Nimmer sachlich bleiben

Dienstag, 15. September 2009

In der letzten Zeit wurde hier mehrfach über moralische Imperative und sachliche Rhetorik referiert. Beides bedingt einander, denn wo kalte Sachlichkeit waltet, da kann - muß aber nicht - die ethische Wurzel, der eigentliche Urgrund aller gesellschaftlicher Bestrebung, sich kaum entfalten. Anhand eines Beispiels, entnommen einer Dokumentation, läßt sich das blendend belegen. Die Yes Men sind eine Gruppe humoriger Aktivisten, die das Spaßguerilla-Konzept kultiviert haben. Sie treten zuweilen in Schlips und Kragen auf, geben sich mal als Ökonomen, mal als Experten anderer Art aus, verbreiten unter falschen Namen haarsträubende Thesen, halten bedenkliche Vorlesungen vor Unternehmensbelegschaften und Organisationen, sprechen sich dort beispielsweise in sachlich-ökonomischer Form für Sklaverei aus und erhalten - sachlich wie das Publikum zuweilen ist - wohlwollenden Beifall.

Und so stehen sie eines Tages auch als Dozenten vor Studenten, unterbreiten denen reizvolle Visionen, wie man beispielsweise Menschen aus der Dritten Welt satt bekommen könnte. Die westliche Hemisphäre soll mit Toiletten ausgestattet werden, die das Produkt sitzender Preßvorgänge, den Kot eben, sichern und zur Weiterverarbeitung bereitstellen sollen. Ein spezielles Verfahren würde den Kot genießbar machen und weitere Innovationen würden dafür Sorge tragen, dass aus Scheiße kostengünstige Hamburger gestanzt werden könnten. Die Yes Men traten natürlich in der üblichen Yuppie-Manier auf, gewürzt mit einem sachlich-kühlen Altruismus. Beiden Seiten wäre geholfen, teilten sie ihren Zuhörern mit: die einen machen etwas Nützliches aus ihrem Dreck, die anderen schlemmen sich an eben jenem Nutzdreck die Bäuche übersatt. Die Sachlichkeit hat gesiegt, die Ratio hat das Klo zum Gourmet-Tempel befördert und schämt sich dieser Deklassierung scheißefressender Mitmenschen nicht einmal. Warum sollte man sich schämen? Wenn man es rational durchdenkt, wenn man ganz sachlich die Tatsachen, die Vor- und Nachteile, den Nutzen und die Kosten durchrechnet, dann ist für Scham an der moralischen Deformierung gar kein Raum mehr.

Freilich, einige Studenten ergriffen das Wort, entrüsteten sich vehement, versuchten aufzuzeigen, welche Erniedrigung man den Armen dieser Welt aufbürdete, wenn man Kot zu Hamburgern verarbeiten würde. Eine Erniedrigung, die auch dann verbleibt, wenn man tatsächlich aus dem Produkt Scheiße das Produkt Fleisch, köstliches, saftiges, aromatisches Fleisch gar, machen könnte. Die Arroganz einer ganzen Gesellschaft käme just in jenem Moment zutage, in dem wir drückend und pressend, manchmal keuchend und bauchhaltend auf der Toilette geschäftig zubrächten. Was unseren Hintern entschlüpft wäre gerade gut genug für unsere Mitmenschen in den armen Zonen dieser Welt. Wie gesagt, es entrüsteten sich einige Studenten. Aber nicht alle. Viele schwiegen, waren sichtlich genervt von den Interventionen ihrer Kollegen. Wo eigentlich alle aufstehen sollten, weil der satirische Fall (der hier für bare Münze genommen wurde) derart drastisch ist, dass er jeden zum Protest animieren müßte, stand wieder einmal nur eine Minderheit auf - und hätte man unter die Schädeldecken der Verschwiegenen blicken können: man darf sich fast sicher sein, dass der eine oder andere dem geschissenen Burger eine Chance gegeben hätte, weil die emsig im Kopf durchgepaukte Kosten-Nutzen-Rechnung ergeben hätte, dass es ein tolles Geschäft sein könne, wenn man es nur richtig anstelle; eine Win-Win-Situation für alle Seiten, nur für die ethische Kategorie nicht. Denn schließlich müsse man seine moralischen Bedenken beiseite wischen, damit man sich der Sache unvoreingenommen hingeben kann, bei der Sache, sachlich sein kann.

