Das Paradies läge so nah

Mittwoch, 27. Mai 2009

Wenngleich zur Enttäuschung feierlauniger Bundesrepublikaner, der Mann, der Rudi Dutschke anschoss - Josef Bachmann mit Namen -, wohl doch kein IM der Staatssicherheit war, gibt man sich nun neuer Hoffnung hin. Marianne Birthler wird persönlich die kilometerlangen Regale abschreiten, dabei forschend den Staub aufwirbelnd, hier und da einige Ordner aus den Ablagen wuchten und damit bislang unbekannte Sensationen präsentieren, die die Geschichte dieses Landes im neuen Licht erstrahlen lassen werden. Endlich, endlich ist die Zeit gekommen, da die Bundesrepublik so umgeschrieben werden kann, dass aus ihrem sündigen Leben eine Hagiographie erblühe.

Während der Mörder Kurras, damals vom Mordvorwurf freigesprochen, nun seiner gerechten Strafe für ein viel schlimmeres Verbrechen überstellt werden soll, nämlich der Mitgliedschaft in der SED, soll nun langsam aber sicher deutlich werden, dass alles, was das Jahr 1968 ausmachte - (der folgenreichste Sündenfall dieses Landes) -, eine Verschwörung der Stasi war. Die Studentenschaft, geängstigt von der Unfähigkeit ihrer Eltern und Großeltern, sich mit dem braunen Geschehen von einst auseinanderzusetzen, furchtsam vor den ehemaligen NSDAP-Mitgliedern Kiesinger und Lübke, besorgt ob des Wiedererstarkens der damaligen NPD, könnte so als von Ost-Berlin aufgehetzter Mob in die erneuerte Geschichtsschreibung eingehen. Man stelle sich vor, die suchende Marianne birthlert (das Verb stammt vom englischen birth, der Geburt ab, denn die strebsame Frau gebiert Legenden) eine Akte hervor, in der abgeheftete Papiere beweisen, dass der NPD-Vorsitzende jener Tage, Adolf von Thadden, ein Stasi-Mann war – auf einen Schlag wäre der Geist des Revisionismus als Unart der DDR abgetan.

Vielleicht könnte sie auch dafür sorgen, dass jene Unterlagen das Licht der westlichen Welt erblicken, in denen festgehalten ist, dass die Väter und Mütter der Notstandsgesetze ferngesteuert waren. Oder dass der Vietnamkrieg ein Produkt ostdeutscher agents provocateurs war. Wie peinlich müßte dies dem letzten wimmernden Geist der 68er sein, wenn herauskäme, dass ihr Ho-Ho-Ho-Chi-Minh eine Hymne auf Erich Mielke war! Und wenn wir schon dabei sind: Brandt stolperte nicht nur über einen Stasi-Mann, sondern war selbst einer. Seine Ost-Politik, der Kniefall in Warschau, vorallem aber der Verzicht auf ehemals deutsches Gebiet in Polen, könnten damit als Treiben der Staatssicherheit entlarvt werden. Welche Freude wäre das für Erika Steinbach und ihren biederen Heimatverein! Da wäre der Geist des Revisionismus wiederbelebt! Damit es den Konservativen wieder wohliger wird in ihrem Deutschland, welches derzeit ja so fürchterlich Richtung Kommunismus abgleitet, sollte sich die emsige Marianne sputen, sexuelle Revolution, Antibabypille und, wenn wir schon dabei sind, den HI-Virus auch dem Ost-Berliner Regime in die Schuhe schieben.

Ja dann, dann wäre die BRD ein Paradies – und das schon immer gewesen! Und verarmen dann innerhalb der herrschenden Krise immer mehr Menschen, die im Osten des Landes schneller als die im Westen, dann führt man Zwangsumsiedlungen durch, schafft die Verelendeten in die neuen Bundesländer und gibt der flinken Marianne einen Wink. Die zieht dann ein Dokument unter ihrem Rock hervor, in dem zu lesen ist, dass die Wiedervereinigung ein Produkt von Stasi-Leuten war, demnach als hinfällig zu betrachten ist. Eine Wiedervereinigung, die so ins Leben kam, will man dann freilich nicht mehr haben. Dies ist übrigens keine Geschichtsklitterung, sondern die übliche Kosmetik derer, die sich als Sieger begreifen, aber noch gar nicht gemerkt haben, dass sie nur die Übriggebliebenen sind.

