Die eingezäunte Welt

Dienstag, 22. September 2009

Du bist ein eingefleischter Pessimist und gewohnheitsmäßiger Nörgler, De Lapuente. Nein, sag' nichts, ich weiß, welchen Spruch Du anzubringen pflegst, wenn man Dir das vorwirft. Du seist kein Pessimist, Du könntest nichts dafür, dass die Welt so schlecht sei. Kenne ich, habe ich oft von Dir gehört. Und ich stimme Dir ja zu, die Welt ist ein Jammertal. Blähbäuche konkurrieren mit Hunger, Folter mit Hinrichtung, Krisenherde mit Kriegsregionen. Die Pest ist eine Säule, die die Erde vom Himmel abstützt, die andere nennt sich Cholera. Daran mache ich keinen Zweifel fest, da gebe ich Dir uneingeschränkt recht, De Lapuente. Was ich Dir anlaste ist, dass Du diesen Kümmernissen des irdischen Daseins nicht lächelnd begegnest, dass Du die Trostlosigkeit dieses Planeten nicht mal zur Seite stellst, um die schönen Dinge unseres Vorhandenseins zu sehen.

Fall' mir nicht ins Wort, De Lapuente! Ich weiß, ich weiß es viel zu gut. Du versuchst es ja, Du probierst es ja immer wieder, die angenehmen Dinge des Lebens sehen zu wollen - allein es gelingt nur selten. Man darf sich einfach nicht zu sehr vereinnahmen lassen. Und weißt Du warum, Herr Pessimist? Weil man eine traurige Welt nicht mit der Beschreibung ihrer selbst erlöst. Erst wenn man sie schönredet, wenn man das Gute hervorhebt, die Schönheiten unterstreicht, verhilft man der Welt zu besseren Tagen. Sie schleppt sich schier zu Tode an ihrem Kreuz. Redet man dieses Kreuz auch noch zu einem spröden, schimmeligen, rissigen Klotz Holz, dann wird es infernalisch, dann ist man geneigt, sich Pulsadern zu öffnen, um der irdischen Verzweiflung zu enteilen. Nein, Du musst das Kreuz zu einem polierten, wohlproportionierten, ausgewogenen Stück Mahagoni erklären - schwer zwar, manchmal erdrückend, aber doch ein Hochgenuss für den Ästheten.

Ich weiß schon, sowas hältst Du für plumpen Optimismus. Wie hast Du es neulich formuliert, De Lapuente? Nein, sag' es nicht, ich komme selbst drauf. Es war ungefähr, nicht wortgetreu, folgendermaßen: Der Pessimismus ist der Optimismus des Armen. Dieser kann sich gute Gedanken nicht leisten, denn die bezahlt er doppelt und dreifach, wenn er erkennen muß, dass er umsonst gehofft und gebetet, wenn ihm bewusst wird, dass sich wieder mal eine Hoffnung zerschlagen hat. Ja, denk' ich mir, dass Du da zustimmend nickst. So eine Tristesse gefällt Dir. Da kann man Dich haben! Und dabei wäre es so einfach. Du solltest anspruchslos an die schönen Seiten des Lebens denken; die ganzen Widrigkeiten, die verbannst Du aus Deinem Denken. Weg mit der schlechten Stimmung, die sich nur auf andere überträgt. Stell' Dir doch nur mal vor, wir wären alle so mies gelaunt. Bist Du gar nicht? Ich sehe das anders! Wenn ich Dir von einer neuen Errungenschaft aus Konsumwelten erzähle, äußerst Du nur Bedenken, wie tief dieser Konsumterror - so verächtlich nennst Du das Shoppen! - bereits in mein Leben gesickert sei. Na gut, vielleicht bist Du nicht mies gelaunt. Aber wenn Du mir meine Freude so verdirbst, wenn Du erklärst, dass an meinem Klamotten-Schnäppchen Kinderarbeit hängt und indische Familie verrecken, weil deren Lohn bei weitem nicht ausreicht, dann habe ich ganz beschissene Laune. Dann atomisierst Du meine ganze Lebensfreude. Wie bitte? Das ist nicht nur frech, das ist beleidigend! Wenn dies meine einzige Lebensfreude sein soll, dann zum Teufel mit mir? Fängst Du schon wieder an, De Lapuente!

