Marktorientiertes Betteln
Mittwoch, 13. Mai 2009
Wenn er wenigstens zu einem Liedchen aufspielen würde. Irgendetwas, was den Passanten erheitert oder berührt, was dazu anregt stehenzubleiben, zuzuhören, den Geldbeutel zu lockern, zu öffnen, zu entleeren. Wenn er nur wenigstens mit einer kleinen Melodei auf sich aufmerksam machen würde, ein Angebot unterbreiten würde, das den Passanten zur Nachfrage verleitet, was dessen Interesse wecken würde. Doch er sitzt nur auf dem Asphalt, zwischen seinem Hintern und dem Boden eine Decke gezwängt, vor ihm ein alter Hut, gekleidet in einem Flickenteppich, der als Mantel durchgehen soll, döst vor sich hin, blickt gelegentlich um sich, nickt manchen Passanten zu, hofft auf eine milde Gabe.
Solche Vertreter seiner Zunft gibt es zuhauf; aber es gibt auch ausgesprochene Branchenexperten, die sich eben nicht nur hinhocken und warten, sondern ein wenig Gegenleistung anbieten. Sie erfüllen die Fußgängerzonen mit Musik, präsentieren einen kleinen Veitstanz, sagen Gedichte auf oder bieten das Streicheln eines Tieres an. Sie haben erkannt, dass in der Leistungsgesellschaft selbst der Bettler etwas zu leisten hat. Es reicht doch schon, dass der Bettler an sich sowieso schon Leistungsverweigerer ist. Wenn er aber nur herumkauert und wartet, bis ihm der heilige Geist den Hut mit Geld füllt, dann verweigert er sich geradewegs ein zweites Mal dieser Gesellschaft.
Spiel doch etwas, möchte man ihm zurufen, sing etwas, tanz doch! Aber er sitzt nur stur auf seinem Fleckchen Erde. Sofern sich doch jemand erbarmt, ihm einige Groschen zu spendieren, stellt sich das unmittelbar nach dem Geklimper als gefühlsduseliger Fehler heraus, denn das kauernde Menschenbündel hebt nur unmerklich den Kopf, bedankt sich so gut wie nicht, nimmt die Spende beinahe als selbstverständlich hin. Nicht einmal jetzt erbringt er Leistung, leistet keinen Dank – einen solchen Kerl ist die Armut nicht gut bekommen, denn eigentlich sollte seine Situation dazu führen, dass er devoter würde, umgänglicher, anpassungsfähiger, leistungsbewußter.
Stattdessen ist er undankbar, unfreundlich, bietet den Passanten kein Kunststück an, versucht überhaupt nicht, aus den Passanten Verbraucher seiner Straßenkleinkunst zu machen. Wenn er sich doch wenigstens beide Beine abschlagen ließe oder einen Arm; wenn er nur versehrt wäre, dann könnte man das Mitleid als seine Ware gelten lassen. Dann würde der Passant auch zum Verbraucher, zum Kunden, dem man das schlechte Gewissen ins Gedächtnis ruft, weil er selbst gesund und leistungsstark ist, während dieser verstümmelte Mitmensch nicht nur am Ende der sozialen Leiter steht, sondern irgendwo ins Erdreich eingedrückt, dort wo die Leiter ihre Pfosten in den Boden presst. Zwei Beinstummel machen mitleidig, lassen daran erinnern, dass es auch tragische Lebensentwürfe gibt, machen den Alltag besinnlicher, lehren für einige Sekunden Demut, erzeugen Dankbarkeit gegenüber der eigenen Stärke.
Auch das wäre etwas, was man verkaufen könnte, was man den Vorbeikommenden in aller Stille zurufen könnte. Seht her, würde der Bettler dann ohne Lippenbewegungen den Menschen vor die Füße schleudern, seht her, so hättet ihr auch enden können, ganz am Ende, krank, ohne Gliedmaßen, verunfallt und alleingelassen! Aber nun, würde er mit generösen Lächeln fortfahren zu schweigen, aber nun habe ich diese Rolle in der Gesellschaft eingenommen, damit ihr sie nicht einnehmen müßt. Eigentlich solltet ihr mir dankbar sein, aber ich wäre dennoch euch dankbar, wenn ihr mir einige Münzen überlassen könntet. Würde der Amputierte dann auch noch ein herzergreifendes Vergeltsgott säuseln, dabei freundlich die Mundwinkel nach oben ziehend, dann wäre das am Ende ein Geschäft, von dem jeder etwas hätte. Betteln als Dienstleistung! Aber so, so ganz ohne Leistung in der Gegend hocken, alle Gliedmaßen an der richtigen Stelle sitzend, überhaupt noch alle Gliedmaßen habend, so macht das dem Passanten keinen Spaß. Er muß sich doch selbst fragen, was er davon hat, einem solchen Zeitgenossen sein hartverdientes Geld zu schenken.
