Gefühle sind unbezahlbar
Donnerstag, 30. September 2010
Der UNO-Gipfel in New York, auch Milleniums-Gipfel 2010 geheißen, erklärte nicht nur das Scheitern der eine Dekade zuvor gefaßten Ziele, betrauerte nicht nur den immer noch herrschenden Hunger: er machte ohne viel Federlesens deutlich, dass die ernüchternde Situation fortan in erster Instanz die Sache der hungernden Weltregionen selbst ist - erst in zweiter Instanz kümmerten sich die Industrieländer durch gezielte Finanzgabe auch darum. Das war der Tenor von Merkels, aber auch von Obamas Ansprache, den man hinter Floskeln wie "Mitverantwortung der betroffenen Staaten" oder "Hilfe zur Selbsthilfe" verbirgt - wobei ausgeklammert wird, dass erstens, nicht Staaten sondern hungernde Menschen betroffen sind und, zweitens, hinter der Hilfestellung zur Selbsthilfe gerne der Sparfuchs lauert.
Natürlich ist Hilfeleistung, die später dazu führt, dass die Betroffenen sich selbst helfen können, als Ziel nicht von der Hand zu weisen - es ist richtig. Jedoch nur dann, wenn kein entgegengesetzter Einfluss ausgeübt wird. Wer aber Bodenressourcen auf der einen Seite aus Hungerregionen presst, auf der anderen Seite von Selbsthilfe spricht, der ist unglaubwürdig - und genau daran leiden Gipfeltreffen der Industriestaaten ständig. Hinter Gipfeln und Organisationen verkappter Postkolonialismus eignet sich nicht für Glaubwürdigkeit. Erschreckend sind hierbei die Zusprüche aus breiten Teilen der Bevölkerung, die lobende Worte für die resignative Rhetorik der reichen Länder aussprechen. Und genau dort, beim öffentlichen Konsens, ordnen sich die Ereignisse in New York in die allgemeine Geisteshaltung ein: man wirft dem Befürworter einer nachhaltigen und großzügigeren Entwicklungshilfe vor, an gutmenschlichen Idealen angekleistert zu sein, von denen er sich in Zeiten pekuniärer Engpässe strikt lösen sollte.
Innenpolitisch ergeht es den Unterstützern des Sozialstaatsgedankens ähnlich. Endlich sei eine Zeit gekommen, kriegt man dann zu hören, in der nicht mehr zwischenmenschliche Werte oder ethische Grundsätze zählen - jetzt sei die Zeit des aktionistischen Saubermachens heraufgezogen. Jedenfalls sollte eine solche reinigende Gewitterwolke endlich am Horizont erscheinen, wenn man als Gesellschaft überleben will. Es würde endlich Zeit, mit dem Gesindel aufzuräumen, mit den schlaffen Arbeitslosen, den faulen Ausländern, den bettelnden Roma. Wielange will der Staat denn noch zusehen! Und wielange wollen Gutmenschen noch an überkommenen Wohlstandstugenden festhalten, die den Armen Geschenke zukommen lassen, während der Arbeitende und der Wohlhabende alles bezahlen müsse!
Das ist freilich die Eloquenz der Bierbänke - auf Staatsgipfels klingt es schöner. Ähnlich ist die Denkweise aber auch dort - innenpolitisch sowieso. Aber auch im Kontakt mit den ärmsten Weltregionen. Natürlich helfe man, schließlich habe man Verantwortung, nachdem die westliche Hemisphäre über Jahrhunderte hinweg Ressourcen geplündert und Völker dezimiert, damit gesellschaftliche Strukturen zerstört hat. Was bei solchen Einsichten latent mitschwingt, klingt vereinfacht ausgedrückt so: Aber das ist doch alles schon so lange her! Und: Warum sind Europäer so fleißig, während es den Negern nicht mal gelingt, eine befestigte Straße zu errichten?
Der UNO-Gipfel fügt sich blendend in einen Zeitgeist ein, der immer kälter, immer eisiger spukt. Und nicht nur das: er erkühnt sich auch immer frecher, all jene zu kritisieren und lächerlich zu machen, die tatsächlich noch an Humanität glauben, die das Zwischenmenschliche für das oberste Prinzip des Gemeinwesens erachten. Gutmenschen nennt man das heute - in einer anderen deutschen Ära hieß es, dass sich das deutsche Volk keine Humanitätsduselei erlauben könne, wolle es überleben. Als Humanitätsdussel geht man auch heute durch, wenn man mehr will als sparwütige Reförmchen, wenn man Gerechtigkeit, Ausgleich, Solidarität einfordert. Immer mehr werden diese Wünsche zu irrealen Phantasien abgestempelt. Nur wenn jeder sich selbst der Nächste ist, jeder Mensch für sich und jedes Volk für sich: nur dann gäbe es Fortschritt. Seien Sie doch nicht so humanitätsduselig - das behindert nur! Mitleid mit den Hungerleidern dieser Welt? Spenden Sie was! Aber bleiben Sie realistisch: mehr als Spende ist nicht drin!
