Dem Ende entgegen

Donnerstag, 31. Dezember 2009

Das alte Jahr neigt sich dem Ende zu und es folgt ein nächstes, ein anderes, ein neues Jahr; dem Jahresende folgt kein Anfang, es folgen neue Enden. Das weitere Beenden von Solidarität, das Vollenden der Entsolidarisierung, das endgültige Ende von Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe, das Verenden von Humanität und Nachsicht.

Ein neues Jahr nimmt seinen Anfang und wir verabschieden uns vom zurückgelassenen, vom vergangenen, vom alten Jahr; dem Jahresanfang schritt kein Ende voran, es waren alte Anfänge die vorwegmarschierten. Der ehemals genommene Anfang von Entsolidarisierung, das lange schon angefangene Spiel von Entmenschlichung und verratener Nächstenliebe, das anfangs so erlesene Auftreten getöteten Gemeinsinns und erdolchter Fürsorglichkeit.

Die Ellenbogengesellschaft böllert sich ans Jahresende heran, donnert, schießt, läßt es knallen, krault den Zeitgeist vermöge Kriegsgeräusche liebevoll am Kinn, rattert und schnalzt wie ein rostiges Schießeisen in neue Zeiten, in verendete Zeiten. In Zeiten des Erschießens und Erdrosselns wird sich vorangeschossen, sich eingeschossen auf dicke Enden. Auf Enden, die wie Naturgewalten über uns gestülpt, die nicht hinterfragt werden, weil Katastrophen kommen und gehen wie sie wollen und nicht wie wir es gerne hätten.

Die über Leichen wandelnde Gesellschaft blickt knallend dem Jahresanfang entgegen, feuert, pulvert, läßt es schmettern, tätschelt dem Zeitgeist durch Kriegskulisse gefühlvoll das Haupt, dröhnt und pafft wie eine rostzerfressene Knarre alten kriegerischen Zeiten zur Ehre. Zeiten zur Ehre, in denen erschossen und erwürgt, in denen Attentate auf jeden noch so kleinen aufklärerischen Anflug verübt wurden, in denen das Ende seinen Anfang nahm. Anfänge, die wie Flutwellen und Sturmböen über uns kamen, die nie angezweifelt wurden, weil Unglücke eben kommen und gehen wie sie wollen und nicht wie wir es gerne hätten.

Das Jahresende ist kein neuer Anfang! Oh nein, es ist das Fortfahren ins Ende, zum Endpunkt, ins schrittweise Endgültige; ist die sukzessive Vollendung längst befürchteter Tatsachen. Das Verenden von Sozialstaat, von solidarischem Gemeinwesen, das Verenden von Verständnis und Rücksichtnahme, das endliche Vorankommen derer, die seit Jahren und Jahresenden eine solche enthumanisierte Gesellschaft wünschen und säen.

Der Jahresanfang ist nicht des Alten Ende! Nein, ganz sicher nicht, es ist das Weiterrudern in längst vollzogenen Anfängen, in angefangenes Drangsal. Das schrittweise Ausbauen anfänglicher Ideen, wie der Abbau von Sozialstaat und Solidarwesen, das schon anfangs in Kauf genommene Zertrümmern von Einfühlungsgabe und Respekt, das Voranschreiten derer, die damit angefangen haben, jahrelang ein derart entmenschlichtes Miteinander zu fordern und zu entfesseln.

Wenn Enden wie Anfänge riechen und Anfänge nach Ende stinken: wo setzt man dann einen Wegstein? Ist dann der letzte Tag des Jahres, festgelegt in einer montierten und menschgemachten Zeitenskala, ist dann Silvester feiernswert? Heute endet Altes und gleich danach beginnt Neues - Altes, das neuer Grausamkeit gleicht; Neues, das wie alte Barbarei wirkt. Und weil dem so ist, bleibt alles wie immer - nur ein bisschen schärfer, schlimmer, hoffnungsloser vielleicht. Wenn das neue Jahr so beschissen bleibt wie das alte, dann sollten wir uns glücklich schätzen - das bedeutet Optimismus in Zeiten der Pest und der Cholera!

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Sich zu helfen wissen

Mittwoch, 30. Dezember 2009

oder: Bekenntnis eines Anständigen!

Ich kann mich nicht beklagen. Will mich nicht beklagen! Grund hätte ich ausreichend dazu, nur widerspricht das meinem Naturell. Und im kommenden Jahr wird eh alles besser. Ich bin optimistisch; ich glaube nicht daran, aber ich bin optimistisch - man hat optimistisch zu sein! Nein, ich beklage mich nicht. Ich habe Arbeit. Keine großzügig bezahlte Arbeit - aber Arbeit. Arbeitslohn, der gerade noch reicht, um nicht aufstocken zu müssen, um nicht aufstocken zu wollen. Ich könnte jammern, es gäbe genug Anlass - aber ich tue es nicht, ich tue optimistisch, bin optimistisch.

Oh ja, ich bin optimistisch, auch wenn ich, wie erwähnt, nicht an eine Besserung glaube. Trotzdem bin ich optimistisch. Ich blicke unverzagt ins neue Jahr, weil ich zuversichtlich bin, dass es vorangeht - auch wenn ich eigentlich nicht glaube, dass es vorangeht. Die Ritzen und Risse der brüchigen Fassade meines Zweifels, dichte ich mit angerührtem, wasserabweisenden Optimismus ab. Im nächsten Jahr wird angepackt, dann geht es aufwärts. Weiter aufwärts, weil ich Arbeit habe. Arbeit in einem kleinen Betrieb. Unser Geschäft, welches unserem Arbeitgeber gehört, brummt ordentlich. Überstunden in Hülle und Fülle. Und ausbezahlt werden die Überstunden auch - irgendwann, wenn der Chef flüssiger ist. Vom Lohn lebt man zwar nicht üppig, aber man lebt lebenswert. Es reicht aus. Vorallem jetzt, da ich zum Rauchen aufgehört habe, es eingestellt habe, einmal in der Woche ins Kino zu gehen, da ich meinem Leibgericht Rinderfilet abschwor. Es reicht aus. Man muß sich nur zu helfen wissen!

Ich bin hoffnungsfroh, dass sich die Menschen im nächsten Jahr zu helfen wissen. In unserem kleinen Betrieb gibt es keinen Kündigungsschutz - wir sind nur neun Mitarbeiter, erst ab zehn wird geschützt. Urlaubsgeld wurde eingestellt - da haben wir auf unseren Anspruch freiwillig verzichtet. Ebenso wie auf Weihnachtsgeld und vollen Urlaubsanspruch. Die Auftragslage dankt es uns, unser Geschäft floriert, wir machen ordentlichen Umsatz, unser Arbeitgeber ist zufrieden und spendiert schon mal ein Mittagessen. Man muß sich eben nur zu helfen wissen. Die Gewerkschaften mit ihrer Sturheit, die Urlaubs- und Weihnachtsgeld verteidigen und bockig am Kündigungsschutz festhalten, die ruinieren den Standort nur, die machen prosperierendes Wirtschaften unmöglich. Bei uns im Betrieb gibt es keinen solchen Schmus und das Geschäft platzt aus allen Nähten. Fehlender Schmus und gute Auftragslage bedingen einander - wer sich zu helfen weiß, den belohnt das Leben.

Nein, ich beklage mich nicht, selbst wenn ich wollte, ich würde es nicht tun. Man muß froh sein, irgendwo untergekommen zu sein - auch wenn es kärgliches Leben bedeutet. Einen kleinen, winzigen Aufstockungsanspruch hätte ich ja. Nicht der Rede wert, so winzig ist er. Ich bleibe anständig, beanspruche keine Ansprüche, damit ich frühmorgens in ein unrasiertes, aber doch würdevolles Spiegelbild starren kann, bevor ich zur Schicht hetze. Anständig - genau, das ist das treffende Wort! Anständiger sollten die Leute im neuen Jahr werden, damit mein Optimismus weniger paradox aussieht. Anständig und sich zu helfen wissen!

Ich arbeite für wenig Lohn, ohne Kündigungsschutz, frei von Sonderzahlungen. Im Nu eilen Gewerkschaften herbei, fordern unanständig bessere Bedingungen, machen Selbsthilfe unmöglich, weil sie Bedingungen vordiktieren wollen und zertrümmern so nebenher eine gesunde Wirtschaft. Wenn ich so anständig bin, zu den mir auferlegten Bedingungen zu arbeiten, warum dann nicht auch andere? Wäre es nicht fair, wenn alle auf Kündigungschutz und horrenden Löhne verzichten würden? Ich kann doch auch zu diesen schlechteren Bedingungen arbeiten! Warum andere nicht? Was du nicht willst, dass man dir tut, das füg' auch keinem andern zu! So sieht Gerechtigkeit aus! Ich will keine besseren Arbeitsbedingungen auferlegt bekommen, nur um am Ende arbeitslos und unanständig zu werden. Ich will, dass es so bleibt wie es ist und ich will, dass andere so arbeiten müssen wie ich - was für mich gut genug ist, soll auch anderen gut genug sein. Ich füge keinen anderen zu, was ich auch mir nicht zufüge. Daran leide ich schon mein ganzes Leben, an diesem Gerechtigkeits- und Gleichheitssinn. Wenn schon nicht gleiche Rechte für alle, dann wenigstens gleiche Unrechte!

Dochdoch, ich bin dennoch zuversichtlich. Im nächsten Jahr wird alles besser. Warum ich das glaube? Ganz einfach: weil alles so bleibt wie es ist! Wenn wir Arbeitnehmer uns weiter selbst zu helfen wissen, indem wir mit unseren Brotgebern weiterhin Kompromisse eingehen, dann ernten wir am Ende bessere Zustände, brummende Geschäfte und Arbeitsplatzsicherheit. Arbeit haben - wenn das nicht Grund zum Optimismus ist! Anständig bleiben dürfen - das berechtigt doch zur Zuversicht! Nur glaube ich nicht daran. Da braucht Anfang des kommenden Jahres das Verfassungsgericht nur sozialistisch abgleiten und die Regelsätze für zu niedrig befinden - dann bleibt nichts wie es ist und alles wird noch schlechter. Dann wächst auch mein Aufstockungsanspruch, was meine Anständigkeit triezen könnte. Dann erliege ich womöglich der Unanständigkeit und werde durch die Gewissensbisse mürbe - kurz gesagt, dann wird für mich alles noch schlechter...

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De dicto

Montag, 28. Dezember 2009

"Unter uns leben potenzielle Mörder. (...) Flugpassagiere meckern gerne über den umständlichen Sicherheitscheck. Der „Nacktscanner“ wird nach vielerlei Protesten nicht eingesetzt. Aber mit seiner Hilfe kann am Körper befestigter Sprengstoff entdeckt werden."
- BILD-Zeitung, Hugo Müller-Vogg am 27. Dezember 2009 -
Zum Gesagten sei angemerkt: Um es nicht eindösen zu lassen, beschwört Müller-Vogg wiederholt jene Furcht, wonach unter uns, mittendrin im emsigen Geschäftstreiben dieser Gesellschaft, Mörder leben. Genauer: Potenzielle Mörder - Menschen, die möglicherweise, vermutlich, höchstwahrscheinlich, mutmaßlich und nach unscharfer Anwendung der Formel Pi mal Daumen, vielleicht, eventuell und gegebenenfalls zur Waffe, zum Bombengürtel (wahrscheinlich und womöglich), greifen könnten. Und weil in diesem Klima aus Wahrscheinlichkeiten und Mutmaßungen Aktionismus gefordert ist, stehen damit alle Bürger unter Generalverdacht, denn immerhin leben die (potenziellen) Mörder unter uns - und weil wir alle unter uns leben, leben wir alle potenziell mordend.

In einer Gesellschaft der Mörder ist Pragmatismus notwendig. Wer nicht dem pragmatischen Aktionismus verfällt, den meucheln die Mörderhorden unter uns, den zersprengen sie in Einzelteile, den verstreuen sie zerrissen und zerfetzt unter uns. Da zählen dann auch nackte Tatsachen, in Flughäfen elektronisch ausgezogene Menschen, denen der Bombengürtel eine Handbreit über den Penis sitzt und der dann auch sichtbar gemacht wird - der Gürtel. Der Penis allerdings auch! Die Kritik an dieser unbedeutenden elektronischen Spielart von Freikörperkultur mag natürlich pedantisch und zugeknöpft bieder wirken, sie pflastert allerdings den Weg zu gröberer Kritik. In einer Gesellschaft, in der alle Mörder sein könnten, in der die Angst herrscht oder zumindest täglich durch Müller-Voggs und Klientel genährt wird, weicht der mörderbekämpfende Pragmatismus alles auf, was man einst als Wert und Ideal hochhielt; weicht Sitte und Anstand ebenso auf, wie Menschen- und Persönlichkeitsrechte, ruiniert den Datenschutz und pflanzt den Menschen ein Menschenbild ein, in dem Vertrauen nicht gedeihen kann, weil man dem Nächsten, dem Mitmenschen, diesem verkappten Gewalttäter, nicht mehr aufrichtig in die Augen sehen kann.

