Sit venia verbo

Samstag, 30. Mai 2009

„Das Gesetz ist nicht Gesetz, sondern die Macht; dieser Spruch steht über den Tälern geschrieben, in denen wir zugrunde gehen. Nichts ist sich selber in dieser Welt, alles ist Lüge. Wenn wir Gesetz sagen, meinen wir Macht; sprechen wir das Wort Macht aus, denken wir an Reichtum, und kommt das Wort Reichtum über die Lippen, so hoffen wir, die Laster der Welt zu genießen. Das Gesetz ist das Laster, das Gesetz ist der Reichtum, das Gesetz sind die Kanonen, die Trusts, die Parteien; was wir auch sagen, nie ist es unlogisch, es sei denn der Satz, das Gesetz sei das Gesetz, der allein die Lüge ist.“
- Friedrich Dürrenmatt, "Der Verdacht" -

Ich verabschiede mich...

Freitag, 29. Mai 2009

Mach’ es gut, Leser! Vielleicht denkst du mal an mich zurück, an die Zeit, in der ich offen schreiben, offen meine Meinung verkünden durfte. An die gute alte Zeit, die aber auch schon ganz schön beschissen war. Mach’ es gut! Wenn es am schönsten ist, muß man aufhören – wenn es am schönsten ist, dann wird man aufgehört. Ich verabschiede mich präventiv, quasi testamentarisch, irgendwie so, wie bei einer Patientenverfügung, damit man im Fall der Fälle abgesichert ist, damit ich im Fall der Fälle nicht noch einige banale Abschiedsworte in die Tastatur hämmern muß. Abschiedsworte, für die man dann keinen freien Kopf mehr hat.

Vielleicht schaffe ich es ja nicht einmal mehr, diese Sätze zu beenden, womöglich klingelt es gleich an der Türe.
Sind Sie Roberto De Lapuente?
Ja, immer gewesen!
Sie sind verhaftet!
Es klicken Handschellen, ich frage nach dem Grund, doch den wird man mir erst auf dem Revier erläutern. Ich habe Kinder hier, werde ich betteln, nehmen Sie mir wenigstens die Handschellen ab, ich folge ihnen ja auch so. Es wird nichts helfen, das wird man nicht tun, denn ich bin schwerkriminell, ein potenzieller Polizistenmörder. Warum man sie mir nicht abnimmt, warum man mich nicht ehrenvoll abführt, das werde ich dann erst später erfahren, wenn ich in einem kargen Büro sitze, vor mir ein Beamter im schlecht sitzendem Hemd, Kaffeedunst aus seinem Rachen verströmend, in Mundart seltsame Fragen stellend. Fragen, auf die man sich nur schwer konzentrieren kann, weil man noch immer die salzige Würze der tränenüberströmten Wangen der Ehefrau auf den Lippen hat, noch immer ihr leidendes Antlitz vor sich sieht, ihr Wehgeschrei hört, dahinter die ratlos und verstört wirkenden Kinder.

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De dicto

Donnerstag, 28. Mai 2009

"Mögen die Schwachstellen der Stopp-Schilder gegen Kinderpornographie noch so groß sein, mögen die Selbstheilungskräfte des Internets noch so ausgeprägt sein – es ist nicht zu bestreiten, dass immer häufiger im Internet zu sehen ist, wie Säuglinge und Kinder vergewaltigt werden. [...] Deren Netzideologie hält viel von Freizügigkeit, aber wenig von Verantwortung."
- Frankfurter Allgemeine, Jasper von Altenbockum am 27. Mai 2009 -
Zum Gesagten sei angemerkt: Wie übel es um den Journalismus hierzulande bestellt ist, läßt sich an dem Haufen Sätze ablesen, den von Altenbockum zum Thema Internetsperren hingeworfen hat. In der Kommentar-Rubrik, in der sein Elaborat erschienenen ist, müßte er nicht unbedingt stichhaltig berichten, aber stichhaltig argumentieren dürfte er schon, zum unkritischen Organ der Familienministerin jedenfalls müßte er sich nicht selbst erniedrigen. Doch er, wie das deutsche Feuilleton in fast allen Fällen, ist nurmehr eine Bastion der Unterstreichung vordiktierter Maßnahmen und Vorschläge - erlassen von den Zentralen der Machtausübung, verkündet durch die freien und unabhängigen Medien!

