Ein Grund zur Freude?

Montag, 29. September 2008

Freude, weil die CSU so stark an Rückhalt verloren hat? Weil sie ihren Absolutheitsanspruch verwerfen muß? Muß man sich als in Bayern lebender, ja als gebürtiger Bayer, darüber freuen? Ist es ein Segen für den Freistaat, wenn die CSU nun ihre Allmacht mit einem kleinen Partner an der Seite teilen muß?

Freilich: Klammheimliche Freude tut sich schon auf, wenn die Haderthauers, die Hubers und Becksteins, diese austauschbaren Irgendwers, eine enttäuschte und von der Welt unverstanden fühlende Miene aufsetzen. Es ist Seelenbalsam, die Hetzer und Menschenverächter aus dem christsozialen Lager einmal unterlegen zu sehen, quasi vor den Scherben ihrer Politik. Man freut sich natürlich, weil das den arg menschenverachtenden Aufwind, mit dem diese Partei seit Jahrzehnten - speziell aber in den letzten Jahren radikalen Sozialabbaus - auf die Menschen einschlug, ein wenig drosselt. Die Tiraden Söders, der Arbeitslose immer an einer noch kürzen Leine wissen wollte, sind da noch nicht verhallt und wirken nach - und Söder war dabei nur das Sprachrohr für all jene, die ähnlich dachten, aber nicht gar so plump in die Medien hineinstolperten.

Aber die Freude ist sofort im Keim erstickt! Denn sollte man sich als Bayer wirklich freuen, dass es bald eine Koalition zwischen CSU und FDP geben wird? Ist es ein Grund zum Jubeln, jene in der Regierungsarbeit zu wissen, die von erhöhten Nettolohn faseln, während ihnen der niedrige Bruttolohn gleichgültig ist? Um es anders auszudrücken: Kann man sich an solchen Gestalten ergötzen, die Staatsrückzug verlangen und gleichzeitig die Verantwortung von Unternehmen senken wollen? Die also eine Gesellschaft sozialer Kälte sichern wollen, die sie selbst als Bürgergesellschaft bezeichnen? Soll man ein Hallelujah anstimmen, weil das letzte bisschen Soziale innerhalb der CSU vom Wirtschaftsliberalismus der FDP - und nur innerhalb der Wirtschaft ist sie liberal, ansonsten ist sie eher spießig und borniert - aufgesaugt wird? Ist es erstrebenswert, wenn der Absolutismus der CSU durch einen Absolutismus des radikalen Marktliberalismus ersetzt wird?

Oder darf man hoffen, dass die CSU sich mit jener Wählervereinigung zusammentut, die kein Programm vorzuweisen hat? Mit den Freien Wählern - die sich vornehmlich aus Besserverdienenden rekrutieren -, die "bürgernahe Politik" und "Pragmatismus" zu ihren Maximen erklärt haben? Dabei wissen wir natürlich, was der Union und der SPD "bürgernahe Politik" bedeutet hat - bürgernah war es für sie beispielsweise, wenn sie Menschen, die Sozialleistungen beziehen mußten, verfolgungsbetreuen durften. Und dabei konnte man das Notwendige mit dem Pragmatischen verbinden, wenn man einfach mal ganz locker und pragmatisch einen behördlichen Kontrolleur ins Schlafzimmer eines Langzeitarbeitslosen schickte, damit er dort nach Verdachtsmomenten suche. Ohne Programm von Bürgernähe und Pragmatismus zu fabulieren, erscheint äußerst gefährlich. Zumal es bei den Freien Wählern den Begriff der "sozialen Ungerechtigkeit" nur sehr zögerlich bis gar nicht gibt - die FW sind scheinbar der Ansicht, dass man soziale Ungerechtigkeit mit ein wenig Pragmatismus überschminken kann. Darf man sich als Bayer freuen, wenn die Freien Wähler in einer Koalition mit der CSU der Ansicht sind, dass es bürgernah wäre, Langzeitarbeitslosen nurmehr einen Chemnitzer Regelsatz zu gewähren? Oder dass es wundervollster Pragmatismus sei, Langzeitarbeitslose in Wohngemeinschaften zu stecken?