Wäre ich kein solcher Sonnenschein, würde mich Dein ewiger Pessimismus lähmen. Aber ich habe gelernt, die Welt so zu sehen, wie sie mir wohltut. Blähbäuche, Hungersnöte, Mord, Totschlag, Folter, Betrug und dergleichen Unwörter mehr, tun mir einfach nicht gut. Ja, ich weiß, De Lapuente, denen die darunter leiden, tut es auch nicht gut. Aber muß denn die ganze Menschheit leiden, nur weil ein Paar Menschen jenseits europäischer Grenzen in Leid schmachten? Auch innerhalb, ich weiß! Aber die leben doch in anderen Stadtvierteln. Da komme ich nie hin, ich habe keinen Bezug zu diesen armen Kreaturen. Reicht es denn nicht, wenn diese Leute leiden? Muß ich denn unbedingt mitleiden? Ist das der Fortschritt der Menschheit? Ich maße mir ja nicht an, diesen Menschen nachzusagen, sie hätten selbst Schuld an ihrer Misere. Aber fragen muß ich mich schon, warum es jene getroffen hat und nicht mich. Irgendwas habe ich also an mir, was mich vor Nöten bewahrt hat. Und ich bin mir sicher, dass ich es meinem unsterblichen Optimismus verdanke, meinem Glauben daran, dass es nie schlechter, dafür aber immer besser kommen kann, wenn man nur blind glaubt und hofft und betet. Dieser Gabe schulde ich alles, daher lebe ich sie ungeniert aus. Täte ich es nicht, würde ich meine Fähigkeiten verraten und zu einem ebensolchen Nörgler und Griesgram wie Du.

Ha, De Lapuente, Du bist wahrlich erbärmlich! Das eben von Dir Gesagte kann man gar nicht wiederholen, ohne an einem Lachanfall ersticken zu müssen. Du meinst also, Du seist im Grunde Optimist, weil Du Dich dieser traurigen Welt annimmst, sie so siehst, wie sie tatsächlich ist? Du glaubst allen Ernstes, dass ein Pessimist nicht derjenige ist, der die Welt betrachtet und getreu wiedergibt, sondern einer, der sich von diesem Trauerspiel abwendet und geistigen Selbstmord begeht? Achso, ja klar, De Lapuente, jetzt bin ich also der Pessimist! Ich bin der Böse! Du bestätigst nur meine vorherige These, wonach Du immer schlechte Stimmung verbreitest. Und ich warne Dich, ich habe seit eben ganz abscheuliche Stimmung. Ist Dir mal wieder blendend gelungen! Weil ich mich abwende, weil ich die Welt nicht annehme und mich mit ihr auseinandersetze, damit dem Schlechten Vorschub leiste, weil ich mich nicht dagegen stemme, bin ich ein Pessimist? Und Du, der die Menschen unfroh, der Hoffnung zu einer Erwartungshaltung für Reiche macht, der dem kleinen Mann die Freude über ein neues Haushaltsgerät nicht läßt, weil Du meinst, Du müsstest etwas über die Herkunft des Gerätes nachschieben, bist also der große Optimist? Ach, der bist Du auch nicht? Du bist also frei von Kategorien, stellst nur die Welt dar, wie sie sich Dir zeigt? Aber tue ich das nicht auch?

Wenn ich nicht hinschaue, dann gibt es das, was ich nicht gesehen habe, für mich auch nicht. Wenn meine Wahrnehmung begrenzt ist, ist auch die Welt begrenzt, in der ich mich bewege. Ja, verdammt, De Lapuente, vielleicht habe ich eben zugegeben, dass ich mir meine Welt selbst einzäune, damit sie mir übersichtlich bleibt. Aber deswegen bin ich dennoch Optimist! Denn in meiner kleinen Welt sortiere ich Schlechtes vom Guten, ich werfe Hoffnungslosigkeit hinaus, damit die Hoffnung nicht gestört wird. Ich bin dort glücklich und letztlich zählt eben nur das Glück. Mein Glück! Wie soll ich den leben ohne mein Glück? Du hast Deine Zäune eingerissen. Deine Welt ist unübersichtlich, Du begreifst, so hast Du es mir selbst einmal erklärt, viele Dinge nicht gänzlich, weil Du keine Begrenzungen kennst. Da lobe ich mir Menschen, die in Schwarz und Weiß unterteilen können, damit sie Überblick wahren, damit sie auch eine konkrete Meinung zu entfalten vermögen. Du hast ja keine Meinung, bei Dir heißt es viel zu oft "einerseits" und "andererseits", "hier" und "dort", "so besehen" und "von der anderen Seite betrachtet". Wenn man aber "entweder" oder "oder" sagen kann, weil der Überblick in enges Sperrgebiet geschlossen wurde, dann kann man in dieser Welt bestehen. Du bist miesmacherisch, weil Du kein Sperrgebiet kennst, weil die Felder, über die Du blickst, endlos sind und am Horizont verschwinden. Wer würde in dieser Endlosigkeit schon froh? Mir kann das nicht passieren, De Lapuente! Ich weiß woran ich bin, ich kenne meine Grenzen. Ich stehe dazu, dass ich begrenzt bin.

