It's Showtime!

Freitag, 24. April 2009

Dass Arbeitsplatzangst und die damit verbundene Mißstimmung innerhalb von Betrieben, Mobbing und Kollegenhatz, kein Beinbruch sein muß, macht uns die Unterhaltungsindustrie deutlich. Zwei amerikanische Fernsehsender planen Kündigungs-TV-Konzepte, bei denen die unqualifiziertesten Mitarbeiter kameragerecht vor die Werkstore bugsiert werden. Vermutlich wird es nicht lange dauern, bis auch hierzulande zur besten Sendezeit entlassen wird.

Nein, wir sollten uns nicht entrüsten! Wir müssen lernen, dass jede Notsituation Chancen birgt, dass aus jeder Lebenslage Profit zu erzielen ist, wenn man nur gerissen genug ist, seine guten Manieren über Bord zu werfen. Nun wimmern und jammern ja jene, die seit Jahren den Sozialstaat abgebaut haben, die Befürworter und wohlwollendes Publikum für soziale Schweinereien waren, weil immer öfter die Angst vor sozialen Unruhen thematisiert wird. Dabei stecken sich die ehemaligen Hetzer gegen Solidarität und Parität die Finger in die Ohren und singen dabei mit schriller Stimme Lieder, damit sie diese formulierten Angstbeschwörungen nicht hören müssen - wenn man etwas nicht hört, findet es schließlich nicht statt. Dezente Wutausbrüche haben andere Teile Europas und der westlichen Welt schon ergriffen, nicht zuletzt deshalb scheint es nurmehr eine Frage der Zeit, bis auch hierzulande die Revolte salonfähig wird - revoltierender Zeitgeist macht, ebensowenig wie der neoliberale Zeitgeist einstmals, keinen Halt an Nationalgrenzen.

Und dann sollten die Fernsehsender schnell zugreifen, flugs Konzepte entwerfen, um ihr Publikum zu unterhalten. Revolten-TV als neuer Schlager für den Samstagabend. Der Dschungel des Stumpfsinns ist ein dicht bewachsener, lange Jahre der TV-Verblödung haben ein unendliches Repertoire an möglichen Showkonzepten hinterlassen. So könnten sich drei Chefideologen neoliberaler think tanks und Interessens- und Propagandaverbände vor revoltierenden Volk für ihre Irrlehren rechtfertigen müssen. Wer am Ende am wenigsten überzeugt, muß zusehen, wie seine Villa abbrennt, sein Fahrzeugpark verschrottet, sein Konto geplündert wird. Wenn die Macher ganz geschickt sind, konzipieren sie es als Überraschungsshow und eröffnen den beiden noch ungeschorenen Kandidaten, dass die ganze Show nur Inszenierung war, ihre Villen so oder so ebenfalls in Asche verwandelt worden wären.

Oder man schmiedet aus preußischer Tradition und der Vorliebe für fadenscheinige Action-Konzepte nach Takeshi-Manier, einen Manager-Spießrutenlauf durch empörtes Volk - dann heißt es Bühne frei für den Running Man! Auch Reality-Formate wären denkbar. Wie einst RTL und andere Bertelsmann-Sender in Wohnungen von ALG II-Empfängern marschierten, um in niederträchtigster Form über deren Leben und deren Abartigkeiten zu berichten, so könnten Fernsehteams dann Arbeitgeberpräsidenten und/oder -sprecher in ihrem Domizil besuchen, um deren verdorbenes Dasein in den hässlichsten Farben zu malen. Möglichkeit sich dieser Einseitigkeit zu erwehren, hat dieses Gesindel nicht - wie einst den Opfer diverser Pogromsendungen, so haben auch die nächsten Opfer einseitiger Berichterstattung keine Chance mehr, sich medial über dies erlittene Unrecht zu entrüsten. Sie müssen es dann schon erdulden, wenn sich die Super-Nanny um ihren missratenen Nachwuchs kümmert und sie dazu dargestellt werden, wie die erbärmlichsten Rabeneltern aller Zeiten; wenn der Schuldenberater kommt, damit er sich aus deren Haushalt zum Schuldenausgleich herausholt, was sie der Allgemeinheit an Schulden hinterlassen haben; wenn sie dann von einer aufgehetzten Zuschauerschar aufgelauert, angespuckt und angepöbelt werden und nur ein kleines Häufchen Polizeibeamter zum Schutz abgestellt werden kann, weil ja seit Jahren Staatsrückzug und Sparmentalität gepredigt wurde und damit kein größeres Heer an Schutzbeamten aufzutreiben ist.

