Rogowski: kein Einzelfall!
Montag, 2. Februar 2009
Bei Anne Will wurde darüber sinniert, ob man sich von seinem Arbeitgeber lieber ausnutzen lassen soll, bevor man arbeitslos ist. Zu Gast eine Betriebsrätin von LIDL, die davon erzählt, dass gerade diese Angst vor Arbeitslosigkeit bewirkt, dass sich immer mehr Menschen immer mehr gefallen lassen. Das geht so weit, dass man offene Aggression von Seiten des Arbeitgebers bzw. des Vorgesetzten hinunterschluckt und akzeptiert. Nachdem die Dame kundtat, was sowieso schon genug Menschen, die lohnabhängige Arbeit benötigen, wußten, richtete Will eine Frage an die Prominentenrunde: Sind das alles nur Einzelfälle?
Und Michael Rogowski, ehemaliger BDI-Präsident, läßt sich dabei nicht lumpen. Ja, er meine und glaube es indes ganz fest, dass solche Geschehnisse, gerade auch solche Szenen wie im vorangegangenen "Tatort", der sich thematisch damit befaßt hat, höchst selten sind, daher Einzelfälle darstellen. Da war er wieder, der Einzelfall, der jede kritische Diskussion im Keime ersticken soll!
Dabei hat Rogowski recht, denn es handelt sich immer und überall nur um Einzelfälle. Jeder der über drei Millionen offiziellen Arbeitslosen ist eine Zahl in der Masse, aber jeder für sich ist ein Einzelfall; jeder an Hunger leidende Mensch ist Teil einer großen, magenknurrenden Weltgemeinschaft, aber im Moment der Not fühlt sich jeder als ganz besonders trauriger Einzelfall; Millionen von getöteten Juden sind unvorstellbar, faßbar wird es uns erst, wenn wir uns vor Augen führen, dass wir es mit Millionen von Einzelfällen zu tun hatten. Und, lassen wir es nicht unter den Tisch fallen, auch Rogowski ist nur ein Einzelfall innerhalb einer Masse von Arbeitgebervertretern, die überhaupt kein Interesse haben beim kritischen Durchleuchten ihres Treibens.
Anders gesagt: Der so gern gebrauchte Begriff "Einzelfall" ist substanzlos, weil in jeder Gesamtheit immer das Einzelne schimmert. So betrachtet sind in Ruanda nicht 800.000 Tutsi getötet worden, weil die abstrakte Zahl wenig Gehalt aufweist, weil sie nicht das Einzelschicksal erfaßt - wenn wir des Unbegreiflichen verständig werden wollen, dann müssen wir addieren, müssen aufzählen, dass es ein Tutsi sei, der neben einem weiteren Tutsi starb, der wiederum neben einem weiteren Tutsi ermordet wurde, der seinerseits neben einem weiteren Toten seiner Ethnie stand. Das wäre, im Sinne des begriffenen Einzelfalles, eine Vorgehensweise, die dem Unbegreiflichen gerecht würde.
Im millionenfachen Mord steckt demnach der Einzelfall genauso, wie in Rogowkis Abwiegelei. Denn das soll die Plattitüde um den Einzelfall-Begriff ja suggerieren; er soll dem Zuseher oder Zuhörer begreiflich machen, dass jede Diskussion über ein Thema der Fallvereinzelung irrelevant ist, weil sowieso nur wenige Menschen davon betroffen sind, darunter leiden müssen. Rentabel - wir sehen in welch neoliberalen Gefilden gefischt wird, wenn man die Wortwahl bzw. die Bedeutung dahinter wahrnimmt! - wird eine solche Diskussion doch erst, wenn Millionen von Arbeitnehmern gegängelt und ehrabschneidend behandelt würden - aber das ist ja nicht so, weil es Einzelfälle sind. Als ob sie das nicht wären, wenn wir vier, fünf, sechs Millionen solcher Behandlungen hätten; als ob es dann nicht eben vier, fünf, sechs Millionen Einzelfälle wären!
