Ridendo dicere verum

Sonntag, 14. September 2008

"Ich möchte Sie heute mal ermuntern, viel öfter ins politische Kabarett zu gehen. Im politischen Kabarett sind Sie ja stets von lauter engagierten Gesellschaftskritikern umgeben. Einige sind auch leise engagiert, manche auch geradezu engagiert leise, aber im Engagement sind alle, denn wer heutzutage nirgendwo im Engagement ist, der kann sich ja die Gesellschaftskritik einer Kabaretteintrittskarte kaum noch leisten. Zumindest nicht in den Tempeln der Kleinkunst, da wo das literarische Kabarett zelebriert wird – wo man die knallharte Gesellschaftskritik in weiche Polstersessel aufhängt und wo man das im Halse steckengebliebene Lachen in der Pause mit Champagner runterspült. An solchen Orten, da läßt man sich die Kritik am eigenen Lebenswandel genauso folgenlos um die Ohren schlagen, wie in der Kirche.
[...]
Kabarett ist eine Art moderner Ablasshandel. Das schlechte linke Gewissen aus dem Feuer springt, wenn das Geld in der Kleinkunstkasse klingt! Und deshalb sollten Sie Kabaretteintrittskarten immer gut aufheben. Wenn dann irgendwann einmal, nach dem Zusammenbruch des Kapitalismus, wenn dann jemand zu Ihnen kommt und fragt: „Na, was hatten Sie denn für eine Funktion in diesem System?“ Dann sagen Sie: „Halt! Moment!“ Holen den großen Karton mit den Kabaretteintrittskarten raus und sagen: "Hier! Ich war dagegen! Hier ist der Beweis, ich war im Widerstand. Ich habe laut und öffentlich gelacht, wenn meine Regierung verspottet wurde, ich habe geklatscht, ich habe anhaltend geklatscht, wenn das System kritisiert wurde, und wenn seine Unmenschlichkeit in lustigen Sketchen entlarvt wurde. Was wollen Sie von mir? Ich war keine Blockflöte, war eine Querflöte! Ich habe meinen Müll sortiert und Franz Alt gelesen. Ich habe mich freiwillig an Tempo 100 gehalten, zumindest in geschlossenen Ortschaften. Ich habe für vom Aussterben bedrohte Arten gespendet: für Kurden, Robben, Grüne, Linke, Intellektuelle. Ich war doch dagegen! Ich war für "Schwerter zu Pflugscharen", für "Politiker zu Menschen". Ich bin doch auch nur ein Mensch!" Und wie steht es über den Menschen geschrieben? - Wer zu spät geht, den bestraft seine Natur."

- Volker Pispers -

  © Free Blogger Templates Columnus by Ourblogtemplates.com 2008

Back to TOP