Platzierungswahn

Montag, 18. Mai 2009

Alle Jahre wieder die gleiche deutsche Ernüchterung. Man schickt mittelmäßige bis schlechte Musikstücke zum Eurovision Song Contest, oftmals von Trällerbarden vortragen, die wenig bis gar nicht singen können, nur um sich am Ende von ganz Europa mißverstanden zu fühlen. Das Prozedere ist alljährlich ähnlich, nach der Veranstaltung wird gejammert und lamentiert, wird sich gefragt, ob man überhaupt noch Gelder in diesen Wettbewerb stecken sollte.

Man kann den Eurovision Song Contest mögen oder nicht, man kann einen gesamteuropäischen Gesangeswettbewerb als charmante Idee verstehen oder nicht - das steht hier nicht zur Debatte. Was man aber am Drumherum um diesen Wettbewerb hierzulande feststellen kann, ist ein Hang zum Ergebnis, der sich wenig um Qualität schert. Schon vor Beginn der Veranstaltung wird regelmäßig beschworen, dass man dem eigenen Land die Daumen halte, dass man natürlich Patriot sei. Prominente und solche, die es gerne wären, werden befragt, ob sie denn mit dem Herzen beim Interpreten Soundso seien, der ja die unbeschreibliche Ehre hätte, Deutschland in Helsinki, Kiew oder Athen zu vertreten. Und natürlich seien sie für Deutschland, heißt es dann unisono im Chor. Dabei ist es ganz belanglos, ob man das jeweilige Stück als annehmbar empfindet oder nicht. Man feuert Deutschland an, auch wenn das Lied viertklassiger Natur, eine Beleidigung für jeden Gehörgang ist, auch wenn die Bühnenshow wie eine Probe einer Geisterbahnbelegschaft aussieht, auch wenn der Interpret wie ein quietschendes Gartentor klingt.

Schon hier zählt Qualität nicht, schon hier geht es nur um das Ergebnis. Da unterscheidet sich der Eurovision Song Contest nicht von der Fußball-Nationalmannschaft, der man ebenso zujubelt, selbst wenn der Fußball mit ihnen spielt, anstatt sie mit dem Fußball. Man kann noch so schlecht sein, noch so fade Spiele abliefern, wenn am Ende das Finale winkt, ist für den deutschen Betrachter alles in bester Ordnung. Zahlen und Statistiken machen jedes verkorkste Aufbauspiel erst erträglich. Das gilt hierzulande in vielen Sparten. Man baut den Sozialstaat ab, züchtet sich eine Ellenbogengesellschaft heran, aber es wird über den allgemeinen Wohlstand gejubelt, den wir der Exportweltmeisterschaft zu verdanken haben. Wenn das Ergebnis stimmt, dann ist man in Deutschland selig, dann wird der Weg dorthin, das Wie zur ausblendbaren Randerscheinung - Hauptsache Weltmeister, Hauptsache Erfolg, Hauptsache Sieger!

Die Krone dieses Denkens offenbart sich momentan wieder, nachdem man ein weiteres Mal beim Eurovision Song Contest gescheitert ist. Stefan Raab soll die deutsche Schmach beenden, soll der Retter der deutschen Eurovision-Sache werden. Jener Mann also, der mit "Wadde hadde dudde da" und "Guildo hat euch lieb" das Niveau des deutschen Vorentscheids beträchtlich nach unten gefahren hat. Aber wen kümmert es, denn letztlich war er ja der Mann, der mit solchen intellektuellen Offenbarungseiden Erfolge zeitigte. Bescheidener Erfolg, aber immerhin Erfolg, immerhin jeweils unter den Top Ten des Starterfeldes. Man hätte auch fragen können, warum man nicht wirkliche musikalische Qualität ins Rennen schickt, warum man sich nicht herantraut, ein Stück wie jenes der Patricia Kaas demnächst nach Oslo zu schicken. Die hat zwar nicht gewonnen, gemessen am Niveau des Liedes wohl sogar eher enttäuscht - aber sie hat mit Stil enttäuscht, ist der Sache treu geblieben, hat keinen bunten und aufgebrezelten Showzirkus geliefert, sondern große musikalische Unterhaltung. Nein, hier wird über den schlechten Platz gesprochen, den man in Moskau belegt hat. Aber der eigentliche Skandal ist nicht die Platzierung, sondern der peinliche Auftritt, das nichtssagende Liedchen, das wie einem Kinderreim entsprungen klang, dazu die seltsame Choreographie, die wahrscheinlich direkt aus einem Bahnhofsbordell entnommen war.