Wer mit solchen Begrifflichkeiten um sich wirft, der will das Anzumahnende zur Randerscheinung degradieren, über die es sich nicht zu diskutieren lohnt - es ist die umgekehrte Logik dessen, was man mittels Aufbauschung, wie beispielsweise bei den Diskursen über angebliche Heere von arbeitsunwilligen Arbeitslosen, bewirkt. Während letzteres die Massen aktivieren, polarisieren, vereinnahmen soll, soll die erste Verfahrensweise die Menschen beruhigen, sie besänftigen, sie einlullen. Aber ein inhaltlicher Gehalt des Einlullens mit dem Wort "Einzelfall" ist nicht gegeben; soll gar nicht gegeben sein. Es ist eines dieser floskelhaften Worte, die jenen platten und inhaltslosen Sätzchen nahekommen, die da lauten: "So jung wie heute kommen wir nicht mehr zusammen!" oder "Heute ist nichts mehr so, wie es gestern war!" Kurzum: Man weiß ob der Richtigkeit der Aussage, so wie man auch weiß, dass jeder Fall für sich gesehen vereinzelt ist; aber schlußendlich sind es Aussagen, die man sich sparen kann, weil sie sowieso jedem bewußt sind. Und letztendlich lügt Rogowski nicht einmal, sondern beugt und zerrt an der Logik herum, um am Ende richtige Positionen einzunehmen. Denn man kann es drehen und wenden wie man will: für jeden Betroffenen bleibt es immer ein ganz besonderer Einzelfall, egal wieviele neben ihm leiden oder genötigt werden.
Der "Einzelfall" ist folglich ein aus der Alltagssprache entlehntes Wortkonstrukt, welches nicht verändert wurde am Wort, wohl aber am Sinn - zumindest versucht man den Sinn zu beugen. Steht das Wort quantitativ relativ undeutlich da, abgesehen davon, dass es ein einzelner Fall ist, von dem sich aber nicht herauslesen läßt, in welcher quantitativen Größe er gebettet ist, ob er also Einzelfall zwischen zehn oder 500.000 gleicher oder ähnlicher Fälle ist, so soll der "Einzelfall" heute bildhaft machen, dass er innerhalb einer kleinen Größe verweilt. Der Einzelfall ist also nicht mehr quantitativ neutral, sondern soll Partei ergreifen für eine Minderheit, über die es sich eigentlich nicht zu sprechen lohnt.
Rogowski und seine Kamarilla: leider kein Einzelfall!
Und Michael Rogowski, ehemaliger BDI-Präsident, läßt sich dabei nicht lumpen. Ja, er meine und glaube es indes ganz fest, dass solche Geschehnisse, gerade auch solche Szenen wie im vorangegangenen "Tatort", der sich thematisch damit befaßt hat, höchst selten sind, daher Einzelfälle darstellen. Da war er wieder, der Einzelfall, der jede kritische Diskussion im Keime ersticken soll!
Dabei hat Rogowski recht, denn es handelt sich immer und überall nur um Einzelfälle. Jeder der über drei Millionen offiziellen Arbeitslosen ist eine Zahl in der Masse, aber jeder für sich ist ein Einzelfall; jeder an Hunger leidende Mensch ist Teil einer großen, magenknurrenden Weltgemeinschaft, aber im Moment der Not fühlt sich jeder als ganz besonders trauriger Einzelfall; Millionen von getöteten Juden sind unvorstellbar, faßbar wird es uns erst, wenn wir uns vor Augen führen, dass wir es mit Millionen von Einzelfällen zu tun hatten. Und, lassen wir es nicht unter den Tisch fallen, auch Rogowski ist nur ein Einzelfall innerhalb einer Masse von Arbeitgebervertretern, die überhaupt kein Interesse haben beim kritischen Durchleuchten ihres Treibens.
