Nomen non est omen

Mittwoch, 16. September 2009

Heute: "Bildungsangebot"
"Unter anderem will die Union nach einem Wahlsieg ein durchschnittliches Wachstum von drei Prozent erreichen und die Bildungsangebote im Land massiv ausbauen."
- Meldung aus dem Handelsblatt zur Saarland-CDU vom 19. Juni 2009 -

"Taunusstein – die Stadt der guten Bildungsangebote!"
- Meldung des SPD-Ortsvereins Taunusstein -
Der Begriff "Bildungsangebot" offenbart die Korruption unserer Sprache durch eine marktwirtschaftliche Weltanschauung. Alles Menschliche und Dingliche wird zu einer Ware gemacht, zu einem Angebot, dass auf eine vermeintliche Nachfrage trifft. Selbstbestimmte Individuen, ein Denken, Handeln und Entscheiden abseits eines marktwirtschaftlichen Kosten-Nutzen Kalküls wird sprachlich-ideologisch unterbunden bzw. unterdrückt. Alles ist ökonomisch und alles ist eine Ware lautet die Devise. Auch die Bildung bzw. der geistige Horizont eines Menschen ist tausch- und verwertbar.

Unter "Bildungsangebote" zählen heute alle möglichen Formen der schulischen oder betrieblichen (Weiter-)Bildung: Volkshochschulkurse, Fern-Universitäten, Privatschulen, Weiterbildungskurse usw. Der Begriff ist im allgemeinen deutschen Sprachschatz mittlerweile fest verankert und wird nicht in Frage gestellt. Dabei unterstreicht die bedenkenlose Anwendung des Terminus, dass marktwirtschaftliches Kosten-Nutzen-Denken bereits fest in unseren Köpfen verankert ist und Menschen nur noch als Kunden gesehen werden, die Bildung konsumieren sollen. Als entscheidende Kriterien der Bildung werden Vermarktbarkeit und Arbeitsmarktkompatibilität festgesetzt.

Bildung sollte weder eine Ware noch ein Angebot sein, sondern ein individueller Reifungsprozess, der es uns ermöglicht, unseren Horizont zu erweitern, die Welt kritischer und reflexiver wahrzunehmen sowie letztendlich ein besseres gesellschaftliches Zusammenleben zu ermöglichen – fernab marktwirtschaftlicher Verwurstung! Nicht zuletzt ist Bildung ein demokratisches Grundrecht, dass jedoch in Zeiten von Studiengebühren zu einem Luxusgut gemacht wird.

Dies ist ein Gastbeitrag von Markus Vollack aka Epikur.

16 Kommentare:

Anonym 16. September 2009 um 08:17  

Sehr guter Artikel !

Danke an den Verfasser.

Ich wollte nur mal darauf hinweisen, daß es auch in der "Arbeitsagentur" (früher mal Arbeitsamt) jetzt "Kundennummern" zu verteilen gibt.

Das strahlt doch schon die Marktwirtschaftlichkeit im Wort aus,
oder ?

Berlingonaut 16. September 2009 um 08:25  

Dem kann ich nur zustimmen. Schon lange unterscheide ich deswegen Bildung und Ausbildung.

Anonym 16. September 2009 um 08:48  

Alles wird verwurstet, alles kaufbar und verkaufbar. Eine inzwischen Seelenlose Gesellschaft!

ad sinistram 16. September 2009 um 09:11  

Bei lumiéres dans la nuit zu lesen:

"Die Frage bei der Bildung ist nicht, ob sie einen Menschen besser verwertbar für den betrieblichen Produktionsprozess mache, sondern ob sie den Menschen lebenstauglicher, feiner, wissender, fähiger zur Einsicht, langsamer zum unreflektierten Zorn, kurz: weiser machen kann."

Anonym 16. September 2009 um 13:11  

@epikur

Vielleicht schreibst du mal ein neues "LTI"? Victor Klemperer hat damals die Sprachvokabeln der Nazis in Buchform veröffentlicht - ähnliches wünsche ich mir schon lange für den Zombie-Neoliberalismus dieser Tage.

Gruß
Nachdenkseiten-Leser

PS: Eigentlich heißt es "Zombie-Kapitalismus" - ein angelsächsischer Buchautor hat diesen Begriff für die USA und GB geprägt - in Zeiten der Neuen Weltwirtschaftskrise.

