Die Selektionsrampe ist wieder Alternative

Freitag, 22. Mai 2009

Wieder einmal ist die deutsche Ärzteschaft in der Zwickmühle; wieder einmal, nach langen Jahren, in denen ihr Schaffen wertneutral über die Bühne gehen konnte, hat sie sich zwischen wertvollen und wertlosen, zwischen behandlungswürdigen und -unwürdigen Kranken zu entscheiden; wieder einmal wählt man im vorauseilendem Gehorsam die Selektionsrampe. Der deutsche Arzt soll aber dabei nicht selbst entscheiden müssen, dies hat er auch seinerzeit nicht, schon bevor er gut organisiert in braunen Reichsverbänden Forderungen an die Mächtigen der Politik richtete, Forderungen bezüglich Neustrukturierung der Krankenkassen und Auslesedoktrin, als er demokratisch legitim für eine neue Art des Gesundheitswesen plädieren durfte, in der bestimmte Gesellschaftsschichten entweder ganz ausgeschlossen oder sterilisierend betreut werden sollten. Er entscheidet nicht selbst, aber er will, dass für ihn vorentschieden wird, dass man ihm vorgibt, wen er zukünftig als Patienten stillschweigend ignorieren darf. Eine Prioritätenliste der behandlungswerten Krankheiten soll die Reformen im Gesundheitswesen genesen, soll die Geldbeutel der Ärzteschaft heilen lassen. All das geschieht aber im Namen des Patienten, der dann vielleicht gar kein Patient mehr sein wird, weil seine Krankheit nicht wichtig genug ist, ganz unten in der Prioritätenliste eingetragen ist; im Namen des Ex-Patienten engagiert sich das organisierte Ärztetum, jener Ex-Patienten, die nun vielleicht von einer unheilbaren Krankheit heimgesucht werden und daher sowieso abgeschrieben werden sollen.

Die Ärzteschaft dieses Landes steht damit, unkritisch wie sie ist, in bester Tradition. Nicht anders hat sie einst Herr über Leben und Tod sein wollen – und sein dürfen, nachdem man lange genug jene Politik penetriert hat, die sich als Mittler zwischen Nutzen und Kosten verstand, die den Menschen zum Kostenfaktor und Produktionsmittel degradierte, zum Menschenmaterial für Industrie und den Führern des Landes herabwürdigte. Wer innerhalb dieses materialistischen Wertekanons keinen Platz fand, weil er krank war, falscher Herkunft, falsche Weltanschauung pflegte, dem wurden Spezialbehandlungen zuteil. Die sich vernünftig gebende Ärzteschaft heutiger Tage empfindet ähnlich, wenn auch etwas zurückhaltender. Ihre Spezialbehandlung ist die Unterlassung, die Ignoranz, die Gleichgültigkeit gegen Krankheiten, die sie für nicht behandlungswürdig hält. Sie tut das nicht aus rassischer Überzeugung, nicht aus nationalistischem Pathos, sondern weil in deren Weltbild der Mensch ein Kostenfaktor ist, eine Maschine aus Fleisch und Blut, deren Wiederherstellung oberstes Gebot ist - und weil die eigene Wirtschaftlichkeit das einzig anzustrebende Ziel der Ärzteschaft zu sein hat. Hier schlägt die fromme und frohe Botschaft vom Wettbewerb im Gesundheitswesen voll durch. Wenn beim täglichen Haushalten der Praxis eine erfolgreiche Behandlung von Patienten zustandekommt, dann ist es natürlich erfreulich, wenn nicht, dann eben nicht. Das Wohl des Hilfesuchenden hat sich der eigenen finanziellen Gesundheit unterzuordnen. Indessen versteht sich der Arzt lediglich als Monteur kaputtgegangener Menschenmaschinen, und ist als solcher ebenso eine Maschine. Und da man als gefühlssterile Maschine auch nur Maschinen repariert, die auch wirklich wirtschaftlich sind, die noch Profit versprechen, noch nicht gänzlich vom Rost zerfressen sind, setzt man auch nur solche Maschinen instand, die Wertschöpfung versprechen. Diese Denkweise ist zwischen den Zeilen der vernünftelnden Prioritätenliste in aller Deutlichkeit herauszulesen.

