Nie wieder!

Samstag, 30. Januar 2010

Mit Nie wieder! Nie wieder! haben sie den kürzlich begangenen Holocaustgedenktag erfüllt, Betroffenheitsmiene und Bestürzungsgesicht inbegriffen, beteuert und versichert, dass das, was einst geschah, nie wieder, nie wieder geschehen dürfe. Es war wie in den Jahren zuvor, wie eigentlich immer schon, ein höchst ritualisiertes Gedenken, zwischen bundestäglicher Rührung und eigens für den Anlass herausgekramten Mitfühlens, eingepackt in einstudierte Ansprachen, die keinen Gemeinplatz ausließen, die vor Binsenweisheit strotzten, sich so anhörten, wie schon unzählige Ansprachen zuvor, so klangen, als habe man archivierte Reden abgestaubt und auf ein Neues vorgetragen.

Ansprachen voller Nie wieder! Vorträge betrunken von Nie wieder! Festreden übersatt an Nie wieder! Wenn es doch nur ein gelebtes, beseeltes Nie wieder! wäre! Ein aufrichtiges, ein ehrliches, ein verwurzeltes Lebensgefühl dieser politischen Marktschreier-Gilde, die da in den Sitzbänken lümmelte, den Rednern gebannt lauschend, dabei lobend und affirmativ nickend und lebhaft applaudierend. Wenn dem ritualisierten Gedenken nur eine Philosophie zugrunde läge! Eine Lebensphilosophie! Doch wo ein hohes Gut, beispielsweise jenes Nie wieder!, in Fleisch und Blut überging, da ist kein Gedenktag mehr notwendig. So benötigt man keinen festgelegten Tag, an dem man eine Liturgie auf das Atmen begeht, mit allerlei Bräuchen, Riten und Atemübungen. Zu atmen ist dem Menschen in Fleisch und Blut gegeben, er tut es unbedacht - dem Unbedachten muß nicht gedacht werden. Aber Nie wieder! Nie wieder!: es ist nötiger denn je!

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Sit venia verbo

"Toleranz gegenüber dem radikal Bösen erscheint jetzt gut, weil sie dem Zusammenhalt des Ganzen dient auf dem Wege zum Überfluß oder zu größerem Überfluß. Die Nachsicht gegenüber der systematischen Verdummung von Kindern wie von Erwachsenen durch Reklame und Propaganda, die Freisetzung von unmenschlicher zerstörender Gewalt in Vietnam, das Rekrutieren und die Ausbildung von Sonderverbänden, die ohnmächtige und wohlwollende Toleranz gegenüber unverblümten Betrug beim Warenkauf, gegenüber Verschwendung und geplantem Veralten von Gütern sind keine Verzerrungen und Abweichungen, sondern das Wesen eines Systems, das Toleranz befördert als ein Mittel, den Kampf ums Dasein zu verewigen und die Alternativen zu unterdrücken. Im Namen von Erziehung, Moral und Psychologie entrüstet man sich laut über die Zunahme der Jugendkriminalität, weniger laut über die Kriminalität immer mächtigerer Geschosse, Raketen und Bomben – das reifgewordene Verbrechen einer ganzen Zivilisation."
- Herbert Marcuse, "Repressive Toleranz" -

Weigerung, allzu heimisch zu werden

Donnerstag, 28. Januar 2010

Ich? Ich und weltfremd? Na hören Sie mal! Das ist ja bodenlos - eine bodenlose Frechheit! Woher nehmen Sie nur diese dreiste Kaltschnäuzigkeit? Weltfremd, hm? So eine Frechheit! Eine Frechheit, mir so ungehemmt die Wahrheit an den Schädel zu schleudern!

Jaja, ich bin weltfremd. Ihr haltloses Mundwerk hat den Kopf mit dem Nagel getroffen, die Wahrheit quasi ans Haupt gespießt. Ich bin dieser Welt entfremdet, bin ein Fremder in einer Welt, in der ich gar nicht allzu heimisch sein möchte. Als Mensch mit ethischen Grundsätzen muß man sich weigern, hienieden heimisch zu werden. Man richtet sich zwar ein, schafft sich etwas Quasiheimisches, etwas Heimeliges für den Privatgebrauch sozusagen, aber zuhause ist man als in die Welt Geworfener nie so recht.

