Populäre Erbauungsliteratur

Donnerstag, 2. April 2009

Besuchen Sie doch wieder mal einen Buchladen. Nicht den kleinen an der Ecke, der sich, oh Wunder, über Wasser gehalten hat, den großen Buchsupermärkten immer noch trotzt, nicht jener also, in dem das Personal auch weiß, wovon es spricht, sondern eben eines solcher Ungetüme, in welchem alles käuflich ist, was der Buchmarkt derzeit hergibt. Schlendern Sie dort einmal durch die Reihen und begutachten Sie dabei, was alles feilgeboten wird. Nein, dieser Text will sich nicht mit den zwischen Buchseiten gepressten Erfolgsgeschichten des Dieter Bohlen auseinandersetzen, auch nicht mit den Frauen-Männer-Stammtischzoten eines Mario Barth oder diversen Biographien irgendwelcher abgehalfterter D-Prominenter. Er will also nicht die Abbauungsliteratur heutiger Zeit aufgreifen, sich nicht jener Literatur widmen, die zu geistigem Abbau führt, sondern, geradewegs gegenteilig, ein wenig über Erbauungsliteratur berichten.

Gehen Sie also einmal in einen dieser großen Buchsupermärkte, die bereits im Eingangsbereich die neuesten Errungenschaften des Buchmarktes präsentieren, damit der Kunde nur ja bloß neu kauft - ob er dann gut kauft, also etwas Gutes mit nach Hause nimmt, steht auf einem anderen Blatt, denn wichtig und richtig ist nur das Neue. Das ist der Tribut der Buchbranche an ein irregewordenes Fortschrittsdenken. Irgendwo werden Sie auf ein Schild stoßen, auf dem "Sachbücher" steht. Aus irgendeinem Grund, warum bleibt fraglich, schmuggeln sich dort immer wieder kleine Traktate zur Erbauung hinein. Wahrscheinlich würde eine eigene Rubrik mit Erbauungswerken das heutige Publikum abstossen; der Leser will sich eben nicht erbauen, er will sich unterhalten wissen, gewürzt mit etwas Information, die nicht zu tiefgründig sein darf, um den Spaß an der Sache nicht zu verlieren. Womöglich ist es demnach des Lesers Aversion gegenüber der Erbauungsliteratur, weshalb sich Werke wie Knabes "Honeckers Erben" oder auch gerade Rickens' "Links!", aber auch Münteferings und Steinmeiers Tischgespräche, von denen sie hartbeseitet heruntergrinsen, zwischen Büchern zum Mittelalter oder dem Umweltschutz hineinschleusen.

Das konservativ und/oder neoliberal-marktradikale Erbauungswesen muß über den Umweg des Sachbuches in die Köpfe der Menschen befördert werden. Es ist die Angst vor dem Linken, was immer das genau auch sein soll, die latente Angst vor Sozialismus, Enteignung und Aufgabe der eigenen Übervorteilung, die zu reflexartigen Traktätchen führt. Bezeichnend Rickens Buch, in dem behauptet wird, "Linkssein" - trotz aller Schwammigkeit dieses Begriffes - sei wieder in Mode, was sich seit 2005 auch in den politischen Parteien nachvollziehen ließe. Seither würde nämlich in jeder Partei nach dem allüberwachenden Staat gerufen, würde Sozialstaatlichkeit mehr denn je zum Sujet von Debatten. Kaum hat Rickens das behauptet, scheint es auch schon zur allgemeingültigen These geworden zu sein. Der Linksrutsch gilt als das Modewort des Konservativen, ebenso wie die SED zum Repertoire der Verunglimpfung der LINKEN gehört. Psssst, dass die NSDAP Union und FDP in Form von "abwanderndem Personal" befruchtet hat, dass im Osten Blockflöten unterhalten wurden, all das sagt man nicht, ist nicht schicklich.

