Gefühle sind unbezahlbar

Donnerstag, 30. September 2010

Der UNO-Gipfel in New York, auch Milleniums-Gipfel 2010 geheißen, erklärte nicht nur das Scheitern der eine Dekade zuvor gefaßten Ziele, betrauerte nicht nur den immer noch herrschenden Hunger: er machte ohne viel Federlesens deutlich, dass die ernüchternde Situation fortan in erster Instanz die Sache der hungernden Weltregionen selbst ist - erst in zweiter Instanz kümmerten sich die Industrieländer durch gezielte Finanzgabe auch darum. Das war der Tenor von Merkels, aber auch von Obamas Ansprache, den man hinter Floskeln wie "Mitverantwortung der betroffenen Staaten" oder "Hilfe zur Selbsthilfe" verbirgt - wobei ausgeklammert wird, dass erstens, nicht Staaten sondern hungernde Menschen betroffen sind und, zweitens, hinter der Hilfestellung zur Selbsthilfe gerne der Sparfuchs lauert.

Natürlich ist Hilfeleistung, die später dazu führt, dass die Betroffenen sich selbst helfen können, als Ziel nicht von der Hand zu weisen - es ist richtig. Jedoch nur dann, wenn kein entgegengesetzter Einfluss ausgeübt wird. Wer aber Bodenressourcen auf der einen Seite aus Hungerregionen presst, auf der anderen Seite von Selbsthilfe spricht, der ist unglaubwürdig - und genau daran leiden Gipfeltreffen der Industriestaaten ständig. Hinter Gipfeln und Organisationen verkappter Postkolonialismus eignet sich nicht für Glaubwürdigkeit. Erschreckend sind hierbei die Zusprüche aus breiten Teilen der Bevölkerung, die lobende Worte für die resignative Rhetorik der reichen Länder aussprechen. Und genau dort, beim öffentlichen Konsens, ordnen sich die Ereignisse in New York in die allgemeine Geisteshaltung ein: man wirft dem Befürworter einer nachhaltigen und großzügigeren Entwicklungshilfe vor, an gutmenschlichen Idealen angekleistert zu sein, von denen er sich in Zeiten pekuniärer Engpässe strikt lösen sollte.

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Sit venia verbo

Mittwoch, 29. September 2010

"Aber zwei Dinge lassen mich sofort wieder stutzen. Wenn Deutschland und die Deutschen so demokratisch gereift sind, wie es allenthalben und zu Recht behauptet wird, warum fürchten dann Herr Kohl und seine Koalition einen Verfassungsprozeß zur demokratischen Gestaltung der Einheit nach dem Beitritt der DDR wie der Teufel das Weihwasser? Traut man dem Volk und seiner Demokratie nicht viel Gutes zu? Wenn dem aber so ist, dann haben da offensichtlich ganz andere Leute noch ein ganz anderes und tiefer sitzendes Mißtrauen gegen die neue deutsche Demokratie. Oder vielleicht auch recht merkwürdige Interessen.
Überhaupt die Verfassung, unser allseits so lauthals gepriesenes Grundgesetz - allerdings nur so lange, wie es paßt. Unsereins kommt sich fast wie der letzte Konservative vor, wenn man sich darüber empört, daß die Einheit gleich mit zwei krachenden Manipulationen am Wahltermin und am Wahlrecht und damit an der Verfassung beginnen sollte. Da wird passend gemacht, wie es in den machtpolitischen Kram paßt. Und das schafft Vertrauen, ganz viel Vertrauen in die demokratische Substanz der Regierenden.
Und das zweite, was mein Mißtrauen trotz Strickjackendiplomatie und Bonner Großonkelkultur nicht schwinden läßt, ist die Offenbarung eines gnadenlosen Geschichtsbewußtseins, von dem man nicht weiß, ob Blödheit oder Absicht oder gar beide dahinterstecken und was im Zweifelsfalle politisch als fataler zu bewerten ist. Fast gleichzeitig mit der Unterzeichnung des Vertrages in Moskau am 12. September 1990 verkündete die Bundesregierung einen Einwanderungsstopp für sowjetische Juden, die angesichts einer Welle von Antisemitismus in der Sowjetunion diese verlassen wollen! Spätaussiedler mit "deutschem Blut" in den Adern dürfen einwandern, sowjetische Juden sind unerwünscht. Ach, Deutschland.
Jetzt kommt Ihr von drüben, tretet bei, und dabei wird kaum etwas von Euerm Beitrag übrigbleiben zu diesem Deutschland. Wozu auch, knurrt da die FAZ. Wir hier im Westen, wir leben in der denkbar besten aller Welten, so lese und höre und sehe ich es seit Wochen. Also keine Sentimentalitäten bitte, sondern abräumen!"
- Joschka Fischer, am 1. Oktober 1990 im Spiegel -

Regelsätze nach Gutdünken

Dienstag, 28. September 2010

oder: die Überlegenheit der Demokratie besteht darin, transparente Regelsatzneuberechnungen ins Leben rufen zu können, die hernach zu demselben Ergebnis führen wie vormals - mit dem Unterschied, jetzt als legitim zu gelten.

