Spargelzeit

Mittwoch, 1. April 2009

Ein Spargelbauer aus der Nähe Baden-Badens macht dieser Tage das Geschäft seines Lebens. Er darf die Mägen derjenigen Staats- und Regierungschefs füllen, die den NATO-Gipfel beehren werden. Dazu werde man natürlich nur die besten Stangen heranziehen, das Beste sei gerade gut genug, verkündet er stolz. Kleinlich nachfragen, warum diese Herrschaften bessere Ware als andere bekommen sollten, möchte man da schon nicht mehr. Etwa hundertzwanzig Kilogramm wurden bestellt und werden von einem Sternekoch verarbeitet. Ja, das Leben um den Gipfel ist wahrlich eine Fundgrube spannender Abenteuer...

Was? Banal? Fürwahr, das ist es. Aber nicht banal genug, um nicht als filmischer Kurzbericht in eine heute in deutschland-Sendung aufgenommen zu werden. Auch nicht banal genug, um der ansonsten so prüde dreinblickenden Nachrichtensprecher-Zunft ein lächelndes "Lecker wird es allemal..." abzuringen. Da findet vor unserer Haustüre ein Gipfel statt, der über das Leben auf diesem Planeten entscheiden soll, ein Gipfel, bei dem die Bürger mittels riesigem Polizeiaufgebot wieder nicht teilhaben dürfen, ausgesperrt werden und mit ihnen auch ihre Forderungen und Hoffnungen, und unsere feine Berichterstattung hat nichts anderes vorzuweisen, als einen faden Spargelbeitrag, ein schäbiges Frühlingsmärchen eines Spargeltarzans, der womöglich am Ende das Geschäft seines Lebens auf dem Rücken seiner zwangsrekrutierten Belegschaft macht, die durch Arbeitsmarktreformen zu einer buckeligen Zwangsarbeit und kläglichen Lohn verurteilt wurden. Letzteres ist Mutmaßung, aber durchaus im Bereich des Möglichen.

Während also über das Leben der Menschen verfügt wird, stopft sich das ZDF Spargel in die Ohren (und garniert sich die Augen mit Tomaten), macht ein wenig auf Boulevard, begibt sich auf die Spuren des Nichtssagenden. Bezahlen soll dafür jeder, die GEZ ist unerbitterlich, bittet selbst solche zur Kasse, die diese oberflächliche und nichtssagende Boulevardmasche nicht mehr ertragen können. Da schalte man lieber um, drehe am Knöpfchen des Radiogerätes und höre ein kurzes Feature zur Kurzarbeit, die scheinbar von einigen Unternehmen willkürlich in Anspruch genommen wird. Die Erleichterungen bei der Beantragung des Kurzarbeitgeldes mache den Missbrauch möglich. Konkrete Zahlen habe man aber keine, heißt es im Bericht, die Bundesregierung strebe scheinbar auch keine an. Das Fazit des Senders (Bayern 1) springt auf diesen Zug des Nichtwissenwollens mit auf: 2009 sei es einfacher wichtiger, dass die Arbeitsmarktzahlen stimmen, da müsse man einen Missbrauch beim Kurzarbeitgeld auch einmal dulden. Arbeitsmarktzahlen müssen stimmen. Warum? Das weiß niemand so genau, sie sind sich reiner Selbstzweck, selbst wenn sie erstunken und erlogen sind: sie sind maßgebend. Und deshalb dürfe man nicht kleinlich sein, man habe doch seinerzeit auch allerlei Hartz IV-Schmarotzer erduldet, oder etwa nicht?

Zweimal hat sich der Autor dieser Sätze am gestrigen Dienstag in die schöne Welt der Medien hineingewagt, einmal bekam er Boulevard, einmal nihilistischen Pragmatismus serviert. Es wird, so scheint es, von Tag zu Tag unerträglicher. Der Fortschritt des Materialismus, der herannahte, um die Menschen des Westens in materiell zufriedene Zustände zu versetzen, darf getrost als Rückschritt im Geiste bewertet werden. Physisch ist diese Gesellschaft relativ genährt, aber psychisch nagt man am Hungertuch. Thoreau hat das schon vor mehr als 150 Jahren ähnlich formuliert. Was würde er heute dazu sagen? Nähme er uns noch als Menschen wahr, als Mitglieder seines Spezies? Oder wären wir schon Neo-Menschen für ihn, eine andere Sprosse der Evolution, die sich zwar nicht körperlich, wohl aber im Denken rundum verändert hat? Einen Spargel würde er wahrscheinlich noch erkennen. Und uns? An der Medienwelt jedenfalls läßt sich die geistige Demenz trefflich ablesen und es ist ein Rätsel, wie die Spezies Mensch, die derart plumpen Boulevard als Berichterstattung an den Mann bringen will, beispielsweise Zeitgenossen wie Platon, Marx oder Einstein hervorgebracht hat. Ist der Mensch von einst noch der Mensch von heute? Sind wir schon auf dem Wege zum Neo-Menschen, wie ihn Houellebecq beschreibt? Waren die geistigen Ergüsse Aldous Huxleys, der die Zukunft so prophetisch zeichnete, das letzte Aufbäumen menschlicher Geistesleistung? Fast ist man geneigt, all das anzunehmen.

