In eigener Sache

Montag, 4. Januar 2010

oder: laßt uns Geburtenkontrolleure sein!

Zwei Jahre ist es heute her, dass ich mich entschloss, Wort an Wort zu reihen, um mit etwas Glück halbwegs sinnvolle Sätze erblühen zu lassen. Manchmal ist es mir wohl auch gelungen. Zwei Jahre ist es her, dass ad sinistram heimlich, still und leise eröffnet wurde - und genauso heimlich, still und leise, so glaubte ich seinerzeit, würden nach zwei, drei Monaten die morschen Tore wieder verschlossen. Über 150.000 Besucher nach einem, und nun nach zwei Jahren über 620.000 Besucher, erlaubten es mir nicht, hinter mir absperren zu dürfen.

Alleine schafft man es kaum, annähernd täglich zu schreiben, seine Stifte anzuspitzen, um sie dem Zeitgeist ins Auge zu stoßen. Alleine schafft man das nicht, man braucht Hilfe, Steigbügelhalter, jemanden, der tagein tagaus anfacht und beflügelt. Menschen, denen an dieser Stelle gedankt sein soll.

So danke ich Franz-Josef Wagner, der mit wohlfeiler Beredsamkeit gesegnet, das unnachahmliche Talent besitzt, nichts zum Ausdruck bringen zu können, ausgenommen seiner Biederkeit und seines kleinbürgerlichen Verachtungsfeldzugs natürlich. Und natürlich danke ich Hugo Müller-Vogg, der obwohl nachweislich nicht zungenfertig und mit stümperhaften Duktus beschenkt, täglich mehr Leser anzieht, als ad sinistram in seinen gesamten zwei Lebensjahren. Auch Kai Diekmann sei gedankt, dem humorvollen, menschenfreundlichen Pfau, der in jedem seiner abgehobenen Zeilen die ganze Arroganz desjenigen hineinlegt, der durch Ärsche und Darmflora kletternd zum Erfolg kam und dem es nicht begreiflich sein will, warum andere nicht denselben Passionsweg in Angriff nehmen wollen. Nach so vielen Philosophen des Alltags, möchte ich auch einem Jedermann Dank zuwerfen: Peter Sloterdijk, der mit gigantischer Schreibkunst geweiht ist, diese dafür benutzend, um seinen zur Tinte gewordenen Gehirnkalk unter die Leute zu bringen - Glück, dass er kein Philosoph ist, denn seine Thesen könnten letztlich verheerende Folgen haben, wenn irgendwann der Eindruck entstünde, der Mann sei eine Koryphäe zeitgenössischer deutscher Philosophie.

All diesen großen Männern deutscher Öffentlichkeit, freilich auch vielen anderen, die ich hier aus Hygienegründen nicht nennen darf, sei gedankt. Was wäre ich, was wäre ad sinistram ohne Euch? Wenn Ihr nicht gewesen wäret, worüber ließe sich schreiben, worüber ließe sich guten Gewissens erbrechen? Ihr seid das Beste, was einem Schreiber passieren kann! Wo sonst würde man schräge Gestalten Eurer Sorte antreffen? Man müßte sie sich ersinnen - wobei keine Phantasie an die Realität heranreichen kann. Ihr seid der Traum jedes Schreibenden, denn Ihr seid Karikatur der Karikatur, Ihr seid der wahrgewordene Rotz, der normalerweise die Gehirnwindungen umgibt, den man sich eigentlich imaginieren müßte. Vielen Dank also, Ihr Gestalten, Ihr entstellten Denker und verfehlte Menschenfreunde! Denn auf einen Denker mit Namen Sloterdijk, der sich dadurch lächerlich macht, seine Gedanken dem öffentlichen Geldbeutel entgegenzustellen, der ihn monatlich honoriert, wäre ich nie gekommen. Auch einen Gelehrten mit Namen Wagner hätte ich nicht erfinden können - Phantasie überspitzt immer, sie läßt wenig Raum für das Banale. Diekmann ist geradezu undenkbar - man kann ihn sich nicht vorstellen, man muß ihn erleben, um verabscheuen zu können. Ach ja, und Sarrazin natürlich: Wer würde sich einen schielenden Edelherren ersinnen, der mit schief gestutzten Schnurbart den Bessermenschen mimt, der überdies im Anzug aussieht, wie ein Walross mit Darmverschluss?

