Wirf ihn zur Pforte hinaus...

Dienstag, 8. Dezember 2009

Ach Kurt, dieser Tage wollte ich der Pietät ein Paar Zeilen widmen, wollte mich dazu äußern, dass man dem Irrtum, über Tote nichts Schlechtes zu berichten, auf gar keinen Fall folgen sollte. Warum? Weil Du, mein hochgeschätzter Kurt, zu einem Zeitpunkt von uns gegangen bist, als auch ein Otto, ein markgräflicher Snob, die Welt erleichtert hat. Und auf diesen Otto hätte ich pietätlos gebaut, hätte mich an seiner Misanthropie, seinem adligen Kriegseifer vor '45, seinen Papieren, seiner Freude am Sozialabbau gerieben. Fändest Du das überhaupt pietätlos, Kurt? Darf man das? Darf man den Toten Schlechtes nachwerfen?

Nein, Kurt, ich wüßte Dir nichts Schlechtes nachzusagen. Wir haben eine Weile rege elektronische Briefchen gewechselt, leider nur selten direkt per Tastatur kommuniziert - gechattet, wie man so widerlich im Neudeutschen dazu sagt. Natürlich, ich kannte Dich nicht gut genug, um Dir überhaupt Schlechtes attestieren zu können - wenn ich das überhaupt wollte. Und ich kannte Dich, so glaube ich, aus Deinen Texten, Deinen Analysen, Deinen tiefgründigen Zeilen, doch wiederum blendend, so als hätte ich Dich immer irgendwie gekannt. Ach Kurt, nicht mal Deinen wahren Nachnamen kenne ich, aber dass Dein wahrer Name Mitmensch war, dass Du jemand warst, der nicht kompliziert und borniert an seinem Nächsten herumfuhrwerkte, sondern eine ganz lockere und gelassene Type, das wußte und weiß ich dann doch wiederum. Du warst mir fremd und doch gut bekannt. Ich bilde mir ein, Dich auf eine paradoxe Art gekannt und damit wieder nicht gekannt zu haben. Eine seltsame Bekanntschaft: die Bekanntschaft eines Lesenden zu demjenigen, der ihm Lesestoff auftischte.

Daher wüßte ich, selbst jetzt, selbst da Du uns zurückgelassen hast, verstorben bist, Du würdest mir wenn schon nicht beipflichten, so doch meiner Ansicht, keine falsche Pietät walten zu lassen, Berechtigung belassen. Warum dem Otto liebevolle Sätze nachschreien, wenn er im Leben wenig Liebevolles für Unseresgleichen auszuteilen hatte? Wieso all die feinen und liebenswerten Eigenschaften hervorkramen, wenn doch die Unarten das Wesen dominierten? Selbst wenn ich nun wollte - ich will aber gar nicht -, könnte ich Dir nichts Böses nachrufen. Sicher, Du wußtest ganz genau, dass wir alle dunkle Flecken aufzeigen können, manche Dummheit, manchen Frevel in unserem Leben begangen haben. Erwiesen ist es für mich nicht, fehlender Kurt, dass Du nicken würdest, wenn ich nun behaupten würde, Kurt stand zu seinem Menschsein in allen Facetten, in guten wie in schlechten Zeiten, in Zeiten da Röslein blühten, wie in Zeiten, in denen verbrannte Erde hinterlassen wurde. Nein, sicher bin ich mir da nicht. Doch gleichzeitig bin ich es paradoxerweise wiederum doch. Zu sehr habe ich aus den Zeilen, die Du uns hinterlassen hast, herauslesen dürfen, welche Art Mensch Du gewesen sein mußt. Und zu sehr denke ich an ein Gespräch, einen Chat zurück, der vor vielen Monaten stattfand und in dem Du mich hineinblicken hast lassen in diese bedingungslose Bereitschaft, sein Menschsein in allen Farben zu akzeptieren.

Ach Kurt, wir alle haben manche Schweinerei im Leben begangen. Möglicherweise habe ich noch genug Zeit, meinem Leben die eine oder andere Schweinerei zu schenken. Wer ist schon gefeit vor Dummheit? Über Otto wäre ich dieser Tage gerne hergezogen, hätte ihm seinen Stock entrissen und ordentlich über die verwelkte Birne gebogen. Bin ich zu salopp in diesem elenden Moment? Entschuldige Kurt. Wo bleibt mein Anstand, wo bleibt die Pietät? Pietät? Dem Herrn Grafen würde ich keine zukommen lassen. Aber es gibt Menschen, für die ist mir würdevolles Benehmen am Sarg selbstverständlich. Kurt, der Du weißt, dass man über jedermann lästern könnte, über Dich kommt mir und denen, die am heutigen Tage von Deiner traurigen Nachricht erfuhren, nichts Schlechtes über die Lippen. Nicht nur, weil wir Dich nicht ausreichend kannten, sondern auch, weil wir erahnen konnten, dass Du ein feiner Kerl warst - manche ahnten nicht nur, sie hatten das Privileg es auch zu wissen. Und Du, mein lieber Kurt, laß' nur uns hier im Irdischen würdevoll agieren, sei aber Du nicht zu würdevoll, entwende dem alten Lumpen den Stock und prügele ihn zur Pforte hinaus. Ich weiß, Du hättest gelacht. So selbstverständlich, wie ich nun weine.