Tragisch ist, dass Müller-Vogg im Recht ist. Ja, die Mörder leben unter uns! Und wie! Nicht nur gehörnte Ehepartner, die ihre bessere Hälfte - nun zur noch besseren Hälfte eines oder einer Andere geworden - eben mal um die Ecke bringen; nicht nur junge Leute, die sich das Erbe der siechen Großmama in Windeseile sichern. Neinnein, ganz andere Mörder, regelrechte Serienkiller, psychopathische Profikiller, Massenmörder im großen Stil. Es handelt sich um ehemalige Verteidigungsminister, heutige Kriegsminister, Menschen, die in Kauf nehmen, dass durch unterlassene Hilfe- und Finanzleistung täglich in der Welt gestorben, grausam verreckt, erbärmlich eingegangen wird. Diese Mörder leben auch unter uns - und die können wir noch so pragmatisch zu Nackedeis machen, wir werden keine Waffen finden, einzig ausgedörrte Geschlechtsmerkmale werden den Striptease zum zweifelhaften Vergnügen machen. Müller-Vogg, dieser Kolumnist von der traurigen Gestalt, trifft wieder mal ins Schwarze - zufällig, aus Versehen, schielend wie eh und je. Denn es gibt sie, die Mörder unter uns - und es gibt deren Helfer, deren Komplizen, die Stifte wie Bomben benutzen und tägliche Kolumnen wie einen Sprengstoffgürtel, die überdies Angst aufkochen und Beklommenheit zur allgemeinen Wetterlage der Gesellschaft schreiben.

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Züchtig züchtend

Sonntag, 27. Dezember 2009

Seit geraumer Zeit sind alleinstehende Eliten und solche, die sich dafür halten (für elitär, nicht für alleinstehend!), via Fernsehen angesprochen, ihr Niveau in die Liebeswelt abzuspritzen. ElitePartner nennt sich die niveauvolle Reinzuchtanstalt, in der elitärem Samen versprochen wird, auf elitäre Eier zu treffen. Singles mit Niveau werden versprochen, Bilder von Dolmetschern, Juristen, Designern und Architekten präsentiert - hier gibt sich die Elite, das hohe Niveau, die unbegrenzte Kultiviertheit, die Klinke in die Hand.

Niveau, so wird schnell ersichtlich, bedeutet jenen kommerziellen Zuchtmeistern, einen bestimmten Füllgrad des Geldbeutels vorweisen zu können, durch üppig bezahlten Beruf zu einem halbwegs sorgenfreien Leben gelangt zu sein. Da solche Menschen, so macht es die Fernsehwerbung schmackhaft, wenig Zeit besäßen, beharrlich am Volltanken des Geldbeutels arbeiteten, nehme ihnen ElitePartner die aufreibende Partnersuche ab. Vorbei die Zeiten, in denen man zunächst selbst nachforschen mußte, wie es um das Niveau des Partners steht, um das Finanzniveau - drum prüfe wer sich ewig bindet, auf dass das Geld zum Gelde findet!

Was hier gestreichelt wird, ist der elitäre Dünkel, die Arroganz derer, die sich als Mittelschicht wähnen, die stetig über zu hohe Steuern klagen und die Alimentierung der Unterschicht als Sünde am Evolutionsprinzip begreifen. Und um dem entgegenzuwirken, um einer etwaigen Bastardisierung des eigenen Standes zuvorzukommen, ist ein Projekt wie jenes notwendig. Eine Zuchtanstalt, in der Geldbeutel zu Portemonnaie, Sparbriefe zu Anteilsscheinen und Eigentumswohnung zum Chalet findet. Ein Partner nach Maß wird gereicht - Liebe oder wenigstens Sympathie werden sich hernach schon noch die Ehre geben.

Liebe - in kultivierten Kreisen dieser Güteklasse erntet man dafür schallendes Gelächter. Sicherlich kann der Supergau auch dort eintreten, freilich kann man sich in den niveauvollen Singleanwalt verlieben - aber das gesamte Projekt ist darauf nicht konzipiert, denn die Auswahl ist in sich begrenzt, nur Elitesoldaten und -soldatinnen finden Eintrag in den Listen, die die Reinzucht bedeuten. Es wäre fatal, wenn ein Edelschwein auf eine ordinäre Mastsau steigen würde! Nein, Liebe kann eintreten, aber grundsätzlich notwendig ist sie nicht. Es geht um Niveau, um Kultiviertheit, genauer gesagt, um Endogamie, um die Illusion einer reinen Kaste, die sich durch Geld, sozialen Status und Prestige definiert, die Niveau am Ferienhaus und Kultiviertheit an der Mitgliedschaft im Golfklub festmacht.

ElitePartner erlaubt es bessergestellten Schichten, ihr Alleinsein, ihre Geilheit kurzfristig zu beheben. Eilfertig wie Fastfood, behebend wie einen mechanischen Schaden. Der Mensch als rasch abzuhandelndes Maschinenteil - doch mit dieser Menschenverachtung ringt nicht nur der elitäre Zuchtbetrieb. Alleine das wäre bereits skandalös, schlimmer ist es jedoch, dass man sich endogam abgrenzt, dass man dafür Sorge trägt, das elitäre Sperma nicht in Damen beliebiger Klassencoleur zu verspritzen, Eizellen nicht Herren beliebiger sozialer Herkunft feilbieten zu wollen. Das nennt man Kultiviertheit oder Niveau. Als ob beides nur dort zu finden wäre, wo die soziale Stellung lukullische Lebensentwürfe verwirklicht hat; als ob ausgerechnet in Zuständen der Übersättigung auch nur ein Hauch Kultur oder eine Anflug von Niveau heimisch sein könnte.

Natürlich geht es in erster Instanz um Partnerwahl, um etwas, dass sich in modernen Zeiten häufig inflationär Liebe tauft. Hübsches Gesicht, straffe Brüste, rasierter Intimbereich, guter Beruf - flugs ist man verliebt. Wehe, ein Attribut stellt sich als Täuschung heraus - flugs ist man entliebt. Der freie Markt der Liebe, diese Ausweitung der Kampfzone, erlaubt schnellen Anbieter- und Darbieterwechsel - hurtig bietet sich ein neuer Körper dar, der vielleicht mehr verspricht als der alte, ausgiebig benutzte, abgenutzte und letztlich für schlecht befundene. Und wenn ElitePartner seine Auswahl gewissenhaft getroffen hat, dann entsteht schlussendlich eine Beziehung zwischen zwei niveauvollen und kultivierten Leistungsträgern - und wenn die Auswahl mehr als gewissenhaft war, wenn sie genial getroffen wurde, dann läuten Hochzeitsglocken, dann wird das oberflächliche Glück mit oberflächlichem Firlefanz zelebriert - weiße Braut, Bräutigam im Frack, Feuerwerk und Honeymoon in Übersee. Wenn ElitePartner gar ganze Arbeit geleistet hat, dann wird das junge Glück ohne Verhütungsmittel beischlafen und der Zuchtwahl freien Lauf lassen. Der güldene Samen trifft auf eine erlesene güldene Eizelle, um dem goldenen Zeitalter der Eliten weitere goldige Wonneproppen zu bescheren.

ElitePartner spricht von erlesenen Werten, von Kultur, von geistigen Horizonten, nur vom Geld nicht, denn über Geld spricht man nicht - man hat es. Die Fernsehwerbung muß zwischen den Zeilen betrachtet werden. Und da steht dann ein gutaussehender Jurist, der brünstig wiehert und seinen halbsteifen und Lusttropfen schwitzenden Gesellen an die Stuten reibt, die man ihm vorführt und die allesamt ihre benetzten und mehr und mehr tropfnass werdenden, elitär duftenden, vor Geilheit grollenden Scheidenpforten entgegenräkeln. Man malt sich bildlich aus, wie der Juristenhengst auf die Designerin steigt, sie wild rammelt und ranzt, um Fohlen mit seinem Ebenbild zu ernten. Er wiehernd, sie keuchend - und hernach wird Liebe daraus, wenn der Hengst von seinen sozialen Errungenschaften faselt und die Stute ihre bescheidene Villa beschreibt. Keiner von beiden hofft für sich, es möge wahr sein, dass der andere wahrhaftig liebt - doch beide hoffen für sich: Hoffentlich ist sein sozialer Status wahr! oder Hoffentlich ist ihre Villa kein Phantasiehaus!

Leistungsträger-Liebe - immer noch besser als aufrichtige Liebe zu einem armen Schlucker, mit dem man sich nur schämen müßte...

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Bekenntnis der unpolitischen Unterschicht

Samstag, 26. Dezember 2009

Mir geht es doch gut. Was kann ich mich denn beklagen? Welchen Grund hätte ich dazu? Ich bin zufrieden - geradeheraus: ich bin zufrieden! Mir geht es ja noch gut.

Ich habe eine zu kleine Wohnung, die mir jedoch bezahlt wird; bekomme einen unzureichenden Regelsatz, von dem immerhin knapp 1,30 Euro am Tag der Kultur zugeteilt sind; darf unter besseren Menschen leben, wenn ich auch von denen nicht geliebt werde; erhalte eine medizinische Grundversorgung, die zumindest palliativ, wenn schon nicht kurativ oder prophylaktisch ist; kann ohne Aufpreis Lebensmittel beziehen und tafeln; muß die Tageszeitung (die ab einem gewissen Niveau allerdings mehr kostet als die erwähnten 1,30 Euro für Kultur), in der über meinesgleichen hergezogen wird, nicht kaufen - niemand zwingt mich dazu; brauche mich nicht fürchten, dass mir Sanktionen bei Zuwiderhandlung sämtliche existenziellen Grundlagen rauben - man würgt nur in Prozentschritten; kann meine Meinung laut ausposaunen, auch wenn sie niemand interessiert und in Form eines Leserbriefes keinen Platz in einer Tageszeitung ergattert; manchmal finde ich überdies Arbeit, Hauptsache Arbeit, mache mich arbeitend frei, unregelmäßig zwar und ohne Anspruch auf Sozialstandards, meist nur temporär, oft auch durch spontane Aufkündigung des Arbeitsverhältnisses beendet, wenn die Arbeit langsam zur Neige geht - aber immerhin, es war Arbeit.

Ja, ich schaue optimistisch in die Zukunft, denn ich habe eine - glaube eine zu haben. Ich bin zufrieden. Mir geht es doch gut. Habe doch alles was ich brauche und was ich nicht brauche, das habe ich nicht. Gibt doch Menschen, denen geht es viel schlechter wie mir. An die muß man sich halten, an denen hat man sich zu orientieren. Nein, ehrlich, ich bin wunschlos zufrieden. Hätte es viel schlechter treffen können.

Heult sich meinesgleichen an meiner Schulter aus, hadert mit seinem Schicksal, dann deute ich nach Süden, über den Stiefel hinweg, nach Afrika. Wer bezahlt da drüben zu kleine Wohnungen? Gibt es dort bessere Menschen, unter denen auch dürftigere Exemplare leben könnten? Taschengeld für Kultur und Tageszeitung? Lindert man dort wenigstens Schmerzen? Nicht mal Sanktionen für Zuwiderhandlung oder vergessene Mitwirkungspflicht kennt man auf dem schwarzen Kontinent! Und Arbeit? Natürlich, die gibt es auch dort, nur gibt es dort sicherlich nicht einmal die Verpflichtung zur schriftlichen Kündigung, so wie in unseren Gefilden. Nein, mir geht es doch gut - meinesgleichen geht es doch gut. Ein Blick nach Afrika und wir dürfen aufatmen, durchatmen, bekommen gestattet zu atmen, weiterzuatmen. Uns geht es doch gut, wir hungern nicht oder nur selten; wir sind ungeliebt wie jene, dürfen uns aber frei unter Liebenswerteren bewegen; uns nennt man zwar Faulpelze wie den dösenden Schwarzen, nur mit dem Unterschied, dass wir keine Faulpelze sind. Um uns steht es viel besser, tausendfach besser. Wir dürfen nicht nach Schweden oder Dänemark schielen, wir müssen uns nach Nigeria ausrichten, nach Bangladesh, nach Brasilien. Wenn ich weit über unsere Grenzen blicke, dann weiß ich: es geht mir gut.

Wir müssen unseren Führern danken, dass sie so um unser Wohl besorgt sind. Das unterscheidet uns nochmals von Afrika. Afrikaner sind deshalb so undankbar, weil ihre Führer nichts Dankenswertes tun. Ich bin zufrieden. Ich bin zufrieden, weil ich dankbar sein darf. Afrikaner haben den Undank ein Leben lang gelehrt bekommen - wie sollten sie plötzlich Dankbarkeit zeigen können, nur weil ich meine kulturellen 1,30 Euro in weihnachtlicher Nächstenliebe auf Safari geschickt habe? Ehrlich, mir geht es doch gut...

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Poetische Unvereinbarkeitsbeschlüsse

Freitag, 25. Dezember 2009

Eine Rezension von Christian Klotz.

Roberto J. de Lapuente: Unzugehörig. Skizzen, Polemiken & Grotesken. Renneritz Verlag. Sandersdorf 2009.


Der Titel von Lapuentes kleiner Sammlung von Blogeinträgen, die sich seit 2008 zu Gott und seiner – von Menschen schlecht eingerichteten – Welt meldeten, ist Programm.
Die Wahl des "Unzugehörig" lässt offen, wer da spricht. Der Autor über sich und sein Selbstverständnis? Oder ein missvergnügter Leser, der gerade noch an einem „Unzuständig“ vorbeigeschrammt ist?

In nuce hat man damit auch schon das zentrale Merkmal und das poetologische Geheimnis seiner Texte. Sie schillern in ihrer Ironie zwischen dem sarkastischen Aufschrei eines existenziell-pathetisch formulierenden Thersites und der satirischen Selbstdemontage des faschisierten Alltagsbewusstseins, das seine Ruhe in der "eingezäunten Welt" haben möchte.
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Ridendo dicere verum

Morgen, Kinder, wird’s nichts geben!
Nur wer hat, kriegt noch geschenkt.
Mutter schenkte Euch das Leben.
Das genügt, wenn man’s bedenkt.
Einmal kommt auch Eure Zeit.
Morgen ist’s noch nicht so weit.

