Forsa schaltet mal wieder gleich

Mittwoch, 29. April 2009

"Da müsste schon völlig Unvorhersehbares passieren. Sonst gibt es keine Unruhen. Unsere Demokratie ist gefestigt.", behauptet Forsa-Chef Güllner. Es riecht nach römischer Arroganz, als die sogenannten wilden Stämme Europas ante portas standen, der römische Adel aber immer noch felsenfest davon ausging, dass das römische Reich und mit ihm das römische Gemüt, niemals (aus-)sterben würde. Im Unterschied zu damals, scheint Güllner hier aber die Sicherheit des status quo nicht nur zu umschreiben, sondern herbeizureden.
"Die Krise stärkt die Großen [...] die Linkspartei so schlecht, wie seit zwei Jahren nicht."
- Focus Online am 29. April 2009 -

"Linkspartei knickt ein."
- stern.de am 29. April 2009 -

"Linke rutscht unter zehn Prozent."
- Spiegel Online am 29. April 2009 -

"Lafontaines Linke stürzt ab."
- BILD Online am 29. April 2009 -
Alle Zitate stützen sich auf die aktuelle Forsa-Umfrage. Was auffällt ist die absolute Gleichschaltung; alle berichten im gleichem Ton, erwähnen die LINKE an oberster Stelle. Forsa-Umfragen werden sowieso gerne und häufig ausführlichst in den Medien behandelt, denn was Güllners Orakel ausspuckt, gilt als Trend, als Zeichen der Zeit.

Wenn also Güllner die stabile Demokratie lobt, weil sich nichts Unvorhersehbares ereignen würde, dann ist es wichtig für seine These, dass diese erzkommunistische LINKE keinen großen Wurf bei der Bundestagswahl landen wird. Nicht, dass die LINKE revolutionär oder antidemokratisch gesittet wäre, aber eine stärkere Partei um Gysi und Lafontaine könnte von den Menschen als Aufbruchsstimmung begriffen werden. Man könnte dann den oft von Lafontaine geforderten Generalstreik als greifbare Realität mißverstanden wissen und den status quo zum Einsturz bringen, zumindest arg ins Wanken geraten lassen. Damit der Alptraum des deutschen Konservatismus nicht Wirklichkeit werden kann, bedarf es einer LINKEN auf dem absteigenden Ast.

Und die liefert Güllner, die backt er den Medien auf, damit sie sie an den Endverbraucher, den Leser und Zuseher, letztlich dem Wähler, weiterreichen kann. Wenn der Wähler eine kontinuierlich ausrangierte LINKE beobachtet, die in Zeiten der Not nicht gewinnt, sondern verliert, sich damit wie ein Relikt vergangener klassenkämpferischer Epochen ausnimmt, dann macht man den potenziellen Wählern der LINKEN klar, dass sie ihre Stimme sowieso nur vergeuden. Wer setzt schon auf einen lahmen Esel? Die Demokratie wie sie Güllner begreift, dieses Produkt aus Wirtschaft und Politik, das Milliarden für Banken, aber Arbeitlosengeldkürzungen für das Volk bereithält, ist stabil. Aber nicht, wie Güllner meint, weil nichts Unvorhersehbares geschieht, sondern weil alles dafür getan wird, dass nichts geschieht, was im Ansatz wie ein geistiger Umbruch empfunden werden kann. Güllner behauptet das nicht aus der Sicht des Beobachters, sondern aus der Sicht des Machers. Er analysiert nicht nur, er gibt den Trend vor.

Im Marschschritt eilen die Medien mit, bieten den güllnerschen Einheitsbrei an - inspirations- und kritiklos. Auf Forsa stützt man sich gerne, zitiert Güllner mit großer Leidenschaft, denn Forsa setzt die Richtungsanzeige und kümmert sich um den status quo dieser Republik - nicht erst seit heute.

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Hartz IV reicht aus, wenn man in Spielshows aufstockt

Montag, 27. April 2009

Wilfried Fesselmann aus Gelsenkirchen versteht die Aufregung nicht. Für die Ruhrgebietsausgabe der BILD entblättert er sein Denken, sagt den Lesern "nichts als die Wahrheit". Dass er mit der Wahrheit auf Du und Du steht, werden wir nachher noch genauer beleuchten. Seine Wahrheit des heutigen Tages ist: Man kann nicht nur von Hartz IV leben, man kann sich vom Regelsatz sogar noch etwas absparen.

Die Fesselmanns bestehen aus fünf Personen, beziehen miteinander eine Regelleistung von 1330 Euro, dazu noch Miete und Nebenkosten (ohne Warmwasser, was die BILD nicht weiter erwähnt). Das alles mag noch stimmen, aber dann verlassen wir die Pfade der Wahrheit und die BILD, mit Hilfe des fröhlichen Arbeitslosen Fesselmann, entwirft ihre eigene kleine Realität. Seit 2004 lebt die Familie vom Arbeitslosengeld II, heißt es in einem einleitenden Satz. Man darf gespannt sein, wie die BILD oder wie die zufriedene Werbefigur aus Gelsenkirchen die Tatsache erklären wollen, dass es das ALG II erst seit Januar 2005 gibt. Warum bezogen die Fesselmanns damals schon das vielgelobte ALG II, obwohl es erst seit 2005 zum Bezug bereitstand? Leistungserschleichung etwa?
Windig auch der Absatz, in dem der Schuldenabbau der Familie thematisiert wird. 103.000 Euro hätte man durch Hartz IV abbauen können. Wie genau, kann man nicht zurückverfolgen. Vielleicht haben die Gläubiger sich auf für sie schlecht konditionierte Vergleiche eingelassen, weil es bei ALG II-Empfänger sowieso nichts zu holen gibt. Es ist jedenfalls nicht anzunehmen, dass die Familie vom Regelsatz Schulden abbezahlt hat, schon gar keine Schulden, die die achtundsiebzigfache Höhe des monatlichen Regelsatzes veranschlagen, soviel also, wie die Familie sechseinhalb Jahre lang an Regelsätzen bezöge.
Hartz IV reiche zum Leben - doch die Familie holt Lebensmittel von der Tafel. Anders gesagt: Es reicht wohl doch nicht. Denn wenn man auf kostenfreie Lebensmittel angewiesen ist, scheint es mit dem Ausreichen nicht weit her zu sein. Der Regelsatz sollte ja die Deckung des Lebensmittelbedarfes gewährleisten, keine Notwendigkeit auf Gratis-Lebensmittel aus zweiter Hand erzeugen.

All das, mitsamt der Geschichte von Zwei-Euro-Hosen und Zwei-Euro-Schuhen, ist bewährte BILD-Manier. Nichts Neues. Interessant ist etwas anderes, etwas, was dem Artikel um Fesselmann derart diametral zuwiderläuft. Es reicht ihm nämlich wahrscheinlich doch nicht zum Leben, denn vor etwa einem Jahr saß Fesselmann in einem TV-Studio, wollte 25.000 Euro gewinnen. Titel der Sendung: "Nichts als die Wahrheit" - und mit der nimmt er es ja scheinbar sehr genau. Vor einem Jahr war der 49-jährige Mann gerade mal 39 Jahre alt. Außerdem lebte er nicht in Gelsenkirchen, wie die BILD behauptet, sondern in Essen. Es ist irritierend, dass die BILD nicht noch den Umzug erwähnte, der ja vom üppigen Regelsatz abgefallen zu sein scheint - es wäre doch ein trefflicher Hinweis auf die Üppigkeit von Hartz IV, wenn man auch noch einen Umzug auf die Werbefahne drucken könnte. Dabei wird jene oft vernommene Vermutung fassbar, wonach die BILD ihre Vorzeigeobjekte immer in fremde Städte ansiedelt, so dass in der Essener Ausgabe von Gelsenkirchenern und in der Gelsenkirchener Ausgabe von Essenern berichtet wird.

Vielleicht sollte sich der gute Wilfried Fesselmann noch einmal auf einen Stuhl setzen, verdrahtet mit einem dieser höchst fadenscheinigen Lügendetektoren, um all die Ungereimtheiten im BILD-Artikel zu erläutern. Man darf befürchten, dass nichts als die Unwahrheit herauskäme...

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Der gegäbene Anlass

Samstag, 25. April 2009

Immer dann, wenn außerordentliche Ereignisse geschehen, beehren uns spontan ins Fernsehprogramm eingeschobene Sondersendungen. Dann flimmert in großen Lettern "Aus gegebenem Anlass" über die Bildfläche. Dies trifft vorallem zu, wenn irgendwo ein Unglück das Leben vieler Menschen beeinflusste, wenn Erdbeben oder Überschwemmungen Existenzen zerstörten oder Amokläufe das Blut in den Adern erfrieren lassen. Aber auch offensichtliche Nichtigkeiten, wenn etwa ein gealterter Literaturkritiker einen Fernsehpreis ablehnt, kann einen solchen gegebenen Anlass motivieren. Gerade die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten zeigen sich hierbei flexibel, beweisen, dass das festgesetzte Fernsehprogramm kein stur umzusetzender Plan sein muß, sondern immer wieder Möglichkeiten der spontanen Informationsgebung sein können.

Kürzlich wurde der Genmais durchs Dorf einseitiger Berichterstattung gejagt. Viel war darüber zu lesen, am meisten von solchen, die sich darüber entrüsteten, dass der Genmaisanbau verboten ist. Ausführliche Information in der TV-Landschaft? Fehlanzeige. Ein existenziell wichtiges Thema wie die langsame, aber stetig fortschreitende Übernahme genmanipulierten Gemüses, ist den öffentlich-rechtlichen Sendern kein gegebener Anlass wert. Dabei müßte gar nicht wild recherchiert werden, um eine informative Sendung zu Monsantos Genprojekten ins Leben zu rufen. Ein Rückgriff auf Marie-Monique Robins Dokumentarfilm "Monsanto - Mit Gift und Genen" aus dem Jahr 2008 wäre als gegebener Anlass, als Informationsabend, mehr als ausreichend. Wenn man zur besten Sendezeit - Samstag- oder Sonntagabend um 20:15 Uhr, angekündigt durch einige kurze aber fesselnde Trailer, so wie man ansonsten "Wetten, dass..?" ankündigt - präsentieren würde, was Robin zusammengetragen hat, dann würden die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten ihrem Bildungs- und Informationsanspruch mehr als gerecht.

Was könnte es bewirken, wenn um 20:15 Uhr erklärt würde, dass der Saatguthersteller Monsanto 1901 als Chemikalienhersteller begann und irgendwie immer noch Chemikalienhersteller ist?
Würden den Zusehern nicht die Augen geöffnet für dieses hierzulande relativ unbekannte Unternehmen, welches für PBC- und Dioxin-Vergiftungen mit Todesfolgen verantwortlich war und ist?
Wie würde die Öffentlichkeit reagieren, wenn ihr schlagartig und kollektiv klar würde, dass das von Monsanto entwickelte Unkrautvernichtungsmittel Roundup gar kein Unkraut vernichtet, sondern jede Form von pflanzlichen Leben, es sei denn, es wurde vorher gentechnisch eine Roundup-Immunität in die Pflanze gezüchtet?
Wäre es nicht auch für die deutsche und europäische Öffentlichkeit wertvoll zu erfahren, wie Monsanto es in den USA geschafft hat, dass gentechnisch veränderte Organismen (GVO) gleichwertig behandelt werden, wie konventionelle, natürliche Pflanzen, d.h. welche Lobbyarbeit dahintersteckte? Wäre das nicht wertvoll im Hinblick auf Europa, in dem Monsanto die gleiche Masche anzuwenden versucht? Wichtig, um diese Masche zu durchschauen?
Könnte der Skandal um das Rinderwachstumshormon rBST, das unter dem Namen Posilac vertrieben wird, nicht ein objektiveres Bild auf das Unternehmen werfen? Wäre es nicht von beträchtlicher Bedeutung, wenn die Öffentlichkeit zur besten Sendezeit erführe, dass Monsanto über die schädliche Wirkung für Tier und Mensch, über die Häufung von Euterentzündungen und dadurch verstärktem Eitergehalt in der Milch, wußte, sich darüber aber nicht nur ausschwieg, sondern Studien kaufte, die das Gegenteil zu beweisen vorgaben? Wäre das nicht wichtig, obwohl rBST in Europa verboten ist, weil man damit die kriminelle Energie des Unternehmens nachzeichnen könnte?
Sollte nicht ein breites Publikum erfahren, wie Monsanto Patente auf Lebensformen erstellen läßt, zum Herrn über Lebensmittel wird, wie kritische Wissenschaftler mundtot gemacht und Regierungen unter Druck gesetzt werden?
Empfände man es nicht als außerordentlich informativ, über die selbstmörderische Baumwollsaat zu berichten, die in Indien Hunderte und Tausende von Landwirten in den Selbstmord treibt, weil teueres Gensaatgut zur Verschuldung, Existenzverlust und, was in Indien noch möglich ist, direkt in Schuldknechtschaft führt?
Wäre es nicht sinnvoll für den Informationsauftrag der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten, das Unternehmen Monsanto mit einem seiner Produkte in Verbindung zu bringen? Mit Agent Orange, welches Vietnamesen und US-Soldaten verseuchte? Und was ist mit der Monsanto-Strategie, sich eine Studie entwerfen zu lassen, die Agent Orange für vollkommen unschuldig an den Beschwerden der US-Soldaten erklärte?

Freilich, dann und wann widmet sich auch das "staatliche Fernsehen" solcher Dokumentationen, verschiebt sie aber ins späteste Abendprogramm, zeigt Sonntagnacht, irgendwann nach 23:00 Uhr vielleicht, wertvolle Berichterstattung. Oder man schiebt es in Spartenkanäle, läßt Arte ausstrahlen, was einem Millionenpublikum auf ARD oder ZDF präsentiert werden könnte. Wenn ein gealterter Kritiker auf den Putz haut, ist es dem Fernsehen eine Sondersendung wert; wenn Monsanto lügt und betrügt, weil behauptet wird, es gäbe keine ausreichenden Studien zur Schädlichkeit von Genmais, wenn Monsanto darüber hinaus auch noch droht, rechtliche Schritte einzuleiten, damit das mörderische Geschäft auch in Europa betrieben werden kann, dann gibt es keinen gegebenen Anlass.