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Das Paradies läge so nah

Mittwoch, 27. Mai 2009

Wenngleich zur Enttäuschung feierlauniger Bundesrepublikaner, der Mann, der Rudi Dutschke anschoss - Josef Bachmann mit Namen -, wohl doch kein IM der Staatssicherheit war, gibt man sich nun neuer Hoffnung hin. Marianne Birthler wird persönlich die kilometerlangen Regale abschreiten, dabei forschend den Staub aufwirbelnd, hier und da einige Ordner aus den Ablagen wuchten und damit bislang unbekannte Sensationen präsentieren, die die Geschichte dieses Landes im neuen Licht erstrahlen lassen werden. Endlich, endlich ist die Zeit gekommen, da die Bundesrepublik so umgeschrieben werden kann, dass aus ihrem sündigen Leben eine Hagiographie erblühe.

Während der Mörder Kurras, damals vom Mordvorwurf freigesprochen, nun seiner gerechten Strafe für ein viel schlimmeres Verbrechen überstellt werden soll, nämlich der Mitgliedschaft in der SED, soll nun langsam aber sicher deutlich werden, dass alles, was das Jahr 1968 ausmachte - (der folgenreichste Sündenfall dieses Landes) -, eine Verschwörung der Stasi war. Die Studentenschaft, geängstigt von der Unfähigkeit ihrer Eltern und Großeltern, sich mit dem braunen Geschehen von einst auseinanderzusetzen, furchtsam vor den ehemaligen NSDAP-Mitgliedern Kiesinger und Lübke, besorgt ob des Wiedererstarkens der damaligen NPD, könnte so als von Ost-Berlin aufgehetzter Mob in die erneuerte Geschichtsschreibung eingehen. Man stelle sich vor, die suchende Marianne birthlert (das Verb stammt vom englischen birth, der Geburt ab, denn die strebsame Frau gebiert Legenden) eine Akte hervor, in der abgeheftete Papiere beweisen, dass der NPD-Vorsitzende jener Tage, Adolf von Thadden, ein Stasi-Mann war – auf einen Schlag wäre der Geist des Revisionismus als Unart der DDR abgetan.

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Ich, Zensor und Schwächling

Dienstag, 26. Mai 2009

Zum Thema notwendiger Intoleranz, ein kurzer Einwurf in eigener Sache. Wenn Toleranz zum stillschweigenden Absegnen auch menschenverachtender Meinungen wird, einem Absegnen unmoralischer Geisteselaborate, dann wird sie - die Toleranz - zum repressiven Mittel. Daher sprach ich mich kürzlich dafür aus, die Intoleranz immer dann walten zu lassen, wenn die Menschenverachtung über den toleranten Umweg Einzug in die Diskussion findet. Dies bedeutet nicht, dass man eine Form politischer Korrektheit einfordern muß, in der Unerfreuliches nicht mehr gesagt werden darf - es darf gesagt werden, nur muß es korrekt kommentiert sein, darf nicht unkritisch als Meinung inter pares eingestuft werden. Denn was wir beispielsweise in Form von Sarrazins verstecktem Sterilisationsanstoss vor uns haben, ist keine Meinung, sondern gelinde ausgedrückt, eine Frechheit für jeden halbwegs gebildeten Menschen.

Diese Frechheit soll durchaus ihren Raum finden, soll dort verbreitet werden, wo der Frechheit Heimstatt ist. Das erleichtert den Kritikern an den Zuständen ja auch die Arbeit, macht es ihnen möglich, mittels eines Blicks in diverse Tageszeitungen, gleich erkennen zu können, wohin das Schiff abzudriften droht. Müßte man die Menschenverachtung immer hinter humanistischen Floskeln suchen, wäre der Kritiker in arger Not, müßte lange Zeit darauf verwenden, den vermeintlichen Humanist zu entlarven. Die Heimstatt der verbalen Menschenverachtung, die Einstieg in aktives Handeln sein kann oder eher sein wird, so müssen wir annehmen, ist bei den großen Massenmedien zu finden, bei BILD, Stern, Spiegel, aber auch in der Tagesschau und bei Anne Will. Dort wird absolute Toleranz zwischen Blätter geschrieben oder in Drehbüchern vorgegeben. Und dort, sofern man eben Büttel konservativer und/oder menschenverachtender Denkart ist, ist die als Meinung euphemisierte Frechheit womöglich zuhause.