Wenn dies schon alles wäre: es wäre schon genug, schon ausreichend beleidigend gegenüber den Patienten. Einen wesentlichen Punkt der Reformitis sprechen die Ärzte gar nicht an, er ist nicht relevant für sie, weil er den Status des Maschinenheilers angreift, weil er das Verhältnis zwischen Arzt und Patient beleuchtet und wieder ins richtige Licht rückt, nämlich in das Licht eines Verhältnisses zwischen Menschen, in ein Vertrauensverhältnis. Der Arzt wird heute als rein verwissenschaftlichte Heilsgestalt begriffen, eine die Chemie reicht, die den Makel beheben, die wieder einsatzbereit machen soll. Bevor man vom Arzt sprach, der etymologisch vom griechischen arch-iatros entsprungen ist, bemühte man im mitteleuropäischen Raum den lachi, den Besprecher. Obzwar Heilkundiger, der mittels Pflanzen und Kräutern zu lindern, manchmal auch zu heilen vermochte, sprach man vornehmlich von einer Person, mit der man sich besprechen könne. Das Verhältnis zwischen Kranken und Heiler war ein besprechendes, ein sich von der Seele sprechendes Verhältnis. Man erkennt daran, wie man einen solchen damaligen Heiler benannte, dass den Menschen einst der Arzt mehr als Reparateur war, nämlich eine Person, bei der man sich aussprechen konnte, mit der man sprach, die mit einem sprach, die sprechend ans Seelische herantastete, um so auch das körperliche Gebrechen zu lindern.

Dass im Verhältnis zwischen Arzt und Patienten immer auch eine psychologische Komponente hineinwirkt, verspüren wir selbst noch häufig, wenn wir beispielsweise nach einer Nacht, die wir uns übergebend auf der Toilette verbracht haben, morgens darauf in einem Wartezimmer lungernd, trotz fehlenden Schlafes, bitterem Geschmack auf der Zunge und stechendem Mundgeruch eine Art der Besserung verspüren, weil wir uns dem Heiler näher fühlen, der Linderung angenähert haben. Wir geben unser Leid in die Hände eines Helfenden, wir entlasten die eigene körperliche Not, indem wir einen Nächsten, einen Besprecher daran teilhaben lassen. Wir sind fortan, zumindest für den Moment in der Praxis, während der Vorfreude, gleich ärztliche Heilkunst erfahren zu dürfen, nicht mehr alleine, wir teilen unsere Not, entlasten uns selbst, damit wir es ertragen in unserer Pein. Was die katholische Kirche, bei aller Kritik am repressiven Charakter dieser Organisation, schon vor Jahrhunderten in Form der Beichte erkannte, spielt in viele Bereiche unseres Lebens immer noch hinein: Wenn man sich verbal entlasten, wenn man es sich buchstäblich von der Seele reden kann, dann erfährt man Linderung, zumindest spürt man, dass Besserung eintritt, auch wenn dieser Zustand vielleicht schulmedizinisch überhaupt nicht nachzuweisen sein mag.

Was der Reformwahn im Gesundheitswesen angerichtet hat und weiterhin anzurichten droht, ist natürlich, wie oben dargelegt, eine neue, im demokratischen und vernünftelnden Antlitz daherkommende Selektion. Es ist die weitere Reduzierung des Menschen zu einer Apparatur der Wertschöpfung. Die Ärzteschaft wehrt sich dagegen nicht, sondern springt auf den Zug mit auf, macht sich gar zum kriechenden Helfershelfer dieser Praxis. In dieselbe Kerbe schlagend, doch bereits trister Praxenalltag, ist das Aufheben des Vertrauensverhältnisses. Der Arzt erhält eine Pauschale pro zu behandelnden Patienten, diese gilt für ein ganzes Quartal. Ob der jeweilige Patient nur einmal in diesen drei Monaten vorstellig wird, oder ob er jede Woche mindestens einmal im Behandlungszimmer über seinen Zustand klagt, ändert nichts an der Vergütung des Arztes. Die Ärzteschaft, gebunden an die Wirtschaftlichkeit ihrer Praxen, kann natürlich einem regelmäßigen Besucher kaum noch Zeit widmen, fertigt im Schnellverfahren ab, muß zusehen, möglichst viele Pauschalen pro Quartal einzustreichen. Dabei leidet das Vertrauensverhältnis, weil es, erstens, an notwendiger Zeit mangelt, und zweitens, kein Interesse mehr am Besprechen und Auseinandersetzen mit dem Patienten besteht, nicht mehr bestehen kann, sofern die nun unwirtschaftlich werdende Praxis am Laufen gehalten werden will.