Lobenswert an der Demokratie ist, dass man gegen Unrecht und Ungerechtigkeit aufstehen, Gerichte aufsuchen kann. Man muß nicht still erdulden, man kann laut dagegen anrennen. Das macht die Demokratie zum überlegenen Gesellschaftsentwurf, zum erfolgreichen Gegenmodell zur Autokratie, Oligarchie oder Plutokratie. Nicht ohnmächtig zu sein: das ist das Verdienst demokratischer Kultur.

Theoretisch jedenfalls! Praktisch gestaltet sich der Weg beschwerlicher. Sicher, der Weg auf die Klägerbank ist offen, man kann nach Karlsruhe preschen, wenn man sehnige Nerven und gepolstertes Sitzfleisch besitzt. Und dort, es ist noch gar nicht so lange her, thronte das ansässige Bundesverfassungsgericht zur Frage der Regelsatzberechnung - die bis dahin geltende Berechnung dünkte willkürlich, hatte keine klare Linie, wäre nicht am Bedarf, sondern eher an dem bemessen gewesen, was vorher schon offiziös als Endsumme im Raume stand. Daher urteilte man am 9. Februar des laufendes Jahres, es müsse neu berechnet werden - und das so, dass man blind für Vorgaben, allerdings sehend für den jeweiligen Bedarf ist.

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Disziplin durch Abstinenz

Montag, 27. September 2010

Der zechenden und schmauchenden Unterschicht soll es an den Kragen gehen! Kein Geld mehr für Alkohol und Zigaretten auf Konten von Langzeitarbeitslosen zu überweisen, fordern nun etliche lasterlose Herrschaften aus Politik und Wirtschaft. Hartz IV soll den Grundbedarf abdecken, erklären diese, in den Alkohol und Tabak als Genussmittel nicht dazugehörten. So einfach ist dieses Erklärungsmodell allerdings nicht.

Abstinenz der kleinen Zahlen

Es handelt sich um ein Spiel mit Peanuts: 11,58 Euro sind im derzeitigen Regelsatz für Zigaretten, 7,52 Euro für Alkohol vorgesehen. Bildlicher ausgedrückt: Zwei Packungen Zigaretten und fünf bis sieben 0,5 Liter-Flaschen besseren Bieres sind monatlich eingeplant. Ein Lotterleben sieht anders, sieht wesentlich üppiger aus. Bedenkt man zudem, dass pro erworbener Zigarettenschachtel etwa 75 bis 85 Prozent des Verkaufspreises an den Fiskus erstattet werden, so überrascht der Aktionismus umso mehr. An der relativ geringen Summe, die zudem größtenteils in die Steuerkasse zurückfließt, kann es jedenfalls nicht liegen, dass plötzlich Bier und Tabak zur Diskussion stehen. Dahinter steckt mehr: die falsche Auslegung des Sozialstaatsgedankens und damit einhergehend ein symbolischer Akt, den man dem schmalen Geldbeutel der Hilfebedürftigen abringt.

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Küssen heißt spucken!

Samstag, 25. September 2010

„Küsst die Faschisten, wo ihr sie trefft!”, empfahl Tucholsky einstens. Das fiele heute schwer, denn so richtige, so richtig richtige Faschisten gibt es nur mehr wenige. Nur einige Sektierer, die fast als solche durchgingen, die mit glänzendem Glatzkopf aufwarten — doch wer will schon schweißbenetzte Kopfhaut herzen! Aber es gibt durchaus Quasi- oder Semifaschisten, Herrschaften ohne Uniformfetisch, ohne Brüllerei, ohne Heilgeplärre; Herrschaften aus der gesellschaftliche Mitte, manchmal sogar aus der Sozialdemokratie. Ja, solche gibt es — faschistoide Gestalten, noch nicht ganz im Faschismus angekommen, indes mittels Stechschritt auf gutem, das heißt treffender: auf schlechtem Wege dorthin. Schon alleine deshalb ist es unmöglich, Faschisten zu küssen. Daher: Man küsse die Faschistoiden! Aber ergibt das Sinn?