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Ein greises Nervenbündel

Sonntag, 24. Mai 2009

Pünktlich zum Geburtstag dieses Landes, nun da die Republik einen Stock benötigt, um die Tonnenlast eines langen Lebens noch abstützen zu können, waschen die überschwänglichen Gratulanten den Lebensinhalt des Jubilaren rein. Damals, im jugendlichen Alter, die BRD hatte gerade die Volljährigkeit überschritten, die heutige Volljährigkeit, denn die damalige wurde erst ab der Vollendung des 21. Lebensjahres zugestanden, damals ließ man sich im jugendlichen Eifer zu Gewalt und Engstirnigkeit hinreißen, machte das Geburtstagskind Fehler, wie sie jeder zuweilen in jungen Jahren macht. Doch wie es so ist, wenn man alt wird, sentimental zurückblickt, Revue passieren lassen will, schämt man sich seiner frühen Schandtaten, will das später so würdevoll begangene Leben nicht durch Schmutzpunkte der einstigen Sturm- und Drangzeit, der einstigen Lotterzeit verunreinigt sehen.

Und siehe da, an der Geburtstagstafel sitzen liebevolle Freunde, Menschen die der BRD nahestehen und nur das Beste für den Jubilaren wollen, deswegen frühere Schattenseiten des einstigen Jünglings kaschieren, wenn man sie schon nicht ganz beseitigen kann. So wie viele Menschen dazu neigen, einen erbarmungslosen Streit mit Eltern, Freunden oder der damaligen Freundin umzudeuten, alle Schuld bei dem Kontrahenten zu platzieren, damit das damalige Schreien, Kratzen, Schlagen, dieser peinliche Akt im Jugendalter, wenigstens ein wenig erträglich auf den gealterten, nun souverän gewordenen Menschen wirkt, die damalige Schuld des jungen Naiven keinen Anstoß zur Diskussion mehr erregt, die Scham über kopflose Äußerungen oder ungestüme Ohrfeigen in eine berechtigte Handlung umschlägt, so wie sich zuweilen Menschen ihre Vergangenheit zurechtlügen, so baut sich die BRD eine neue Vergangenheit, für die sie sich nicht mehr zu genieren braucht.

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Die Selektionsrampe ist wieder Alternative

Freitag, 22. Mai 2009

Wieder einmal ist die deutsche Ärzteschaft in der Zwickmühle; wieder einmal, nach langen Jahren, in denen ihr Schaffen wertneutral über die Bühne gehen konnte, hat sie sich zwischen wertvollen und wertlosen, zwischen behandlungswürdigen und -unwürdigen Kranken zu entscheiden; wieder einmal wählt man im vorauseilendem Gehorsam die Selektionsrampe. Der deutsche Arzt soll aber dabei nicht selbst entscheiden müssen, dies hat er auch seinerzeit nicht, schon bevor er gut organisiert in braunen Reichsverbänden Forderungen an die Mächtigen der Politik richtete, Forderungen bezüglich Neustrukturierung der Krankenkassen und Auslesedoktrin, als er demokratisch legitim für eine neue Art des Gesundheitswesen plädieren durfte, in der bestimmte Gesellschaftsschichten entweder ganz ausgeschlossen oder sterilisierend betreut werden sollten. Er entscheidet nicht selbst, aber er will, dass für ihn vorentschieden wird, dass man ihm vorgibt, wen er zukünftig als Patienten stillschweigend ignorieren darf. Eine Prioritätenliste der behandlungswerten Krankheiten soll die Reformen im Gesundheitswesen genesen, soll die Geldbeutel der Ärzteschaft heilen lassen. All das geschieht aber im Namen des Patienten, der dann vielleicht gar kein Patient mehr sein wird, weil seine Krankheit nicht wichtig genug ist, ganz unten in der Prioritätenliste eingetragen ist; im Namen des Ex-Patienten engagiert sich das organisierte Ärztetum, jener Ex-Patienten, die nun vielleicht von einer unheilbaren Krankheit heimgesucht werden und daher sowieso abgeschrieben werden sollen.