Das Aufheben des Vertrauensverhältnisses ist keine Novität. Schon vor Jahren ging man dazu über, den Patienten zum reinen Kostenfaktor herabzusetzen, zum zu reparierenden Gesellschaftsbestandteil, der möglichst effektiv und kostengünstig justiert werden soll, damit er wieder zurück ins Glied rücken kann. Individuelle Betreuung findet so gut wie nicht mehr statt. Doch dieser Mißstand war für die deutsche Ärzteschaft nur selten ein Anstoss des Widerstandes. Erst jetzt, da neue Gebührenregelungen den Lebensstandard herabdrücken sollen (unberechtigt für viele Einzelne, keine Frage), erst jetzt wird sich über die Politik ereifert. Man zieht den Patienten heran, für dessen Wohl man sich einzusetzen vorgibt, läßt ihn aber im Stich, indem man Prioritätsselektion zum Lösungsweg aus der Misere proklamiert. Dass Patienten schon vormals immer mehr das Gefühl hatten, sie seien ein reiner Abrechnungsgegenstand im üblichen Praxisalltag, weil der jeweilige Arzt sich keine Zeit mehr nahm für seine Kranken, war relativ belanglos für Hartmannbund und Konsorten. Aber dieses Verhalten liegt in der Tradition des Hartmannbundes, der sich schon vor 1933 relativ fanatisch für die Sterilisationen von "Schwachsinnigen" (nachzulesen bei Scharsach) aussprach. Wer über die Geschichte der deutsche Ärzteverbände informiert ist, wer ihr heutiges Ringen um die eigenen Privilegien beobachtet, Tendenzen zur Vorzugsbehandlung bestimmter Kranker erkennt und dabei salonfähig gewordene „Meinungen“, wie die von Sarrazin in Relation stellt, dem könnte es die Nackenhaare aufstellen. Der Schoß ist fruchtbar... wieder oder noch?

21 Kommentare:

Rainer 22. Mai 2009 um 09:12  

es ist ja eigentlich kein Wunder, dass der Präsident der Bundesärztekammer Hoppe sich für eine Reduktion der Kassenleistungen
und damit für mehr private Vorsorge stark macht: sitzt er doch im Aufsichtsrat der Allianz AG.

antiferengi 22. Mai 2009 um 09:48  

Alles ist kalkulierbar. Alles hat seinen Preis. Und damit die Preisliste stimmt räumt man Prioritäten ein, und staffelt nun auch Gesundheit nach einer Rangliste.
Und erklärt wird das Ganze mit Vernunft.
Deshalb hasse ich das Gerede über Konzepte und Systeme. Weil immer alle von Vernunft im System sprechen, ohne sie innerhalb der menschlichen Ethik zu diskutieren. Denn letztendlich muss man sich entscheiden welche Art von Vernunft man meint.
Vernunft zugunsten von Systemen, oder zugunsten von Menschen. Ich würde gerne sagen die Sarrazins und Hoppes sind erst der Anfang, aber sie sind ein Resultat, - und werden mehr.
Danke für den Text Roberto.

ad sinistram 22. Mai 2009 um 10:21  

Antiferengi, ich danke Dir. Mir geht es da genauso, dieses Schwadronieren um die Vernunft, das im Grunde nur ein Gequatsche um deren eigene, selbst definierte Vernunft ist. Ethik ist kein Kriterium, und das in einer Zeit, da ethisches Handeln besser lebbar ist denn je. Wenn einst mittelalterliche Königreiche um Bodenschätze stritten, dabei unethisch vorgingen, mag das damit entschuldbar gewesen sein, dass man in einer Mangelgesellschaft unethisch handeln mußte, wollte man nicht verhungern. Aber heute, da die Weltbevölkerung gesättigt werden könnte, da sogar noch ein Überschuß da wäre für weitere Erdenbürger, sollten das fehelden moralische Gewissen eigentlich zum Anachronismus geworden sein. Marcuse spricht in diesem Zusammenhang davon, dass die Machthaber den "Kampf ums Dasein verewigt" hätten...

Peinhard 22. Mai 2009 um 10:39  

Noch. Und diese Keime haben nicht nur eine Trockenperiode überdauert (die in diesem Falle paradoxerweise eine 'Blütezeit' war), sondern haben auch in dieser Zeit im mehr oder minder Verborgenen weiter geblüht. Die 'sozialdarwinistische' (eigentlich besser 'spenceristische') Grundkonzeption dieses Wirtschaftssystems ist ja mit demselben nie wirklich in Frage gestellt, sondern bereits in der 'Adenauerrepublik' machtvoll wiederhergestellt worden. Es wäre allerdings auch verkehrt, dies (zu sehr) auf Deutschland allein zu beschränken, da genügt bereits ein Hinweis auf die 'hilfreichen' Folterärzte der CIA. Wie auch 'damals' das Auftreten von 'Nazis' keinesfalls Deutschland allein betraf, auch wenn die Geschichtsschreibung der 'Sieger' das enorme Ausmaß an 'Kollaboration' gerne verharmlost oder besser noch ganz verschweigt.

