Bürgerliche Zivilcourage

Donnerstag, 19. Februar 2009

Täglich mehrmals warnt die örtliche Radioanstalt Ingolstadts vor sogenannten Blitzern, was soviel bedeutet wie: sie warnt vor allgemeinen Verkehrskontrollen. Hierzu sind die Hörer aufgerufen, eine bestimmte Telefonnummer zu wählen, um den Ort des Geschehens zu benennen, um alle daran teilhaben zu lassen, nur nicht die Polizei. Notorische Raser werden folglich durch die Allgemeinheit gewarnt, drosseln aufgrund redaktioneller Warnungen die Geschwindigkeit, entkommen einmal mehr einer Geldstrafe oder einem Fahrverbot, werden nicht zur gebotenen Vernunft gebracht, wähnen sich in Siegerpose, glauben einmal mehr immer davonkommen zu können. Man kann getrost behaupten, dass der örtliche Radiosender eine der größten Verkehrsgefahren dieser Stadt ist, so wie wahrscheinlich diverse Radiosender dieser Republik in ähnlicher Weise Gefahrenquellen darstellen.

Freilich könnte man nun einwenden, dass viele Verkehrkontrollen, insbesondere das Blitzen in schwer wahrzunehmenden Tempo 30-Zonen Gängelung ist, alleine einem ökonomischen Prinzip folgen, nämlich das Säckel der Stadtkasse zu füllen. Aber gerade diese Unterscheidung zwischen Sinn und Unsinn, zwischen angebrachter und drangsalierender Kontrolle wird vom Radiosender nicht vorgenommen; vielmehr ist es so, dass vor polizeilichen Fotografen auf gefährlichen Haupt- und Landstraßen gewarnt wird, dort wo es offenkundig ist, welche Geschwindigkeit einzuhalten sei, wo man also nicht überrascht in die Falle tappen kann. Und da man hier in jener bayerischen Großstadt mit dem höchsten Verkehrsaufkommen lebt, daher die Gefahr der Verunfallung sowieso schon erhöht ist, gefährden passionierte Bleifüße die anderen Verkehrsteilnehmer beträchtlich und verschärfen das schlechte Klima auf Ingolstadts Straßen. Eine Gefahr, die durch die Unbedachtheit des Radiosenders unterstützt und mutwillig ausgebaut wird.

Man hat es hier mit einem Sender zu tun, wie man ihn in diesem Lande zuhauf findet. Vornehmlich wird unkritisch berichtet, vorallem auch über die Geschehnisse in der Region. Wenn der amtierende Bürgermeister zum Schaeffler-Boy wird, der Milliarden zur Rettung des Maschinenbauunternehmens gesichert wissen will, dann wird es so hingenommen. Kritik findet nicht statt, eine kommentierende Rubrik, gleich einem Feuilleton, existiert nicht. (Natürlich muß ein Medium objektiv berichten, aber das gilt eben auch für die Negation des Geschehens. Wenn ein Bürgermeister sich für eine Milliardenspende für ein Unternehmen ausspricht, dann müssen auch die Kritiker dieses Denkens zu Wort kommen.) Es ist, auch wenn er locker und flockig daherkommt, nervtötende Moderatoren mit optimistischen und immerfröhlichen Sprüchen und schlechten Witzchen auf Sendung schickt, ein bürgerlicher Sender; keine Informationsquelle, sondern ein Zubringer von herrschenden Botschaften. In diesem Kontext ist auch das Warnen vor Verkehrskontrollen zu sehen. Auch wenn die Redaktion vielleicht gar nicht willentlich die Absicht hegt, so steckt doch ein Mechanismus dahinter, eine stille Konditionierung, die den Sender zu einer derart unkritischen, unbedachten und teilweise gefährlichen Haltung hinreißen läßt.

Was dahinter steckt ist die zweifelhafte Zivilcourage bürgerlicher Färbung. In dieser ist alles zu bekämpfen, was dem Bürger an den Geldbeutel will. Und wenn dieses Etwas eine staatliche Einrichtung ist, Polizei oder Finanzamt, dann ist jeder Widerstand, egal wie fadenscheinig, wie gefährlich und wie sehr auch falsche Kreise davon profitieren, ein Gebot der Bürgerpflicht. Auch wenn die Mehrzahl der Verkehrskontrollen durchaus sinnvoll sind, es ist der bürgerlichen Courage einerlei, sie will nicht im Fall der Fälle bezahlen, sie will sich den Griff in den Geldbeutel ersparen, glaubt daher in medialen Warnungen, in dieser Vergesellschaftung des Warnsystems, einen befreienden und autonomen Charakter entfesselt zu haben, ein Spiegelbild des politisierten Bildungsbürgers, des citoyens abzubilden. Dahinter steckt der Bürgerlichen Phobie, dass alles, was vom Staate kommt, etwas Teuflisches, Hinterlistiges, Anachronistisches darstellt - ein Staat, den sie als abstrakte Größe sehen, dem sie nicht zugehörig zu sein glauben.