Davon will man aber hierzulande nichts wissen, man will nur das gute Resultat. Erreicht man das mit einer Ulknummer, die als peinliche Kriegserklärung an den halbwegs guten Geschmack verstanden werden kann, so ist man sich nicht zu schade, diesen Ulk zum Gewinnertypen zu erklären. Andersrum gilt dieses Prinzip auch. Als vor zwei Jahren Roger Cicero ein durchaus annehmbares Stück für den Eurovision Song Contest schrieb, hervorragend swingte, Klasse als Musiker und Sänger zeigte (immerhin kommt er aus einer Musikerfamilie), am Ende aber weit hinter den Erwartungen zurückblieb, da wurde wieder gewettert und der Mangel der schlechten Platzierung, zum Mangel für den Musiker Cicero erklärt. Man hat die Qualität des Cicero gar nicht erkannt, weil er nicht mit der Siegertrophäe zurück nach Deutschland kam. Alles wird nur nach Resultaten bemessen, das Gute ist schlecht, wenn es schlecht positioniert ist, so wie eben das Schlechte gut ist, wenn es zufällig an höherer Stelle angesiedelt wird.

In diesem Land geht es schon lange nicht mehr um Qualität, es geht nurmehr um Zahlen und Statistiken, um Resultate, um Positionierungen und Ratings. Nicht nur beim Eurovision Song Contest - der ist nur Spiegelbild für die Gesamtheit dieses kategorisierenden Denkens. Eines Denkens, das Erfolg mit Nutzen verbindet und nutzlose Erscheinungen als erfolglose Nebensächlichkeiten abtut. So ein Klima ist kunstfeindlich, weil es Kunst nur dann gelten läßt, wenn sie - die Kunst, aber auch die Philosophie, die Theologie, die Geisteswissenschaften an sich - erfolgreich ist. Erfolgreich aber nicht in dem Sinne, Menschen zu erreichen, zu inspirieren, ihnen die Augen zu öffnen, sie träumen zu lassen, nein, damit ist der finanzielle Erfolg gemeint.

13 Kommentare:

Pankefuchs 18. Mai 2009 um 15:00  

Sehr guter Beitrag!
The winner tages it all!
Daran krankt es aber schon ewig!
Wie wird der Sieger bejubelt und bekommt Werbeverträge en mass. Und der Zweite? Analyse, Analyse, Analyse: warum er denn nicht gewonnen habe! Auch wenn es nur 2/100ertstel sind, mit dem Auge nicht sichtbar, er ist und bleib ein NICHTS! Eben nur der Zweite!
Wer ist Schuld wenn 11 Spieler sich gegenseitig auf die Beine latschen - der Trainer. Entweder ist EINER Schuld oder EINER Sieger! Das JEDER seinen Anteil trägt interessiert nicht. Einer muss über die Klinge springen, oder EINER bekommt ALLES.
Und so ist es in der Wirtschaft. Die Waren produziert nicht der Arbeiter oder der Angestellte der sich per unbezahlter Überstunden den A... aufreißt, die Waren produziert ALLEIN der Vorstand, was deutlich an den Gehältern zu sehen ist!
Läufts nicht gut, wird der Kleine entlassen oder die Löhne werden gekürzt. Und der Vorstand bekommt BONI! Steht halt so im Vertrag!
Läufts gut darf der Kleine bleiben, aber die Löhne müssen "moderat" steigen (wenn überhaupt). Und der Vortand bekommt BONI - diesmal das Doppelte!
Nichts dagegen wenn jemand Millionär wird, wenn er wirklich etwas für die Gemeinschaft tut. Aber wenn, trotz schwarzer Zahlen, Leute entlassen werden, stimmt etwas nicht!
Die Mitte wird immer dünner. Entweder man verliert oder gewinnt!
Nur - die Gewinner können nur Gewinner sein, wenn es überhaupt noch Spieler gibt die mitspielen!!!
Mal sehen wann der letzte Deutsche die Augen aufmacht!!!

potemkin 18. Mai 2009 um 15:07  

Ist so ein 'Ereignis' denn wirklich wert, zum Thema bzw. als Aufhänger zu dienen??? Ein gewisses Niveau einzuhalten beinhaltet auch eine selbstbewußte Nichtbeachtung von Banalitäten...

