not my president - aber wer war das schon je?
Mittwoch, 29. Februar 2012
Endlich erhalten wir den Bundespräsidenten, den wir immer wollten. Den wir uns wünschten, den die Würde des Amtes sich verdient hat. Plötzlich tat dieses Land ja so, als es die wulffischen Affären wahrnahm, als liege da irgendeine Würde irgendeines Amtes darnieder - als kümmerten Amtswürden ansonsten so sehr, als dass sie zur metaphysischen Frage eines ganzen Volkes taugten. Es sieht so aus, als sei die Wahl des Bundespräsidenten, eigentlich nicht mehr als ein Vorgang, der sich qua Verfassung ergibt, das politische Event des Jahres, eine unbeschreibliche Sensation. Gauck, der Popstar - Gauck, die Ikone der bürgerlichen Sattheit - Gauck, der freiheitliche Fetisch, der vom sozialstaatlichen Tand entkleidet ist. Weil er durch den freundlichen Beistand des Springer-Konzerns in Bellevue "hineinputschte", scheinen jetzt alle Sorgen, die dieses Land je hatte, plötzlich gebannt. Gauck, der Gesalbte, von den etablierten Parteien mit allen Salben Eingeriebene, Eingefettete, Geschmierte.
Ich las an jenem Freitag, da Wulff zurücktreten sollte, dass eine Presseerklärung angesetzt sei - mir war klar, Wulff würde seinen Rücktritt erklären. Doch zum Zeitpunkt der Presseerklärung war ich bereits am Bahnhof, musste quer durch die Republik reisen. Auf meiner Fahrt, in den verschiedenen Bahnhöfen, auf den Bahnsteigen: nirgends kümmerte sich jemand um die vakante Bundespräsidentschaft. Man hörte nichts, man lauschte keinem Gespräch, welches dies als Gegenstand hatte - niemanden juckte es, die Reisestrapazen lenken von solchen Elitescharmützeln ab. Das war Sinnbild für den eigentlichen Gehalt, den etwaige Ranküne um Staatsämter, für das Volk wirklich besitzen. Man nimmt Bundespräsidenten als enthobene Boulevardseiten-Füller wahr, nicht als prägende Gestalten des öffentlichen Lebens. Tritt einer zurück, so tritt eben ein neues Exemplar nach - der Boulevard verhungert sicher nicht. Das Geschrei der Medien, das nun den "besten aller möglichen Präsidenten" postuliert, es hat mit der Lebensrealität der Menschen jedenfalls überhaupt nichts gemein...
"Not my president"-Bildchen findet man nun auf Blogs, in Foren, überall dort, wo die Netzgemeinde, dieses abstruse Gebilde, das nur in Köpfen von internetfernen Journalisten lebt, gegen Gauck poltert - sie tut das natürlich unreflektiert und polemisch, wissen die Medien jetzt, da sie Gauck schrubben und wienern und blitzeblank feudeln. Ein verdammter Heiliger soll nach Bellevue - darunter macht es das Bundespräsidenten-Konklave nicht mehr. Ich halte das Gerede und Button-Zurschaugestelle von "Not my president" für irreführend. Denn ehrlich gesagt, ich hatte noch nie einen Präsidenten. Ich wurde nie gefragt, durfte nie meinen Arm in einer Bundesversammlung heben. Der Bundespräsident ist immer nur der Präsident einiger hundert Leute gewesen. Wulff war nicht mein Präsident - Köhler dreimal nicht - und Gauck wird es noch weniger sein. "Not my president" muß man nicht explizit bei Gauck verkünden; das Amt des Bundespräsidenten ruht auf dieser Prämisse, dass er ganz sicher nicht mein Präsident sein wird - die Buttons, die diesen Wahlspruch künden, sie sind die Konstante jeder Bundespräsidentschaft. Es gab Exemplare mit denen man leben konnte. Wulff hat mich da überrascht. Wer jedoch unter mir Bundespräsident war, durfte ich nie bestimmen.