Aber vielleicht bleibt doch noch Hoffnung, wenn sich die kleinen Fraktionen zusammentun, um der CSU eine ganz neue Erfahrung anzubieten: nämlich, wie es sich in Bayern als Oppositionspartei anfühlt. Ist das ein Hoffnungsschimmer? Soll man sich allen Ernstes darüber freuen, wenn sich Mitglieder einer Partei, die erneut einen Prozentpunkt verloren hat, wie Sieger feiern lassen? Wenn deren ewiger Spitzenkandidat verkündet, dass nur die Schwächung der CSU deren Ziel war? Und er dabei noch frech erklärt, dass seine Partei - die Bayern-SPD - maßgeblich an der Schwächung beteiligt war, obwohl man zeitgleich das Negativergebnis von 2003 unterbot? Eine Koalition aus einer vernebelten SPD, mit den Liberalen und Pragmatischen, zudem mit jenen Grünen - allen voran Agenda-Jüngerin Claudia Roth -, die seit ihrem Schröder-Experiment mehr denn je Karikatur einer pazifistischen Ökopartei sind? Muß es entzücken, wenn eine solch bunte Koalition von sozialdemokratischen Tagträumern - Stiegler sah im Wahlergebnis der Bayern-SPD eine Leistung Münteferings, der die Partei wieder gefestigt habe; weswegen man ja nur einen Prozentpunkt verlor - angeführt wird?

Man sollte den Bayern erklären, worauf sie Anrecht auf Freude haben. Denn ohne anleitende Hilfe erscheint es unmöglich, einen Grund zur Freude - außer dem Brechen der CSU-Dominanz - zu erkennen. Die angebliche Befreiung von der Omnipräsenz der Christsozialen erfreut zwar, kann aber viel böser enden, als man das zu Annehmen geneigt ist. Mit der FDP und den Freien Wählern drängen bürgerliche Parteien ins Parlament, die Bürgerverachtung auf ihren Fahnen gemalt haben. Die neue Ära in Bayern endet womöglich in der Verschärfung der prekären Zustände. Ein Grund zur Freude?

7 Kommentare:

Anonym 29. September 2008 um 11:12  

Lieber Roberto j. de Lapuente,

stimmt, aber vielleicht hat das Wahldebakel für die CDU - sowie eine Mögliche Koalition mit einer der neoliberalen Parteien in Bayern - doch eine gute Seite:

Der außerparlamentarische Widerstand wird stärker.

War es nicht in Hessen auch so? Andrea Ypsilanti wäre doch - ohne Koch-Regierung und die APO dagegen -nicht möglich gewesen?

Das Mobbing der eigenen Partei SPD gegen Frau Ypsilanti ist ein anderes Thema, aber die Tatsachen sprechen für sich.

Insofern hätte es vielleicht sein gutes, wenn die CDU/CSU/SPD-Regierung in Berlin von einer CDU/FDP-Regierung abgelöst wird - siehe meine obige Analyse nachdem wir in Deutschland wohl immer erst durch ein tiefes Tal gehen müssen bevor eine mögliche neue APO, die ihren Namen wirklich verdient, bundesweit erstarkt...

War doch 1968 auch nicht anders? Oder?

Gruß
Nachdenkseiten-Leser

Anonym 29. September 2008 um 11:16  

Ein schräger Danke vielleicht, aber wie hat eigentlich der Großinquisitor Ratzinger, mancher kennen den auch als Papst Benedikt XVI aus Bayern, gewählt?

Soviel ich weiß ist die Kirche, die übrigens auch antikommunistisch ist, in Bayern ziemlich einflussreich, und mich würde daher nicht wundern....