Anonym 18. Mai 2009 um 16:14  

Prinzipiell will ich ja recht geben, aber eigentlich ist der Aufhänger, das ganze an der Musik und dem Musikgeschmack festzumachen, ein wenig unglücklich gewählt.

Musikgeschmack ist eben Geschmack und als solche eben nicht diskutabel. So sehr man selbst auch davon überzeugt ist, daß Cicero und Kaas Qualitätsmusik abliefern und andere nur Plasatikschrott vorsummen, so sehr können das andere anders sehen.

Ich selbst finde das meiste dort gezeigte und gehörte auch immer Schrott (inklusive der Kaas, deren Musik ich noch nie leiden konnte), aber bin dann doch immer sehr überrascht, wie einstimmig dann meist ein bestimmter Beitrag zum Sieger erklärt wird, als gebe es einen kollektiven Massengeschmack. Den ich weder bestitze, noch in der Lage bin zu prognostizieren. Aber dennoch ist es ein legitimer Geschmack. Leider.

Anonym 18. Mai 2009 um 16:46  

Zum Auftritt von Patricia Kaas sollte aber auch bemerkt werden, daß Göttinnen keine Preise mehr brauchen.
Salute
carlo

Anonym 18. Mai 2009 um 18:40  

tja....irgendwo bei nem Alten hab ich mal folgendes gelesen:

Der Kitsch ist die Losung des Profites wider die Kultur!Vom der musikalischen Qualität als wie auch von der Inhaltlichkeit des Gesungenen bleibt Frau Kaas in Europa nahezu unerreicht. Warum sie nur an diesem schlechten Ringelpietz teilgenommen hat, erschließt sich mir nicht.
Vielleicht weiß ja jemand mehr.

carlo 18. Mai 2009 um 20:40  

Übrigens....hier zum Thema, sogut wie nicht mehr als Video im Netz verfügbar, warum wohl?

La Liberté (von Patricia Kaas)

Sur une guitare, sur un violon
Qu'il soit trop tard, qu'il soit trop long
Sur un boulevard ou sous un pont
Le sans-logis fait sa chanson

Sur une guitare sur un violon
Sur un tam-tam du Gabon
Sur une batterie à l'occasion
Le sans-patrie fait sa chanson

Si la vérité sort de la bouche du métro
Si le monde entier dit qu'on a tort d'aimer trop
Quand l'hiver est rude et qu'on crie "chaud les marrons"
Le sans-abri fait sa chanson

La liberté
C'est pas la porte à côté
La liberté
C'est le bout du monde

Sur une guitare, sur un violon
Sur des gamelles et des bidons
A tout hasard sous les balcons
Le sans-papiers fait sa chanson
La Liberté

Sur une guitare, sur un violon
Sur un air de Duke Ellington
A bout de souffle, à bout de son
Le sans-le-sou fait sa chanson

Si la vérité sort de la bouche du métro
Si le monde entier dit qu'on a tort d'aimer trop
Quand l'hiver est rude et qu'on crie "chaud les marrons"
Le sans-culotte fait sa chanson

Anonym 18. Mai 2009 um 20:52  

Von der "Grande Dame" wird ja im Netz auch reichlich weggeschnitten.
Hier der Link zu "La Liberté":
http://www.youtube.com/watch?v=kPYIR25UxFE

antiferengi 18. Mai 2009 um 21:23  

Man kann es ja auch als generell bewusste Verblödungsstrategie sehen.

Nach Big-Brother,Stefan Raab,Super-Modell,Super-Nanny, und was weiß ich noch alles für NullAchtFuffzehn-Opium braucht man sich bei bereits jahrzehntelangem bewährtem
Unterhaltungsschmonz nicht mehr zu schämen das Leistungsprinzip nicht mehr an der Qualität der Darbietung, sondern gleich am Manipulierungsnutzen festzumachen.

Seht her, - es zählt nur der Gewinner, egal wie er gewinnt.

persiana-451 19. Mai 2009 um 08:27  

Der Eurovision-Contest ist doch wohl eher was für Teenis, zumindest die Ergebnisse legen das nahe. Den Norweger fand ich auch nicht besonders, aber wenigstens waren er und seine Crew während des Auftritts noch einigermaßen zumutbar bekleidet.

Dass die Deutschen überhaupt Punkte bekommen haben verstehe ich überhaupt nicht. Na gut, es gab noch schlimmere Auftritte...