In einer Zeit, in der es um schnelle Lacher und eilfertige Zoten geht, in der die Welt im Scherz zuallererst das Lachpotenzial wahrnimmt, in der Kabarettisten Comedians geheißen werden, da ist der perfide, feinsinnige Humor auf verlorenem Posten. Der moderne Humor will lachen machen, er will nicht die Wahrheit im Narrenkostüm kundzutun. Im Humor wird heute kaum mehr die Fähigkeit der Bloßstellung erahnt – es muss gelacht werden, laut und herzhaft. Die Ernsthaftigkeit im Humor oder das Humoristische im Ernst: dergleichen hat momentan wenig Konjunktur. Versteht man da die Blamage noch, die man einem Kontrahenten zufügt, wenn man ihn mürbe küsst? Begriffe man noch, dass man in einen liebevollen Kuss auch Verachtung, Lieblosigkeit, ja Hass packen kann? Ob unsere Zeit heute noch nachvollziehen kann, welches geistreiche Ende Dostojewski für seinen Großinquisitor auserkoren hat, als dieser nämlich nach seiner Philippika, die er an den zurückgekehrten Jesus richtete, von ebenjenem auf seine welken Lippen geküsst wurde? Durchschaut man diese Form des paradoxen, arglistigen Humors überhaupt noch, bei dem es darum geht, spielend, lächelnd, spöttelnd auf einen ernsten Umstand, Missstand zu verweisen?

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Ridendo dicere verum

Freitag, 24. September 2010

"Herr Keuner sagte: "Auch ich habe einmal eine aristokratische Haltung (ihr wißt: grade, aufrecht und stolz, den Kopf zurückgeworfen) eingenommen. Ich stand nämlich in einem steigenden Wasser. Da es mir bis zum Kinn ging, nahm ich diese Haltung ein."
- Bertolt Brecht, "Eine aristokratische Haltung" -

Fragmente einer apokalyptischen Epoche

Donnerstag, 23. September 2010

Wir wissen nicht viel über die Zeit vor dem großen Weltenbrand, der das Ende der alten Zeitrechnung und unseren Beginn, den Anfang der Neuzeit darstellt. Noch weniger wissen wir über die Kreativität, die Kunst oder Literatur jener begrabenen Tage. Die archäologische Arbeit gestaltet sich schwierig - was wir jedoch als historische Wahrheit betrachten können ist, dass vor dem Weltenbrand ein exorbitanter, global verabschiedeter Bücherbrand wütete. Damit wird uns erklärbar, weshalb nurmehr wenige Bücher aus der damaligen Zeit in Erdschichten verschüttet liegen.

Einige Fragmente eines Buches wurden vor geraumer Zeit freigelegt. Es handelt sich um ein Buch, das den Namen Unzugehörig trägt. Der Autor war ein gewisser Roberto J. De Lapuente. Viel wissen wir von ihm nicht - war er arm oder reich, jung oder alt, berühmter Schreiber oder doch eher randständig und unbekannt, war dies sein richtiger oder sein Künstlername? Die Fragmente, die erstaunlich gut erhalten sind, helfen uns aber, diese alte Welt, die die Welt des Autors war, besser zu verstehen. Als Zeitzeuge jener letzten Jahrzehnte vor dem damaligen Weltende, erlaubt er der historischen Wissenschaft Einblicke in die Befindlichkeit eines Menschengeschlechts, das uns in vielen Punkten, in vielen Denk- und Verhaltensweisen, unverständlich und fremd erscheint.

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Eine linke Tour

Mittwoch, 22. September 2010

Das ausschlaggebende Problem sei dieser linke Esprit, der sich durch die Mehrzahl der Zeitungen, der Kolumnen und Feuilletons ziehe. Ein Geist, der sich zu verständnisvoll, zu zurückhaltend und blind für Realitäten präsentiere. Einer, der Reformen behindert, unbequeme Wahrheiten unterbindet und die Sachzwänge dieser Welt einfach nicht durchblicken will. Ein Geist, der aus den bedruckten Blättern entweicht und sein Bukett in der gesamten bundesrepublikanischen Welt verströme; der den Institutionen Links um! zurufe, die CDU weichspüle und sozialdemokratisiere, eine Sprache der political correctness installiere. Der linke Zeitgeist, so sind sich nicht wenige Publizisten und Meinungsmacher sicher, habe die Bundesrepublik fest im Griff.