Aber über kurz oder lang wird so ein faules Bettlerexemplar verschwinden. Nicht, weil er an seiner Armut stirbt, denn solche Kreaturen leben erfahrungsgemäß lang, sind robuste Naturen, die so schnell nicht aus der Bahn zu werfen sind. Nein, weil er im Wettbewerb steht mit Seinesgleichen, weil er sich mit denen messen lassen muß, die ihr Geschäft mit Engagement und Gegenleistung betreiben. Tanzte einige Meter weiter, einige Meter vom kauernden Bettler entfernt, ein anderer Bettler einen schmissigen Flamenco, so müßte der Passant entscheiden, wem er sein Geld gäbe: dem Faulen oder dem Tanzenden. Da sich am Markt immer Leistung durchsetzt, wäre es letztlich der Tanzbär, der sich seine Groschen redlich verdient hätte. Und wenn er dann auch noch brav Männchen macht, wenn man ihn belohnt, dann hat der Kunde am Ende das Gefühl, genau richtig gehandelt zu haben. Der Hockende aber wäre seiner sowieso schon fehlenden Geschäftsgrundlage damit gänzlich beraubt. Dieser Typus Bettler wird bald Geschichte sein, der Wettbewerb wird ihn ausmerzen...
Solche Vertreter seiner Zunft gibt es zuhauf; aber es gibt auch ausgesprochene Branchenexperten, die sich eben nicht nur hinhocken und warten, sondern ein wenig Gegenleistung anbieten. Sie erfüllen die Fußgängerzonen mit Musik, präsentieren einen kleinen Veitstanz, sagen Gedichte auf oder bieten das Streicheln eines Tieres an. Sie haben erkannt, dass in der Leistungsgesellschaft selbst der Bettler etwas zu leisten hat. Es reicht doch schon, dass der Bettler an sich sowieso schon Leistungsverweigerer ist. Wenn er aber nur herumkauert und wartet, bis ihm der heilige Geist den Hut mit Geld füllt, dann verweigert er sich geradewegs ein zweites Mal dieser Gesellschaft.
Spiel doch etwas, möchte man ihm zurufen, sing etwas, tanz doch! Aber er sitzt nur stur auf seinem Fleckchen Erde. Sofern sich doch jemand erbarmt, ihm einige Groschen zu spendieren, stellt sich das unmittelbar nach dem Geklimper als gefühlsduseliger Fehler heraus, denn das kauernde Menschenbündel hebt nur unmerklich den Kopf, bedankt sich so gut wie nicht, nimmt die Spende beinahe als selbstverständlich hin. Nicht einmal jetzt erbringt er Leistung, leistet keinen Dank – einen solchen Kerl ist die Armut nicht gut bekommen, denn eigentlich sollte seine Situation dazu führen, dass er devoter würde, umgänglicher, anpassungsfähiger, leistungsbewußter.
Stattdessen ist er undankbar, unfreundlich, bietet den Passanten kein Kunststück an, versucht überhaupt nicht, aus den Passanten Verbraucher seiner Straßenkleinkunst zu machen. Wenn er sich doch wenigstens beide Beine abschlagen ließe oder einen Arm; wenn er nur versehrt wäre, dann könnte man das Mitleid als seine Ware gelten lassen. Dann würde der Passant auch zum Verbraucher, zum Kunden, dem man das schlechte Gewissen ins Gedächtnis ruft, weil er selbst gesund und leistungsstark ist, während dieser verstümmelte Mitmensch nicht nur am Ende der sozialen Leiter steht, sondern irgendwo ins Erdreich eingedrückt, dort wo die Leiter ihre Pfosten in den Boden presst. Zwei Beinstummel machen mitleidig, lassen daran erinnern, dass es auch tragische Lebensentwürfe gibt, machen den Alltag besinnlicher, lehren für einige Sekunden Demut, erzeugen Dankbarkeit gegenüber der eigenen Stärke.