Es gäbe viele gegäbene Anlässe für Deutschlands öffentlich-rechtliche Sendeanstalten, doch das Interesse am Bildungsauftrag ist gering. Man will unterhalten, nicht informieren. So sei es auf diesem Wege an wenigstens einige Menschen weitergegeben: "Monsanto - Mit Gift und Genen" ist unbedingt anzusehen!

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Sit venia verbo

"Unter der Herrschaft eines repressiven Ganzen läßt Freiheit sich in ein mächtiges Herrschaftsinstrument verwandeln. Der Spielraum, in dem das Individuum seine Auswahl treffen kann, ist für die Bestimmung des Grades menschlicher Freiheit nicht entscheidend, sondern was gewählt werden kann und was vom Individuum gewählt wird. Das Kriterium für freie Auswahl kann niemals ein absolutes sein, aber es ist auch nicht völlig relativ. Die freie Wahl der Herren schafft die Herren oder die Sklaven nicht ab."
- Herbert Marcuse, "Der eindimensionale Mensch" -

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It's Showtime!

Freitag, 24. April 2009

Dass Arbeitsplatzangst und die damit verbundene Mißstimmung innerhalb von Betrieben, Mobbing und Kollegenhatz, kein Beinbruch sein muß, macht uns die Unterhaltungsindustrie deutlich. Zwei amerikanische Fernsehsender planen Kündigungs-TV-Konzepte, bei denen die unqualifiziertesten Mitarbeiter kameragerecht vor die Werkstore bugsiert werden. Vermutlich wird es nicht lange dauern, bis auch hierzulande zur besten Sendezeit entlassen wird.

Nein, wir sollten uns nicht entrüsten! Wir müssen lernen, dass jede Notsituation Chancen birgt, dass aus jeder Lebenslage Profit zu erzielen ist, wenn man nur gerissen genug ist, seine guten Manieren über Bord zu werfen. Nun wimmern und jammern ja jene, die seit Jahren den Sozialstaat abgebaut haben, die Befürworter und wohlwollendes Publikum für soziale Schweinereien waren, weil immer öfter die Angst vor sozialen Unruhen thematisiert wird. Dabei stecken sich die ehemaligen Hetzer gegen Solidarität und Parität die Finger in die Ohren und singen dabei mit schriller Stimme Lieder, damit sie diese formulierten Angstbeschwörungen nicht hören müssen - wenn man etwas nicht hört, findet es schließlich nicht statt. Dezente Wutausbrüche haben andere Teile Europas und der westlichen Welt schon ergriffen, nicht zuletzt deshalb scheint es nurmehr eine Frage der Zeit, bis auch hierzulande die Revolte salonfähig wird - revoltierender Zeitgeist macht, ebensowenig wie der neoliberale Zeitgeist einstmals, keinen Halt an Nationalgrenzen.

Und dann sollten die Fernsehsender schnell zugreifen, flugs Konzepte entwerfen, um ihr Publikum zu unterhalten. Revolten-TV als neuer Schlager für den Samstagabend. Der Dschungel des Stumpfsinns ist ein dicht bewachsener, lange Jahre der TV-Verblödung haben ein unendliches Repertoire an möglichen Showkonzepten hinterlassen. So könnten sich drei Chefideologen neoliberaler think tanks und Interessens- und Propagandaverbände vor revoltierenden Volk für ihre Irrlehren rechtfertigen müssen. Wer am Ende am wenigsten überzeugt, muß zusehen, wie seine Villa abbrennt, sein Fahrzeugpark verschrottet, sein Konto geplündert wird. Wenn die Macher ganz geschickt sind, konzipieren sie es als Überraschungsshow und eröffnen den beiden noch ungeschorenen Kandidaten, dass die ganze Show nur Inszenierung war, ihre Villen so oder so ebenfalls in Asche verwandelt worden wären.

Oder man schmiedet aus preußischer Tradition und der Vorliebe für fadenscheinige Action-Konzepte nach Takeshi-Manier, einen Manager-Spießrutenlauf durch empörtes Volk - dann heißt es Bühne frei für den Running Man! Auch Reality-Formate wären denkbar. Wie einst RTL und andere Bertelsmann-Sender in Wohnungen von ALG II-Empfängern marschierten, um in niederträchtigster Form über deren Leben und deren Abartigkeiten zu berichten, so könnten Fernsehteams dann Arbeitgeberpräsidenten und/oder -sprecher in ihrem Domizil besuchen, um deren verdorbenes Dasein in den hässlichsten Farben zu malen. Möglichkeit sich dieser Einseitigkeit zu erwehren, hat dieses Gesindel nicht - wie einst den Opfer diverser Pogromsendungen, so haben auch die nächsten Opfer einseitiger Berichterstattung keine Chance mehr, sich medial über dies erlittene Unrecht zu entrüsten. Sie müssen es dann schon erdulden, wenn sich die Super-Nanny um ihren missratenen Nachwuchs kümmert und sie dazu dargestellt werden, wie die erbärmlichsten Rabeneltern aller Zeiten; wenn der Schuldenberater kommt, damit er sich aus deren Haushalt zum Schuldenausgleich herausholt, was sie der Allgemeinheit an Schulden hinterlassen haben; wenn sie dann von einer aufgehetzten Zuschauerschar aufgelauert, angespuckt und angepöbelt werden und nur ein kleines Häufchen Polizeibeamter zum Schutz abgestellt werden kann, weil ja seit Jahren Staatsrückzug und Sparmentalität gepredigt wurde und damit kein größeres Heer an Schutzbeamten aufzutreiben ist.

Pragmatisch muß man nur sein. Wenn anwachsende Arbeitslosenzahlen ein Fest für Fernsehschaffende sind, weil daraus Entlassungs-TV gemacht werden kann, so sind auch soziale Unruhen ein trefflicher Fundus. Dann werden solche in Container gesperrt und die Schlüssel auf den Mond geschossen, die jahrein jahraus vom hemmungslosen Wachstum phantasierten und irgendwelche Euphemismen und Synonyme für eine asoziale Marktwirtschaft entwarfen, beispielsweise Basarökonomie sagten, um Worte wie "Lohndumping" und "Schaffung eines Niedriglohnsektors" zu umgehen; dann werden solche in den australischen Dschungel ausgeflogen und nicht mehr abgeholt, die durch ihre ständige Präsenz im Fernsehen dazu ermutigten, Arbeitslose als Parasiten und Schmarotzer zu verunglimpfen; dann treten solche bei Schuhbeck, Lafer und Lichter auf und nehmen in Töpfen voll heißer Brühe Platz, die den Sozialabbau als großes und schlüssiges Konzept der Arbeitsplatzsicherung verkauft haben.

Und am Sonntagabend treten dann erboste Revolteure bei einem Will-Ersatz auf und hetzen mit speicheltriefenden Mündern und schon von Speichel bedecktem Kinn gegen den Abschaum der Gesellschaft, gegen sogenannte Familien, die seit Generationen Manager- und Bankerkarrieren aufzuweisen haben. Und wenn sich dann darüber sittenwächterisch ausgekotzt wurde, entwerfen die Beteiligten wirre Konzepte der Integration. Wie können wir solche entschwundenen und abgehobenen Menschen wieder für die Gesellschaft reaktivieren? Kann man Familienstrukturen, die seit Jahrzehnten auf das Asoziale ausgerichtet waren, nochmals für das Volk gewinnen? Wir müssen diese Menschen aktivieren, wird man dann klarmachen; wir müssen deshalb harte Sanktionen anwenden, damit sie begreifen, dass die Gesellschaft nicht mehr willens ist, für sie aufzukommen. Mindestens 25 Prozent dieser Menschen haben Sozialmißbrauch betrieben, Steuergelder verschwendet, sich bestechen lassen und so weiter, wird dann ein betroffener Gast in die Runde werfen. Der Will-Ersatz wird ebenso betroffen nicken, einige vorformulierte Fragen runterrattern und wenig kritisch auftreten, nach dem Wahrheitsgehalt der genannten Zahl, wird der Ersatz nicht fragen - die Opfer dieser Verunglimpfung sitzen indes vor ihren demolierten TV-Geräten, diese ganzen Typen, die uns seit Jahren predigten, dass das Asoziale das eigentlich Soziale sei, werden laut um Gehör rufen, um Richtigstellung flehen und sich hilflos im Salz ihrer Ohnmachtstränen baden.

Und wer sollte dann mit solchen Opfern Mitleid haben wollen?

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Käufer gesucht!

Donnerstag, 23. April 2009

Unternehmen kaufen Blogger. Ich stehe zum Verkauf, ihr Unternehmen! Läßt sich ein Werbearrangement zwischen ad sinistram und einem Unternehmen vereinbaren? Könnte all das, das hier Gegenstand meiner Ergüsse ist, einem Unternehmen nützlich sein? Oh ja, hier würde trefflich geworben.

Ich würbe für Lidls Fürsorge, wenn ich von vorbildlichen Konzernleitungen schrübe, die sich um die Gesundheit ihrer Mitarbeiter so sehr sorgten, dass sie sogar ein Archiv an Krankenakten anlegten, um auch ganz sicher zu gehen zu können, zukünftig immer die passenden Medikamente und Facharztüberweisungen bereitzuhalten.

Allianzens Gerechtigkeitssinn würde Werbung, wenn ich mich ihrer Rhetorik widmete, die auf Teufel komm’ raus die staatliche Rente zerdeppern wollte, bloß um der vielgepriesenen Generationengerechtigkeit zu ihrem Durchbruch zu verhelfen.

Für Bayersche Beruhigungsmittel würde hier geworben, wenn ich Zustände umschrübe, die bar jede Vernunft zum Himmel schreien, die Mensch gar nicht fassen könnte, weil sie ihm wie Auszüge aus der Hölle schienen; wenn ich darüber sinnierte, wie wir uns ins Unglück manövrieren, so dass nur noch eine Pille der Seligmachung über die dann entstehende Melancholie obsiegte.

Ein Hoch auf Bertelsmanns Verantwortungssinn würde angestimmt, wenn man hier über die Steuerphobie der Superreichen räsonnierte, über deren Ekel vor dem quasi-kommunistischen Finanzamt, welches bewirke, was niemals sein darf: Umverteilen!; ein Hoch auf Mohn fände statt, wenn ich darüber schrübe, wie die Bertelsmann-Stiftung ihre Phobie niedergerungen hat, wie sie nun jeder Erbschaftssteuer trotzt, wenn es sich erstmal ausgemohnt hat.

Allerlei Sportartikelhersteller umwürbe ich, wenn ich über die flinken Kinderfingerchen trauerte, die Lederrauten zu Bällen und Plastikschwarten zu Schuhen verarbeiten; ich würbe für deren soziales Engagement, hierzulande Aktionen gegen Drogen zu starten, Aktionen, die Kinder dem Sport näherbringen sollten, während dortzulande Kinder näher an die Sportartikel selbst gebracht würden.

Träumte ich hier von der Fähigkeit des Menschen, Veränderungen zu erwirken, auch wenn es zunächst einmal unmöglich erschiene, weil Polizeiapparate und Gerichte im Sinne der Konservierer des Unabänderbaren handelten, so würbe ich indirekt für Monsanto und Pioneer, die mit ihrer Gengemüsefabrikation auch Veränderungen erwirkten, die eigentlich unmöglich, die durch die Natur behindert schienen.

Und widmete ich mich denen, die keine Arbeit finden, weil man sie vor ihnen versteckt, so täte ich mich als Werbeträger für Adecco und Konsorten hervor; zeichnete ihr auf Niedriglohn basierendes Sozialengagement mit buntesten Farben.

Oh ja, ad sinistram ist ein hervorragender Partner für solche, die ihre Windigkeit umworben wissen wollen. Ich wäre das demokratisch wirkende Feigenblatt einer pervertierten Unternehmenslandschaft. Einer Unternehmenskultur, die sich wie ein totalitäres Regime auf unser aller Leben niederlegt, Kontrolle und Druck installiert, um uns an deren Allmacht zu ketten. Ich wäre das Feigenblatt, welches im Gewand des Oppositionellen für die Widerlichkeiten der Entrückten würbe; ich legte als Werbeträger ein Deckmäntelchen aus Legitimität über die Schultern der Bloggereinkäufer.

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Zur Freiheit: ein kurzer Einwurf

Mittwoch, 22. April 2009

In seinem heutigen Gastbeitrag behauptet Markus Vollack, dass ein Leben in Freiheit, zunächst soziale Sicherheit voraussetzen würde. Er legt ebenda auch fest, dass es verschiedene Verständnisformen der Freiheit gibt, was sich dieser Tage für immer mehr Menschen im realen Leben niederschlägt. Sie besitzen politische Wahlfreiheit, können sich auf eine freiheitliche Verfassung berufen, die jeden Menschen Gleichheit gewährt, sind aber gleichermaßen finanziell so eng eingezäunt, dass jegliche Freiheit noch in den Maschen des Zaunes erstirbt. Mit den Worten Anatole Frances: „Das Gesetz in seiner erhabenen Gleichheit verbietet es Reichen wie Armen, unter den Brücken zu schlafen, auf den Straßen zu betteln und Brot zu stehlen.“

Der verewigte Kampf ums Dasein (Marcuse) muß überbrückt werden, muß zur Randnotiz der Geschichte degradiert worden sein, um dem Individuum Freiheit zuteil werden zu lassen. Die materielle Absicherung, die Gewissheit niemals am Nötigsten Mangel leiden zu müssen, ebenso die Gewissheit, jederzeit Zugang zu juristischen Instanzen zu haben, erlauben erst menschliche Freiheit. Alle zunächst abstrakten Werte, wie Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, konkretisierte Umsetzungen wie Wahlrecht, Gleichheit von Geschlechtern, sexuelle Emanzipation beispielsweise, sind erst dann wirklich Freiheitsgarantien, wenn zugleich die soziale Sicherheit gewährleistet ist. Diese Einsicht fand einst auch an prominenter Stelle Einzug.

