De dicto

Dienstag, 30. September 2008

"Die CSU ist am Ende. Das Nachtreten, die Schadenfreude, stinkt mir gewaltig. Man macht sich nicht lustig über einen Menschen, der am Boden liegt, man tritt nicht nach, man ist menschlich."
- BILD-Zeitung, Franz Josef Wagner am 30. September 2008 -
Zum Gesagten sei angemerkt: Es mag schon etwas Wahres in diesen Worten liegen, selbst wenn sie aus der Feder eines Schmalzpoeten wie Wagner stammen, der wiederum diese Einsicht nicht aus sich selbst heraus erzielte, sondern eines Schopenhauers benötigte. Und obwohl man in Wagners Reaktionen nach der Bayernwahl erkannte, dass er große Sympathien für die Christsozialen hegt, muß doch festgehalten werden, dass man eigentlich nicht schadenfroh sein sollte. Selbst dann nicht, wenn es nicht ein Mensch ist, der am Boden liegt, sondern eine Partei, ein abstraktes Gebilde folglich - und gleichzeitig doch nicht derart abstrakt, ist sie doch eine Vereinigung von Menschen.

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Ein Grund zur Freude?

Montag, 29. September 2008

Freude, weil die CSU so stark an Rückhalt verloren hat? Weil sie ihren Absolutheitsanspruch verwerfen muß? Muß man sich als in Bayern lebender, ja als gebürtiger Bayer, darüber freuen? Ist es ein Segen für den Freistaat, wenn die CSU nun ihre Allmacht mit einem kleinen Partner an der Seite teilen muß?

Freilich: Klammheimliche Freude tut sich schon auf, wenn die Haderthauers, die Hubers und Becksteins, diese austauschbaren Irgendwers, eine enttäuschte und von der Welt unverstanden fühlende Miene aufsetzen. Es ist Seelenbalsam, die Hetzer und Menschenverächter aus dem christsozialen Lager einmal unterlegen zu sehen, quasi vor den Scherben ihrer Politik. Man freut sich natürlich, weil das den arg menschenverachtenden Aufwind, mit dem diese Partei seit Jahrzehnten - speziell aber in den letzten Jahren radikalen Sozialabbaus - auf die Menschen einschlug, ein wenig drosselt. Die Tiraden Söders, der Arbeitslose immer an einer noch kürzen Leine wissen wollte, sind da noch nicht verhallt und wirken nach - und Söder war dabei nur das Sprachrohr für all jene, die ähnlich dachten, aber nicht gar so plump in die Medien hineinstolperten.

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De omnibus dubitandum

Sonntag, 28. September 2008

Bei der Landtagswahl in Bayern, erhielt...

  • ... die CSU 24,7 Prozent aller möglichen Stimmen.
  • ... die SPD 10,6 Prozent aller möglichen Stimmen.
  • ... die Freien Wähler (FW) 5,8 Prozent aller möglichen Stimmen.
  • ... die Grünen 5,4 Prozent aller möglichen Stimmen.
  • ... die FDP 4,6 Prozent aller möglichen Stimmen.
  • ... die LINKE 2,5 Prozent aller möglichen Stimmen.
Das größte geschlossene Lager - mit 41,9 Prozent - ist jenes der Nichtwähler. Eine schwarz-gelbe Koalition hätte demnach einen Rückhalt von 29,3 Prozent bei allen Wahlberechtigten. Selbst eine Große Koalition, die wohl kaum zur Debatte steht, wüßte lediglich 35,3 Prozent aller Wahlberechtigen hinter sich. Die zur Sprache gebrachte Splitterkoalition von SPD, FW, Grünen und FDP hätte eine "absolute Mehrheit" von 26,4 Prozent aller Wahlberechtigten als Regierungsgrundlage.

