Das bezeichne ich nicht als Bürger!

Mittwoch, 30. September 2009

Nicht dass man niedergeschlagen sein müßte, falls man Hans Rudolf Wöhrls Definition, wann man als Bürger gelten dürfe und wann auf keinen Fall, nicht entspricht. Es ist kein nennenswertes Ziel, zu jenem bürgerlichen Kreis aufschließen zu wollen, in dem sich Wöhrl und seine Spießgesellen räkeln. Kein halbwegs belesener Mensch möchte innerhalb von Hinterfotzigkeit, Wichtigtuerei und Aufgeblähtheit ausharren, die in jenen Sphären Bürgertum stets bedeuten. Nein, es ist wahrlich kein Ziel, den bürgerlichen Entsprechungen des Wöhrls zu genügen.

Und dennoch heißt es Ohren spitzen, wenn uns Wöhrl die bürgerliche Welt erklärt: "... also, ich betrachte alle Leute nicht als Bürger, die nur - und zwar ausschließlich - den Staat diffamieren, die nur vom Staat Forderungen stellen und eigentlich nicht bereit sind, Gegenleistung zu bringen - das bezeichne ich nicht als Bürger." Wen er damit wohl meint? Es liegt nahe, die einfachsten Schlüsse zu ziehen, denn gemeinhin ist bei denen, die vorgeben, die Köpfe der Bürgerswelt zu sein, nicht mit Tiefgründigkeit zu rechnen. Keine Gegenleistung bringen Arbeitslose. Dafür stellen sie unentwegt Forderungen. Das ist in dieser Republik keine rauschige Stammtischparole mehr, das ist mittlerweile Standardrepertoire jedes ernstzunehmenden Demokraten. Man darf sich sicher sein, dass Wöhrl genau jene meinte. Gabor Steingart, Wöhrl in jener palavernden Runde schräg gegenüber sitzend, schritt ein. Selbstverständlich seien auch Arbeiter Bürger, diese historische Sichtweise sei heute passé. Natürlich, Steingart, der Sozialstaatsfeind, der seit Jahren nur neoliberalen Unsinn nachbetet, ergreift lediglich für jene das Wort, die auf Transferleistungen nicht angewiesen sind, die ihm nicht auf der Geldbörse liegen. Dem Arbeitslosen wollte er jedoch keine Bürgerrechte nachsagen, die verschwieg er einfach, obwohl offenbar war, dass Wöhrl nicht solche meinte, die auf dem freien Arbeitsmarkt Unterschlupf gefunden haben.

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Sit venia verbo

"Soziales Elend bringt keine automatische Linksentwicklung, schon gar nicht im autoritären, reaktionären Deutschland. Hier hat linker Widerstand keine erfolgreiche Tradition. Ein emigrierter Jude, vor deutschen Mördern geflohen, brachte erst in den 1960ern das Recht auf »résistance« nach Deutschland zurück. Herbert Marcuse sagte: "Ich glaube, dass es für unterdrückte und überwältigte Minderheiten ein "Naturrecht" auf Widerstand gibt, außergesetzliche Mittel anzuwenden, sobald die gesetzlichen sich als unzulänglich herausgestellt haben. […] Es gibt keinen anderen Richter über ihnen außer den eingesetzten Behörden, der Polizei und ihrem eigenen Gewissen. Wenn sie Gewalt anwenden, beginnen sie keine neue Kette von Gewalttaten, sondern zerbrechen die etablierte." (Aus: Repressive Toleranz, 1964)

In der letzten Rede vor seinem Tod, im Juni 1968, stimmte der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, dem wir verdanken, dass es die Auschwitzprozesse in den 1960ern gegeben hat, explizit diesen Aussagen Marcuses zu: "Das ist ganz in Übereinstimmung mit dem, was Gemeingut der Rechtsgeschichte ist."

Wenn es also darum geht, "alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist", wie Karl Marx es formulierte, ist die herrschende Ordnung zu erschüttern. Es ist die schönste vorstellbare Utopie, in einer Welt zu leben, in der alle Menschen, die Chance haben, ihr ganzes soziales, intellektuelles und kreatives Potenzial frei zu entfalten. Ein menschenwürdiges Leben für alle in einer Gesellschaft ohne Lohnarbeit und Kapital und ohne das grenzenlose Wachstum des kapitalistischen Wirtschaftens mit seinem Zwang zu Profit, Konsum und Konkurrenz."
- Jutta Ditfurth, "Was tun? Und mit wem?" -

Vorbelastet sind sie alle

Dienstag, 29. September 2009

Im Kadaver gärt es. Gesucht wird ein neuer Anführer, der es sich zutraut, den Batzen quirliger Aaskäfer zu befehligen. Er soll die aasige Obliegenheit empfangen, den Leichnam langsam aber bestimmt zu vertilgen. Irgendwo in den Weiten der Leichenfauna muß er doch seiner Aufgabe harren; es wäre doch gelacht, zwischen all dem Krabbelvolk keinen Leithammel zu finden.