Kassandra 16. September 2009 um 13:15  

Immer öfter wird 'Wissen' mit 'Bildung' verwechselt und missbraucht.

Und (oftmals ungesundes und meist von anderen ungeprüft und unreflektiert übernommenes) Halbwissen gilt z. B. in Alltagsgesprächen und in den meisten Medien schon als Wissen ..., äh Bildung, ... äh Wissen ... .

... "Denn sie wissen nicht, was sie tun" und wollen es auch nicht, denn "Wissen ist Macht".
Bildung setzt u. U. ein gesundes Ge-Wissen voraus.
Was nützt der Stein der Weisen, wenn dem Stein der Weise fehlt?

Kassandra 16. September 2009 um 13:30  

Literaturempfehlung:

"Montaigne heute - Leben in Zwischenzeiten" von M. Greffrath (als TB erhältlich)

und natürlich von Michel de Montaigne selber:
"Die Essais"

Anonym 16. September 2009 um 15:28  

Über dieses Thema sinniere ich stets immer wieder. Ich stoße mit meiner autodidaktischen Bildung allerdings gerade in Gesprächen mit Studierten an meine Grenzen. Um eine stichhaltige Beweisführung zu machen, wird verlangt, alles in Studien, Büchern und damit durch Wissen dritter zu belegen. Dies erfordert einen Zugang zum vorhandenen Wissen. Wer aber keinen Zugang zum bestehenden Wissen hat, hat zwei Vorteile: Er ist nicht so befangen durch die Systemfehler und er kann seinen Wissenschatz überall erweitern, ist nicht auf einen Bereich durch die Berufswahl festgelegt.

Die Kommerzialisierung der Ausbildung und Forschung. Wissenschaft als Garant für neue Produkte und Technologie, die wirtschaftlich ausgeschlachtet werden kann.
Erkenntnissgewinn? Ist das das Ziel?
Das ist die Frage. Wer will Erkenntnisse sammeln?
Kann eine infantilisierte Gesellschaft überhaupt mit Erkenntniss etwas anfangen? Ich zweifle daran. Erkenntniss ist verpönt. Sie wird immer und überall abgelehnt, weil sie einen zwänge zu handeln. Die Erkenntnisse aus dem dritten Reich hätte die Welt verändern können, hat sie aber nicht. Denn die Beschränkungen der Erfahrungsorte und die Beschränkung der Erfahrungszeit bedingt einen Mangel der Erkenntnis an anderen Orten. Das heißt das die Erkenntniss des einen dem anderen nicht gegeben ist. Sie ist ja nicht automatisch Gemeingut.
Erkenntniss ist nicht ohne weiteres mitteilbar. Menschen ohne den entsprechenden Denkradius und Wissens-und Erlebnisradius werden vieles niemals verstehen und dadurch Erkenntnis ablehnen. So versteht eben der Soziopath und die Konzernleitung nicht, wieso sie sich sozial verträglich verhalten sollten.
Es führt ja zu einem Nachteil, zu einer Einschränkung der eigenen Möglichkeiten.
Da fällt mir ein Zitat ein aus Matrix "Man kann nur hinter eine Entscheidung schauen, die man auch verstehen kann." Für eigene Entschieidungen sind Erkenntnissprozesse absolut unumgänglich. Ein Bildungssystem aber, das nicht auf den Erkenntnissgewinn aufbaut, sondern primär wirtschaftliche Verwertbarkeit sucht, würgt Kreativität ab.
Schon diese Betrachtung zeigt auf das es hapert mit der Idee einer Bildungsgesellschaft.

Handlungsspielräume werden mit Macht geschaffen und Macht erfordert Ohnmacht. Macht produziert man mit Angst und Bildungsmangel und Kontrolle. Das war ja schon im Mittelalter so.

Wirtschaftliche Abhängigkeit, die wiederum von der Bildung abhängig ist, die von den wirtschaftlichen Mitteln abhängig ist machen das Problem bewußt, wieso Bildung eine Elitenangelegenheit (wieder?) werden soll in Deutschland.

