Handwerkliches Geschick

Dienstag, 15. Dezember 2009

Ein verwirrter Mann! Natürlich, wer denn sonst außer ein verwirrter Mann? Welche normale, gesunde, denkende Person würde denn ansonsten Berlusconi ins Gesicht boxen? Für das italienische Medienregime ist damit alles im Reinen, alles ausgesprochen. Obzwar es demnach tragisch ist, wenn der wichtigste Mann des Staates seine symmetrische Miene einbüßt, aber warum daran stören, wieso sich an dieser unerfreulichen Bagatelle aufhängen, wenn es doch letztlich nur das Werk eines Kranken war? Und für die Gegner des lächelnden und sanften Tycoons ist damit auch alles abgehakt, denn der demokratischen Gesinnung steht es nicht besonders gut zu Gesichte, in eingedroschene Gesichter zu blicken und zu applaudieren. Aber ein Verrückter, mit dem kann man leben, da kann man abwinken, kann sich demokratisch damit arrangieren, muß sich nicht tausendfach dafür entschuldigen, sich rausreden, dass ein Oppositioneller, ein faustdicker Widersacher des Allmächtigen, ein Unzufriedener, ein Freund demokratischen Faustrechts ausgerastet ist.

Mit einem verwirrten Mann leben alle Seiten zufrieden. So war es immer, Überzeugungstäter gab es in Regimes nie. Attentäter waren immer krankhaft, irrsinnig, geistig ruiniert. Hier schlug ich rein, ich konnt' nicht anders, haben sie nie verkündet, ließen uns Regimesprachrohre wissen, sie brabbelten wirr, ich wollte einfach prügeln, irgendwen, einfach drauflos, ich wußte nicht mal, dass der Typ berühmt ist. Attentäter! Man muß aufpassen, nicht den Jargon der öffentlichen Berichterstattung zu übernehmen, diese nichtssagende Redeweise aus trockener, durchaus wohlwollender Toleranz, der jedes Faustargument wie einen undemokratischen Akt hinstellen will. Ach, ist es auch? Ein Demokrat boxt nicht? Sicher, eine pazifistische Grundhaltung ist des Demokraten Ehre, gar keine Frage. Aber als letztes Mittel, als allerletztes Mittel, sowieso in Notwehrsituationen, ist ein gewalttätiger Befreiungsakt bekömmlich und notwendig, ja entspricht nur der menschlichen Vernunft, ist damit kein Atavismus aus Höhlentagen mehr. Es war keine Notwehr? Unmittelbar sicher nicht, aber es käme schon darauf an, mit welcher Motivation gezüchtigt wurde, ob vielleicht die Gewaltschürung des Regimes gegen Studenten, Rumänen und Sinti und Roma ausschlaggebend war. Hätte der Irrgewordene einst die Knute des Regimes gespürt, es wäre mehr als Notwehr, es wäre ein Akt individuellen Widerstands.

Aber das ist spekulativ. Verschwendete Gedanken allemal! Das Medienregime von Silvios Gnaden, wird niemals eine Analyse nachreichen. Analysiert wurde ja bereits - Befund: verwirrter Mann! Ein verwirrter Attentäter! Dabei hat das fein verspachtelte Antlitz des Selbstherrlichen kaum Schaden genommen. Zwei Zähne seien ruiniert, die Lippe aufgeplatzt, das Nasenbein angebrochen. Er sollte das mal jenen Opfern mitteilen, die mittels berlusconischer Bürgerwehren Stahlrohre auf ihren ausländischen Häuten erleben durften. Mancher Student würde sich ebenso für die Anamnese des Patienten Berlusconi interessieren, besonders dann, wenn er schon mal Bekanntschaft mit den Polizeiknüppeln des Regimes gemacht hat. Harmlose Blessuren plagen den Medienmogul! Hätte er nur einmal einen Blick auf die Verletzungen derer geworfen, die in seinem Land zu Gast waren, als die Industrienationen in Genua tagten. Er sollte sich schämen, über seine Zipperlein zu klagen, während er seit geraumer Zeit Blut verspritzen läßt, seine Landsleute ermutigt, gegen die Plagen aus dem Osten Europas mit Eigeninitiative vorzupreschen.