Da wird Heiko Maas maßlos überschätzt, weil er plötzlich zum Herrn der Nekrophagen taugen soll. Vergessen ist seine Maasarbeit, sein ehemaliges Blog von Focus' Gnaden, in dem er zwar immer wieder den Sozialdemokraten durchschimmern ließ, sich beispielsweise liebevoll an den Kündigungsschutz kuschelte, aber viel zu oft die Reformpolitik des Schröderianismus lobte und verteidigte. Der Satz, wonach derjenige, der arbeitet, am Ende auch mehr in der verschlissenen Tasche haben müsse, als jemand, der morgens liegen bleibt, scheint im Miniwahr der Schnelllebigkeit zerronnen zu sein. Selbstredend, dass dieses Ideal nur durch niedrige Regelsätze erreichbar ist. Jugend macht noch keinen Neuanfang.

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Weiter so!

Montag, 28. September 2009

Gott sei Dank! Was müssen wir doch froh sein, letztes Jahr noch die Reißleine gezogen zu haben. Das war haarscharf, wäre beinahe im Desaster geendet. Aber wir haben die Zeichen der damaligen Zeit erkannt, haben umgehend gehandelt und eine unliebsame Entscheidung gefällt. Wir sind froh, und wir wissen heute, es war die einzig richtige Maßnahme. Gott sei Dank, haben wir Kurt Beck vor etwas über einem Jahr aus der Verantwortung genommen. Dieser peinlichste aller Parteivorsitzenden hätte beinahe die Sozialdemokratie zertrümmert. Aber wir haben weitblickend gehandelt und unseren grauen Wolf mit seiner ehemaligen Aufgabe betraut.

Man stelle sich nur mal vor, wir hätten den Pfälzer auf der Parteiklausur damals nicht aus seinen Sessel geputscht. Nicht auszudenken! 23 Prozent wären mit ihm utopisch gewesen. Die hätten wir nie erreicht. Wir hätten ein "Projekt 18" ins Leben rufen müssen, nur damit wir am Wahlabend ernüchtert festgestellt hätten, dass nicht einmal dieses Ziel erreicht wurde. Der graue Wolf, unser Kaiser Franz, hat uns wichtige Prozentpunkte gesichert. Ohne ihn hätte es einen vollendeten Unglücksfall gegeben. Wenn wir ihn nicht eingesetzt hätten, würde es uns möglicherweise gar nicht mehr geben. Nur diese Ypsilanti ließ sich ewig nicht unterbuttern. Doch wir haben es ihr gerade noch rechtzeitig ordentlich gezeigt. Hätte es diese Lügenbaronesse nie gegeben, wir hätten sicherlich zwei, drei Prozentpunkte mehr eingesackt. Unsere vier Helden sind wahrscheinlich etwas zu spät in den Widerstand gegangen. Dennoch sind wir stolz auf sie, auch ihnen gehört ein kleiner Anteil am gestrigen Resultat. Durch ihr Engagement und Gewissen, konnte sich die Sozialdemokratie doch noch festigen.

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De omnibus dubitandum

Bei der Bundestagswahl wählten...

  • ... 29,2 Prozent aller Wahlberechtigten gar nicht.
  • ... 23,6 Prozent aller Wahlberechtigten die CDU/CSU.
  • ... 16,1 Prozent aller Wahlberechtigten die SPD.
  • ... 10,2 Prozent aller Wahlberechtigten die FDP.
  • ... 8,3 Prozent aller Wahlberechtigten die LINKE.
  • ... 7,5 Prozent aller Wahlberechtigten die Grünen.
Die schwarz-gelbe Koalition, ausgestattet mit einer souveränen Mehrheit im Reichstag, kann 33,8 Prozent aller wahlberechtigten Stimmen auf sich vereinigen. Die Oppositionsparteien zusammengenommen, verfügen über einen Rückhalt von 31,9 Prozent. Die aggressiv postulierte klare bürgerliche Mehrheit gibt es demnach nicht. Sie ist ein aufgeputschtes Konstrukt, das dem bundesrepublikanischen Wahlmodus geschuldet ist. Die im Parlament zustandegekommene Mehrheit spiegelt damit nicht den tatsächlichen Wählerwillen wider.