Politikverdrossenheit

So wird gemeinhin die Unlust des Bürgers bezeichnet, sich dem politischen Alltag anzunähern, genauer noch: sich den Wahlurnen anzunähern. Verschleiert wird dieses Fernbleiben gerne damit, dass am Wahltag das Wetter nicht mitspielte, weswegen man sich nicht durchringen konnte, das Wahllokal zu besuchen. Mal ist es ein kontinuierlicher Nieselregen, den man zu einem stürmischen Niederschlag verklärt, um damit die ausbleibende Wählerschaft zu erklären; mal ist es ein sommerlicher Tag mitten im Herbst, weshalb man glaubt, die Wähler säßen lieber in der Oberlandbahn oder in Neuschwanstein, als ein Zettelchen in einen Kasten zu werfen, den man begründet durch demokratisch-romantische Gefühle "Urne" nennt. Und wenn das Wetter wechselhaft, wenn es weder sommerlich-warm noch kalt-verregnet war, dann liefern die Wahlbeobachter ebenso treffende Analysen, dann heißt es: Der Wähler saß zuhause, wartete die Entwicklung des Wetters ab, damit er weiß, wo er der Wahl fernbleiben soll - zuhause auf der Couch oder auf einem - dann verspäteten - Sonntagsausflug.

Dass es sich um einen Akt dessen handelt, welches man in der politischen Wissenschaft "Politikverdrossenheit" nennt, wird nicht anerkannt - darf gar nicht anerkannt werden! Würde ein Vertreter einer politischen Partei mit dieser Form von Verdrossenheit argumentieren, dann gäbe er indirekt damit zu, dass die Bürger genug haben vom politischen Apparat und dessen Ausführenden; dann gäbe er zu, Teil eines Apparates zu sein, der wahrscheinlich Fehler produziert hat, der also die Mitverantwortung trägt für den fehlenden Wahlantrieb der Bürger.

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Terror oder Pudding?

Freitag, 26. September 2008

Als man 1967 elf Terroristen festnahm, gerade noch rechtzeitig, noch bevor sie ihren diabolischen Plan umsetzen konnten, überschlug man sich mit Lob an die Adressen der Behörden, namentlich an die Abteilung I Westberlins, der Politischen Polizei also. Und wieso auch nicht? Schließlich habe man "unter verschwörerischen Umständen zusammengekommene" Terroristen aufgehalten, die "Anschläge gegen das Leben oder die Gesundheit des amerikanischen Vizepräsidenten Hubert Humphrey mittels Bomben" verüben wollten. Zudem unterstellte man den nun Inhaftierten, sie wollten auch mittels Chemikalien gefüllter Plastiktüten und "Tatwerkzeugen wie Steinen" gegen diesen Vertreter der US-Administration vorgehen. Ein eingeschleuster V-Mann des Verfassungsschutzes, so glaubt man heute zu wissen, habe den Terrorplan an die Behörden weitergeleitet. Aber bereits einen Tag später waren die elf Terroristen aus der U-Haft entlassen.

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Nomen non est omen

Mittwoch, 24. September 2008

Heute: "Einzelfall"
"Bei dem Angriff auf den Deutsch-Afrikaner Ermyas M. in Potsdam im Frühjahr 2006 sprachen Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) sowie sein Parteifreund Wolfgang Schäuble von einem Einzelfall."
- Spiegel Online, Bericht vom 20. April 2006 -
„Wer glaubt eigentlich noch, dass es sich bei den drei Fahrern der Tour de France, die innerhalb von sechs Tagen des Dopings überführt worden sind, um Einzelfälle handelt?“
- Evi Simeoni, Kommentar aus der FAZ, 18. Juli 2008 -

"Es war eine Illusion zu glauben, Korruption in Deutschland käme nur im Einzelfall vor."
- Sylvia Schenk, Präsidentin von Transparency International (TI), in der Netzeitung vom 18. November 2007 -
Der sogenannte Einzelfall soll aufzeigen, dass ein Ereignis einzigartig sei. Im Gegensatz zum Massenphänomen, wie z.B. dem public viewing, tritt der Einzelfall vermeintlich selten auf. Ab wann ein Einzelfall zu einem größeren Phänomen wird ist nicht eindeutig definiert, sondern liegt vielmehr im Auge des Betrachters. Viele Akteure sprechen gern und häufig von Einzelfällen, um keine Verantwortung übernehmen zu müssen und um zu rechtfertigen, warum sie nicht handeln. Die Argumentation dahinter ist die, dass eine strukturelle Veränderung nur Sinn mache, wenn ein Phänomen häufiger als einmal auftrete. Bekannte Beispiele der Einzelfallthese sind rechtsextreme Übergriffe auf Ausländer, Steuerhinterziehung und Korruption von Unternehmen, übertriebene Disziplinierungen bei der Bundeswehr sowie Ausbeutungsverhältnisse durch Praktikas, Zeitarbeit und Mini-Jobs. Auch wenn von vielen Beobachtern, Medien und Wissenschaftlern ein Ereignis den Status des Einzelfalles schon längst nicht mehr besitzt, wie z.B. bei rechtsextremen Übergriffen in den neuen Bundesländern oder der Ausbeutung durch Praktikas, so klammern sich viele Politiker an die Einzelfallthese, um keine Verantwortung zu übernehmen. Das Schlagwort wird so zu einem Instrument, um eine politische Handlung – meist aus eigenen Interessen – zu verweigern.