Sie haben ja so recht! Ich bin weltfremd! Das heißt aber nicht, dass ich wie ein Fremder wegblicke, unerfreuliche Dinge übersehe; Dinge, die mir so fremd sind, wie ich ihnen. Mir fremd, weil ich sie nicht dulde, nicht als Selbstverständlichkeit hinnehmen kann. Ich kann nicht erlernen, das kalkulierte Jammertal zu verkraften, dieses Gebräu aus gewollter Armut und praktizierter Kalamität als Normalität zu akzeptieren. Das Leid in dieser Welt, jedenfalls das materielle Leid, wäre in beinahe allen Fällen zu beheben - wenn diese Welt es nur möchte. Hunger, Obdachlosigkeit, Ausbeutung, Unterdrückung und dieserlei - das sind doch keine Naturgesetze, man könnte sie bändigen. Diese materiell so gesunde Welt wäre imstande, das Leid weitestgehend abzuschaffen, den Kampf ums Dasein zu beenden.

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Im Exil

Mittwoch, 27. Januar 2010

"Die völlige Ungewissheit, über das, was der nächste Tag, was die nächste Stunde bringt, beherrscht seit vielen Wochen meine Existenz. Ich bin verurteilt, jede Zeitung [...] wie eine an mich ergangene Zustellung zu lesen und aus jeder Radiosendung die Stimme des Unglücksboten herauszuhören."
- Walter Benjamin, in einen Brief an Theodor W. Adorno -
Was Benjamin einstens in anderem Zusammenhang an Adorno richtete, dürfte wohl die Befindlichkeit von Millionen von Menschen schildern, die heute in einer anderen doch ähnlichen Situation warten. Benjamin schrieb hier als Exilant, schrieb über sein Empfinden im Exil. Exilanten sind auch jene, die dieser Tage in Gazetten blättern, dem Radio lauschen, im Internet stöbern oder sich vom Fernsehen berieseln lassen. Exilanten des Inneren, Menschen, die sich allmählich in ein inneres Exil zurückziehen, weil sie den fanatischen Eifer, mit dem sich öffentlich gejagt oder verunglimpft werden, nicht mehr ertragen können.

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... was Arbeit schafft!

Dienstag, 26. Januar 2010

Roland K. aus Frankfurt denkt innovativ. Er ist jener vielgepriesene Typus Staatsbürger, der mit kraftvoller Dynamik und selbstloser Rührigkeit, die Gesellschaft zu einem Hort günstigerer Lebensumstände wandelt. Er schwatzt nicht nur, er schöpft und gestaltet, legt Hand an, wo andere nur Zungen schnalzen lassen. Roland K. schafft Mut, er schafft Hilfe zur Selbsthilfe, schafft Beschäftigung. Indem er ausspricht, was andere sich auszusprechen nicht trauen, eröffnet er neue Märkte, stößt er in frische Beschäftigungsfelder vor, expandiert er an neue Gestade.

Roland K. ist ein Macher, kein Klatschweib - er gehört zu gebrauchten Sorte, ist Mann von Format, Visionär und Antreiber. Wo er spricht, erheben sich die Faulpelze von ihren opulent verzierten, mit elegantem Brokat überzogenen Chaiselonguen, wie weiland Gelähmte von Jesu auferlegter Hand. Sie richten sich auf, recken ihrem Heiland die sonst so phlegmatischen Hände entgegen, ziehen sich hie und da die hinabrutschenden Jeanshosen aus elegantem Hause über die mit Kaviar wohlgenährten Ranzen und danken für die erlösenden Worte des Propheten. Roland K. mobilisiert, treibt an, macht Blinde sehend, Lahme gehend, Stumme sprechend.

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Rezension & Empfehlung

Montag, 25. Januar 2010

Eine Rezension von Markus Vollack.