Bei der Landtagswahl in Brandenburg wählten...
  • ... 32,5 Prozent aller Wahlberechtigten gar nicht.
  • ... 21,7 Prozent aller Wahlberechtigten die SPD.
  • ... 17,9 Prozent aller Wahlberechtigten die LINKE.
  • ... 13,0 Prozent aller Wahlberechtigten die CDU.
  • ... 4,7 Prozent aller Wahlberechtigten die FDP.
  • ... 3,7 Prozent aller Wahlberechtigten die Grünen.
Eine schwarz-rote Koalition würde auf 34,7 Prozent aller Wahlberechtigten basieren. Ginge die SPD mit der LINKEN zusammen, wären 39,6 Prozent Grundlage.


Bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein wählten...
  • ... 26,5 Prozent aller Wahlberechtigten gar nicht.
  • ... 22,7 Prozent aller Wahlberechtigten die CDU.
  • ... 18,3 Prozent aller Wahlberechtigten die SPD.
  • ... 10,7 Prozent aller Wahlberechtigten die FDP.
  • ... 8,9 Prozent aller Wahlberechtigten die Grünen.
  • ... 4,3 Prozent aller Wahlberechtigten die LINKE.
  • ... 3,1 Prozent aller Wahlberechtigten die SSW.
Die knappe parlamentarische Mehrheit der schwarz-gelben Koalition, entspricht den bereinigten Zahlen nach 33,4 Prozent aller Wahlberechtigten. Mehrheitsverhältnisse stützen sich demnach in Schleswig-Holstein ebenso wie in Brandenburg und auf Bundesebene, auf nurmehr ein Drittel aller Wahlberechtigten.

Der Selbstsucht gehört die Zukunft

Sonntag, 27. September 2009

Es ist der Triumph der Ellenbogen, der Gewinn der Egomanie. Auf jene, die sich optimistisch Liberale rufen, springen dieser Tage vornehmlich junge Menschen an. Junge Menschen, denen man den Ellenbogen schmackhaft machen kann, die ihn auch selbst schon probiert, eingesetzt oder erfahren haben. Menschen, die es als selbstverständlich anerkennen, dass gesunde soziale Kälte, Ignoranz am Nächsten, egoistisches Vorankommen und als Toleranz verkleidetes Desinteresse an der Not des Mitmenschen, zur gesellschaftlichen Norm taugen. Es findet eine Klientel zur geballten politischen Institution, die dem Konsumliberalismus vollkommen erlegen ist, materielle Güter zum obersten Gebot, finanziellen Reichtum zum Ideal, Überlegenheit zum Lebensprinzip erhoben hat.

Was die Freien Liberalen ansprechen, das sind die niedersten Beweggründe des Menschen. Sie verklären jeden sozialen Gedanken, tun ihn als Schwärmerei ab, krönen ersatzweise die Gier, den zur Egomanie verkommenen Individualismus, den abgewinkelten Arm zum Sinn des Daseins. Junge Menschen, in eine Welt geworfen, die sich freigemacht hat von ideelen Werten, die nur Titel, Konten, Posten wertig sein läßt; junge Menschen, die in ein Leben geworfen wurden, durch das verelendete Massenmedien leiteten, das von mangelnder Nutzwert-Bildung flankiert wurde, in dem die voll entfaltete Oberflächlichkeit der Konsumgesellschaft regierte, sind gefundenes Fressen für die technokratischen Leistungsbotschaften jener Partei. Sie spricht Menschen dort an, wo der Verstand verstorben ist, erklärt ihnen, dass sie sicherlich zu denen gehören werden, die auf der Seite der Starken logieren, auf jener Seite, von der man auf das kleine elende Häufchen der Schwachen hinabspucken darf.

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Bekenntnis zum Sonntag

Freitag, 25. September 2009

Obwohl es mir schwer fällt, mich am Parlamentarismus und an politischen Parteien zu erfreuen, lege ich heute mein Bekenntnis ab. Am Sonntag wähle ich zweistimmig die LINKE. Natürlich entsprechen viele Punkte des Partei- und Wahlprogrammes meinen Anschauungen, andere widerstreben mir aber ebenso natürlich. Wenn sich die LINKE heute mit der Abwrackprämie rühmt, die nur durch ihr Engagement entstanden sei, dann wird die Systemimmanenz offenbar. Jemand der Dezentralisierung, Basisdemokratie und Ökologismus als wesentliche Grundpfeiler neuen Zusammenlebens befürwortet, kann zwangsläufig mit politischen Parteien nicht anbandeln. Denn frei nach Konstantin Wecker: Ich bin kein Parteimitglied. Ich habe auch nicht vor, das zu ändern. Denn ich bin der Meinung, dass die Politik ethischer werden muss und nicht umgekehrt.


