Der Homo neanderthalensis und die Neuzeit

Dienstag, 8. Dezember 2009

Ein Gastbeitrag von Lutz Hausstein.

In der Evolution erwarb sich der Homo sapiens gegenüber dem Homo neanderthalensis unter anderem dadurch einen entscheidenden Vorteil, weil er aufgrund seiner physischen Konstruktion sehr viel besser zur Sprache und damit zur Wiedergabe seiner Gedanken, Gefühle und Absichten geeignet war. Auch Tausende Jahre später stellen wir dies immer wieder fest, obwohl es manchmal gar nicht im Interesse des Sprechenden ist. Doch allzu oft verraten Worte, was gar nicht gesagt werden soll. Der Zuhörer muss nur genau auf das Gesprochene achten und gelegentlich Eins und Eins zusammenzählen.

MDR Info berichtete am 04. Dezember 2009 über die Bundestagsdebatte zum "Wachstumsbeschleunigungs-Gesetz", welches auch eine Erhöhung des Kindergeldes beinhaltet. Den Vorwurf der Opposition, gerade die ärmsten Familien, nämlich die der Hartz-IV-Empfänger, von dieser Zahlung auszuschließen, konterte der Stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Carl-Ludwig Thiele, dass der Schwerpunkt nicht auf diesen Familien und Kindern liege. Die Kommentatorin des MDR flankierte diese Äußerung damit, dass "belohnt werden müsse, wer sich um Arbeit bemüht." Zusammengefasst heißt dies, Hartz-IV-Empfänger(innen) bemühen sich nicht um Arbeit.

Nur zwei Meldungen später wird über den Konjunkturbericht der Deutschen Bundesbank berichtet. Dabei wird sich die deutsche Wirtschaft nach deren Voraussage im Jahr 2010 weniger rückläufig entwickeln als früher prognostiziert, dennoch aber die Arbeitslosigkeit von aktuell rund 3,3 Millionen offiziell verkündeten Arbeitslosen auf über 4 Millionen ansteigen.

Der Homo neanterthalensis würde sicherlich an dieser Stelle, sofern er all dies erfassen könnte, die Betrachtungen abschließen und diese Informationen als gegeben hinnehmen. Der Homo sapiens hingegen sollte, sofern er seiner evolutionären Stellung auch gerecht werden möchte, auch in der Lage sein, diese beiden Informationen miteinander zu verknüpfen und auf ihre Logik hin zu überprüfen.

Dabei tritt jedoch Erstaunliches zutage. Nachdem die Hunderttausenden neu hinzukommenden Arbeitslosen aus der Bundesbank-Prognose doch jahre- oder jahrzehntelang treulich ihrer staatsbürgerlichen Pflicht nachgekommen sind, Werte für die Gesellschaft zu erwirtschaften und Steuern zu zahlen, mutieren sie quasi über Nacht zu Arbeitsunfähigen, ja gar Arbeitsunwilligen, welche sich nicht einmal um Arbeit bemühen.

Homo sapiens wird nach Erkennen dieser Widersprüche zu der Einsicht kommen, dass der Wahrheitsgehalt mindestens einer dieser Meldungen Null sein muss. Umso erstaunter ist er, dass beide als Information verpackten Meldungen nebeneinander in einem Nachrichtenkanal platziert werden, ohne deren Plausibilität auch nur zu prüfen. Könnte er doch so vermuten, dass einige Exemplare des Homo neanderthalensis wider Erwarten überlebt haben und nun unter dem optischen Deckmantel des Homo sapiens ihre unreflektierten Weisheiten unter das Volk zu bringen versuchen.

6 Kommentare:

Peinhard 8. Dezember 2009 um 09:33  

Ich wusste es doch - 'sie' sind unter uns. Neu ist nur, dass man nicht von einem anderen Stern kommen muss, um heillos und komplett jedweden Verständnisses zu entsagen...

Dem ersten Meldungsbündel kann aber auch noch mal klippklar entnommen werden: nach einem Jahr Arbeitslosigkeit interessiert sich die 'Gesellschaft' keinen Sch...dreck mehr für dich und deine Familie. Wer es in dieser Inkubationszeit nicht geschafft hat, darf sich auf Siechtum einstellen, Impfungen sind hier nicht vorgesehen. 'Volksgesundheit' erweist sich als erfolgreiche Verteidigung bzw Neueroberung eines Arbeitsplatzes, die 'Sippenhaft' aus genetischer Sicht als nur folgerichtig. Hier reichen dann auch Rechnen und Lesen in einem Maße, das an Scanner-Kassen gefragt ist, richtiges Ausfüllen von Formularen hingegen belastet nur unnötig die Staatskasse. So wird der 'Volkskörper' auch in seinen niedersten Bestandteilen noch auf Effizienz getrimmt. Und Arbeit macht wieder frei...