13 Kommentare:

Hans Wurst 1. April 2009 um 05:34  

Nu mal nicht so kulturpessimistisch, Roberto!
Ich habe aus gewöhnlich schlecht unterrichteten Kreisen vernommen, daß zukünftig mindestens 80% eines Jahrgangs einen neu geplanten Studiengang absolvieren können:

Schwerpunktfach sind Klingeltöne, wahlweise kombiniert mit Imponiergehabe oder Kosmetik im Nebenfach.
Das Bertelsmänner CHE führt bereits Investoren-Gespräche mit Yambaa und Douglas zur Errichtung einer privaten Exzellenzakademie.

Weiteres Privileg der neuen Studenten: Der Springer-Verlag sponsert die kommenden Hoffnungsträger mit einem neu eingeführten BILD Studenten-Abo.

Die Besten eines Jahrgangs erhalten noch ein Gehirnwäsche-Stipendium in den USA mit den Aufbaufächern Religion,Langwaffen und Kreditkarten.

ben 1. April 2009 um 07:47  

Ich sehe das ähnlich wie Du, doch vielleicht kann man ja auch versuchen, es von einer anderen Seite zu betrachten:

Die Menschen sind das Geschwätz dieser hilflosen und eigentlich immer zerstrittenen Eliten so leid, dass fast farbloser Spargel interessanter erscheinen muss als der Auflauf der (Dumm-)Schwätzer, von denen man schon im Vorfeld weiß dass sie es schaffen werden, alles in Ihren Interessenkonflikten zu zerreden und mit eine Pseudo-Lösung den Ort des Geschehens wieder verlassen werden, um sich ihren länderspezifischen Themen zu widmen.

Solange der Mensch gezwungen wird, seine Mitmenschen um einen Job auszustechen, ihm Angst gemacht wird, nie gut genug für einen Job zu sein und er von den Jobgebern eher als Maschine denn als Mensch betrachtet wird, kann es keine Weiterentwicklung der Menscheit geben.

Wann und wo soll es denn stattfinden?
Im Auto-Stressverkehr, im überfüllten Zug, am Arbeitsplatz, im Alltäglichen....?
Weiterentwicklung braucht Zeit, Muße, man muss die Gedanken fliegen lassen, sich der normalen Zwänge entheben, abschalten, ausschalten, usw.....
Wer kann so etwas denn tun, ohne im günstigsten Fall nur schief angesehen zu werden?.

Der Mensch hat noch Glück, dass Autos letztendlich doch keine Autos kaufen, sonst hätte man ihn aus Kostengründen schon längst abgeschafft. Da ist es letztendlich fast egal, ob in der Glotze die Weltwirtschaftskrise flimmert oder Spargel für die gewählten Volksvertreter serviert wird....

potemkin 1. April 2009 um 08:17  

Ende der 70er Jahre, also schon im letzten Jahrtausend, gab es im Rahmen der medienkritischen Serie des ZDF 'betrifft Fernsehen' den Beitrag "Vier Wochen ohne Fernsehen". Zwei Berliner Familien wurde der Fernseher weggenommen, die Familien wurden während der Zeit interviewt und gefilmt. Schon damals stellte sich heraus, dass der Zuschauer kaum Alternativen zum Fernsehen fand und es statt dessen zu handfesten Streitigkeiten kam. Einziger Trost: Nach Ablauf der Frist bekam jede Familie 1000 Mark (damals eine stolze Summe)vom Sender und die Geräte kamen unbeschädigt wieder ins Wohnzimmer. Wer damals noch nicht auf dieser Erde lebte, dem sei gesagt: Damals gab es nur drei staatliche Programme! Wirklich! - Die Sendung bekam übrigens den renomierten Adolf-Grimme-Preis. Könnte es sein, dass sich die Abhängigkeit von dieser Droge seitdem leicht verstärkt hat? - Ich spreche hiermit allen Süchtigen Mut zu, die sich mit dem Gedanken tragen, von der Nadel im Kopf weg zu kommen. Information war früher ein schwer zu erhaltendes Gut, aber das ist lange vorbei. Heute muß man sich vor Informationslawinen schützen, auch wenn in diesen Müllbergen mal ein Goldstück aufblitzt.