Das senkt die Kosten und produziert genug Deppen für ein florierendes Unterdrückungssystem und das Militär. Ermöglicht weitere Einschnitte in immer persönlichere Lebensbereiche des Bürgers.

Anonym 16. September 2009 um 17:03  

"[...]Das senkt die Kosten und produziert genug Deppen für ein florierendes Unterdrückungssystem und das Militär. Ermöglicht weitere Einschnitte in immer persönlichere Lebensbereiche des Bürgers.[...]"

Du sagst es, leider.

Allgemeinwissen ist doch gar nicht mehr gefragt - Nur reines Ökonomenwissen, und auch davon nicht zuviel.

A.H. hat es mal treffend ausgedrückt, wenn die Menschen nur bis 10 zählen können würde es völlig für sein Drittes Reich als Bildung ausreichen.

Nix anderes läuft hier im neoliberalen Deutschland ab.

Die Nazis haben dies wenigstens noch brutalstmöglich ausgesprochen was uns nun dank CDU-CSU-FDP-NPD (Zitat: Der türkische Kabarettist Serdar Somuncu) blüht.

Anonym 16. September 2009 um 18:51  

...Allgemeinwissen ist doch gar nicht mehr gefragt - Nur reines Ökonomenwissen, und auch davon nicht zuviel...

Ich würde dazu sagen, Wissen ist ab und an schon gefragt, aber nur spezialisiert, Erkentniss hingegen ist verboten.

Denn wie heißt es in der Bibel, er aß die Frucht vom Baum der Erkentniss ...
Die Folge davon währe doch der Untergang des Systems, deswegen kann zwar Bildung im Sinne des Systems sein, doch aber nicht Wissen in der Breite geschweige denn die Weisheit aus Wissen und Erfahrung. (Womöglich noch für das gemeine Volk, na wie geht denn sowas ...)

epikur 16. September 2009 um 20:23  

@Nachdenkseiten-Leser

Sicher kenne ich Klemperes "LTI", Orwells "1984" oder auch Sternbergers "Wörterbuch des Unmenschen". Und ein neues LTI des Neoliberalismus plane ich schon lange, auch wenn es schon ein "ABC des Neoliberalismus" im VSA Verlag gibt ;-)

Anonym 16. September 2009 um 21:24  

Frage: Weshalb sollten denn die tonangebenden, herrschenden Eliten Deutschlands samt deren "gebildeten" Helfershelfern ein Interesse an einer guten Allgemeinbildung gerade für die großen Teile der Gesellschaft haben, welche man nur als Ausbeutungsmaterial und Fußabtreter in diesen Kreisen ansieht?
Ökonomische Verwertbarkeit - insbesondere FACHIDIOTENTUM - ist unter solchen gesellschaftlichen Verhältnissen , sprich: Klassengesellschaft! - die einzige "maßgebliche" Kategorie, unter der Bildung FÜR die "Unterschicht", die "Ameisen" der Gesellschaft "Sinn" macht.
Die Frage der Bildung für die breite Masse der Gesellschaft ist vor allem eine Frage der gesellschaftlichen Machtverhältnisse in diesem Land.
Oder anders ausgedrückt: Die Eliten dieses Landes WOLLEN dieses barbarische Bildungssystem, und mit Hilfe der korrupten gekauften Parteien versuchen sie es so lange wie nur möglich weiter aufrecht zu erhalten.
Auch DARAN sollte jeder "Freund von Bildung" bei der kommenden Bundestagswahl mal einen Augenblick denken.

Anonym 16. September 2009 um 22:05  

@ Anonym 16. September 2009 15:28

Mit zunehmenden Alter und wachsender Erfahrung stelle ich immer häufiger fest, dass ich in der Schule Dinge gelernt und -weil angeblich wissenschaftlich belegt- für wahr gehalten habe, die es nicht (immer) sind (Beispiele: Ernährung. Oder: seit meiner Kindheit wird (unter Ausklammerung wachsender Produktivität)gepredigt, dass die staatliche Rente nicht sicher sei. Oder dass die Gesundheits- und Sozialkosten steigen würden.
Kant wurde in der Schule als jemand "Großes" vermittelt.)
Wie oft habe ich (leider) in der Kindheit meinen Eltern unrecht getan, als ich ihre gewachsene Erfahrung als ungültig oder falsch abtat, nur weil ich in der Schule scheinbar das "Richtige", mindestens aber das zu diesem Stand Aktuellere gelernt zu haben glaubte und sie nun über-zeugen wollte. Dies bedauere ich heute sehr!