Der Titel des Buches mag für Uneingeweihte womöglich distanzierend, ja sogar isolierend wirken. Jemand der sich als "Unzugehörig" betrachtet, marschiert nicht mit, sagt Nein, wenn andere Ja sagen und wehrt sich gegen vorgegebene Normen, die nicht selten als Naturgesetze gepriesen werden. Roberto legt in vielen Artikeln den Finger in die Wunde, regt zum Nachdenken an und ist stets bemüht anderen die Augen zu öffnen oder zumindest mit dazu beizutragen, dass sie ihre Perspektive erweitern mögen. In "die Eingezäunte Welt" (S. 170) thematisiert er mit bitterböser Ironie, die selbstverschuldete Unmündigkeit und die ach so gehegte und gepflegte Engstirnigkeit vieler Menschen. Denn sie wollen die Welt so sehen, wie sie ihnen wohltue und selten so, wie sie wirklich ist: Blähbäuche, Hungersnöte, Mord, Totschlag, Folter, Betrug und dergleichen Unwörter mehr tue ihnen einfach nicht gut – also wird so getan, als gäbe es das alles gar nicht. Robertos große Intention all seiner Texte ist der ewige Kampf gegen Engstirnigkeit, Ignoranz und Verleugnung der Tatsachen.
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Eine Empfehlung von Margareth Gorges.

Robertos Texte fordern zum Handeln auf, seine Sprache ist schonungslos einfühlend, schonungslos aufdeckend, schonungslos aufklärend, schonungslos anklagend, schonungslos fragend und schonungslos auffordernd zum Selberdenken!
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De auditu

Samstag, 23. Januar 2010

Die abschreckende Wirkung gehört zum täglichen Repertoire der Berichterstattung. Sie erscheint als Begriff in mannigfaltigen Bereichen - im Sozial- und Arbeitswesen ebenso wie bei der Verbrechungseindämmung. Kann man im letzteren Falle noch eine dünne Logik hinter der Verwendung von abschreckenden Wirkungen ausmachen, fällt es in den anderen Bereichen zunehmend in das Feld der Menschenverachtung. Wenn ein Sozialwesen auf abschreckende Wirkungen baut, damit die Bürger verschreckt werden, dann erschrecken alle aufgeklärten Gedankengänge, erschrecken Demokratie und Sozialstaatsgedanke.

Die abschreckende Wirkung bei Verbrechensbekämpfung klingt logisch, baut allerdings, wie oben erwähnt, auf dünnem Eis. Sie ist letztlich nur ein Mythos, denn die Todesstrafe läßt vor Mord nicht zurückschrecken, gleichwohl ein Meer von Kameraobjektiven ebensowenig vor Straftaten abschreckt. Ob das uferlose Überwachungszeremoniell auf Flughäfen fruchtet, kann nur vermutet werden. Es ist jedenfalls seltsam, dass beinahe wöchentlich von vereiteltem Flugzeugterror berichtet wird, obwohl der dortige Überwachungsmarathon doch eigentlich jeden Terroristen abschrecken müßte. Selbst wenn diese Totschlags nur am Reißbreit der Geheimdienste entworfen sein sollten, stützt es doch die These, wonach abschreckende Wirkungen keine Maßeinheiten sind, mit der polizeiliche Arbeit betrieben werden könnte. Denn wenn nicht mal der kreative Geheimdienstler der Überwachung Abschreckung einräumt, weil er ständig neue Terroristen ins Rennen schickt, dann ist es um den Gehalt des Begriffs nicht gut bestellt.

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Wenn rauskommt, wie was reinkommt

Freitag, 22. Januar 2010

Ein Gastbeitrag von Lutz Hausstein.

Vom früheren SPD-Schatzmeister Friedrich Halstenberg wird ein Ausspruch kolportiert, nach dem er einmal folgendes gesagt haben soll:

„Wenn rauskommt, wie was reinkommt, komme ich wo rein, wo ich nicht mehr rauskomme.“

Hierbei bezieht er sich auf die Praxis der illegalen Parteispenden. Öffentliche Beachtung müssen allerdings nicht nur illegale Parteispenden in all ihren Facetten, sondern auch die, nach aktueller Rechtslage, legalen Spenden mit ihren Auswirkungen auf die Politik finden. Korrekterweise müsste die gesamte Parteienfinanzierung (staatliche Mittel – früher Wahlkampfkostenerstattung, Parteispenden, Parteistiftungen, „Parteisteuern“ – „freiwillige“ Beiträge von Mandatsträgern, Abgeordnetendiäten) einer kritischen demokratischen Überprüfung unterzogen werden. Und zwar nicht durch die Parteien selbst, wie aktuell, oder durch Parteienvertreter, sondern durch völlig unabhängige Vertreter ohne irgendwie geartete Interessensverstrickungen. Dass eine Anrufung des Bundesverfassungsgerichtes für solche Belange nur der Regierung und den Parteien vorbehalten bleibt, ist ein weiterer pikanter Punkt dieser Schieflage. Selbst namhafte Verfassungsrechtler wie Hans Herbert von Arnim kritisieren seit Jahren diese Punkte, wurden jedoch nur marginal wahrgenommen. Stattdessen kam es zu noch weiteren Aufweichungen der Begrenzung der Parteienfinanzierung.