Dies ist ein Gastbeitrag von Markus Vollack aka Epikur.

Unseren täglichen Hitler gib uns heute

Vor kurzem verkündete Bundeskanzler a. D. Helmut Schmidt, dass das rhetorische Talent Lafontaines mit jenem unsäglichem Talent des Trommlers und späteren Messias deutschtümelnder Kreise gleichzusetzen sei. Zwar ist diese These zu bezweifeln; hätte ein Hitler mit seiner rhetorischen Ausuferung, mit seinem orgiastischen Ausrufen und dem Höchstmaß an Beleidigungen, kaum mehr Zulauf - wiewohl ein sachlicher Redner wie Lafontaine damals keinen Fuß auf den politischen Boden gebracht hätte -, aber wollen wir dem Alter seine Torheit lassen und es als geltend betrachten. Lafontaine und Hitler: Beide hielten Reden, beide - so sagt Schmidt - sind sich ähnlich.

Nehmen wir den Altkanzler also beim Wort, lassen seine provokative Aussage einfach so stehen. Freilich überlegt man sich, was jemanden dazu bewegt, solche Worte hinauszuposaunen. Ist es etwa der Neid? Ist Schmidt neidisch, weil er kein begnadeter Redner war, so wie er es Lafontaine zugesteht? Vielleicht liegt dieser rhetorische Mangel, der durchaus feststellbar war, in seinem Wesen begründet. Schmidt zeichnete sich (und zeichnet sich noch immer) durch Ausgewogenheit und Bedachtheit aus, ist durch und durch Stoiker. Impulsive Reden waren von ihm nie zu erwarten. Stattdessen wägt er jedes Wort genau ab, konkretisiert in Interviews seine Worte manchmal sogar nachträglich - das ist kein Mangel, soviel muß nachgeschoben werden, denn wer konkretisiert, der zeigt auf, dass er sich Gedanken macht, dass er nicht einfach lostrompeten will, sondern mit Bedacht Aussagen trifft. Auch diese Ruhe, die er verströmte, machten ihn zu einer charismatischen Figur der politischen Landschaft. Und als der junge Schmidt, schlank, voller Elan und immer, trotz seines Kosmopolitismus, heimatverbunden war, da war faßbar, welches charismatische Potenzial in diesem Manne schlummerte. Charisma? Sagte man das nicht auch Adolf Nazi nach?

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Ansichten eines Büttels

Dienstag, 23. September 2008

Natürlich kann ich mich wieder im Spiegel ansehen. Und was heißt denn da „wieder“? Konnte ich immer, heute wie damals. Ihr jungen Leute müßt immer gleich mit moralischen Vorwürfen aufkreuzen. Dabei wisst ihr gar nicht, wie es damals war!

Sicher, Sie haben recht, die Geschichte hat uns als Irrtum abgestempelt und, nebenbei bemerkt, wir haben dafür auch bezahlt. Wissen Sie eigentlich, welche Auflagen einem sogenannten „Kollaborateur“ danach gemacht wurden? Ich hatte Glück... das heißt vielmehr: ich hatte mir nichts zu Schulden kommen lassen. Bin deswegen auch in zweiter Instanz von der Kommission zur Vergangenheitsüberprüfung freigesprochen worden.