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Sit venia verbo

Donnerstag, 21. Mai 2009

"Wenn man nach Erklärungen sucht, warum die muslimische Welt heute von Gewaltausbrüchen erschüttert wird, muss man folglich nicht auf jene Spekulationen zurückgreifen, dass den Islam eine gewaltfördernde Geisteshaltung auszeichne. Die islamische Welt hat die Orientierung verloren, weil sie unter dem Schock der geistigen Revolution steht, die mit der fortschreitenden Alphabetisierung und der allgemeinen Verbreitung der Geburtenkontrolle einhergeht. In einigen nicht muslimischen Ländern, die eine solche Revolution hinter sich haben, brauchen gewaltsame politische Unruhen aus, die alles bislang auf islamischen Boden Beobachtete in den Schatten stellten.
In Ruanda wurde die Mehrheit der jungen Männer bis 1961 und die der Frauen bis 1980 alphabetisiert. Der Geburtenrückgang setzte um 1990 ein. Die rassistischen Zusammenstöße zwischen Tutsis und Hutus gipfelte 1994 in einem Völkermord, der in seinen Ausmaßen an die schrecklichen Massaker in Europa erinnert. Dabei ist Ruanda fast ausschließlich christlich geprägt, ohne dass jemand auf den Gedanken käme, die dortigen Gräuel auf eine gewaltfördernde Geisteshaltung des Christentums zurückzuführen.

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Gelehrte Ohnmacht

Mittwoch, 20. Mai 2009

Es ärgerte mich. Nein, es entrüstete, verletzte mich in meinem Rechtsempfinden zutiefst. Mein damals elf- oder zwölfjähriges vages Empfinden bezüglich Gerechtigkeit war erschüttert. Es handelte sich indes nur um eine Banalität, aber um eine, die mich alle Ohnmacht spüren ließ, von der ich bis dato noch wenig, zu wenig wußte. Da wir, die Schulklasse, mit einem Hefteintrag nicht fertig wurden, erregte sich die Klassenleiterin, eine notorische Schreckschraube mit Hang zur Melodramatik, in heftiger und quietschender Xanthippe-Manier. Die Pause solle nun dienen, das nachzuholen, was wir in der Stunde nicht vollbringen konnten oder wollten. Das war ihr Urteil, und wie Kafkas Bendemann warfen wir uns zwar nicht von der Brücke, aber direkt hinein in eine arbeitsame Pause.

Ich saß mit hungrigem Bauch da - hungrig war ich schon damals leidenschaftlich oft. Ich blickte durch das Klassenzimmer, auf meine Mitschüler, erkannte ebenso entrüstete Gesichter, vernahm ein leises Raunen, es rumorte zwischen den Bankreihen, es war deutlich spürbar. Unzufriedenheit, Entrüstung, da fühlten sich andere, nicht nur ich, ungerecht behandelt, wollten den despotischen Anflug der Pädagogenfurie nicht folgsam dulden. Jetzt muß es gleich losgehen, dachte ich mir, wenn einer aufsteht und revoltiert, dann stehe ich auch auf und gehe voran. Aber es stand keiner auf, alle blieben sitzen, alle taten das, was ungerechterweise von ihnen verlangt wurde. Ich auch. Dabei wäre es ein Selbstläufer, sinnierte ich, wenn nun einer die Initiative ergreift, stehe ich mit auf, sicher auch andere mit mir. Nur, so kam es mir später, am Nachmittag, als ich über den Hausaufgaben brütete, wenn ich zuerst aufgestanden wäre, wer wäre mir gefolgt? Wäre ich als ungehorsamer Einzelner mit einer Strafe belohnt worden, nur weil man mich im Stich gelassen hat? Womöglich dachten alle so.