Und es sind ja auch nicht nur die Ärzte, wenngleich an ihrem Berufsstand der Widerspruch zwischen 'eigentlichen' (oder 'Sonntags'-) Werten und den von der Verwertungsmaschine induzierten 'realen' Werten besonders eklatant zu Tage tritt.

Die 'Blütezeiten' sind erst einmal vorbei, welk waren sie schon eine ganze Zeit, jetzt jedoch könnten sie auch ganz abfallen - und die durch 'Fortschritt' und volle Regale übertünchte inhumane Grundkonzeption, deren 'Freiheit' in erster Linie die 'Freiheit zur Ausbeutung' ist, tritt uns wieder 'ungeschminkt' gegenüber. Es war nie grundsätzlich anders, es hat nur eine Zeit lang 'besser funktioniert'. Und viele - ich kann mich da leider auch nicht ausnehmen - in falscher Sicherheit gewiegt und Passivität erzeugt, wo weiteres 'Vorwärtsdrängen' angesagt gewesen wäre. Die Eruptionen von '68ff, die der 'Grünen' und der Anti-AKW- sowie der Friedensbewegung sind durch Sattheit absorbiert und immer mehr in's Leere gelaufen. Irgendwie ging's uns ja nicht sooo schlecht, 'trotz allem', was man im Grunde nach wie vor wusste. Und aufstrebende 'Schwellenländer' vermochten sogar das schlechte Gewissen hinsichtlich globaler Ausbeutung und imperialistischer Strukturen etwas zu beruhigen.

Und nun sind wir wieder da, wo wir schon mal waren, und wie immer 'auf größerer Stufenleiter' und wieder ein ganzes Stück näher an den 'absoluten' Grenzen des von diesem System so dringend wie die Luft zum Atmen benötigten 'Wachstums'. Die eigene Haut zu retten, den Arbeitsplatz, den prekären und immer gefährdeten 'Wohlstand' - das alles droht nun wieder mächtiger zu werden als das Wissen um die grundsätzliche 'Unhaltbarkeit' der Verhältnisse. Also das Hauen und Stechen in einer Welt, die vor lauter Produktivität eben schon gar nicht mehr weiß, wohin noch mit ihren 'Arbeitskräften'...

Peinhard 22. Mai 2009 um 10:51  

@Roberto

"Marcuse spricht in diesem Zusammenhang davon, dass die Machthaber den "Kampf ums Dasein verewigt" hätten..."

Zum Grundcharakter der Ware gehört, dass sie 'knapp' sei. Und ist sie es nicht 'objektiv', so muss diese Eigenschaft eben künstlich hergestellt werden. In diesem Zusammenhang immer wieder lesenswert:

'Der Kampf um die Warenform'
http://www.opentheory.org/kampfumdiewarenform/text.phtml?action=hideall

Denn an der 'immateriellen Ware' des sogenannten 'geistigen Eigentums' treten die Widersprüche besonders deutlich zu Tage, sind in einer Welt des potentiellen(!) Überflusses aber eben nicht auf dieses beschränkt. Immer wieder dieses '(Privat-) Eigentum' mit seinem ausschließenden Charakter...

klaus baum 22. Mai 2009 um 12:52  

Als ich die Nachrichten der letzten Tage hörte, die über den Präsidenten der Bundesärztekammer Hoppe, dachte ich mir, der Typ ist völlig durchgeknallt, denn bis dato hatte ich noch ein Gefühl der Solidarität mit den Arztpraxen, wozu ja auch die Sprechstundenhilfen gehören. Dieses Gefühl resultierte aus dem Wissen über die pauschalierten Sätze, die eine Praxis pro Quartal pro Patient erhält. Es sind Beträge, je nach Arzttyp, zwischen 17 und 36 Euro.
Meine Krankenkasse erhält im Quartal zirka 1.500.-- Euro inkl. des Arbeitgeberanteils. Davon erhält also der Hausarzt zirka 30.-- Euro. Und dann kommt dieser Hoppe daher und faselt von mehr Eigenverantwortung des Patienten, die so aussehen soll, daß der Patient zusätzlich zu seinen Beiträgen an die Kasse noch mehr als bisher an die Praxen bezahlen soll.
Ich bin wegen einer Erkrankung, die die Kassenärzte nicht zu diagnostizieren vermögen und deshalb nicht anerkennen, geschweige denn behandeln, ich bin wegen dieser Erkrankung bei einem Umweltmediziner privat in Behandlung und zahle dafür im Schnitt 350.-- Euro im Quartal. Da fragt man sich doch, ob es nicht billiger wäre, ganz auf die Versicherung zu verzichten und den Arzt direkt zu bezahlen - wäre da nicht das Risiko einer Krankenhausoperation.
Am Donnerstag war eine Sendung auf DLF zu diesem Ärztekongress, in der ein Patientenvertreter zu Worte kam, der meinte, mehr 30% der Beiträge versickern in der aufwendigen Verwaltung und Bürokratie