Wie bitte? Achso, ja, da sprechen Sie den wunden Punkt meines Berufslebens an. Ich durfte wirklich nicht mehr im öffentlichen Dienst arbeiten, meine Karriere als Sachbearbeiter war nach dem Umsturz beendet. Ich hatte diese Arbeit gerne gemacht; sie war mir Berufung. Später durfte ich Akten in Regale ordnen und Papiere abheften - der berufliche Umgang mit Menschen war mir ab da strikt verboten. Aber ich muß trotzdem zugeben, Glück gehabt zu haben. Andere - Kollegen von mir, wenn man das so bezeichnen will - wurden ja sogar wegen versuchten Mordes eingesperrt. Ich las damals voll Erstaunen, dass man einige Unglückliche sogar wegen Mordes, nicht nur wegen des angeblichen Versuches dazu, zu lebenslanger Haft verurteilt hat.

Zurecht? Ich bitte Sie! Wir haben damals nur das geltende Recht angewandt. Jemanden die finanzielle Grundlage zu entziehen war eben Usus. Frei darüber entscheiden durften wir nicht; immerhin gab es dieses ominöse Gesetzbuch, dessen Namen - oder Abkürzung besser gesagt - man ja heute als Inbegriff sozialpolitischer Teufelei brandmarkt. Außerdem ist das Entziehen der finanziellen Mittel bei weitem kein Mord...

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Sit venia verbo

Montag, 22. September 2008

"Eine große Menge schlechter Schriftsteller lebt allein von der Narrheit des Publikums, nichts lesen zu wollen, als was heute gedruckt ist - die Journalisten. Treffend benannt! Verdeutscht würde es heißen 'Tagelöhner'."
- Arthur Schopenhauer -

Schröpft die Kranken!

Sonntag, 21. September 2008

Einmal mehr glänzt Nicolaus Fest, Mitglied der BILD-Chefredaktion, durch eine Darlegung seines Weltbildes. Es ist eines jener spießbürgerlichen Weltbilder, das Sündenböcke braucht, Schuld auf das schwächste Glied der Gesellschaft schiebt und sich durch Vorurteile und falsch interpretierte Einsichten selbst am Leben hält. "Hieb- und Stichfest" nennt sich seine allwöchentliche Kolumne, und es versetzt der aufgeklärten Vernunft wahrlich immer wieder einen Hieb und sticht immer wieder arg in der Seele, wenn man lesen muß, mit welchem Gestank aus konservativer Herrenrunde und bürgerlicher Spießigkeit, er seine Traum- und Wunschwelten niederschmiert.

So auch unlängst, als er zurückhaltend - aber dennoch die Stoßrichtung vorgebend - fragte, ob denn Dicke, Raucher und Alkoholiker höhere Kassenbeiträge zu leisten hätten. Dabei legt er erst dar, dass in Zeiten knapper Kassen die Zentrale Ethik-Kommission darüber zu entscheiden habe, was die Krankenkassen zu zahlen haben und was nicht. Über ethisches Denken und Handeln läßt sich trefflich streiten - darum soll es aber an dieser Stelle nicht gehen. Fest erklärt daraufhin, was die Kommission als klare Leitlinie vorgab - nämlich dass alles bezahlt werden müsse, was Leben rette und wesentliche Körperfunktionen aufrechterhalte. Dass man als Arzt und Krankenkasse nicht darüber zu urteilen habe, wie alt der Patient ist, also konkret: das die Frage, ob denn ein Hüftgelenk für einen Greis weniger wichtig sei, als die Heilung eines schwerkranken Kindes, wußte die Ethik-Kommission mit dieser Neutralität und Gleichbehandlung allen Lebens aus der Diskussion verbannt. Dies ist im Sinne ethischen Handelns zweifelsohne zu begrüßen. Denn: Jedes Leben will gelebt sein! Das Alter eines Lebens spielt hierbei keine Rolle. Wenn man einen Unfallort betritt, an dem ein Neunzigjähriger lebensbedrohliche Verletzungen erlitten hat, gleichzeitig liegt daneben ein Kind, welches gleichfalls um sein Leben ringt, dann mag es menschlich vertretbar sein, sich dem Kinde zuzuwenden. Ethisch vertretbar ist es indes aber nicht, denn ethisch betrachtet gibt es keine Vorfahrt oder Besserstellung des einen Lebens vor dem anderen. Nun wird aber dem Lebensretter eine Entscheidung abgenötigt, die auf der einen Seite lebensspendend sein kann, während sie auf der anderen Seite ethisch verfehlt - man ist also ethischer Sieger und Verlierer zugleich. Eine wahrhaft ethische Lösung wäre nur, wenn man sich zerreißen, wenn man beiden gleichzeitig helfen könnte.