Doch ihr dürft nicht traurig werden.
Reiche haben Armut gern.
Gänsebraten macht Beschwerden.
Puppen sind nicht mehr modern.
Morgen kommt der Weihnachtsmann.
Allerdings nur nebenan.

Lauft ein bißchen durch die Straßen!
Dort gibt’s Weihnachtsfest genug.
Christentum, vom Turm geblasen,
Macht die kleinsten Kinder klug.
Kopf gut schütteln vor Gebrauch!
Ohne Christbaum geht es auch.

Tannengrün mit Osrambirnen -
Lernt drauf pfeifen! Werdet stolz!
Reißt die Bretter von den Stirnen,
Denn im Ofen fehlt’s an Holz!
Stille Nacht und heil’ge Nacht -
Weint, wenn’s geht, nicht! Sondern lacht!

Morgen, Kinder, wird’s nichts geben!
Wer nichts kriegt, der kriegt Geduld!
Morgen, Kinder, lernt für’s Leben!
Gott ist nicht allein dran schuld.
Gottes Güte reicht so weit . . . .
Ach, du liebe Weihnachtszeit!
- Erich Kästner, "Weihnachtslied, chemisch gereinigt" -

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In Ruhestellung

Donnerstag, 24. Dezember 2009

Zuunterst, obgleich Kerzen glimmen, Tannenbäume schimmern, die ganze Erde juchzt und feiert, zuunterst, brütet selbst zum Liebesfest die Wut. Weihnacht ist und alle Welt tut so, als denke sie an die Gosse, an diejenigen, die im Rinnstein verwesen, die aus dem Raster gefallen sind, die nun in der Jauchegrube bemüht sind, ihren Scheißegeruch zu tilgen. Weihnacht ist und der Gosse wird gedacht, all der armen Kretins wird gedacht, die sich waschen und waschen und immer wieder waschen, nur um diesen penetranten Geruch nach Stuhl und Harn auszuradieren. Waschen waschen, um am Ende nie aus dem gestankspendenden Abfluß der Gesellschaft zu enteilen, um endgültig darin eingezogen und wohnhaft geworden zu sein.

Zwischen Stank und Brodem, tief drunten, zuunterst, ist es Weihnacht. Und einmal im Jahr, nur ein einziges Mal im Jahr, wird nicht dorthin geschissen und geschifft, wo der gesellschaftliche Menschenabfall döst. Wenn Weihnacht ist, wird aus dem Penner, dem Erwerbslosen, dem Ausländer, dem prekären Arbeitsnomaden ein Mensch - ganz kurzfristig und nur kurzzeitig, ein Mensch mit Antlitz. Er mag in Schwaden aus Abgasen und Abfällen leben, eine Bruchbude sein Heim nennen, monatlich, wöchentlich die Gosse vor den Hütern und Vermittlern der Drangsalsanstalten kennenlernen und einatmen - doch zur Weihnacht darf er sich, soll er sich Mensch rufen. Ein Mensch, den man anlächelt, dem man hilft, dem man Fressen in den Napf spuckt, mit dem man in einem wirren, irrationalen Moment der Leutseligkeit womöglich sogar an einem Tisch speisen würde. Ein richtiger, ein wahrer, ein menschlicher Mensch!

Flüchtig des Miefs enthoben, von der Scheiße befreit, als Eiter, als Krebs, als Geschwür der Gesellschaft abgelöst, lichtet sich die Tristesse. Nein, wir sitzen gar nicht in der Gosse!, sinnieren die Stinkenden. Man akzeptiert uns doch! Neinnein, wir haben uns in denen getäuscht, die uns täglich die Köpfe vollscheißen und den breiigen Dung auch noch einmassieren! Es ist Weihnacht und die ganze Welt liebt die Armen, die Hungernden, die Resignierten. Vom schmierigen Gänsebraten blicken sie auf, zwischen Gebirgen von Geschenken linsen sie hindurch, dabei an jene denkend, denen es an jenem Abend schlechter ergeht. Oh, mein Reicher, was wärst du ohne mich? An wen könntest du denn im Anflug von Nächstenliebe denken, wenn ich arme Sau nicht wäre? Und dann ist das jährliche Spiel vorbei, ausgespielt, Weihnacht verfliegt, der Rausch gleich mit. Zurück bleibt der Kater, die Ernüchterung, bittere Erkenntnis und es kehrt heim der Urindampf, der Stuhlgeruch, das ganze unappetitliche Programm menschlicher Säftebildung.

Zuunterst brütet die Wut. Wenn sie romantisch und verträumt vom Fest der Liebe sprechen, ihre Humanität herauskehren, zum Weihnachtsfest Abendessen für die Einsamen spendieren, während die Einsamen dreihundertvierundsechzig Tage des Jahres weiter vereinsamen. Oh, wie brütet die Wut, wenn sie so tun, als wären sie auf ihren Nächsten bedacht, auch auf jenen Nächsten aus der Pissrinne, bloß um letzten Endes die magische Nächstenliebe jenes Abends zu vergessen. Vergessen, damit sie sich ihrer Peinlichkeit, ihrer Sentimentalität nicht schämen müssen. Wie faucht die Wut, wenn oberhalb des Abschaums Liebe psalmodiert wird, um am anderen Tage wieder pflichtgemäßer Ausbeuter, Unterdrücker, Aufwiegler, Schlächter zu sein! Wie sehr waltet doch die Wut, wenn sie Humanisten spielen, Mildtätige darbieten, Selbstlose karikieren. Wie elend erbricht sich die Wut, wenn sie Interesse heucheln, damit sie tags darauf darüber schwatzen können, was für feine Barmherzige sie doch sind, was für elende, einschläferungswürdige Stinker sie hofieren durften. Meterweit kotzt die Wut sich im hohen Bogen aus, wenn dann all diese Liebenden, Mitfühlenden, Verständnisvollen wieder an ihren Posten und Pöstchen strammstehen, die Gosse durch das Jahr hetzen, dem Erwerbslosen Engpässe und Bedrängnis schenken, dem Obdachlosen schiefe und entehrende Blicke, dem Niedriglöhner Spott und gute Ratschläge, wie er es zu etwas hätte bringen können. Meterweit kotzend, sich schier einscheißend vor Wut, wenn sie an die afrikanischen Kindlein denken, Blähbäuchlein mit Almosen tätscheln, von Minen gestiftete Bein- und Armstümpfe mit dem Balsam der Spendenquittung einreiben, nur um nach dem Weihnachtsurlaub die Waffenexporte zu expandieren, Diktatoren über die Köpfe afrikanischer Kindlein zu stellen, Blähbäuche zu verewigen, Kinderarbeit zum Sinnbringer zu erklären!

Im Dreck der Gesellschaft, in der Talsohle, zeichnet sich das Fest der Liebe durch blanke Wut aus. Die Pissrinne liebt keiner, man kann sie sich zur Weihnacht noch so sehr schönsaufen, sie bleibt immer feucht, glitschig, stinkend. Das Fest der Wut! Vor diesem institutionalisierten Schauspiel, jährlich gegen Ende des Dezembers veranstaltet und aufgeführt, kann man nicht aufrechten Standes harren. Man faßt sich an den Bauch, beugt sich vorneüber und es geschieht - speiübel erträgt man den jämmerlichen Rest des Abends, darauf wartend, ab dem morgigen Tage wieder ein Penner zu sein, ein Nichts, ein Niemand, ein Verlierer, der letzte Dreck, Freiwild, auf das die Hetzredner und Fanatiker ungestraft ballern dürfen. Zuunterst, durch die braune Brühe der darüberstehenden Schichten watend, wünscht man sich traditionellerweise ein frohes Fest. Blanker Unsinn, romantisches Brauchtum und Schwärmerei! Denn zuunterst weiß man, frohe Feste feiern andere, in der Gosse atmet man nur einen Abend durch, ist man einen Abend entlastet, geduldet sich flüchtig in Ruhestellung, um den Kampf morgen wieder aufzunehmen.

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Unverbindliches Naturgesetz

Mittwoch, 23. Dezember 2009

Putzig sind sie, regelrecht goldig, wie sie sich seit einigen Tagen ereifern, wie sie wüten, ihre possierlichen Fäustchen gen Kopenhagen erheben, um der Bande dort bläuliche Augenringe anzudrohen. Herzallerliebst, wie sie der feilschenden und schachernden Meute Regeln und Gesetze abluchsen wollen, damit sie mit dem Umweltschutz, mit einem bewussteren Leben beginnen können. Ohne Regelwerk, bar jeglicher Diktate, fern von Statuten und Paragraphen, kommt der Bürger der westlichen Demokratien nicht von der Stelle.

Drollig, wie sie ihre Nasen aus Zeitungsartikeln erheben, nur um zu maulen, schimpfen, sich zu erbosen, den geostrategischen Kriegen jedoch jede Berechtigung gewähren, auf Grundlage von Öl Blut schürfen. Köstlich ist die Erregung, wenn sie sich überschwänglich wähnen, oben in Dänemark das Nest der Urheber entdeckt zu haben. Sie sind so reizend, wenn sie jeden kurzen Gang zur ausgiebigen Autofahrt krönen, mit dem umklammerten Lenkrad die Klima- und Naturvernichter scheltend, die Berserker am Galgen ihres Ingrimms aufknüpfend. Sie würden ja so gerne eine bessere Welt besitzen, aber wenn ihnen keiner eine bessere Welt verfügt, eine bessere Welt, die in Verträgen und Vorschriften festgehalten und herbeiverordnet wird, dann resignieren sie motzend und zeternd. Schwarz auf weiß will man es gedruckt haben! Ohne Papier und bürokratischem Gepräge, keine bessere Welt!

Gebt ihnen doch endlich Gesetze und Verträge, in denen das Klima vorgeschrieben wird! Setzt Präambeln und Paragraphen an, damit ein umweltbewussteres Leben endlich beginnen kann! Sonst mosern und knurren sie weiter, werfen vor Wut Dosen und Folien in die Landschaft, verböllern verärgert silvesterliches Pulver mit allerlei herumgewickelter Kartonage, kaufen in ihrer Raserei billigste Produkte aus den Supermärkten; Produkte, die oft unter umweltschädigenden Bedingungen hergestellt, die mit Gift billig gehalten werden, und teuer zu stehen kommen, wenn die Böden erschöpft und spröde werden, Erosion folgt und Rodung notwendig wird. Daher hurtig, unterschreibt Verträge mit Regeln und Strafandrohungen bei Zuwiderhandlung, damit es endlich losgehen kann mit dem Bewusstsein, mit einer besseren Welt.

Später dann, wenn unverbindliche Verträge unverbindlich ignoriert wurden, weil wieder mal Expansion und Schaffung von Arbeitsplätzen um jeden Preis wichtiger erschienen, wenn die Erde und ihre Bewohner höhere Wucherpreise zu bezahlen, Verbindlichkeiten zwecks Unverbindlichkeiten abzustottern haben, weil ganze Lebensräume und Weltregionen unwirtlich geworden sind, dann könnte man wenigstens behaupten, man habe alles versucht, habe doch Normen und Richtlinien verabschiedet, nur eingebracht haben sie nichts. Dann schwingen sie wieder ulkig ihre Fäuste, erst gegen die Kopenhagens dieser Welt, gegen die Schar von Delegierten, danach gegen die Natur selbst, die sich nicht an das Gesetz gehalten hat, die einfach dahinsiecht, obwohl Paragraph soundso, Absatz drei, Punkt zwei deutlich regelt, dass genau dieser Umstand, das Siechtum der Natur nämlich, ausgeschlossen ist. Irrwitzig werden sie Sanktionsbescheide an den Querulanten - die Natur höchstselbst - fordern, die Ausweisung der Umwelt oder die Inhaftierung, eine Art Beugehaft, für den Terroristen Natur anregen.

Seid doch nicht so, ihr Verantwortlichen dieser Welt, seid manierlich, gebt den Menschen, den demokratisch erzogenen Menschen dieser Welt, ein Paar Leitlinien, verbindliche Gesetze, damit sie endlich eine bessere, gesündere, lebenswertere Welt verwirklichen können. Und damit sie später, damit ihre Kinder und Enkel irgendwann in hoffentlich ferner Zukunft, behaupten können: Wir haben alles Menschenmögliche gemacht, allein die Natur war unrettbar, sie hat sich uns entzogen, war nicht in den menschlichen Plan, in das Gesetzeswerk für Klima und Umweltschutz integriert. Und freilich auch: Es war der Plan Gottes! oder Die Evolution wollte den Ruin unserer Umwelt! oder Gekämpft und verloren! Gegen Naturkatastrophen gewinnt man nicht!