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Nomen non est omen

Heute: "Leistungsträger"

"Der Parteichef kündigte an, die FDP werde sich im Fall von Regierungsbeteiligungen stärker um die Leistungsträger in der Gesellschaft kümmern."
- Abendblatt vom 7. Januar 2009 -

"Soziale Gerechtigkeit muss künftig heißen, eine Politik für jene zu machen, die etwas für die Zukunft unseres Landes tun: die lernen und sich qualifizieren, die arbeiten, die Kinder bekommen und erziehen, die etwas unternehmen und Arbeitsplätze schaffen, kurzum, die Leistung für sich und unsere Gesellschaft erbringen. Um die – und nur um sie – muss sich Politik kümmern."
- Peer Steinbrück, Zeit vom 13. November 2003 -
Der "Leistungsträger" wird heute als quasi anzustrebendes Idealbild eines Menschen präsentiert und beschworen. Ein solches Individuum zeichnet sich vor allem durch seinen sozialen Status und sein Eigentum aus, häufig sind es sogenannte "Eliten". Arbeitsplätze zu schaffen, Vermögen anzuhäufen und in der sozialen Gesellschaftsskala zu den oberen Reihen zu gehören, wird in der politischen und ökonomischen Debatte als "Leistung" angesehen.

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Rückkehr der Patronage

Dienstag, 19. Mai 2009

Gemunkelt wird schon seit Wochen und Monaten. Offiziell ist es noch nicht, wird es auch nicht werden, solange die Bundestagswahl aussteht, doch wohin die Reise geht, kann man nach und nach erkennen. Die Armenverwaltung, das Arbeitslosengeld II, Hartz IV im Volksmund genannt, wird verschärft. Wohlfahrtsverbände beklagen seit Jahren, dass der Regelsatz unzureichend ist, doch das wird diejenigen, die eine weitere Kürzung der Sozialleistungen einfordern, nicht kümmern.

Bezeichnend für diese Entwicklung ist die heutige Onlinevariante des Spiegel, der in einem Artikel die neuen Milliardenkosten für den Staat thematisiert. Weil durch die Rezession die Langzeitarbeitslosigkeit steige, würden immense Kosten entstehen. Zwar äußert der Artikel nichts darüber, ob und wie man durch Sparmaßnahmen dieser Mehrbelastung Herr werden könne, aber man darf beruhigten Gewissens davon ausgehen, dass eine drastische Steuererhöhung für Millionäre und Konzerne nicht auf dem Plan steht. Wenn schon, dann wird da gespart, wo keine Legion von Fachanwälten lauert, um gegen Verteilungspolitik juristisch vorzugehen, eben bei den Ärmsten der Armen.

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Platzierungswahn

Montag, 18. Mai 2009

Alle Jahre wieder die gleiche deutsche Ernüchterung. Man schickt mittelmäßige bis schlechte Musikstücke zum Eurovision Song Contest, oftmals von Trällerbarden vortragen, die wenig bis gar nicht singen können, nur um sich am Ende von ganz Europa mißverstanden zu fühlen. Das Prozedere ist alljährlich ähnlich, nach der Veranstaltung wird gejammert und lamentiert, wird sich gefragt, ob man überhaupt noch Gelder in diesen Wettbewerb stecken sollte.

Man kann den Eurovision Song Contest mögen oder nicht, man kann einen gesamteuropäischen Gesangeswettbewerb als charmante Idee verstehen oder nicht - das steht hier nicht zur Debatte. Was man aber am Drumherum um diesen Wettbewerb hierzulande feststellen kann, ist ein Hang zum Ergebnis, der sich wenig um Qualität schert. Schon vor Beginn der Veranstaltung wird regelmäßig beschworen, dass man dem eigenen Land die Daumen halte, dass man natürlich Patriot sei. Prominente und solche, die es gerne wären, werden befragt, ob sie denn mit dem Herzen beim Interpreten Soundso seien, der ja die unbeschreibliche Ehre hätte, Deutschland in Helsinki, Kiew oder Athen zu vertreten. Und natürlich seien sie für Deutschland, heißt es dann unisono im Chor. Dabei ist es ganz belanglos, ob man das jeweilige Stück als annehmbar empfindet oder nicht. Man feuert Deutschland an, auch wenn das Lied viertklassiger Natur, eine Beleidigung für jeden Gehörgang ist, auch wenn die Bühnenshow wie eine Probe einer Geisterbahnbelegschaft aussieht, auch wenn der Interpret wie ein quietschendes Gartentor klingt.