Dieser stählerne Griff ist vielen Meinungsmachern schier unerträglich. Komisch ist nur, dass die Kritiker der linken Umklammerung gar keine Minderheit sind: so gut wie jede deutsche Tageszeitung ereifert sich in ihrer Kommentarspalte über den Zeitgeist, füttert mindestens einen von diesen Kritikern mit durch. Die sozialdemokratisierte CDU ist quasi zum Standardrepertoire ideenloser Schreiberlinge geworden; ebenfalls das Zürnen gegen einen Slang, den man mit political correct zertifiziert. Besonders kühne Gestalten trauen sich gar, dem heutigen Deutschland das Prädikat DDR zu bescheinigen - wobei die DDR allenfalls so was wie das Produkt eines gelinkten linken ursprünglichen Denkens war. Kurzum, einige couragierte Meinungsmacher, im Auftrag ihrer Herrn, fühlen sich recht unwohl in der Volksrepublik Deutschland, mit all ihren linken Parteien - es laufen treu hintendrein politische Bankrotteure, die den "Ton der linken Schickeria" nicht ausstehen können oder linkes Denken generell für einen Fehler halten. Alle wohlvereint im Kampfgetümmel gegen das linke, das zurückgelassene 68er-Denken, das nicht weichen will.

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De dicto

Dienstag, 21. September 2010

"Innerhalb von drei Monaten sollen Arbeitslose bei Fehlverhalten künftig sanktioniert werden. Das Arbeitsministerium will den komplizierten Gesetzestext vereinfachen, damit Jobcenter-Mitarbeiter bei ihrer täglichen Arbeit einfacher durchgreifen können. Gleichzeitig sollen Sanktionen so in allen Jobcentern gleich angewendet werden. Bisher liegt es oft auch im Ermessen der Arbeitsvermittler, wie hart sanktioniert wird."
- Paul Ronzheimer, BILD-Zeitung vom 20. September 2010 -
Zum Gesagten sei angemerkt: Obige Belegstelle entstammt einem Text, der unter dem Aufmacher "Hartz IV-Revolution" logiert. Was von einem Elaborat unter diesem Label zu halten ist, muß nicht gesondert konkretisiert werden. Fraglich ist aber dennoch, was die BILD-Zeitung mit der Textstelle ausdrücken will. Reichlich Fragezeichen blühen auf; drei Seltsamkeiten springen dabei besonders ins Auge:

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Wirklich nur mit Dreck geworfen?

Montag, 20. September 2010

Die Gazetten waren schnell bei ihrem Urteil angelangt: Sarkozy sei entweder infam und intrigant - oder aber er habe Merkel lediglich falsch verstanden! Die Kanzlerin habe nie zugesagt, in Deutschland lebenden Roma ein Taschengeld zu versprechen, falls sie schnell das Weite suchten. Eine Räumung etwaiger Roma-Lager werde es unter Merkel nicht geben – da hat Monsieur le Président etwas durcheinander gebracht, war wohl etwas schwerhörig - falls er nicht doch hinterfotzig ist.

Die Dementis aus Berlin könnten ja sogar stimmen. Niemand will Merkel unterstellen, sie wäre eine potenzielle Romajägerin. Und obwohl man weiß, dass die Romafreundlichkeit hierzulande wenig ausgeprägt ist, wäre ein solcher Vorwurf ohne Beweise unlauter. Selbst liberalere Gestalten als Merkel, ja selbst grüne Politiker, haben sich zu diesem Thema schon mehr als unselig geäußert – man denke nur an Cohn-Bendits literarische Verirrung, in der er Roma und Sinti als "troublemakers", "asozial" und "unsozial" definierte. Zigeuner ist immer noch ein Ausruf, den man mal spaßig, mal verächtlich solchen Personen zuruft, die man für durchtriebene Filous oder raffinierte Faulpelze hält. Es wäre also nicht so, dass die Romafeindlichkeit vom Himmel fiele. Sollte diese Regierung sich dazu entschließen, dem französischen Präsidenten zu folgen, wäre das nur sparsam überraschend.