Die Yes Men bringen mit dieser Aktion genau diese Sachlichkeitsgläubigkeit auf den Punkt. Sie weisen in spaßiger, manchmal total überdrehter Form auf die Rationalitätsgläubigkeit unserer Gesellschaft hin, in der ethische Normen keinen Platz mehr haben, sofern diese sich nicht Kosten-Nutzen-Analysen unterziehen lassen. Sie kritisieren damit eine Gesellschaft, die jegliches Ziel verloren hat; eine Gesellschaft, die nicht mehr weiß, warum und wieso sie eigentlich arbeitet und Werte schafft. Eine Gesellschaft, die vergessen hat, dass jeglicher geschaffene Wohlstand dazu da sein sollte, der Menschheit das Leben zu erleichtern, den Kampf ums Dasein zu beenden - natürlich immer mit Rücksichtnahme auf Ressourcen und Umwelt. Die Sprache der Verlorenen ist die kühle Sachlichkeit, die sich an Zahlen und Statistiken hält, Hochrechnungen und Prognosen heranzieht, Kosten berechnet, Nützlichkeit abwägt und das finale Urteil keinem ethischen Bestreben unterordnet, unveräußerlichen Menschenrechten etc., sondern der toten Materie abstrakter Soll- und Habenspalten.

Sie - die Yes Men - ziehen die Sachlichkeitsmentalität heran, bauschen sie auf, benutzen sie, um kenntlich zu machen, was selbst in Kreisen, in denen zugunsten besserer Lebensverhältnisse zu denken vorgegeben wird, im Argen liegt. Sie veralbern in ihrer passionierten Art jene, die die Passion für die unterkühlte Sachlichkeit aufgegeben haben, sie machen sich über knallharte Rationalisten lustig, die nicht fragen, ob diese oder jene Maßnahme einem humanistischen Ideal entspricht, sondern nur auf kosteneffiziente Lösungen von Problemen abzielen. Damit demonstrieren sie, dass wirkliche Schaffenskraft der Veränderung nicht in der Sachlichkeit, sondern im passionierten Antrieb zu suchen sind - dass zumindest eine Sachlichkeit entworfen werden muß, die die Sache auch benennt, die Passion zulässt, Leidenschaft erlaubt, die die Direktheit geradezu zur Notwendigkeit macht. Wenn man will, dass es den Menschen dieser Erde besser geht, weil das Motiv idealistischer Natur ist, ist Bewegung und Veränderung machbar; wenn man handelt, weil Berechnungen zum Handeln ermutigt haben, ist lediglich Verschiebung in Sicht - Verschiebung der Nöte, der Probleme, schlechter Lebensverhältnisse. Verschiebung nur, weil das Primat der Sachlichkeit nur eine Galaxie des Denkens zulässt, andere Galaxien verneint. Es war einst die Leidenschaft umtriebiger Menschen, die zur Entdeckung gelangte, dass nicht der Mensch und seine Erde im Zentrum des Kosmos stehen, sondern in irgendeiner Galaxie ihr nichtiges Dasein fristen. Die Leidenschaft hat uns viele Galaxien sichtbar gemacht, die Sachlichkeit vergangener Tage hat andere Welten immer geleugnet. Verändert hat die Leidenschaft, geblieben sind Wahrheiten leidenschaftlicher Menschen.

9 Kommentare:

Anonym 15. September 2009 um 18:59  

wie gern hätte ich gelesen "denn schließlich müsse man seine moralischen bedenken abwischen" (hätte so gut gepasst) - ansonsten danke und d´accord.

andreas

Bernmanu 15. September 2009 um 20:52  

Dieser Eintrag erinnert mich spontan an ein Experiment das man vor 20 Jahren im TV zeigte.
Absolut unnütze Utensilien wurden im Kaufhaus ausgestellt, auf die Frage : „Warum haben sie dieses Produkt gekauft“?
Nach einem Ersichtlichem zögern kam die Antwort.
„Solches kann man immer für irgendetwas gebrauchen“!
Auf die Menschen Masse bezogen: „Gut verpackte Scheiße“ würde sich bestens verkaufen lassen...

LG

Anonym 15. September 2009 um 21:38  

http://video.google.de/videoplay?docid=3756650096998068990&ei=8-uvSu_eGJvE2wKe8oi3DQ&q=yes+man&hl=de&client=firefox-a#

Viel gibts da nicht zu sagen. Nur danke für den Hinweis. Ohne Witz ist diese Welt nicht mehr zu ertragen :-)

klaus baum 15. September 2009 um 23:06  

zum thema "vermarktung von scheiße" hier ein paar hinweise aus der kunstgeschichte der moderne:

piero manzoni hat seine scheiße in dosen eingeschweißt und diese als artist's shit verkauft.

http://images.google.com/images?client=safari&rls=de-de&q=artist's%20shit&oe=UTF-8&um=1&ie=UTF-8&sa=N&hl=de&tab=wi

wim delvoy ist seit nun fast zwei jahrzehnten von diesem thema fasziniert.

http://femka.wordpress.com/2009/02/10/shit-art-cloaca-machine/

http://www.fotogemeinschaft.de/v/fotografen/Klaus-Baum/documenta-9/delv/

klaus baum 15. September 2009 um 23:14  

eat shit and die - ein lied, gefunden im netz.