Du nicht! Du meckerst und fährst die Stimmung runter. Und ist deswegen die Welt besser geworden? Na? Ist sie besser geworden? Sag' schon! Darauf weißt Du keine Antwort, was? Du findest keine Antwort, die Dir zur Ehre gereichen würde, weil Deine Gemütslage eben nichts verändert hat. Da kann ich genauso gut meinen Mund halten, wenn es eh nichts bringt. Das wäre nur effizient. Doch Du bist grenzenlos, grenzenlos arrogant, weil Du annimmst, Deine Ansichten kümmerten die Welt. Jetzt schweigst Du! Habe ich einen wunden Punkt getroffen? Grabesstille! De Lapuente ist verstummt. Arbeitet es in Dir? Begreifst Du nun, warum man positiv denken muß? Komm', lass Dein Schweigen sein, ich meine es doch nicht böse. Wie bitte? Verstehe das wer will! Du bist pessimistischer denn je? Und warum, wenn ich fragen darf, unverbesserlicher De Lapuente? Wie?

... weil es Menschen wie mich gibt!

27 Kommentare:

Margitta 22. September 2009 um 11:41  

Lieber Roberto,

wie kommt das nur, dass Du immer wieder im genau richtigen Moment, das was mich in meinem tiefsten Innern beschäftigt in Worte gepackt mir zum Lesen präsentierst?

Oftmals beginne ich bei Dir zu lesen und ich weiß genau worauf Du hinaus willst. Immer denke ich bei solchen Einträgen: 'Da hättest du auch selber drauf kommen können' Und immer wieder bringen mich diese Einträge dann weiter in meiner Entwicklung. Es öffnen sich neue Türen und meine "Weltsicht" erweitert sich, wird unübersichtlicher und weckt meine Lebenslust, holt mich wieder raus aus der beginnenden Trägheit. Verbannt dem übermäßigen Wunsch zu resignieren.

Danke dafür.

Ein Pessimist ist ein Optimist mit Lebenserfahrung, denn er glaubt an Wunder.

Liebe Grüße
Margitta

Frank Benedikt 22. September 2009 um 13:36  

Du bist eben ein notorischer Querulant, lieber Roberto ;-)
Weiter so!

Liebe Grüße
Frank

Anonym 22. September 2009 um 15:07  

"Und ist deswegen die Welt besser geworden? Na? Ist sie besser geworden? Sag' schon! Darauf weißt Du keine Antwort, was?"


Doch! Meine Welt ist besser geworden! Meine Scheuklappen habe ich verloren. Danke

klaus baum 22. September 2009 um 15:15  

einer, der die dinge so schlecht sieht, wie sie sind, ist positiv eingestellt - im gegensatz zu dem, der das schlechte schönredet. letzter ist der eigentliche negativist.

Margitta 22. September 2009 um 15:48  

@ Klaus Baum,

das hast Du sehr gut in Worte gefasst. Zur selben Einsicht kam ich vor einiger Zeit durch das Verhalten einiger Menschen aus meinem unmittelbaren Umfeld.

Liebe Grüße
Margitta

epikur 22. September 2009 um 15:49  

Ach, wie oft musste ich mir das schon anhören: "Du siehst in allem nur das Negative!". Wenn ich dann antworte, dass dem nicht so ist, ich die Welt nur so sehe wie sie IST und sie nicht negativ mache, befinde ich mich sofort in einer Rechtfertigungs-Verteidigungshaltung, aus der es keinen glaubwürdigen Ausweg mehr gibt.

Naiv, geblendet und mit Scheuklappen durch die Welt zu laufen ist vielleicht bequemer, aber auch verlogen, unehrlich und egoistisch. Und nur authentisches Leben kann letztlich auch glücklich machen.

otti 22. September 2009 um 21:14  

Mensch, Delapuente, bist einfach Mensch geblieben.
Wärest Reicher geworden, hättest andere Sorgen.