Als Martin Luther King die wesentlichsten Punkte seiner heutigen Prominenz erkämpfte, als er also vorallem für die abstrakte Forderung, seinen schwarzen Mitmenschen möge Gleichheit widerfahren, auf die Straße ging, da hatte er auch im weißen Amerika eine Vielzahl von Anhängern. Selbst im US-amerikanischen Establishment, von jeher eher liberal gesinnt, fand er Befürworter seiner Forderungen, fand er Menschen, die mit ihm marschierten und für Freiheit und Gleichheit des schwarzen Amerika warben. Er wurde prämiert, erhielt Anerkennung aus allen Teilen der Erde, natürlich seinen berühmtgewordenen Nobelpreis. Damit galt sein Projekt in Augen der Öffentlichkeit als erfolgreich beendet. Martin Luther King zweifelte. Er glaubte nicht an ein Ende seines Wirkens, weil die Lebenswirklichkeit seiner schwarzen Landsleute sich unwesentlich gebessert hatte. Sicher, man hatte sie nun als Bürger gleichen Wertes anerkannt, Rassisten wurde es nun schwerer gemacht, ihre Widerlichkeiten auszuleben, die Welt galt als sensibilisiert. Aber irgendwas, so rätselte King, behindere das Aufblühen des schwarzen Amerika immer noch.

Da war natürlich die lange Geschichte der Unterdrückung, die Familiengefüge zerstört hatte, die immer noch auf das Gemüt der Schwarzen drückte und ein besseres Leben nicht aus dem Hemdsärmel schütteln ließ. Aber das alleine war es nicht. King wurde bewußt, dass der Schlüssel zu einem gleichwertigen Leben, zu einem Leben, in denen Schwarze den relativen Reichtum der bessergestellten Weißen genießen konnten, die soziale Frage war. Er erkannte, dass Schwarze zwar nun offiziell gleich waren, aber immer noch in Ghettos gesteckt wurden, in denen die Wohnungen eine Zumutung, Einkaufsmöglichkeiten rar, Arbeitsplätze eine Seltenheit waren. Freiheit, so wurde ihm bewußt, sei an die gesellschaftliche Teilhabe geknüpft; erst wenn man die Schwarzen teilhaben läßt, ihnen staatliche Sozialprogramme, bessere Infrastruktur, lebenswerte Wohngegenden, die nicht separiert werden, zukommen läßt, erst wenn soziale Sicherheiten gewährleistet seien, könnte die auf Märschen geforderte Freiheit Wirklichkeit werden.

Bis hierhin ist das Geschriebene einseitig, könnte jedenfalls als einseitig aufgefaßt werden. Eine Einseitigkeit, die Martin Luther King nicht kannte. Für ihn ging es nicht einzig um Fragen der Schwarzen, sondern um Fragen der Sittlichkeit. Daher ist der kürzlich oft bemühte Ausspruch, Obama sei die Vollendung des Wirken Kings, falsch. Nicht die Hautfarbe sei demnach relevant, sondern das, was der farbenblind betrachtete Mensch umsetzt. Er sah das Problem der fehlenden sozialen Sicherheit, der fehlenden Teilhabe, nicht als ein zu lösendes Problem an, welches nur für Schwarze zu gelten habe, denn viele Weiße, die als Unterschicht galten, würden ebenso von der Umsetzung einer sozialen Sicherheit profitieren, würden damit Gleichheit erleben und Freiheit kennenlernen. King spürte in den letzten Monaten seines Lebens, dass die soziale Sicherheit die Wurzel der Freiheit ist, wollte dies auch in neuen Projekten der Öffentlichkeit nahebringen. Das US-amerikanische Establishment, vorher noch mitmarschierend, konnte sich nun nicht mehr begeistern. Die Freiheit, die King nun vorschwebte, kostete Geld - vormals war es nur ein Ringen um Werte, Benehmen, Sittlichkeit - relativ kostengünstig. Jetzt ging es ans Eingemachte, jetzt könnte King eine soziale Diskussion entfachen, Unruhen heraufbeschwören, die Wurzel packen. Kurz darauf war King tot, erschossen in Memphis.

Man hat den beiden Rivalen, Martin Luther King und Malcolm X, nachgesagt, sie hätten sich an ihren Lebensenden einander angenähert. Malcolm X bemerkte, dass die Bewaffnung und Militanz keine Gleichheit erziele, so wie King dessen einsichtig werden mußte, dass ein friedfertiges Demonstrieren für Werte, ebensowenig Erfolge zeitigen würde. Ob diese These zutrifft, ist wohl nur im Auge des jeweiligen Betrachters beantwortbar. Was aber Martin Luther Kings Einsicht aufzeigt, ist die Tatsache, dass Freiheit in der Bürgergesellschaft gerne als abstrakter Begriff verwendet wird, der kein Geld kosten darf. Wird Freiheit konkret, soll Freiheit dadurch herbeigeführt werden, den Kampf ums Dasein verschwinden zu lassen, so wendet sich die Bürgergesellschaft ab. Eben daher kann es in der bürgerlichen Gesellschaft, der Gesellschaft des Krämerseelentums, niemals eine Freiheit des Individuums geben; eben daher, ist es Gebot des Freiheitsliebenden, andere Wege zu beschreiten, die mittels Parlamentarismus - als Totgeburt der Bürgergesellschaft - niemals auch nur flankiert würden.

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Nomen non est omen

Heute: "Freiheit"

"Individuelle Freiheit kann es nur in einer Marktwirtschaft ohne Sozialstaat geben."
- Milton Friedman, Vordenker des Neoliberalismus, in seinem Buch "Kapitalismus und Freiheit", 1984 -

"Vor diesem Hintergrund können die Leistungen der vergangenen 17 Jahre nicht hoch genug bewertet werden – vor allem die Leistungen der Menschen, die tatkräftig zugepackt und die Chancen der Freiheit genutzt haben."
- CDU-Bundeskanzlerin Angela Merkel im Interview mit der Schweriner Volkszeitung am 2. Oktober 2007-
Die Wissenschaft definiert den Freiheitsbegriff häufig in zwei Unterkategorien: die negative Freiheit als die Freiheit von etwas und die positive Freiheit, als die Freiheit zu etwas. Freiheit von Zwang (negative Freiheit) bzw. die Freiheit zur Entscheidung und ungehemmten Entfaltung der eigenen Person (positive Freiheit) sind die gängigen Definitionen. Untersucht man jedoch den Freiheitsbegriff in der politischen Debatte so wird er fast ausschließlich als rein ökonomische Freiheit definiert.

Der Terminus ist in der Politik seit jeher sehr positiv aufgeladen und besetzt. In der politischen Öffentlichkeit in Deutschland hat der Freiheitsbegriff zunehmend die Bedeutung von bürgerlicher, liberaler Freiheit bekommen. Freiheit heißt in dieser Hinsicht, frei von Regulierungen, frei von Bürokratie und frei von weiteren vermeintlichen Handelsbeschränkungen zu sein.

Die Ermöglichung zu einem Leben in Freiheit, würde zunächst eine soziale Sicherheit voraussetzen. Denn nur das Fundament der sozialen Sicherheit, würde es Menschen ermöglichen, Spielräume die einem die Freiheit gibt, auch zu nutzen. Der liberale Freiheitsbegriff hingegen, welcher ohne jegliche ethische Normen und Werte agiert, kommt dem Gesetz des Dschungels nahe, in dem das Recht des Stärkeren zählt und sonst gar nichts. Das Wörterbuch für Sozialpolitik hält hierzu treffend fest: »Im Neoliberalismus wird ein neuer Subjekttypus geschaffen, der im Herrschaftskonzept Freiheit handelt. Innerhalb des eisernen Käfigs Freiheit stehen den Subjekten alle Handlungsfreiheiten offen, nur die nicht, diesen Käfig zu zerstören«. Freiheit ist die Freiheit sich am Markt verkaufen zu müssen. Die Freiheit als Zwang.

Dies ist ein Gastbeitrag von
Markus Vollack aka Epikur.

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Quo vadis, VdK?

Dienstag, 21. April 2009

Mit einem ganz besonderen Leckerbissen wartet die Mai-Ausgabe der VdK-Zeitung auf. Der VdK-Gemeinde wird ein Abonnement der Frau im Spiegel angeboten - Exklusiv für VdK-Mitglieder!, prangert groß auf der handlichen Heftbeigabe. Sechs Hefte gratis frei Haus, sollte man sich dann nach Erhalt des vierten Heftes für ein Jahresabo entscheiden, sparen VdK-Mitglieder weitere 15 Prozent. Ein wahrer Knüller, wie auch Frau im Spiegel-Chefredakteurin Cieslarczyk der Gemeinde des Sozialverbandes erklärt. "Nutzen Sie die Gelegenheit!"

Nun ist es an sich eh schon fraglich, warum Mitglieder eines Sozialverbandes, der sich selbst auf die Fahnen schrieb, für eine möglichst paritätische Gesellschaft zu streiten, ausgerechnet ein Heftchen abonnieren sollen, welches sich mit - Orginalton Cieslarczyk - "Adel, Showbusiness und Society" auseinandersetzt. Mit jenen Kreisen also, die der paritätischen und sozialen Gesellschaft oft unbewußt, meist aber in eloquenter Masche der Verdummung, diametral entgegengesetzt sind. Es ist geradezu makaber, den VdK mit jenen Titelgeschichten in Verbindung zu bringen, in denen Michael Schumacher, seines Zeichens Steuerflüchtling, ins rechte Licht gerückt wird; in denen der Verband mit solchen Herrschaften zusammengebracht wird, die wenig bis gar nichts von Umverteilung und Sozialstaatlichkeit halten mögen. Und warum der VdK, der sich offiziell um die Lebenswirklichkeit vieler benachteiligter und armer Menschen in diesem Lande kümmert, ausgerechnet mit der Frau im Spiegel-Realität verbandelt werden muß, in der es um Schönheitsoperationen, prominentes Liebesleid, Faltenbekämpfung und allerlei Luxusprobleme mehr geht, erschließt sich dem kritischen Beobachter ebensowenig.

Alleine dies läßt schon Fragen zurück. Warum aber der VdK mit einem Massenblatt in Kooperation geht, welches der Verlagsgruppe von Gruner + Jahr zugehört, jenem Verlagshaus, das Reinhard Mohns Bertelsmann AG zu 74,9 Prozent besitzt, läßt nicht nur Fragen, sondern Ärger zurück. Ausgerechnet der VdK, der sich in den Medien als Streiter für eine bessere Gesellschaft darstellen läßt, wirbt mit seinem Namen für jene Krake, die wie keine andere hierzulande für Meinungsbildung verantwortlich ist; steht damit in direkter Verbindung zur Bertelsmann-Stiftung, die mit Umfragen und scheinbar wissenschaftlich einwandfreien Analysen den politischen Konsens in diesem Lande maßgeblich beeinflusst, d.h. den Konsens damit eigentlich erstickt. Eine vermeintlich demokratische Organisation wie der VdK, verwoben mit dem selbsterklärten Widerstandsverlag Bertelsmann (was der Verlag nie war), gejagt von den Nationalsozialisten, daher als eine Art Musterbeispiel demokratischen Unternehmertums geltend - welch schlechter Witz! Aber ein kalkulierter Witz, denn vor einiger Zeit warb der VdK für die Riester-Rente, der ja auch Bertelsmann nicht abgeneigt war.

Aufklärung in unserer Zeit scheint ein schweres Unterfangen. Sich für das Gute einzusetzen, dabei in Organisationen einzutreten, um mit mehr Schlagkraft gegen den Irrsinn unserer Zeit vorzugehen, wird immer mehr zum Vabanquespiel, weil die Hintergründe immer schleierhafter werden. Man tritt schnell einem Sozialverband bei, will darin wirken, wenigstens kleine Schritte der Veränderung herbeiführen, und erkennt zu spät, dass sich der Sozialverband indirekt (manchmal auch ganz direkt) mit den asozialen Tendenzen unserer Gesellschaft gemein macht. Diese kleinen und großen Paradoxa zu entlarven, immer wieder aufzuzeigen, in welche Richtung auch die vermeintlichen Retter unserer Gesellschaft tendieren, muß Aufgabe derer sein, die sich als Gegenöffentlichkeit (bei allem vagen Verständnis dieses Begriffes) verstehen.

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Steinmeiers Schmalzstullen

Montag, 20. April 2009

Als die Bergarbeiter des Ruhrgebietes in den Jahren 1919 und 1920 selbstständig den Sechsstundentag einführten, ohne auf ihre politische Vertretung im Gewand der deutschen Sozialdemokratie zurückzugreifen, als sie also anarchosyndikalistische Eigeninitiative walten ließen und damit die acción directa jenen spanischen Anarchisten vorweggriff, die erst mehr als ein Jahrzehnt später, in genau dieser Form des self-made, kurzzeitig das bürgerkriegsgeschüttelte Spanien umformten, als seinerzeit also die Bergarbeiter zur Autonomie fanden, da war es eben jene übergangene Sozialdemokratie, die sich an den Kopf der Bewegung setzte, zurückruderte und an die Vernunft des deutschen Arbeiters appellierte. Daran war die SPD ja bereits seit mehreren Monaten gewöhnt, schließlich ließ sie jene anarchistisch anmutende Revolution gnadenlos niederschießen, von der sie mehr als fünfzig Jahre lang im tiefen Schlaf des Parlamentarismus geträumt hatte. Nachdem die Positionen der Bergarbeiter durch die Reaktion, durch monarchistische und teilweise auch schon faschistoide Gruppierungen und Militäreinheiten, und Hand in Hand mit der nun endgültig im Staat angekommenen SPD, geschwächt waren, nahm sich die Sozialdemokratie ihrer verirrten Kinder an und versuchte das Bestmögliche mit den Unternehmern zu vereinbaren. Am Ende rang man den Unternehmern den Siebeneinhalbstundentag ab – und Schmalzstullen für alle!