romano 1. April 2009 um 12:12  

es scheint mit den Informationen nicht anders zu sein, als mit allem anderen auch, das man sich auf die eine oder andere Art zuführt. Bei Informationen ist es nicht anders als beim Essen: der Mainstream der Medien entspricht Fastfood. Wer feinfühliger ist und Fastfood kaum kennt, der kennt aber den Unterschied zwischen Gemüse aus Nährlösung und Gemüse aus biologischem Anbau. So ist es auch bei den Informationen. Man muss halt schauen, was man sich zuführt, sofern man davon nicht abgehalten wird. Manchmal scheint es ja fast, als wären bestimmte sozioökonomische Schichten in den letzten Jahrzehnten nicht nur um gute Nahrung, sondern auch noch um gute Information betrogen worden. Wurde einmal eine vormals relativ biologische Landwirtschaft durch die industriell-chemische ersetzt, so kommt die biologische Landwirtschaft im Hochpreissegment heute wieder zurück. Wers sich leisten kann, frisst wie manche Oma und mancher Opa noch anno dazumal mangels Alternative. Die Mehrheit kommt inzwischen aber aus dem Sumpfloch wertloser Nahrungsmittel nicht mehr heraus. Manchmal hat es fast den Anschein, als meinten manche, das Biogemüse sei eine Erfindung von Industrie und Wissenschaft, weswegen im Grunde industrielle Nahrungsmittel immer noch besser seien. (Von selbst angebauten Nahrungsmitteln reden wir hier nicht, das hat ja bald schon Museumswert.)
Bei den Informationen scheint es indes noch heikler zu sein. Was hier Bio bedeutet, ist nichts anderes als auttentische zwischenmenschliche Rede. Diese wurde abgelöst durch einen aufgeblasenen und technisierten Kapitalsprachgebrauch, während dessen sich das authentische Gespräch wieder als Bedürfnis einstellt, aber sich in die Hinterstuben der Therapiezimmer verzogen hat. Freilich nur für den, der es sich leisten kann. Wer nicht, der hört und spricht Fastfood, im Notfall pharmakologisch erträglich gemacht. So scheint es also um dem Selbstanbau schlecht zu stehen: sowohl dem der Gedanken als auch dem der Nahrungsmittel. Man läßt sich Dinge zuführen, die einem nicht bekommen. Man läßt sich des Wissens berauben, das einem helfen würde.
(Das klingt, als würde ich alte Zeiten herbeisehnen. Nun, darum geht es nicht. Aber man muß schon sehen, wo man das Wesen der Moderne, nämlich das Neue, gegen ihr eigenes Wesen verzerrt. Eine bestimmte Leseart der Moderne ist von einer Aversion gegen alles Nicht-Neue geleitet. Sie findet daher nur moderne, hochtechnisierte Welten und dahinter herschreitende, noch nicht entwickelte oder primitive Welten, Gesellschaften und Lebensformen. Manch besonders Moderne verstehen dann gar nicht mehr, dass man nicht Erzkonservativ ist, wenn man die Menschenrechte verteidigt,ein vor bald 60 Jahren vereinbartes Relikt und sie gegen die Anpassungsforderungen der Verwirtschaftung verteidigt.)
In diesem Sinne: Mahlzeit.

Anonym 1. April 2009 um 13:47  

Ich hab immer gehört und im Sat1 gesehen, Missbrauch gibt`s doch nur bei den Hart4-Empfängern, sonst eher nicht. ;-)

Anonym 1. April 2009 um 14:03  

"[...]Information war früher ein schwer zu erhaltendes Gut, aber das ist lange vorbei. Heute muß man sich vor Informationslawinen schützen, auch wenn in diesen Müllbergen mal ein Goldstück aufblitzt.[...]"

Du hast es sehr treffend beschrieben. Der Autor Udo Pollmer - mit seinen Ernährungsratgebern - sieht es ähnlich, und man kann es treffend auf alle informationsproduzierende Bereiche ausdehnen:

Wir werden derzeit mit unwichtigen Infos zugetextet, statt dass man sich auf die wirklich wichtigen Themen konzentriert....

Die Weisheit, die aus einem Ernährungsratgeber stammt, man kann es nicht oft genug erwähnen gilt für alle Medienbereiche, und du - lieber potemkin - hast es sehr treffend auf den Punkt gebracht, was ich - seit Jahren dank Udo Pollmer - schon lange denke.