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Gegenöffentlichkeit hetzt Öffentlichkeit

Samstag, 20. September 2008

Vor einigen Tagen kamen die NachDenkSeiten - namentlich Albrecht Müller - zu der Einsicht, dass der Widerstand gegen den Einheitsbrei anwachse und die Gegenöffentlichkeit langsam aber sicher immer mehr Menschen erreiche. Anzumerken sei aber auch, dass die Stärkung einer Gegenöffentlichkeit nicht alleine den NachDenkSeiten angerechnet werden darf. Auch wenn der Großteil dieser "anderen Öffentlichkeit" durchaus auf deren Konto geht, so muß man doch all die kleinen, oft geradezu winzigen und solche, die mittlerweile als mittelgroße Blogs gelten dürfen, erwähnen. Jene ringen täglich mit dem Wahnsinn der Massenmedien, um eine andere Sichtweise des Vorgekauten und Vorgegebenen zu ermöglichen. Dabei spielt es auch gar keine Rolle, ob die einzelnen Akteure lediglich "journalistische Kostbarkeiten" aus den Massenmedien - die Ausnahme, die die Regel bestätigt! - aufgreifen und verlinken, Positionen der NachDenkSeiten heranziehen und weiterspinnen oder kommentieren, oder aus ihrem direkten und indirekten Umfeld Zustände herauspicken, um sie zu dokumentieren - jede dieser und weiterer Formen der Gegenöffentlichkeit hat ihre Berechtigung und trägt dazu bei, einer kleinen Schar von Lesern zum Umdenken, wenigstens aber zum Nachdenken, zu verhelfen.

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In nuce

Freitag, 19. September 2008

Erst eine Finanzkrise stoppte das seit Jahren verkündete Märchen, wonach der Rente durch Kapitaldeckung die Zukunft gehöre und das Umlageverfahren ein Relikt vergangener Tage - manche meinte gar: aus den Tagen Bismarcks! - sei. Plötzlich geben einschlägige Vertreter der Massenmedien zu, dass ausgerechnet jene Renten sicher sind, die per Umlageverfahren ausgezahlt werden. Man darf nun freilich nicht hoffen, dass die BILD-Zeitung und heute.de zugeben werden, einst selbst - manchmal unterschwellig, nicht selten aber ganz ohne Maske - einen Irrtum zum Dogma erhoben zu haben. So weit geht die Einsicht dann doch nicht; vielmehr ist es nun so, dass die großen Verdummer vergangener Jahre so tun, als wäre nichts gewesen. Und besonders dreiste Vertreter der Massenmedien werden ein "Wir-haben-es-doch-immer-gesagt"-Verhalten an den Tag legen. Obwohl die kurz aufflackernde Einsicht erfreulich ist, ernüchtert sie dennoch sehr. Denn wenn Medien lautlos dazu übergehen, das Gegenteil dessen zu berichten, was sie Jahr für Jahr als geradezu sozialromantischen Kitsch verklärt haben, dann darf man getrost an der Aufrichtigkeit der Einsicht zweifeln. Man fühlt sich an das "Ministerium für Wahrheit" erinnert, wie es uns in Orwells Dystopie begegnet, und man fragt sich unwillkürlich, wo denn die zu öffnende Klappe ist, die in die Tiefen eines gigantischen Feuers hinabführt, in welche man die Wahrheiten von heute einwerfen und damit verbrennen kann, damit sie morgen für immer von der Bildfläche getilgt sind - so getilgt und vergessen wie die neue Einsicht, daß man mit dem Umlageverfahren sicherer fährt. Denn die Einsicht von heute ist der Irrtum von gestern...

