Sehr geehrter Herr Steinmeier,
Sie haben mich gestern angeschrieben. Eine ganze Seite nur für mich. Wie kommen Sie denn eigentlich dazu? Kennen wir uns? Ich kann Ihnen das Briefeschreiben nicht verbieten, ich kann ihnen nicht vorschreiben, mir Post in den Briefkasten werfen zu lassen. Was ich mir aber verbitte, ist dieser heimelige Ton, dieses widerliche Anbiedern an meine Person und an mein Kreuzchen. Dadurch fühle ich mich belästigt und genötigt. Freundlichkeit ist rar, deswegen hätte ich nichts dagegen, wenn Sie in Ihrem Brief freundlich wären. Aber Scheißfreundlichkeit, wie man hier in Bayern sagt, dieses aufgesetzte und gekünstelte Lächeln und Nett-sein-wollen, ist mittlerweile zum Standard der Gesellschaft geworden und schon aus diesem Grunde verachtenswert. Sie wirken, verzeihen Sie mir diese Direktheit, wie ein billiger Krämer, der mir fauliges Obst andrehen will und sich nicht mal die Mühe macht, die Schimmelflecken aus meinem Blickfeld verschwinden zu lassen.
Sie haben mich also angeschrieben und ich sehe mich genötigt, Ihnen zu antworten. Armer Mitarbeiter seines Herrn, der sich allerlei Blödsinnigkeiten vom Wahlvolk antun muß, der sortieren muß zwischen Briefen, die in den Abfall wandern und solchen, die auf dem Müll landen. Was bilden sich die Menschen, die Sie mit Briefen überfallen haben, auch ein? Antworten zuweilen, stellen Fragen, wollen nachhaken, ihren Senf dazugeben. Doch so haben Sie nicht gewettet! Sie wollten nur anschreiben und dann das große Schweigen ernten. In den meisten Fällen gelingt Ihnen dies natürlich auch, aber nicht in dem Maße, sich den Ghostreader, wahrscheinlich bezahlt aus dem Säckel der Parteikasse, einsparen zu können. Schon alleine deshalb will ich Ihnen antworten, damit derjenige, der in Ihrem Namen jene Post liest, die eigentlich Sie lesen sollten, beschäftigt ist, eine Arbeit hat. Und Sie sind doch der Kämpfer gegen Arbeitslosigkeit, las ich in Ihrem Machwerk.
Die Arbeitslosigkeit bekämpfen. Das war eine dieser gefetteten Passagen. Sie fanden es wahrscheinlich sinnvoll, wichtige Textstellen zu markieren, damit auch der letzte Idiot kapiert, was für ein nobler Charakter Sie sind. Ich würde mich jedenfalls nicht als Idioten bezeichnen. Wer stuft sich schon selbst als Idiot ein? Obwohl ich selbstüberzeugt genug bin, der Idiotie nicht anheimgefallen zu sein, verstehe ich Ihre Botschaft nicht, erscheinen mir die Fettungen wirr. Diese ganze Fetterei umsonst: unnötig verbrauchte Druckertinte. Wissen Sie, ich glaube, ich verstehe es nicht, eben weil ich kein Idiot bin. Ich weiß zuviel, ich kenne Ihre Vorgeschichte. Und in der steht eben nicht, dass Sie ein glorreicher Kämpfer für das Soziale sind, in der kommt vorallem Schröder vor, seine vielzitierte und unheilbringende Agenda. Sie waren der Mann hinter den Regelsätzen, das heißt, Sie waren der Mann, der auf den Regelsätzen saß, sie mit aller Kraft runterdrückte, uralte Berechnungszahlen nutzte, auch noch Abschläge tätigte und nachher wie das soziale Gewissen durch die Lande hüpfte. Arbeitslosigkeit bekämpfen! Sie haben die Arbeitslosen bekämpft, guter Mann! Von Arbeitslosigkeit als Feind war nie die Rede. Der Feind war der Mensch, nicht der entfesselte Markt.
Deshalb verstehe ich nicht, was Sie eigentlich von mir wollen. Wollten Sie sich Ihr Gewissen von der Seele schreiben? Wollten Sie mit Ihren Zeilen darlegen, dass Sie nun endlich zur Vernunft gelangt sind? Ich glaube es Ihnen nicht, denn Sie gebärden sich so, als seien Sie immer ein astreiner Menschenfreund gewesen. Sie behaupten ja auch lammfromm, dass die Wirtschaft für den Menschen da sei. Und das aus Ihrem Mund! Aus der Feder Ihres Reden- und Briefschreibers! Das hörte sich vor noch gar nicht so langer Zeit ganz anders an. Freilich ein Marktjünger voller Inbrunst waren Sie vielleicht nie, aber widersprochen haben Sie den Irrlehren der Nimmersatten auch nicht. Im Gegenteil, Sie haben an jener Armenverwaltung mitgearbeitet, haben ja auch im Namen derjenigen, die den Sozialstaat aus Gründen der Raffgier zerschlagen sehen wollten, an der Zersetzung desselbigen mitgearbeitet. Haben Sie das eingesehen? Wohl nicht, denn Sie geißeln Ihre Mitarbeit nicht, Sie zeigen keine Reue - nein, stattdessen loben Sie sich selbst, verkünden als soziales Gewissen des Landes, dass Hartz IV den Sozialstaat stabilisiert und gerettet hat. Daher verstehe ich nicht, was Sie von mir wollen, Herr Steinmeier. Sie biedern sich an und ich weiß nicht, was Sie jetzt von mir erwarten. Den Kopf tätscheln kann ich Ihnen jedenfalls nicht, denn so lobenswert, wie Sie sich geben, waren Sie nicht.