Während Abgeordnete und ehemalige Staatsmänner die Sicherheit genießen, dass Marianne Birthler deren Stasi-Akten sicher unter ihrem Kopfkissen von der Welt versteckt hält, müssen alle anderen Angst haben, bald Opfer der absoluten und einzigen Wahrheit zu werden. Wallraff hat es schon erleben dürfen, für ihn galt der Schutz, zumal die Aktenlage höchst spekulativ war, nicht. Er wurde „entlarvt“. Springer, eine alte Rechnung begleichend, nannte ihn immer wieder einen IM, worauf Wallraff mehrfach klagte und mehrfach Recht erhielt. Wallraffs Akte muß irgendwie aus Birthlers Bett gefallen sein. Er ist ja auch kein Staatsmann - ganz im Gegenteil.

Ihr Meisterstück soll die Birthler-Behörde aber noch machen. Wenn es nur irgendwie gelänge, den österreichischen Postkartenmaler als IM zu entblößen - hach, Paradies, Du längst schwarz-rot-gülden im Herzen Europas...

12 Kommentare:

carlo 27. Mai 2009 um 06:59  

Super!!!
Zitat: "Eine Wiedervereinigung, die so ins Leben kam, will man dann freilich nicht mehr haben. Dies ist übrigens keine Geschichtsklitterung, sondern die übliche Kosmetik derer, die sich als Sieger begreifen, aber noch gar nicht gemerkt haben, dass sie nur die Übriggebliebenen sind."

Für diesen Text gebe ich Dir einen aus, wenn wir uns mal begegnen.
Danke, so fängt der Tag gut an.
Salute
carlo

Ein Brandenburger 27. Mai 2009 um 09:48  

Hallo Roberto,

eigentlich bin ich idR einer Deiner stillen Leser doch heute muß ich mich wieder einmal schriftlich für den gelungenen Text bedanken. Besser kann man das Unwesen der Frau B. (und vorher des Herrn G.) und die seit längerem betriebene Geschichtsklitterung nicht beschreiben.

Danke.

Markus

Anonym 27. Mai 2009 um 09:59  

Dazu passend Jutta Ditfurths neues Buch "Zeit des Zorns" - mehr dazu hier - Unter der Überschrift: "Handgemenge":

http://www.jungewelt.de/2009/05-27/023.php

Ironisch ist, dass im Kapitel "Sackgasse Linkspartei" von Jutta Ditfurth genau dieselben Verdächtigungen an die Linkspartei gesendet werden, die nun auf die 68er-Bewegung insgesamt zurückschlägt - Widerstand ist wahlweise links- oder rechtsextrem.

Da ist Frau Ditfurth, wie der "Fall Kurras" beweist, den Vorurteilen gegenüber Oskar Lafontaine und Gregor Gysi auf den Leim gegangen, die von den selben konservativen "Eliten" nun auch gegen Sie als 68erin ausgesprochen werden dürften.

Über konservatives Mobbing kann Frau Ditfurth übrigens ein Lied singen, mehr dazu hier:

http://www.oekolinx-arl.de/OekoLinX-ARL-dok/OekoLinX-ARL_20080526_Ditfurth-Ruecktritt.pdf

Der ehemalige "Staatsfeind" Till Meyer - wird hier interviewt - zum "Fall Kurras":

http://www.jungewelt.de/2009/05-27/054.php

...auch sehr aufschlußreich das Interview....

Gruß
Nachdenkseiten-Leser

Peinhard 27. Mai 2009 um 10:28  

"[...] eine Akte hervor, in der abgeheftete Papiere beweisen, dass der NPD-Vorsitzende jener Tage, Adolf von Thadden, ein Stasi-Mann war – auf einen Schlag wäre der Geist des Revisionismus als Unart der DDR abgetan."

