Ghettozucht
Freitag, 27. Februar 2009
Fühlt man sich von einer Gruppe oder Gemeinschaft ausgestoßen, merkt man, dass man, warum auch immer, als nicht zugehörig behandelt wird, so folgt nach dem letzten vergeblichen Bemühen, doch noch irgendwie innerhalb der Formation Fuß zu fassen, die Resignation. Kultivierte Resignation bewirkt nicht selten, dass man den neuen, einsamen Status, zu einem Stolz auf das Pariadasein erweitert. Die Mitgliedschaft in einer Gruppe oder Gemeinschaft, die sich für arrogant oder elitär genug hält, ein bestimmtes Individuum nicht aufnehmen, es gleichwertig behandeln zu wollen, ist dann gar nicht mehr gewollt. Im Gegenteil, sie wird zum Makel, weil man als Verstoßener nicht in die Rolle des Verstoßenden einrücken möchte, sofern sich die obskure Gemeinschaft doch noch dazu erbarmt, ihre Arme auszubreiten - was man am eigenen Leib erfahren hat, will man anderen Leibern nicht zumuten.
Viele Gruppierungen haben von jeher auf diesen Pariastolz aufgebaut. Fruchtbar für den Sozialstaat und die Demokratie war jener Stolz der Arbeiter, der wenigstens in seinen Anfängen, zur klaren Abgrenzung gegenüber dem bürgerlichen Snobismus bereit war. Falsch verstandener Stolz auf das Anderssein kann aber blutig entarten, wie es uns die herrschaftliche Schelte der Studentenbewegung aufgezeigt hat, bei der man um Verständnis nicht bemüht war. Der fehlgeleitete Stolz einer Handvoll Parias führte in extremen Fällen zu mörderischen Anschlägen.
Wenn man in einem Staat lebt, in dem es eine Gruppe von Menschen gibt, für die Rechtssprechung kein ethischer Maßstab für jeden Einzelnen mehr ist; wenn also die Gruppe treiben darf was sie will, ohne dafür hinreichend belangt zu werden, während man Millionen von Menschen von dieser milden und großherzigen Justiz aussperrt, sie aufgrund geringfügiger Verdachtsmomente – nicht Vergehen, denn es reicht schon der Verdachtsmoment! – sanktioniert; wenn man also die illustre Gruppe abgrenzt, die die andere Gruppe, die der Ferngehaltenen und Deklassierten, sogar noch mit deren herrschaftlichen Instrumenten für Vergehen und Verdachtsmomente bestraft, die im viel größeren Stile innerhalb der Bessergestellten begangen werden, dann darf man sich nicht wundern, wenn eines Tages ein neuer Stolz erwacht, der sich des Andersseins, der Ausgeschlossenseins, des Benachteiligtseins bemächtigt.
Wenn man sein ganzes Leben erlebt hat, dass Menschen aus der eigenen Gesellschaftsklasse, die aus einem beliebigen Grunde vor Gericht stehen, meist als Verlierer aus einem Prozess kommen, während Bessergestellte das Victory-Zeichen in eine TV-Kamera halten; wenn man täglich mitbekommen hat, wie man den Alkoholismus einiger Zeitgenossen aus der eigenen Klasse als Untermenschentum, als Anzeichen einer Schmarotzerexistenz abtut, während der Suff aus höheren Kreisen als Galadinners oder Bankette durchgehen, wobei der höhergestellte Alkoholiker ansonsten gar nicht behelligt wird; wenn man ertragen muß, dass jeder Person aus der eigenen gesellschaftlichen Schicht beinahe alles Angesparte als Vermögen angerechnet wird, sofern sie in die Fänge des SGB II gerät, während sogenannte Leistungsträger Milliardenzuschüsse erhalten, damit sie ihr Versagen hinter diesen Bergen aus Geld verstecken können – wenn man diese und noch weitere Auswüchse der Ungleichheit erkennt, dann will man mit denen da Oben, mit den sogenannten Eliten, nichts mehr zu tun haben.
Man wendet sich voller Ekel ab und verwirft das Gesellschaftsbild, das manche Eltern versucht haben, einem einzubläuen – nämlich, dass man fleißig, zielstrebig und ehrlich sein muß, um vielleicht irgendwann einmal in den Kreis derer vorzustoßen, die derart bevorteilt leben, um zumindest aber einen Zipfel des üppig gedeckten Tischtuches zu erhaschen. Man will es gar nicht mehr, man will dieser Riege von Herrenmenschen nicht mehr zugehören – man wird stolz auf das eigene, auch wenn es wenig zu bieten hat, wenn es eigentlich kläglich ist. Diese resignative Einsicht, die sich zu neuem Stolz kultiviert, findet sich in vielen Ghettos dieser Welt – der Stolz armer junger Schwarzer in Stadtvierteln, in denen die ganze Armut des reichsten Landes der Welt geparkt scheint, ist Ausdruck einer solchen Mentalität. Man ist stolz auf die Klasse, der man entspringt, selbst dann, wenn es in dieser vor Not, geistiger Stumpfheit und Antriebslosigkeit nur so wimmelt.