Es ist daher auch besonders ärgerlich, wenn selbst eine Wahl, bei der das Souverän keinerlei Einfluss hat, nicht mal mit Alternativen gestaltet wird, weil sich alle Parteien auf einen Kandidaten fixieren und ihn damit indirekt zum Pop-Star erheben. Einigkeit und Recht und Freiheitsmetaphorik - so reden sie nun alle, die ihre Krawatten in Parteifarben tragen. Mit dem Burgfrieden in die Bundesversammlung - das ZK des kapitalistischen Deutschlands tagt und ist sich einig. Fast einstimmiger Beschluss? Und die Presse, sie wirft dem knalligen und poppigen Star ihr Höschen auf die Bühne, schreit irr, deliriert schier, hechelt nach Luft. Wo bleibt eigentlich der Bravo-Starschnitt in Spiegel und Stern? Manche Feuilletonistin soll schon geschrieben haben Gauck, ich will ein Kind von dir! Nicht so stumpf natürlich, sondern wortreich, blumig, in erotomanischer, doch eloquenter Hitzewallung.
Gauck ist mehr als nur ein Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten. Ich meine damit nicht, dass er quasi nie Kandidat hierzu sein wird, weil er de facto schon Bundespräsident ist. Ich meine, dass die Berichterstattung aus diesem Menschen ein kollektives Gefühl zu machen trachtet, ein bürgerliches Gruppenkuscheln. Gauck ist ja nicht irgendeiner - er ist der Bundespräsident. War er schon vorher, da noch mit dem Zusatz "der Herzen" ausgestattet. Wie einst die Gemahlin des britischen Thronfolgers eine Prinzessin war, die auf Herzen baute - Gauck ist die Diana des politischen Bürgertums. Wie konnten wir nur ohne Gauck als obersten Herrn dieses Landes leben? Die Medien lassen den Eindruck entstehen, dass diese Republik nun am Ziel angelangt sei, weil sie einen moralisch untadeligen Theologen, einen Savonarola von der Ostseeküste an ihrer Spitze voranträgt. Einen Präsidenten, auf den man gewartet hat - und auf dessen Werdegang man sich schon mal Buchtitel patentieren ließ? Die Biographie mit Happy End lag schon bereit - Springer hat nur etwas länger gebraucht...
Doch letztlich ist es nur die feierliche Inthronisierung eines Grüßonkels. Dass der Verträge und Gesetzestexte unterschreiben darf und muß, das erschreckt durchaus. Aber tun wir mal nicht so, als hätte Wulff, alles was auf seinem Schreibtisch gekommen wäre, nicht unterschrieben. Der, der vormals nicht meiner, nicht unser Präsident war, hätte das auch unterschrieben, was der, der jetzt nicht meiner, nicht unser Präsident ist, jetzt unterschreiben wird. Denn eines bleibt sicher: Keiner, der Bundespräsident wird, war je meiner, war je unser Präsident.
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Ich las an jenem Freitag, da Wulff zurücktreten sollte, dass eine Presseerklärung angesetzt sei - mir war klar, Wulff würde seinen Rücktritt erklären. Doch zum Zeitpunkt der Presseerklärung war ich bereits am Bahnhof, musste quer durch die Republik reisen. Auf meiner Fahrt, in den verschiedenen Bahnhöfen, auf den Bahnsteigen: nirgends kümmerte sich jemand um die vakante Bundespräsidentschaft. Man hörte nichts, man lauschte keinem Gespräch, welches dies als Gegenstand hatte - niemanden juckte es, die Reisestrapazen lenken von solchen Elitescharmützeln ab. Das war Sinnbild für den eigentlichen Gehalt, den etwaige Ranküne um Staatsämter, für das Volk wirklich besitzen. Man nimmt Bundespräsidenten als enthobene Boulevardseiten-Füller wahr, nicht als prägende Gestalten des öffentlichen Lebens. Tritt einer zurück, so tritt eben ein neues Exemplar nach - der Boulevard verhungert sicher nicht. Das Geschrei der Medien, das nun den "besten aller möglichen Präsidenten" postuliert, es hat mit der Lebensrealität der Menschen jedenfalls überhaupt nichts gemein...