Wo hört man heute zwischen dem ganzen Hartz IV-Reformengeschwafel noch Sätze wie: Wir müssen aufstocken, damit diese Leute leben können! oder Eine Erhöhung ist notwendig, damit diese Menschen am gesellschaftlichen Leben teilhaben können! Gut, solche Sätze fallen nicht, weil nicht erhöht wird - also konjunktiv gefragt: wo vernähme man solche Bemerkungen? Sie finden (oder fänden) nicht statt, denn sie atmen Gefühls- oder Humanitätsduselei. Der humanistische Gedanke, selbst das christlich geprägte Leitbild der Nächstenliebe - Christentum bedeutet nicht nur Bigotterie und eingeimpfter Arbeitsethos! -, sind in Anbetracht ökonomischer Gesellschaftsausrichtung chancenlos. Nächstenliebe, Solidarität: das klinge alles wundervoll! Aber sie rechnen sich nicht! Gefühle, Humanität kosten Geld - Gefühlsduselei ist daher gefährlich, Humanitätsduselei ist fast schon Terrorismus. Es wird immer häufiger als Terror bezeichnet, wenn man humane, fürsorgliche, respektvolle Umgangsformen mit den Unliebsamen erwartet, wenn man gar Hilfe einfordert - rückständig ist die humanitäre Masche, dieses Überbleibsel einer sentimentalen, viel zu rührseligen Welt.
Das Geschwätz von "Mitverantwortung hungernder Staaten" oder "Hilfe zur Selbsthilfe" zeigt in die Richtung dieser Denkart: Entwicklungshilfe auf klitzekleinem Level, dies aber nur, wenn weiter Ressourcen geplündert und das Primat des westlichen Lebensentwurfs als Überbau für die zerrissenen und ausgezehrten sozio-ökonomischen Strukturen der Dritten Welt gestülpt werden dürfen - und ein Schuldenerlass verbietet sich ohnehin. Nur nicht wehleidig, nicht gefühlsduselig werden - bloß keine Humanitätsduselei aufkommen lassen! Das ist die Programmatik der Egomanie, das ist der Stoff, aus dem Tea-Parties sind. Eine Programmatik, die im Kleinen und Inneren genauso Anwendung findet, wie im Großen und Äußeren. Nicht Erbarmen führt zur Nächstenliebe der kapitalistischen Konditionierung: der Nutzwert läßt vielleicht, mit ein wenig Glück, Erbarmen machen. Alles ohne Sentiment - denn Gefühle sind einfach zu teuer!
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Natürlich ist Hilfeleistung, die später dazu führt, dass die Betroffenen sich selbst helfen können, als Ziel nicht von der Hand zu weisen - es ist richtig. Jedoch nur dann, wenn kein entgegengesetzter Einfluss ausgeübt wird. Wer aber Bodenressourcen auf der einen Seite aus Hungerregionen presst, auf der anderen Seite von Selbsthilfe spricht, der ist unglaubwürdig - und genau daran leiden Gipfeltreffen der Industriestaaten ständig. Hinter Gipfeln und Organisationen verkappter Postkolonialismus eignet sich nicht für Glaubwürdigkeit. Erschreckend sind hierbei die Zusprüche aus breiten Teilen der Bevölkerung, die lobende Worte für die resignative Rhetorik der reichen Länder aussprechen. Und genau dort, beim öffentlichen Konsens, ordnen sich die Ereignisse in New York in die allgemeine Geisteshaltung ein: man wirft dem Befürworter einer nachhaltigen und großzügigeren Entwicklungshilfe vor, an gutmenschlichen Idealen angekleistert zu sein, von denen er sich in Zeiten pekuniärer Engpässe strikt lösen sollte.
Innenpolitisch ergeht es den Unterstützern des Sozialstaatsgedankens ähnlich. Endlich sei eine Zeit gekommen, kriegt man dann zu hören, in der nicht mehr zwischenmenschliche Werte oder ethische Grundsätze zählen - jetzt sei die Zeit des aktionistischen Saubermachens heraufgezogen. Jedenfalls sollte eine solche reinigende Gewitterwolke endlich am Horizont erscheinen, wenn man als Gesellschaft überleben will. Es würde endlich Zeit, mit dem Gesindel aufzuräumen, mit den schlaffen Arbeitslosen, den faulen Ausländern, den bettelnden Roma. Wielange will der Staat denn noch zusehen! Und wielange wollen Gutmenschen noch an überkommenen Wohlstandstugenden festhalten, die den Armen Geschenke zukommen lassen, während der Arbeitende und der Wohlhabende alles bezahlen müsse!
