Ridendo dicere verum
Freitag, 18. September 2009
"Wir saßen einst im Zuchthaus und in Ketten,
wir opferten, um die Partei zu retten,
Geld, Freiheit, Stellung und Bequemlichkeit.
Wir waren die Gefahr der Eisenwerke,
wir hatten Glut im Herzen – unsre Stärke
war unsre Sehnsucht, rein und erdenweit.
Uns haßten Kaiser, Landrat und die Richter:
Idee wird Macht – das fühlte das Gelichter…
Long long ago –
Das ist nun heute alles nicht mehr so.
Wir sehn blasiert auf den Ideennebel.
Wir husten auf den alten, starken Bebel.
Wir schmunzeln, wenn die Jugend revoltiert.
Und während man in hundert Konventikeln
mit Lohnsatz uns bekämpft und Leitartikeln,
sind wir realpolitisch orientiert.
Ein Klassenkampf ist gut für Bolschewisten.
Einst pfiffen wir auf die Ministerlisten…
Long long ago –
Das ist nun heute alles nicht mehr so.
Uns imponieren schrecklich die enormen
Zigarrn und Autos und die Umgangsformen –
Man ist ja schließlich doch kein Bolschewist.
Die Rechte grinst, und alle Englein lachen.
Wir sehen nicht, was sie da mit uns machen,
nicht die Gefahren all…
Skatbrüder sind wir, die den Marx gelesen.
Wir sind noch nie so weit entfernt gewesen,
von jener Bahn, die uns geführt Lassall’!"
- Text: Kurt Tucholsky, Musik: Hanns Eisler, "Sozialdemokratischer Parteitag 1921" -