Uh - dazu vorsichtshalber ;) gleich mal folgendes 'Gegengift':

'Der Maunz, ich und das Grundgesetz'
http://www.jungewelt.de/2009/05-25/019.php

Was im übrigen natürlich auch nicht heisst, dass die DDR nicht auch ihren ganz eigenen 'Revisionismus' gehabt hätte.

Zur Geschichte der Wiedervereinigung 'von oben' siehe ua auch:

'Von allen guten Brüdern verlassen'
http://www.freitag.de/politik/0921-zeitgeschichte-ddr-sowjetunion-wende89

Zu der 'von unten' wäre immer noch zu untersuchen, wie viele das damals überhaupt gewollt haben - bzw was sie 'eigentlich' gewollt haben. Danach kräht aber vorsichtshalber kaum ein Hahn...

Anonym 27. Mai 2009 um 11:00  

"[...]Zu der 'von unten' wäre immer noch zu untersuchen, wie viele das damals überhaupt gewollt haben - bzw was sie 'eigentlich' gewollt haben. Danach kräht aber vorsichtshalber kaum ein Hahn...[...]"

Alter Schwede! Die würden dir sofort "Verschwörungstheorie" unterstellen, wenn Du die "Wiedervereinigung "von unten"" aufklären würdest! ;-)

Im Ernst.

Übrigens, ich las mal eine konvervative Biografie über Konrad Adenauer, der Mann war auch gegen die dt. Einheit - aus triftigen Gründen.

Adenauer ahnte wohl worauf ein wiedervereinigtes Deutschland hinausläuft? Nur soviel - Etwas mehr und ich mache mich der "Verschwörungstheorie" verdächtig ;-)

Gruß
Nachdenkseiten-Leser

klaus baum 27. Mai 2009 um 11:21  

>>dass der NPD-Vorsitzende jener Tage, Adolf von Thadden, ein Stasi-Mann war<<

Die Satirezeitschrift titanic hat bereits nachgewiesen, daß Hitler Mitglied der Stasi war.

http://www.titanic-magazin.de/

Anonym 27. Mai 2009 um 11:38  

Hallo, das hat die Titanic bereits erledigt:

http://www.titanic-magazin.de/uploads/pics/0525-stasiausweis-th.jpg

Grüße,E.

Anonym 27. Mai 2009 um 11:52  

Übrigens, es gibt mehr als ein Buch, dass die 68er-Proteste als Reaktion auf die 68er-Proteste in den USA und den Vietnam-Krieg sieht, d.h. die US-Friedensbewegung war der eigentliche Zündfunken für die 68er.

Ob die US-Protestler auch alle in der Stasi waren? Birthler wird es zeigen ;-)

Man könnte eigentlich nur noch über die ständigen Geschichtsrevisionismusversuche (z.B. 68er = Nazis = Kommunisten; Filbinger der Widerstandskämpfer; Nazi-Verharmlosungsfilme mit NPD-Komparsen wie "Der Untergang" usw. usf.) unserer "Eliten" lachen, wenn die Sache nicht so ernst wäre....die Konservativen wollen einfach - auch mit Kulturimperialismus in Deutschlands Medienwelt - davon ablenken, dass ihre Großväter und Urgroßväter die Macher von Hitler waren.

Zum Glück ist Deutschland nur noch eine Insel in der globalen Welt, mit einem - wieder mißtrauisch - beäugenden Ausland.....

Bei der Oscar-Verleihung werden z.B. dt. Filme mittlerweile sehr kritisch beäugt, wenn die "Der Untergang"; "Der Baader-Meinhoff-Komplex" etc. heißen....

US-AmerikanerInnen der Filmbranche fallen eben nicht so leicht auf dt. Geschichtsrevisionismus rein, wie so mancher "Macher" unserer selbsternannten "Elite" gerne hätte - Wie bereits erwähnt, dank Obama kann man wieder sagen - in jedem Bereich - zum Glück gibt es die USA.