Desparada-News 22. September 2009 um 23:46  

Ja, ja, die alte Frage: "Wo bleibt das Positive?" Irgendwo ist es abgeblieben, versteckt sich im Angesicht des Negativen, wirkt im Verborgenen dafür, dass wir das Negative bestehen und dagegen angehen.
Dieses Positive, das wir wollen, ist nicht sichtbar im Moment, weil das Negative es zu verdecken droht. Aber solche Leute, wie Du einen beschrieben hast, sehen das nicht.

klaus baum 23. September 2009 um 00:16  

@margitta, danke für das kompliment.

Anonym 23. September 2009 um 01:59  

Man kann sich viel und ausgiebig auslassen über die Beschränkungen, die viele Menschen sich erwählt haben, oder die ihnen auferlegt wurden.

Letztlich sollte man dafür Verständniss aufbringen. Ich bin häufiger recht ungehalten darüber, daß über Menschen die sich eine lebenswerte Fassade aufrecht erhalten wollen so schlecht geredet wird. Jaa, das ist eine Wurzel vielen Übels, das ist mir klar. Menschen sind aber so und man sollte nicht einfach den Leuten die Fassade herunterreißen wenn man dazu nicht aufgefordert wurde.
Das kann man passiv als Angebot immer machen, so wie es ein solcher Blog macht. Aber mit Gewalt einem anderen seine Lebensrealität rauben um ihn dann desillusioniert destabilisiert da stehen zu lassen ist einfach nicht ok wie ich heute meine.

Stellen wir uns das bildlich vor anhand der Matrix Wahrheitspille:
Blau oder Rot?
Mal nur der physikalische Akt der Verabreichung betrachtet, würde also eine Zwangsaufklärung ohne die Frage so aussehen, daß Morpheus Neo die rote Pille mit Gewalt in den Mund schiebt.

Manchmal mag die Verlockung dazu da sein, es ist aber nicht sinnvoll von jedem zu erwarten den scharfen Blick für die Realitäten hinter der Fassade zu akzeptieren. Viele Menschen brauchen die Stabilität, die ihre Sicht ihnen vermittelt und können nicht ihre Welt aufgeben. Es würde ihnen den Boden unter den Füßen fortreißen.

Erinnert euch an die positiven Kommentare zu "Schöne neue Welt". Es gab tatsächlich einige Menschen die diese Dystopie für erstrebenswert halten und hielten. Obwohl die Menschheit manipuliert ist, ist sie aber zufrieden und jeder auf seine Weise glücklich.

Das muss man beachten wenn Aufklärungsarbeit geleistet werden soll. Man kann nicht einfach diejenigen verurteilen dafür, daß sie sich für einen leichteren Weg entscheiden bzw. nie vielleicht eine Wahl hatten ihren Horizont entsprechend zu erweitern.

Es geht nicht immer einfach nur um eine wählbare Sicht auf die Dinge, eine differenzierte Sichtweise erfordert Kenntnisse, Zeiteinsatz, Erfahrungen, Intellekt, Chancen zur Entwicklung...
Muss jeder, der über diese und ähnliche nötige Fähigkeiten und Erfahrungen nun nicht verfügt gleich als Systemtrottel gebrandtmarkt sein?

wollt ich nur mal anmerken...

ad sinistram 23. September 2009 um 07:16  

"Aber mit Gewalt einem anderen seine Lebensrealität rauben um ihn dann desillusioniert destabilisiert da stehen zu lassen ist einfach nicht ok wie ich heute meine."

Von Gewalt ist zwar keine Rede, aber mal andersrum gedacht: steht es denen, die sich Scheinwelten - eingezäunte Welten - anlegen zu, solchen die nicht zwischen Zäunen leben, einzufangen? Denn das tun sie in einem viel größeren Maße, als es sogenannte Pessimisten an sogenannten Optimisten tun.