Teilt ihnen also endlich Verbindlichkeiten zu, sie wollen ja alle loslegen, wollen endlich ein schlechtes Gewissen, wenn sie ihre Umwelt verpesten, sie letztlich aber weiterverseuchen wie eh und je. Dann bezahlen sie ihr Sümmchen und haben das Gewissen ein wenig entlastet. Laßt doch zumindest Tetzel auferstehen von den Verwesten! Wenigstens ein schlechtes Gewissen wäre doch machbar, wenn schon keine Bewusstseinsänderung. Eine unvermeidliche Naturkatastrophe bleibt die Umweltzerstörung dennoch für jene - selbst für diejenigen, die dann mit schlechtem Gewissen die Erde in Smog und Wohlgestank tauchen. Wenn in einem solchen Gesetz zu lesen wäre, dass die Naturkatastrophe Mensch heißt, vorallem jenes Exemplar, dass der industrialisierten Krämerei entschlüpft ist, dann könnten Regeln und Vorschriften sogar etwas bewirken. Dann könnten sie bewirken, endlich bequem die Augen zu verschließen, wegzuschauen, den eigenen Katastrophenstatus geschickt zu übergehen. Wie sollte man auch anders reagieren? Immerhin ist die industrielle Krämerei ein Naturgesetz, Wettbewerb und freier Markt ebenso und damit auch der Katastrophenstatus des Menschen - wie könnte man sich gegen die Natur auflehnen wollen? Das wäre ja eine metaphysische Revolte!

Wenn die Natur sich nicht an die Regeln hält, ist das tragisch, aber dagegen kann man leider nichts machen. Lethargie: auch ein Naturgesetz...

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In eigener Sache

Dienstag, 22. Dezember 2009

oder: es hat sich ausgebloggt!


Nun also, mitten in der Tristesse und Unzulänglichkeit dieser Welt, hat sich ein lange stiller, später leise geäußerter Traum erfüllt. Endlich halte ich ein Buch in Händen, von dessen Deckel nicht fremde Namen schimmern, sondern mein eigener, mein spanischer Name, De Lapuente, gedruckt ist. Ob er indes schimmert, wird sich herausstellen, noch, so möchte ich in aller Bescheidenheit feststellen, glänzt er lediglich matt. Möglich, dass ich in einiger Zeit ebenso bescheiden festhalten darf: Manchmal schimmerts, ganz zaghaft, ganz schüchtern, aber immerhin.

Und natürlich beschwingt so ein gedrucktes Etwas, peitschen Seiten, die man, wenn nicht selbst gedruckt, so doch selbst geschrieben hat, vorzüglich auf Zukünftiges ein. Bücher sind nicht selten Mutmacher - manchmal für die Leser, häufiger jedoch für den Schreibenden selbst. Doch gebloggt wird fortan
nicht mehr. Das heißt, ich habe mich sowieso nie als Blogger gesehen, denn einen Blog zu betreiben hieß für mich immer, in der Langeweile zu bohren. Ich war heute beim Zahnarzt! oder Im Urlaub war es schwül! oder Meine Hämorriden wuchern heftig! - das war für mich das, was man heute so lapidar bloggen nennt. Nein, ich blogge nicht weiter, was soviel heißt wie: ich fange erst gar nicht an zu bloggen. Oder, nochmal anders, von hintenrum erklärt: Ich mache weiter wie bisher, mal schlecht, mal recht, jedenfalls immer bemüht. Das soll gar kein reißerischer Showeffekt sein, sondern ein Bekenntnis. Buch und diese Seiten, die den Namen ad sinistram tragen, entflossen derselben Feder. Dennoch will der Verfasser beides für sich, säuberlich getrennt verstanden wissen. Sicher, die Texte des Buches sind auch Produkt dieser Seiten, allerdings überarbeitet, erweitert, stichhaltiger formuliert. Das Buch soll keine Erweiterung von ad sinistram sein, es steht für sich im Raum, besser noch: in einem Regal - nachdem es gelesen wurde. Dem Verfasser, mir - sprechen wir nicht in dritter Person, das wäre mir selbst gegenüber unfreundlich - ist es wichtig klarzustellen, dass da kein Blogger in gedruckter Form erscheint, sondern jemand, der immer schon gern gedruckt worden wäre, sich aber mit einem sogenannten Blog ausgeholfen hat, weil er an sich und seinen vergossenen Buchstaben zweifelte, zu schüchtern war, seine Texte an berufene Stellen zu verschicken. Diese tägliche Arbeit, die Passion des Schreibwütigen, ist nicht mehr wegzudenken. Jedoch blogge ich nicht, denn das, was leger als Blog tituliert wird, ist nichts anderes wie die Fortführung des Buchschreibens mit anderen Mitteln.

Das Buch ist im Renneritz Verlag erschienen und ebenda bestellbar. Der Titel lautet "Unzugehörig - Skizzen, Polemiken & Grotesken". Über den Autor selbst sei hier nichts mehr erzählt, denn er kennt sich selbst nicht gut genug. Wen er aber kennt, das sind diejenigen, denen er zu Dank verpflichtet ist. Und diejenigen kennen den, der hier herzlichst dankt.

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Für mehr Eigeninitiative!

Sonntag, 20. Dezember 2009

Eigeninitiative ist eines jener Zauberworte der Bürgergesellschaft, die den schlanken Staat schmackhaft machen sollen. Der eigeninitiierte Gesellschaftsentwurf sieht vor, dass Menschen ehrenamtlich Tätigkeiten übernehmen, wo vorher vielleicht bezahlte Arbeitskräfte tätig waren. Mit Kelle und neongrellem Jäckchen ausgestattete Eltern, die vormals von der Kommune bezahlte Schülerlotsen oder patroullierende Polizeikräfte ersetzen, gelten wohl als berühmtestes Alltagsbeispiel dieser Form von neuer Gesellschaft. Was die Bürgergesellschaft dem Erwerbslosen als Eigenverantwortung und -initiative einimpft, wird an dieser Stelle absichtlich übergangen.

Kurz erklärt, eine Gesellschaft, in der Alltagszivilisten allerlei Aufgaben übernehmen, Verantwortung und Engagement zeigen, ist sicherlich nicht das Schlechteste aller Modelle. Nur wird es problematisch, wenn das kostenlose Engagement dazu missbraucht wird, andere Mitmenschen existenziell zu schaden, ihnen die Würgschraube des ökonomischen Zwangs anzupassen. Und vorallem wird es lächerlich, wenn Eigeninitiativen von größerem Maßstab gerichtlich, wenn nicht verboten, so doch erschwert werden. Nämlich solche, die den Einzelnen wirtschaftlich stärken, autonomer, selbstbewusster machen wollen, solche folglich, die bessere Arbeitsbedingungen und ein größeres Maß an Mitbestimmung und Teilhabe mit durchschlagenderen Mitteln erwirken.

Mit welcher Bigotterie man hierzulande tagein tagaus, von morgens bis abends von Eigeninitiative spricht, mußte kürzlich die Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union (FAU) in Berlin erleben. Bei Androhung von Geld- oder Haftstrafen muß die FAU künftig darauf verzichten, sich als Gewerkschaft oder Basisgewerkschaft zu bezeichnen. Oder anders gesagt: Das Landgericht erkennt der FAU den Status als Gewerkschaft ab - wenn sie ihn überhaupt je besessen hat! Verwunderlich!, möchte man naiverweise ausrufen, gerade die FAU, gerade diese anarchosyndikalistische Spielart von Gewerkschaft, diese Ausgeburt der Eigeninitiative, wird nun gegängelt. Da nehmen Arbeiter selbst, durch von ihnen ehrenamtlich installierte Delegierte, die auch jederzeit wieder deinstallierbar sind, die Geschicke in die Hand, zeigen eigenverantwortlichen Eifer, und prompt paßt es der Bürgergesellschaft und ihren juristischen Zuarbeitern nicht in den Kram.

Da existiert also eine gewerkschaftliche Gruppe, die fortan nicht mehr gewerkschaftlich geheißen werden darf, die ohne einen lobbyistischen Funktionärskomplex auskommt, die selbstbestimmt und basisdemokratisch mittels direkter Aktion, Boykotts und Streiks Arbeitkampf betreibt, nicht ohne vorher auf Tarifgespräche gesetzt zu haben, und die Bürgergesellschaft rümpft verschnupft die Nase, zieht angewidert die Nasenflügel gen Himmel. Eigeninitiative, sicher, aber nur dort, wo es effizient ist, wo es Kosten spart, wo Mehrwerte geschaffen werden können - und dann laufen diese Anarchosyndikalisten auf, wollen verhandeln, drohen beim Scheitern mit Streik und Boykott, legen flegelhaft ihre von der Gesellschaft zugeteilte Arbeit nieder, nur um zu einem Recht zu kommen, das ihnen qua fehlender Mehrheiten gar nicht zusteht.

Mit IG Metall, ver.di oder der CGM hat man solche Sorgen nicht - die wissen, wo Eigeninitiative anfängt und wo sie zu enden hat. Die haben einst ganz eigenverantwortlich geschwiegen, als der erste teilvernichtende Anschlag auf den Sozialstaat stattfand, haben dem Agendisten Schröder die Hand geschüttelt und gratuliert. Damals hat die FAU nicht beglückwünscht, sowas muß sich die Bürgergesellschaft merken, da muß sie sich nachhaltig skeptisch zeigen, der basisdemokratischen Gewerkschaft den Verfassungsschutz an den Hals hetzen, damit nicht sein kann, was nicht sein darf. Was wäre denn los, wenn Eigeninitiative zu mehr ökonomischer Freiheit für Lohnempfänger und damit auch für Empfänger staatlicher Leistung führen würde? Das wäre für den Bürger keine Eigeninitiative mehr, es wäre eine Initiative gegen ihn und gegen seine Stellung, weil mehr Autonomie der Aufbegehrenden bedeuten würde, dass er nicht mehr über allen thronte, sondern ins Glied rücken müsste - keine Allmachten mehr genösse, kein Erpressungspotenzial mehr besäße, keine Angstszenarien für Arbeiter und Angestellte mehr zeichnen könnte. Das wäre ja ein ganz starkes Stück!

Eigeninitiative schön und gut, jammert das Bürgertum, aber bitte nur soweit es uns dienlich ist! Mobbt Schülerlotsen weg! Verkehrspolizisten ebenso, damit der Polizeiapparat abgespeckt werden kann, trichtert dem Erwerbslosen Eigeninitiative ein! Aber um Himmels Willen, doch nicht den Lohnempfängern, die innerhalb unserer braven Gewerkschaften bestens verwaltet und organisiert sind, in deren Funktionärsenddärmen wir unsere Hände stecken haben, um sie als Handpuppen auftreten zu lassen. Da muß die Justiz eingreifen, plärrt das Bürgertum, verbietet den Spuk, es liegt in der richterlichen Eigenverantwortung, diese Form von Eigenverantwortung zu verbieten, zu kriminalisieren, zu illegalisieren! Wo kämen wir denn hin, wenn des Bürgers Initiativen weniger gälten, als die Initiativen aus Unterschichten?

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Zwischen den Zeilen

Samstag, 19. Dezember 2009

Der reichste Mann der Welt, sei der Meinung, er habe zu viel Geld, berichtet Deutschlands renommiertestes Revolverblatt dieser Tage. Mehr Steuern wolle er bezahlen, Milliardensummen spenden und gerade mal zwanzig Promille seines derzeitigen Vermögens an seine Erben überweisen. Gates noch?, fragt das Blatt daraufhin den reichen Bill spöttisch.

Eigentlich ist dieser Bericht, wenn er denn überhaupt als Bericht bezeichnet werden kann, kaum der Rede wert. Doch spiegelt sich darin die Dogmatik jener hier ungenannten Zeitung wider, wird die rhetorische Doktrin des Hauses blankgelegt. An den Worten kann man sie messen! Natürlich ist es unverkennbar, dass die Doktrin einen spöttischen Ton immer dann vorschreibt, wenn jemand sich für eine nachhaltige Erbschaftssteuer ausspricht, auch dann, wenn dieser Jemand seine "Besteuerung" selbst in die Hand nimmt, um die Erben nicht im grenzenlosen Reichtum zu ersticken. Aber darauf sollten diese Zeilen nicht hinauslaufen, denn dass jemand, der sein Vermögen von seinem Konto herunterschippt, für jene Gazette nicht mehr ganz bei Trost ist, versteht sich von selbst.

Nein, die Einleitung machts, sie weist schier nebenbei, ganz unscheinbar, auf die Dialektik des Hauses hin, legt bloß, was man beim schnellen Überlesen - und der gemeine Leser jener Zeitung will es schnell, einfach, ohne Umschweife - nicht wahrnimmt. "Der reichste Mann der Welt, ist der Meinung, dass er zu viel Geld hat." Er ist der Meinung! Das tägliche Zentralorgan der Seichtigkeit wahrscheinlich nicht. Der Vermögende ist selbst der Meinung, die Zeitung jedoch bleibt ohne eigene Ansicht. Fünfzig Milliarden Dollar sind nur nach Meinung des Gates zu viel, für die Schreiber- und Windlinge aber nicht. Plötzlich gibt man sich journalistisch neutral, objektiv, läßt die eigenen Ansichten schlummern. Urplötzlich besinnt man sich auf die Tradition des journalistischen Handwerks und steht mit eigenen Vorstellungen und Stellungnahmen zurück.

Ein Grund zur ausgelassenen Freude ist das jedoch nicht. Dahinter verbirgt sich des Blattes Devotheit und Verneigung vor Macht und Reichtum, die verfechtete Theorie, dass Leistungsträger gar nicht genug verdienen und besitzen können. Wenn jemand wie Gates nun glaubt, er habe zu viel Geld gehortet, dann steht er jener Theorie im Wege, macht sie zweifelhaft, verrät die eigene Leistungsträgerschaft, beschmutzt sein eigenes Nest. So einen unbekehrbaren Gecken oder zwischenzeitlich vom Wege Abgekommenen, begegnet man spöttisch, ein wenig so, als sei der Betreffende von allen guten Geistern verlassen. Von jenen guten Geistern, die einem zur Mitternacht säuseln, dass Leistung sich lohnen, sich lohnen, sich ins Unendliche lohnen sollte - zumindest dann, wenn die Leistung ein bestimmtes Jahressalär übersteigt. Nur Gates ist der Meinung, er habe zu viel Geld, das Räuberblatt nicht, denn es glaubt ernsthaft, zu viel Geld in Händen einer Person, die nach ihren - der Zeitung - Maßstäben geleistet hat, gibt es gar nicht.