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Deutschland im Herbst

Samstag, 18. September 2010

Der "Herbst der Entscheidung" lauert. Ein Herbst, in dem sich entschieden Blätter färben und hinabfallend die Baumkronen entkleiden - ein Herbst, in dem erneut gegen die entschieden wird, die am unteren Ende der Gesellschaft festhängen. Ein deutscher Herbst eben, mit all seiner Ignoranz gegen Unterschichten, mit seinem eisernen Sparwillen, den man dort auslebt, wo es eigentlich kaum noch etwas zu sparen gibt. Deutschland im Herbst: eine Jahreszeit der Entscheidungen; eine Jahreszeit, in der man sich einmal mehr gegen Mittellose entscheidet, ihnen eine entschieden schlechtere Gesundheitsversorgung zuteilt, ihnen entschieden an die Regelsätze geht, sie weiterhin entschieden gängelt und drückt.

Deutschland im Herbst: einst eine filmische Schau nationaler Befindlichkeiten nach dem Terror - beschrieben werden die Folgen des Radikalenerlasses, die Hysterie in der Gesellschaft, die den Konsens zuließ, weitere Kontroll- und Überwachungsmechanismen zu akzeptieren, das konformistische gesamtgesellschaftliche Abnicken ungereimter Entscheidungen - das war 1977/78. Im damaligen Herbst interessierten sich die teils namhaften Filmmacher für die Folgen des Terrorismus' - in diesem Herbst sind es höchstens kleine terroristische Nickligkeiten, die von der Regierung, auf Basis genereller Ablehnung gegen die Habenichtse seitens der sogenannte Mittelschicht, ausgeteilt werden. Doch (klassistische und rassistische) Hysterie, Radikalenhatz in Form verfassungschützender Überwachung einer linkeren Partei, Konformismus: all das existiert auch in diesem Herbst - in diesem Herbst der anstehenden Entscheidungen.

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Sit venia verbo

Freitag, 17. September 2010

"Nicht die Taten bewegen die Menschen, sondern die Worte über die Taten", sagte Aristoteles. Der griechische Philosoph Epiktet, der zur Zeit von Jesus lebte, drückte dies in negativer Form so aus: "Nicht die Dinge verwirren die Menschen, sondern die Ansichten über die Dinge".
Das fahrlässige Reden auch von offiziellen Stellen über Asylmissbrauch und Ausländerkriminalität hat vielen in der rechtsradikalen Szene als Vorwand und als Begründung gedient, um andere Leute totzuschlagen und Häuser anzuzünden, weil darin Menschen wohnten, die eine andere Hautfarbe, Muttersprache oder Herkunft hatten. Die Verrohung der Sprache in der deutschen Publizistik und Politik und im Alltag ist ausschlaggebend für die Entwicklung des Rechtsradikalismus. In der Glosse einer überregionalen Zeitung wurde vor einiger Zeit für Ausländer der Begriff "fremdartig" verwendet. Auch hier ist es wie mit dem Asylmissbrauch: Von "fremdartig" ist der Weg nicht mehr weit zu "andersartig", und dann ist man schnell bei "abartig". Was man mit solchen Leuten tut, ist aus der jüngsten deutschen Geschichte bestens bekannt."
- Heiner Geißler, Was würde Jesus heute sagen? -

Über deutsche Zustände

Donnerstag, 16. September 2010

Ein Gastbeitrag von Nadia Shehadeh.
"Man muss nüchterne, geduldige Menschen schaffen, die nicht verzweifeln angesichts der schlimmsten Schrecken und sich nicht an jeder Dummheit begeistern. Pessimismus des Verstandes, Optimismus des Willens."
- Antonio Gramsci in "Gefängnishefte", H. 28, § 11, 2232 -
Stellte man sich in letzter Zeit die Frage, ob in Deutschland gegenwärtig nun eher die leistungspolitischen oder aber die psychopolitischen Diskurse das gesunde deutsche Volksempfinden mobilisierten, so komponierten in mancher Menschen Hirn die Synapsen-Troubadoure vielleicht folgende Melodie: "Aaaah, darüber lieber nicht so viel nachdenken! Das geht vorbei, und an meinem Hintern sowieso! Und überhaupt, das sind vielleicht alles Probleme, aber meine sowieso schon mal gar nicht!" Manch anderer fragte sich vielleicht gar, wo sein Hirn sich gerade befände, so dass andere ihm zurufen wollten: "Verdammt, diese Schwabbelmasse, die meinen wir! Dieses Glibberzeug, das sich in deinem Kopf befindet, und dein Kopf, das ist diese Kugel da, die etwa einen Meter über deinem Arsch hängt!" Und die nüchternen, geduldigen Kreaturen unter uns nahmen sich vielleicht einen Moment Zeit, um trotz des Gestanks dieser hysterischen Flatulenz leicht bräunlichen Gedankengutes (und ja, an alle anderen, schreit doch: "Vielleicht hat ER da aber Recht bei der ein oder anderen These, und hat es nur etwas ungeschickt rübergebracht und sich mit den Genen einfach verheddert! Das kann doch mal passieren! ER ist doch auch nur ein Mensch!") sich mal hier und da auch noch mit anderen Dingen zu beschäftigen.