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De dicto

Donnerstag, 24. September 2009

"Lafontaine hatte wörtlich in einem Interview gesagt: „In Frankreich kommt es schon mal vor, dass Autobahnen und Zugstrecken blockiert werden, wenn die Regierung gegen den Willen der Bevölkerung handelt. Das wünsche ich mir auch für Deutschland. [...] Wenn Maßnahmen wie Hartz IV oder die Rente mit 67 verabschiedet werden und die große Mehrheit der Bevölkerung dagegen ist, dann kann sie den Verkehr oder die Produktion lahmlegen.“

CDU-Minister Schünemann sagte dazu, Lafontaines Äußerungen könnten möglicherweise strafrechtlich relevant werden. [...] „Lafontaine gibt damit erneut den besonders radikalen Kräften seiner Partei Auftrieb, die im Zeichen der Krise soziale Unruhen schüren wollen und ein gebrochenes Verhältnis zu unserem demokratischen Rechtsstaat haben.“
- Handelsblatt, am 23. September 2009 -
Zum Gesagten sei angemerkt: Dreh' dich abermals um, Bürger, kuschel' dich ins Kissen, schlummere noch ein wenig, sorge dich nicht ob der Zustände! Solange das eingefleischte Demokratentum mit Argusaugen auf die kommunistischen Zündeleien herabblickt, ist dein gesunder Dämmerzustand gesichert. Dieses Land muß sich glücklich schätzen, dass es noch Männer aus Schrot und Korn birgt, die das Abgleiten in Anarchie verhindern werden. Männer wie jenen Schünemann.

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Das Heil der Anderen

Mittwoch, 23. September 2009

Schon wieder! Neuerlich hat eine Person des öffentlichen Geschehens den Arm ausgestreckt und den Gruß des böhmischen Parvenus verkörpert. Zwar geschah dies schon vor drei Jahren, aber das hindert Deutschlands bekanntestes Revolverblatt nicht daran, es zum Aufmacher seiner Online-Ausgabe zu ernennen. Wer mit deutschem Gruß salutiert, landet auf Seite eins - das ist die oberste Maxime des hohen Hauses. Das war so, als ein offensichtlich bekannter Schallplattenzerkratzer heilsbringend aus dem Urwald grüßte, und ebenso, als aus dem Mund des großen Bruders ein spaßiges "Sieg Heil" erscholl. Nicht anders erging es einem trotteligen Mädchen, das sich als Moderatorin versuchte, dabei seine Medienpräsenz gleich mal ausnutzte, um der Republik zwischen zwei Anrufern zu verkünden, dass Arbeit frei mache. Allesamt sonderliche Schwachköpfe, soweit könnte man mit der genannten Tageszeitung noch konform gehen.

Aber wenn man dann danebensteht, beobachten muß, wie die Nazi-Sau durchs Dorf getrieben wird, weil dieser oder jener Trottel mal wieder salutiert oder braune Phrasen gedroschen hat, wie diese Dummköpfe also auch noch ein tagelanges Forum für ihren kruden Humor erhalten, dann ist man dazu gezwungen, sein Haupt abzuwenden. Denn dann ist aus der Entrüstung Boulevard geworden, der uferlos über Eklats erzählt und die Gehirnerweichung der salutierenden Herrschaften zum Sujet dümmlicher Berichterstattung macht. Tage- manchmal wochenlang suhlt sich dann ein abgehalfterter Rennzirkusclown oder ein gernegroßer Musikverhunzer in der Öffentlichkeit, gibt sich zuweilen reumütig, zahlt seine Strafe aus der Portokasse und der bundesweiten Leserschaft wird unter die Nase gerieben, dass in diesem Lande keinerlei Ausschreitungen brauner Machart mehr möglich seien. Justiz und Presse im Kampf gegen ausgestreckte Arme und Heilsverkündigungen.

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Sit venia verbo

"Dass einer dem anderen den Kopf abschlägt, ist eine brutale Erscheinung für unser verfeinertes Nervensystem", schrieb 1911 der Heidelberger Jurist Ernst Immanuel Bekker. Das Gräßliche findet nicht mehr statt. Kein Scharfrichter salutiert mit blutigem Schwert vor dem Richter, der das Todesurteil aussprach. Der Hinrichtungstechniker von heute hält sich in einem Nebenraum auf und beobachtet das Sterben aus der Ferne. Dennoch: Eine Exekution bleibt das, was sie immer war - ein Vorgang, bei dem Menschen einen anderen Menschen töten."
- Ingo Wirth, "Todesstrafen - Eine geschichtliche Spurensuche" -