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Sei höflich und sag Dankesehr

Donnerstag, 21. Januar 2010

Sag artig Danke, Kind von Haiti! Reich der Tante und dem Onkel aus Übersee die Hand. Komm schon! Ja, das wissen wir doch! Wir wissen doch, dass du Schmerzen hast und deine Mama im Schutt suchst. Aber soviel Zeit muß sein. Sei brav, sag Danke! Schau, der Industriestaaten-Onkel hat dir geholfen, da kann er doch ein wenig Dank erwarten. Findest du nicht? Du bist ihm Dank schuldig, Kind von Haiti. Wer seine Hilfe anbietet, der hat doch auch Anspruch darauf, ein winziges Danke geschenkt zu bekommen. Komm her, streck dem Onkel deine Hand entgegen und zeige dich erkenntlich. Bezahle deine Dankesschuld. Ist denn der Dank zu viel verlangt, Kind von Haiti?

Sei dankbar! Zeig uns kurz und schmerzlos deine Dankbarkeit. Sei doch nicht geizig mit dem Dank. Die Tanten und Onkel waren doch auch nicht geizig. Verärgere uns nicht, Kind von Haiti. Wenn du nicht gleich folgsam Danke sagst, müssen wir von Undankbarkeit ausgehen. Willst du deine Retter beleidigen? Willst du sie enttäuschen? Danke ihnen dafür, dass sie sich endlich einmal deiner angenommen haben! Danke ihnen, dass sie ihre Gleichgültigkeit abgelegt, ihre gesenkten Augenlider aufgeschlagen haben! Bedanke dich dafür, dass sie dir nun Geld schicken, nachdem Lebensmittel dank industriestaatlicher Freihandelsmaximen und Spekulationsmanie unerschwinglich wurden! Kind von Haiti, ist dir das nicht Antrieb genug?

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Eine Buchempfehlung

Eine Empfehlung von Dr. Bernhard Schülke.

Meine Buchempfehlung ist das Erstlingswerk von Roberto J. de Lapuente, manchem bekannt von seinem Blog ad sinistram. Das Buch hat den Titel:

Unzugehörig - Skizzen, Polemiken und Grotesken

Robertos Texte sind sehr mitnehmende, gefühlsbetonte Erzählungen. Sein drastische Ausdrucksweise entspricht seiner Wut, einer berechtigten Wut, die er so artikuliert, dass er jedes Thema präzise auf den Punkt bringt - auch und gerade emotional. Seiner so mit großer Klarheit geäußerten Kritik gesellschaftlicher Zustände kann man nur beipflichten.

Wenn Sie mehr über Robertos Buch lesen möchten, dann habe ich zwei Links mit Rezensionen für Sie:
  1. Margitta Lamers Rezension und
  2. Dr. Christian Klotzes Rezension
Das Buch ist erschienen im Renneritz-Verlag - Bestell-Link.

Spendenaufruf!

Mittwoch, 20. Januar 2010

Armeen von Menschen wurden in den letzten Jahren per Gesetz kriminalisiert, wurden gegängelt, gepresst und unmündig gemacht. Sie wurden finanziell an einem zu knappen Strick gehalten, derweil man den Arbeitsplatzmangel in ihre Schuhe schob. Menschenfluten fielen der Reform mit Namen eines in exquisiten Garn gekleideten Zuhälters zum Opfer; Legionen von Erwerbslosen ebenso wie Schwärme von solchen, denen ihr Lohn zum Leben nicht reicht, die aufstocken müssen, weil ihnen ihr Dienstherr ihren prekären Posten nicht gütlich honorieren will.