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De dicto

Donnerstag, 18. September 2008

"Ohnehin stellt Lafontaine gerne Behauptungen auf, die nachweisbar falsch sind. Die Mär vom Moskau-Studium der „Jungkommunistin“ Angela Merkel gehört dazu. Fakten lässt er nicht gelten. Im Gegenteil: Er vertritt dann das Falsche umso energischer. Kein Wunder, wenn man von der eigenen Unfehlbarkeit überzeugt ist."
- BILD-Zeitung, Hugo Müller-Vogg am 17. September 2008 -
Zum Gesagten sei angemerkt: Es gibt ein bezeichnendes Bild ab, wenn man hier nachlesen muß, wie die BILD und deren Schreibschergen, sich mit Lafontaine auseinandersetzen. So kramt Müller-Vogg, um den man sich immer noch sorgen muß, die mittlerweile vergessene Geschichte von Angela Merkels Jungkommunisten-Status hervor, um zu beweisen, mit welch dreisten Verlogenheiten die LINKE kämpft. Dass Lafontaine seinerzeit behauptet hat, dass Merkel in Moskau studieren durfte, nicht aber, ob sie es wirklich getan hat, hat der Haus- und Hofschreiber des Konservatismus noch immer nicht begriffen. Und ausgerechnet dieses fadenscheinige Zitat soll bei Müller-Vogg herhalten, um Lafontaines Lügerei bloßzustellen. Dies sagt einiges, nein alles, über die Vorgehensweise der Massenmedien aus und legt dar, wie voll die Hosen der Müller-Voggs und Tichys wirklich zu sein scheinen.
Überhaupt darf nun jeder, der im Axel-Springer-Haus sitzt, oder für dieses Haus aus dem gemütlichen Wohnzimmer heraus schreibt, einmal auf Lafontaine einschlagen. Jedes Ressort, jeder noch so dämliche Journalist darf sein Können, welches sich vornehmlich in Nicht-Können ergießt, unter Beweis stellen; darf beweisen, dass aus ihm nie ein seriöser Journalist geworden wäre, schon alleine, weil jegliches Talent fehlt. Vielleicht ist gerade dies das Demokratieverständnis der BILD: Es darf jeder einmal, auch wenn man kaum das Zeug dazu hat, einen Journalisten abzugeben; auch wenn man gar nicht schreiben kann; auch wenn man politisch vorgeprägt und gekauft ist.

Nachdem Müller-Vogg dargelegt hat, dass ihm die Aussagen Lafontaines nicht gefallen haben, wonach dieser angeblich eine Milliardärsfamilie enteignet wissen möchte, hätte er nicht mehr erklären müssen, dass er meist FDP wählt - das eine schließt das andere sicherlich mit ein. Dass Lafontaine übrigens nicht von Enteignung sprach, sondern von einer Anteilseignerschaft der Arbeitnehmer, hat der Mann, der vom verlogenen LINKEN-Papst spricht, einfach vergessen - man könnte auch sagen: er hat selbst gelogen. Lüge zur Entlarvung der Lüge - sehr konsequent! Enteignung kam in Lafontaines Ausspruch nur einmal zur Sprache, und dann auch nur, nachdem der danebensitzende Journalist dieses Wort aufgriff. Und dann sprach Lafontaine auch lediglich von der Aufhebung der Enteignung, die jene Milliardärsfamilie an Tausenden Arbeitnehmern seit Jahrzehnten vorgenommen hat - exemplarisch für viele solcher Milliardäre, versteht sich. Das klingt freilich anders, und aus der Sicht der konservativen Ewiggestrigen, klingt dies noch viel schlimmer als eben jenes, was sie ihm derzeit unterstellen. Denn wer die Grundlagen dieser Gesellschaft so in Frage stellt, wer das Ausbeutungsverhältnis als Irrtum der Geschichte und Gegenwart darstellt, der entzieht diesen Gestalten, die nun mit voller Hose Amok laufen, die Grundlage ihrer jetzigen, fadenscheinigen, menschenverachtenden, egoistischen Existenz.

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Bildung und Business

Mittwoch, 17. September 2008

Nicht ohne väterliche Traurigkeit entließ ich gestern meine Tochter in jenen Lebensabschnitt, den man als den Beginn des "Ernst des Lebens" bezeichnet. Eine auf ratio begründete Umschreibung für einen Zustand, der weniger Ernsthaftigkeit als Irrsinn widerspiegelt. Sie wird auf den Weg gebracht, der sie auf den allzu ernsthaften Wahnsinn des Alltags zuführt, der sie einsteigen läßt in eine immer erwachsener werdende, daher rational-lieblose Welt, in der nicht mehr Phantasie und Verspieltheit gefragt sind, sondern ernster Blick und - irgendwann einmal - exaktes Funktionieren. Um mich herum die Zuversicht, geschrieben in elterliche Gesichter; ich nach Außen als lächelnder Vater, seiner Tochter die Freude gebend, die ihr an einem solchen Tage zuzustehen scheint; in mir Tristesse und die Gewißheit, meiner Tochter beste Lebenszeit, Zeit der Sorglosigkeit und der ungehemmten Lebensfreude, unwiederbringlich beendet zu wissen.