klaus baum 22. Mai 2009 um 13:49  

zum stichwort prioritätenliste fällt mir noch ein: die vergiftung, die ich mir zugezogen habe, durch gifte in der wohnung, im wollteppich, wird von den kassenärzten überhaupt nicht behandelt. gäbe es den umweltmediziner nicht, der leider nur privat liquidiert, wäre ich vermutlich schon eingegangen.
ich verweise hier auf ein buch von antje bultmann: vergiftet und allein gelassen.

das problem der kassenmedizin heute liegt darin, daß nur ein bestimmtes paradigma bezahlt, nämlich das der kausal nachweisbaren wirksamkeit, so jedenfalls mein haus-kassen-arzt.

dieses paradigma wird diktatorisch durchgesetzt, alternative medizische behandlung gibt es nur gegen privatkasse.

ich bin bei zwei neurologen gewesen, die von umweltgiften keine ahnung hatten.
wenn schon in bezug auf die wirkung von schadstoffen im menschlichen körper die ärzte keine ahnung haben, wie wird das erst sein, wenn gen-veränderte nahrung alltäglich wird.

potemkin 22. Mai 2009 um 15:31  

Dies ist eine Hommage an Frau Dr. K., die lange meine Hausärztin war, bis sie die Miete für ihre Praxis nicht mehr bezahlen konnte. Sie vergeudete das, was andere Ärzte mit der Stoppuhr messen: Zeit. Sie kümmerte sich nicht nur eingehend und leidenschaftlich um die Krankheit. Sie ließ sich geduldig von den seelischen Problemen ihrer Patienten berichten und erzählte die neuesten Geschichten von ihrer Katze. Die 'Sprechstundenhilfe' war übrigens ihr Ehemann. Natürlich hatte eine solche 'Praxiskonzeption' in unserem Gesundheitsystem langfristig keine Chance. Aber ich bin dankbar, als Patient eine solche Ärztin einige Jahre gehabt zu haben. Denn ich weiß nun, dass ein anderer Ansatz möglich wäre.

ad sinistram 22. Mai 2009 um 15:38  

Potemkin, als ich das hier schrieb, dachte ich ausdrücklich nicht an meinen Hausarzt, weil er Deiner ehemaligen Ärztin wohl sehr nahe kommt. Ich weiß also, dass es auch anders geht... wie lange? Kann man nicht sagen. Er hat seine Praxis in einer Wohngegend, in der Armut herrscht, hat also viele Patienten, weil der Gesundheitszustand der Armen viel zu wünschen übrig läßt... vielleicht rettet ihn dieses Patientenaufkommen ja.

Anonym 22. Mai 2009 um 16:40  

Der Aufschrei in der Politik gegen die von den Ärzten vorgeschlagene Prioritätenliste dürfte nur von kurzer Dauer sein. Am 27. September ist schließlich Bundestagswahl. Danach aber wird man sich erneut den vermeintlichen Sachzwängen unterordnen: Der Bund muss dem zum 1. Januar in Kraft getretenen Gesundheitsfonds mit einem Kredit von 4 Mrd. Euro aushelfen. Der muss 2011 wieder zurückgezahlt werden.

Werden dann noch die ersten "Zusatzbeiträge" (selbstverständlich nur für die Arbeitnehmer, nicht Arbeitgeber) erhoben, wird die alte Polemik einsetzen, nach der die Kostenlast im Gesundheitswesen und im Sozialstaat überhaupt für die nicht anspringende Wirtschaft verantwortlich ist. Leistungskürzung und Rationierung ist dann die Reaktion der Politik, und sie wird nicht dadurch besser, dass sie statt in einem privaten durch ein staatliches System abgewickelt wird.