Journalistisches Handwerk, Objektivität, Neutralität - nichts davon existiert, wenn im verhartzten Gestrüpp geschnüffelt wird. Wenn jene Zeitung von den Betrügern am Ende der Gesellschaftsleiter "berichtet", dann wird vermutet, spekuliert, gelogen natürlich sowieso; dann gibt es kein Zurückstehen mehr, dann wird nicht neutral geschildert, sondern des Blattes Meinung zur Allgemeinmeinung getrimmt. Wenn der Arbeitslose zu Protokoll gibt, er sei der Meinung, dass er zu wenig Geld habe, dann schweigen die Seiten der Tageszeitung nicht, dann greifen sie jene Partikularmeinung auf, tun so, als würden sie sie prüfen und entblättern letztendlich, dass das Zuwenig zum Leben reicht, möglicherweise sogar noch ein wenig zu viel Zuwenig sei. Denn man darf nicht vergessen, hier wird nicht von Leistungsträgern erzählt, sondern von Kostenfaktoren, Menschen ohne Mehrwert, faulenzenden Beutelschneidern.

Selbst in kleinsten Texten läßt sich die Weltsicht jenes Revolverblattes herausdestillieren. Wenn Gates eine Meinung vom Zuviel hat, verneigt sich der Journalist spöttisch und hält den Mund, hält die Hand still. Aber wehe dem Erwerbslosen, der seiner Meinung nach zu wenig erhält - dann setzt man ein Rudel Bluthunde an, beißt, reißt und erklärt vernünftelnd, dass das Zuwenig ein Zuviel der Allgemeinheit sei. Gates hat Leistung erbracht, dem Erwerbslose wird sie nur zugeteilt, er wird zum Leistungsempfänger gemacht, zur Kreatur der Leistenden. Und wenn letztere besitzen, grenzenlos besitzen, dann dient das nur dem Empfänger - was für Gates gilt, gilt hierzulande für andere. Andere, die aber nicht so dämlich sind, ihren Besitz zu verprassen...

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Sit venia verbo

"Für Sarrazin wie seine Parteigänger aus allen Parteien sind Leistungsträger nicht Krankenpfleger und Kindergärtnerinnen, sondern Leute mit einem Jahresgehalt von hundert- bis fünfhunderttausend Euro netto, in sozial wertvollen Berufen wie dem des Investmentbankers und seines Insolvenzverwalters. Der bürgerliche Zwangscharakter nämlich verachtet noch als Greis, wundgelegen in seiner Scheiße, den Pfleger, der es zu nichts Besserem gebracht hat als zu seinem Wohltäter."
- Hermann L. Gremliza, Konkret, November 2009 -

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Kriegstreiber!

Freitag, 18. Dezember 2009

Vaterlandsloser Geselle, hör endlich auf! Hast du wohl endlich genug! Vaterlandsloser Geselle, hör auf unseren Einsatz zu torpedieren, beende deinen Kriegseinsatz gegen unsere Friedensmission! Was du dir erlaubst ist eine Kriegserklärung, gerichtet an die Soldaten des Vaterlands, an die wackeren Burschen und Maiden, die unsere Farben in der Welt repräsentieren. Es ist genug, wir sind des Krieges leid, den du in Quartiere und Lazarette trägst. Wir können deine kriegerische Friedfertigkeit nicht mehr ertragen, die du auf Plakate kritzelst und durch Kundgebungen und mittels Feldzugsrhetorik anheizt.

Geselle, was du in unser Vaterland trägst ist der Krieg! Du bist Kriegstreiber, du bist, was du uns unterstellst. Wer spaltet denn die Nation? Wer fällt uns ins Kreuz? Öffentlich stellst du dich hin, redest von friedlichen Welten und erklärst nebenbei, im Vorbeigehen quasi, unseren Soldaten den Krieg. Du erklärst unserem Friedenspersonal dreist und verschlagen, einfach so mir nichts dir nichts den Krieg! Auf einer Schlachtplatte richtest du das Militär an, und all jene, die das Militär auch politisch stützen. Wer ist denn der Schlächter? Wer der kriegsgeile Feldherr? Du zeigst keine Verantwortung! Du bist Individualist, machst auf Friedenstaube, romantisierst von Pazifismus, während wir uns Individualität nicht leisten können. Die Verantwortung erlaubt sie uns nicht, Vaterlandsloser! Wir stehen für ein Kollektiv, für diese Nation, für jenes Land, in dem du leben darfst, das du aber mit deiner Kriegseloquenz hinterrücks meuchelst. Wir sind kollektiv dem Luxus der Individualität skeptisch gesinnt. Wir sind nichts, unser Land alles!

Ehrloser Geselle, du bist der Kriegstreiber, du hetzt auf, stachelst an, machst unser Unternehmen mies. Wir helfen dem Frieden in die Schuhe und du reichst dem Krieg den Schuhlöffel. Dein windiges Geschäft ist der Krieg, den du ins Innere, in die Gesellschaft trägst. Einig sollten wir sein, vereint als Nation, zusammenstehen gegen den gemeinsamen Feind. Und dann kommst du deines charakterlosen Weges und mischt auf, treibst Keile in die Gemeinschaft, bekriegst unsere Eintracht. Weil du unseren humanitären Einsatz, unser Unternehmen im Namen des Friedens Krieg nennst, erklärst du uns den Krieg. Als Krieger gegen Friedensmacher betrittst du die Bühne! Mit Schaum vor der Schnauze hechelst du, röchelst du, bellst du. Der militante Fanatismus steht dir feucht vor der Schnauze, deine Kampfeslust und Streitsüchtigkeit unterstreicht deinen Kriegsgeist. Hinter der Front baust du deine Front auf, setzt dein Maschinengewehr an und durchsiebst die Einigkeit der Nation, durchlöcherst die Wehrhaftigkeit unserer Burg.

Vaterlandsloser Kriegstreiber, dich sollte man vor das Kriegsgericht zerren. Wir tun nur unseren Dienst, gefühllos und ohne Anteilnahme. Aber du, du läufst als Friedensbote auf, emotional aufgeladen, sentimental gestimmt. Wer so aufs Schlachtfeld tritt, der ist eine Gefahr für sich und andere, der begeht die schlimmsten Kriegsverbrechen. Pazifist, du bist der schlimmste aller Kriegsverbrecher, denn du bekriegst dein eigenes Nest!

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Unterwanderte Arbeitswelt

Mittwoch, 16. Dezember 2009

Da haben sich Horden von Angestellen des Öffentlichen Dienstes aber ein dolles Ding erlaubt! Jahrelang, womöglich sogar mehr als eine Dekade, haben sie sich verdoppeltes Kindergeld eingestrichen. Das sind Raubzüge, die man in dieser Republik bisher nur von Langzeitarbeitslosen kannte. Arbeitslose, salopp: Hartz IV-Empfänger, kannte man bis dato hierzulande als Abzocker, Betrüger, Hinterzieher und Schmarotzer. Als gefährliche und ruinöse Parasiten, die das tranige Mark des tattrig gewordenen Knochengestells dieses siechenden Sozialstaates aussaugen.

Vermutlich haben die sündigen Angestellten in ihrer Arbeitszeit mit solchen Parasiten zu tun gehabt, waren ihnen gegenübergesessen, haben deren Anträge angenommen, Absagen und Bescheide verteilt, Sanktionsdrohungen ausgestoßen. Ja, vermutlich, ist es da geschehen, im Alltag, beim Dienst am Schmarotzer. Schlagartig waren die besten Absichten dahin, die bürgerliche Bravheit abgelegt, die staatsbürgerlichen Bedenken verflogen und hat sich überdies an einem unbekannten Typus des Stockholm-Syndroms infiziert. Unvermittelt duzte man die räuberischen und auspressenden Praktiken der Hartz IV-Abzocker, solidarisierte sich mit deren Unwesen. Ein Öffentlicher Dienst, der fortwährend dem schlechten Einfluss unterworfen ist, muß letztlich unanständig werden, wird fast selbstverständlich in Abgebrühtheit und Arglistigkeit gestossen.

Doch einen Moment! Über zehn Jahre sollen diese Damen und Herren des Öffentlichen Dienstes bereits ihr Kind zwiefach vergoldet haben. Damals gab es noch gar keine Hartz IV-Empfänger, seinerzeit nannte man den Bodensatz noch anders: mal Sozialhilfeempfänger, mal faules Schwein. Womöglich haben angehende Hartz IV-Empfänger, schon Jahre bevor sie in den Leistungsvollzug gerieten, den Öffentlichen Dienst unterwandert, haben dort Stellen zum Schein angenommen, nur um standesgemäß gaunern zu dürfen. Durchaus denkbar, dass die jetzt beschuldigten Angestellten gar keine Angestellten sind, sondern verkappte Langzeitarbeitslose, die sich hinter einem Scheinposten verschanzen, um weiterhin an Kaperungen teilnehmen zu können. Durchaus denkbar oder anders, akkurater ausgedrückt: mit ziemlicher Sicherheit - nicht nur mehr denkbar, sondern fassbar, anpassbar, unfassbar wirklich.

Ja, denn es ist eine sichere Erkenntnis, nahezu wissenschaftlich verifiziert, dass hinter jedem Angestellten, gleich ob im Öffentlichen Dienst oder unter der Rute der Privatwirtschaft, ein Arbeitsloser, in vielen Fällen sogar ein Langzeitarbeitsloser schlummert. Diese Heimlichtuer und Agenten im Namen der Faulheit und des Schmarotzertums, sitzen makellos lächelnd auf einem Posten, belagern Arbeitsplätze, nur um zu betrügen, sich zu bereichern, nur um einen kleinen Teil der Sore einzustreichen. Irgendwann ertappt man sie dann, meist wenn das Unternehmen unpässlich ist, die Firmenkassen veröden. Dann geht es schnell -geschwind werden die Schläfer geschnappt, enttarnt, bloßgestellt, entlassen und der zuständigen Behörde übergeben, die den Arbeitslosen mit Regelsätzen abspeist und ihn endlich sein läßt, was er immer war. Das verkommene Subjekt indes betreibt weiter sein Geschäft, bescheisst, lügt, arbeitet schwarz, füllt sich die Hosentaschen mit grünen Scheinen und bereichert sich mit einem Zubrot namens Regelsatz.

Nur im Öffentlichen Dienst gelingt es bestenfalls schwerlich, einen versteckten Arbeitslosen zu demaskieren. Was sowieso sinnlos wäre, dort ist Entlassung ein schweres Unterfangen, bei manchen unmöglich. Verdächtig sind jedenfalls alle, lehrt uns das dolle Ding jener Angestellten; verdächtig sind alle, all die verkappten Arbeitslosen, die sich hinter Arbeitsplätzen verstecken. Diese Gesellschaft ist vom Geist des Parasitismus erfasst, vom Müßiggang und Erfindungsreichtum der Faulpelze. Der Öffentliche Dienst bleibt unbefleckt, Dreckspatzen waren einmal mehr die Faulenzer. Der Betrug ist hierzulande ein Kind der Unterschicht, wenn oben betrogen wird, waren es hochgekommene Untere, denen die Höhenluft nicht bekommen ist. Und war es doch ein Oberer, dann war es eine Lappalie, ein Kavaliersdelikt, schnell tilgbar. Dann betreten Laienprediger das Feuilleton und verkünden, dass der Untere sich an seine eigene Nase fassen soll, denn wo in Unterschichten der Parasit leckt und saugt, nimmt sie die Oberschicht nur ein schlechtes Beispiel. Ein schlechtes Beispiel, verwerflich zwar, nicht gesetzlich, unmoralisch auch, aber verständlich, erklär- und entschuldbar. Der Betrug ist das ungeliebte Ferkel der faulen und armen Schweine.

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Nomen non est omen

Heute: "Personenschaden/Antipersonenminen"
"Liebe Fahrgäste. Wegen eines Personenschadens verzögert sich die Weiterfahrt. Bitte haben Sie etwas Geduld."
- Ansage der Deutschen Bahn -

"Etwa 70 Prozent der heimtückischen Waffen (Antipersonenminen) treffen unschuldige Opfer."
- das Rote Kreuz zu Antipersonenminen -
Als "Personenschäden" werden getötete oder verletzte Menschen bezeichnet. Ob im Verkehr, auf dem Arbeitsplatz oder bei Bahn-Suiziden – der Begriff klammert den Menschen aus und macht ihn zu einer Sache. Ähnlich verhält es sich bei dem Terminus der "Antipersonenminen". Menschen, die von Minen verkrüppelt, entstellt oder getötet werden, sind semantisch "Antipersonen". Beide Begriffe verschweigen sprachlich den Bezug zum Menschen und versuchen rein funktionell zu wirken. Schließlich soll eine normative oder gar moralisch-negative Assoziation vermieden werden.