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Ein Hoch auf die Intoleranz

Samstag, 16. Mai 2009

Einige Tage sind vergangen, doch die Zeitungswelt hat sich kaum kritisch gegenüber den Äußerungen Sarrazins verhalten. Kaum ein Einwurf, der Sarrazin gerecht bewertet und tituliert, kaum ein Kommentar, der die um sich geworfenen Verächtlichkeiten dieses Herrn als historischen Rückgriff entlarvt, kaum eine Polemik, die das verquere Weltbild dieses Mannes wenigstens ins Lächerliche zieht, wenn man schon nicht ernsthaft an die Sache herantreten will. Nichts, gar nichts ist passiert, der Aufschrei der Anständigen blieb aus – die Anständigen haben den Exodus angetreten, haben ihre Schreibtische geräumt und schreiben nicht mehr für die Presse.

Was stattdessen herrscht, oder besser: wer stattdessen herrscht, das sind die Toleranten, hemmungslose, grenzenlose Jünger der Toleranz. Er habe zwar nicht diplomatisch gehandelt, war vielleicht auch einen Tick zu grob in seiner Wortwahl, das müsse man schon zugeben, aber generell und genau betrachtet habe er ja nicht ganz unrecht, spreche er ja nur ungeschickt aus, was an Wahren in der Gesellschaft gärt. Seine Meinung wird toleriert, lediglich sein Stil, seine Platzhirschmentalität wurde zum Gegenstand dezenter Kritik. Man toleriert, man ist tolerant, übt sich in Toleranz. Meinungsfreiheit sei eben eine Toleranzfrage. Die Toleranz, so wie wir sie heute (wieder) erleben, ist aber der Totengräber jeglicher Moral, erstickt die Gesellschaftspolitik in einem Sumpf der Morallosigkeit, in dem das Gute, Schöne, Wahre gleichberechtigt neben dem Schlechten, Hässlichen, Verlogenen steht.

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Facie prima

Heute: Der Kompromisslose, Thilo Sarrazin


Er ist bekannt für seine provozierenden, sozialdarwinistischen, immer mehr ins faschistische Lager gehenden Äußerungen. Dafür wird er, so berichten es uns die Medien, eigentlich vom Volk geliebt - von einem bestimmten Teil des Volkes mag diese Behauptung stimmen. Das kompromisslose Auftreten, diese naive Ehrlichkeit, das Sehen der Welt wie sie ist, nicht wie sie politisch gefärbt umgedeutet wird: all das hält man ihm zugute. Endlich sei da einer, der sich nicht durch Parteidisziplin und politische Korrektheit stoppen ließe, endlich mal eine ehrliche Haut, die ohne Rücksicht auf Verluste die Wahrheit ausspricht. Flankiert wird diese Mär vom geliebten Kompromisslosen durch das Bild. Wir sehen einen philosophierenden, gleichwohl mit dem Finger mahnenden Mann, der sein ganzes Wissen, seinen ganzen Wahrheitsdurst in einen Monolog wirft, der uns, der den Bürgern dieses Landes, die Augen öffnen soll. Da fabuliert nicht irgendein abgehalfteter Haßprediger von seiner Kanzel herab, sondern ein Denker, ein Sinnierender, ein Visionär.

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Ein reines Gedankenspiel

Donnerstag, 14. Mai 2009

Nehmen wir doch mal an, ein Politiker oder jemand, der bis vor kurzem in der Politik war, würde sich dieser Tage öffentlich hinstellen und darüber sinnieren, dass es notwendig sei, dafür zu sorgen, dass zukünftig nur solche Menschen Kinder kriegen können, die es sich finanziell auch leisten können. Nehmen wir das einfach nur mal an, auch wenn man sich das heutzutage nur schwer vorstellen kann, dass sich ein halbwegs gebildeter Mensch in diese Richtung äußern würde; nehmen wir es nur mal an, auch wenn heute sicherlich niemand mehr Interesse an jener Diskussion hat, die schon einmal geführt wurde, die dann in Zwangssterilisationsgesetzen und später auch in Euthanasie endete. Man braucht schon eine große, vielleicht sogar eine kindliche naive Phantasie, sich etwas derart Abwegiges vorstellen zu können und zu wollen.