Wir benötigen kein "Wahrheitsministerium" (Zitat: George Orwell "1984") - wir werden solange zugemüllt, bis wir alles schlucken - vor Übersätigung oder was auch immer....

Gruß
Nachdenkseiten-Leser

Anonym 1. April 2009 um 15:42  

"[...]Ich hab immer gehört und im Sat1 gesehen, Missbrauch gibt`s doch nur bei den Hart4-Empfängern, sonst eher nicht. ;-)[...]"

Meinst es wohl ironisch? Ansonsten müßte ich sagen, die Erde ist eine Scheibe und fall bloß nicht hinten runter! Übrigens, für mich bleibt die Erde nach wie vor rund!

Anonym 1. April 2009 um 16:11  

Das US-Gesundheitsministerium gibt folgenden Hinweis "Wie kommt man durch harte wirtschaftliche Zeiten?":

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/30/30052/1.html

...lest es einmal, die Nachbarn sollen auf die anderen aufpassen, und melden sollten die "auffällig" werden.

Wo - außer im NS-Staat, der Sowjetunion und in der Ex-DDR - las ich schon einmal etwas von derartigen Spitzelmethoden?

Auch dieser Hinweis ist interessant:

"[...]Wut ist offenbar nicht gerne gesehen, auch nicht Teilnahme an Protesten gegen die Verantwortlichen der Krise oder politisches Engagement zur Veränderung der Situation. Aber das ist wohl auch kein Problem des Gesundheitsministerium, sondern vielleicht des Finanz- oder Heimatschutzministerium.[...]"

Da frage ich mich doch wann Obama einschreitet, denn die drehen offenbar durch im US-Gesundheitsministerium....

Gruß
Nachdenkseiten-Leser

PS: Auch der Hinweis mit "dem positiven Denken" ist aufschlußreich....Nichts gegen eine "positive Grundeinstellung", aber das "positive Denken" ist pure Ideologie ala Dale Carnegie, Napoleon Hill & anderern "Think positive"-Gurus...

Anonym 1. April 2009 um 16:43  

"[...]Ich hab immer gehört und im Sat1 gesehen, Missbrauch gibt`s doch nur bei den Hart4-Empfängern, sonst eher nicht. ;-)[...]"

Meinst es wohl ironisch? Ansonsten müßte ich sagen, die Erde ist eine Scheibe und fall bloß nicht hinten runter! Übrigens, für mich bleibt die Erde nach wie vor rund!


Hab ich auch gehört, nicht nur bei Sat1...

Ganz simpel, man muss es halt x-mal wiederholen wie Frieden, Demokratie, Freiheit, Frieden, Demokratie, Freiheit, Frieden, Demokratie, Freiheit, Frieden, Demokratie, Freiheit usw. usf.

Anonym 1. April 2009 um 22:35  

ahhhhh ....

was muss ich inzwischen alles lesen, houellebecq mit zb: "der möglichkeit einer insel" ?
spargelstechen für pseudosklaven die kaum mehr rechte zugestanden bekommen als zuchtbullen, von uns, unserem rechtssystem ?
... von uns !!! ...

beindrucken lassen wir uns doch von den worten mit denen sie aus dem nährboden gepresst werden, und wohlwollend auf unsere imaginären teller kommentiert werden ?
im rahmen eines kriegsfrühstücks ?
lol ...

... gehts noch ?

lg,
e

Anonym 1. April 2009 um 23:15  

"[...]Ganz simpel, man muss es halt x-mal wiederholen wie Frieden, Demokratie, Freiheit, Frieden, Demokratie, Freiheit, Frieden, Demokratie, Freiheit, Frieden, Demokratie, Freiheit usw. usf.[...]"

Yep, wenn das der selige George Orwell (Autor von "1984") noch wüßte.....wie es heute nach dem Ende der Sowjetunion, der er eigentlich mit seinen Büchern beschrieb, zugeht....der käme prompt wieder und würde mit dem neuen "Neusprech" aufräumen!

epikur 1. April 2009 um 23:37  

Lewis Mumford hat dies in "die Verwandlungen des Menschen" gut auf den Punkt gebracht:

"Die Zivilisation begann mit der Materialisation menschlichen Geistes. Und sie endet in einem geistlosen Materialismus".

Charlie 2. April 2009 um 16:24  

Zu weiten Teilen des ZDF-Programms kann man angesichts des nicht mehr vorhandenen Niveaus schon länger nichts Sinnvolles mehr sagen. Auf die "(Hof-)Berichterstattung" zum "Gipfel" warte ich schon jetzt mit Schrecken.

Als Ergänzung zur auch in den Programmsektor Politik Einzug haltenden Niveaulosigkeit hier noch ein kleiner Hinweis.

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