Drunten mehren sich die Fressen, in die zu prügeln man geneigt ist. Ein Meer aus Visagen entsteht, eine weites, wogendes, mit Horizont ausstaffiertes Meer. Drunten schwimmt man hilflos in einem Meer aus Fressen, schwimmt zwischen allerlei Meeresgetier hindurch, zwischen seriösen Mienen ebenso wie zwischen boshaften Grimassen. Man treibt nicht gerne in diesen Fluten, man hofft auf Rettung, hofft endlos auf einen Kutter, der einen aus den Wogen fischt, aus dieser gigantischen Brühe voll Nasen, Mündern wie Augenpaaren, aus dieser Suppe von verschwitzten Köpfen. Friedfertigkeit, die entkrampfte Faust, so träumt man halbschlafend im Ozean hin- und herschwappend, wäre die erhoffte, die rettende, die idyllische Insel, das paradiesische Eiland schmalziger Novellen - endlich faustlos, endlich friedvoll, endlich frei vom blutbesudelten Handrücken.
Doch dann, immer noch paddelnd in jener Kloake, zwischen Mundgerüchen und Schweißperlen, zwischen dämlichen Blicken und lächerlichen Frisuren, zwischen großen wie kleinen Nasen und anliegenden wie abstehenden Ohren paddelnd, baut sich eine erneute Fresse auf, ein weiteres Antlitz, dass in Breiform ansehnlicher schiene, in die zu dreschen man schier gezwungen wird. Vielerlei Art kann eine solche Fresse sein - die stinkende und dampfende Fresse eines Arbeitgebers, die für wenig Geld viel Arbeitskraft fordert, die gängelt und drückt, die kürzt und bescheisst, die Löhne zurückhält und Kündigungen verteilt wie weiland Christus Seligpreisungen. Oder die faulige und selbstgerechte Fresse eines Arbeitsvermittlers, die bedrängt und presst, die das Existenzminimum in tiefere Minima minimiert, die Hungerlöhne an Hungerfürsorge knüpft, die aus einem gemachten Nest heraus Nester zerpflückt. Oder aber wahlweise die prahlerische Fresse eines Pedells, die für seinen Herrn hingehalten wird, die Geld erpresst und Vogelkarikaturen auf Zeug kleistert, die in die stickige Gosse marschiert, um den gesäumten Alleen den notwendigen Reichtum zu gewähren. Das Leben im Meer ist mannigfaltig, kaum zu katalogisieren und zu erfassen; das Leben im Meer ist eine unbegrenzte Ansammlung von Fressen, denen man die Faust hineinrammen möchte.
Drunten angekommen regiert die Faust, ganz metaphorisch, immer in der Jackentasche geballt. Man vermöbelt selten - viele schlagen gar nicht, aber die Option, diese brachiale Alternative, sie wird einem auferlegt. Drunten wirken Worte, andächtig vorgetragene Rechtfertigungen, durchschlagende Bekundungen nicht. Durchschlagend wäre nur der Fausthieb - wenn man ihn sich zutraute. Durchschlagend für einen kurzen Moment, eine Auflehnung gegen das Meer, gegen die Naturgewalt der triezenden Fressen. Durchschlagend, wie ein Schlag ins Wasser, für einen Augenblick Wassermassen durchpflügend, nur damit sie wieder zusammenfließen, sich zusammenfügen können. Zusammengeflossen reihen sich die Visagen aneinander, setzen den bis aufs Blut Gereizten nochmals zu, holen die Büttelfresse zum Dienst, die Richterfratze auf den Hochstuhl, lassen den durchschlagenden Fausthieb zum Sieg eines Pyrrhus verkommen. Drunten ist das, was enthobeneren Schichten das Damoklesschwert ist, die Faust; eine Faust, die stets und pausenlos vor den Gesichtern und Zerrmasken tänzelt.
Vorbildlich und zur Freude der Peiniger, der Quälgeister, der Ausbeuter stecken die Fäuste tief ins Futter der Tasche gegraben fest. Keine Gewalt!, rufen sie in die Täler hinab. Sprecht, argumentiert, kämpft mit Zunge und Lippen, lasst euren Kehlkopf zur Faust werden, aber hackt euch eure Fäuste ab, bleibt Lämmer, ihr Esel! Häufig bleibt man es - häufig, oh ja, viel zu häufig. Dann trottet man wie die Sau zum Bolzenschuss, nicht quiekend, nicht wimmernd, sondern geistesabwesend, mit der Faust ringend, mit der Frage kämpfend, ob denn nun eingewuchtete Gesichter sittsam wären, damit der nach unten Tretende bemerkt, dass im Kadaver der Gosse noch Atem ist, noch Kampfkraft. Lebensgeist! Dass er bemerkt, wie drunten noch eine letzte Neige Stolzes, ein kleines Fünkchen Selbstwert logiert. Doch die Faust steckt in der Tasche, festgemauert in der Weste. Einbetoniert ins Gehirn; einbetoniert, dass Gewalt sittenwidrig sei, weil sie gewaltig verletzt und gewaltig nach hinten losgeht und den Gewalttätigen gewaltsam überwältigt.
Drunten ahnt man, weiß man, spürt man, dass die Faust ein trauriger Lebenspartner ist, ein wenig geliebter Kamerad. Wie gerne würde man dem Ozean endgültig entsteigen, um nicht in jeder Fresse einen Sandsack vermuten zu müssen. Fressen, die selbst lächelnd, höflich, mit der zeitgemässen Maske des Dienstleistungslächelns verunziert, wie Sandsäcke wirken. Gedankenverloren wogt man im Wasser, im Meer aus Gesichtern, träumt sich in Zeiten, in denen Gesichter einem wieder zu Menschen werden. Phantasiert sich an Gestade, an denen Fressen Antlitze sind, wo Pedelle, Vermittler und Ausbeuter, überhaupt dieses ganze nach oben vermittelnde Gesocks, nicht mehr zum Futter für geballte Hände taugt. Wo Blut und ausgebrochene Zahnfragmente nicht mehr zur Befriedigung der eigenen Armseligkeit beitragen müssen.
Seid gewaltlos!, belehren sie hinab, seid gewaltlos, damit wir euch weiterhin Gewalt androhen können! Drunten vergräbt man die Hände in den Taschen und folgt der Herrenmoral, folgt ihr im Ruch der Vernunft, folgt auf die Schlachtbank. Drunten ist keine Fresse respekteinflössend. Respekt flösst nur die Faust ein, die oben eben nicht in die Tasche gesteckt wird, die nur umgetauft wurde - die dort Gesetz, Paragraph, Sanktion oder Haft oder sonstwie heißt. Taufte man drunten die Faust zur Gerechtigkeit und Befreiung, würde man sie Emanzipation und Autonomie nennen oder Selbstwert und Notwehr, sie würde einige Verständige mehr finden. Befürworter allerdings nicht, denn selbst drunten, im öligen Spülwasser, lassen sich keine Befürworter zur Faust finden. Sie sind nicht Befürworter, sie haben nur keine andere Wahl mehr. Sie würden gerne streicheln, liebkosen, fingern - doch drunten ist die Faust verkrampft, fast nicht mehr zu öffnen. Die Faust klammert sich ans Drunten - das Drunten gebiert die Faust.
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