Anders gesagt: Der so gern gebrauchte Begriff "Einzelfall" ist substanzlos, weil in jeder Gesamtheit immer das Einzelne schimmert. So betrachtet sind in Ruanda nicht 800.000 Tutsi getötet worden, weil die abstrakte Zahl wenig Gehalt aufweist, weil sie nicht das Einzelschicksal erfaßt - wenn wir des Unbegreiflichen verständig werden wollen, dann müssen wir addieren, müssen aufzählen, dass es ein Tutsi sei, der neben einem weiteren Tutsi starb, der wiederum neben einem weiteren Tutsi ermordet wurde, der seinerseits neben einem weiteren Toten seiner Ethnie stand. Das wäre, im Sinne des begriffenen Einzelfalles, eine Vorgehensweise, die dem Unbegreiflichen gerecht würde.
Im millionenfachen Mord steckt demnach der Einzelfall genauso, wie in Rogowkis Abwiegelei. Denn das soll die Plattitüde um den Einzelfall-Begriff ja suggerieren; er soll dem Zuseher oder Zuhörer begreiflich machen, dass jede Diskussion über ein Thema der Fallvereinzelung irrelevant ist, weil sowieso nur wenige Menschen davon betroffen sind, darunter leiden müssen. Rentabel - wir sehen in welch neoliberalen Gefilden gefischt wird, wenn man die Wortwahl bzw. die Bedeutung dahinter wahrnimmt! - wird eine solche Diskussion doch erst, wenn Millionen von Arbeitnehmern gegängelt und ehrabschneidend behandelt würden - aber das ist ja nicht so, weil es Einzelfälle sind. Als ob sie das nicht wären, wenn wir vier, fünf, sechs Millionen solcher Behandlungen hätten; als ob es dann nicht eben vier, fünf, sechs Millionen Einzelfälle wären!
Wer mit solchen Begrifflichkeiten um sich wirft, der will das Anzumahnende zur Randerscheinung degradieren, über die es sich nicht zu diskutieren lohnt - es ist die umgekehrte Logik dessen, was man mittels Aufbauschung, wie beispielsweise bei den Diskursen über angebliche Heere von arbeitsunwilligen Arbeitslosen, bewirkt. Während letzteres die Massen aktivieren, polarisieren, vereinnahmen soll, soll die erste Verfahrensweise die Menschen beruhigen, sie besänftigen, sie einlullen. Aber ein inhaltlicher Gehalt des Einlullens mit dem Wort "Einzelfall" ist nicht gegeben; soll gar nicht gegeben sein. Es ist eines dieser floskelhaften Worte, die jenen platten und inhaltslosen Sätzchen nahekommen, die da lauten: "So jung wie heute kommen wir nicht mehr zusammen!" oder "Heute ist nichts mehr so, wie es gestern war!" Kurzum: Man weiß ob der Richtigkeit der Aussage, so wie man auch weiß, dass jeder Fall für sich gesehen vereinzelt ist; aber schlußendlich sind es Aussagen, die man sich sparen kann, weil sie sowieso jedem bewußt sind. Und letztendlich lügt Rogowski nicht einmal, sondern beugt und zerrt an der Logik herum, um am Ende richtige Positionen einzunehmen. Denn man kann es drehen und wenden wie man will: für jeden Betroffenen bleibt es immer ein ganz besonderer Einzelfall, egal wieviele neben ihm leiden oder genötigt werden.
Der "Einzelfall" ist folglich ein aus der Alltagssprache entlehntes Wortkonstrukt, welches nicht verändert wurde am Wort, wohl aber am Sinn - zumindest versucht man den Sinn zu beugen. Steht das Wort quantitativ relativ undeutlich da, abgesehen davon, dass es ein einzelner Fall ist, von dem sich aber nicht herauslesen läßt, in welcher quantitativen Größe er gebettet ist, ob er also Einzelfall zwischen zehn oder 500.000 gleicher oder ähnlicher Fälle ist, so soll der "Einzelfall" heute bildhaft machen, dass er innerhalb einer kleinen Größe verweilt. Der Einzelfall ist also nicht mehr quantitativ neutral, sondern soll Partei ergreifen für eine Minderheit, über die es sich eigentlich nicht zu sprechen lohnt.