"Der Staat" und seine Institutionen sind Ausdruck von Freiheitsberaubung, er fesselt die Leistungsfähigen an den Pöbel, ist daher immer ein obskures Etwas, das eigentlich zu verdammen wäre. Doch so einfach ist es nicht, denn jene Kreise die den Staat als Leviathan brandmarken, als fressendes Ungetüm, als Vernichter der Freiheit, sehen nur in finanziellen, wirtschaftlichen und ökonomischen Fragen den staatlichen Makel. Sichert der Staat ihnen aber Privilegien, baut er ihnen benötigte Infrastruktur, installiert er für sie Schwimmbäder und Theater, fährt er ein Polizeiheer zum Schutz vor andersdenkenden Demonstranten auf, schickt er Militär ins Ausland, um gesellschaftliche Interessen zu wahren oder wiederherzustellen, dann ist der Staat erwünscht und beliebt. Deutlich erkennt man dies in den derzeitigen Betteleskapaden großer Unternehmen, die sich jahrzehntelang mit Abscheu von allem Staatlichen abwandten, die Unternehmenssteuern für einen sozialistischen Anachronismus hielten und nun um Steuereinnahmen winseln, die sie zu leisten nicht bereit waren und wahrscheinlich auch in Zukunft zu leisten nicht bereit sind. Dasselbe Konzept konnte man wahrnehmen, als Unternehmen und bürgerliche Ökonomen den freien Markt zur Religion erhoben, gleichzeitig aber verkündeten, dass Straßen und Schienen vom Staat zu stellen seien, weil Infrastruktur ja Rahmenbedingung sei, die immer der Staat und damit der Steuerzahler bereitzustellen habe.

Dieses Denken dominiert auch in Nichtigkeiten, zieht sich wie ein roter Faden durch alle Bereiche des bürgerlichen Lebens. Deshalb ist für den bürgerlichen Radiosender, der vornehmlich der Abrichtung der Menschen dient, sie prägen und konditionieren soll - was selbiger natürlich vehement verleugnen würde -, auch eine Verkehrskontrolle ein schwerwiegender Eingriff in Persönlichkeitsrechte, die erst ab dem bürgerlichen Geldbeutel Geltung haben. Die Maßnahme kann noch so sinnvoll sein, kann als Maxime haben, notorische Raser zur Räson zu bringen, sie zu enttarnen und zu sanktionieren, alles im Namen der Verkehrssicherheit - dem bürgerlichen Medienorgan ist das einerlei. Lieber warnt man die großen Sünder ebenso, damit die kleinen Sünder, die unbescholtenen Autofahrer, verschont bleiben. Diese Warnmentalität ist nichtigster, aber deswegen ebenso besorgniserregender Ausdruck irrgeleiteter bürgerlicher Zivilcourage. Courage geht bei den Jüngern pseudoliberaler Lehren immer erst beim eigenen Geldbeutel an - und hört dort auch wieder auf.

8 Kommentare:

Anonym 19. Februar 2009 um 11:39  

Die diffuse Sehnsucht nach Solidarität wird bei diesen Medien geschickt genutzt, um die Bindung von Hörer und Sender zu festigen, man lebt schließlich von Werbeeinnahmen.
Da sich der Staat - aus 'Geldmangel' immer mehr zurückzieht, werden natürlich Kontrollen (vgl. Zumwinkel-Ermittler) immer seltener. Die Polizeigewerkschaft weist schon lange darauf hin, dass Geschindigkeitsbegrenzungen nur bei wirksamer Kontrolle wirken und fordert mehr Personal. Statt dessen wird auf Technik gesetzt, die stellt keine Pensionsansprüche.
Ich vermute, dass der Bereich Verkehrsüberwachung demnächst von einem inovativen Privatanbieter übernommen wird...

Anonym 19. Februar 2009 um 12:19  

Aus einer anderen Perspektive ist dies jedoch die Antwort die aufgrund der Motivation am besten zu dem passt, was die Staatsorgane an Motivation vorweisen können für - z.B. - Verkehrskontrollen. Könnte ich in jedem Fall den erzieherischen, wohlüberlegten und sinvollen Hintergrund eines Kontrollmechanismus unterstellen, wäre ich ohne wenn und aber Deiner Meinung. Die heutigen Realitäten sprechen jedoch eine andere Sprache, nicht nur was Verkehrskontrollen angeht sondern auch was im Namen von Datenschutz, Terrorbekämpfung, etc... angerichtet wird, hat nicht immer etwas mit Notwendigkeit im Sinne der oben aufgezählten Merkmale zu tun.
So gesehen, scheint mir die Aufgabenauffassung des von Dir genannte Senders als eine natürliche Entwicklung als Folge der sich vermehrenden Vorlagen, Oberflächlichkeit, Dilettantismus und Niveaulosigkeit inklusive.