Daher seid Ihr aufgerufen, Ihr Erwerbslosen und Leiharbeiter, Ihr Geschädigten der Zuhälterreform und Opfer Eurer Blutsauger! Spendet monatlich einen Euro von Euren Reichtümern! Wer mehr hat, soll zwei Euro spenden, wer weniger hat, darf auch Centbeträge überweisen! Sammelt Kapital, spendet Euch einen Grundstock zusammen, schafft per vollen Konto Macht und Einfluss! Spendet monatlich, spendet bis in den Herbst 2013 regelmäßig, bis zur nächsten Bundestagswahl. Errechnet Euch selbst die Summe, die zusammengetragen werden kann, wenn jeder Geknechtete einen Beitrag leistet. Leistet Beitrag - seid Leistungsträger!

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Ridendo dicere verum

"Sieh! Da steht das Erholungsheim
einer Aktiengesellschafts-Gruppe;
morgens gibt es Haferschleim
und abends Gerstensuppe.
Und die Arbeiter dürfen auch in den Park...
Gut. Das ist der Pfennig.
Und wo ist die Mark... ?

Sie reichen euch manche Almosen hin
unter christlichen frommen Gebeten;
sie pflegen die leidende Wöchnerin,
denn sie brauchen ja die Proleten.
Sie liefern auch einen Armensarg...
Das ist der Pfennig. Und wo ist die Mark... ?

Die Mark ist tausend- und tausendfach
in fremde Taschen geflossen;
die Dividende hat mit viel Krach
der Aufsichtsrat beschlossen.
Für euch die Brühe. Für sie das Mark.
Für euch der Pfennig. Für sie die Mark!

Proleten!
Fallt nicht auf den Schwindel rein!
Sie schulden euch mehr als sie geben.
Sie schulden euch alles! Die Länderein,
die Bergwerke und die Wollfärberein...
sie schulden euch Glück und Leben.
Nimm, was du kriegst. Aber pfeif auf den Quark.
Denk an deine Klasse! Und die mach stark!
Für dich der Pfennig? Für dich die Mark!
Kämpfe - !"
- Kurt Tucholsky, "Wohltätigkeit" -

Sozialverträglich ableben

Dienstag, 19. Januar 2010

Bereits im März 2004 riefen die Vereinten Nationen nach Hilfsgeldern für Haiti. Vor knapp zwei Jahren wurde nur zögerlich davon berichtet, dass aufgrund der steigenden Lebensmittelpreise der Hunger in Haiti wüte. Als ob das nicht ausreichte, sicherte die Weltgemeinschaft Gelder zu, die nie im vollem Umfang eintrafen. Die Wälder Haitis werden seit Jahrzehnten systematisch gerodet, was Verkarstung und regionalen Klimawandel nach sich zieht. Rodungen, auch im Namen industriestaatlicher Unternehmen, die mit dem Raubbau Profite erzielen. Nein, das Erdbeben hat die Lage nicht wesentlich verschlechtert - es hat der chronischen Armut nur die Krone aufgesetzt.

Wo waren damals die emsigen Helfer, denen es eine Herzensangelegenheit war, den Menschen Haitis unter die Arme zu greifen? Wo die Spendengalas? Wo hochtrabende Prominente, die mit Leichenbittermiene um einige Groschen bettelten? Wo versteckte sich die emotionalisierte Berichterstattung der üblich verdächtigen Gazetten? Wo haben die einschlägigen Medien über teuere Lebensmittel berichtet? Wo über den einstigen Hilferuf der Vereinten Nationen? Und wenn, wie groß war der Aufmacher?

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De dicto

Montag, 18. Januar 2010

"Es ist schon fast unanständig, mit diesem Vorstoß zu suggerieren, dass die Arbeitslosen arbeitsscheu wären."
- DGB-Vorsitzender Michael Sommer, laut Welt am Sonntag vom 17. Januar 2010 -
Zum Gesagten sei angemerkt: Arbeitszwang, Abschreckungselemente innerhalb der Arbeitslosenhilfe, Hartz IV trotz allem immer noch eine angenehme Variante - so und noch reizender, brechreizender, äußerte sich Hessens demokratisch legitimierte Antwort auf Herrschsucht, Roland Koch, zum ewigen Thema deutscher Sozialpolitik. Das zweibeinige Vomitivum erntet dafür Kritik - mit seinen Positionen kultiviere er die allgemeine Ansicht, Erwerbslose seien arbeitsscheu. Und wer dies tue, der ist fast schon unanständig. Unanständig!