Bernd Kudanek 8. Dezember 2009 um 10:36  

So berechtigt Lutz Hausstein brandmarkt, wie plump Meinung in den Herrschaftsmedien gemacht wird, so sehr mißfällt mir, wie und in welche Schublade er den Neandertaler steckt. Mit der gleichen aggressiven Überheblichkeit begegneten angeblich "weise" Affen fremdartigen Kulturen. Kriege, Eroberungen, Unterdrückung und Versklavung waren und sind leider noch immer die Hauptmerkmale des sogenannten "Homo sapiens", des angeblich "weisen" Affen.

Ich empfehle (nicht nur) Lutz Hausstein ruhig mal die Lektüre der Reihe "Ayla und ..." von Jean M. Auel, worin der Neandertal-Mensch eine angemessenere Bewertung erfährt. Näheres zu Jean M. Auel und Ayla über Google.

Lutz Hausstein 8. Dezember 2009 um 11:51  

Lieber Bernd,

bei aller Ernsthaftigkeit zum Thema an sich sollte man nicht das leichte Augenzwinkern bezüglich des Neandertalers übersehen, welches ich meinem Beitrag zugrunde gelegt habe. Ich bin mir der großen Fähigkeiten, trotz aller immer noch herrschenden Widersprüchlichkeiten aufgrund der unzureichenden Erforschung des Neandertalers, sehr wohl bewusst.

Dieses Gleichnis sollte eher mit seiner Drastigkeit auf diesen inhaltlich vorhandenen Blödsinn aufmerken lassen, der seit Monaten tagein tagaus auf uns alle einprasselt. Sieh es einfach als eine leicht ironiesierte Nutzung der Neandertaler-Schublade an.

Anonym 8. Dezember 2009 um 12:58  

Ich habe den Kern der Argumentation schon häufiger, in der bürgerlichen Presse unterzubringen versucht. Ich hatte vor kurzem einen Teilerfolg.

Ich würde also raten, zu versuchen das in die bürgerliche Presse zu bringen. Ich kann jedem einzelnen Wort des Beitrags nur beipflichten. Die Zusatz-Überlegung die ich anstelle ist: Mangelnde Intelligenz kann es nicht sein wenn man (meist) "implizit" die hier dargestellte Auffassung vertritt. So blöd sind auch unsere Herrschenden sicher nicht. Was ist es dann? Bewußte Diffamierung der Langzeitarbeitslosen? Ich will nochmals zu bedenken geben, das das dargestellte "Denken" eventuell insofern Ausfluß der "neoliberalen Ideologie" ist als diese Ideologie dem durchschnittlichen Bewußtsein des normalen Menschen optimal angepaßt ist. Dann aber ist es nicht unbedingt ein bewußter Prozeß der dieses "Denken" hervorbringt sondern ein unbewußter gruppendynamischer Prozeß, der implizit zu der Ansicht führt, das jemand der noch vor 1 oder 2 Jahren gearbeitet hat damit seine Arbeitsunwilligkeit unter Beweis stellt, nun freiwillig und komfortabel vom Regelsatz lebt und dem man Druck machen muß, als wenn der Druck, der durch seine Ächtung durch die Gesellschaft und die Notwendigkeit zum Überleben entsteht nicht bereits groß genug wäre. Es ist eigentlich unfaßbar.

Bernd Kudanek 8. Dezember 2009 um 13:41  

Lieber Lutz,

sorry, vielleicht war's ja auch ein verstecktes Neandertal-Gen, was sich da so impulsiv gerührt und bloß noch Schubladen gesehen hat? Na ja, und meine ohnehin viel zu wenigen kleinen grauen Zellen rechtfertigen eh nicht wirklich, der Spezies Homo sapiens zugehörig zu sein. Denn sonst hätte ich wohl die Ironie-Schublade einfach zugeschoben, statt dagegen zu rumpeln. ;)))

Anonym 8. Dezember 2009 um 17:55  

Warum muss man unbedingt zu den Neandertalern zurückgehen, um den seit Jahren heftigen Klassenkampf von oben gegen unten, d.h. gegen alle Beschäftigten und Nichtbeschäftigten(lohnabhängige Klasse) sich und anderen begreiflich zu machen?
Wäre ein kleiner Rückblick auf einen gewissen Karl Marx da nicht viel hilfreicher?

Bakunin

  © Free Blogger Templates Columnus by Ourblogtemplates.com 2008

Back to TOP