Die eingezäunte Welt

Dienstag, 22. September 2009

Du bist ein eingefleischter Pessimist und gewohnheitsmäßiger Nörgler, De Lapuente. Nein, sag' nichts, ich weiß, welchen Spruch Du anzubringen pflegst, wenn man Dir das vorwirft. Du seist kein Pessimist, Du könntest nichts dafür, dass die Welt so schlecht sei. Kenne ich, habe ich oft von Dir gehört. Und ich stimme Dir ja zu, die Welt ist ein Jammertal. Blähbäuche konkurrieren mit Hunger, Folter mit Hinrichtung, Krisenherde mit Kriegsregionen. Die Pest ist eine Säule, die die Erde vom Himmel abstützt, die andere nennt sich Cholera. Daran mache ich keinen Zweifel fest, da gebe ich Dir uneingeschränkt recht, De Lapuente. Was ich Dir anlaste ist, dass Du diesen Kümmernissen des irdischen Daseins nicht lächelnd begegnest, dass Du die Trostlosigkeit dieses Planeten nicht mal zur Seite stellst, um die schönen Dinge unseres Vorhandenseins zu sehen.

Fall' mir nicht ins Wort, De Lapuente! Ich weiß, ich weiß es viel zu gut. Du versuchst es ja, Du probierst es ja immer wieder, die angenehmen Dinge des Lebens sehen zu wollen - allein es gelingt nur selten. Man darf sich einfach nicht zu sehr vereinnahmen lassen. Und weißt Du warum, Herr Pessimist? Weil man eine traurige Welt nicht mit der Beschreibung ihrer selbst erlöst. Erst wenn man sie schönredet, wenn man das Gute hervorhebt, die Schönheiten unterstreicht, verhilft man der Welt zu besseren Tagen. Sie schleppt sich schier zu Tode an ihrem Kreuz. Redet man dieses Kreuz auch noch zu einem spröden, schimmeligen, rissigen Klotz Holz, dann wird es infernalisch, dann ist man geneigt, sich Pulsadern zu öffnen, um der irdischen Verzweiflung zu enteilen. Nein, Du musst das Kreuz zu einem polierten, wohlproportionierten, ausgewogenen Stück Mahagoni erklären - schwer zwar, manchmal erdrückend, aber doch ein Hochgenuss für den Ästheten.

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Ein Akt des Volkes

Montag, 21. September 2009

Immer wieder vernimmt man von Personen, die der Kriegsliebhaberei unverdächtig sind, dass Einsätze wie jener in Afghanistan trotz allem sinnvoll seien, weil sie den Menschen dort Demokratie brächten, den Frauen Gleichberechtigung, den Kindern Schulbildung. Zwar seien solche Einsätze ein menschliches Trauerspiel und vom ethischen Gesichtspunkt betrachtet verwerflich, aber wenn die Ziele stimmig sind, dann müsse man pragmatisch beiseitestehen. Anders ausgedrückt: Der Zweck heiligt die Mittel. Und dass westliche Werte als allumfassendes Gedankengut, als Lebensentwurf für jede Gesellschaft der Erde feilgeboten werden, begreifen selbst diese Kriegspragmatiker nicht als westliche Arroganz - nein, sie meinen es doch nur gut mit den Menschen in Afghanistan. Nur dumm für die stationierten Militäreinheiten, dass die Menschen im Mittleren Osten, in Asien, in Afrika und in Südamerika immer häufiger stutzig werden, wenn es mal wieder jemand besonders gut mit ihnen meint.

Aber selbst wenn, selbst wenn es nicht arrogant wäre, westliches Wertgut in Köpfe zu prügeln: Demokratie, eine Gesellschaft, in der Menschen aktiv teilhaben und mitbestimmen können, hat keinen Bestand, wenn sie von Außen eingeimpft wird. Demokratische Strukturen lassen sich nicht aufs Bajonett pflanzen, man kann sie nicht einfach ins halbwilde Gemüt der Besetzten hineinballern, mit Luftangriffen verewigen. Selbst wenn man es in humanerer Verfahrensweise versuchte: man kann Demokratie nicht von Außenstehenden herbeistreicheln. So oder so: es ist sinnlos. Demokratie ist ein Akt des Volkes, wird den Machthabern vom Volk abgerungen. Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit des Gemeinwesens, sie wird erwirkt und erkämpft. Und dies von denen, die in eben jener Demokratie leben wollen. In erster Instanz ist Demokratisierung eine Bewusstseinsbildung, die später vom Volk selbst verarbeitet wird, um das Bewusstsein zum Sein zu wandeln - um Hegel also wieder auf den Kopf zu stellen.