Etymologisch betrachtet, entstammt der „Stolz“ dem lateinischen Wort „stultus“, was soviel bedeutet wie „töricht“ – Dummheit und Stolz wachsen auf einem Holz. Unangemessener Stolz wirkt nicht nur dumm und töricht auf andere, er kann auch zu himmelschreienden Dummheiten hinreißen. Ein solcher resignativer Stolz, der sich von den Bessergestellten abwendet, führt dann zuweilen zu kriminellen Strukturen, läßt eine Subkultur entstehen, in der gesellschaftliche Institutionen, die Polizei und Justiz, nichts mehr zu melden haben. So konnte man es während des Risorgimento auf Sizilien beobachten, als eine sizilianische Subkultur Fuß faßte, die sich gegen die herrenmenschliche Elite aus Norditalien organisierte; so kann man es noch heute in diversen New Yorker Stadtteilen erkennen.
Wenn Gesetzgebung, wenn Sozial- und Arbeitsrecht, wenn moralische Kategorien, wenn das ganze Klima innerhalb einer Gesellschaft einseitig erfüllt ist, dann erzieht sich diese Einseitigkeit sicherlich keine demokratisch gesitteten Menschen heran, sondern Parias, die früher oder später ihren gesellschaftlichen Stand nicht mehr als Bürde, sondern als Motiv des Stolzes herausarbeiten werden. Ein Stolz, der von den höheren Klassen nicht verstanden wird, nicht verstanden werden will, und daher zu irrgeleiteten Aktionen verführen kann. Diese Form des Pariadaseins ist kein humanistischer Gegenentwurf zur inhumanen Gesellschaft - er ist vielmehr das Spiegelbild, eine Karikatur des legalen Unrechts. Eine derart einseitige Einseitigkeit, wie sie dieser Staat mehr und mehr erlebt, erzeugt Aussperrung und ghettoisiert. Ghettos und die darin vorzufindende Mentalität, werden nicht auf architektonischen Reißbrettern entworfen – sie werden durch eine überall greifbare Einseitigkeit, die die gesamte Gesellschaft durchdrungen hat, vorbereitet. Subkulturen werden nicht geplant, sie sind Reaktion. Wenn eine Gesellschaft das Augenmaß verliert, wenn sie den Anspruch vollends aufgibt, jeden Menschen gleich zu behandeln, dann liefert sie sich einer Gesellschaft in der Gesellschaft aus. Man blicke auf die italienische Geschichte, auf die Generationen italienischer Politiker, die sich selbst bevorteilten - und dann blicke man auf das höllische Ausmaß an Subkultur, blutiger Subkultur wohlgemerkt.
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Viele Gruppierungen haben von jeher auf diesen Pariastolz aufgebaut. Fruchtbar für den Sozialstaat und die Demokratie war jener Stolz der Arbeiter, der wenigstens in seinen Anfängen, zur klaren Abgrenzung gegenüber dem bürgerlichen Snobismus bereit war. Falsch verstandener Stolz auf das Anderssein kann aber blutig entarten, wie es uns die herrschaftliche Schelte der Studentenbewegung aufgezeigt hat, bei der man um Verständnis nicht bemüht war. Der fehlgeleitete Stolz einer Handvoll Parias führte in extremen Fällen zu mörderischen Anschlägen.
Wenn man in einem Staat lebt, in dem es eine Gruppe von Menschen gibt, für die Rechtssprechung kein ethischer Maßstab für jeden Einzelnen mehr ist; wenn also die Gruppe treiben darf was sie will, ohne dafür hinreichend belangt zu werden, während man Millionen von Menschen von dieser milden und großherzigen Justiz aussperrt, sie aufgrund geringfügiger Verdachtsmomente – nicht Vergehen, denn es reicht schon der Verdachtsmoment! – sanktioniert; wenn man also die illustre Gruppe abgrenzt, die die andere Gruppe, die der Ferngehaltenen und Deklassierten, sogar noch mit deren herrschaftlichen Instrumenten für Vergehen und Verdachtsmomente bestraft, die im viel größeren Stile innerhalb der Bessergestellten begangen werden, dann darf man sich nicht wundern, wenn eines Tages ein neuer Stolz erwacht, der sich des Andersseins, der Ausgeschlossenseins, des Benachteiligtseins bemächtigt.