Die kommunitären Ideen jener Zeit sind heute vergessen; heute wird als Wahrheit verstanden, dass der deutsche Arbeiter bzw. um es moderner auszudrücken: der deutsche Arbeitnehmer, ein vernunftvoller Zeitgenosse sei, ja schon immer gewesen ist. Dass die Sozialdemokratie von Anfang an darauf abzielte, die Arbeiterschaft an einen Staat zu binden, der sie letztlich wie Sklaven behandelte, der ihnen wenig Rechte gab, aber viele Pflichten aufband, sie für ihn bluten ließ, aber selbst dafür wenig Gegenliebe aufwenden konnte; dass die Sozialdemokratie damit jeglichen Syndikalismus an den Staat kettete, im Gegensatz zur ursprünglichen Gewerkschaftsidee des 19. Jahrhunderts, in dem Gewerkschaft und Staat niemals als etwas angesehen wurden, was vereinbar wäre; dass also letztlich die Sozialdemokratie dafür sorgte, einen angepaßten, stillschweigenden, auf Organisationen und Parteien bauenden, ja geradezu einen domestizierten Arbeiternehmer heranzuzüchten, darüber wird heute kaum geredet. Es steht die Mär im Raume, wonach der Deutsche einfach nicht dafür geschaffen sei, sich seiner Machthaber zu entledigen, zu revoltieren und vielleicht sogar zu revolutionieren. Die Bergarbeiterkommunen, die Räterepublik Münchens und einige projektanarchistische Versuche, beispielsweise von Gustav Landauer, sprechen aber eine andere Sprache; selbst der Sozialdemokrat Johann Most, der in den Anfangsjahren der deutschen Sozialdemokratie aktiv war, war sicherlich keiner dieser Lasallianer, sondern anarchistisch angehaucht - und stand damit nicht alleine in seiner Partei. Die Arbeiterschaft war wilder als man heute zugibt; man suggeriert, das Stillhalten sei deutsche Eigenart, um jegliche Form anarchistischer Tendenz, also beispielsweise wilden Streik oder kommunitäre Projekte, moralisch vorzuverurteilen und damit im Ansatz zu ersticken.

Was uns bei der beschwichtigenden SPD von 1920 auffällt ist die Schmalzstullenmentalität. Es gehört seit Anbeginn dieser Partei zu ihrem Bewußtsein, sich sogenannt realpolitisch zu geben, um das Bestmögliche zu erreichen, wie man es Kritikern gerne erläutert. Den Ausspurch Bakunins einmal zur Seite stellend, wonach man das Unmögliche fordern muß, um wenigstens das Mögliche zu erreichen, so darf man dies getrost als sozialdemokratische Selbstbeweihräucherung abtun. Es ging der SPD auch seinerzeit nur um ein dezentes Reformieren der Zustände, niemals um generelles Umdenken – man hatte die Wurzeln der Opposition schnell verlassen, war zwar auch gesetzlich gesehen Opposition, sogar "Untergrund-Opposition" durch Bismarcks Sozialistengesetze – damit haben diese Gesetze die Sozialdemokratie geadelt -, aber grundsätzlich systemkritisch war man nicht. Und nach Aufhebung der Sozialistengesetze wollte man sowieso erst recht beweisen, dass man vollkommen ungerecht sanktioniert wurde, mußte man an Staats- und Kaisertreue nachlegen. Die Schmalzstulle war da hilfreich. Man nahm sich immer wieder der Interessen der eigenen Klientel an, oder spann sich vor schon gemachte Tatsachen, um realpolitisch herumzukaspern – danach kamen nicht selten faule Kompromisse heraus, Rückschritte für die Arbeiterschaft, Auszeichnungen für die SPD. Verantwortungsvoll würde sie die Interessen des Landes vertreten, keinen Utopien nachhängen, die den Untergang des Abendlandes bedeuten würden, hieß es dann belobigend.

Dieses Prinzip, sich der Schmalzstulle zu nähern, gilt heute wie eh und je. Als sich die Opelarbeiter vor einigen Jahren ihr Recht in die eigenen Hände nahmen, wild streikten, auf die sich stillhaltende Gewerkschaft pfiffen, gleichzeitig das Unternehmen vor Polizeieinsätzen zurückschreckte, stattdessen zögerlich und zähneknirschend Gespräche mit den Streikenden in Aussicht stellte, da war es eben jene vorher schweigende, sozialdemokratisch untermauerte Gewerkschaft, die nun das Ruder in die Hand nahm. Plötzlich wollte man den Streik übernehmen, wollte Sprachrohr sein, was bei vielen Arbeitern nicht beliebt war. Später hieß es, dass die IG Metall mit Erpressermethoden die Unterstützung der Belegschaft erwirkt habe, die dazugehörige Abstimmung manipuliert und Kritiker des Saales verwiesen habe. Ehe man sich versah, steuerte die Gewerkschaft den Kahn, verteilte Schmalzstullen und war großer Gewinner der Stunde.

Zwar kein Streik, nicht mal der Hauch einer Massenbewegung findet derzeit statt, aber das Rumoren im Volk ist unüberhörbar, gerade auch in diesem Jahr, in dem Parteien ganz genau hinhören, was Wähler eigentlich wollen. Also schwingt sich die SPD mitsamt ihres Kandidaten Steinmeier auf, präsentiert ein neues, selbsterklärt linkes Wahlprogramm, will Reiche in dezentem Rahmen höher besteuern, einige notwendige „Gerechtigkeiten“ schaffen, um nachher zu verkünden, man habe sich mit dem neuen und alten Koalitionspartner auf einen Kompromiss eingelassen: Schmalzstullen für alle! Oder anders: Wenn man den Spitzensteuersatz doch ein wenig erhöht, dann ist das jene Schmalzstulle, die man damals, als der Spitzensteuersatz von 53 auf 42 Prozent gesenkt wurde, schon geschmiert hat.

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Im gutem Glauben

Samstag, 18. April 2009

Straffreiheit für Folterknechte, weil diese im „gutem Glauben“ genötigt hätten. Weil sie sich auf die Einschätzungen des Justizministeriums, auf die eigene Sache, verlassen haben; weil sie nur gehandelt hätten nach Richtlinien und Maßstäben, die man ihnen als Tatsache des guten Glaubens verabreicht habe. Wenn dann Knochen knacken, wenn Subjekte – man spricht nicht mehr von Menschen, damit machbar wird, was menschlich gar nicht machbar wäre – wimmern, wenn sie jammern und weinen, um Erlösung beten, wenn sich Körper winden unter Stromstössen, wenn Münder wild nach Luft schnappen, nachdem man sie samt Kopf minutenlang unter Wasser drückte, wenn dem Subjekt eine irdische Hölle dargebracht wird, dabei Informationen seitens der Machthaber dieses Vorgehen legitimieren, zur Notwendigkeit im Namen des nationalen Interesses interpretieren, dann handelt man im gutem Glauben, ist kein Henker, kein Täter, sondern Opfer - Glaubensopfer.

Dabei wäre es nur konsequent, denn die Großen läßt man ja sowieso laufen. Warum also nicht auch die Kleinen? Damit wäre der Vorwurf, wonach immer nur die Kleinen bluten müßten, während die Großen davonkämen, vom Tisch – so einfach kann Gerechtigkeit verteilt werden! Dabei ist dieser Ausspruch schwindender Gewaltherrschaften, wonach Kleine gehängt würden, während Große freikämen, nichts weiter als das selbstgefällige Jammern ganzer Bevölkerungen, die alle Schuld den Machthabern zuschieben wollen, um sich selbst einigermaßen unschuldig fühlen zu dürfen. So war es nach 1945, so war es nach dem Mauerfall – KZ-Wärter und Mauerschützen wurden teilweise verurteilt, Nazi-Bonzen und Honecker flüchteten nach Südamerika. Obama schürt also Gerechtigkeit, denn er verurteilt beide nicht, macht Straffreiheit zum großen Gleichmacher, der über jede soziale Grenze hinweg Gewissen reinwäscht. Und bevor man die Foltergesellen, die sich die Hände persönlich blutig gemacht haben, einem Gerichtsverfahren unterzieht, während Bush und Rumsfeld ihre ins Trockene gebrachten Schäfchen zählen, gleicht man die Bedingungen einfach an.

Dabei wäre das Prinzip, auch die kleinen Ganoven, die Helfershelfer, die Mitläufer und ausführenden Kräfte, die nur im gutem Glauben agieren, die Öfen in Auschwitz nur liefen ließen, weil Statuten und Befehle dies vorgaben, eine gebotene Notwendigkeit. Freilich, auch die Granden, die sich das ganze Spiel, die Regeln der Veranstaltung, ersonnen haben, dürfen nicht davonkommen. Aber es gibt keinen Grund, solche, die das Regelwerk erfunden haben, härter zu bestrafen, als diejenigen, die das Regelwerk "lediglich" munter anwandten. Die Idee zu Foltern ist moralisch nicht verwerflicher, als die selbst begangene Folterung am Mitmenschen. Ja, man muß die Kleinen mit aller Härte bestrafen, sie den gleichen Maßstäben unterziehen, denn unter dem Eindruck blutiger Leiber, jammernder Menschen, unerträglich abgehungerter Gestalten, tot herumliegender Kinder, so wie vor geraumer Zeit; und unter dem Eindruck sich erbrechender Menschen, die in arabischer Sprache um Gnade betteln, die Dinge zugeben, von denen sie nicht einmal eine Ahnung hatten, dass es sie gibt, unter der ethischen Bürde einknickender Charaktere, verheulter Gesichter, suizidaler Verhaltensweisen, kann kein guter Glaube entstehen. Wenn Obama diese Floskel benutzt, dann verhübscht er die Tatsache, dass ein solcher Glaube, ein Höllenkult ist; sicherlich eine Form des Glaubens, aber nicht gut. Es ist der Glaube an das Schlechte im Menschen, an das Schlechte das man am Mitmenschen begehen kann, um dessen Schlechtes herauszuquetschen. Dieser „gute Glaube“ ist lediglich der im Militärareal eingegrenzte Kult des Perversen, eine zum Glauben gewordene Gewaltorgie, die das Knochenbrechen als Amen und den von Stromzufuhr zuckenden Körper als Kruzifix begreift. Was die Menschheit nicht vermochte, nämlich ein irdisches Paradies zu erschaffen, erschuf sie im Negativen. Die irdische Hölle, als Ort des guten Glaubens. So einen paradoxen Zustand kann nur das paradoxe Wesen des Menschen hervorrufen. Mit Camus gesagt: „Wir Kinder dieser Jahrhundertmitte brauchen keine anschaulichen Schilderungen, um uns derartige Orte vorstellen zu können. Vor hundertfünfzig Jahren brachten Seen und Wälder das Gemüt zum Schwingen. Heute stimmen Lager und Gefängniszellen uns lyrisch. Ich überlasse die Ausmalung also vertrauensvoll Ihrer Phantasie.“

Die Hölle als Prinzip des Irdischen. Denn mit der Schließung dieses Schattenreiches brechen sicherlich keine paradiesischen Zeiten über uns herein. Die ohne rechtliche Grundlage internierten Muslime kehren in ihre Heimatländer zurück, verbittert über die USA, die foltern ließen, aber auch verbittert über die ganze westliche Welt, die Kriege im Namen der Demokratie mitgetragen hat, die aber demokratische Behandlung für die Internierten nicht zum Gegenstand einer Debatte machen wollte. Und zu allem Überdruss werden die Teufel, die sich frisch ans Blutwerk machten, die ihnen Elektroklammern an Brustwarzen setzten, sie nackt auszogen und demütigten, freigesprochen von aller Schuld, weil sie ja im Sinne des guten Glaubens unschuldig seien. Mancher inhaftierte Taliban, der den Lehren seiner Herren folgte, der womöglich seine Frau kleinhielt und Musik ächtete, war ebenso dem guten Glauben seiner Herrn erlegen. Doch das ist bedeutungslos, er folgte im gutem Glauben dem Falschen – was wir für falsch erachten. Verbittert kehren sie zurück, und Obama sei Dank auch gedemütigt, denn ihr erlittenes Leid ist nicht einmal einer Gerichtsverhandlung wert. Die vielgepriesene Demokratie, die die USA in die Welt bomben wollten, ist nicht einmal dazu in der Lage, die eigenen Quälmeister zu belangen, sie zu verurteilen. Das Leid des Moslems zählt nichts, es ist belanglos, selbst wenn es offensichtlich in einem illegalen Umfeld passiert, selbst wenn fassbares Unrecht waltet, selbst wenn sogar jedem ethisch unbegabten Menschen einleuchtet, dass hier eine ganz große Sauerei begangen wurde. Solche Gestalten straffrei zu belassen, ist ein eindeutiges Zeichen an die muslimische Welt. Was Obama hier betreibt ist die Hölle, denn mit solchen Maßnahmen, nähert man sich dem Islam nicht an, man stößt ihn weg, sorgt für weitere irdische Unterwelten, neue Horrorszenarien, in denen Blut fließt, Körperteile fliegen und Tränen vergossen werden.