Im Sinne der Zuversicht und Freude am langsam einkehrendem Irrsinn im Leben der Kinder, wurde eine Einschulungsfeier gestaltet. Hervorgehoben wurde dabei - freilich kindgerecht gestaltet - die Freude am Wettbewerb der Lernenden, die ewig gleich klingende Formel vom "Aus-dir-soll-mal-was-werden" - als ob diese Kinder nicht schon sind! Ein Kinderchor sang, Klassenlehrerinnen wurden vorgestellt und später, nachdem die Veranstaltung beendet war, beschritten wir die Stätte, in der unsere Kinder zu nützlichen Gliedern dieser Gesellschaft gemacht werden sollen. Unterbrochen aber, und von dem soll hier eigentlich berichtet werden, wurde die Veranstaltung, nach nur einem Kinderlied; unterbrochen, um einem Unternehmen zu Wort zu verhelfen - einem Unternehmen, welches zunächst freilich nicht als solches erkannt wird, weil man nicht an Bilanzen und zu konsumierende Güter denkt, sondern an Tore und Punkte. Der FC Ingolstadt, seit diesem Jahr Zweitligist im deutschen Fußball, schickte ihren Mediengockel, der auch schwungvoll ins Mikrofon krähte, irgendwas "von der Jugend die Sport liebt" und der "Zukunft, die sich an den Kindern erkennen ließe" monoton und in Stakkato herausposaunte, und voller gütiger Großzügigkeit lieblos bedruckte Stundenpläne an die Kinder weiterreichte - natürlich mit Vereinslogo!

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Anamnese eines Patienten

Sonntag, 14. September 2008

Der deutsche Journalismus fühlt sich nicht nur unwohl, leidet nicht nur dann und wann unter Bauch- und Magenschmerzen (verursacht sowieso vielmehr selbige beim Leser, Zuhörer und -seher), sondern scheint endgültig ernsthaft erkrankt, vielleicht sogar - auch wenn man noch an ein Wunder glauben möchte - in den letzten Todeszuckungen darniederzuliegen. Zumindest muß man das annehmen, wenn man die wöchentlichen Therapiestunden verfolgt, die in erster Reihe, öffentlich-rechtlich bei der ARD, ausgestrahlt werden. Sonntäglich sitzt man beisammen, schmeißt mit seinem journalistischem Wissen - und solchem, was man für Wissen halten könnte - um sich, erklärt dem Zuschauer die politische Welt und mimt ein wenig demokratisch-pluralistischen Meinungsaustausch, der freilich gar nicht so pluralistisch ist, vielmehr nur einen solchen Anstrich haben soll.

Denn bewegt wird sich vornehmlich in einem Gebäude aus Axiomen und vorgebastelten Plattitüden. Unumstößlich scheinen Botschaften, wie eben jene bekannte, immer wieder vorgebetete, dass wir in einer "demographischen Falle sitzen", daher - man will ja dem Zusehenden logische Schlußfolgerungen anbieten! - eine "private Rentenversicherung" die Rettung aus der Misere sei oder eben, damit wir auch dem aktuellen öffentlichen Diskurs gerecht werden, dass die "Agenda 2010 ein Erfolg" sei, der aber schnell Geschichte sein könnte, wenn man die "Anreize um Arbeit anzunehmen" nicht schnellstens erhöht, was dann soviel heißt wie "Senkung des Hartz IV-Regelsatzes" - Erhöhung durch Senkung! So gestaltet sich der allwöchentliche "Presseclub" als Bauchpinseln am Zeitgeist, kritiklos, nachplappernd und in der Hülle angeblich unabhängiger Berichterstattung.