Beide Begriffe belegen den sprachlichen Trend eines funktionalistischen Bürokratendeutsch. Der Mensch ist kein Individuum mehr, mit Wünschen, Ängsten, Werten und Lebensvorstellungen, sondern eine Sache, ein Ding, ein Rädchen im Getriebe, eine Ware, eine Nummer. Menschen werden nicht verletzt, sie nehmen "Schaden", wie ein technisches Gerät oder eben eine tote Sache. Die gezielte Schwammigkeit beider Begrifflichkeiten trägt zu einer Entemotionalisierung bei. Niemand soll hier groß Gefühle zeigen, wenn Menschen vor Verzweiflung Suizid begeben und sich vor den Zug werfen oder wenn Kleinkinder auf Minen treten und zerfetzt werden – die Begrifflichkeiten sagen uns, dass wir diese Dinge sachlich und rational wahrnehmen sollen. Emotionalität ist eben nur erlaubt, wenn diese wiederum im mechanischen Prozess der Verwertungs- und Verwurstungsindustrie eingebettet sind, wie bei dem Robert Enke Fall.

Es macht sprachlich-kognitiv eben doch einen großen Unterschied ob man von "Personen" oder von "Menschen" spricht. Was würde wohl mit "Menschenschaden" bzw. "Antimenschenminen" assoziiert werden?

Dies ist ein Gastbeitrag von Markus Vollack aka Epikur.

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Handwerkliches Geschick

Dienstag, 15. Dezember 2009

Ein verwirrter Mann! Natürlich, wer denn sonst außer ein verwirrter Mann? Welche normale, gesunde, denkende Person würde denn ansonsten Berlusconi ins Gesicht boxen? Für das italienische Medienregime ist damit alles im Reinen, alles ausgesprochen. Obzwar es demnach tragisch ist, wenn der wichtigste Mann des Staates seine symmetrische Miene einbüßt, aber warum daran stören, wieso sich an dieser unerfreulichen Bagatelle aufhängen, wenn es doch letztlich nur das Werk eines Kranken war? Und für die Gegner des lächelnden und sanften Tycoons ist damit auch alles abgehakt, denn der demokratischen Gesinnung steht es nicht besonders gut zu Gesichte, in eingedroschene Gesichter zu blicken und zu applaudieren. Aber ein Verrückter, mit dem kann man leben, da kann man abwinken, kann sich demokratisch damit arrangieren, muß sich nicht tausendfach dafür entschuldigen, sich rausreden, dass ein Oppositioneller, ein faustdicker Widersacher des Allmächtigen, ein Unzufriedener, ein Freund demokratischen Faustrechts ausgerastet ist.

Mit einem verwirrten Mann leben alle Seiten zufrieden. So war es immer, Überzeugungstäter gab es in Regimes nie. Attentäter waren immer krankhaft, irrsinnig, geistig ruiniert. Hier schlug ich rein, ich konnt' nicht anders, haben sie nie verkündet, ließen uns Regimesprachrohre wissen, sie brabbelten wirr, ich wollte einfach prügeln, irgendwen, einfach drauflos, ich wußte nicht mal, dass der Typ berühmt ist. Attentäter! Man muß aufpassen, nicht den Jargon der öffentlichen Berichterstattung zu übernehmen, diese nichtssagende Redeweise aus trockener, durchaus wohlwollender Toleranz, der jedes Faustargument wie einen undemokratischen Akt hinstellen will. Ach, ist es auch? Ein Demokrat boxt nicht? Sicher, eine pazifistische Grundhaltung ist des Demokraten Ehre, gar keine Frage. Aber als letztes Mittel, als allerletztes Mittel, sowieso in Notwehrsituationen, ist ein gewalttätiger Befreiungsakt bekömmlich und notwendig, ja entspricht nur der menschlichen Vernunft, ist damit kein Atavismus aus Höhlentagen mehr. Es war keine Notwehr? Unmittelbar sicher nicht, aber es käme schon darauf an, mit welcher Motivation gezüchtigt wurde, ob vielleicht die Gewaltschürung des Regimes gegen Studenten, Rumänen und Sinti und Roma ausschlaggebend war. Hätte der Irrgewordene einst die Knute des Regimes gespürt, es wäre mehr als Notwehr, es wäre ein Akt individuellen Widerstands.

Aber das ist spekulativ. Verschwendete Gedanken allemal! Das Medienregime von Silvios Gnaden, wird niemals eine Analyse nachreichen. Analysiert wurde ja bereits - Befund: verwirrter Mann! Ein verwirrter Attentäter! Dabei hat das fein verspachtelte Antlitz des Selbstherrlichen kaum Schaden genommen. Zwei Zähne seien ruiniert, die Lippe aufgeplatzt, das Nasenbein angebrochen. Er sollte das mal jenen Opfern mitteilen, die mittels berlusconischer Bürgerwehren Stahlrohre auf ihren ausländischen Häuten erleben durften. Mancher Student würde sich ebenso für die Anamnese des Patienten Berlusconi interessieren, besonders dann, wenn er schon mal Bekanntschaft mit den Polizeiknüppeln des Regimes gemacht hat. Harmlose Blessuren plagen den Medienmogul! Hätte er nur einmal einen Blick auf die Verletzungen derer geworfen, die in seinem Land zu Gast waren, als die Industrienationen in Genua tagten. Er sollte sich schämen, über seine Zipperlein zu klagen, während er seit geraumer Zeit Blut verspritzen läßt, seine Landsleute ermutigt, gegen die Plagen aus dem Osten Europas mit Eigeninitiative vorzupreschen.

Ein Auge hätte er fast verloren, erzählte er heute schicksalsschwanger in seinen Haus- und Hofsendern. Es sei ein Wunder, dass er noch zweiäugig wäre! Weinen möchte man, jubeln will man. Ein Wunder! Die Vorsehung hat einmal mehr zugeschlagen, einmal mehr wurde ein großer Mann der Geschichte errettet, damit er seinen wertvollen Dienst vollenden kann. Glimpflich ist er davongekommen. Als Sonntags-Demokrat, der seine demokratischen Dogmen aus dem Gebetbüchlein zitiert, sollte man darüber froh sein; als leidenschaftlicher Mensch, als jemand der es nicht ertragen kann, wenn Mörderhauptmänner gebrochene Knochen und Platzwunden verordnen, als wehrhafter Demokrat, betrübt es jedoch nur. Wenn schon mal die Faust die Schnauze erreicht, warum war dann nicht mehr drin? Attentäter? Neinnein, unkonventionell vielleicht, aber er vollbrachte nur mit eigenen Händen, was der wichtigste Italiener beinahe täglich anordnet oder wenigstens gutheißt. Ein Handwerker, kein Schreibtischhengst. Was ihm zum Verhängnis wurde ist sein handwerkliches Geschick.

Verwirrt? Mag sein, vielleicht war er verwirrt; vielleicht war er auch nur einfach verwirrt, weil er nicht wusste, ob Nase oder Auge, Auge oder Nase? Wohin platziere ich die Statuette, die ich dem demokratisch gewählten Tyrannen ins mit Spachtelmasse überzogene Gesicht werfe? Was wir nie erfahren werden ist der Grad der Verwirrung. War es Verwirrtheit zwischen Auge und Nase oder eine generelle, die einen Anschlag auf den beliebten Vater des Stiefels nicht akzeptabel, aber doch erklärbar macht? Hätte der verwirrte Mann sich nur Medienmacht eingekauft, sich danach zur Wahl aufstellen und auch wählen lassen, vom Schreibtisch aus dürfte er heute verwirrt über seine Lande wachen. Aber dieses Handwerk ohne Wahlen zu verrichten, handwerkliche Selbstjustiz walten zu lassen, ist undemokratisch und nicht statthaft. Gewählt muß man sein, dann klappt es auch mit dem Handwerk...

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De auditu

Montag, 14. Dezember 2009

Dass Deutschland in Afghanistan Krieg führt, würde die deutsche Öffentlichkeit bereits wahrnehmen, nur bekennen will es die Bundesregierung nicht. Häufig hört man in diesen Wochen, dass die Regierung nun endlich den Mut aufbringen solle, den Einsatz der Bundeswehr zu adeln, indem man ihn als das bezeichnet, was er ist: nämlich ein Kriegseinsatz. Das gebiete nicht nur die Wahrheit, sondern auch der Respekt vor dem Engagement der deutschen Soldaten. Um den Hut auch mit terminologischen Flankenschutz ziehen zu können, sei es unabwendbar, das Kriegshandwerk deutscher Jungs im Mittleren Osten zu honorieren.

Dabei ist es ein Akt blenderischer Machart. Krieg! Sicher, ein humanitärer Einsatz ist es keiner. Weder geht es um unterdrückte Frauen in Burka noch um einen gesicherten Schulbesuch afghanischer Kinder. Aber Krieg? Es ist ein kriegsähnlicher Zustand, das ist schon wahr, das ist unleugbar. Aber der Kombattant trägt keine Uniform, sieht aus, wie viele Menschen in dieser Weltregion eben aussehen. Dem Taliban ist kein Stigma in die Stirn gebrannt, er gleicht den braven Menschen Afghanistans, die wiederum mit den Taliban ideologisch nichts gemein haben. Auf wen soll man schießen, wenn sich alle gleichen? Man ist pragmatisch: man traktiert alle, interniert alle, schießt auf alle, bombardiert alle. Eine Panik breitet sich aus, gleich jener damals im vietnamesischen Dschungel, als man ganze Dorfgemeinden ausradierte, weil dies angeblich mit dem Vietcong kooperierten. Für die Amerikaner sahen alle Schlitzaugen gleich aus, so wie heute für die westlichen Kräfte alle Bärte mit aufgestülptem Turban wie ein Ei dem anderen gleichen.

Nein, das ist kein Krieg, das ist eine überdimensionale Schlachtplatte, angerichtet in westlichen Küchen, serviert in der zerklüfteten Landschaft Afghanistans. Keinen konkreten Gegner zu haben, dabei pragmatisch pars pro toto praktizierend, vage ins Dunkle zu schießen, kann nicht mit der Bezeichnung Krieg getauft werden. Was der Westen in jenen Gefilden veranstaltet ist ein Blutbad, eine Schlachterei, ein sich Suhlen in menschlichen Leid. Um das zu entschuldigen, fragt man hie wie da nach den Alternativen. Man solle den Taliban ihr menschenverachtendes Regime nicht mehr ermöglichen, was ein hehres Motiv sei. Würde Karsai heute eine stabile Regierung stellen, dabei aber Frauen unterdrücken und allerlei Menschenrechte offen zur Schau brechen, der Westen wäre dennoch zufrieden. Es wäre erreicht, was erreicht werden soll, die Mission wäre erfüllt; ein halbwegs verhandlungsfähiges Regime, welches für Zucht und Ordnung sorgte, stünde für weitere Geschäfte bereit. Dies zu wissen, mindestens aber zu erahnen, entkräftet jede Frage nach Alternativen - es gibt schlicht keine, nicht derzeit und schon gar nicht mit Einmischung fremder Mächte.

Es sind konservative Pressestimmen ebenso wie liberale oder humanistische, die sich für den Kriegsbegriff stark machen. Die Motive sind verschieden, das Resultat wäre dasselbe: Der Begriff würde die Blindheit verstärken, würde Schlachtfeste freilich nicht legitimieren, aber mehr denn je zu akzeptablen Kollateralschäden machen, die man im Krieg leider kaum verhindern könne. Den Einsatz beim Namen zu nennen, heißt nicht, ihn als Krieg einzustufen, es heißt, ihn als gigantisches Blutbad, als parlamentarisch abgesegnetes Abschlachten im Auftrag westlicher Demokratien zu entlarven.

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Im Dreck

Sonntag, 13. Dezember 2009

In der Unterschicht, dort wo das karge Leben in fleckiger und dreckiger Blüte steht, wird das Dasein nicht zu knapp zur Kette. Eine Kette, die an der Existenz hält, die das Enteilen aus misslichen und betrüblichen Zuständen vorenthält. Das Leben wird zum bedrückenden Angekettetsein, zum Unverlassbaren - beharrlich liegt zuviel Dasein in der Luft, erschlägt einen die wuchtige Unabänderbarkeit der notdürftigen Existenz. Existieren als Bürde, nicht als Gnade. In der Unterschicht, wo das Leben brummt, brummt vor Sorge und Not, sich grämt vor Zukunftsangst und Unsicherheit, sich übergibt vor Druck und Ausgrenzung, dort ist Leben eine Serie ineinandergefügter Glieder, schier undurchtrennbar, stählern im Widerstand.

Ganz unten, in der Gosse, wo in maroden Wohnungen und engen Gemächern gehaust wird, wo selbst unbefristete Arbeitsverträge nicht länger als sechs Monate Geltung haben, wo Arbeitsvermittler zu alten Bekannten emporsteigen, entkommt man der Bürde des Atmens nicht. Die Gosse, heute mehr als Kloake, viel mehr als Mulde und Rinne. Sie zeigt sich in ruinierten Haushalten, in Wohnverhältnissen der untersten Sorte, in Lebensentwürfen, die niemand freiwillig für sich entworfen hat, die ihm jedoch entworfen wurden. In der Gosse, dort wo das Leben nach Angst stinkt, nach Hetze von denen, die Hochdruckreiniger als probates Mittel der Gossenspülung einzusetzen gedenken, wo Scheiße und Kotze gleich neben Erwerbslosen und Ausländern was gelten, in dieser Gosse wird zwar emsig gelebt aber sich simultan gegen die Fessel dieses Daseins kaum mehr aufgelehnt.