Anonym 22. Mai 2009 um 19:43  

@Roberto J. De Lapuente

"[...]Sie tut das nicht aus rassischer Überzeugung, nicht aus nationalistischem Pathos, sondern weil in deren Weltbild der Mensch ein Kostenfaktor ist, eine Maschine aus Fleisch und Blut, deren Wiederherstellung oberstes Gebot ist - und weil die eigene Wirtschaftlichkeit das einzig anzustrebende Ziel der Ärzteschaft zu sein hat.[...]"

Das ist eigentlich kein Unterschied - Wer "Ärzte im NS-Staat" oder "Medizin der Unmenschlichkeit" gelesen hat - oder wie auch immer die Titel hießen, ich zitiere aus meiner Erinnerung an früher gelesene, und weitergebene Bücher - der weiß, dass auch schon unter den faschistischen Nazis die Ärzte aus Kostenkalkül Menschen verhungern ließen, ermordeten oder Experimente mit ihnen veranstaltete - Der Fall Mengele ist nur einer von vielen, und früher war auch hier unwidersprochen, dass NS-Medizin, Kapitalismus und Faschismus Brüder im Geiste waren.

Gruß
Nachdenkseiten-Leser

PS: Adam Tooze hat den kapitalistischen Aspekt der NS-Wirtschaftspolitik ja auch herausgearbeitet.....erst vor kurzem.....

Anonym 22. Mai 2009 um 19:56  

Hier noch ein Tipp:


"Auschwitz, die NS-Medizin und ihre Opfer von Ernst Klee" und
"Medizin ohne Menschlichkeit: Dokumente des Nürnberger Ärzteprozesses von Alexander Mitscherlich und Fred Mielke von Fischer (Tb.)" - Steht zwar nicht explizit in der Überschrift, aber wer diese Bücher kennt, der weiß, dass Kapitalismus auch hier eine mörderisch-massenvernichtende Symbiose mit NS-Medizinern (z.B. Mengele & Konsorten) einging - Was mich da übrigens auch schockte war, dass diese Ärzte - insofern die "verwertbares" rausfanden auch nach dem II. Weltkrieg als Ärzte weiterpraktizieren durften - Einzig neu an der Nachricht von Dir, lieber Roberto J. De Lapuente, ist die Qualität der "Eliten" - auch bei den Ärzten - die immer mehr an Mengele & Co. erinnert.

Ich dachte - auch hier -, dass ich so etwas nie wieder von Ärzten hören mußte, aber ich las vor ein paar Jahren auch einmal ein Buch über "Psychiatrie im Faschismus"
von Dorothee Roer (Autor), Dieter Henkel (Autor) - Leider ist dieses Buch im Buchhandel nicht mehr erhältlich, aber das Vorwort dort ist mir immer noch - teilweise - in Erinnerung.

Es war in ungefähr so, dass Deutschland in wirtschaftlich schwierigen Zeiten immer sein häßlichstes und unmenschlichstes Gesicht zeigt - war damals fast wie eine Zukunftsvorhersage auf 2009, wenn ich an die erneuten menschenverachtenden Aussagen von Politikern, Ex-Politikern bzw. Lobbyisten (Sarrazin) und Ärzte-Bossen denke.

Es scheint wirklich so, dass "Deutschland" wieder einmal - diesmal in der "Neuen Weltwirtschaftskrise" sich von der häßlichen Seite zeigt.

Haben wir den nix aus der NS-Vergangenheit gelernt? Wird es evtl. erst besser wenn, durch irgend ein Wunder, die "Eliten" in Deutschland von Unten nach Oben gekehrt werden, d.h. wenn wir hier - durch einen glücklichen Zufall der Geschichte vielleicht? - die "Elite" stellen würden.

Ich weiß es nicht, aber ich bleibe optimistisch....

Gruß
Nachdenkseiten-Leser

klaus baum 22. Mai 2009 um 23:37  

@Nachdenkseitenleser

Zu Deinen Vorschlägen passt das Buch von Hans Wollschläger, Das Potential Mengele.

Anonym 23. Mai 2009 um 10:47  

@Klaus Baum

Danke für den Hinweis ;-)

Ich dachte ja nie, dass ich so etwas wieder erlebe, wie bereits erwähnt....

Vielleicht ist die "Elite" sozialrassistischer bzw. -darwinistischer als wir alle hier dachten?

Schlimm wird es, wie die komplette Agenda2010 (HartzIV, Gesundheitsfonds etc.) zeigt, wenn die uns über ihre Schoßhunde in der Politik dies auch noch als "Reformen" aufdrücken wollen.