Und dann sind da noch jene, die an die Größe hoher Herrschaften nicht heranreichen, die so klein und nichtig sind, wie der Autor dieser Seiten selbst. Niemande und Jedermanns, keine Götter, nur einfache Kirchengemeinde, Menschen von der Straße! All jene, die mir in den letzten Jahren geholfen haben, die mir täglich den Rücken stärken, die Ansichten teilen, aufgreifen und weiterdenken, die sich den Humor nicht haben rauben lassen, die humorvoll in Hoffnungslosigkeit baden, die selbst schreiben und wüten und den wahrgewordenen Karikaturen zu Dank verpflichtet sind. Menschen, die selbst Seiten füllen, Menschen, die hier als Kommentatoren regelmäßig Anteil an meinen bescheidenen Versuchen nehmen, Menschen, die meine bescheidenen Versuche auf echtes Papier brachten. All jenen, die nicht im Olymp verwesen, danke ich herzlichst - nur ein plumper Dank, ganz ohne Gaben darzubringen; der einfache Dank zwischen Jedermanns, denn Gaben zu erhalten ist nur das Privileg der obengenannten Götter. Götter, am Himmel der Lächerlichkeit, die uns das Leben zwar nicht humorvoll machen, weil ihre Lächerlichkeit den Ernst der Lage verschärft, weil es tragisch ist, wenn unbegabte Schmierfinken über das Leid der Armen herziehen und es lächerlich machen - so lächerlich wie sie eben selbst sind: als Projektion des eigenen Mangels auf andere. Aber sie erlauben es, der grassierenden Dummheit ein Gesicht zuzuordnen, bieten ihre Schnauze feil, berichten über die anderen dummdreisten Schnauzen und vereinfachen unser trauriges Geschäft, nämlich über diesen Wahn zu schreiben, doch beträchtlich.

Die saublöden Schnauzen werden auch heuer nicht aussterben. Wir leben in Zeiten der Krise. Kriselnde Zeiten sind es, wenn sich solche Gestalten vermehren. Unsere Aufgabe wird sein, nicht die Dummheit auszumerzen - das wäre sinnlos und unrealistisch; unsere schier unstemmbare Aufgabe ist es vielmehr, eine Art Geburtenkontrolle auszuüben, damit sich die wild kopulierenden Blödiane nicht hemmungslos vermehren. Das wird vermutlich hoffnungslos genug sein, daher ans Werk, den Stein nach oben gewuchtet, so weit möglich - wir dürfen annehmen, diese Sisyphosarbeit ernüchtert uns zuweilen, immer dann, wenn der Stein wieder hinabrollt - nach der Ausnüchterung beginnen wir von vorne. Laßt uns auch heuer wieder absurd sein!

9 Kommentare:

Frank Benedikt 4. Januar 2010 um 02:17  

Glückwunsch, mein Bester!
Warum haste vorhin eigentlich nix gesagt? Ich hab das doch nicht im Kopf ;-)

Wieder ein Jahr in's Land gegangen und ich las eben noch Deinen letzten "Jahresbericht"; was ist seitdem nicht wieder alles geschehen? Mehr Krieg, mehr Finanzmisere, eine neue Regierung, die es auf die Spitze treiben dürfte, mehr Umweltprobleme, mehr Leser ... Immer nur "mehr" - das scheint die einzige Antwort des Systems.

Und doch hat sich für uns auch persönlich viel geändert. Wir haben neue Freunde gefunden, dafür andere verloren und am schmerzhaftesten in der Nachbarschaft war wohl Kurts Tod. Immerhin: er hat vielen Menschen etwas gegeben und auch entscheidend dazu beigetragen, daß wir zunehmend eine echte "Nachbarschaft" werden.

Ja, vieles hat sich in diesen 12 Monaten geändert und in den nächsten 12 wird sich vermutlich noch viel mehr ändern, aber ist es nicht an der Zeit für einen wirklichen "change"? Diese Frage muß sich jeder selbst beantworten.

Vom kleinen Nachbarn die besten Wünsche für das dritte Jahr von "ad sinistram"
Frank

Kassandra 4. Januar 2010 um 09:06  

Ebenfalls herzlichen Glückwunsch und danke für den Dank!

Allerdings: 'Ad sinistram' und seine KommentatorInnen als Kirchengemeinde zu sehen ... - nein, ich möchte als regelmäßige Leserin und gelegentliche Kommentatorin -bei aller "Zusammenarbeit"- nicht Teil einer Kirchegemeinde sein und keinen "Gott" anbeten (unabhängig davon ob Atheistin oder religiös). Dann wäre AS wie das, was darin inhaltlich konstruktiv kritisiert wird.

Anonym 4. Januar 2010 um 10:17  

Den folgenden Sarkasmus möge man entschuldigen.

Ich habe die Bild-Zeitung nie gelesen (als Kind hab ich die Bilder gern gesehen), deshalb sind die Genannten für mich alle Unbekannte (bis auf Sloterdijk). Dessen philosophische Quartett sah ich nur einmal, nachdem ich feststellen mußte, daß in der ersten Sendung nur ein Philosoph anwesend war, nämlich Reinhold Messner (das ist nicht ironisch gemeint!)

Ich habe aber auch aus Protest vor Jahren aufgehört, weiter Geld in die FAZ zu investieren.

Ich habe grundsätzlich aufgehört, die deutsche Presse zu lesen. Eine Alternative war die Herald Tribune. Das war nicht die Offenbarung, aber ich habe sie als recht "menschliche" Zeitung kennengelernt.