Ach Kurt, dem Otto weinen sie nach. Ich nicht! Wir nicht! Wir weinen dem nach, der sein Projekt Nebenbei bemerkt... taufte. So, als ob er damit sagen wollte: Otto ist gestorben, und nebenbei bemerkt: ich nun auch! Für mich ist das die falsche Folge, eine fehlerhafte Aufzählung. Richtig wäre: Kurt ist verstorben, und nebenbei bemerkt: Otto kann mich mal! Deine Ironie, Deinen analytischen Verstand, Deine Bissigkeit hätte ich gerne noch vernommen in Sachen Otto. Jetzt sagst Du es ihm selbst... ach Kurt...

6 Kommentare:

Bernd Kudanek 8. Dezember 2009 um 16:06  

Lieber Roberto,

Graf Silberkrücke ist ganz bestimmt nicht durch eine "Pforte" in den Hades gelangt, sondern hat sich vom Fährmann Charon über den Styx ins Totenreich übersetzen lassen müssen. Denn bestechungserfahren wie Graf Silberkrücke hienieden war, hat er im Falle seines Dahinscheidens sicher rechtzeitig vorgesorgt und einen angemessenen Obolus (für den Fährmann) unter seine Zunge gelegt.

Also nix mit Himmelspforte, obwohl Kurt ihn wohl sicher zu gerne durch selbige hinausbefördert hätte - was ihm von Herzen zu gönnen gewesen wäre. Dem anderen übrigens auch. ;)))

In diesem Sinne
beste Grüße
Bernd

Systemfrager 9. Dezember 2009 um 08:19  

Wofür war der Graf eigentlich. Wissen wir es nicht? Doch, wir wissen es ganz genau. Er war ein Vordenker und Schreibtischtäter für den Sozialdarwinismus: für den sozialen Genozid. Für die Gesellschaft, so wie sie Orwell beschrieben hat (1984):

Die alten Kulturen, Winston, erhoben Anspruch darauf, auf Liebe oder Gerechtigkeit gegründet zu sein. Die unserige ist auf Hass gegründet. … Wir haben die Bande zwischen Kind und Eltern, zwischen Mensch und Mensch und zwischen Mann und Frau durchschnitten Niemand wagt es mehr, einer Gattin, einem Kind oder einem Freund zu trauen. Aber … in Zukunft wird es keine Gattinnen und keine Freunde mehr geben.

Fangen Sie nun an, Winston, zu sehen, was für eine Art von Welt wir im Begriff sind zu schaffen? Sie ist das genaue Gegenteil der blöden, auf Freude hinzielenden Utopien, die den alten Reformatoren vorschwebten. Sie ist eine Welt des Tretens und Getretenwerdens, eine Welt, die nicht weniger unerbittlich, sondern immer unerbittlicher werden wird, je weiter sie sich entwickelt. … Es wird kein Lachen geben, außer dem Lachen des Frohlockens über einen besiegten Feind. … Dauernd, in jedem Augenblick, wird es den aufregenden Kitzel des Sieges geben, das Gefühl, auf einem wehrlosen Feind herumzutrampeln. Wenn Sie sich ein Bild von der Zukunft ausmalen wollen, dann stellen Sie sich einen Stiefel vor, der in ein Menschenantlitz tritt – immer und immer wieder.

Diese Welt streben wir an, Winston. Eine Welt, in der Sieg auf Sieg, Triumph auf Triumph folgt: ein nicht endender Kitzel des Machtnervs. … Wie ich sehen kann, Sie fangen an zu begreifen, wie diese Welt aussehen wird. Aber am Schluss werden Sie mehr tun, als sie nur zu begreifen. Sie werden sie begrüßen, sie willkommen heißen, sich zu ihr bekennen.


Graf würde aber nie sagen, dass die Kultur des Kapitalismus auf Hass gegründet wäre, sondern auf Freiheit. Ein Etikettenschwindel. Eine Herrschaftslüge.

Ralf-zwei.null 9. Dezember 2009 um 10:11  

Ein ganz interessanter Nachruf...

http://www.freitag.de/community/blogs/stephan-stracke/ein-etwas-anderer-nachruf-auf-otto-graf-lambsdorff?modus=print)

Anonym 9. Dezember 2009 um 10:57  

Mon cher,

Dein Nachruf auf Kurt berührt mich aufs Tiefste. So schön passende Worte hätte ich als Nur-Teil-Muttersprachler (je suis originairement de langue française) nicht hin bekommen. Kurt wird auch mir fehlen. Es war mir immer auch eine Freude, sein Blog mit vielen anderen Gleichgesinnten zu genießen.

Repose en paix cher frère spirituel, notre lutte continue!

Anhänger des 04.08.1789

maguscarolus 9. Dezember 2009 um 12:05  

Im Tod geht es so ungerecht zu wie im Leben.

Anonym 9. Dezember 2009 um 18:15  

Sehr schöner Nachruf für den Autor von "Nebenbei bemerkt", dessen Blog mir auch sehr fehlen wird...

Und die Lobhudeleien für den Grafen gehen mir auch auf den Keks!

Weiter so, ad sinistram!

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