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Standpunkte eines Frommen

Sonntag, 17. Januar 2010

Blasphemie ist das Allerletzte! Doch Irland schreitet wieder einmal voran, weist Europa den Weg, bekämpft mit strenger Hand das Allerletzte. Richtig so! Was mußte ich mich schon ärgern, was hat man mir schon an den Kopf geworfen, mir und meinem Gott! Die Iren handeln gezielt und richtig, sie hauen den Lästermäulern gesittet und nachdrücklich auf die Zungen. Unsereins hat genug von diesen Besserwissern, die einem brühwarm ins Gesicht speien, es gäbe keinen Gott, nur um sich dann an unseren feuerroten Zornesgesichtern zu ergötzen.

Ergötzen! Denn auch solche Kinder Gottes, entfremdete Kinder fürwahr, dienen einem Gott. Einem falschen, einem garstigen Gott - einem Götzen. Wenn wir rot anlaufen, wenn uns die Wut ins Gesicht buchstabiert ist, wenn einigen unserer Schwestern die Tränen aus den Augenwinkeln triefen, dann ergötzen sie sich, dann vollziehen sie ihren frevelhaften Ergötzungsdienst gleich einem schändlichen Götzendienst. Unsere Wut, das Leid, das sie uns achtlos antun, ist ihr Götze, ihr täuschendes Idol, ihr teuflischer Gott. Man höre mir mit Atheisten auf! Ständig bekehren sie einen, dauernd sind sie in Mission, fortwährend teilen sie der halben Welt mit, es gäbe kein höchstes Wesen, auch dann, wenn die halbe Welt davon gar nichts wissen will. Früher waren es wir, wir Gotteskinder, die missioniert, die Proselytenfängerei betrieben haben - was man uns heute immer noch vorwirft. Heute tun das die Gottlosen, wenn sie ihren entwichenen Gott vor die Nasen halten und dabei erklären, dass das, was sie vor den Nasen hin und her schwingen, nichts weiter sei als das Nichts. Und wie sie es nihilistisch vor den Angesichtern baumeln lassen! Ganze Omnibusse bepinseln sie mit ihren unfrohen Botschaften! Dabei haben sie die Gottgläubigen innovativ überrundet. Wir hatten befestigte, immobile Orte unseres Glaubens, jene jedoch sind mobil, betreiben einen fahrenden Altar, chauffieren ihren Glauben, der weismachen will, er glaube an nichts, durch die Straßen. In Kriegszeiten kannten auch wir mobile Altäre, die mit einigen feldgeistlichen Griffen zu errichten waren. In Kriegszeiten wohlgemerkt! Und genau darin befinden sie sich, diese chronisch Gottlosen. Sie befinden sich im Krieg mit uns, weswegen sie ihre provokativen Feldaltäre durch die Innenstädte sausen lassen.

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Unterdrückte Wucht

Freitag, 15. Januar 2010

Drunten mehren sich die Fressen, in die zu prügeln man geneigt ist. Ein Meer aus Visagen entsteht, eine weites, wogendes, mit Horizont ausstaffiertes Meer. Drunten schwimmt man hilflos in einem Meer aus Fressen, schwimmt zwischen allerlei Meeresgetier hindurch, zwischen seriösen Mienen ebenso wie zwischen boshaften Grimassen. Man treibt nicht gerne in diesen Fluten, man hofft auf Rettung, hofft endlos auf einen Kutter, der einen aus den Wogen fischt, aus dieser gigantischen Brühe voll Nasen, Mündern wie Augenpaaren, aus dieser Suppe von verschwitzten Köpfen. Friedfertigkeit, die entkrampfte Faust, so träumt man halbschlafend im Ozean hin- und herschwappend, wäre die erhoffte, die rettende, die idyllische Insel, das paradiesische Eiland schmalziger Novellen - endlich faustlos, endlich friedvoll, endlich frei vom blutbesudelten Handrücken.