Wenn ich zum Bäcker Brötchen kaufen gehe, so bleibt es nicht aus, das ab und zu ein Blick auf die Schlagzeile der Bild-Zeitung fällt. Ich kann mich an keine mehr erinnern, aber ich weiß, das dort des öfteren solche zu finden waren, die mich dazu veranlaßten zu sagen:

"Die Bild-Zeitung ist die einzige Zeitung in der ab und zu mal etwas Wahres über die Situation steht."
Auch wenn das Blatt das sicher nicht so meinen mag.

Das ist nun keine Hommage an die Bild-Zeitung, sondern zeigt in welchem Zustand sich die deutschen Medien befinden. Ob da noch ein Auswag ist?

Daria Morgendorper 4. Januar 2010 um 14:29  

Auch die Mächtigen haben eine, wenn auch kleinere, Sysiphos-Arbeit: Nämlich die, dem Stein, oben angelangt, einen beherzten Tritt zu verpassen, auf dass er wieder hinabrollt. Das beschert dem guten Sysiphos zwar ein neues, durchaus ermüdendes Tagewerk, aber auch die Gewissheit, das "die da" alsbald wieder zum Tritt ausholen müssen und sich ihre Gelenke ein kleines bisschen mehr abnutzen. Steter Tropfen höhlt den Stein - auch bei denen da. Daher: Nicht nachlassen und weiter so!

Jutta Rydzewski 4. Januar 2010 um 18:21  

Herzlichen Glückwunsch, zum Zweijährigen, lieber Herr De Lapuente. Möge Sie der heilige Zorn auch zukünftig "überkommen", "übermannen", oder noch besser, immer wieder "heimsuchen", denn Eines ist in dieser vor Unsicherheit triefenden Welt sicher, danach, wenn die angespitzten Stifte sozusagen ihr Werk vollendet haben, geht es Ihnen, und natürlich auch Ihren Leserinnen und Lesern, in jedem Fall erst einmal besser.;-)

Viele Grüße
Jutta Rydzewski

Anonym 4. Januar 2010 um 18:21  

Hallo Roberto, ich glaube zwar nicht, dass mit Blogs wie deinen und vielen anderen guten allein diese gegenwärtige widerwärtige Welt aus den Angeln zu heben ist. Aber immerhin helfen sie allen jenen, die noch einen eigenen Standpunkt jenseits des alles verblödenden Mainstreams haben, sich ihres Verstandes auch weiterhin sicher sein zu können.
Wenigstens weiss man so, dass man nicht ganz mit seinem Denken und Fühlen allein ist, es "da draußen" auch noch Gleichgesinnte gibt.
Alles Gute und weiter so!

mfg Bakunin

Anonym 4. Januar 2010 um 21:50  

Lieber H. De Lapuente,

auch von mir die allerherzlichsten Glückwünsche zu zwei Jahren engagierten Schreibens. Weiter so! Die „Révolution Française“ ist nicht von den Menschen auf den Straßen verwirklich worden. Den Grundstein haben die „damaligen Blogger“ (Montesquieu, Diderot, D’alembert, Voltaire und sehr viele anderen) durch ihre Schriften gelegt, in dem sie das damalige „System“ beschrieben, und Auswege daraus aufzeigten.
Ich bin der festen Überzeugung, dass ad sinistram durch ihre sehr engagiert verfaßten Artikel einen nicht zu unterschätzenden Beitrag leistet, das geistige und ethische Rüstzeug zu verbreiten, die ein Wiederaufleben der heute so stark ramponierten Grundwerte der Republik (Freiheit, Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetzt, Brüderlichkeit) ermöglichen wird.
Merci mille fois

Anhänger des 04.08.1789

Lutz Hausstein 5. Januar 2010 um 19:54  

Auch von mir, lieber Roberto, herzlichen Glückwunsch zu "Deinem" Jubiläum. Mach weiter so!

Deine Scharfzüngigkeit, Deine Ironie, Dein manchmal beissender Sarkasmus, der der Lüge die Maske vom Gesicht reisst, ist unterhaltsam und aufklärerisch zugleich. Auf dass noch mehr Menschen in diesem Land verstehen lernen, was wirklich vor sich geht und warum.

Bei all Deinen Inhalten hast Du meine volle Zustimmung. Nur eines sollten wir nicht tun. Uns über Äußerlichkeiten, körperliche Unzulänglichkeiten Anderer auslassen. Denn dann begeben wir uns auf genau das Niveau, welches wir alle tagein tagaus zurecht kritisieren. Lass uns die verbrecherischen Machenschaften beim Namen nennen, lass uns deren Protagonisten offen anprangern! Auch mit markigen Formulierungen. Lass uns an der Sache abarbeiten, nicht an den Menschen.

Sie sind es nicht einmal wert. Oftmals habe ich, wenn mein erster Ärger über einen neuerlichen Schwachsinn aus einem dieser Münder verraucht ist, nur noch grenzenloses Mitleid mit ihnen, mit ihrer geistigen und moralischen Armut.

Anonym 5. Januar 2010 um 21:56  

Herzlichen Glückwunsch zum Jubiläum
und Deinen wirklich gelungenen Texten!

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