Heute gibt es zu fast jedem Thema "1000" Studien und Gutachten, immer mehr scheinbar auch Auftragsgutachten. Heute hüh, morgen hott - so dass einem schwindelig wird.
Auf die Medien ist kein Verlass mehr (wenn es in meiner Kindheit denn so war) und viele PolitikerInnen sind immer mehr nur noch in Rhetorik kompetent und liefern Mogelpackungen ab oder sitzen aus.

Bei den Themen, die ich durchaus selber beurteilen kann, stelle ich seit Jahrzehnten fest, dass Kompetenten und Erfahrenen nicht zugehört wird - egal, ob die Nichtzuhörer nun studiert haben oder nicht, jung oder alt sind (Beispiel: Die rechtzeitigen Warnungen von Fachleuten vor einer sog. Finanzkrise).

Die Argumentation von manchen Studierten, dass man wegen fehlenden Studiums nicht mitreden könne, ist ein sog. 'Killerargument', um sich auf das Gegenüber inhaltlich und emotional nicht einlassen zu müssen und evtl. Macht auf ihn auszuüben, ihn abzuwürgen.
Leider ist es manchmal auch so, dass "Nichtstudierte" manche Zusammenhänge nicht begreifen. Ich erlebe es in letzter Zeit häufig z. B. bei der Diskussion, in der ich fachlich argumentiere, dass ein Staat von der Politik und ihrer Gesetzgebung nicht vorrangig betriebswirtschaftlich wie ein Unternehmen zu führen ist, sondern eben volkswirtschaftlich (z. B. unter Einbindung fiskal- und geldpolitischer Maßnahmen, usw.) und dabei eben auch der Menschlichkeit verpflichtet sein muss.
Dabei merke ich dann, dass der 'Nachbar von nebenan' bei bestem Bemühen es einfach nicht begreift, weil er in seinem Erfahrungsraum immer betriebswirtschaftlich gedacht hat, denkt und handelt.
Und Studierten hapert es häufig am Einfühlungsvermögen, am Blick über den Tellerrand und der notwendigen Bodenständigkeit.

Das Perverse in unserer Gesellschaft ist, dass es -in beiden Gruppen- immer mehr Wissende und eben auch Halbwissende gibt, die nicht unoft an Schaltstellen sitzen und subjektiv in bester Absicht oder eben aus Gier oder der Angst "vor oben" handeln ... oder einfach nur ein zu ausgeprägtes Ego haben und der Klugscheißerei verfallen.
WAs aber schon seit meiner Kindheit so war ist, dass viele Menschen, meistens Männer, nie aus dem Sandkasten und/ oder dem 'Hotel Mama' herausgekommen zu sein scheinen und das Ausmaß der Risiken ihrer Entdeckungen, Erfindungen und/ oder Entscheidungen überhaupt nicht überblicken.

Anonym 16. September 2009 um 22:35  

Bessere, effizientere Sklaven durch "Bildungsangebote", ich weiss ja nicht - es wird aber ein Schuh draus wenn man überlegt, was damit kommuniziert werden soll: Wer abgehängt ist, ist selber Schuld, er könnte sich ja dank achsotoller Bildungsangebote selbst aus Arbeitslosigkeit und unwürdigen Arbeitsverhältnissen befreien.

Tim 17. September 2009 um 03:27  

@ Nachdenkseiten-Leser & epikur:

Gibt es schon:

http://www.zeitgeistlos.de/neusprech/orwell_wirtschaft.html

http://www.neosprech.de/wiki/index.php/W%C3%B6rterbuch_des_Neosprech

Anonym 17. September 2009 um 11:40  

@epikur

Danke für den Hinweis, aber das "ABC für den Neoliberalismus" halte ich zwar für gut, aber veraltet - Die Neoliberalen basteln ja ständig an neuen Wortkreationen :-( ;-)

@Tim

Danke für die Hinweis, hab die mir mal gemerkt, und werde die bei Gelegenheit nachlesen.

Gruß
Nachdenkseiten-Leser

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