Wahr bleibt aber auch: Wenn der Blick des Gegenüber so getrübt ist, dass er in seiner Schönwelterei den Schaden anderer Menschen in Kauf nimmt und sogar fördert, dann ist das kein eitler Akt, die Maske abreißen zu wollen - dann ist es notwendig.

ciegolino 23. September 2009 um 07:59  

"Ich weigere mich zu akzeptieren, dass die Welt so sein muss", sagt José Saramago. "Ich weigere mich. Für mich ist das nicht wichtig, ich bin 84 Jahre alt, in zwei oder drei Jahren, vielleicht noch weniger, bin ich nicht mehr da. Also könnte mir das alles egal sein. Aber es ist mir nun mal nicht egal. Ich bin in eine ungerechte Welt hineingeboren worden und ich werde eine ungerechte Welt verlassen. Ich bin kein Pessimist. Jeder sagt: 'Sie sind ein Pessimist!' Aber ich antworte immer: 'Nein, nein, ich bin kein Pessimist. Es ist die Welt, die so schlecht ist'!"

Jose Saramago, Schriftsteller und Nobelpreisträger

Maverick 23. September 2009 um 11:00  

"Es ist kein Zeichen geistiger Gesundheit, gut angepasst an eine kranke Gesellschaft zu sein"
(Jiddu Krishnamurti)

Anonym 23. September 2009 um 11:32  

Ja Sie haben alle genauso Recht.

Nur muss das mit Respekt vor dem Mitmenschen verbunden bleiben. Wenn ich nicht leiste was ich vom anderen einfordere, wenn ich die "Dummen Konformisten" verachte, dann mache ich einen Fehler der Aufklärung behindert.

Nun ja, Menschen sind halt unterschiedlich und wenn man es sich verbittet in Schwarze und Weiße, in "rassischen" Merkmalen zu teilen, muss es auch aufhören bestimmte Sichtweisen und geistige Haltungen auf ähnliche Weise zu brandmarken.

ad sinistram 23. September 2009 um 11:53  

"Nur muss das mit Respekt vor dem Mitmenschen verbunden bleiben. Wenn ich nicht leiste was ich vom anderen einfordere, wenn ich die "Dummen Konformisten" verachte, dann mache ich einen Fehler der Aufklärung behindert."

Wenn die Konformiität unserer Gesellschaft aber dazu führt, das Leben anderer Menschen zu erschweren, ja sogar zu beenden, weil wir konform nach billigem Kaffee und noch billigerer Schokolade verlangen beispielsweise, dann kann Toleranz kein Gebot mehr sein. Konformismus kann übergangen werden, wenn er niemanden schadet. Aber das tut er in unseren Tagen so gut wie nie. Wer konform geht mit der kapitalistischen Politik, der geht konform mit Unterdrückung und Mord. Da ist das Attribut "dumm" noch eine liebevolle Bezeichnung für einen Konformisten.

Maverick 23. September 2009 um 12:18  

Zitat:
[...] Nun ja, Menschen sind halt unterschiedlich und wenn man es sich verbittet in Schwarze und Weiße, in "rassischen" Merkmalen zu teilen, muss es auch aufhören bestimmte Sichtweisen und geistige Haltungen auf ähnliche Weise zu brandmarken. [...]

In Deutschland herrscht nach wie vor „ZUCHT“ und „ORDNUNG“! – Pflanzen, Tiere, Stammzellen, Meinungen, Menschen, ferngesteuerte und fremdprogrammierte Arbeitsdrohnen, Konsumjunkies, Kommerzzombies. – Hier wird alles gezüchtet (Zuchthaus ohne Zaun). Zeitgenossen die diesen Zustand erkennen sind nicht etwa bessere Menschen, nein, sie sind einfach nur anders und des Öfteren genervt. – Entschuldigung! – Anders zu sein bedeutet Vielfalt. – Und Vielfalt bedeutet Reichtum.

Anonym 23. September 2009 um 13:10  

Das stimmt ebenso.

Der Fehler der bei den häufigen Schuldzuweisungen vorliegt ist die Annahme, daß Menschen so handeln wie sie handeln aus BEWUSSTER Bosheit, weil sie zwischen den Alternativen BEWUSST gewählt hätten.

Das sehe ich eben völlig anders. Menschen werden in Gesellschaften hineingeboren und durch diese zu dem geformt. Da liegt in aller Regel keine Wahlmöglichkeit vor! Der Mensch ist kein rationales Wesen, im Gegenteil.

Menschen sind Herren und Sklaven ihres Selbst und wieviel mehr sind sie vom System abhängig, in das sie geboren werden? Das noch über ihrem eigentlichen Selbst wacht, es zurechtstutzt, ja eben Konform macht?

Und am Ende brauchen gerade die Opfer dieses Systems den Systemeffekt der billigen Nahrungsmittel. Denn wer kein Geld hat, für den ist Geiz nicht geil sondern Überlebensstrategie.