Ein Auge hätte er fast verloren, erzählte er heute schicksalsschwanger in seinen Haus- und Hofsendern. Es sei ein Wunder, dass er noch zweiäugig wäre! Weinen möchte man, jubeln will man. Ein Wunder! Die Vorsehung hat einmal mehr zugeschlagen, einmal mehr wurde ein großer Mann der Geschichte errettet, damit er seinen wertvollen Dienst vollenden kann. Glimpflich ist er davongekommen. Als Sonntags-Demokrat, der seine demokratischen Dogmen aus dem Gebetbüchlein zitiert, sollte man darüber froh sein; als leidenschaftlicher Mensch, als jemand der es nicht ertragen kann, wenn Mörderhauptmänner gebrochene Knochen und Platzwunden verordnen, als wehrhafter Demokrat, betrübt es jedoch nur. Wenn schon mal die Faust die Schnauze erreicht, warum war dann nicht mehr drin? Attentäter? Neinnein, unkonventionell vielleicht, aber er vollbrachte nur mit eigenen Händen, was der wichtigste Italiener beinahe täglich anordnet oder wenigstens gutheißt. Ein Handwerker, kein Schreibtischhengst. Was ihm zum Verhängnis wurde ist sein handwerkliches Geschick.

Verwirrt? Mag sein, vielleicht war er verwirrt; vielleicht war er auch nur einfach verwirrt, weil er nicht wusste, ob Nase oder Auge, Auge oder Nase? Wohin platziere ich die Statuette, die ich dem demokratisch gewählten Tyrannen ins mit Spachtelmasse überzogene Gesicht werfe? Was wir nie erfahren werden ist der Grad der Verwirrung. War es Verwirrtheit zwischen Auge und Nase oder eine generelle, die einen Anschlag auf den beliebten Vater des Stiefels nicht akzeptabel, aber doch erklärbar macht? Hätte der verwirrte Mann sich nur Medienmacht eingekauft, sich danach zur Wahl aufstellen und auch wählen lassen, vom Schreibtisch aus dürfte er heute verwirrt über seine Lande wachen. Aber dieses Handwerk ohne Wahlen zu verrichten, handwerkliche Selbstjustiz walten zu lassen, ist undemokratisch und nicht statthaft. Gewählt muß man sein, dann klappt es auch mit dem Handwerk...

19 Kommentare:

Frank Benedikt 15. Dezember 2009 um 03:15  

Auf einen öffentlichen Kommentar verzichte ich, da ... ;-)Jein, mein Freund - Deine Entrüstung ist durchaus begründet, nur ...

Eben.

Ralf-zwei.null 15. Dezember 2009 um 04:27  

Meiner Meinung nach ist der Statuetten-Werfer eher einer der wenigen Italiener, die ruhigen Gewissens als "nicht verwirrt" bezeichnet werden können.
Mein Mitgefühl mit dem Bonsai-Duce (Zitat Priol) hält sich in Grenzen...
Schon daher gefällt mir der Text außerordentlich!

Frohe Weihnachten Euch allen!

P.S.: Wann nimmt Roland Koch ein Bad in der Menge und gibt Autogramme?

Anonym 15. Dezember 2009 um 08:30  

Danke!

Silvio hatte noch Glück. Der Mailänder Dom ist für einen Dom ungewöhnlich flach. Miniaturen des Ulmer Münsters (dolchartiger Turm) oder gar des Kölner Doms (Doppelspitzen mit widerhakigen Kreuzblumen) hätten deutlich nachhaltigere Spuren hinterlassen.
Und wem die hangreifliche Verwendung christlicher Kirchen doch zu blasphemisch ist, der kann über weitere Alternativen nachdenken. Ein Kryobrandeisen aus der Thermoskanne - mit Lilie als Zeichen der Dirnen und Diebe? Der entrüsteten Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.

Ich hätte wohl einfach, deutlich und wirkungsvoll meinen Schuh geworfen.

maguscarolus 15. Dezember 2009 um 09:22  

Stautuette gegen Stahlrohr, beamtete Agression gegen individuelle Agression, medial inszenierte Entrüstung gegen persönliche Wut . . .

Oder eben ganz einfach und tatsächlich einer, der nicht mehr weiter weiß – vulgo "verwirrt".

Wer hat am Ende den Nutzen? Bei den Millionen Schwachköpfen, die den "Cavaliere" gewählt haben punktet sicher eben dieser, repräsentiert er doch "unbeschwerte Lebensfreude hart am Abgrund", Lieblingsszenario offenbar bei vielen Italienern.

HAL9002 15. Dezember 2009 um 09:26  

Heilige Mutter Moses!
Warum fällt es uns allen denn so schwer das Offensichtliche auszusprechen?