Pragmatisch muß man nur sein. Wenn anwachsende Arbeitslosenzahlen ein Fest für Fernsehschaffende sind, weil daraus Entlassungs-TV gemacht werden kann, so sind auch soziale Unruhen ein trefflicher Fundus. Dann werden solche in Container gesperrt und die Schlüssel auf den Mond geschossen, die jahrein jahraus vom hemmungslosen Wachstum phantasierten und irgendwelche Euphemismen und Synonyme für eine asoziale Marktwirtschaft entwarfen, beispielsweise Basarökonomie sagten, um Worte wie "Lohndumping" und "Schaffung eines Niedriglohnsektors" zu umgehen; dann werden solche in den australischen Dschungel ausgeflogen und nicht mehr abgeholt, die durch ihre ständige Präsenz im Fernsehen dazu ermutigten, Arbeitslose als Parasiten und Schmarotzer zu verunglimpfen; dann treten solche bei Schuhbeck, Lafer und Lichter auf und nehmen in Töpfen voll heißer Brühe Platz, die den Sozialabbau als großes und schlüssiges Konzept der Arbeitsplatzsicherung verkauft haben.

Und am Sonntagabend treten dann erboste Revolteure bei einem Will-Ersatz auf und hetzen mit speicheltriefenden Mündern und schon von Speichel bedecktem Kinn gegen den Abschaum der Gesellschaft, gegen sogenannte Familien, die seit Generationen Manager- und Bankerkarrieren aufzuweisen haben. Und wenn sich dann darüber sittenwächterisch ausgekotzt wurde, entwerfen die Beteiligten wirre Konzepte der Integration. Wie können wir solche entschwundenen und abgehobenen Menschen wieder für die Gesellschaft reaktivieren? Kann man Familienstrukturen, die seit Jahrzehnten auf das Asoziale ausgerichtet waren, nochmals für das Volk gewinnen? Wir müssen diese Menschen aktivieren, wird man dann klarmachen; wir müssen deshalb harte Sanktionen anwenden, damit sie begreifen, dass die Gesellschaft nicht mehr willens ist, für sie aufzukommen. Mindestens 25 Prozent dieser Menschen haben Sozialmißbrauch betrieben, Steuergelder verschwendet, sich bestechen lassen und so weiter, wird dann ein betroffener Gast in die Runde werfen. Der Will-Ersatz wird ebenso betroffen nicken, einige vorformulierte Fragen runterrattern und wenig kritisch auftreten, nach dem Wahrheitsgehalt der genannten Zahl, wird der Ersatz nicht fragen - die Opfer dieser Verunglimpfung sitzen indes vor ihren demolierten TV-Geräten, diese ganzen Typen, die uns seit Jahren predigten, dass das Asoziale das eigentlich Soziale sei, werden laut um Gehör rufen, um Richtigstellung flehen und sich hilflos im Salz ihrer Ohnmachtstränen baden.

Und wer sollte dann mit solchen Opfern Mitleid haben wollen?

6 Kommentare:

Anonym 24. April 2009 um 19:33  

"[...]Opfer dieser Verunglimpfung sitzen indes vor ihren demolierten TV-Geräten, diese ganzen Typen, die uns seit Jahren predigten, dass das Asoziale das eigentlich Soziale sei, werden laut um Gehör rufen, um Richtigstellung flehen und sich hilflos im Salz ihrer Ohnmachtstränen baden.

Und wer sollte dann mit solchen Opfern Mitleid haben wollen?[...]"

Sehr gute Ironie, aber leider denke ich, dass die Warnung vor "sozialen Unruhen" einen anderen Grund hat.

Nur soviel:

Die Bundeswehr steht auch für den "Einsatz im Innern" Gewehr bei Fuß, und in Deutschland, dass sollte man auch nicht vergessen, und dies schreibe ich, obwohl ich so hoffe, dass du richtig liegst lieber Roberto J. de Lapuente, hat sich, um Noske - den Niederschlager der Revolution 1918/19 - zu zitieren schon immer jemand gefunden, der folgenden Satz ernst meint: "Einer mußte ja der Bluthund sein."

Die Sozialdemokraten um Schröder sind die neuen Noskes, die die "kleinen Leute" an das Großkapital verraten haben, wie damals Rosa L. und Karl Liebknecht an die Freischärler.