Wenn man sein ganzes Leben erlebt hat, dass Menschen aus der eigenen Gesellschaftsklasse, die aus einem beliebigen Grunde vor Gericht stehen, meist als Verlierer aus einem Prozess kommen, während Bessergestellte das Victory-Zeichen in eine TV-Kamera halten; wenn man täglich mitbekommen hat, wie man den Alkoholismus einiger Zeitgenossen aus der eigenen Klasse als Untermenschentum, als Anzeichen einer Schmarotzerexistenz abtut, während der Suff aus höheren Kreisen als Galadinners oder Bankette durchgehen, wobei der höhergestellte Alkoholiker ansonsten gar nicht behelligt wird; wenn man ertragen muß, dass jeder Person aus der eigenen gesellschaftlichen Schicht beinahe alles Angesparte als Vermögen angerechnet wird, sofern sie in die Fänge des SGB II gerät, während sogenannte Leistungsträger Milliardenzuschüsse erhalten, damit sie ihr Versagen hinter diesen Bergen aus Geld verstecken können – wenn man diese und noch weitere Auswüchse der Ungleichheit erkennt, dann will man mit denen da Oben, mit den sogenannten Eliten, nichts mehr zu tun haben.
Man wendet sich voller Ekel ab und verwirft das Gesellschaftsbild, das manche Eltern versucht haben, einem einzubläuen – nämlich, dass man fleißig, zielstrebig und ehrlich sein muß, um vielleicht irgendwann einmal in den Kreis derer vorzustoßen, die derart bevorteilt leben, um zumindest aber einen Zipfel des üppig gedeckten Tischtuches zu erhaschen. Man will es gar nicht mehr, man will dieser Riege von Herrenmenschen nicht mehr zugehören – man wird stolz auf das eigene, auch wenn es wenig zu bieten hat, wenn es eigentlich kläglich ist. Diese resignative Einsicht, die sich zu neuem Stolz kultiviert, findet sich in vielen Ghettos dieser Welt – der Stolz armer junger Schwarzer in Stadtvierteln, in denen die ganze Armut des reichsten Landes der Welt geparkt scheint, ist Ausdruck einer solchen Mentalität. Man ist stolz auf die Klasse, der man entspringt, selbst dann, wenn es in dieser vor Not, geistiger Stumpfheit und Antriebslosigkeit nur so wimmelt.
Etymologisch betrachtet, entstammt der „Stolz“ dem lateinischen Wort „stultus“, was soviel bedeutet wie „töricht“ – Dummheit und Stolz wachsen auf einem Holz. Unangemessener Stolz wirkt nicht nur dumm und töricht auf andere, er kann auch zu himmelschreienden Dummheiten hinreißen. Ein solcher resignativer Stolz, der sich von den Bessergestellten abwendet, führt dann zuweilen zu kriminellen Strukturen, läßt eine Subkultur entstehen, in der gesellschaftliche Institutionen, die Polizei und Justiz, nichts mehr zu melden haben. So konnte man es während des Risorgimento auf Sizilien beobachten, als eine sizilianische Subkultur Fuß faßte, die sich gegen die herrenmenschliche Elite aus Norditalien organisierte; so kann man es noch heute in diversen New Yorker Stadtteilen erkennen.
Wenn Gesetzgebung, wenn Sozial- und Arbeitsrecht, wenn moralische Kategorien, wenn das ganze Klima innerhalb einer Gesellschaft einseitig erfüllt ist, dann erzieht sich diese Einseitigkeit sicherlich keine demokratisch gesitteten Menschen heran, sondern Parias, die früher oder später ihren gesellschaftlichen Stand nicht mehr als Bürde, sondern als Motiv des Stolzes herausarbeiten werden. Ein Stolz, der von den höheren Klassen nicht verstanden wird, nicht verstanden werden will, und daher zu irrgeleiteten Aktionen verführen kann. Diese Form des Pariadaseins ist kein humanistischer Gegenentwurf zur inhumanen Gesellschaft - er ist vielmehr das Spiegelbild, eine Karikatur des legalen Unrechts. Eine derart einseitige Einseitigkeit, wie sie dieser Staat mehr und mehr erlebt, erzeugt Aussperrung und ghettoisiert. Ghettos und die darin vorzufindende Mentalität, werden nicht auf architektonischen Reißbrettern entworfen – sie werden durch eine überall greifbare Einseitigkeit, die die gesamte Gesellschaft durchdrungen hat, vorbereitet. Subkulturen werden nicht geplant, sie sind Reaktion. Wenn eine Gesellschaft das Augenmaß verliert, wenn sie den Anspruch vollends aufgibt, jeden Menschen gleich zu behandeln, dann liefert sie sich einer Gesellschaft in der Gesellschaft aus. Man blicke auf die italienische Geschichte, auf die Generationen italienischer Politiker, die sich selbst bevorteilten - und dann blicke man auf das höllische Ausmaß an Subkultur, blutiger Subkultur wohlgemerkt.