"Not my president"-Bildchen findet man nun auf Blogs, in Foren, überall dort, wo die Netzgemeinde, dieses abstruse Gebilde, das nur in Köpfen von internetfernen Journalisten lebt, gegen Gauck poltert - sie tut das natürlich unreflektiert und polemisch, wissen die Medien jetzt, da sie Gauck schrubben und wienern und blitzeblank feudeln. Ein verdammter Heiliger soll nach Bellevue - darunter macht es das Bundespräsidenten-Konklave nicht mehr. Ich halte das Gerede und Button-Zurschaugestelle von "Not my president" für irreführend. Denn ehrlich gesagt, ich hatte noch nie einen Präsidenten. Ich wurde nie gefragt, durfte nie meinen Arm in einer Bundesversammlung heben. Der Bundespräsident ist immer nur der Präsident einiger hundert Leute gewesen. Wulff war nicht mein Präsident - Köhler dreimal nicht - und Gauck wird es noch weniger sein. "Not my president" muß man nicht explizit bei Gauck verkünden; das Amt des Bundespräsidenten ruht auf dieser Prämisse, dass er ganz sicher nicht mein Präsident sein wird - die Buttons, die diesen Wahlspruch künden, sie sind die Konstante jeder Bundespräsidentschaft. Es gab Exemplare mit denen man leben konnte. Wulff hat mich da überrascht. Wer jedoch unter mir Bundespräsident war, durfte ich nie bestimmen.
Es ist daher auch besonders ärgerlich, wenn selbst eine Wahl, bei der das Souverän keinerlei Einfluss hat, nicht mal mit Alternativen gestaltet wird, weil sich alle Parteien auf einen Kandidaten fixieren und ihn damit indirekt zum Pop-Star erheben. Einigkeit und Recht und Freiheitsmetaphorik - so reden sie nun alle, die ihre Krawatten in Parteifarben tragen. Mit dem Burgfrieden in die Bundesversammlung - das ZK des kapitalistischen Deutschlands tagt und ist sich einig. Fast einstimmiger Beschluss? Und die Presse, sie wirft dem knalligen und poppigen Star ihr Höschen auf die Bühne, schreit irr, deliriert schier, hechelt nach Luft. Wo bleibt eigentlich der Bravo-Starschnitt in Spiegel und Stern? Manche Feuilletonistin soll schon geschrieben haben Gauck, ich will ein Kind von dir! Nicht so stumpf natürlich, sondern wortreich, blumig, in erotomanischer, doch eloquenter Hitzewallung.
Gauck ist mehr als nur ein Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten. Ich meine damit nicht, dass er quasi nie Kandidat hierzu sein wird, weil er de facto schon Bundespräsident ist. Ich meine, dass die Berichterstattung aus diesem Menschen ein kollektives Gefühl zu machen trachtet, ein bürgerliches Gruppenkuscheln. Gauck ist ja nicht irgendeiner - er ist der Bundespräsident. War er schon vorher, da noch mit dem Zusatz "der Herzen" ausgestattet. Wie einst die Gemahlin des britischen Thronfolgers eine Prinzessin war, die auf Herzen baute - Gauck ist die Diana des politischen Bürgertums. Wie konnten wir nur ohne Gauck als obersten Herrn dieses Landes leben? Die Medien lassen den Eindruck entstehen, dass diese Republik nun am Ziel angelangt sei, weil sie einen moralisch untadeligen Theologen, einen Savonarola von der Ostseeküste an ihrer Spitze voranträgt. Einen Präsidenten, auf den man gewartet hat - und auf dessen Werdegang man sich schon mal Buchtitel patentieren ließ? Die Biographie mit Happy End lag schon bereit - Springer hat nur etwas länger gebraucht...
Doch letztlich ist es nur die feierliche Inthronisierung eines Grüßonkels. Dass der Verträge und Gesetzestexte unterschreiben darf und muß, das erschreckt durchaus. Aber tun wir mal nicht so, als hätte Wulff, alles was auf seinem Schreibtisch gekommen wäre, nicht unterschrieben. Der, der vormals nicht meiner, nicht unser Präsident war, hätte das auch unterschrieben, was der, der jetzt nicht meiner, nicht unser Präsident ist, jetzt unterschreiben wird. Denn eines bleibt sicher: Keiner, der Bundespräsident wird, war je meiner, war je unser Präsident.