Das ist freilich die Eloquenz der Bierbänke - auf Staatsgipfels klingt es schöner. Ähnlich ist die Denkweise aber auch dort - innenpolitisch sowieso. Aber auch im Kontakt mit den ärmsten Weltregionen. Natürlich helfe man, schließlich habe man Verantwortung, nachdem die westliche Hemisphäre über Jahrhunderte hinweg Ressourcen geplündert und Völker dezimiert, damit gesellschaftliche Strukturen zerstört hat. Was bei solchen Einsichten latent mitschwingt, klingt vereinfacht ausgedrückt so: Aber das ist doch alles schon so lange her! Und: Warum sind Europäer so fleißig, während es den Negern nicht mal gelingt, eine befestigte Straße zu errichten?
Der UNO-Gipfel fügt sich blendend in einen Zeitgeist ein, der immer kälter, immer eisiger spukt. Und nicht nur das: er erkühnt sich auch immer frecher, all jene zu kritisieren und lächerlich zu machen, die tatsächlich noch an Humanität glauben, die das Zwischenmenschliche für das oberste Prinzip des Gemeinwesens erachten. Gutmenschen nennt man das heute - in einer anderen deutschen Ära hieß es, dass sich das deutsche Volk keine Humanitätsduselei erlauben könne, wolle es überleben. Als Humanitätsdussel geht man auch heute durch, wenn man mehr will als sparwütige Reförmchen, wenn man Gerechtigkeit, Ausgleich, Solidarität einfordert. Immer mehr werden diese Wünsche zu irrealen Phantasien abgestempelt. Nur wenn jeder sich selbst der Nächste ist, jeder Mensch für sich und jedes Volk für sich: nur dann gäbe es Fortschritt. Seien Sie doch nicht so humanitätsduselig - das behindert nur! Mitleid mit den Hungerleidern dieser Welt? Spenden Sie was! Aber bleiben Sie realistisch: mehr als Spende ist nicht drin!
Wo hört man heute zwischen dem ganzen Hartz IV-Reformengeschwafel noch Sätze wie: Wir müssen aufstocken, damit diese Leute leben können! oder Eine Erhöhung ist notwendig, damit diese Menschen am gesellschaftlichen Leben teilhaben können! Gut, solche Sätze fallen nicht, weil nicht erhöht wird - also konjunktiv gefragt: wo vernähme man solche Bemerkungen? Sie finden (oder fänden) nicht statt, denn sie atmen Gefühls- oder Humanitätsduselei. Der humanistische Gedanke, selbst das christlich geprägte Leitbild der Nächstenliebe - Christentum bedeutet nicht nur Bigotterie und eingeimpfter Arbeitsethos! -, sind in Anbetracht ökonomischer Gesellschaftsausrichtung chancenlos. Nächstenliebe, Solidarität: das klinge alles wundervoll! Aber sie rechnen sich nicht! Gefühle, Humanität kosten Geld - Gefühlsduselei ist daher gefährlich, Humanitätsduselei ist fast schon Terrorismus. Es wird immer häufiger als Terror bezeichnet, wenn man humane, fürsorgliche, respektvolle Umgangsformen mit den Unliebsamen erwartet, wenn man gar Hilfe einfordert - rückständig ist die humanitäre Masche, dieses Überbleibsel einer sentimentalen, viel zu rührseligen Welt.
Das Geschwätz von "Mitverantwortung hungernder Staaten" oder "Hilfe zur Selbsthilfe" zeigt in die Richtung dieser Denkart: Entwicklungshilfe auf klitzekleinem Level, dies aber nur, wenn weiter Ressourcen geplündert und das Primat des westlichen Lebensentwurfs als Überbau für die zerrissenen und ausgezehrten sozio-ökonomischen Strukturen der Dritten Welt gestülpt werden dürfen - und ein Schuldenerlass verbietet sich ohnehin. Nur nicht wehleidig, nicht gefühlsduselig werden - bloß keine Humanitätsduselei aufkommen lassen! Das ist die Programmatik der Egomanie, das ist der Stoff, aus dem Tea-Parties sind. Eine Programmatik, die im Kleinen und Inneren genauso Anwendung findet, wie im Großen und Äußeren. Nicht Erbarmen führt zur Nächstenliebe der kapitalistischen Konditionierung: der Nutzwert läßt vielleicht, mit ein wenig Glück, Erbarmen machen. Alles ohne Sentiment - denn Gefühle sind einfach zu teuer!