Auch das wäre etwas, was man verkaufen könnte, was man den Vorbeikommenden in aller Stille zurufen könnte. Seht her, würde der Bettler dann ohne Lippenbewegungen den Menschen vor die Füße schleudern, seht her, so hättet ihr auch enden können, ganz am Ende, krank, ohne Gliedmaßen, verunfallt und alleingelassen! Aber nun, würde er mit generösen Lächeln fortfahren zu schweigen, aber nun habe ich diese Rolle in der Gesellschaft eingenommen, damit ihr sie nicht einnehmen müßt. Eigentlich solltet ihr mir dankbar sein, aber ich wäre dennoch euch dankbar, wenn ihr mir einige Münzen überlassen könntet. Würde der Amputierte dann auch noch ein herzergreifendes Vergeltsgott säuseln, dabei freundlich die Mundwinkel nach oben ziehend, dann wäre das am Ende ein Geschäft, von dem jeder etwas hätte. Betteln als Dienstleistung! Aber so, so ganz ohne Leistung in der Gegend hocken, alle Gliedmaßen an der richtigen Stelle sitzend, überhaupt noch alle Gliedmaßen habend, so macht das dem Passanten keinen Spaß. Er muß sich doch selbst fragen, was er davon hat, einem solchen Zeitgenossen sein hartverdientes Geld zu schenken.
Aber über kurz oder lang wird so ein faules Bettlerexemplar verschwinden. Nicht, weil er an seiner Armut stirbt, denn solche Kreaturen leben erfahrungsgemäß lang, sind robuste Naturen, die so schnell nicht aus der Bahn zu werfen sind. Nein, weil er im Wettbewerb steht mit Seinesgleichen, weil er sich mit denen messen lassen muß, die ihr Geschäft mit Engagement und Gegenleistung betreiben. Tanzte einige Meter weiter, einige Meter vom kauernden Bettler entfernt, ein anderer Bettler einen schmissigen Flamenco, so müßte der Passant entscheiden, wem er sein Geld gäbe: dem Faulen oder dem Tanzenden. Da sich am Markt immer Leistung durchsetzt, wäre es letztlich der Tanzbär, der sich seine Groschen redlich verdient hätte. Und wenn er dann auch noch brav Männchen macht, wenn man ihn belohnt, dann hat der Kunde am Ende das Gefühl, genau richtig gehandelt zu haben. Der Hockende aber wäre seiner sowieso schon fehlenden Geschäftsgrundlage damit gänzlich beraubt. Dieser Typus Bettler wird bald Geschichte sein, der Wettbewerb wird ihn ausmerzen...
9 Kommentare:
Und wieder triffst Du mitten ins Herz. Machst mich stumm, betroffen, getroffen,....
Wieviele triffst Du mit Deinem wahrlich konsequenten Schuss?
Ich wünsche mir alle Deine Leser.
....Grüße
Margitta Lamers
@Margitta
„ Du triffst mitten ins Herz. Du machst andere stumm, betroffen, getroffen, ...“
Ich glaube auch, dass er viele „trifft“. Diesmal haben wir wieder einmal einen perfekt geschliffenen Diamanten der literarischen Kunst vor unseren Augen.
P.S. Lieber Roberto, wenn es geht - aber nur wenn es geht -, diesmal bitte meine „einfach-so-Meinung“ nicht kommentieren.
Gut, dann halte ich halt meinen Mund... :)
Auch von mir nur stiller Respekt.
Besser als @Margitta wäre es gar nicht möglich zu beschreiben.
(Und Waffenruhe mit @Systemfrager für diesen blog :-)
Vielen Dank, Roberto für den Gedanken und auch die Formulierung.
Ad sinistram gehört inzwischen sozusagen zum meinem täglichen "Trost", dass es doch noch ein paar intelligente denkende Menschen in D gibt, die auch über die Bildung verfügen, das zu formulieren.
Beim Lesen fiel mir übrigens sofort Gerhard Polts "Nichtschwimmer" ein;
man kann sich einem Thema ganz unterschiedlich nähern...
Das Problem ist nur: wieviel % der bevölkerung sind nicht nur "begeistert" , sondern verstehen auch; wieviele Menschen sind überhaupt in eine Lage versetzt, die es ihnen erlaubt Konsequenzen aus dem Verstandenen zu ziehen und wieviele haben wirklich die Kraft, die Widerstände auszuhalten, die sich aus den notwendigen Konsequenzen ergäben ?
Trotzdem: Bitte weiter so, ein Licht ist besser als gar kein Licht.
Ich wünsche einen Guten Tag.
