Hungerspiele

Mittwoch, 13. Februar 2008

Der Reigen der Kleingeister, die sich nun blitzgescheit zur Intergration - besser zur sogenannten fehlenden Integration - zu äußern wissen, kann nicht überraschen. Es gehört zum Prinzip der Massengesellschaft, abgestandene und abgedroschene Thesen, die einem bestimmten Ziel zuträglich sein können, wieder und immer wieder zu repetieren. So auch im Falle der CSU-Generalsekretärin Christine Haderthauer, die zu dem üblichen "Erkenntnissen" noch ein wenig "philanthropische Rigorosität" ins Spiel bringt: Weniger Sozialhilfe bei Integrationsmüdigkeit.

Wenn wir die unmoralische Botschaft dieser Forderung beseitestellen, springt uns das von Ressentiment verseuchte Weltbild der bayerischen Christsozialen ins Auge. Es lautet: Jene, die nicht integriert sind - wobei die CSU entscheidet wer es ist und wer nicht -, leben grundsätzlich von Transferleistungen. Kurzum: Sie wollen nicht nur nicht die deutsche Sprache lernen, sondern kosten dem deutschen Steuerzahler - das ist eine wichtige Floskel, denn Steuern bezahlen hierzulande scheinbar nur deutsche Arbeitnehmer - zudem noch Geld! Dabei ignoriert man, daß es erwerbstätige ausländische Bürger, die der deutschen Sprache kaum mächtig sind, ebenso gibt. Dies weckt die Befürchtung, daß nur derjenige nicht integriert ist, der weder spricht noch arbeitet. Hier offenbart sich die Integrationsdebatte als das, was sie wirklich ist: Eine sanfte, in Vernunft gehüllte Selektion der Unterschichten, die durch die üblichen Sanktionen - mangels Sprachverständnis - nicht drangsaliert werden können. Und ganz leise schimmert da eine Programmatik durch, die man eigentlich in rechteren Gefilden zu finden meinte. Aber wir wissen ja, daß es in Bayern rechts neben der CSU nichts mehr geben darf.

Gleichermaßen verhält es sich mit dem konkreten Inhalt der Forderung. Wie rechtfertigt man es, einem Menschen die materielle Grundlage zu entziehen, nur weil er - angeblich - nicht integrationsfähig ist? Oder anders gefragt: Darf man Menschen aushungern, weil sie nicht so "funktionieren", wie man es gerne hätte? - Dass man gerade mit dem Hunger einen vortrefflichen Untertanengeist formt, zeigte sich in diesen Tagen auch am Speiseplan für ALG2-Bezieher, der wohl mehr Angst schürt als Gewißheit nährt, wonach man im Falle einer Langzeitarbeitslosigkeit ein treffliches Auskommen und einen vollen Magen habe. Bei der Aussicht auf eine Bratwurst und etwas Kartoffelbrei zum Mittagstisch, nimmt man wirklich jede unwürdige Tätigkeit, zu jedem noch unwürdigeren Lohn an. Haderthauer setzt noch einen drauf, indem sie dem Transfergelder beziehenden Ausländer sein klägliches Auskommen rauben will. Lern' die deutsche Sprache oder hungere! Das diese Forderung gerade von Haderthauer kommen muß, die ihre Anwaltskanzlei am Rande eines Ingolstädter Stadtteils hat, der viele ausländische Mitbürger beherbergt, darf als Zeichen weltentrückter Arroganz gewertet werden. Eine Arroganz, die leider nicht bestraft werden kann: "Es gibt viele Arten zu töten. Man kann einem ein Messer in den Bauch stechen, einem das Brot entziehen, einen von einer Krankheit nicht heilen, einen in eine schlechte Wohnung stecken, einen zum Selbstmord treiben, durch Arbeit zu Tode schinden, einen in den Krieg führen usw. Nur weniges davon ist in unserem Staate verboten." (Bertolt Brecht)

Diese Form der existenziellen Bestrafung, die Verstöße mit willkürlichen Zwangsmaßnahmen sanktioniert, läuft dem rechtsstaatlichen Prinzip zuwider. Hunger ist keine Strafe für Lernunwillen. Die Strafe auf eine begangene Tat muß transparent sein, d.h. sie muß zur Tat passen. Ein von den Baubehörden nicht genehmigter Anbau ans Haus, wird nicht mit einem Führerscheinentzug geahndet. (Um der Kritik zuvorzukommen: Ich halte eine ungelernte Sprache in keinster Weise für strafwürdig.) Außerdem: In einer Gesellschaft, die genug für jeden produziert, ist die existenzielle Abstrafung als Anachronismus zu werten. Dennoch bleibt der Hunger eine Konstante im gesellschaftlichen Ringen der Klassen, die sich nur oberflächlich egalisiert haben. Man bittet den Hunger an die Front, um Willen zu brechen, Menschen zu erniedrigen, sie zu Dingen zu treiben, die sie freiwillig nie tun würden. Zu dieser Niedertracht greift einmal mehr die CSU. Indem sie die affirmativen Kräfte des Hungers beschwört, glaubt sie Kulturunterschiede repressiv wegzaubern zu können. Der Entzug der Lebensgrundlage, gleichgültig mit welchem Motiv begründet, muß beim Namen genannt werden. Es ist vorsätzlicher Mord! Und gerade in diesen Tagen, da ein arbeitsloser Mann sich zu Tode hungerte, weil man ihm die Lebensgrundlage (Arbeitslosengeld) entzog, muß man dies in aller Direktheit betonen: Es ist vorsätzlicher Mord!

Erst wenn der Hunger als Strafmittel geächtet ist, kann man von Zivilisation sprechen. Bis dahin bleibt der Mensch, obwohl er in eine Gesellschaft gefüllter Lebensmittelregale geworfen ist, in einem Urzustand versetzt, in dem er wie ein verstossener Wolf, dem großen Fressen des Rudels fernbleiben muß.

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