Gruß
Nachdenkseiten-Leser

romano 24. April 2009 um 20:42  

hahahaha...
So würde die verkehrte Welt wieder grad gekehrt.
Aus Gründen der Moral hoffe ich, dass es ruhiger zugeht. Wenngleich bei einer nennenswerten Revolte, wenn sie denn die Umstände überhaupt zum besseren bewegen würde, an oberster Stelle wohl eine merkliche Reduzierung von Ungerechtigkeitsstrukturen stehen muss und die Sozialität von Handlungs- und Existenzformen nunmehr mit einem Instrumentarium aufgeschlüsselt werden sollte, das sich nicht mehr am metaphysischen Großtraum Egoismusmaximierung = kollektive Glückmaximierung orientiert.
Andererseits muss man sowieso nüchtern bleiben: Umbrüche müssen tief im Nichts schürfen. Um so tiefer, umso tiefgreifender werden sie. Zum Nichts stehen näher Schmerz und Leid, Armut, Traurigkeit, Hoffnungslosigkeit, Tod ohnehin. Man muss sich doch auch vor Augen führen, dass ein Großteil der Menschen in unseren Breiten es sich sehr gemütlich gemacht hat, sich 400000 Euro Hütten kauft und frisch fröhlich fleißig in die Zukunft marschiert. Die Krise ist halt teil des Geredes, aber sonst? Der öffentliche Diskurs ist dann doch eher darauf angelegt, langfristig eine Pöbelschicht anzulegen, von der man nicht mehr viel weiß und am besten nicht redet und sie sich vom Hals schafft. Es gibt genug Ressentiments zu bedienen. Die Organisationskohäsion findet sich zur Zeit immerhin doch eher auf der Seite der finanziell gut lebenden Menschen. Ärmere und potentiell Ärmere, Revolutionswillige, kritische Geister, Emanzipationisten, Christen und Empörte usw. haben ja kaum einen Organisationsgrad, der halbwegs bis in die physische Versorgungsinfrastruktur hinunterreicht. Das ist mehr ein Diskursgefecht (ehemals: Papiertiger). Es kommt daher darauf an, inwiefern sich irgendwo in der Gesellschaft noch Sedimente der Moderne aufwirbeln lassen und ernsthaft Kohäsion erzeugen können, sodaß noch an den äußeren Enden menschlicher Arbeit ein Unterschied spürbar wird. Ansonsten landen wir in keiner Herrschaft der vernünftigen Differenzierung, sondern einer der willkürlichen Grobheiten. So wie jetzt, nur anders rum.

Aber Dein Text hat mir trotzdem gut gefallen.

Watawah 24. April 2009 um 21:22  

"Und wer sollte dann mit solchen Opfern Mitleid haben wollen?"

Wir.

Weil wir uns an das Grundgesetz halten. "Die Würde des Menschen ist unantastbar".

Wir werden uns nicht mit ihnen gemein machen und andere Erdenbürger in Menschen und Nicht-Menschen einteilen.

Wir würden Ihnen aber wohl nicht erlauben wieder in ihre alten Tätigkeiten und Berufe zurück zu kehren. Sie dürfen sich ganz normal in der Reihe anstellen.

Sie sind durch die Fähigkeit besonders gut das "das blaue vom Himmel lügen zu können" trotzdem in einem gewissen Vorteil anderen in der Reihe gegenüber, wenn wir vergessen, daß sie (auch) lügen können.

Anonym 24. April 2009 um 21:51  

Toll geschrieben, ist mir aus den Herzen gesprochen...Es müssen ein paar Banken und Villen in diesem Land brennen...alles natürlich ganz gewaltfrei...

klaus baum 24. April 2009 um 22:59  

ich bin auch für gewaltfreiheit, womit ich nicht meine, ich bin für die freiheit der gewalt, nein, nein, von der gewalt.
iübrigens können die entlassenen dann im vormittagsprogramm entlassungen gucken.

Anonym 27. April 2009 um 21:28  

"Nun wimmern und jammern ja jene, die seit Jahren den Sozialstaat abgebaut haben, die Befürworter und wohlwollendes Publikum für soziale Schweinereien waren, weil immer öfter die Angst vor sozialen Unruhen thematisiert wird. Dabei stecken sich die ehemaligen Hetzer gegen Solidarität und Parität die Finger in die Ohren und singen dabei mit schriller Stimme Lieder, damit sie diese formulierten Angstbeschwörungen nicht hören müssen - wenn man etwas nicht hört, findet es schließlich nicht statt."

Gut formuliert.

Darauf würde ich gerne mit einem Zitat antworten:

"Das Bemerkenswerteste am Phänomen der Wahrnehmungsverweigerung ist, dass abgeschottete Meinungen durch widerstreitende Informationen und krasse Widerlegungen, die ihnen die Wirklichkeit unablässig entgegensetzt, nicht nur nicht entkräftet, sondern im Gegenteil bestätigt und verstärkt werden. Wie andere Systeme, die sich durch Rückkopplung selbst regulieren, ist auch das System Wahrnehmungssperre so organisiert, dass die von ihm erzeugten Fehler es nicht schwächen, sondern ihm geradezu neue Energien zuführen, die sich im ständigen Widerstreit mit dem Realen bilden, den seine Fehler dummerweise nach sich ziehen. Die Fehlschaltungen, die ihm notwendigerweise unterlaufen, sind so programmiert, dass sie die Fehlerquelle, die sie verursacht hat, ständig neu aufladen; das System Wahrnehmungssperre wird durch die Fehler, die es produziert, überhaupt erst am Laufen gehalten."

(Clément Rosset)

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