Eigentlich wirklich - trotz allem was wir hier schreiben -, dass die Mehrheit unserer Landsleute sich dies gefallen läßt.

Sind wir den wirklich schon so hirngewaschen, dass wir denen willenlos wie Zombies folgen?

Übrigens, gäbe es nicht Die Linke, dann würde ich gleich Ackermann, Zumwinkel, oder irgend eine andere Lobbyvertretung, wählen - als Original und ungültig ("ungültige Wahl).

Ich habe so eben den Stadtführer von Lobbycontrol komplett durchgelesen, und was ich dort las trieb mir die Zornesröte ins Gesicht - Die regieren uns, die Lobbyisten, und halten sich Merkel, Münte, Steinmeier, Köhler & Co. als Schoßhündchen an der Leine.

Das Beste kommt noch, es gibt Lobbyvereinigungen, die "Demonstrationen" organisieren. Der Fall Schaeffler wundert mich seither auch nicht mehr - in Deutschland kann man sogar "Demonstranten" kaufen.

Ich denke, dies wäre auch einmal berichtenswert, und hoffentlich schreibt Roberto J. De Lapuente auch einmal etwas über käufliche "Demonstranten" in Deutschland.

Übrigens, Lobbycontrol bietet neuerdings auch Stadtführungen in Berlin an:

http://www.nachdenkseiten.de/?p=3952#more-3952

!!!: Punkt 27.

Gruß
Nachdenkseiten-Leser

PS: Ich dachte ja immer, dass man in Deutschland gekaufte Gewerkschaften ("christliche Gewerkschaften") hat ist schon ein Skandal, aber "gekaufte Demonstranten", egal zur welcher Thematik von Lobbyisten gekauft, toppt diesen Skandal denn doch noch! Ergo: Zukünftig, wenn ihr "Demonstrationen" für irgend eine Konzernchefin bzw. einen Konzern seht wißt ihr wo ihr dran seid: "Alles nur gekauft!" ;-):-(

Anonym 23. Mai 2009 um 10:59  

Übrigens, dass man auch auf anderen Gebieten wieder pseudo-wissenschaftlich argumentiert - im Familienkreis - mußte ich selbst erleben.

Ich rege mich immer wieder über die Zustände auf, die derzeit in Deutschland herrschen, nicht nur virtuell sondern auch real.

Während des Komas meines Vaters war ich - wegen "Depression" - in einer Gesprächstherapie, die ich aber selbst abbrach, weil ich in einer Illustrierten las, "dass Trauer kein Fall für den Psychotherapeuten ist, sondern ein normales menschliches Verhalten".

Der Therapeut stimmte mir zu, ich brach, die Therapie ab.

Vor einiger Zeit regte ich mich mal wieder - auch nach der Lektüre hier - im Familienkreis über die unhaltbaren Zustände in Deutschland(HartzIV etc.) auf.

Ratet mal was jetzt kommt?

Ist es euch auch so gegangen?

"Geh doch noch einmal zum Therapeuten, der hat dir nicht geholfen".

Ich wehrte mich, und verglich die zweitälteste Schwester indirekt mit den Kommunisten in Rußland, die so manchen Regimekritiker, wie z.B. Sacharow, mit der Diagnose "kritisches Verhalten" in die Therapie einwiesen liesen.

Hat nix geholfen, die Sowjetunion existiert nicht mehr.

Was ich befürchte, und was solche pseudo-wissenschaftlichen Aussagen, wie die meiner zweitältesten Schwester so gefährlich macht ist die, dass in totalitären Staaten Regimekritiker immer wieder in die Psychiatrie eingewiesen wurden bzw. in so mancher Diktatur sicher auch heute noch so fortgeschafft werden, ganz ohne Sowjetunion und Drittes Reich (hier wurden Menschen sogar für psychisch krank erklärt, und im Rahmen der Euthanasie vergast oder anderweitig umgebracht) zu belasten.

Ich denke, der Ärztepräsident hat hier sicher auch schon Vorschläge in Petto.

Obwohl? Vielleicht bin ich auch zu pessimististisch? Oder sehen wir uns alle hier - statt in einem neuen KZ - in einer geschlossenen Anstalt wieder - mit Verdacht auf "unangepaßtes Verhalten"?

Gruß
Nachdenkseiten-Leser

Anonym 23. Mai 2009 um 13:17  

@Klaus Baum

Du schreibst:

http://klaus-baum.webinformation.de/2009/05/23/es-gibt-nachrichten-die-glaubt-man-nicht-wohlfahrtsverbande-fordern-kurzung-bei-hartz-iv/

Oh, dass ergibt in diesem Land - wo nach LobbyControl "Demonstranten" gekauft hat durchaus Sinn.