Gruß
Nachdenkseiten-Leser

Anonym 27. Mai 2009 um 21:12  

BRAVO!

Einen solch scharfsinnigen, hinter-die-Maskarade-blickenden und mitreißenden Artikel habe ich wohl noch nie gelsen.

Ich kann ohne Übertreibung sagen, dass der Autor wohl als Journalist für quasi alle Titelartikel seriöser Medien geeignet ist!

Vielen Dank für diese Reise!

Anonym 28. Mai 2009 um 19:06  

Sehr feinsinniger Text, sowas lese ich gern.
Trotzdem kommt diese Form der Meinungsmaipulation für mich nur billig rum.
Die Ex DDR hätte man rechtlich flott abwickeln können, aber nein man genießt es.
Lieber gräbt man nach 20 Jahren Schätzchen aus, die die eigene moralische Überlegenheit beweisen sollen.

Das ist unmoralisch, unglaubwürdig, billig. Einfach ein ganz schlechtes BRD Ablenkungsmanöver.
Ich weiß es ist Wahljahr, da muß man solche Manöver hinnehmen.
Aber die Urheber solcher Geschichten werden nicht von meiner "Stimme" profitieren.

TO-BE-AS 31. Mai 2009 um 13:59  

Die Qualität deiner Blogeinträge ist meiner Meinung nach generell sehr hoch. Dieser aber sticht noch ein Stück nach oben heraus.

Ich habe die meiste Zeit Bilder vor Augen gehabt, was glaube ich ein Lob ist. :)

Allerdings finde ich den anonymen Kommentar zur Oscar Verleihung und zur amerikanischen Rolle in der Kritik an deutschen Filmen etwas irritierend. Irgendwie habe ich den Eindruck der Autor ist der Meinung das "Amerika" die geschichtliche "Richtigkeit" von deutschen Filmen kritische beleuchten würde. Da geht doch mein Kiefer auf Grundwasserniveau.

Anonym 31. Mai 2009 um 19:02  

"[...]Allerdings finde ich den anonymen Kommentar zur Oscar Verleihung und zur amerikanischen Rolle in der Kritik an deutschen Filmen etwas irritierend. Irgendwie habe ich den Eindruck der Autor ist der Meinung das "Amerika" die geschichtliche "Richtigkeit" von deutschen Filmen kritische beleuchten würde. Da geht doch mein Kiefer auf Grundwasserniveau.[...]"

Und? Was ist an meiner These so falsch? Ist es eine Verschwörungstheorie, dass gewisse "konservative" Filmemacher immer wieder mit den gleichen geschichtsrevisionistischen Werken (z.B. "Der Untergang" mit Neonazi-Komparsen) versuchen einen Oscar zu gewinnen?

Besuch mal hagalil.com, eine jüdische Internetseite, vielleicht geht dein Kiefer dann noch mehr "auf Grundwasser" ;-)

Hier der entsprechende Tipp:

http://www.hagalil.com/archiv/2004/08/adolf-hitler.htm

Vielleicht male ich die US-Filmbranche ja auch zu schön, aber was kritische Filme angeht, da ist Hollywood (immer noch?) 1a - nicht erst seit Michael Moore und Steven Spielberg.

Gruß
Nachdenkseiten-Leser

PS: Hollywood ist sogar so 1a, dass man den Völkermord an den Native Americans sogar verfilmt - da geht dein Kiefer wohl auch "auf Grundwasser"? Zeig mir mal einen dt. Spielfilm, der den Judenmorde in all seiner Grausamkeit, und deutschen Einzigartigkeit zeigt - Ich persönlich kann nur vom Gegenteil berichten, die Deutschen wollen die Vergangenheit "entsorgen" mit Filmen wie dem "Baader-Meinhoff-Komplex" und "Der Untergang" bzw. aus Rot und Braun, ganz wie von Neoliberalen erwünscht eine Farbe machen.....die Idee geht schon 1938 auf einen gewissen Walter Lippmann zurück.

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