Who the FUCK do ya think YOU ARE?

Words: Russ Weber
Mucous: Jonny V
More words: Scabs
More words: Cliff
Cruster Choir led by Lee
Who the fuck d'ya think you are?
Drivin in yer car,
Smokin yer cigar?

Eat shit and die, bastard
Eat shit and die,
Eat shit and die, bastard
Eat shit and die,

You make money
More and More
Why not give it
To the fuckin POOR?

http://iacmusic.com/stations/KIAC2984.htm

Anonym 16. September 2009 um 08:53  

Der Film bei Arte, über die Yes Men, war gut und erschreckend.

Manul 16. September 2009 um 11:45  

Richtig. Uns sind nicht nur moralische Werte verloren gegangen, sondern auch wirkliche Ziele. Die Politik dreht sich eigentlich nur noch darum die Besitzverhältnisse aufrecht zu erhalten, sowie den damit hängenden Kreislauf zwischen Angebot und Nachfrage nach Arbeit. Ich behaupte daher einfach mal, dass unsere ganze Wirtschaftsform eigentlich überhaupt nicht mehr zeitgemäss ist, denn erstens sind wir einfach an einen Punkt gekommen, wo der technische Fortschritt uns einen derartigen Produktionszuwachs beschert hat, der aber de facto in der ökonomischen Rechnung gar nicht berücksichtigt wird. Hier rechnet man immer noch mit der menschlichlichen Arbeitskraft - und darum gelten immer noch jene, die aus dem Arbeitsleben aus welchen Gründen auch immer heraus fallen, als, überspitzt gesagt, gesellschaftliche Parasiten. Richtig wäre hier Unternehmen zur Kasse zu bitten und meine Art 'Technisierungssteuer' einzuführen. Das würde nicht nur die ausufernde Überproduktion dauerhaft stoppen und Ressourcen sparen, sondern auch Gelder freisetzen für Modelle wie Bürgereinkommen.

Zweitens, auch die Schäden an der Umwelt sind für die Verursacher meist nur ein Ärgernis, aber nichts, was wirklich die Unternehmen auch dazu bringen würde besonderen Wert auf Umweltschutz zu legen. Ja, wir haben zwar Strafen für Umweltsünder, leben aber inmitten von einem Cocktail von ca. 25.000 teils sehr toxischen Chemikalien, von denen manche in der schädlichen Wirkung niemals richtig untersucht wurden. Richtig wäre es hier umweltschädliche Produkte mit einer richtigen Ökosteuer zu besteuern und umfreundliche Produkte mit einer positiven Steuer, einer quasi Subvention zu belegen.

Das sind nur zwei Stellschrauben, die aber auch irgendwann nachgezogen werden müssen. Zur Zeit fehlt irgendwie aber die Erkenntnis, dass die Wirtschaft nicht etwas ist, was für sich allein steht, sondern ein Teil des Kreislaufes ist und sich nur an den äusseren Rahmenbedingungen orientieren darf. Was passiert, wenn der Rahmen fehlt, erleben wir gerade jetzt...

Anonym 16. September 2009 um 14:46  

Manul, schön gesagt. Vermutlich ist die reiche Elite längst wieder dabei einen Krieg mit Millionen Toten zu inszenieren. Denn das ist was der Kapitalismus als Jubeljahr eingeführt hat. Warum ich glaube das sich das nicht ändern läßt?

Weil der Mensch sich nicht geändert hat seit Jahrtausenden. Er ist derselbe geblieben. Von Generation zu Generation zu Generation gab es Schwankungen was Moral, Ethik und Lernerfahrungen angeht, aber der Mensch ist so wie er eben ist. Hinzu kommen heute die Supranationalen Konzerne, denen ja in The Corporation die Psychopathie bescheinigt wurde. Dann auch noch Staaten mit ihrer Ethiklosigkeit. Da wird getäuscht, getrickst, mit Geheimpolizei sich gegenseitig beschissen. Erpressung schwächerer ist bei Staaten gang und gäbe, im eigenen Land als Bürgeraktivität dann erlaubt, wenn es mit den Interessen des Staates korreliert und wenn es nicht den Interessen dient, ist es verboten.

Diese Welt ist eine Katastrophe. Ich habe längst aufgegeben auf Menschen zu setzen. Sie sind einfach unfähig. Wird Zeit für göttliche Intervention :-)

Wolf-Dieter 16. September 2009 um 21:05  

Einige Videos zu den Yes-Men hab ich vor einiger Zeit auf meiner HP notiert: http://u.nu/7my83 -- die Jungs sind zweifellos erstaunlich!

Nachsatz. Die Yes-Men befürworten die Sklaverei nicht wirklich, sondern argumentieren aufgrund einer offenen Kostenrechnung sogar dagegen -- reguläre Lohnverhältnisse sind flexibler und rentabler als Sklaven.

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