Wir sind alle Nutznießer und Opfer des Systems. Niemand ist völlig ausserhalb desselben. Selbst als Bettler profitiert er von der locker sitzenden Münze durch das Schuldbewußtsein eines Bessergestellten.

Wenn wir uns in unseren Köpfen von der Gesellschaft abgrenzen, von ihrem Denken, ihrer Einfalt und wenn wir dies sogar im Alltag zeigen, so sind wir immer noch Systemdiener wenn wir an der Veränderung des Systems arbeiten und Bestandteile des Systems wenn wir hier leben.
Dem ist nicht zu entfliehen. Darum ist es immer eine Frage WIEVIEL Schuld hat der Einzelne? Wieviel Entschuldigt eine Einstellung, die aber kaum im Alltag Auswirkungen haben kann? Wir leben hier, arbeiten hier, kaufen im System, verkaufen innerhalb des Systems.
Somit gehören wir dazu, ob wir uns das ausgesucht haben, ob wir jetzt bereit wären wie andere mit der Waffe in der Hand das System zu verteidigen oder uns für die Weigerung einsperren ließen oder gar erschießen. Es bleibt immer der Makel Teil des Systems gewesen zu sein wenn auch mit geringerem Anteil durch eigenes Wirken.

Genau deshalb, weil wir diese Kollektive Gemeinschaft bilden und im selben Boot mit jenen sitzen die wir oft allzugerne verurteilen, gerade deshalb sollten wir uns über die Doppelmoral vorschneller Verurteilung bewußt werden.
Dann wird es auch einfacher seinen Mitmenschen zu verstehen, man fühlt sich ihm näher und Verbunden, obwohl ein gigantischer trennender Graben dazwischen liegt.
Wir können nicht die eigenen Hände in Unschuld waschen nur weil wir ein paar Kleinigkeiten anders machen als andere und eine andere Einstellung zum Leben in diesem Lande praktizieren.
Das ist Selbstgerecht und Ungerecht.

Maverick 23. September 2009 um 14:36  

Zitat: [...] Menschen sind Herren und Sklaven ihres Selbst und wieviel mehr sind sie vom System abhängig, in das sie geboren werden? [...]


"Es gibt keine Absurdität, die so handgreiflich wäre, daß man sie nicht allen Menschen fest in den Kopf setzen könnte, wenn man nur schon vor ihrem sechsten Jahre, anfinge, sie ihnen einzuprägen, indem man unablässig und mit feierlichstem Ernst sie ihnen vorsagte."
(Arthur Schopenhauer - Parerga und Paralipomena II, Kapitel 26, § 344)

Anonym 23. September 2009 um 18:17  

Ah Maverick, schreib mal was eigenes, Zitate sind ja ergänzend nützlich aber ohne Kommentar auch nur halbgares Gedöhnse.

Menschen sind wie sie sind. Die Psychologie hat viele Modelle geliefert, die oft strittig, aber nicht von der Hand zu weisen sind.

Wer meint der Mensch könne sich aus der Gesellschaft und seiner geistigen Konstellation herausstehlen, in der er lebt und auf die er für das Leben angewiesen ist. Wer meint der Einzelne hört dann auf Teil der Gesellschaft zu sein, weil er das einfach so will, der hat nicht verstanden was für ein immenses Potential Gesellschaft ist. Der versteht die Sogwirkung gesellschaftlicher Rahmenbedingungen und Entwicklungen nicht, dem ist nicht klar geworden, was Millionen! für eine Anzahl an Individuuen sind. Gleich einem SciFi Träumer, der die Distanz des Lichtjahres nicht mehr begreifen kann, stehen viel zu viele Besserwisser herum, die oft richtiges erzählen, dabei aber vergessen wie sehr der Mensch auch getriebener der Geschichte ist.

Nur weil einige ein paar Bedingungen VERSUCHEN zu ändern, ändert sich nicht die Welt.

Daran ändern auch einige unpassend gesetzte Zitate nichts.

ad sinistram 23. September 2009 um 18:33  

Es ging hier auch nicht um das Entfliehen. Man kommt aus der Gesellschaft nicht raus, man kann sich bestenfalls Häkeldeckchen ins private Wohnzimmer legen, sich Kaffee kochen und biedermeierisch enteilen. Mehr ist kaum machbar. Und das tun allzuviele sowieso. Sich pessimistisch (nennen wir es so, auch wenn ich es für mich nicht unbedingt gelten lasse, ich mich wenig als Pessimist fühle, weil mich die Realität meist bestätigt) mit der Gesellschaft auseinanderzusetzen ist keine Flucht. Nein, man wirft sich mit vollen Atemzügen in den Misthaufen und schnauft den Dampf ein. Flucht sähe ganz anders aus.