Im Abgrund, aus dem die Kacke nach oben dampft, in dem die Scheiße immer dann am Brodeln ist, wenn dem Untermenschen, dem Gammler, neue Widrigkeiten begegnen, läßt es sich effizienter sterben denn leben. Hält eine kostenintensive und zermürbende Krankheit Einzug, stehen überraschende Unkosten ins Haus, neigt sich zwei Wochen vor Monatsende das Lebensmittelgeld dem Tode zu, so wird das Leben zum Krebs. Im Schlund der Unterschicht atmet es sich streng. Hier hechelt man, japst man, röchelt man. Immer in Bedrückung, anhaltend in Verfolgung, sich unaufhörlich über die Schultern spionierend. Wer jagt mich heute? Wer scheucht die Trampel und Blödiane gegen mich, meine Nichtigkeit, meine Lethargie, meine Besitzlosigkeit, meinen ausländischen Akzent? Wer heftet mir augenblicklich einen sechseckigen Stern an die Brust und sei es nur mit geringschätzigen Blicken oder abfälligen Worten?

Ins Bodenlose fallend, wo Furcht und Knappheit wie Reichtümer sich stapeln, wo der Boden kein fester Grund, sondern eine stets enteilende Ebene ist, sind Beschaulichkeit und Erholung exotische und rare Tierarten. Das Herz pumpt quälend, der Kopf spult mühselig. Man ist seiner Tage leid, gäbe sie liebend gerne wie einen verbrauchten und verschlissenen Mantel ab, würfe sie mit Freuden davon, wie ein Kondom mit abgefülltem Reservoir. Die Existenz bleibt jene Last, jene Bürde, jenes Unternehmen, jener Mantel, jenes Reservoir, das man nie und nimmer verlassen kann. Ganz unten, in den Schluchten der Gesellschaft, in den Straßenschluchten sozialer Brennpunkte, gestaltet sich die Neuanschaffung eines Mantels zum persönlichen Katastrophenfall, zum Weltuntergang, zum unüberwindbaren Hindernis. Ohne Mantel, doch die löchrigen Taschen voller Spott von denen, die Mäntel für ihre Mäntel kaufen, kündigt sich die Apathie an. Die Welt wird einem zu einer beschissenen Zirkusnummer, zum höllischen Ort voll Beschissenheit, gefüllt mit beschissenen Wesen oberhalb des Untens. Beschissene Wesen, die einem deuten, dass nicht die gesellschaftliche Kluft an der Lebensfreude hindert, sondern die Schlaffheit, die Leistungsverweigerung, der Suff, das Sprachdefizit. Man nistet sich ins ungemachte Bett, tagein tagaus ungemacht und unausgeschüttelt, tagein tagaus mit derselben Bettwäsche behaftet, entflieht im Dunst aus Schweiß und Schlummer in Traumwelten. Traumwelten, die nur ein ödes Abbild der beschissenen Welt abgeben, billige Kopie vor geschlossenen Augenlidern sind. Traumwelten in vertrauter Beschissenheit, nur zwergenhafter als das Original, harmloser weil verschwommen und schemenhaft, doch ebenso nach Pest und Geschwür stinkend.

Erst als Bodensatz des Übermenschentums vermag man es, die menschliche Existenz in ihrer Einzigartigkeit zu erfassen. Einzigartig als Kette, als Bürde, als langsam versprühtes Gift. Unter der Oberfläche der ästhetischen Gesellschaft rumort das wahre, das hässliche, das scheußliche Leben. Das Leben als Notbringer und Leidensschenker, Leben als Quälgeist und Dämon, Leben als Pott voller Scheiße und Eiter. Wem derart Leben widerfährt, berichtet später vom wirklichen, vom schäbigen Leben. Ein Leben fern des Urlaubs und des Sonnenscheins, fern von Gejammere über gekappte Bonusgratifikationen und einbehaltenes vierzehntes Jahresgehalt, fern von Konsumplausch und Preisgeschachere. Im Matsch der feinen Leute, im bürgerlichen Dünnschiss, unter den Ärschen jener Gestalten, in der Unterschicht also, vollzieht sich Leben als Elend, als Schmerz. Des einen Würde setzt des anderen Bürde voraus. Der Dreck ist die Grundlage der Sauberen...

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Jeder für sich ein ganzes Schwein

Freitag, 11. Dezember 2009

Schatz, ich bitte dich, vergib mir. Ich weiß ja selbst nicht, wie es dazu kommen konnte, wie mir da geschah. Schatz, ich verstehe dich, ich kann es nachvollziehen, dass du die Scheidung willst. In so einem Moment ist man zu drastischen Schritten bereit, nur danach bereut man es dann. Komm, Schatz, laß mich dich ansehen, dreh' dein Köpfchen zu mir, ich will nur einen Blick drauf werfen. Ach Schatz, keine Angst, ich berühr' dich auch nicht. Mensch, ich lieb' dich doch. Versprochen, ich gucke mit den Augen, nicht mit den Fingern. Gut so, vernünftig von dir! Nein, da kann ich entwarnen, gebrochen ist wohl nichts. Aber ein blaues Auge könnte es werden, es ist ziemlich angeschwollen. Du solltest es kühlen.

Doch, ich begreife ja, dass du mir Vorwürfe machen mußt. Nur dass ich eine patriarchalische Drecksau bin, das lasse ich nicht gelten. Schatz, hör endlich auf mit diesem ewigen Feminismuskram! Das geht jetzt seit Jahren so, seitdem du diese verstockte und vertrocknete Alice aufgegabelt hast. Anfangs meinte ich noch, die meint das spaßig. Später habe ich erst bemerkt, dass es ihr todernst war mit ihrem Geschwafel. Und als ihr beiden angefangen habt, mich auf mein Machogehabe hin zu analysieren, da hat sich dieser traurige Faustschlag von eben bereits vorbereitet, in jenem Moment, der bereits einige Jährchen zurückliegt, lag bereits der Faustschlag parat. Als du dich dann mit Alice überworfen hast, hoffte ich ja, du würdest wieder zurückfinden in gemäßigtere Bahnen. Ich war ja immerhin kein Monster, habe dir alle Freiheiten gegeben, dir eigentlich keine Vorschriften gemacht, außer jene, die man sich eben als Ehepartner in idealistischer Ausformung gegenseitig auferlegt. Schatz, aber du hast nicht abgelassen. Immer weiter hast du meine angeblich so patriachalisch untermauerten Verhaltensformen bloßgelegt, hast mich dazu gedrängt, Frauen als eine Art gemächtlose Kopie von Männern zu betrachten.

Ich habe mich immer geweigert, die Sache so einfach anzusehen. Frauen sind keine Kopie von Männern, wären sie das, so muß ich aus meiner Sicht sagen, könnte ich auch mit Kerlen ins Bett springen. Wenn ich einer Frau im Kaufhaus die Türe aufgehalten habe, hast du mir schon Vorwürfe gemacht. Erst glaube ich ja, du seist eifersüchtig, weil ich den Kavalier gab, dabei hast du mir allen Ernstes Vorwürfe gemacht, weil der Kavalier doch ein Gnadenakt des Mannes an die Frau sei, ein Almosen an das schwächliche Geschlecht. Schatz, du bist oft viel zu weit gegangen. Viel zu weit! Oder wenn ich einen nackten Frauenkörper im Fernsehen bewunderte: der Vorwurf war vorprogrammiert. Eine Machosau nanntest du mich dann, einen Voyeur, einen Sexisten. Naja, Schatz, ich schlief in unserer gemeinsamen Zeit nur mit dir - immer mit großen Vergnügen, aber viel zu selten. Es fiele dir schwer, mit einem Patriarchen zu vögeln, hast du immer dort verkündet, wo andere Ehepartner sich gegenseitig Kopfschmerzen vorheucheln.

Nein, Schatz, ich habe es in all den Jahren nicht leicht mit dir gehabt. Wenn ich an deine Vorträge denke, in denen du mir eindringlich erklärtest, dass Karrierismus - die Möglichkeit der Frau, Karriere zu machen also -, das eindeutigste Signal der Emanzipation sei. Mensch! Ich habe nie Karriere machen wollen, bin ich deswegen jetzt nicht emanzipiert genug? Dieses ewige Gewäsch des Feminismus, das Arbeit das oberste Prinzip des Gleichheitsgedankens ist. Weißt du, Schatz, ich bin immer nur zur Arbeit marschiert, damit wir ein Dach über dem Kopf und Fressen im Magen haben. Ich hielt Lohnarbeit nie für besonders gleichberechtigend. Ich habe dir ja nie verboten zu arbeiten, im Gegenteil, ich war der Ansicht, du solltest arbeiten gehen, wenn es dir beliebt, zumal uns einige Groschen mehr nicht schaden würden. Aber dir ging es ja nicht einmal direkt ums Geld, darum, etwas hinzuzuverdienen. Nein, du hast von Selbstverwirklichung gesprochen. Ellenlange Texte zur Selbstverwirklichung! Wenn ich mich selbstverwirklichen wollte, Schatz, ich müßte kündigen, mir kurze Hosen anziehen, in ein Flugzeug nach Vanuatu steigen, dort meine Bücher wälzen, literarische Werke lesen, an intellektueller Bildung nachholen, was ich zuletzt verpaßt habe. In der Sonne Vanuatus, lesend und kühle Getränke schlürfend - da wäre ich selbstverwirklicht. Nicht als Lohnempfänger meines Chefs. Ich habe deine Ansichten dazu nie begriffen. Wie kann man nur so demutsvoll Angestellter sein wollen. Wie gesagt, verboten habe ich es dir nie, ich habe mir lediglich verbeten, dass du mir deine ewige Sklavenmoral, die du ja Emanzipation nennst, unter die Nase reibst. Wenn du arbeiten gehen willst, habe ich erklärt, dann deswegen, damit wir mehr in der Kasse haben, nicht um deinen egoistischen Selbstverwirklichungstrip zu folgen, der am Ende nicht mal egoistisch ist, sondern nur scheinegoistisch, eine ewige und untänige Durchhalteparole für deinen Chef ist.

Ach Schatz, schwer hast du es mir gemacht. Als du angefangen hast, bei Simone nachzulesen, habe ich dir häufig aktiv zugehört, war sogar in vielen, ja in den meisten Punkten, mit Simone d'accord. Nur bei einem zögerte ich, gab keine Zustimmung: Man wird nicht als Frau geboren, man wird zur Frau gemacht. Sicher, ich verstand, was Simone meinte, aber man darf das nicht zu extremistisch sehen. Körperlichkeit und Verhalten bedingen einander, das lehrt uns die Evolution. Wesen verhalten sich so, wie es ihre Körperlichkeit, ihre materielle Beschaffenheit erlaubt; und sie entwickeln sich körperlich so, wie es ihrem Verhalten entspricht - vereinfacht und nicht ganz korrekt erklärt ist das jedenfalls so. Ich würde einen anderen Charakter vorweisen, würde mich anders Verhalten, wenn ich Brüste und Scheide hätte; mit Schwanz wärst du eine andere Persönlichkeit. Jaja, ich weiß ja, Evolution ist herzlose Esoterik - das hast du schon mal deklariert, als ich von Körperlichkeit und Verhalten philosophierte. Menschen sind demnach verschieden, weil sie auch körperlich verschieden sind. Das gilt zwischen Mann und Mann ebenso wie zwischen Frau und Frau. Bei Mann und Frau sieht das natürlich etwas gröber aus, wenn auch nicht so unterschiedlich, wie es Zotenreißer wie dieser... na, wie heißt er? Der, dessen Witze einen langen Barth haben... egal, lassen wir das!... in ihren humorbefreiten Abendprogrammen aufbereiten. Die Unterschiedlichkeit zwischen Mann und Frau ist kein unendlicher Kosmos, sie ist auf einige äußere Merkmale beschränkt, beeinträchtigt damit einige Verhaltensmuster. Man ist eben nicht zur Frau gemacht, man ist sie von Natur aus; man lernt nicht weiblich zu denken, man denkt ganz unbewußt weiblich. Mann und Frau sind nicht Maus und Elefant - manche Männer tun ja gerne so, als sei die Frau ein fremdes Wesen. Wie gesagt, das ist Unsinn, wir sind uns ganz nahe, aber wir sind eben nicht identisch.

Überhaupt, diese trockene und humorlose Albernheit deiner Dogmatik. Schatz, du kommst mir vor wie dieser Hüter im Vatikan, der seine tote institutionelle Religion immer und immer wieder fleddert. Mit demselben Fanatismus hütest du deine Dogmen. Lachen, Flapsigkeit ausgeschlossen; du bist eine verbeamtete Feministin - oder hältst dich jedenfalls dafür. Als du damals in Simones Schriften gewühlt hast, habe ich mir einen Spaß erlaubt. Erinnerst du dich? Ich habe dir übersetzt, habe dir dargetan, dass man Beauvoir mit etwas Wohlwollen mit schöner Blick übersetzen könnte. Dabei sei diese Dame ganz und gar kein schöner Anblick gewesen. Du hast mich fast getötet mit deinen Augen, mit deiner stieren Miene. Ich versöhnlich, den Arm um dich legend, flapsig, auflockernd, meinte daraufhin, dass du nicht so böse starren solltest, nur weil du des Französischen nicht mächtig bist. Schlimmer wäre es, wenn du es mir nicht mehr französisch besorgen könntest. Ein ehelicher Scherz nur - Herrgott, wie soll man denn eine Ehe leben, ohne über das Sexuelle witzeln zu dürfen? Tja, da war sie jedenfalls wieder, die Chauvinistensau! Fellatio als die sexuelle Unterdrückung der Frau, die schlimmste aller Praktiken, die entwürdigendste Variante sexueller Stimulation. Und natürlich: seit jenem Augenblick sind unsere gemeinsamen Französischstunden unter der Gürtellinie auch passé. Jedenfalls einseitig, denn ich darf in geneigten Stunden weiterhin als Franzose durch deinen Schoß schlecken. Nie wäre ich auf die Idee gekommen, dass ich entwürdigt würde, nur weil ich dir zu Füßen liege, während du dich geil im Sessel räkelst. Deine Geilheit war immer meine - für dich war es eine Geschäftsform, in der sich zwei gesonderte und voneinander isolierte Geilheiten vertraglich abzustimmen haben. Wie gerne hätte ich einfach mal en français, s'il vous plaît hinausgeplärrt, als du anderweitig, selbstverständlich feministisch korrekt bei mir zugange warst.

