Nomen non est omen

Mittwoch, 24. September 2008

Heute: "Einzelfall"
"Bei dem Angriff auf den Deutsch-Afrikaner Ermyas M. in Potsdam im Frühjahr 2006 sprachen Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) sowie sein Parteifreund Wolfgang Schäuble von einem Einzelfall."
- Spiegel Online, Bericht vom 20. April 2006 -
„Wer glaubt eigentlich noch, dass es sich bei den drei Fahrern der Tour de France, die innerhalb von sechs Tagen des Dopings überführt worden sind, um Einzelfälle handelt?“
- Evi Simeoni, Kommentar aus der FAZ, 18. Juli 2008 -

"Es war eine Illusion zu glauben, Korruption in Deutschland käme nur im Einzelfall vor."
- Sylvia Schenk, Präsidentin von Transparency International (TI), in der Netzeitung vom 18. November 2007 -
Der sogenannte Einzelfall soll aufzeigen, dass ein Ereignis einzigartig sei. Im Gegensatz zum Massenphänomen, wie z.B. dem public viewing, tritt der Einzelfall vermeintlich selten auf. Ab wann ein Einzelfall zu einem größeren Phänomen wird ist nicht eindeutig definiert, sondern liegt vielmehr im Auge des Betrachters. Viele Akteure sprechen gern und häufig von Einzelfällen, um keine Verantwortung übernehmen zu müssen und um zu rechtfertigen, warum sie nicht handeln. Die Argumentation dahinter ist die, dass eine strukturelle Veränderung nur Sinn mache, wenn ein Phänomen häufiger als einmal auftrete. Bekannte Beispiele der Einzelfallthese sind rechtsextreme Übergriffe auf Ausländer, Steuerhinterziehung und Korruption von Unternehmen, übertriebene Disziplinierungen bei der Bundeswehr sowie Ausbeutungsverhältnisse durch Praktikas, Zeitarbeit und Mini-Jobs. Auch wenn von vielen Beobachtern, Medien und Wissenschaftlern ein Ereignis den Status des Einzelfalles schon längst nicht mehr besitzt, wie z.B. bei rechtsextremen Übergriffen in den neuen Bundesländern oder der Ausbeutung durch Praktikas, so klammern sich viele Politiker an die Einzelfallthese, um keine Verantwortung zu übernehmen. Das Schlagwort wird so zu einem Instrument, um eine politische Handlung – meist aus eigenen Interessen – zu verweigern.

Dies ist ein Gastbeitrag von Markus Vollack aka Epikur.

2 Kommentare:

Anonym 24. September 2008 um 13:51  

Ein Kabarettist sprach im letzten Jahr - treffend zu Deiner Analyse der Verwendung dieses Begriffs - vom flächendeckenden Einzelfall.

Anonym 24. September 2008 um 22:49  

Jeder Fall ist ein Einzelfall. Wenn der Einzelfall massenhaft vorkommt, wird er aber zum Sündenfall.

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