Man muß sich eigentlich nur einmal fragen:

Wer hat die Wohlfahrtsverbände gekauft?

Bananenrepublik Deutschland eben.

Trauriges Grundgesetz-Jubiläum, aber leider nur allzu wahr.....

Gruß
Nachdenkseiten-Leser

Anonym 23. Mai 2009 um 18:24  

Hier ein etwas älterer Hinweis auf "Demonstranten zu mieten":

http://www.medienhandbuch.de/news/demonstranten-zu-mieten-10235.html

Roberto bitte übernehmen Sie....

Michel 24. Mai 2009 um 23:54  

Wie wäre es mal damit:

je schlechter es einer Gesellschaft geht, je mehr sie unterdrückt wird, je mehr soziale Probleme es gibt, desto mehr Alkoholismus.

Denke, es kam nicht von ungefähr, dass die Russen im sozialist. Russland früher so für ihre Saufereien bekannt waren, die ehem. DDR-Bürger in vielen Fällen übrigens auch.

Auch Engländer sind ja fürs Koma-Saufen bekannt.

Auch wenn ich hier nicht über die Ebene von nationalen Vorurteilen hinauskomme, wäre es doch mal interessant, Statistiken zu sehen.

Denn, wer glücklich ist, wer Arbeit UND Privatleben/Hobbies hat, wen nicht allzu große Geldsorgen drücken, wer ein intaktes soziales Umfeld hat, der wird seltener Alkoholiker.

Flying Circus 25. Mai 2009 um 13:08  

Kohle ist eben wichtiger als der Mensch. Hauptsache, die Kasse stimmt, der Gewinn wird gemacht. Man darf da nicht auf einzelne Schicksale blicken, gar sich ausmalen, man selbst oder ein Nächster könnte betroffen sein. So - leicht zynisch eingedampft - die Anmerkungen eines Freundes, die er übrigens völlig ernst meinte. Sonst würde man ja "am Ende nur noch für das Gesundheitswesen arbeiten".

Der Mensch als Ware, meine Lieben. So sieht die Zukunft aus. Den Anwurf, daß er Geld zu seinem Gott mache, ließ er nicht gelten; aber man sage mir: wenn Geld über alles entscheidet, über Gesundheit und Krankheit, in letzter Folge über Leben und Tod - was ist es dann, wenn nicht - mein Gott?

Anonym 25. Mai 2009 um 15:43  

@Flying Circus

"Kapitalismus als Religion" - Paul Lafargue - Schwiegersohn von Karl Marx.

Da bleibe ich doch lieber Ketzer, zumal der neoliberale Kapitalismus ja gescheitert ist, und wir - mit Steuergeldern von uns allen, bis auf die 1,6% Superreich-Regierenden in Deutschland auch Lobby genannt - einen Z o m b i e am Leben erhalten - den neoliberalen Kapitalismus, der natürlich auch nicht ideologisch sein will und immer noch lügt.

Gruß
Nachdenkseiten-Leser

Anonym 25. Mai 2009 um 21:41  

nun ja,

"profit, ist was unser handeln bestimmt"

das mag in vielerlei hinsicht stimmen ...
wenn ich an die private-"altersvorsorge" denke, so ist es ein blühendes geschäft ...
für einige wenige grosse konzerne, und einigen wenigen derer mitarbeiter ...
der rest schaut in die röhre, und auch das hat sich inzwischen rumgesprochen ...

das jemand auf die "geniale" idee kam, das gleiche mit der gesetzlichen krankenversicherung zu machen wundert mich daher nicht, ich denke damit lässt sich für eine gewisse zeit ein enormer profit erwirtschaften ...

fragt sich nur was aus den menschen wird, die vielleicht nicht mehr behandelt werden können, oder aus den praxen die ihre patienten nicht im stich lassen ...

nun ja, entweder fügen die meisten sich ihrem schicksal, oder sie versuchen entschieden gegen die ungerechten leistungszuteilungen anzugehen ...

ich bin mir sicher, es wäre sinnvoll eine ganze armee von anwälten zu bezahlen, damit diese juristisch gegen unsere regierung bzw. gegen deren gesetzgebung vorgehen ...

das,
würde ich mir wünschen ...
doch,
muss ich zugeben das ich nur ein armer schlucker bin der weder auto noch führerschein besitzt ...
aber ich arbeite dran ;)

lg,
e

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