Gruß
Nachdenkseiten-Leser

Marcel 29. September 2008 um 23:35  

Der Artikel ließe sich auf die Weisheit: "Die CSU ist geschwächt - aber alles wird scheiße" reduzieren.
Nunja, das mit einer Großen Koalition auf Bundesebene ein Schwarz-Gelbes Bündnis im "Freistaat Bayern" auch nichts verbessern "kann" ist klar. Es wollte auch gar nicht. Doch bleibt es höchstwahrscheinlich bei der neoliberalen Politik des Sozialabbaus und der prekären sozialen Lage: Die neoliberale Ideologie hat sich durch alle etablierten Parteien durchgezogen, da spielt es im Endeffekt keine Rolle ob es nun Liberal, Bürgerlich oder Konservativ heißt.

Alles bleibt beim alten, egal wer weiterregiert. Meine Prognose.

Anonym 30. September 2008 um 10:59  

@marcel

[...]Alles bleibt beim alten, egal wer weiterregiert. Meine Prognose.[..]"

Abwarten, die Bankenkrise könnte aus so mancher derzeit neoliberaler FDP blitzschnell eine neue Linkspartei entstehen lassen. Man redet FDP-Seitig ja neuerdings auch mit der "Jungen Welt", einer marxistischen Zeitung, wenn das kein Zeichen ist....

Übrigens, Westerwellte & Co. sind nicht die FDP, dass sollte man sich mal merkeln - so im gestrigen Interview mit der marxistischen "Jungen Welt" ein FDP-Bayer.

Gruß
Nachdenkseiten-Leser

Anonym 30. September 2008 um 12:54  

tja, wieder einmal konnten es meine bayrischen landsleute nicht unterlassen sich selbst als die dümmsten aller deutschen zu outen die sogar so dämlich sind das sie einen pyrrhussieg als eine erneuerung der politischen landschaft verkaufen wollen!


was wurde also wirklich erreicht? im prinzip gar nichts!


geht die CSU mit den FW zusammen (bei den FWlern sind ja fast nur die vertreten die vorher der CSU angehörten) ist es wenn man so will nur eine andere variante des berühmten slogans von damals: "heim ins reich"!

gehen sie mit der FDP zusammen ist es daselbe + neo liberaler sozialkälte hoch 2.

gehen hingegen CSU, FW und FDP zusammen haben wir die melange "bayerische borniertheit" + "heim ins reich" + "neo liberaler sozial-kälte = hoch 4" - also im prinzip die ursprüngliche CSU (aus deren mitte sich die FW vollständig rekrutierte) + FDP!

diese wahl kann man locker unter den begriffen abbuchen:

"den teufel mit dem beelzebub austreiben"

oder auch -

"zwischen der pest und der cholera wählen"

zu bessern verändert hat sich wegen dieser wahl in bayern deshalb noch lange nichts!

und wie immer sind die meisten meiner landsleute einfach viel zu blöde im schädel das überhaupt zu merken - PROST ihr deppen"

Anonym 30. September 2008 um 15:49  

"[...]und wie immer sind die meisten meiner landsleute einfach viel zu blöde im schädel das überhaupt zu merken - PROST ihr deppen"[...]"

Du sagst es, aber anscheinend ist die CSU mitsamt der neoliberalen Kamarilla aus FW, FDP & Co. gewähnlt worden, weil hier etwas total verschwiegen wurde - eine bayrische Bank ist pleite, schon vor der Bayern-Wahl und erhält Milliarden-Stütze vom dt. Staat.

Wäre dies vor der Bayern-Wahl bekannt gewesen, dann hätte die Linkspartei wohl besser abgeschlossen, aber so wurde halt manipuliert und Wählerverarscht auf Teufel komm raus!

Gruß
Nachdenkseiten-Leser

Anonym 30. September 2008 um 19:45  

Die Skepsis ist wirklich angebracht. Sicher, ein wenig Schadenfreude über den Absturz der CSU stellt sich auch bei mir ein. Aber ansonsten ist das Hin und Her zwischen den nun im Landtag vertretenen Parteien für mich bedeutungslos. Das einzige, was mich bei dieser Wahl wirklich hätte freuen können, wäre ein Einzug der Linken in den Landtag gewesen.

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