Man muß Knabes und Rickens' Werk gar nicht hinreichend darlegen. Soviel der Ehre haben die beiden Prediger nicht verdient, gedruckte Mittelmäßigkeit soll auch nicht der Anspruch dieses Textes sein. Was aber ins Auge fällt ist, dass der sogenannte Linksrutsch nichts weiter, als die zwanghafte Angst konservativer und marktradikaler Meinungsmacher ist, die Frucht einer latenten Paranoia, die hinter jeder kleinen Reform pro Sozialstaat einen gefährlichen Schritt in kommunistische Gefilde wittert. Da bleibt freilich, sofern das konservative Herz konserviert werden, wenn es standhaft bleiben soll, beinahe nichts anderes übrig, als die Menschen zu erbauen, sie mit solchen Machwerken zu bestärken, sie für die Sache zu erwärmen. Und wenn man selbst wenig Schmackhaftes zu bieten hat, dann macht man eben den Anderen madig, versteckt den eigenen Mangel hinter dem Mangel des zu Bekämpfenden, so wie in Rickens' "Links!" behauptet wird, es sei augenscheinlich links, wenn der starke Staat bemüht wird. Dass es ausgerechnet die Konservativen waren, vor ihrem Anschluss an den Neoliberalismus, die das Staatswächtertum kultiviert hatten, wird gekonnt überspielt.

Die Verdummungen, Verknappungen und Weglassungen sind in solchen Machwerken natürlich gewollt, müssen sie sogar sein. Gute Erbauungsliteratur muß in erster Linie ein wohlig-warmes Gefühl ums Herz erzeugen, Informationen und wahrhafte Aufklärung wären dabei hinderlich. Warum allerdings solcherlei Bücher bei Sachbüchern eingeordnet werden, ist immer noch schwer zu beantworten. Vielleicht weil man auf all den Seiten nie zur Sache kommt...

9 Kommentare:

klaus baum 2. April 2009 um 13:10  

zu sit venia verbo:
>>Viktor von Weizsäcker, der Onkel des späteren Bundespräsidenten, darf zwei Jahre nach Kriegsende wieder schreiben: „So wie die Amputation eines brandigen Fußes den ganzen Organismus rettet, so [rettet] die Ausmerzung der kranken Volksteile das ganze Volk.“ Er fühlt sich im Recht: „Wenn das ganze Volk in Lebensgefahr schwebt und durch Beseitigung einzelner Individuen gerettet werden kann, müssen diese Individuen geopfert werden.“<<
Viktor von Weizsäcker hätte gemäß seiner Überzeugung - first of all - Selbstmord begehen müssen.

Anonym 2. April 2009 um 14:28  

Eines fehlt noch:

"Fakten statt Legenden - Argumentationshilfen gegen die "Linke" Lafontaines und Gysis" von Harald Bergsdorf.

Der Autor ist übrigens selbst CDU-Mitglied:

http://www.nrwin-team.de/717.php

...Dennoch hast du es treffend beschrieben.

Man sollte sich - als als Linker, egal ob in einer Linkspartei oder nicht, diese Machwerke einmal anlesen.

Die Autoren verraten sich oft selbst in dem Sinne, lieber Roberto J. de Lapuente, wie du es hier so treffend beschrieben hast.

Dr. Harald Bergsdorf bringt übrigens die alten Klischees gegen DIE LINKE, und, was ich fast noch schlimmer finde, verkauft Agenda2010 und Hartz IV bzw. andere soziale Grausamkeiten als Wohltaten.

Der Kapitalismus ist kein Fehler, so Dr. Harald Bergsdorf in seinem Machwerk - erschienen 2008 im Bouvier Verlag.

Ob er nun immer noch so denkt?

Ich vermute es einmal stark, denn bekennende Neoliberale wie Dr. Harald Bergsdorf erinnern mich, man kann es nicht oft genug erwähnen, an die Ex-DDR-Regierungsclique kurz vor dem Fall der Berliner Mauer.

In diesem Sinne sind wir wohl wirklich "HONECKERS ERBEN", aber mehr die neoliberal-konservativen betreffend.

Soll heißen völlig andere Ideologie als Honecker, aber genauso starrsinnig und unbeirrbar nach Scheitern des neoliberalen Systems wie Honecker bis zu letzt nicht an den Fall der Mauer glauben wollte....

Scheint wohl eine "German Disease" zu sein?

Zumindest was Befürworter von Ideologien angeht....seien es nun Neoliberale oder Staatssozialistische....

Man könnte es auch "Ironie der Geschichte" nennen...

Gruß
Nachdenkseiten-Leser

Anonym 2. April 2009 um 14:54  

Ex-SED Mitglied, und aus der Ex-DDR geflüchtete Schriftsteller, die nie verzeihen können melden sich natürlich auch zu Wort:

http://www.bebraverlag.de//index.php?option=com_verlag&view=titel&Itemid=2&id=386

Titel:

"Die linke Versuchung Wohin steuert die SPD?" von Elke und Wolfgang Leonhard.