Maverick 24. September 2009 um 07:07  

@ anonymer Psychologe bzw. Psychologin (23. September 2009 18:17)

Mein Selbstwertgefühl ist so gering geworden, dass ich meine, nichts eigenes mehr adäquat ausdrücken zu können und antworte deshalb mit den Zitaten anderer.

Aber keine Angst, Du Durchblicker, das war hier das letzte Posting des SciFi-Träumers, welcher nur „unpassende Zitate setzt“ und somit nur „halbgares Gedöhnse“ produziert.

Letztes Zitat:
Mit großer Freude sägen
Die Einen an meinem Ast
Die Andern sind noch am überlegen
Was ihnen an mir nicht passt
Doch was immer ich auch tun würde
Ihre Gunst hätt' ich längst verpatzt
[b]Also tu' ich, was ein Baum tun würde
Wenn ein Schwein sich an ihm kratzt[/b]

Und ich bedenk', was ein jeder zu sagen hat
Und schweig' fein still
Und setz' mich auf mein achtel Lorbeerblatt
Und mache, was ich will

Margitta 24. September 2009 um 08:56  

"Menschen sind wie sie sind"

Dieser Aussage möchte ich, für meine Person, mit aller Entschiedenheit widersprechen.

ICH bin heute nicht mehr die, die ich gestern war und nach dem ich diesen Kommentar zur Veröffentlichung abgeschickt habe, nicht mehr die, die ich war, während ich Selbigen schrieb.

Mir sagt dieser Satz vor allem eins:
'Brauchst dich gar nicht anzustrengen! Es ist eh egal, was du auch machst, es wird sich nichts ändern! Also mach dir keine Mühe und bleib wie du bist! Denn: "Menschen sind so wie sie sind!"

Also, wenn das stimmen sollte, dann WILL ich gar nicht mehr Mensch sein und wechsle mal ganz schnell zu den ALIENS.
...
und werde euch Menschen weiter auf die Nerven gehen.

Mein Vertrauen in euch Menschen ist viel zu groß; und deshalb kann ich gar nicht aufgeben euch immer wieder zu aufzuzeigen, dass Veränderung MÖGLICH ist.

'??? was für ein blödes Gequatsche ist das denn???' höre ich gerade.
Gut so, der Anfang ist gemacht. Jetzt, lieber Mensch, frage dich mal: WARUM du glaubst, ich würde blöd daher quatschen. Wenn du dann in der Lage bist, der Antwort ins "Gesicht" zu sehen, hast DU dich verändert und weißt, DASS Veränderung möglich ist. Denn: Es ist DEINE Antwort.

Der Mensch ist, was ER aus SICH macht.

Außerirdische? Grüße
Margitta

Anonym 24. September 2009 um 13:52  

@Maverick
Ist der Zitate-Künstler da ein bischen eingeschnappt? Trotzdem bleibe ich dabei. Dein Zitat war unangebracht und meine Sichtweise des Menschen basiert auf der für die meisten Menschen zutreffende Sitatuion eines Entwicklungsstaus. Sie sind mehr Getriebene als ihre eigenen Designer. Das ist tiefenpsychologisch leicht nachprüfbar und daher verstehe ich nie die Entrüstung einzelner, die dies weit von sich weisen.
Selbst ein Freud hat sich immer innerhalb seiner Thesen wiedergefunden. Ein Reifegrad der wohl den meisten meisten Menschen nicht gegeben ist.

@Margitta

Der Mensch ist, was ER aus SICH macht.
Na klar. Deshalb finden auch gut 90% aller Entscheidungsprozesse unbewußt statt :-)
Genau das ist doch eine Vorraussetzung, die den Menschen prägt. Wer dieser entwachsen ist, hat natürlich einen Vorsprung vor den anderen. Allerdings kann man nicht Gesetzmäßigkeiten der menschlichen Handlungen bloßstellen und sich dann stets davon ausnehmen.
Wenn wir davon ausgehen, daß die meisten Menschen eben so ein eingeschränktes Bewußtseinsfeld haben, welchen Sinn hat es dort gegen eine Mauer zu reden, dort die Mauer vielleicht niederzureissen, wo dann ein ängstliches lebensunfähiges geistiges "Kind" zum Vorschein kommt?