Da stellt sich in unserer Phantasie so ein elitärer Zeitgenosse hin und will dafür gesorgt wissen, dass künftig Kinder nurmehr einer bessergestellten Gesellschaftsgruppe möglich gemacht werden. Kinder zu bekommen dürfe keine finanziellen Vorteile mehr bieten, Kinder zu bekommen dürfe den Lebensstandard der Unterschicht nicht steigern, so könnte so ein Kerl argumentieren, malt man sich geradezu bildlich aus. Logisch ist das freilich nicht, denn ein Kind kostet mehr, als Kindergeld und Elterngeld bieten können, doch um Logik geht es auch nicht, wir zeichnen nur ein phantasievolles Bild von einem Menschen, der sich elitär in Verachtung der Unterschichten übt. Dass solche Menschen gemeinhin nicht sonderlich logisch denken, verknüpfen wir an dieser Stelle mit dem Vorzustellenden.

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Marktorientiertes Betteln

Mittwoch, 13. Mai 2009

Wenn er wenigstens zu einem Liedchen aufspielen würde. Irgendetwas, was den Passanten erheitert oder berührt, was dazu anregt stehenzubleiben, zuzuhören, den Geldbeutel zu lockern, zu öffnen, zu entleeren. Wenn er nur wenigstens mit einer kleinen Melodei auf sich aufmerksam machen würde, ein Angebot unterbreiten würde, das den Passanten zur Nachfrage verleitet, was dessen Interesse wecken würde. Doch er sitzt nur auf dem Asphalt, zwischen seinem Hintern und dem Boden eine Decke gezwängt, vor ihm ein alter Hut, gekleidet in einem Flickenteppich, der als Mantel durchgehen soll, döst vor sich hin, blickt gelegentlich um sich, nickt manchen Passanten zu, hofft auf eine milde Gabe.

Solche Vertreter seiner Zunft gibt es zuhauf; aber es gibt auch ausgesprochene Branchenexperten, die sich eben nicht nur hinhocken und warten, sondern ein wenig Gegenleistung anbieten. Sie erfüllen die Fußgängerzonen mit Musik, präsentieren einen kleinen Veitstanz, sagen Gedichte auf oder bieten das Streicheln eines Tieres an. Sie haben erkannt, dass in der Leistungsgesellschaft selbst der Bettler etwas zu leisten hat. Es reicht doch schon, dass der Bettler an sich sowieso schon Leistungsverweigerer ist. Wenn er aber nur herumkauert und wartet, bis ihm der heilige Geist den Hut mit Geld füllt, dann verweigert er sich geradewegs ein zweites Mal dieser Gesellschaft.

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Der gute Mensch

Dienstag, 12. Mai 2009

Das Ehrenamt ist in aller Munde, strömt aus allen tippenden Fingern. Die Medienwelt hat ein neues, sicherlich temporär befristetes, Themengebiet gefunden. Ehrenamt sei bürgerschaftliches Engagement, Ausdruck einer Gesellschaft, die demokratisch gesinnt ist, erklärte Ursula von der Leyen in der sonntäglichen Quatschbude, und der Chor der Anwesenden stritt sich darüber, ob es überhaupt Bedürftige in Deutschland gäbe. Einig war man sich nur darüber, dass ehrenamtliche Einrichtungen wie die Tafeln lobenswert seien. Dass diese aber womöglich nicht demokratischer Ausdruck sind, sondern ganz konträr, Ausgeburt voranschreitender Entdemokratisierung, auf diesen Gedanken kam man nicht. Man hätte schon mal fragen können, warum Tafeln überhaupt notwendig geworden sind, warum der Sozialstaat nicht umsetzen kann, dass Tafeln eine Rarität werden, die wirklich nur in äußersten Notfällen bemüht werden müssen.

Was aber in der Diskussion um das Ehrenamt auffällt: der Gutmensch ist wieder ein Begriff öffentlicher Debatte. Während in der Nachschau der Will-Sendung über die Schlechtigkeit guter Menschen schwadroniert wird, schiebt die ARD eine Dokumentation mit dem bezeichnenden Titel "Gut sein auf Probe" nach. Und damit das Bild des Gutmenschen abgerundet wird, legt auch Springers Hausphilosoph Wagner nach, fragt danach, warum er kein Gutmensch sei, obwohl er doch immer Steuern bezahlt hätte und damit sicherlich zwei Panzer finanziert habe.

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