Nebenbei gliedern sich diese Knechte der Unmenschlichkeit heimlich, still und leise in die US-amerikanische Gesellschaft ein; seelische Krüppel, die aus gutem Glauben heraus Leid verteilten, ohne auf die Idee zu kommen, dass sie etwas tun, nationale Sicherheit hin oder her, was aus humanistischen Gründen niemals gerechtfertigt sei. Befehl war Befehl, Anordnung war Anordnung. Man habe nur so gehandelt, weil man mußte. Persönlich sehe man das vielleicht anders, aber es gibt Richtlinien. Wo käme man da hin, wenn plötzlich jeder sein Gewissen zum Maßstab erhebt? Den Deutschen muß man solche Ausreden nicht erklären, ältere Jahrgänge haben sich gerne dieser Litanei an Ausflüchten bedient, jüngere Jahrgänge haben diesen amoralischen Quatsch, den zur Ausrede gewordenen Untertanengeist viel zu oft hören müssen. Es hat lange genug gedauert, bis man offen erklären konnte, dass nicht nur die Hitlers und Himmlers schuldig seien, sondern auch die Mayers und Hubers, die uniformiert Befehle umsetzten, die freiwillig kein klar denkender Mensch einem anderen Menschen antun würde. Und solche Gestalten, die sich hinter Uniform und Vorgesetzten verstecken, damit ihre mangelnde charakterliche Erscheinung gar nicht erst sichtbar wird, werden der US-amerikanischen Gesellschaft zugeführt. Während man dort wie hier, Menschen (zu recht) verurteilt, weil sie andere Menschen vergewaltigen oder gewaltsam ausrauben, während man sogar prügelnde Jugendliche strafrechtlich verfolgt, sollen die staatsgelenkten Gewalttäter, die menschliche Wesen mit Gewalt gebrochen und deren Seelen vergewaltigt haben, mit Straffreiheit ausgezeichnet werden. Der staatliche Gewalttäter hat, wie beinahe immer, einen Freifahrtschein. Im Namen der Nation ist Mord kein Mord, Folter keine Folter – im Namen der Nation nennt man es Krieg oder Liquidierung, nennt man es Notwendigkeit aus Gründen der nationalen Sicherheit. Des Staats Euphemismen fördern den guten Glauben, sie lassen es zu, dass Menschen zu Henker werden, Gewalt mit froher Miene austeilen. Solche Henker, die im Sinne des Staates keine Henker sind, sondern dessen Mitarbeiter, treuergebene Angestellte, haben nicht pervers genug gehandelt, um die eigene Bevölkerung vor ihrem entmenschlichten Wesen schützen zu wollen. Was für den Vergewaltiger gilt, gilt nicht für den Henker.

Es mag nur eine Randerscheinung in Obamas Politik sein, eine belanglose Entscheidung, die zunächst niemanden wehtut. Aber betrachtet man diesen realpolitischen Nihilismus der Straffreiheit, wird klar, dass Obama nicht einmal im Ansatz der Heiland ist, zu dem man ihm gemacht hat. Er betreibt das Geschäft staatlicher Dominanz- und Repressionspolitik, wie es sein direkter Vorgänger betriebt. Er betreibt es vielleicht von der anderen Seite, ein wenig gezügelter, mit charmanter Miene – aber er betreibt es. Der Respekt vor der muslimischen Welt bleibt Phrase, weil das Leid der Internierten ihm nicht einmal ein Strafprozess wert ist, weil er Unrecht zum Gleichmacher erklärt, die mandatsträchtigen Erfinder und Befürworter der Folterpolitik ebenso zufrieden läßt, wie diejenigen, die befürwortend mitmachten. Pragmatismus nennt man das, politische Notwendigkeit sei das, dabei ist es nichts anderes als Nihilismus und damit eine Verschlechterung der Weltzustände.

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Versenkt die Selbstinitiative!

Freitag, 17. April 2009

"Unverzüglich [soll] versenkt werden", damit "sich der deutsche Staat [nicht] lächerlich macht" - der deutsche Einsatz am Horn vom Afrika weitet sich zur handfesten Intervention aus, ganz anders, als man Ende letzten Jahres verkündete, als man vom stillen Patrouillieren lesen konnte, vom in die Hose rutschenden Herz der Handelsrebellen, die wir Piraten zu nennen pflegen. Nur Optimisten oder solche, die prinzipiell den Tatsachen nicht ins Auge blicken wollen, konnten damals die hanebüchene Mär der abschreckenden Meerpatrouille glauben; schon damals konnte man wissen, dass es ein Mordsgeschäft werden würde, die deutsche Marine zum Welthandelswächter zu ernennen.

Viel bedeutender indes ist, dass solche Art von Intervention ein neues deutsches Selbstbewußtsein stärken, ein Sendungsbewußtsein zur Schau stellen soll, welches es sich auf die Fahnen geschrieben hat, den herrschenden Welthandel, mit all seinen Ungerechtigkeiten und seinen Ausbeutungsmaximen, zu verteidigen. Deutschland hat wieder etwas zu gelten in der Welt, der "deutsche Staat [soll nicht] lächerlich gemacht" werden. Was sich dann in diversen Artikeln und Berichten zur dortigen Piraterie in den Medien ergießt, was Leser sich an dazugehörigen Kommentaren großmannssüchtig erlauben, wirkt wie eine Aufreihung an historischen Dumpfhaftigkeiten, die wir eigentlich schon lange überwunden glaubten: Es wäre schade, dass man Piraten nicht mehr aufknüpft und wer der Versenkungsstrategie Bedenken entgegensetzt, wäre ein Weichei. Die deutsche Kraftmeierei des Stammtisches, enteilt in realpolitische Gefilde; vom deutschen Tresen, zur Genesung der Welt. Pardon wird nicht gegeben!

Dabei gibt selbst jene Zeitung, die für Meinungsbildung bekannt ist wie keine andere, indirekt zu, dass der vermeintliche Pirat, nichts anderes als ein Küstenwächter sei; erzählt davon, dass ausländische Schiffe die dortige See leergefischt haben und daher Gegenwehr entstand. BILD nennt das "Selbstjustiz", läßt damit dem hierzulande negativ konnotierten Begriff zu seinem Recht kommen. Von Selbstjustiz im Bezug auf solche Menschen zu sprechen, die in einem "Staatswesen" leben, in dem sich der Staat kaum oder gar nicht um ihre Belange kümmert, in dem der dort lebende Mensch nicht Souverän ist, sondern Opfer einer oftmals vom Westen unterstützten Diktatur, ist schon sehr selbstgefällig. So zu tun, als hätte alles andere als die direkte Aktion, etwas Positives für diese Menschen bewirken können, die vom Leerfischen ihrer regionalen Gewässer betroffen sind, zeugt von einem guten Stück Verachtung für die Dritte Welt.

Jene Menschen, die nun sicherlich grob menschenverachtend sogenannte Piraterie betreiben, die sicherlich keine biederen Chorknaben sind, vielleicht auch oft zu Gewalt tendieren, betreiben ein Stück Selbsthilfe, denn Hilfe von der westlichen Welt mit ihrem Drang, Ressourcen bis zur Neige auszuschöpfen, Hilfe von der eigenen Regierung, die ja meist auch noch in der Hand dieser westlichen "Handelspartner" ist, ist kaum zu erwarten. Aber es ist keine Selbstjustiz, wie wir sie verstehen, denn Selbstjustiz setzt voraus, dass es staatliche Institutionen gibt, die das Recht des Einzelnen, zumindest aber die Interessen Einzelner (auch wenn noch kein Recht dazu besteht) wahrnimmt und Schritte zur Behebung oder wenigstens zu einem Kompromiss in die Wege leitet. Wenn man diese staatlichen Bahnen nicht nutzt, stattdessen selbst aktiv wird, dann betreibt man Selbstjustiz - was aber, wenn es keine staatlichen Verfahrenswege gibt? Was, wenn doch vorhandene "Rechtswege" so verkorrumpiert sind, dass sie nur für die Wasserträger der Regimes einigermaßen zugänglich bleiben?

Dann ist die direkte Aktion, das eigene Eingreifen, selbst wenn es mit Gewalt in Verbindung steht, die einzig gangbare Justiz, das einzig verbliebene Mittel. Wie sich die Institutionen der westlichen Welt um die Probleme von Völkern und Bevölkerungsgruppen kümmern, die irgendwo an der Peripherie des westlichen Wohlstandes leben, hat diese Welt schon oft erleben müssen. Die Belange der Palästinenser verhallten ebenso, wie die Not solcher Völker, die durch westliche Ausbeutung aller natürlichen Ressourcen ledig wurden, oder durch diese Ausbeutung um jeden Preis, ein gesellschaftliches Erdbeben erdulden müssen, welches jede Tradition, jede Eigentümlichkeit zerstört. In der Dritten Welt weiß man das mittlerweile auch, zumal man immer wieder Opfer westlicher Waffenlieferanten war; Kriege weniger durch humanitären Einsatz und Friedensbemühungen seitens des Westens gemildert, sondern durch handfeste wirtschaftliche Interessen, durch Profitgier und Expansionsgelüste angefacht wurden.

Die aktuelle Forderung, sogenannte Piratenschiffe schnellstmöglich zu versenken, überhaupt die gesamte Ungeduld, die man gegenüber den afrikanischen Küstenwächtern hegt, gilt weniger dem humanitären Einsatz oder dem Gerechtigkeitssinn, als der Tatsache, dass man es im Westen nicht dulden kann, dass da Menschen ihr Recht selbst in die Hand nehmen, um sich ihr Überleben zu sichern. Wo kämen wir, wo käme unser Gesellschaftsentwurf hin, wenn sich plötzlich Menschen aus der Dritten Welt nicht mehr an jene Spielregeln halten, die wir ihnen vorgegeben haben? Immerhin lassen wir mit uns reden, legen viel Wert auf Diskurs, auch wenn wir dem nichts an Taten folgen lassen. Wer nicht mehr diskutiert, gleich eigene Taten folgen läßt, den will der Westen bestraft wissen, der soll auf dem Meeresgrund schlummern. Der Einsatz gegen Afrikas Handelsrebellen gilt vorallem den Autonomiebestrebungen freiheitlich, antistaatlich wirkender Zeitgenossen, die im libertären Handstreich für ihr eigenes Überleben sorgen, wenn es schon niemand anderes tut. Das tun mit großer Sicherheit viele in hemmungsloser Gewalt (sie entstammen allesamt gewalttätiger Gesellschaften, aus diktatorisch-faschistischen Staaten), aber andere werden sich nur das holen, was ihnen zusteht. Wer diese Form der Piraterie beseitigen will, der müßte eigentlich zunächst die Armut beseitigen, muß sich von den korrupten Regimes der Dritten Welt abwenden, Profitsucht überwinden, wirkliche Partnerschaften mit afrikanischen Ländern anstreben. Stattdessen soll beispielsweise der Lissaboner Vertrag jedes Mitgliedsland ächten, welches Verhandlungen mit Ländern führt, die Schutzzölle zum Erhalt des eigenen Marktes erheben - statt Partnerschaft auf Augenhöhe, Vordiktieren der Spielregeln.

Schnell versenken, heißt es da, bevor die Selbstinitiative gegen das westliche Weltregime Schule macht, bevor auch in anderen Weltregionen unterdrückte Menschen aufstehen, um sich das zu holen, was man ihnen friedlich nicht geben wollte.

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Sit venia verbo

"Eine zukünftige Gesellschaft muss die Idee des Entlohnens der Arbeit aufgeben. Es bleibt nur eines: Die Bedürfnisse über die Leistungen zu stellen."
- Peter Kropotkin -

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Die Freiheit zu Pressen

Donnerstag, 16. April 2009

Ein ausgewiesener Freund der Pressefreiheit, Kai Diekmann, entrüstet sich nun darüber, dass zum Fall Benaissa keine Berichterstattung stattfinden soll. Ausgerechnet dieser Parteigänger der entfesselten Pressefreiheit, der keine Scheu zeigt, Bilder und Namen getöteter Kinder in seiner Zeitung abzudrucken, macht sich dafür stark, dass Pressefreiheit auch in jenem aktuellen Fall stattfinden solle. Pressefreiheit nennt er es zwar, meint damit aber natürlich die Möglichkeit seiner Zeitung, möglichst skandalträchtige Geschichten feilzubieten, die weder Rücksicht auf persönliche Interessen noch auf Wahrheit nähmen. Es ist die springerspezifische Variante der Pressefreiheit, die Diekmann da vertritt, nämlich jene Freiheit der Presse, die nichts anderes darstellt, als die Freiheit Springers, Meinung in die Köpfe zu pressen - nicht irgendeine Meinung, sondern die Meinung der potenten Herrschaften hinter den Fassaden des Springerimperiums.

Es sind die Worte eines Schmierfinks, der sich ansonsten kaum um die von ihm gelobte und gefeierte Pressefreiheit kümmert, der zuläßt, dass seine Zeitung willkürlich und in abscheulicher Regelmäßigkeit, gegen Pressekodizes verstößt. Würde George W. Bush heute für Gandhis Satyagraha werben, so wäre dies nicht minder unglaubwürdig, wäre in gleicher Weise geheuchelt, wie Diekmanns Einsatz für die Pressefreiheit - für das, was er als Pressefreiheit versteht. Mit Rücksicht auf die Formen der Berichterstattung, wie sie uns seit Jahren und Jahrzehnten bekannt ist, mit all ihrer Skandalumwitterung, Sensationsgier und ihrem moralischen Vorverurteilen, nicht nur von der BILD so praktiziert, aber eben vorallem von der BILD, kann man den richterlichen Einspruch begreifen; mit Blick in die derzeitige Reaktion der Medien, wie sie HIV-Infizierte ruchbar macht, beinahe wie Aussätzige behandelt, wird ein Verbot der Berichterstattung geradezu attraktiv.

Wie gefährlich HIV sei, muß man allerorten lesen und hören. Dabei meint man aber wohl eher: Wie gefährlich sind HIV-Infizierte? Dass jemand, der wissentlich eine Ansteckung in Kauf nahm, selbstverständlich juristische Konsequenzen zu tragen habe, versteht sich auf Anhieb von selbst; dass man aber seine derzeitige Haft als selbstverständlich hinnimmt, mit dem Argument, er - der Jemand - würde ansonsten sofort mit dem Nächstbesten ins Bett gehen und weitere Ansteckungen in die Wege leiten, zeugt vom Intellekt der hiesigen Medienlandschaft. Die obskure Verhütungsmethode der Staatsanwaltschaft trifft auf Gegenliebe, wird relativ unkritisch aufgenommen, handelt es sich ja nur um einen HIV-Infizierten, den man sowieso irgendwie auf Abstand halten muß. Man möchte gar nicht wissen, wieviele der Berichterstatter ein generelles Internierungsgesetz für Kranke favorisieren würden. Bei Jauch wurde eine uralte Geschichte herausgekramt, bei der ein Ehemann seine Ehefrau wissentlich infizierte - paßt gerade gut ins Konzept: der böswillige HIVler, immer und überall will er die Welt infizieren, sie für seine Krankheit bestrafen - das ist die Quintessenz dieses Berichtens, ausgerichtet einzig und alleine am Unterhaltungswert. Das ist die verantwortungsvolle Berichterstattung der Medien. Nebenbei wird Benaissas Privatleben in die Öffentlichkeit gezerrt, ihre Krankenakte, die nur Ärzte und später Richter etwas angeht, nicht aber die deutsche Öffentlichkeit. Das komplette Blanklegen desjenigen, über den berichtet wird, ist die diekmannsche Pressefreiheit.