Ich plädiere doch nicht dafür von Aufklärung über bestehende Verhältnisse Abstand zu nehmen, sondern für ein rücksichtsvolleres und von Respekt geprägtes Augenmaß. Mir stößt diese Selbstherrlichkeit mit der sich die Aufklärer auf der ethisch gerechten Seite sehen auf, das ist alles.

Ich bleibe dabei: Menschen sind wie sie sind. Sie sind Produkte ihrer Anlagen, ihrer Umwelt, ihrer Eltern, ihrer Nation, ihrer Lebensverhältnisse. Darüber hinaus zu wachsen ist nur wenigen möglich und deshalb klappt das mit der Aufklärung auch nicht so einfach.

Christian Klotz 24. September 2009 um 19:21  

Vielleicht sollte man den Menschenkundlern mal folgendes Gleichnis zur gefälligen Begutachtung vorlegen::
Wenn auf einer feuchten Wiese Frösche und Kühe angetroffen werden, dann ist selbstverständlich die Kuhheit der Grund für die Frösche.
Oder war es umgekehrt?
Vielleicht ist es aber auch die Wiese, daß es schon immer so war wie es sein wird.

Charlie 25. September 2009 um 03:29  

Schon wieder ein Zitat ... ;-)

Und wo bleibt das Positive, Herr Kästner?

Und immer wieder schickt ihr mir Briefe,
in denen ihr, dick unterstrichen, schreibt:
"Herr Kästner, wo bleibt das Positive?"
Ja, weiß der Teufel, wo das bleibt.

Noch immer räumt ihr dem Guten und Schönen
den leeren Platz überm Sofa ein.
Ihr wollt euch noch immer nicht dran gewöhnen,
gescheit und trotzdem tapfer zu sein.

Ihr braucht schon wieder mal Vaseline,
mit der ihr das trockene Brot beschmiert.
Ihr sagt schon wieder, mit gläubiger Miene:
"Der siebente Himmel wird frisch tapeziert!"

Ihr streut euch Zucker über die Schmerzen
und denkt, unter Zucker verschwänden sie.
Ihr baut schon wieder Balkons vor die Herzen
und nehmt die strampelnde Seele aufs Knie.

Die Spezies Mensch ging aus dem Leime
und mit ihr Haus und Staat und Welt.
Ihr wünscht, dass ich's hübsch zusammenreime,
und denkt, dass es dann zusammenhält?

Ich will nicht schwindeln. Ich werde nicht schwindeln.
Die Zeit ist schwarz, ich mach euch nichts weis.
Es gibt genug Lieferanten von Windeln.
Und manche liefern zum Selbstkostenpreis.

Habt Sonne in sämtlichen Körperteilen
und wickelt die Sorgen in Seidenpapier!
Doch tut es rasch. Ihr müsst euch beeilen.
Sonst werden die Sorgen größer als ihr.

Die Zeit liegt im Sterben. Bald wird sie begraben.
Im Osten zimmern sie schon den Sarg.
Ihr möchtet gern euren Spaß dran haben ... ?
Ein Friedhof ist kein Lunapark.


(Erich Kästner: Ein Mann gibt Auskunft, 1930)

Christian Klotz 25. September 2009 um 14:13  

Sehr hübsches Zeitgedicht, und für die Abgrenzung von den anderen Pharisäern gut geeignet.
Aber nachdem da bloß die Zeit stirbt und begraben wird, ist das alles eigentlich gar nicht so schlimm.

Christian Klotz 30. September 2009 um 18:22  

„Der Mensch...“
Was nach diesem Anschlagen des Themas noch alles kommen könnte, oder mit Sicherheit kommt, ist pure Ideologie.
Denn diese Sätze meinen gar nicht dich und mich im Unterschied zu den Steinen, Pflanzen, Engeln oder anderen angebbaren Bedeutungen von Seiendem oder Erdachtem, über das man reden könnte, sondern eine unveränderliche Naturqualität, die dem Menschen qua Rasse zukommt.
Ab sofort hat sich jede Diskussion aufzuhören, denn dieser externe Rassengesichtspunkt wird an jedem geschichtlich-gesellschaftlichen Datum fündig, denn er weiß, was er sucht. Nähere Untersuchungen sind daher überflüssig.
Tut mir leid, daß ich da noch mal nachtrete. Mir kommt das wichtig vor.

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