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Das kochende Wasser

Sonntag, 20. September 2009

Nun lag er selbst auf der Pritsche. Kurz zuvor hatte er noch beobachten dürfen, wie der Patient, der in der endlosen Warteschlange vor ihm lümmelte, an eben jener Stelle lag, an der nun er seinen Körper ruhen ließ. Weil das Behandlungszimmer weder über Tür noch Vorhang verfügte, ward es möglich, dass er Zeuge eines unglaublichen Aktes medizinischer Heilkunst wurde. Der Heiler tastete den Bauch des Patienten ab, drang mit den bloßen Fingern ins Fleisch, Blut troff, ein Assistent wischte die herablaufende Flut weg, der Heiler zog ein undefinierbares Etwas aus der Bauchhöhle, vermutlich einen Tumor, warf ihn in ein Nierenschälchen, legte dann die Hände behutsam über die Wunde, zog sie langsam tastend von der Bauchgegend ab und zurück blieb nichts, keine Narbe, keine Wunde, nicht mal Schorf. Menschen, die keine Hoffnung mehr auf die Schulmedizin setzen konnten, weil diese mit ihrem Latein oder Griechisch am Ende war, fanden sich in diesen bescheidenen Räumlichkeiten des Wunderheilers ein. Wieviele solcher Hoffnungsloser es gab und wohl zu allen Zeiten geben wird, konnte man den Menschenmassen abmessen, die sich bis ins Freie ergossen.

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Ridendo dicere verum

Freitag, 18. September 2009

"Wir saßen einst im Zuchthaus und in Ketten,
wir opferten, um die Partei zu retten,
Geld, Freiheit, Stellung und Bequemlichkeit.
Wir waren die Gefahr der Eisenwerke,
wir hatten Glut im Herzen – unsre Stärke
war unsre Sehnsucht, rein und erdenweit.
Uns haßten Kaiser, Landrat und die Richter:
Idee wird Macht – das fühlte das Gelichter…
Long long ago –
Das ist nun heute alles nicht mehr so.

Wir sehn blasiert auf den Ideennebel.
Wir husten auf den alten, starken Bebel.
Wir schmunzeln, wenn die Jugend revoltiert.
Und während man in hundert Konventikeln
mit Lohnsatz uns bekämpft und Leitartikeln,
sind wir realpolitisch orientiert.
Ein Klassenkampf ist gut für Bolschewisten.
Einst pfiffen wir auf die Ministerlisten…
Long long ago –
Das ist nun heute alles nicht mehr so.

Uns imponieren schrecklich die enormen
Zigarrn und Autos und die Umgangsformen –
Man ist ja schließlich doch kein Bolschewist.
Die Rechte grinst, und alle Englein lachen.
Wir sehen nicht, was sie da mit uns machen,
nicht die Gefahren all…
Skatbrüder sind wir, die den Marx gelesen.
Wir sind noch nie so weit entfernt gewesen,
von jener Bahn, die uns geführt Lassall’!"
- Text: Kurt Tucholsky, Musik: Hanns Eisler, "Sozialdemokratischer Parteitag 1921" -

An den, der sich mir anbiedert

Donnerstag, 17. September 2009

Sehr geehrter Herr Steinmeier,

Sie haben mich gestern angeschrieben. Eine ganze Seite nur für mich. Wie kommen Sie denn eigentlich dazu? Kennen wir uns? Ich kann Ihnen das Briefeschreiben nicht verbieten, ich kann ihnen nicht vorschreiben, mir Post in den Briefkasten werfen zu lassen. Was ich mir aber verbitte, ist dieser heimelige Ton, dieses widerliche Anbiedern an meine Person und an mein Kreuzchen. Dadurch fühle ich mich belästigt und genötigt. Freundlichkeit ist rar, deswegen hätte ich nichts dagegen, wenn Sie in Ihrem Brief freundlich wären. Aber Scheißfreundlichkeit, wie man hier in Bayern sagt, dieses aufgesetzte und gekünstelte Lächeln und Nett-sein-wollen, ist mittlerweile zum Standard der Gesellschaft geworden und schon aus diesem Grunde verachtenswert. Sie wirken, verzeihen Sie mir diese Direktheit, wie ein billiger Krämer, der mir fauliges Obst andrehen will und sich nicht mal die Mühe macht, die Schimmelflecken aus meinem Blickfeld verschwinden zu lassen.