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Ridendo dicere verum

"Ich möchte Sie heute mal ermuntern, viel öfter ins politische Kabarett zu gehen. Im politischen Kabarett sind Sie ja stets von lauter engagierten Gesellschaftskritikern umgeben. Einige sind auch leise engagiert, manche auch geradezu engagiert leise, aber im Engagement sind alle, denn wer heutzutage nirgendwo im Engagement ist, der kann sich ja die Gesellschaftskritik einer Kabaretteintrittskarte kaum noch leisten. Zumindest nicht in den Tempeln der Kleinkunst, da wo das literarische Kabarett zelebriert wird – wo man die knallharte Gesellschaftskritik in weiche Polstersessel aufhängt und wo man das im Halse steckengebliebene Lachen in der Pause mit Champagner runterspült. An solchen Orten, da läßt man sich die Kritik am eigenen Lebenswandel genauso folgenlos um die Ohren schlagen, wie in der Kirche.
[...]
Kabarett ist eine Art moderner Ablasshandel. Das schlechte linke Gewissen aus dem Feuer springt, wenn das Geld in der Kleinkunstkasse klingt! Und deshalb sollten Sie Kabaretteintrittskarten immer gut aufheben. Wenn dann irgendwann einmal, nach dem Zusammenbruch des Kapitalismus, wenn dann jemand zu Ihnen kommt und fragt: „Na, was hatten Sie denn für eine Funktion in diesem System?“ Dann sagen Sie: „Halt! Moment!“ Holen den großen Karton mit den Kabaretteintrittskarten raus und sagen: "Hier! Ich war dagegen! Hier ist der Beweis, ich war im Widerstand. Ich habe laut und öffentlich gelacht, wenn meine Regierung verspottet wurde, ich habe geklatscht, ich habe anhaltend geklatscht, wenn das System kritisiert wurde, und wenn seine Unmenschlichkeit in lustigen Sketchen entlarvt wurde. Was wollen Sie von mir? Ich war keine Blockflöte, war eine Querflöte! Ich habe meinen Müll sortiert und Franz Alt gelesen. Ich habe mich freiwillig an Tempo 100 gehalten, zumindest in geschlossenen Ortschaften. Ich habe für vom Aussterben bedrohte Arten gespendet: für Kurden, Robben, Grüne, Linke, Intellektuelle. Ich war doch dagegen! Ich war für "Schwerter zu Pflugscharen", für "Politiker zu Menschen". Ich bin doch auch nur ein Mensch!" Und wie steht es über den Menschen geschrieben? - Wer zu spät geht, den bestraft seine Natur."

- Volker Pispers -

Drei Großväter

Samstag, 13. September 2008

Es waren einmal drei Großväter. Der erste lebte Verzicht und Selbstaufgabe zugunsten seiner Enkelkinder; der zweite Großvater gab sich Mahnungen und verwirrender Zahlenmystik hin, während der dritte als Hoffnungsträger und Erneuerergestalt auftrat. Nun hatten alle drei einen braven, folgsamen Enkelsohn, der ihnen jeden Wunsch von den Augen ablas. Und da dieser vorbildliche junge Mann - rein zufällig - Journalist und Chefredakteur einer großen Tageszeitung war, bot er den Mitgliedern dieses fidelen Seniorenbundes an, sie in seinem Blatt zu erwähnen. Es war nicht nur das gute Herz eines Enkels, welches ihn zu dieser generösen Handlung trieb, sondern vielmehr die erschlagende, befreiende, aufklärerische Weisheit seiner vitalen Vorväter, die er jedem Leser nähergebracht wissen wollte.

So erteilte er dem ersten Großvater das Wort, ließ ihm davon berichten, wie dieser seine nicht gerade üppige, doch für ihn zufriedenstellende Rente beschnitt, um der Staatsverschuldung ein wenig Einhalt zu gebieten. Dem liebevollen Enkelsohn standen Tränen in den Augen, als der Weise völkisch-pathetisch erklärte, dass er dem jungen Volke nicht auf der Tasche liegen möchte und dass er dies eigentlich auch von allen älteren Menschen des Landes erwarte. Das wehleidige Klagen und Jammern, so hieß es aus diesem klugen Munde der Lebenserfahrung, könne einfach nicht mehr ertragen werden. Der Enkel griff diese Weisheiten auf, machte daraus ein kleines Heldenstück des Alltags und war sich sicher, damit das Herz seiner Leserschaft erobern zu können.

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