Anonym 20. Februar 2009 um 02:33  

Vielen dank für diesen artikel, über diese dudelsender (deren es in Berlin/Brandenburg gut ein halbes dutzend geben dürfte) und ihre verlogene solidarität der autofahrer habe ich mich schon allzu oft aufgeregt. Der »guten« musik wegen läuft derartiges bei uns auf der arbeit täglich als hintergrundberieselung.

Die berichterstattung ist meist schizophren: einerseits der staat, der den steuerbürger auspreßt wie eine zitrone, deshalb bürgerlicher aufstand gegen alle »flitzerblitzer«, andererseits kritik an streikenden oder für bürgerrechte demonstrierenden und absolute regierungstreue. Bei ernennung des wirtschaftsministers (sinngemäß zitiert): »wir wissen auch nicht wer dieser von und zu Guttenberg ist, aber die regierung hat bisher immer das richtige für uns gemacht.« Für Merkel nur chauvinistische kritik an dem, was im prinzip egal ist, ihrem aussehen.

Garniert wird das ganze oft und gern mit werbung für eine (tod)sichere karriere bei der armee.

Insgesamt ist dieses gebräu aus seichtem »aufbegehren«, den ewig selben hits und stereotypen sprüchen nichts anderes als eine fröhlich veranstaltete hirnwäsche.

@christophe
Daß auch die verkehrsüberwachung demnächst von einem innovativen privatanbieter übernommen wird, ist zu befürchten, es ist schließlich noch nicht genug steuergeld in privaten kassen versickert. Aber was machen dann die privatisierungsfreundlichen dudelsender? Werden die verkehrsmeldungen dann folgendermaßen klingen: »Liebe raser, auf dem Adlergestell richtung Grünau steht unser starker werbepartner, also fuß aufs gas und losgezahlt«?

Anonym 20. Februar 2009 um 10:39  

@christophe:

Zwischen Geschwindigkeitskontrollen und sonstigem Überwachungswahn gibt es (noch) einen Unterschied:
Halte ich mich an die vorgeschriebene Geschwindigkeit, werde ich weder erfaßt noch bestraft.

Darüber hinaus bin ich ein Freund von Geschwindigkeitskontrollen; immer wieder erlebe ich Autofahrer, die sich (sei's drum ...) und andere in Lebensgefahr bringen. Denen gehört ordentlich dahin gegriffen, wo es ihnen am meisten weh tut: ins Portemonnaie.

Anonym 20. Februar 2009 um 18:36  

"...die sich (sei's drum ...) und andere in Lebensgefahr bringen."
Sei's drum?
Du hast ein neues Feindbild geschaffen, Roberto...:-)

ad sinistram 20. Februar 2009 um 18:52  

Zitat:
"Du hast ein neues Feindbild geschaffen, Roberto...:-)"

Den Raser? Nein, das ist das allgemeine Feindbild: Der immer in Eile seiende, rücksichtslose, Unglück am Mitmenschen in Kauf nehmende Vertreter der Konsumwelt, mit all seinen Flexibilitäts- und Mobilitätsauswirkungen.

Anonym 21. Februar 2009 um 09:56  

"Der immer in Eile seiende, rücksichtslose, Unglück am Mitmenschen in Kauf nehmende Vertreter ..."
... der den braven Bürger zum Unglück dem Mitmenschen gönnenden Vertreter einer - großen? Kleinen? - sozialen Gruppe werden läßt, der Gruppe der in den Neoliberalismus angekommenen, die ihrerseits unter Umständen genauso handeln würden...

Meinem Kommentar hatte ich ein Lächeln hauptsächlich deshalb zugefügt, weil - nach meiner Beobachtung - manche sich über Raser nur deshalb aufregen, weil sie selber (noch) nicht in der Lage sind Paroli zu bieten. Das entzaubert in meinen Augen ein wenig die Rechtschaffenheit, der ansonsten berechtigten Aufregung des - ansonsten braven - Aufgeregten.

Vielleicht hätte ich etwas differenzierter schreiben sollen, denn es ist mir klar, dass diese Aspekte aus meinem ursprünglichen Satz nicht auf Anhieb zu erkennen sind.

Anonym 21. Februar 2009 um 14:09  

Schön, dass Du dieses Thema ansprichst, Roberto. Ergänzend möchte ich anfügen, dass die Strafen sinnvoller und gerechter sein sollten:

1. Basisbetrag für alle
2. Einkommensabhängiger "Bonus"

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