Gute Besserung, Duce!

Heinzi 15. Dezember 2009 um 09:55  

"Mit einem verwirrten Mann leben alle Seiten zufrieden. So war es immer, Überzeugungstäter gab es in Regimes nie. Attentäter waren immer krankhaft, irrsinnig, geistig ruiniert. Hier schlug ich rein, ich konnt' nicht anders, haben sie nie verkündet, ließen uns Regimesprachrohre wissen, sie brabbelten wirr, ich wollte einfach prügeln, irgendwen, einfach drauflos, ich wußte nicht mal, dass der Typ berühmt ist."

Schön gesagt.

Wie schon der Folterknecht O'Brien in 1984 treffend zu Winston Smith formulierte: "Sie sind Krank..."

Mal von der tieferen Wahrheit dieser Aussage abgesehen.

In den Augen derer, die die Gesetzmäßigkeit festlegen, sind Abweichler wohl immer Krank. Insbesondere wenn faschistisch orientierte Herrschaften auf einen Normalen Menschen treffen, der sich durch die Angst nicht unterdrücken läßt. So gesehen ist Widerstand immer krank. Wer nicht mitmacht, gar seine Hand erhebt, der muss doch einen anner Waffel haben!

Anonym 15. Dezember 2009 um 10:41  

@Roberto J. de Lapuente

Ganz deiner Ansicht.

Übrigens, nun fängt auch in Italien an, was ich schon lange für Deutschland beobachte - KritikerInnen des Systems, zumal wenn die in all ihrer Auswegslosigkeit tatsächlich ausrasten, sind "verwirrt", "irre" oder sonstwie gestört.

Der Fall mit den hessischen Finanzbeamten, die - mit einer Untersuchung durch einen hessischen Psychiater und Freund Roland Kochs - ausgemustert wurden ist da nur die Spitze des Eisberges.

Es scheint in faschistischen Staaten, und dazu zähle ich Italien dank dem Berlusconi auch, und Deutschland folgt dem bald auf den Fuß, wieder "in" zu sein KritikerInnen der unsozialen Politik eben mit der Diagnose psychisch krank auszubooten.

Der neoliberale Totalitarismus ist eben auch nicht besser als der exsowjetische und der ns-Totalitarismus.

Einziger Unterschied, wie weiter unten beschrieben, der benötigt keine KZs oder Lager - Der soziale Tod der KritikerInnen des neoliberalen Systems reicht völlig aus.

Mit Hartz IV und Agenda 2010 wurden in Deutschland perfekte Voraussetzungen dafür geschaffen, und Italien folgt dem bestimmt bald auf dem Fuße, wenn es nicht bereits geschehen sein sollte.

Gruß
Nachdenkseiten-Leser

klaus baum 15. Dezember 2009 um 11:12  

>>hier schlag ich rein, hier darf ich sein<<, reimte einst der charakterkopf goethe.

Anonym 15. Dezember 2009 um 13:34  

und unser ZDF plappert des duces meldung über einen "Verwirrten" einfach nach.

carlo 15. Dezember 2009 um 16:32  

Wenn der medial konformierten Schreibe folgend, also nur Irre bzw. Geisteskranke sich handfest mit
den Machthabern auseinandersetzen, wie soll dann denn der "rational motivierte" Widerstand des sogenannten "mündigen" Bürgers aussehen, und warum? Perplex?!

Anonym 15. Dezember 2009 um 17:03  

@carlo

Irgendwas scheint Ihnen entgangen zu sein? Oder?
Es geht nicht darum, dass sich Irre mit dem System rumschlagen, sondern, dass das System Menschen für Irre hält, die sich wehren.

Heute hätte Ludwig XVI es leicht.

Er müßte einfach die französischen Revolutionäre für verrückt erklären lassen, und in die Psychiatrie wegsperren, und das Problem wäre erledigt...

Pech für Ludwig XVI war, dass die Psychiatrie damals noch nicht den Stellenwert hatte den diese heute -nach Siegmund Freud - hat.

Jetzt klar worauf man hinaus will? Oder immer noch nicht?

Anonym 15. Dezember 2009 um 17:22  

Verwirrt? Mag sein, vielleicht war er verwirrt; vielleicht war er auch nur einfach verwirrt, weil er nicht wusste, ob Nase oder Auge, Auge oder Nase? Wohin platziere ich die Statuette, die ich dem demokratisch gewählten Tyrannen ins mit Spachtelmasse überzogene Gesicht werfe?