Trotz allem, Schatz, es tut mir leid. Natürlich ist der Faustschlag nicht entschuldbar. Ich will mich auch nicht als Opfer gebärden, nicht jetzt, nicht im Moment da dein Auge anschwillt. Doch deine Indoktrination hat gewirkt, sie wurde am Faustschlag sichtbar. Du solltest dein blaues Auge in spe nicht so negativ bewerten, es nicht als Ausdruck patriarchalischer Gewalt verunglimpfen. Deine jahrelange Arbeit war fruchtbar, Schatz. Lassen wir den Grund des Faustschlags beiseite, ich will es nicht kommentieren, nicht jetzt. Wenn du eheliche Treue für patriarchalische Absicherung hältst, damit die legalisierte Hure auch nur noch den einen Freier in sich hineinläßt, dann gibt mir das natürlich zu denken. Und zu schlagen, wie du gemerkt hast. Lassen wir das. Laß uns über den Gewaltakt selbst sprechen. Dein Auge ist kein Produkt eines Machoschweins, ganz im Gegenteil. In dem Moment, da du mir so zugesetzt hast, war ich vollkommen tittenblind, ich habe nicht wahrgenommen, ob ich Männlein oder Weiblein schlage, es war mit unwesentlich, obwohl mir meine Erziehung - die ja patriarchalisch geprägt war, wie du mir bereits mehrfach vermittelt hast -, eindeutig mit auf den Weg gegeben hat, dass man Frauen nicht schlagen dürfe. Über diese traditionelle Einsicht habe ich mich hinweggesetzt, habe nicht darauf geachtet, ob der zu Prügelnde beschwanzt ist oder nicht, sondern in einem Akt vollkommener Gleichmacherei zugehauen.

Schatz, begreifst du eigentlich, dass erst seit heute, erst seit dem Moment, in dem ich dir ein dickes Auge geschenkt habe, deine Indoktrination Früchte trägt? Lange hast du darauf hingearbeitet, nun da du erste Früchte erntest, willst du die Scheidung? Das nenne ich irrational - nein, Schatz, natürlich keine weibliche Irrationalität! Eine universelle! Schau, hättest du mich wütend gemacht, hätte ich meine Faust geballt, sie aber gegen den Türstock geschwungen, anstatt dir ins Gesicht, du hättest mir erneut unterstellt, dass ich einem Klaus, Holger oder Frank nicht so zurückhaltend begegnet wäre. Wie sehr wärst du mir in den Ohren gelegen, dass ich dich nicht als gleichberechtigtes Individuum betrachte, sondern als minderwertigeres Wesen, als schwaches Geschlecht, als Frau eben. Jetzt habe ich endlich begriffen, was du mir da Jahr und Tag in die Gehörgänge gepresst hast. Wir Menschen sind alle gleich, sind gleich zu behandeln, keine Privilegien mehr, keine Freude mehr daran, dass das andere Geschlecht anders ist, bessere Hälfte eines Ganzen sein könnte. Wir sind keine Hälften mehr, wir sind jeder für sich Ganze - wir sind keine Schweinehälften mehr, wir sind jeder für sich ganze Schweine.

Schatz, lächel' doch, ein bißchen wenigstens. Jetzt wird mir alles schlagartig klar, ich habe begriffen, was der Feminismus in seiner extremen Form, dieser gender mainstream meint. Dieser kurze Moment der Tittenblindheit, da ich nicht mehr erkannte, wen ich da dresche, es war der Moment der Erlösung. Jetzt bin ich aus meinem patriarchalischen Winterschlaf erwacht. Siehst du, jetzt lächelst du doch. Du warst erfolgreich, Schatz, steter Tropfen höhlt den Stein. Übrigens, ich stand schon immer auf blauäugige Frauen...

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Für eine Handvoll Almosen

Donnerstag, 10. Dezember 2009

Kürzlich berichteten einige Medien vom Friendly Service, einer Firma, deren freundlicher Service darin besteht, Mitarbeiter nicht zu entlohnen, sondern sie der Spendierlaune ihrer Kunden auszusetzen. Dabei handelt es sich um eine besonders dreiste Form des Parasitismus. Die Firma vermittelt junge Menschen, bevorzugt gebildete Jungspunde an Supermärkte, staubt eine kleine Prämie ab und läßt den Vermittelten nicht daran teilhaben. Dafür dürfen die im Polo-Shirt Uniformierten die Waren vom Fließband der Supermarktkassen grabschen und fein ordentlich in Tüten verstauen. Wer besonders demütig zu Werke geht, seinen Dienst leise und kompetent verrichtetet und auch das obligatorische Lächeln nicht verbummelt hat, dem ist ein kleiner Groschen als Symbol der Anerkennung sicher - oder auch nicht. Die Willkür der Kundschaft ist gnadenlos, zumal sie nicht immer weiß, dass diese Arbeitskräfte keine Lohnempfänger des Supermarktes sind, sondern von der Straße geholte Bettelstudenten.

Als deutsche Wiege dieser freundlichen Leistung gilt die oberbayerische Stadt Ingolstadt, Heimatstadt des Autors dieser Zeilen und leider auch Heimatstadt der besagten Firma. Dem Autor fielen diese oft naiv dreinblickenden Jünglinge schon vor einigen Jahren auf, jedoch wußte er nicht, dass es sich dort um kostenlose Arbeitskräfte von Trinkgelds Gnaden handelte, denen nicht einmal ein Grund- oder Basislohn zusteht. Eine Weile munkelte man in Ingolstadt, es handelte sich um Ein-Euro-Arbeitskräfte, vermittelt von der Behörde. Doch natürlich bahnte sich die Wahrheit behäbig ihren Weg - schnell bahnt sich nur die Lüge Wege, die Wahrheit ist immer eine Schnecke. Aber erst seitdem einige einflussreichere Medien davon berichteten, seitdem die Praxis von Friendly Service nachteilig dargestellt wurde - wie auch sonst? -, entrüsteten sich immer mehr Menschen.

Und es hat gefruchtet, die örtliche Journaille berichtet in ihren Printausgaben, dass sich einige Ingolstädter Supermärkte von diesem Service trennen möchten. Sie fänden es sittenwidrig, Menschen unter solchen Konditionen (eigentlich zu gar keinen Konditionen!) arbeiten zu lassen. Man wolle das nicht mehr unterstützen und habe vor, die Zusammenarbeit aufzukündigen. Herrlich heuchlerisch! Als ob die Supermärkte jahrelang nicht gewusst hätten, mit welcher Art von Räubertum man es hier zu tun hatte. Man hat sich blind gestellt und nun, da schlechte Presse ins Haus flatterte, zumal in Zeiten, da Ingolstädter Supermärkte über ausbleibende Kunden jammern, nun reitet man die Unschuldsnummer. Wir haben doch nichts gewusst! Wie flexibel Unternehmen doch reagieren können, wenn aus einer Handvoll Kritikern öffentliche Kritik wird. Außerdem steht man kurz vor Weihnachten. Wer will denn zur Adventszeit schon unmoralisch sein?

Weniger Bedenken haben die Einpacker selbst. Sie fühlen sich um ihre Einnahmequelle betrogen. Das verwundert wenig - wenn man die Internetpräsenz des Unternehmens besucht, versichern einige der prekär Beschäftigten überschwänglich, wie sensationell es sei, bei Friendly Service versklavt zu sein. Man wird schon von Anfang an dafür Sorge tragen, dass nur solche dort tätig werden, die einen pathologischen Hang zum Masochismus haben. Ebenso entrüsten sich manche Kunden, die es bequem fanden, ihre Ware eingepackt zu bekommen. Prekäre Beschäftigung erhalten, lautet ihr Credo, damit diese Bequemlichkeit nicht verloren geht: an dieser Stelle wurde ja schon desöfteren von Egomanie gesprochen, die unsere Zeit marmoriert - tragisch, dass sich das wieder einmal unterstreichen läßt. Auf der einen Seite Neigung zum Masochismus, auf der andere Seite Bereitschaft zum Sadismus - man erkennt die ganze Verwegenheit eingeimpfter Arbeitsmarktideologien. Hauptsache Arbeit! Solche Maximen sind verinnerlicht, sosehr, dass niemand mehr daran zu rütteln scheint. Ehrenhaft ist, wer kostenlos arbeitet; ein Querulant ist, der auf Sitte und Arbeitnehmerrechte achtet...

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Sit venia verbo

"Was würde Cäsar mit seinem Armeen machen, wenn er keine Unteroffiziere hätte, die auf der ersten Sprosse der Leiter zum Generalfeldmarschall stehen? Unteroffiziere, die von oben kommen, sind nicht zu gebrauchen; sie müssen von unten kommen, gestern noch geprügelt worden sein, dann sind sie gut zu gebrauchen, die können am besten prügeln."
- B. Traven, "Das Totenschiff" -

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Auf in die Suppenküche!

Mittwoch, 9. Dezember 2009

Oh, was für ein himmlischer Gängelungs- und Entwürdigungsmechanismus da ersonnen wurde! Himmlisch für die Herolde des Sozialabbaus, die immer schon grundsätzlich der Ansicht waren, dass jeder Bezieher von staatlicher Leistung ein Bettler sei, sofern er keinen oder kaum einen Groschen selbst erwirtschaftet. Hoch lebe die Bürokratie, die dem Erwerbslosen oder dem Aufstocker das Leben erschwert, vielleicht dazu anspornt, dass die windigen Schnorrer, diese schamlosen Klinkenputzer erst gar nicht mehr an die Türen etwaiger Leistungsabteilungen klopfen.

Wenn der favorisierte Umbau der Jobcenter Wirklichkeit wird, wenn unterschiedliche Berater und unterschiedliche Antragsformulare in unterschiedlichen Büroräumen abgeklappert werden müssen, Unterkunftskosten und Regelsätze säuberlich separiert sind, dann mag mancher Leistungsberechtigte schluchzenden Herzens fernbleiben. Mancher wird es nicht ertragen können, anstatt eine, nun zwei selbstherrliche Gruselgestalten begrüßen, wie ein Bettelbruder vor ihnen sitzen zu müssen. Die Würde ging bis dato einmal flöten, wenn man, gleich einem Hausierer um eine milde Gabe bat, bürokratisch korrekt freilich, milde Gabe nach Einreichung eines ausgefüllten Antragsformulars - jetzt soll sie zweimal, vielleicht auch dreimal, immerzu flöten gehen, solange in die Mangel genommen werden, bis von Würde nichts mehr übrig ist, bis der Antragssteller von chronisch würdeloser Statur gebeutelt wird.

So macht Sozialstaat Spaß, so gestaltet er sich gewinnbringend für jene, die nicht ausreichende Grundsicherung, Versorgung, Sattheit, Teilhabe ans Sozialstaatsprinzip knüpfen, sondern es als Leine, Halsband, Fußfessel begreifen. Sozialstaat als Atomisierer der Würde, als Zertrümmerer des Selbstwertgefühls, Förderer von Minderwertigkeitskomplexen. Sicherlich trifft das auch heute schon zu, aber wenn man erstmal unentwegt beantragen, Formulare füllen, bitten und betteln muß, wenn der Langzeitarbeitslose zum Langzeitbettler abgestuft wurde, dann hat die ganze Knute des Sozialgesetzbuches mit der Nummer zwei, sein ganze, seine volle, seine wahre, seine disziplinierende Wirkung entfaltet. Während der eine Berechtigte einfach resigniert und nicht mehr an der Leistungsabteilung klopft, um sich dort von vielen Augen mustern und vor vielen Nasen rechtfertigen zu müssen, trabt der andere mit stumpfen Augen und grauen Teint hin, zieht sein Programm durch, reicht Anträge und Rechtfertigungen ein, fühlt dabei, wie er sich für sein kümmerliches Dasein am liebsten auch noch entschuldigen möchte, und kehrt heim, in die Wärme seiner Kissen, in die Hitze seiner Tränen, legt sich mit seinem Schamgefühl ins Bett.

Oh, ein solcher Sozialstaat ist goldwert! Die Suppenküchenmentalität reinigt vom Wohlfahrtsdenken! Kann ich noch ein wenig Suppe haben? Bitte! So ein degenerierter Sozialstaat drischt den Ausgestossenen Disziplin in die Knochen, er beschäftigt sie, raubt ihnen das, was sie nicht mehr haben dürfen, damit der soziale Frieden auch gewahrt bleibt: ihre Würde. Wie köstlich amüsant wird es sein, wenn der Langzeitklinkenputzer von A nach B und von B nach C geschickt wird, nur um am Ende bei A zu verkünden, man habe ihn wieder hierher verwiesen. In Beschäftigung wollen die Freunde des abgebauten Sozialstaats solche Schmarotzer bringen: nun denn, sie werden bald beschäftigt sein.

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