Rogowski und seine Kamarilla: leider kein Einzelfall!
5 Kommentare:
Ja, sie werden immer frecher. Sie wissen um das Arbeitslosenheer, kennen sogar die von Weise unterschlagenen Zahlen und stempeln jeden einzelnen Arbeitslosen oder Noch-Arbeitsplatz-Besitzer zum Einzelfall. Das ist eine ganz alte Masche, wurde schon im 19. Jahrhundert benutzt. Zieht aber immer noch beim staunenden (Einzel)-Volk.
Apropo Kamarilla, die gute Dame bei Anne Will tingelt mit Norbert Blüm, Biolek & Co. durch so manche Talkshow.
Immerhin erfuhr man hier wes Kind die Dame wirklich ist - incl. schönem Photo der rothaarigen Dame mit ihrem Genossen der Bosse, als diese Dame noch Abgeordnete der rechten SPD-Fraktion im Bundestag war - kurz vor der Abwahl Gerhard Schröders:
http://jbk.zdf.de/ZDFde/inhalt/3/0,1872,7506915,00.html
Man erfährt dort auch von dem Vitamin B, dass Frau Friedrich, als Ex-Abgeordnete, im Gegensatz zu anderen Arbeitslosen nicht hat, und warum diese Dame etwas gegen angelich "faule" Arbeitslose hat, wo Kerner mal wieder einen angeblichen vorführen wollte....
Gruß
Nachdenkseiten-Leser
Korrekter Artikel. Alles immer nur Einzelfälle. Verschleiere den Blick auf das Ganze und teile und herrsche. Herzallerliebst auch gestern wieder.
Traurig bei Frau Will fand ich, wie BDI-Sepp und CDU-Laberer so hübsch von "Führung" geredet haben und Ideale konstruierten, die es in deutschen Unternehmen (und besonders deutsche Supermäkrten) kaum oder gar nicht mehr gibt oder (wie im Falle der Supermärkte) nie gegeben hat. Was dem Volk als Führung schmackhaft gemacht werden soll ist im Einzelfall betrachtet nix anderes als Druck, der mittels schwarzer Pädagogik die meiste Leistung für den wenigsten Lohn herauspressen soll. Sklavenarbeit, nur die Peitsche sieht heute anders aus.
Hallo Robert et al.,
bitte leiht Euch ein gutes Buch über Rabulistik aus. Lest das Buch über einen Monat langsam und sorgfältig. Ihr werdet sehen, dass die Sendungen von Anne Will allesamt beste Lehr(leer?)stücke voller Rabulismus sind.
Tipp: Schaut Euch mal die Röttgers-Entgegnung auf Trittin an in der Sendung, die eine Woche zuvor lief.
Ich frage mich, ob der Kompetenz einer Anne Will? Oder der Korrumpierbarkeit? Hat Frau Will vielleicht auch Angst um ihre Sendung, ihr Format?
" Oder der Korrumpierbarkeit? Hat Frau Will vielleicht auch Angst um ihre Sendung, ihr Format? "
Ich denke, genau das ist es.
Ernsthaft, eigentlich bin ich nicht mal bereit, zu diskutieren, ob Einschüchterung, Erpressung und physische Repressalien wirklich duldbar sind, auch nicht als Einzelfälle.
Sowas ist nicht tolerierbar.
Bei Lidl kommt es mir nicht so vor, als seien das wirklich nur Einzelfälle. Tatsächlich wirken die Verkäuferinnen z.B. bei Aldi deutlich entspannter als die bei Lidl.
Was ist nur mit diesem schönen Land passiert?
Viele Grüße von
Markus
Kommentar veröffentlichen