Pressefreiheit wäre freilich ein hohes Gut. Aber dazu bedarf es moralisch einwandfreier Charaktere, keiner windigen Gestalten wie Diekmann, die sich Pressefreiheit so zurechtlegen, wie es ihnen am dienlichsten, d.h. am profitabelsten ist. Im Grunde sollte es für eine derart verantwortungsvolle Position, eine Art Führerschein, eine Lizenz geben, die die charakterlichen Eigenschaften des Prüflings erfaßt. Über die dann festgehaltenen charakterlichen Mängel des Diekmann, ließe sich zudem trefflich skandalumwittert berichten - Pressefreiheit ganz in seinem Sinne! Aber machen wir uns nichts vor, diejenigen, die Interesse an dieser Form der Berichterstattung haben, weil sie ihnen zupass kommt, Massen ablenkt und nebenbei ihre Machenschaften deckt, haben kein Interesse an charakterlich Einwandfreien. Solche könnten wirklichen Journalismus betreiben wollen, ein Interesse daran finden, die Schweinerei höherer Kreise bloßzulegen. Dann lieber Diekmanns, die einen ganz besonderen Stil von Pressefreiheit frönen, der zwar wenig mit Presse und noch weniger mit Freiheit zu tun hat, aber wenigstens die Massen kleinpresst und den Oberen alle Freiheit beläßt.

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Was ihr dem Geringsten meiner Brüder...

Mittwoch, 15. April 2009

Wo den gesellschaftlich Ausgestoßenen geschmäht wird, da wird auch mir geschmäht.
Wo des Ruheständlers Lebensberechtigung angezweifelt, sein Alter als Bürde für die Gemeinschaft verunglimpft wird, da entzieht man auch mir die Lebensberechtigung und macht mich zur Bürde.
Müssen Kinder mit gesellschaftlichem Segen in Armut ausharren, so wandle ich zum harrendem Kinde.
Raubt man Kranken in finanziellen Zwängen die Therapie, die Hoffnung, die Schmerzfreiheit, so wirft man mich ebenso in Schmerzen, nimmt mir ebenso Hoffnung.
Leidet der Wanderarbeiter an Ruhe- und Heimatlosigkeit, sieht seine Zukunft als schwarzes Loch, so ist auch meine Zukunft löchrig und schwarz, so hemmen auch mich fehlende Ruhe und verlorengegangene Heimat.
Spottet man Behinderter, grenzt sie aus, sieht sie als humane Mangelerscheinungen, möchte auch ich ausgegrenzt, verspottet und als Mangelerscheinung verschrien werden.
Benachteiligt man Schwule, reimt man ihre sexuelle Emanzipation zu Spöttelversen, so stiehlt man auch mir die sexuelle Emanzipation, so macht man auch mich schwul.
Beseitigt man Obdachlose, um das Stadtbild zu säubern, säubert man dieses städtische Bild auch von mir, werde ich zum Obdachlosen.
Verfolgt man Menschen ob ihrer Hautfarbe, ihrer Religion, ihrer politischen Gesinnung, so verfolgt man auch mich, tastet meine Hautfarbe, meine fehlende Religion, meine politische Gesinnung an.
Sperrt man Andersdenkende weg, so bestehe ich darauf, auch selbst weggesperrt zu werden.
Fällt man in Landstriche ein, mordet und brandschatzt, vergewaltigt und foltert, ermordet man auch mich, brandschatzt an meiner Würde, vergewaltigt man meine Ethik, foltert man meine pazifistische Haltung.
Unterdrückt man Meinung, unterdrückt man meine Meinung; unterdrückt man Persönlichkeitsrechte, unterdrückt man meine Persönlichkeitsrechte; unterdrückt man Freiheit, unterdrückt man meine Freiheit.
Interniert man Flüchtlinge auf australischen Inseln, sperrt sie jahrelang hinter Zäune, so interniert man mich, sperrt meinen Gerechtigkeitssinn hinter Zäune.
Ich werde zum Juden, wo man Juden als Übel beleidigt; ich werde zum Schwarzen, wo man Schwarze als faule Nichtsnutze entwürdigt; ich werde zum Indio, wo man Indios aus ihren Dörfern jagt, sie interniert oder vergiftet.

Was man dem Geringsten meiner Mitmenschen antut, das tut man auch mir an. Was an Unrecht und Ungerechtigkeit in der Welt steht, steht auch in meinen Räumen. Nichts geschieht auf der Erde, was nicht auch mich betrifft. Was mich immer betrifft. Wenn sie heute das Gesindel einsperren, ich dabei schweigend, wenn sie morgen die Alten in Kollektivheime stecken, ich dabei schweigend, wenn sie übermorgen ganze soziale Schichten in Wohngegenden pferchen, ich dabei schweigend, wer soll dann sein Schweigen brechen, wer wäre dann noch da, der sein Schweigen brechen könnte, wenn sie mich holen? Jede begangene Untat, jede von Staaten, Industrien, Ideologien, Parteien, Organisationen willkürlich in Kauf genommene oder mit Kaltschnäuzigkeit begangene Untat, ist eine Untat an mir.

Die Welt im Kleinen, vor der eigenen Haustüre zu ändern, damit sie auch vor anderen Haustüren, vor Hütteneingängen, vor Iglupforten, unter Palmenblättern verändert wird, ist ein Ansatz. Das oft gehörte, immer wieder von der Bürgerlichkeit als Praxis der direkten Tat postulierte Reduzieren auf ein "bloß vor der Haustüre ändern", damit eine unsichtbare Hand auch fern unserer zur Hölle werdenden Heimat Änderungen vollziehen würde, greift zu kurz. Den Blick für das Ganze nie verlieren, es persönlich nehmen, wenn Freiheit am anderen Ende der Welt mit Stiefelspitzen getreten wird, solidarisch sein, wenn nicht physisch, so doch psychisch! Wo man dem Geringsten meiner Mitmenschen Unrecht antut, und sei er Mörder, sei er Verbrecher, dem die Vertreter eines Rechtsstaates dennoch Unrecht widerfahren lassen, da tut man mir Unrecht an. Eine Gesellschaft der Zukunft muß begreifen, dass der Flügelschlag eines Schmetterlings Orkane auslösen kann; muß aber auch begreifen, dass Gewalt am anderen Ende der Welt, ebenso Orkane im eigenen Umfeld entstehen lassen kann.

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Facie prima

Samstag, 11. April 2009

Heute: Der Gescheiterte, Jürgen Klinsmann


Aus aktuellem Anlass bietet sich an, sich der bildlichen Darstellung des derzeitigen Bayern-Trainers zu widmen, der vielleicht in einigen Stunden schon nicht mehr Trainer des Münchner Nobelvereins sein wird. Wenn er gegebenenfalls sein Amt verliert, wenn sein Scheitern offenbar wird, so haben die Mengen an Bildern, mit denen Artikel zu seiner Person unterlegt wurden, das Gescheiterte schon vorab erfasst und sichtbar gemacht. Der lächelnde Schwabe, Strahlemann und Motivationsmeister ist nicht mehr - jedenfalls nicht mehr in den berichterstattenden Medien. Uns blickt eine besorgte Miene entgegen, hängende Mundwinkel, mit gelegentlich vorgeschobener Zunge, ernst dreinblickend, ausgelaugt und resigniert wirkend. Der Klinsmann von heute wird nicht mehr wie der Klinsmann vom Amtsantritt dargestellt. Dem Betrachter wird glaubhaft, schon bevor er den dazugehörigen Artikel liest, dass der amtierende Trainer ausgedient hat, in dieser Verfassung keine paar Wochen mehr durchhält.

Er steht alleine auf weiter Flur. Doch dies beschreibt uns kein Text, keine journalistische Leistung, keine Buchstaben, sondern wird uns von einem Bild mitgeteilt. Klinsmann vereinsamt, steht am Rande, fernab von Mannschaft und Management. Zwar sitzen Hoeneß und Ersatzspieler nur einige Meter hinter ihm, aber sie sind abgeschnitten, unsichtbar gemacht worden. Der an den Rand gedrängte stiert in die Ferne, wirkt illusionslos, signalisiert mit verschränkten Armen Verspannung. Fast möchte man glauben, er habe die innerliche Kündigung schon vollzogen, er sinniere darüber, wie er schnellstens aus München verschwinden, wer seinen Schreibtisch für ihn ausräumen könne. Der einst strahlende Sunnyboy, der gutgelaunt durch die Flure des Vereinsheims lustwandelte, ist zum Verlierer, zum Gescheiterten stilisiert. Er wirkt fehl am Platz, im Abseits stehend, alleingelassen, unverstanden.

Flankiert wird das bildlich erfaßte Scheitern des Jürgen Klinsmann von den verkniffenen Mienen der Bayern-Granden, die zwar immer noch Treue zum Trainer verkünden, aber scheinbar ins Gesicht gemeißelt stehen haben, dass dem nicht mehr so ist. Zweierlei kann der verkniffene Mund bedeuten: Unzufriedenheit oder Entschlußkraft. Hier deutet sich der entschlussfreudige Macher an, der bereits einen Nachfolger im Kopf hat, zumindest aber dem derzeitigen Trainer die Koffer packen will. Während Klinsmann alleine am Bildrand steht, dabei ausgelutscht und ohne Zukunftsträume wirkt, zeigen uns die Medien Fotos von verkniffenen Bayern-Machern, die in ihrer Hilflosigkeit entschlußbereit wirken und damit Klinsmanns Abgang vorbereiten. Schadenfroh nimmt sich die Berichterstattung dieser vorab suggerierten Ereignisse an. Später wird es heißen, dass in den Mundfalten des Hoeneß Klinsmanns Entlassung - ob nun in ein paar Stunden oder am Saisonende - bereits vergraben lag.

Natürlich trifft alles zu, Klinsmann hat wahrscheinlich ausgedient. Der FC Bayern läßt sich an Erfolgen messen, ist dem vollkommenen Leistungsgedanken verfallen, der sich nicht an schönen Spielzügen, sondern an Titeln begutachten läßt. Schöne Spielzüge gibt es derzeit zudem sowieso nicht. Aber selten bekommt man in aller Deutlichkeit zu sehen, wie die Medien tendenzielle Bilder anbieten, die das - in diesem Falle - sowieso schon Gewusste nochmals optisch unterstützen. Man muß die schadenfrohen Berichte gar nicht mehr lesen, ein Blick auf die gezeigten Fotos und man weiß, was der Inhalt des Textes ist. Klinsmann ist gescheitert, keine Frage - aber der Trauerklos am Rande, der kein Lächeln mehr kennt, wird er auch dieser Tage nicht sein, selbst wenn wir ihn in den Zeitungen schon seit Wochen nicht mehr lächeln sehen.

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Versuchung sich in dritter Person zu verkappen

Freitag, 10. April 2009

Er macht einen kümmerlichen Eindruck, wirkt wenig bedrohlich, nicht wie eine jener Bestien, die ihre sexuelle Notdurft an Wehrlosen auszuleben versucht sind. Doch aller gedachten Harmlosigkeit zum Trotz, die jämmerliche Gestalt sitzt mit Begründung auf der Anklagebank. Sexueller Missbrauch Minderjähriger lautet die Anklage, die er auch nicht leugnet. Wer er ist, woher er kommt, ist während der Verhandlung zu vernehmen. Erschütterndes kommt zu Tage, ruinöse Verhältnisse, schwere familiäre Situation, er selbst ist ja noch Jugendlicher unter der Obhut seiner Mutter. Während der Verhandlung ergießen sich bei ihm Tränen, er ist reuig, entschuldigt sich, wie auch seine Mutter es tut.

Pornofilme seien ihm nicht fremd, obwohl er noch keine Siebzehn ist. Nichts rechtfertigt, was er nicht einmal ein Jahr zuvor geschehen ließ, mit welcher Frechheit er ein junges Mädchen zu sexuellen Handlungen drängte. Aber wer er ist, woher er kommt, macht allemal das Geschehene erklärbar. Vergessen wir nicht, junge Menschen wachsen in einer durch und durch sexualisierten Welt auf, bekommen medial verabreicht, dass gerade jene Typen etwas zählen, die möglichst viele Frauen flachlegen, dass es eben solche Typen seien, die es auch im Leben „zu etwas bringen“. Straffe Brüste, heißer Hintern, formschöne Gesichtskonturen – all das kann man sich modellieren lassen, all das ist begehrt und findet operativ-rege Nachfrage. Der Markt der Sexualität ist einer der Ellenbogen, man preist sich an, will und muß glänzen, bietet seinen Körper feil, zeigt seine Vorzüge, deutet die Masse in der Hose oder in der Bluse an. Wer da hinterherhinkt, wer Mängel hat, der bleibt Außenseiter - ein aufgegeilter Außenseiter, jemand, der seine geschürte Lust mit der üblichen Methode des Vereinsamten befriedigen muß, bis es ihm vor der eigenen Hand ekelt und er einen Mitmenschen an sich fummeln fühlen will. Nicht umsonst spricht Michel Houellebecq davon, dass das Ringen um Sex, als „Ausweitung der Kampfzone“ zu verstehen ist, als Ausweitung des kapitalistischen Prinzips, des Irrglaubens, dass Angebot und Nachfrage in Beziehung zueinander stünden, und demnach ein windiges Angebot keine Nachfrage erzeugen würde.