Zum Beispiel das Stück "The AntiChrist is born" - grauenhaft ( von welchem Land das war habe ich schon vergessen),

Mir persönlich haben ja die Armenier am besten gefallen, die trugen auch ganz schöne Kostüme, das war mal was anderes. Ich war wirklich enttäuscht, dass sie nicht besser abgeschnitten haben. Aber wie gesagt,die meisten Erwachsenen haben nach den Auftritten in den letzten Jahren, bei denen man sich vorkam wie in einer Table-Dance Bar, wohl die Lust an derartigen Veranstaltungen verloren. Ich habe mir die Sendung auch eher aus Zufall angesehen...

Thom 19. Mai 2009 um 21:33  

Ich freue mich zwar, endlich jemanden gefunden zu haben, dem es ähnlich wie mir gegen den Strich geht, daß immer der Recht behält, der am Ende gewinnt - eine Einstellung, die so verbreitet ist, daß ich fast befürchtete, der einzige zu sein, der es anders sieht - jedoch muß ich eine Einwendung machen:
Nach Raab schreit man ja nicht gerade wegen seiner peinlichen Jugendsünden (die auch nicht peinlicher waren als das, was heute ernstgemeint (!) vorgetragen wird), sondern weil er auf seinem Privatsenderchen eine Castingshow moderiert, von der der Mainstream behauptet, sie biete Qualität und die - zumindest im Vergleich mit dem was beim Nachbarn RTL läuft - dem auch halbwegs gerecht wird.
(Und das mit den Nationalmannschaften ist übrigens kein deutsches Phänomen. Fragen Sie mal einen Italiener, wen er unterstützt, während sein Team gerade 120 Minuten gegen die USA oder Australien hintendrin steht).

Tim 20. Mai 2009 um 16:19  

Juhuu!!! Ein weiterer Weltmeistertitel:

Verheugen kritisiert Finanzaufsicht:"Deutschland Weltmeister bei riskanten Bankgeschäften"

http://www.tagesschau.de/wirtschaft/bankaufsicht100.html

Tobi 20. Mai 2009 um 17:30  

Der Artikel hat nicht ganz Unrecht, trifft aber auch nicht voll zu.
Der diesjährige Beitrag war nämlich weder ein mittelmäßig bis schlechtes Stück, sondern ein frischer, neumodischer Gute-Laune-Song, über den Text kann man sich streiten, aber einen Top10 Platz hätte er verdient gehabt wenn man mal mit anderen vergleicht...
Und nur mal zu der ''Trällerbarde'', Oscar ist Musical-Sänger und hat das 1A ohne einen falschen Ton gesungen, soviel zu ''wenig bis gar nicht singen können''! No Angels damals haben einen Ton nach dem andern verhauen, Gracia hat nur geschrien, aber dieses Jahr kann man zumindest gesangstechnisch ihm nix vorwerfen, das war klasse! Man sollte eben auch nicht gleich verallgemeinern...
Die Beiträge von Roger, Texas Lightning und dieses Jahr Oscar waren alle gesanglich sehr akzeptabel, nur hat es nicht den Geschmack der Zuschauer im Osten getroffen und da man ja weiß, das die sich eh alle Punkte zuschieben, muss da schon was besonderes, sehr osttypisches her, das man überhaupt mal ein paar Chancen auf Punkte von da hat...
Das wollt ich nur mal sagen.

RS 25. Mai 2009 um 21:08  

Sehr schöner Artikel. Spricht mir aus dem Herzen und auch mir wird das anhand des Grand Prix immer besonders (absurd) vor Augen geführt, also passt der Contest als Aufhänger.

> Die Beiträge von Roger, Texas Lightning und dieses Jahr Oscar waren alle gesanglich sehr akzeptabel, nur hat es nicht den Geschmack der Zuschauer im Osten getroffen und da man ja weiß, das die sich eh alle Punkte zuschieben, muss da schon was besonderes, sehr osttypisches her,

Genau. Wie Norwegen und Island zum Beispiel.

Also, die Verschwörungstheorien, die sich die deutschen bzw. westlichen Medien so zurechtlegen, wenn es dann mit dem eigenen Beitrag (verdient oder auch nicht) wieder mal nicht geklappt hat, wären auch einen Artikel wert. Der deutsche Kommentator hatte da ja auch putzige Erklärungen...

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