Wie ich diesen Humor liebe! *lach*
...Inhaltlich sowieso mal wieder direkt ins Schwarze getroffen. Danke Roberto!

carluv 15. Dezember 2009 um 17:56  

Vielleicht hatte der Verwirrte nur eine zeitweilige Geschmacksverwirrung, und zwar im Moment des Souvenireinkaufs. Dann wollte er das Ding wieder loswerden, und, naja, da ist es passiert...
Übrigens hat er sich entschuldigt.

carlo 15. Dezember 2009 um 18:58  

@Anonym
Gesetzt der Fall mir sei da etwas entgangen. Im Rahmen der grundgesetzlich vordergründig verbrieften Meinungsfreiheit darf das "System" jeden der sich wehrt für Irre erklären, oder besser gesagt, es so behaupten.
Warum das "System" dennoch mit jenen Irreerklärungen sehr zurückhaltend ist, wird leicht nachvollziebar, wenn
man sich gewiss macht, wie es dann "Siegerehrungen" kommunizieren müßte.
Kleine Hilfe: Viel Feind, viel Ehr, aber "der glorreiche Sieger im Kampf gegen die manisch Depressiven" hört sich komisch an. Oder?
Nichts desto Trotz.....denke mal über meine Frage nach dem "mündigen Bürger" nach!

flavo 15. Dezember 2009 um 19:08  

Ausdruck der Distanz unter Menschen. Der Schein bricht auf. Ferne herrscht, Schleier weg. Der Nächste ist der Ferne, das Geheimnis. Lauter Wahrheit, verklebt mit Angstprodukten der Missgunst und der Scham. Die Nächsten rücken sich näher, umziehen sich mit Schleiern. Verschleierung. Die Lust an der gemeinsamen Illusion. Die Rettung durch das fremde Geheimnis im Antlitz. Missdeutet zur Irre, zum unteren, viszeraähnlichen Geschwulstprozess. Wucherschutz im Irrepostulat.

carlo 15. Dezember 2009 um 23:26  

@flavo
Na...also...soweit ist es aber noch nicht. Habe eben den Vorschlag im wahrsten Sinne des Wortes von Leo Bassi zum Umgang mit der Bourgeoisie mir angeschaut. Leo Bassi hat recht!
Über alles mal nicht nachdenken, sondern neudenken.

Anonym 15. Dezember 2009 um 23:59  

Zunächst wollte ich mal nichts sagen. Ich hielt die Thematik nicht für so interessant. (Übrigens 2 ruinierte Zähne finde ich nicht angenehem. Als ich den ersten Erwachsenen-Karies mit 30 hatte war ich froh, daß ich wenigstens vollständig blieb. Also ein Risiko nehmen Politiker schon auf sich

- es gab schon schlimmere Attacken, die man auch denen nicht wünscht -

wenn sie auch sonst nichts Positives leisten. Aber das nur nebenbei.)

Doch dann fiel die Attacke auf Schröder ein. Es war ein arbeitsloser Lehrer meine ich. Gut der mag eine tragische Figur gewesen sein (gestört sowieso).

Aber was ich erwähnen will und was die Perfidie der bügerlichen Presse einmal mehr illustriert.

Ich meine die FAZ bezeichnete ihn damals als

Versager.

Er war ja arbeitslos. Ich weiß nicht ob es überhaupt Versager gibt und nicht eben aus unterschiedlichen Gründen nur Unglückliche.

Ansonsten keine weiteren Worte zur bürgerlichen Presse.

Anonym 16. Dezember 2009 um 18:17  

"[...]Kleine Hilfe: Viel Feind, viel Ehr, aber "der glorreiche Sieger im Kampf gegen die manisch Depressiven" hört sich komisch an. Oder?
[...]"

Die Diagnose des Psychiaters würde aber sicher ganz anders lauten als, die die du schilderst "carlo".
In Hessen wurde die bereits auf Finanzbeamte angewandt, die den Superreichen auf die Finger klopften.

Wie die hieß?

"Notorischer Querulant" - Wie wäre es damit als generelle Diagnose für KritikerInnen des neoliberalen Zeitgeistes?

Gruß
Nachdenkseiten-Leser

Michel 20. Dezember 2009 um 17:37  

Das war nicht der Angriff VON einem geistig Verwirrten, das war ein Angriff AUF einen geistig verwirrten.

Kabarettistin
(Mitternachtsspitzen im ZDF, mit Urban Priol und G.Schramm)


Einfach zu schön, musste ich bringen.

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