Ein solches Angebot, eines dieser angeblich schlechten Angebote, hypersexualisiert von der Gesellschaft, sitzt also auf der Anklagebank. Ein mit Pickeln bestraftes Gesicht, dick und rund und damit passend zum ganzen Leib, passend zur gesamten Physiognomie. Kein Monstrum, denn üblicherweise sitzen hierzulande Menschen vor Gericht, und nicht monströse Auswüchse. Nein, ein pubertierender junger Mann, fürwahr keine passable Erscheinung, aber keiner, dem das Böse buchstäblich ins Gesicht geschrieben stünde. Und die im Prozess rinnenden Tränen machen ihn nicht unbedingt attraktiver. Da sitzt dieser Kerl also, der einer ganzen Familie Leid antat, der vielleicht unbedacht, vielleicht auch kalkuliert – wer weiß das schon? – seinen Notstand auf Kosten einer Minderjährigen beseitigt wissen wollte. Der im letzten Sommer, da der ganze Kontinent in Fahnenmeeren und Hupkonzerten stumpfen Chauvinismus praktizierte, gen Alpenländer blickte, um dem emotionalisierten Kommerz zu frönen, der also im letzten Sommer Unglück über eine Familie brachte, welches aber erst im Winter, kurz vor den Weihnachtstagen zum Ausbruch kam. Denn erst da, Wochen und Monate danach, wie aus dem Nichts, erzählte das Töchterlein vom Geschehen, erzählte es prompt nochmals den herbeieilenden Polizisten.

Sexueller Missbrauch: ein Wort aus den Medien, mit einem Schlag teleportiert in die Realität dieser Familie. Ein Missbrauch, der dankbarerweise nicht zur äußersten Handlung führte, keine Gewalt kannte, der physischen Druck ausklammerte, gleichwohl er psychischen Druck erzeugte. Und wie es in vielen Fällen üblich ist, war der Täter nicht gänzlich unbekannt, und ebenso üblich: das geschundene Kind erzählt davon erst später, will es sich von der Seele reden, obwohl es ihm nur schwer begreifbar ist, was genau da eigentlich passierte. Zur Sache selbst, zum Umstand des Unglücks, das mit einiger Verspätung, aber deswegen nicht frei von Tränen eintraf, soll aus Rücksichtnahme vor Mutter und Vater, natürlich auch aus Rücksichtnahme vom Opfer selbst, nichts mehr erwähnt werden. Es soll nicht künstlich aufgewärmt werden, was Narben hinterlassen hat.

Da sitzt er also, der geile Jüngling, der an einer Wehrlosen umsetzte, was ihn der Alltag immer wieder unterbreitet, was wie ein roter Faden durch alle Bereiche des Lebens führt. So gesehen ist auch er, so stellen es die Eltern in ihrem Unglück ausdrücklich fest, in gewisser Weise Opfer geworden, Opfer einer Gesellschaft, die ihm lehrte, dass im hemmungslosen Sex, im sexualisierten Alltag, das Heil zu suchen und natürlich auch zu finden sei. Selbst billigste Krimireihen im Vorabendprogramm kennen nurmehr ein Motiv: den Sex; und bei der Gerichtssoap am Nachmittag wird im Minirock erklärt, dass das Gesicht der Ex-Freundin nur deshalb zerschnitten wurde, weil sie einen tolleren Hecht in ihr Bett ließ. Was müssen junge Menschen denken, wenn man ihnen so eine Welt vorgaukelt, in der jeder fickt, bläst und leckt, nur selbst ist man ausgeschlossen, findet kaum sexuellen Anschluss?

Ja, er ist Opfer, zweifelsohne aber ein Opfer, welches zum Täter wurde. Nichts rechtfertigt seine Untat. Seinen eigenen scheinbaren Mangel an Wehrlosen auszuleben, kann nicht plump mit der Gesellschaft entschuldigt werden, aber es macht die Misere erklärbar. Wir bestrafen viele junge Menschen, die sich solcher oder ähnlicher Vergehen schuldig machen, dabei sollten wir bestimmte gesellschaftliche Tendenzen bestrafen, beispielsweise das durchs Mark gehende, krank- und zwanghafte sexualisierte Weltbild unserer Medien in Haft nehmen, ja vielleicht sogar in diesem einen Falle gar die Todesstrafe anwenden. Solcherlei Fälle, so wird die im Gericht anwesende Angestellte des Jugendamtes später sagen, würden immer häufiger Deutschlands Jugendgerichte beschäftigen. Durch und durch sexualisierte Jugendliche, gemacht von einer Gesellschaft, die den Sex als Sensation anpreist, als eine Art Statussymbol, als Kennzeichen für den Wert des Körpers, sitzen immer häufiger vor Gericht. Andere junge Menschen bezahlen einen anderen, privateren Preis dafür, bauen Psychosen auf, soziale Inkompetenz, lernen ihren vielleicht etwas zu dicken Körper hassen, geben sich der Bulimie hin, lernen nicht zu lieben, sondern zu gebrauchen.

Opfer und Täter - wer stellt was dar? So einfach scheinen die Pole kaum mehr verteilbar.

„Lockend bleibt die Versuchung, sich in dritter Person zu verkappen“, schreibt Günter Grass in seinen Erinnerungen. Und dieser Verlockung wurde an dieser Stelle erlegen. Diese verkappte Fremdheit wurde bewahrt, um das zu Sagende sagbar zu machen. Denn trotz aller Erkenntnis, aller Milde im Hinblick auf das zum Täter gewordene Opfer, es brennt auf der Seele, rumort innerlich, läßt die Milde zum eigentlichen Frevel werden, weil Eltern, so gibt es uns der Konsens in dieser Gesellschaft zu verstehen, keinerlei Verständnis, keinen Hang zum Begreifenwollen, in dieser Frage haben sollten. Sie sollen Individuen verurteilen, damit der Markt, der Markt der Sexualität, weiterhin sein arschwackelndes Geschäft betreiben kann. Oberste Pflicht ist das Verdammen oder verbale Aufmarschieren mit Fackeln und Parolen, die aus dem Täter ein Tier, aus dem Menschen ein zu beseitigendes Übel, das inkarnierte Böse machen sollen. Es ist nicht nur lockend, es ist in manchen Fragen, wenn Vater und Mutter nicht auf unverständige Blicke stoßen wollen, existenziell notwendig...

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Das widerlegte Pin-up-Girl

Mittwoch, 8. April 2009

Sie war einst der laszive Traum jenes Teiles der Männerwelt, der liiert war, sich eine kleine Familie erträumte und keinen Mut fassen wollte, sich diesen romantischen Traum auch zu verwirklichen. In Spinten hing ihr Bild, beinahe erotisch lächelte Deutschlands berühmtestes Pin-up von heimlich angebrachten, in stillen Ecken und Winkeln angeklebten Postern, schlüpfrig war ihr familiärer Begehr von ihren lächelndem Mund herablesbar. Selbst die Frauen dieses Landes ereiferten sich an diesen Plakaten, fühlten ein Zucken im Unterleib, spießten das obszöne Konterfei in den Make-up-Koffer, um der schnellen Lust den richtigen Antrieb zu geben. Weil sie war, weil sie wirkte, weil ihre Visionen politischer Gegenstand wurden, wollten Deutschlands Paare auch wieder mehr Kinder. Zumindest laut ihrer eigenen Aussage.

Sie betreibe eine Politik, so hieß es kürzlich noch, die Familien wieder überlebensfähig, die wieder Mut mache, eine Familie zu gründen. Durch sie wurde die Libido angeheizt, die evolutionäre Libido, die nicht nur des Spaß’ an der Freud wegen zu ihrem Recht kommen möchte, sondern weil aus dem Spaß auch schreiendes und zahnendes Glück werden sollte. Vorallem männliche Beziehungspartner erregten sich an der forschen Ursula, an ihrem geschmeidigen Auftreten, am rhythmisch-rhetorischen Beckenkreisen. Sie war das Pin-up-Girl jener Stunden. Nun jedoch ist sie entzaubert, nicht mehr im Trend, abgelöst worden von der Realität.

Und diese besagt, dass die verpartnerte Männerwelt, und die Frauenwelt ebenso, kein Mehr an Nachwuchs fabriziert habe. Das kuschelige Zusammensein wurde eben nicht, wie es der Mutter der Nation vorschwebte, dazu genutzt, Deutschland neue Söhne und Töchter zu schenken, sondern blieb im wahrsten Sinne des Wortes fruchtlos, ja noch fruchtloser als noch zuvor. Hat die träumerische Ursula etwa nicht derart die Partnerschaften angeheizt, wie sie es selbst von sich annahm? Hängen ihre Poster etwa nicht mehr versteckt in Spints und Puderdöschen? Stachelte sie etwa die Diskussionen um Pille und Verhütung - ja oder nein? - oder innerhalb oder außerhalb weiblicher Rundungen zu ejakulieren - ja oder nein? – doch nicht an?

Ja, wird mancher sagen, was soll denn das? Was hat denn die ganze Diskussion um von der Leyens Selbstinszenierung mit dem Kopulations- und Penetrationsverhalten der Menschen zu tun? Aber genau besehen, muß es sich doch nur darum drehen. Denn von der Leyen feierte sich vor einigen Wochen selbst, hat eine steigende Geburtenzahl errechnen lassen und diese durch ihre familienfreundliche Politik legitimiert gesehen. Weil sie sei, würde wieder mehrfach befruchtet – Ursula als Stimulanz, denn Substanz hatten ihre Aussagen keine. Dass sie aber nun, anhand neuester Zahlen, als Aphrodisiakum versagt habe, überrascht sie, wie sie selbst in dezenteren Worten zugibt. Sie zieht eine lange Miene und meint, niemand habe den Einbruch vorhersehen können. Den vermeintlichen Anstieg aber schon, oder wie darf man das verstehen?

Stände die Dame mit beiden Beinen auf dem Boden der Tatsachen, würde sie einmal vom Olymp ihrer Herkunft und ihres sozialen Standes herabsteigen, das dazu überall präsente christliche Sendungsbewußtsein zur Seite packen, also objektiv an die Sache herangehen, wie man so schön sagt, dann hätte sie gar nicht überrascht sein, gar nicht verwundert sein dürfen, ob ihres verlustig gegangenen Status als Zeugungsinspiration. Denn seit Jahren schon stagnieren die Löhne, schrumpfen sie sogar; immer mehr Menschen arbeiten im Niederiglohnbereich; allüberall drohende Arbeitslosigkeit, die Aussichten auf Einzug in die Armenverwaltung Marke SGB II freilegt, lähmt die Menschen; Betreuungsangebote sind rar, so rar wie die Zeit arbeitender Eltern für ihren Nachwuchs; temporäre Arbeitsverhältnisse sind in Mode, der Minijob-Bereich expandiert, Ein-Euro-Arbeitsgelegenheiten pfuschen in den freien Markt, werden zur unschlagbaren Billigkonkurrenz. Es gäbe sicherlich noch mehr solcher Faktoren, die es Menschen leicht machen, sich eben nicht für Kinder zu entscheiden.

Doch Madame ist überrascht, steht scheinbar belämmert am Rande, kann sich gar nicht erklären, warum in Deutschlands Schlafzimmer Spermavergeudung praktiziert wird. Sie habe doch alles dafür getan, den Herren das ungeschützte Penetrieren, den Damen unverhütetes Eindringen schmackhaft zu machen. Wenn nicht sie, wenn nicht ihre Politik, ihre konkreten Maßnahmen, wer oder was soll dann Deutschlands Erektionsfaktor schlechthin, heiße Phantasie noch heißerer Nächte sein? Für die Fruchtbarkeitsgöttin der Union sind oben gelistete Faktoren, so muß man annehmen, belanglos. Sie glaubt, ein wenig Makulatur, Reformen zugunsten Besserverdienender, wie das famose Elterngeld, und aus den Lenden würden die lebensspendenden Körpersekrete nur so strömen. Ein wenig Optimismus, rhetorische Salti, Übermutter-Image und allerlei viertklassige Reformen genügten, so nahm sie an, um Deutschlands Zeugungsmentalität auf Vordermann zu bringen. Das ist das anspruchslose Denken der Ursula von der Leyen in nuce.

Wenn Menschen sich überhaupt noch für Kinder entscheiden wollten, wenn sie in dieser Welt, die Karriere und Egozentrik als Lebensentwurf an jeder Ecke, in jedem Kanal, in jeder Diskussion anpreist, wirklich einmal dieser Logik entfliehen wollen, um sich Kinder „anzuschaffen“, dann bedarf es freilich mehr als fader Selbstdarstellungen einer in die Jahre gekommenen Übermutter, die womöglich ihr Erziehungsdefizit, das ihr von Kindermädchen und anderem Personal beschert wurde, im öffentlichem Amte gesundtherapieren will. Der allgemeine Leistungsdruck, die hemmungslose Gier nach Profit, das Einteilen der Welt in strikte Kosten- und Nutzenanalysen (wie man ja auch Erziehungs- und Bildungsangebote strikt danach kategorisiert) – da wäre anzusetzen. Mit kleinen Reförmchen, die sowieso nur tauglich für wenige sind, kann man Menschen nicht zur Fortpflanzung animieren. Sicherheiten wollen sie, Gewissheit in Zukunftsfragen. Und man muß aufhören, dem Karrierismus nach dem Munde zu reden, Familie nur als Anhängsel an Beruf zu proklamieren, als etwas, was umsetzbar sein sollte, wenn es sich mit der Egozentrik vereinbaren ließe. Kurzum: Verantwortung müßte wieder ein Gut werden, das man in dieser Gesellschaft bewußt vorlebt.

Für das verlorengegangene Pin-up sind all das keine Maßstäbe, sie glaubt ihre bloße Präsenz, einige marktschreierisch kundgetane Reförmchen würden ausreichen, die Libido um des Faktors der Fortpflanzung anzureichern. Das Bild der engagierten Familienministerin soll Lust wecken, Lust auf die schönste Sache der Welt, gepaart mit dem Mut, die Konsequenzen daraus, in den Schlaf zu singen. Für sie ist die Frage ob Kinder oder nicht, nur eine Frage des Wollens, keine sozio-ökonomische Fessel. Gehet also hin und vermehret euch, dem personifizierten Phallussymbol der deutschen Familienpolitik zuliebe.