Zur Vita von Wolfgang Leonhard:

http://de.wikipedia.org/wiki/Wolfgang_Leonhard

zur Vita von Elke Leonhard:

http://de.wikipedia.org/wiki/Elke_Leonhard

Ich denke einmal, dass die nichts positives zur Linkspartei schreiben.

Übrigens, die Autorin hat hier:

http://www.forced-labour.de/archives/473

...mit anderen auch zu Hartz IV, und Sozialabbau, zugestimmt.

Ich vermute einmal stark, dass die dies in Ihrem neuesten Buch auch noch als "soziale Wohltat" verkaufen will.

Gruß
Nachdenkseiten-Leser

PS: Die Kommunisten-Basher sollten sich einmal folgende Frage stellen: Wieso zählten dt. Kommunisten von Anfang an zu den meistverfolgten Menschen in Deutschland? Warum wurde von 1933 an jeder, der auch nur des links- oder auch kommunistisch zu sein Verdächtige sofort ins KZ gesperrt und vernichtet? Die wenigsten wissen nämlich, dass die 2größte Opfergruppe gleich nach den Juden die Kommunisten/Sozialisten waren, und dies weis ich aus einem westdeuschen Schulunterricht. Warum wird dies wohl immer totgeschwiegen? Liegt es daran, dass Schul- und Kultusminister meistens - nach 1945 - Ex-Nazis waren, die sich wieder einfügen durften, während man linkslastige Lehrer immer noch ausgrenzte?

Hans Wurst 2. April 2009 um 15:22  

Ich habe die Bücher zwar nicht gelesen, aber Rezensionen/Klappentexte.
Bezüglich Knabe rezensiert man z.B. beim Deutschlandradio, er schreibe "mit Schaum vorm Mund".
Warum du allerdings Ricken mit in diesen Topf wirfst, bleibt mir schleierhaft.
Sein vorheriges Buch heißt "Die neuen Spießer" und ist gegen den Neokonservatismus gerichtet.
Man mag nicht alle Ansichten teilen in seinem neuen Buch, aber ihn mit Knabe zu vergleichen, erscheint mir verfehlt.
Oder ist er ein Trojaner und ich bin ihm auf den Leim gegangen?

Anonym 2. April 2009 um 22:30  

... zähne knirschen, münder stossen ein höhnisches lachen hervor, bleistifte brechen zwischen weiss angelaufenen fäusten, das keifen folgt auf dem fuss der einen getreten hat, diesmal gab es keine worthülsen zu essen sondern argumente die man zwar nicht leugnen kann, die man aber mit geschickter ausweichender rethorik in letzter sekunde ausgefeilt zu verunglimpfen versucht ...

haben wir es hier mit gejagten oder mit jägern zu tun ?
die felle der gemästeten gleichen sich leider immer mehr, und von einem farbspektrum zu reden sollte man inzwischen abrücken, da die meisten, obwohl jeweils in leicht unterschiedlicher schattierung doch das gleiche blöcken ...

es ist vermutlich die angst die sie herumtreibt wie ein tiger im käfig im kreis zu gehen ...
denn angst sollten sie haben, diese herrschaften, das ihnen das goldene zepter eines tages entrissen werden könnte, vom einfachen wähler, von wütenden demonstranten oder einer wilden und hungrigen meute die es satt ist verzicht zu üben, wärend andere kuchen essen und sich des lebens freuen ...

noch müssen diese vielen herren und wenige damen schwitzen, da sie ihre macht noch nicht ausreichend in stein meisseln konnten, ihre persönlich versorgung ist meist zwar ausreichend gesichert, doch die kriese kommt erst noch, und um diese durchzustehen benötigt es mehr als ein paar nüsse im hohlen baum, es benötigt viel irreleitende propaganda, viel angsmacherei vor dem feind im inneren, eine schärfere justiz und eine staatsgewalt die willens ist, notfalls das eigene volk in blut zu ertränken ...

diese ziele sind noch nicht ganz erreicht, und daher keifen sie und hauen und motzen, rufen nach dem dieb, und hoffen das noch ein paar krumen an sie abfallen bevor es zu spät ist sich eine kleine privatinsel zu kaufen, oder sich eine reise nach alpha-centauri zu ermöglichen ...



mögen sie doch besser heute als morgen abreisen, es wäre besser für alle ...

Anonym 2. April 2009 um 23:57  

"[...]Oder ist er ein Trojaner und ich bin ihm auf den Leim gegangen?[...]"

Du bist einem Trojaner auf den Leim gegangen, denn nicht jeder, der sich als Linker ausgibt ist einer.