Doch dann, immer noch paddelnd in jener Kloake, zwischen Mundgerüchen und Schweißperlen, zwischen dämlichen Blicken und lächerlichen Frisuren, zwischen großen wie kleinen Nasen und anliegenden wie abstehenden Ohren paddelnd, baut sich eine erneute Fresse auf, ein weiteres Antlitz, dass in Breiform ansehnlicher schiene, in die zu dreschen man schier gezwungen wird. Vielerlei Art kann eine solche Fresse sein - die stinkende und dampfende Fresse eines Arbeitgebers, die für wenig Geld viel Arbeitskraft fordert, die gängelt und drückt, die kürzt und bescheisst, die Löhne zurückhält und Kündigungen verteilt wie weiland Christus Seligpreisungen. Oder die faulige und selbstgerechte Fresse eines Arbeitsvermittlers, die bedrängt und presst, die das Existenzminimum in tiefere Minima minimiert, die Hungerlöhne an Hungerfürsorge knüpft, die aus einem gemachten Nest heraus Nester zerpflückt. Oder aber wahlweise die prahlerische Fresse eines Pedells, die für seinen Herrn hingehalten wird, die Geld erpresst und Vogelkarikaturen auf Zeug kleistert, die in die stickige Gosse marschiert, um den gesäumten Alleen den notwendigen Reichtum zu gewähren. Das Leben im Meer ist mannigfaltig, kaum zu katalogisieren und zu erfassen; das Leben im Meer ist eine unbegrenzte Ansammlung von Fressen, denen man die Faust hineinrammen möchte.

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Keine politische Justiz?

Donnerstag, 14. Januar 2010

Ein Gastbeitrag von Frank Benedikt.

Von den Palmer Raids der Zwanziger Jahre bis zu den Fällen Peltier und Abu-Jamal durchzieht ein roter Faden die amerikanische Rechtsgeschichte – der der politischen Justiz.

Zwei mal drei Meter – das sind die Abmessungen der Zelle, in der der wohl bekannteste Todeskandidat der Welt seit 1995 eingekerkert ist. Seit 1982, als er wegen Polizistenmordes in einem fragwürdigen Verfahren zum Tode verurteilt wurde, hat der Journalist und Aktivist Mumia Abu-Jamal stets den Tod vor Augen. An seiner Schuld bestehen seit langem erhebliche Zweifel, dennoch droht ihm weiter die Hinrichtung. Das Todesurteil, das im März 2008 vorläufig aufgehoben wurde, wird in den kommenden Tagen vom Obersten Gerichtshof der USA entweder bestätigt oder in lebenslange Haft umgewandelt werden, ungeachtet weltweiter Initiativen, die seit langem eine Freilassung Abu-Jamals oder zumindest eine Wiederaufnahme des Verfahrens fordern. Dass es bei dem Verfahren gegen das ehemalige Black Panther- und MOVE-Mitglied zu eklatanten Verstössen gegen rechtsstaatliche Standards kam, heben auch internationale Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International oder Human Rights Watch hervor. Gerade letztere Organisation betont auch nicht zuletzt die politische Komponente in diesem Fall, die bei der Urteilsbemessung eingeflossen sei. Ein „militanter“ Afroamerikaner – eine doppelte Herausforderung für das überwiegend weiße und konservative Justizsystem der USA, das auf emanzipatorische und „linke“ Bestrebungen schon früher mit staatlicher Härte reagiert hat.

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Sit venia verbo

Mittwoch, 13. Januar 2010

"Wer ein Optimist ist, soll verzweifeln. Ich bin ein Melancholiker, mir kann nicht viel passieren. Zum Selbstmord neige ich nicht, denn ich verspüre nichts von jenem Tatendrang, der andere nötigt, so lange mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen, bis der Kopf nachgibt. Ich sehe zu und warte. Ich warte auf den Sieg der Anständigkeit, dann könnte ich mich zur Verfügung stellen. Aber ich warte darauf wie ein Ungläubiger auf Wunder."
- Erich Kästner, "Fabian - Die Geschichte eines Moralisten" -

Des Zweifels beraubt

Dienstag, 12. Januar 2010

Erfreulicherweise haben wir Gutachter und Experten. Leute, die es annähernd wissenschaftlich zu bewerten und zu klassifizieren verstehen. Die uns die Welt erklären und die Dinge in der Welt fundamentieren können. Oh menschlicher Verstand, was wärst du nur ohne Gutachter?