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Nomen non est omen

Heute: "Staatsverschuldung"

"In verbindlichen Absprachen müssen auf allen Ebenen, Bund, Ländern und Kommunen, ausgeglichene Haushalte erreicht werden, damit die Staatsverschuldung über die Jahre dauerhaft und deutlich gesenkt werden kann."
- Andre Stolz, stellvertretender Vorsitzender der Jungen Union am 29. März 2006 in einer Pressemitteilung -
Der gute Roger vom Blog "Nebenbei bemerkt" hat schon öfters auf das diskursive Spiel mit der "Staatsverschuldung" hingewiesen. Bei wem der Staat wirklich verschuldet ist (zurzeit ca. 1500 Mrd. Euro) und wie viel die Gläubiger daran verdienen (im Jahre 2007 ganze 613 Millionen Euro Zinsen), wird öffentlich gern verschwiegen. Was genau ist also Staatsverschuldung und wie wird diese öffentlich instrumentalisiert?

Grob zusammengefasst bedeutet "Staatsverschuldung", dass sich der Staat von Banken, Versicherungen und Firmen Milliarden Summen leiht. Damit die jeweiligen Regierungen in Deutschland diese horrenden Summen plus Zinsen zurückzahlen können, werden überall Kürzungen durchgesetzt. Die immer wiederkehrenden Argumente, man wolle eine "Haushaltskonsolidierung" (nicht euphemistisch: "Kürzungspolitik") vorantreiben und die "Staatsverschuldung abbauen" bedeutet indessen, eine riesige Umverteilungspolitik zugunsten der Vermögenden und Reichen. Schließlich kassieren diese Zinsen, Wertpapiere und Provisionen – also Rückzahlungen – durch ihre Kreditvergabe an den Staat. Die Regierungen wiederum holen sich das Geld über Steuern und Abgaben vom Steuerzahler.

Um diese Gegebenheiten zusätzlich zu verschleiern, wird so getan als sei jeder Einzelne Bürger verschuldet. Die Konstruktion der "Pro-Kopf Verschuldung" ist hierbei ein beliebtes Mittel, um die Bürger in die Verantwortlichkeit mit ein zu beziehen. Dabei sind politische Fehlentscheidungen, wie z.B. die Politik der Wiedervereinigung Deutschlands, für die Misere der Verschuldung verantwortlich und nicht der einfache Bürger.

Nur selbst wenn sich die Finanzmärkte eines Tages wieder normalisiert haben sollten – der Staat darf wohl noch einige Zeit fleißig an die Banken seine Schulden und Zinsen zurückzahlen. Vielmehr können diese Banken gar nicht daran interessiert sein, dass der Staat irgendwann schuldenfrei ist, denn dann verdienen sie nicht mehr an ihm. Ein Panorama-Beitrag von 2002 geht sogar soweit, zu behaupten, dass Deutschland in Wahrheit den Banken gehöre.

Dies ist ein Gastbeitrag von Markus Vollack aka Epikur.

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Der Wartende

Montag, 6. April 2009

Wenn ein zum Tode Verurteilter die hohen Stufen zur Hinrichtungsstätte hinaufgeschritten wird, dabei bereits die auf der Anhöhe wartenden Beiwohnenden des Gerechtigkeitsrituals erblickt, die ihm allesamt höflich zulächeln, ihn zuvorkommend grüßen und ihm einen schönen Tag zurufen; wenn der Verurteilte dann sanft auf das spröde Holz der Vorrichtung gebunden, mit der Brust auf die harte Auflagefläche gebettet wird, sich dabei fragen lassend, ob die derzeitige Stellung genehm ist; wenn nun der andere Hauptakteur, der beilschwingende Protagonist vom anderen Ende der Bühne heraufsteigt, dem fixiert Liegenden die Hand reicht, sich dabei mit freundlichem Worte vorstellt, Name und Beruf nennt, auf gute Zusammenarbeit drängt, im Anschluss seine gesetzlich geregelte Position einnimmt, sich das Werkzeug seiner Berufung reichen läßt, um sich in die Haltung der notwendigen Gerechtigkeitsumsetzung zu begeben; wenn der ausharrende, auf Erlösung hoffende, festgeschnürte Darsteller um sich blickt, dabei warmherzige und wohlwollende Antlitze entdeckt, Lippenpaare erspäht, die ihm Hoffnung und Zuversicht zurufen, ihm Mut mit auf dem Weg geben, und er diese Bekundungen der Sympathie mit Freude entgegennimmt, versucht dem engen Riemen ein Schnippchen zu schlagen, um optimistisch den Mutmachern zuzunicken; wenn dann der Urteilsspruch noch einmal verlesen, die Vollstreckung bestätigt, das Beil für seine Berufung freigegeben ist, worauf sich die Henkersmuskulatur verhärtet, dessen Hände sich wie rettungssuchende Finger eines Ertrinkenden an den Stiel des Werkzeuges klammern, das Beil daraufhin langsam, bedächtig und voller Gemütlichkeit die Flugbahn zum Halse erschleicht, für das menschliche Auge stillsteht, keine Eile kennt, mitten des optischen Stillstandes auch faktisch anhält, sobald es dem Ausführenden an Nase oder Ohr juckt; wenn also die Gerechtigkeit nicht als eiliges Ritual, automatisiert und für die Masse gesprochen, sondern als behäbige Zeremonie vonstatten geht, das Beil nicht in einem Augenblick des Wimpernschlages herunterjagt, sondern zur sinnbildlichen Schnecke wird, selbst noch langsamer als dieses schleimige und kriechende Kleinsttier ist, welches keine Schnelligkeit kennt, wohl aber den konsequenten und sturen Willen, eine bestimmte Strecke, gleichgültig in welcher Zeit, hinter sich zu bringen, ein bestimmtes Ziel zu erreichen, einerlei was Zeiger einer Uhr, Kalender oder Mondphasen vorgeben; dann hat die Justiz die Willkür verlassen, urteilt sie nicht mehr massenhaft oder wie am Fließband, sondern nimmt sich für jeden Abgeurteilten individuell Zeit, läßt ihn Mittel nicht Zweck sein, hat sie die Berechtigung wiedergefunden, weil sie nicht mehr Leben von jetzt auf gleich aufhören läßt, sondern dem Lebensende noch eine Schonfrist, ein Weilchen des Wartens schenkt, ein Stück resozialisierter Gegenwart; sie ist wieder berechtigt, weil sie nicht mehr Mord austeilt, sondern unterlasse Hilfeleistung zum Imperativ erhebt.

So verweilt der Verurteilte augenblicklich in trüber Erwartungshaltung, weiß dass ihm das Beil im Nacken sitzt oder bald dort sitzen wird, weiß nicht genau wann, kann das heranbummelnde Werkzeug noch nicht in den Augenwinkeln erkennen und vergißt, nötigt sich zum Vergessen, um sich ein Leben auf dem harten Grund seines Daliegens einzurichten. In dumpfen Stunden, wenn die Herumstehenden ein Nickerchen machen, weil auch ihnen die langgezogene Zeremonie Kräfte raubt, holt ihn die weggeschlossene Gewissheit wieder ein, belastet seine Existenz, treibt ihm Schweiß auf die Stirn. Bald schon hofft er zunehmend auf die nun vertraut gewordenen Gesichter, die abseits seines Liegens um ihn herumstehen. Mögen sie doch stets schnell aus ihren Träumen erwachen, um ihn vom Nachdenken zu beurlauben. Die Herumstehenden, sofern erwacht, widmen sich dieser Aufgabe rührend, klemmen ihm einen Strohhalm zwischen die Lippen, geben ihm so kleine Rationen Wassers, ernähren ihn aufopfernd mit kümmerlichen Einheiten deftiger Hausmannskost, führen Löffel um Löffel in des Hilfebedürftigen Rachen und tätscheln ihm gelegentlich väterlich den Kopf. In solchen Momenten, da der Liegende nicht mit sich alleine ist, glaubt er nicht an die Existenz des Beils, ist von der Überzeugung erfüllt, dass der längst verhallte Urteilsspruch vergessen ist, das angedrohte Beil nur eine leere Drohung war, um ihn in Angst und Schrecken zu versetzen, und ihm Demut zu lehren. Immer wieder spricht man ihm Mut zu, es würde sich alles zum Besten wenden, er müsse nur an sich selbst glauben, sein Herz mit Optimismus füllen. Und die Zuversicht erfüllt ihn tatsächlich, sie schreitet gar so weit voran, die Mutmacher darum zu bitten, ihn von seiner unmenschlichen Stellung zu entbinden, damit man in bequemerer Haltung Konversation führen könne, Brüder auf gleicher Augenhöhe sei. Aber dazu sind die Damen und Herren nicht befugt, erfinden nebulöse Ausreden, die nicht von Logik erfüllt sind, dafür von freundlicher Erbauungsrhetorik. Sie praktizieren den Imperativ des Unterlassens, sind strikte Gegner des Mordes, würden einer Gesellschaft die in Sekundenschnelle töten läßt, niemals ihren Dienst zukommen lassen; aber Hilfe auszuteilen, jedenfalls konkrete Hilfe zur Befreiung, das kann niemand von ihnen verlangen, denn schließlich morden sie nicht, stehen auch nicht im Dienste eines verordneten Mordes, ganz im Gegenteil, sie tun alles dafür, einen Schuldigen so vorbildlich als möglich durch eine schwere Zeit zu geleiten. Sie schaffen Lebensqualität, schütteln in der Arroganz jeder Gegenwart gegenüber ihrer Vergangenheit den Kopf, wenn man ihnen vom Damals berichtet, als sich die Gesellschaft das Morden hat nicht nehmen lassen. So rückständig, so menschenverachtend, Gott sei Dank, sei man heute nicht mehr, endlich habe die Gesellschaft ein lebenswertes Maß an Zivilisation erlangt, endlich herrsche der gebotene Respekt vor jedem menschlichen Leben. Endlich sei eine Ordnung entstanden, in der vielleicht nicht geholfen, nicht befreit wird, aber in der jeder Mord in einer Weise hinausgezögert würde, dass von Mord schlussendlich gar nicht mehr die Rede sein könne. Unterlassen ist kein Morden.

Irgendwann einmal, der Grund des Daliegens wird nur noch schemenhaft in der Erinnerung verhaftet sein, gerät ein undefinierbares Etwas in das begrenzte Sichtfeld des Liegenden. Zunächst wird er nur eine Ecke dieses Gegenstandes, dann stückchenweise mehr erblicken. Eine Kante wird sichtbar werden, vielleicht wird er eine Schneide erkennen, oder fähig sein, das Material einzuordnen, Metall sicherlich, da verrostet. Endlich wird ihm deutlich, dass es sich um ein Beil handelt und deutlich wird auch die nervliche Anspannung des Verurteilten, der nun trotz aller Fixiertheit zappeln und nervös mit den Augen rollen wird. Lange wird er in seiner Erinnerung kramen, versuchen das Gotteszeichen zu deuten, erschrocken aufschreien, wenn ihm seine Situation wieder bewußt, ihm der Beilsgrund wieder ins Gedächtnis fallen wird. Er wird flehen und betteln, bitte ihr Herumstehenden, schnallt mich ab, ich bin in Not, der Tod sitzt mir im Nacken, er naht heran, langsam zwar, aber überdeutlich. Er wird bei ihnen Trost finden, sie werden ihm den Kopf streicheln, nur Mut, nur Zuversicht, Bruder, der Tod bedroht uns alle, alle sind wir dem Tod verhaftet, alle sterben wir früher oder später und alle wissen wir es genauso sicher, wie du es in dieser Stunde weißt. Das Betteln wird verstummen, der auf der Brust Liegende wird leugnen seinem Ende entgegenzugehen, wird sich mit der verbliebenen Zeit trösten, wird voller Lebensfreude neue Pläne schmieden, wird der Gewissheit nicht ins Auge sehen, sondern mit aller Kraft leben, als könnte er damit das drohende Ende vom Wege drängen. Doch dann, nach einer kurzen Nachtruhe wird er den Kopf anheben und kaltes Eisen im Nacken spüren, wird er erkennen, dass die Vereinigung mit dem verrosteten Werkzeug und damit die Abtrennung eines ihm liebgewordenen Körperteiles, kurz bevorsteht. Abermals wird er winseln, nochmals die Herumstehenden anbetteln, die ihm ihrerseits wieder Mut zusprechen, ihn füttern und versorgen werden. Die schönsten Momente seines Lebens werden sie aufreihen, sie ihm nochmals in Erinnerung rufen, um ihm den Wert seines nun ausgelebten Lebens begreiflich zu machen. Beruhigungsmittel wird er erhalten, Schmerzmittel sowieso. Zuversicht wird ihm gepredigt, nicht alles wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Rinnende Tränen werden abgetupft, die jetzt austretenden Augäpfel, die dem Druck von Beil und Holz nicht mehr standhalten können, werden behutsam in die Augenhöhlen zurückverfrachtet, die Augenlider geschlossen, eine Augenbinde angelegt. Niemand wird von den Herumstehenden verlangen können, sich diese widerwärtige Sequenz in aller drastischen Ausformung zu Gemüte zu führen. Eine letzte Gabe wird ihm auf die Zunge gelegt werden, ein schnellwirkendes Serum, den Moment des abgequetschten Kopfes wird er nicht mehr erleben, die Gerechtigkeit hat auch ohne sein bewußtes Dabeisein gesiegt. Niemand wird vom Mord sprechen, sondern von humaner Unterlassung, die am Ende zwar nicht konsequent angewandt, vom Todesserum unterbrochen wurde, aber letztendlich dennoch Prinzip war. Auch das Verabreichen wird nicht als Mord angesehen sein, sondern als humaner Akt, als Gnadenleistung einer durch und durch humanen Gesellschaft, als eine Erleichterungstat, um das Leiden zu verkürzen, das Leiden der Zusehenden.

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