Ich habe das Buch "Links!: Comeback eines Lebensgefühls" vor einiger Zeit gelesen, und kann nur jedem empfehlen es - neben eigenem Mitdenken - zu tun.

Nur soviel:

Es sei vor Menschen gewarnt, die einem, wie Rickens, den Begriff "Links" erklären wollen, den Neoliberalismus aufdröseln wollen, und den Begriff "linksneoliberal" erfinden wollen, der aber nichts anderes ist als der alte Gesamtneoliberalismus, der eindeutig - nach eigener Ideologie - weder links noch rechts sein will sondern "mittig" was aber, dank Aufklärung über die Vorgänge in Pinoquets erstem Testversuch in der Praxis in Chile als eindeutig rechtslastig bzw. faschistoid durchgeht.

Rickens reiht sich für mich in die Reihen derer ein, die nicht wahr haben wollen, dass die neoliberale Ideologie insgesamt gescheitert ist, und nun dem "dummen Michel" (so sieht es wohl Herr Rickens) erklären wollen was dieser unter "LINKS!" zu verstehen hat.

Wie bereits erwähnt, vor solchen Menschen sei eindeutig gewarnt, aber dennoch empfohlen die Machwerke selbst zu lesen, nicht allein die Inhaltsangabe bei irgend einem Internetbuchhändler.

Gruß
Nachdenkseiten-Leser
(für den "Links" immer noch bedeutet auf der Seite der Entrechteten und Armen zu stehen, ergo weder links- noch sonstwie neoliberal).

Anonym 3. April 2009 um 00:06  

@Roberto J. de Lapuente

Zu der "Populären Erbauungsliteratur" zählen auch diverse Machwerke, die nun allen Ernstens predigen wie man sein Geld in Sicherheit bringen soll - wenn die Große Börsenkrise anrollt. Mein Fazit: Nicht alle sind seriös, sondern wollen nur an der Angst der Mehrheit Kohle verdienen.

Noch ein Beispiel aus einem anderen Bereich, da ich dort schon viele kontaktiert habe, damit die mir einmal sagen sollen was man tut, wenn man befürchtet heute arbeitslos zu werden und wie man sich in Zeiten der Weltwirtschaftskrise auf Jobs bewirbt - mir rutschte dabei noch raus: "Meinen Großvater, der die letzte Weltwirtschaftskrise noch überlebt hat kann ich ja nicht mehr fragen, daher wende ich mich an Sie als Karriere- und Bewerbungsratgeber."

Soll ich dir was verraten:

Ich habe bis heute keine Antwort darauf erhalten was Menschen wie ich, die schon seit Jahren versuchen eine anständige Beschäftigung - aus einem Minijob heraus, der unsicher ist und früher oder später aufhören kann und ohne Pkw - tun sollen, um an eine ehrliche, gut bezahlte Arbeit zu kommen, d.h. ich bin schon lange in einer wirtschaftlichen Krise und nun kommt noch die "Neue Weltwirtschaftskrise" hinzu.

Keiner weiß hier Rat.

Kein Trost ist für mich, dass ich damit nicht alleine stehe:

http://www.monitor.de

...der Bericht über das G-20-Treffen....

....es scheint einige tausend, wenn nicht noch mehr zu geben, denen es ähnlich, oder sogar noch schlimmer, als mir geht....

...Ratschläge aus der Bewerber- und Karriereecke?....

Fehlanzeige....

...Solidarität....

Fehlanzeige....

Wo soll das enden?

Revolte?

Generalstreik wie in Griechenland?

Wo kommt die neue Arbeit her?

Fragen über Fragen, die Karriere- und Bewerbungsratgeber aufgrund alter Rezepte - aus der Zeit vor HartzIV und Agenda2010 bzw. der Weltwirtschaftskrise - nicht beantworten können oder wollen....

Gruß
Nachdenkseiten-Leser

Anonym 3. April 2009 um 06:38  

@Hans Wurst

"Politik der Paranoia" des Autors Robert Misik halte ich für eine ehrlichere, und zeitgemäßere, Abrechnung mit dem Neokonservatismus als Rickens "Die neuen Spießer".

mg 3. April 2009 um 09:07  

"Die Verdummungen, Verknappungen und Weglassungen sind in solchen Machwerken natürlich gewollt..."
Ich bin mir gar nicht sicher dass dies überall der Fall ist. Möglicherweise ist es das Ergebnis der Paarung zwischen Intelligenz und Fleiß von Autoren, welche, dem Mainstream entsprechend, nicht besonders sein müssen um ein Buch herauszubringen...

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