Und so hat uns jene Gilde herausgearbeitet, dass Thilo Sarrazin, der eitle Geck aus Bänkerkreisen und Sprachrohr der neuen deutschen Mitte von rechts, rassistische Äußerungen von sich gab. Welch Erleuchtung! Vormals bedrückte die Kritiker und Erbosten, die mit diesen Äußerungen auf Kriegsfuß standen, eine Gestimmtheit zwischen vagem Vermuten und unscharfer Ahnung. Beinahe bekam man als Kritiker ein schlechtes Gewissen, weil man den biederen Herrn angriff, ohne vorher eine gutachterliche Studie eingeholt zu haben. Was, so zweifelte man an sich, wenn die Aussagen Sarrazins nur subjektiv rassistisch sind? Was, wenn sich nur mein halbspanisches, mein türkisches, mein schwarzhäutiges Ehrgefühl beleidigt fühlt, obgleich seine Aussagen objektiv betrachtet womöglich unantastbar wären?

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Buchempfehlung

Montag, 11. Januar 2010

Eine Empfehlung von Margitta Lamers.

"Unzugehörig - Skizzen, Polemiken und Grotesken" von Roberto J. De Lapuente


Gesellschaftskritische Bücher gibt es viele, De Lapuentes Buch ist ganz anders. Quer durch alle Schichten der Gesellschaft legt er den Finger in die Wunde und demaskiert die bürgerliche Spießigkeit. Mal makaber, mal provokativ schreibt er sich die Wut von der Seele, ohne Rücksicht auf die Befindlichkeiten des Lesers zu nehmen. Konsequent vermeidet er, Ratschläge zu geben, wie es besser zu machen wäre. Der Leser bekommt für sein Geld ein Buch mit Texten wider den Stumpfsinn und geistiges Mittelmaß, wortgewaltig und für jeden verständlich geschrieben. Diesem Buch ist daher größtmögliche Verbreitung zu wünschen und es sollte zur moralischen Notfallausrüstung in jedem Haushalt gehören.

Die alimentierte Ministerin

Die sozialen Gewissen erblühen, gedeihen mitmenschlich und fürsorglich, die Barmherzigkeit trägt sattes Grün. Nach Rüttgers, der mit ausgekochter Raffinesse den verständnisvollen Reformer figurierte, schien es nur eine Frage von Stunden, dass ein weiteres personifiziertes Sozialgewissen zum durchtriebenen Wort schreitet, um den besonnenen Reformer zu verkörpern, der jedoch genau beleuchtet mehr einem Scharfmacher gleicht. Auf Rüttgers' Leistung muß sich lohnen, dessen durfte man sicher sein, würden weitere reformerische Umtriebe feilgeboten. Und siehe da, schon äußert sich die amtierende Herrin der desaströsen Armenverwaltung, preist ihren Reformgeist an und, wie es bewährte Tradition in diesem Lande ist, geißelt den untätigen Müßiggänger.

Es sei nicht akzeptabel, wenn jemand ohne nachvollziehbaren Grund nicht oder nur wenige Stunden arbeitet, erklärt von der Leyen. Wir werden es nicht akzeptieren..., ist ihr genauer Wortlaut. Wer Wir sein soll, bleibt unkenntlich - vermutlich die Lobbyisten, die rund um ihr Ministerium kampieren. Dies in Zeiten, in denen weitere Arbeitsplätze im Sterben liegen, weitere Menschen in Arbeitslosigkeit geraten werden! In solchen Zeiten hat diese Frau und die gesamte Clique, die sich derzeit als reformerisches Sozialgewissen aufführt, nichts anderes zu verkünden, als Drohgebärden und existenzielles Kurzhalten. So, als gäbe es eine endlose Auswahl an Arbeitsplätzen, die von Faulpelzrotten partout nicht in Anspruch genommen würden. Arbeitslosigkeit wächst an, das Aufstocken mit Arbeitslosengeld II ist zum Renner geworden und wird wahrscheinlich erst noch Hochsaison haben - und von der Leyen stellt sich provokativ hin und baut schon mal vor, stachelt die Kommunen zur strengeren Sanktionsmentalität an und tut so, als sei Arbeitslosigkeit eine Sache freier Wahl: eine freie Wahl zwischen Sofa und Werkbank, eine Wahl zwischen Faulheit und Fleiß.

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