Dann sinnieren Sie von Arbeitnehmerrechten, Mitbestimmung, Kündigungsschutz und Mindestlöhnen. Als Sie in Ihrem stillen Kämmerlein brüteten, um die Regelsätze festzulegen, schwer darüber nachdenkend, wo noch Einsparpotenzial vergraben liegen könnte, da haben Sie wohl kaum gesehen, was diese sogenannte Reform bewirken würde. Wie denn auch? In Ihren Kreisen wird nie weit in die Zukunft geblickt. Es sei denn, man zieht Demographieprognosen für das Jahr 2050 heran. Dann ist der Weitblick Programm, muß er ja sein, damit man auch die staatliche Rente totreformieren kann. Allianz und Konsorten werden langsam ungeduldig. Aber zurück zu dem, was ich eigentlich zum Ausdruck bringen wollte. Jene Reform, an der Sie arbeitsam mitgewerkelt haben, hat Arbeitnehmerrechte de jure ausgeschaltet. In den Unternehmen traut sich kaum mehr ein Arbeitnehmer das Maul aufzumachen. Man schluckt jede Widerlichkeit des Brotgebers, man duldet Bespitzelung und unbezahlte Mehrarbeit, man kämpft sich mit niedrigen und gekürzten Löhnen durchs Leben, schleppt sich krank an den Arbeitsplatz, weint sich abends in den Schlaf, weil der Arbeitgeber mit Schikane seiner Fürsorgepflicht nachgeht. Gegenwehr ist ein Relikt vergangener Tage. Heute haben die Leute Angst um ihren Arbeitsplatz. Das hatten sie natürlich auch vorher schon. Aber seit Hartz IV in der deutschen Öffentlichkeit zu einer Abladestelle entrechteter und damit zweitklassiger Menschen gemacht wurde, einer Müllhalde für Faulpelze und Nichtskönner, will niemand das Risiko in Kauf nehmen, durch unliebsames Vorgehen gegen seinen Arbeitgeber auf eben jenem Müllhaufen zu landen. Diese Rettung des Sozialstaates, wie Sie Hartz IV bezeichnen, ist ein Druckmittel, das man an Arbeitnehmern hemmungslos ausleben darf. Was genau wollten Sie mir also mitteilen bezüglich Arbeitnehmerrechten?
Ich bin kein Idiot, der gefettete Passagen benötigen würde. Dennoch begreife ich nicht, warum Sie sich in so anbiedernder Weise an mich wenden. Sicher, meine Stimme wollen Sie. Die kriegen Sie sowieso nicht. Sie haben sicherlich das Format um Kanzler zu werden. Nach Merkel ist es in diesem Lande nämlich möglich, auch als formatloses Mauerblümchen in Amt und Würden gehievt zu werden. Aber deswegen wähle ich Sie dennoch nicht. Schon deswegen nicht, weil ich Sie nicht verstehe. Und ich verstehe Sie nicht, weil ich eben kein Idiot bin. Jeder, der nur den Hauch von Zuneigung an ihrer Person verspürt, nachdem er Ihren Brief gelesen hat, der war sicherlich ob der Fettstellen froh, der dürfte idiotisch genug sein, Sie auch wirklich ernstzunehmen. Aber wer Ihr Vorleben kennt, wer weiß, dass die Schröder-Junta immer noch ihr menschenverachtendes Spiel innerhalb der SPD spielt, kann Sie doch nur verspotten. Ja, richtig: Verspotten! Seien Sie nicht eingeschnappt. Sie haben doch zuerst versucht mich zu verarschen! Wer hat mich denn mit einem Brief belästigt? Wer hat sich in diesem belästigendem Brief angebiedert? Wer hat über Dinge räsoniert, von denen er offenbar wenig Ahnung hat? Wer wollte mich, Wähler und Stimmvieh, denn für blöd verkaufen? Und nun bekommen Sie eine Antwort, die zugegeben nicht besonders diplomatisch, nicht freundlich, nicht ganz so sachlich ist, wie man es an den Tischen der Macht gewohnt ist, und Sie fühlen sich veralbert?
Sollte das der Fall sein, sollten Sie sich veralbert fühlen, so stimmt es mich froh. Sie sind in etwa so ernstzunehmen wie Frau Merkel, Herr Westerwelle und die vielköpfige Hydra der Grünen ernstzunehmen sind. Auf jeden Fall sollten Sie Ihrem Briefeleser eine Gehaltserhöhung zusprechen. Wer Briefe dieser Art ertragen muß, der soll auch bezahlt sein. Was? Ich liege schon im Müll? Dann war es also erneut vergebliche Liebesmüh'!
Es grüßt,
Roberto J. De Lapuente
Hier weiterlesen...