Sie haben mich also angeschrieben und ich sehe mich genötigt, Ihnen zu antworten. Armer Mitarbeiter seines Herrn, der sich allerlei Blödsinnigkeiten vom Wahlvolk antun muß, der sortieren muß zwischen Briefen, die in den Abfall wandern und solchen, die auf dem Müll landen. Was bilden sich die Menschen, die Sie mit Briefen überfallen haben, auch ein? Antworten zuweilen, stellen Fragen, wollen nachhaken, ihren Senf dazugeben. Doch so haben Sie nicht gewettet! Sie wollten nur anschreiben und dann das große Schweigen ernten. In den meisten Fällen gelingt Ihnen dies natürlich auch, aber nicht in dem Maße, sich den Ghostreader, wahrscheinlich bezahlt aus dem Säckel der Parteikasse, einsparen zu können. Schon alleine deshalb will ich Ihnen antworten, damit derjenige, der in Ihrem Namen jene Post liest, die eigentlich Sie lesen sollten, beschäftigt ist, eine Arbeit hat. Und Sie sind doch der Kämpfer gegen Arbeitslosigkeit, las ich in Ihrem Machwerk.

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Redet doch kein Blech!

Mittwoch, 16. September 2009

Nun ist die Anerkennung einer zivilcouragierten Tat, gerade wenn sie mit eigenen Opfern und Entbehrungen bezahlt wurde, wenn man dafür gar sterben mußte, kein unvernünftiger Frevel oder Ausdruck wichtigtuerischer Maßnahme. Schreitet eine Privatperson ein, um Schwächere zu schützen, bedarf es geradezu der gesellschaftlichen Anerkennung. Ob das in Form eines Ordens sein muß, erscheint allerdings fraglich. Und ob ein getöteter Zivilcouragierter viel von dieser blechernen Ehre hätte, können nur jene beantworten, die nach ihren Eintritt in den Hades doch nochmal entwischen konnten. Aber irgendwie will man natürlich außergewöhnlichen Einsatz honorieren, irgendwie muß die Gesellschaft kenntlich machen, dass sie eines ihrer Mitglieder ehrt - und das auch posthum, wenn nötig.

Der Aufruf, man möge dem getöteten Hilfsbereiten aus München nun das Bundesverdienstblech doch bitte posthum anheften, wäre in friedvolleren Tagen als symbolischer Akt anzuerkennen. Man müßte damit nicht einverstanden sein, der Blechhysterie nicht untertänig werden, aber man könnte es getrost ad acta legen, um sich anderen Themen zu widmen. In Zeiten von Eisen und Blut, in Augenblicken, in denen der Krieg tost allerdings, da ist die Ordensgesinnung ein Politikum. Gerade dann, wenn eine große deutsche Tageszeitung, deren Namen aus Gründen guten Geschmacks verschwiegen werden soll, zum Anwalt der Forderung wird; eine Tageszeitung, die wie keine andere Kriegsgelüste anheizt und brutalste Kriegstaktiken reinwäscht, Soldatenehren konstruiert und Heldenepen stilisiert. Gerade dann, wenn solche Hetzer der Heimatfront Orden fordern, sollte man stutzig werden.

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Nomen non est omen

Heute: "Bildungsangebot"
"Unter anderem will die Union nach einem Wahlsieg ein durchschnittliches Wachstum von drei Prozent erreichen und die Bildungsangebote im Land massiv ausbauen."
- Meldung aus dem Handelsblatt zur Saarland-CDU vom 19. Juni 2009 -

"Taunusstein – die Stadt der guten Bildungsangebote!"
- Meldung des SPD-Ortsvereins Taunusstein -
Der Begriff "Bildungsangebot" offenbart die Korruption unserer Sprache durch eine marktwirtschaftliche Weltanschauung. Alles Menschliche und Dingliche wird zu einer Ware gemacht, zu einem Angebot, dass auf eine vermeintliche Nachfrage trifft. Selbstbestimmte Individuen, ein Denken, Handeln und Entscheiden abseits eines marktwirtschaftlichen Kosten-Nutzen Kalküls wird sprachlich-ideologisch unterbunden bzw. unterdrückt. Alles ist ökonomisch und alles ist eine Ware lautet die Devise. Auch die Bildung bzw. der geistige Horizont eines Menschen ist tausch- und verwertbar.

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Nimmer sachlich bleiben

Dienstag, 15. September 2009

In der letzten Zeit wurde hier mehrfach über moralische Imperative und sachliche Rhetorik referiert. Beides bedingt einander, denn wo kalte Sachlichkeit waltet, da kann - muß aber nicht - die ethische Wurzel, der eigentliche Urgrund aller gesellschaftlicher Bestrebung, sich kaum entfalten. Anhand eines Beispiels, entnommen einer Dokumentation, läßt sich das blendend belegen. Die Yes Men sind eine Gruppe humoriger Aktivisten, die das Spaßguerilla-Konzept kultiviert haben. Sie treten zuweilen in Schlips und Kragen auf, geben sich mal als Ökonomen, mal als Experten anderer Art aus, verbreiten unter falschen Namen haarsträubende Thesen, halten bedenkliche Vorlesungen vor Unternehmensbelegschaften und Organisationen, sprechen sich dort beispielsweise in sachlich-ökonomischer Form für Sklaverei aus und erhalten - sachlich wie das Publikum zuweilen ist - wohlwollenden Beifall.