Ich möchte auf einen Aspekt hinweisen, der hier keine Erwähnung fand: die Scham des Gebenden.
Ich fühle mich maßlos gönnerhaft, wenn ich einem bettelnden Menschen Geld gebe. Für mich ist ein Leben in Bescheidenheit eine freiwillige Entscheidung (Es lebe die kleine Armut! ist ein schöner Satz Nietzsches), während andere nie eine Chance hatten, überhaupt zu wählen.
Ich habe wenig Geld, deshalb gebe ich gern etwas davon; aber ich schäme mich, das tun zu müssen, ich schäme mich in einem durch Ausbeutung Anderer reich gewordenen Land zu leben, das mit Menschen nicht das Menschliche meint, sondern potentiellen Profit in ihnen sieht: Human-Kapital.
Erniedrigte Menschen werden durch Almosen weiterhin erniedrigt - so sieht es das Gefühl. Armen-Küchen und Geld-Almosen: so dringend notwendig sie oft sind, ersetzen nicht Liebe noch Solidarität - sie sind bei Lichte betrachtet Kosmetik auf ein häßliches Gesicht Deutschland.
Lange Rede... Manchmal bin sehr froh, einen Bodo-Verkäufer zu treffen, weil wir einander "auf gleicher Augenhöhe" begegnen. Ich kann etwas mehr geben als die Zeitung kostet, und ich habe nicht das Gefühl, die Würde des anderen durch meine "Gabe" verletzt zu haben.
Daß überhaupt Menschen gezwungen sind zu betteln, daß wir uns daran offenbar gewöhnt haben, ist meiner Meinung nach das eigentliche Problem.
Ich muß jetzt schließen und bedanke mich für den Artikel.
heller wahnsinn - besser kann man das nicht schreiben. muss ich ehrlich sagen.
Wer, wie ich, stramm auf die 60 zugeht, kennt sie noch, die bettlerfreien Innenstädte. Damals gab es noh ein Sozialsystem, das diesen Namen verdiente. Und vieles, was heute selbstverständlich kostenpflichtig ist, war damals noch nicht als geniale Geschäftsidee und sträflich vernachlässigte Marktlücke begriffen worden. Man konnte quer durch Europa trampen und lernte interessante Leute kennen. Bis die Mitfahrzentralen kamen...
Bettler gibt es inzwischen so viele, dass sie gut daran tun, eine originelle "Geschäftsidee" zu entwickeln, um sich von der Konkurrenz abzuheben. Wie schnell tritt der Gewöhnungseffekt ein, wie schnell gewöhnt man sich an diese kauernden Gestalten? Wer heute zwischen 20 und 30 Jahre alt ist, muss wohl davon ausgehen, dass es schon immer so war...
Es ist in der Bettelei nicht anders als im Ziegengarten. Was hier die Almosen sind, sind dort die Brotstücke oder Grasbüschel.
Leider habe ich auch schon oft genug beobachten müssen, wie sich die Attraktionskonkurrenz in Geber- und Bettlerseelen eingeschlichen hat. Es ist nur ein weiterer Ort, an dem das Erleben vieler Menschen keinen reflexiven Rückschlag mehr aufzuschaukeln im Stande ist und die menschliche Eigenart, prinzipiell bzw. so vielschichtig offen für andere sein zu müssen bzw. zu können, nur mehr Modus eines lachenden Taumelns im Strudel der Elemente von Siegerwelten, die in manchen Seelen das Ich fortwährend aufpeitschen, wenn sie noch nicht ernst geworden oder gebrochen worden sind.
Die Aufmerksamkeit sollte dadurch aber weg von den Seelen hin zu den Verteilungsstrukturen, die an die menschliche Kraft des Hervorbringens gekoppelt sind und die auch nicht dann, wenn diese sich in einen Hochtechnologiepark verlängert und somit entlastet hat, im Stande ist, die Bettelei aufzuheben. Hierin sieht man ja auch das Tunneldenken der politisch Aktiven: von einer vernünftigen Zielsetzung ist keine Rede. Die menschliche Kraft des Hervorbringens soll bloß im hitzigen Umlauf gehalten werden, ihre Temperatur soll hoch und höher gehalten werden, nur ja nicht mit mit kühlendem Denken beträufelt werden. Die menschliche Kraft des Hervorbringens wird eher den Planet umackern und das Innere nach Außen verbauen, als dass sie in die Ruhe des Denkens versinkt, als dass sie die Bettelei abschafft.
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