Und so stehen sie eines Tages auch als Dozenten vor Studenten, unterbreiten denen reizvolle Visionen, wie man beispielsweise Menschen aus der Dritten Welt satt bekommen könnte. Die westliche Hemisphäre soll mit Toiletten ausgestattet werden, die das Produkt sitzender Preßvorgänge, den Kot eben, sichern und zur Weiterverarbeitung bereitstellen sollen. Ein spezielles Verfahren würde den Kot genießbar machen und weitere Innovationen würden dafür Sorge tragen, dass aus Scheiße kostengünstige Hamburger gestanzt werden könnten. Die Yes Men traten natürlich in der üblichen Yuppie-Manier auf, gewürzt mit einem sachlich-kühlen Altruismus. Beiden Seiten wäre geholfen, teilten sie ihren Zuhörern mit: die einen machen etwas Nützliches aus ihrem Dreck, die anderen schlemmen sich an eben jenem Nutzdreck die Bäuche übersatt. Die Sachlichkeit hat gesiegt, die Ratio hat das Klo zum Gourmet-Tempel befördert und schämt sich dieser Deklassierung scheißefressender Mitmenschen nicht einmal. Warum sollte man sich schämen? Wenn man es rational durchdenkt, wenn man ganz sachlich die Tatsachen, die Vor- und Nachteile, den Nutzen und die Kosten durchrechnet, dann ist für Scham an der moralischen Deformierung gar kein Raum mehr.

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Seriös berichtet

Montag, 14. September 2009

Die Uhr zählt rückwärts. Menschenaufläufe vor der Stätte des Stumpfsinns. Reporterheere marodieren. Sind die Gladiatoren schon eingetroffen? Wer zuerst? Was trägt die Titelverteidigerin? Fragen über Fragen neben Fragen. Was glauben Sie, Herr Experte? Wer hat heute Abend die Nase vorn? Und Sie, Herr Demoskop? Lassen Sie doch mal Ihre Zahlen sprechen. Merkel oder Steinmeier oder gar keiner? Wer wird die Wählerinnen und Wähler begeistern? Die Uhr tickt erbarmungslos gen Stunde Null. Aber es bleibt noch ein Weilchen. Flott unseren exklusiven Experten gefragt, dann noch diesen, dann noch jenen. Doch halten Sie es kurz, Herr Sachkenner, nicht zu ausführlich, nicht zu tiefgründig. Wir wollen schließlich noch einen Einspieler platzieren, der sich mit Steinmeiers Mittagessen befasst. Seine Laktatwerte machen stutzig, Merkels Stuhlgang war unregelmäßig. Und wir müssen dringend noch den Pöbel befragen, der vor den Toren der intellektuellen Mattigkeit kampiert.

Was glauben Sie? Wem halten Sie die Daumen? Dem Herausforderer? Sagen Sie bloß! Warum? Was hat er, was Merkel nicht hat? Halt, keine Zeit mehr, unser Studioreporter hat Politiker Kenntmichnich am Mikrofon. Bitte, Herr Kollege, Sie haben das Wort. Herr, Kenntmich... ähm, Sie sehen also die Titelverteidigerin vorn. Interessant. Warum meinen Sie das? Im Urin. Achso! Vielen Dank auch. Kurze Einblendung in die CDU-Parteizentrale. Rote Nasen und La Ola. Angie! Angie! Angie! Fragen an torkelnde Christdemokraten. Warum Angie? Die Beste!... Angie is soooo geil! Gute Stimmung, wie Sie sehen können, werte Zuschauer. Noch ein Paar Minuten, nur Geduld. Gleich sind die Matadoren in der Arena. Derweil zu Reporter Jedermann, der steht bei der SPD. Frankie! Frankie! Tolle Atmosphäre. Die Sozialdemokraten sind selbstbewusst. Einen von der Toilette zurückkehrenden Rotschlipsigen am Arm gepackt. Halt, dürfen wir Sie was fragen? Was zeichnet Ihren Kandidaten aus? Franz ist super! Franz is ne ganz feine Kerl! Sie meinen wohl Frank? Frank-Walter?

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