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Hitler bis auf weiteres unschuldig!

Mittwoch, 15. September 2010

Man kann Thilo Sarrazin nicht kritisieren, bevor man sein Buch gelesen hat, raunte es mehrfach aus dem Blätterwald. Alle Kritiker sollen sich zurücknehmen, stillhalten, wenigstens so lange, bis sie "Deutschland schafft sich ab" gelesen haben. Ohne Einblick kein Überblick - und somit keine Kritik. Zwar weiß man grob, worauf Sarrazins Abhandlung hinaus will, kennt einige Passagen und Aussagen: aber das alleine reiche einfach nicht aus. Es bleibe unlauter, ungelesene Bücher oder deren Quintessenz zu bemängeln.

Tatsächlich ist dieses Anbringen eines Totschlagarguments eine historische Begebenheit. Ab heute soll nichts mehr kommentiert, bewertet oder kritisiert werden, was nicht auch vorher gelesen wurde. Über Hitler kein Wort mehr - jedenfalls kein bewertendes, kein kritisierendes Wort mehr. Denn wer hat schon "seinen Kampf" gelesen? Kommentierte Ausgaben vielleicht: aber die zählen nicht, die könnten Verfälschungen bergen, könnten ideologisch kommentiert worden sein - so wie einschlägige Passagen des wackeren Sarrazins in der linken Journaille verrissen und entstellt wurden. Hitler hat ab heute nicht mehr als liederlicher Bluthund die Kommentarbereiche zu zieren - das kann erst dann geschehen, wenn sein Elaborat gründlich, ganz penibel gelesen wurde. Ohne "Mein Kampf" gelesen zu haben, hat die Presse über geschichtliche Ereignisse jener Tage moralinbereinigt zu berichten. Kritik an Hitler kann sich nur der Leser Hitlers erlauben!

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De auditu

Dienstag, 14. September 2010

Mit dem Verdachtsmoment Kindesmissbrauch ist man zuweilen schnell zur Hand. Dies hat dramatische Auswirkungen, wie schon Mitte der Neunzigerjahre Katharina Rutschky und Reinhart Wolff unter dem Label "Missbrauch mit dem Missbrauch" verschlagwortisierten - nicht ohne in den Ruch pädophiler Sympathie zu geraten. Was bei der Debatte zu kurz kam: der Kindesmissbrauch als Begriff ist so in den alltäglichen Sprachgebrauch eingeschliffen, so selbstverständlich geworden, dass die darin enthaltene Unstimmigkeit selten Beachtung findet, unmerklich verwischt: denn wenn es möglich ist, ein Kind zu missbrauchen, so muß es korrelativ dazu auch einen Gebrauch von Kinder geben.

Wie aber gebraucht man Kinder? Es dürfte mehrerlei Varianten geben, bei dem der Eindruck von Kindesgebrauch gegeben scheint: Familien aus der Unterschicht wirft die Mittelschicht und die Elite oftmals vor, Kinder nur zu bekommen, um Kindergeld und einen zusätzlichen Regelsatz abzustauben - wäre dem so, würden Kinder dazu gebraucht, ein wenig mehr Geld in der Tasche zu haben. Solche Fälle gibt es zweifellos - aber es geht auch andersherum, es gibt auch eine andere Sichtweise, die man eher denen vorwerfen könnte, die nach Unten treten: deren Kinder müssen oft glänzen, als Aushängeschild ihrer Eltern fungieren, erlernen Klavier zu spielen, gute Noten schreiben und einen Hang zur freudigen Deklination lateinischer Adjektive aufweisen - solche Kinder werden als Korrektiv elterlichen Versagens, eigener jugendlicher Erfolglosigkeit gebraucht; solche Kinder sollen den Eltern Lob und Glückwünsche sichern. Zwei subjektive, ohne Anspruch auf Rechtmäßigkeit herangezogene Gebrauchsverdächtigungen, bei denen niemand auch nur im Traum auf den Gedanken käme, es handelte sich um Missbrauch.

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Die neue Partei der Heimatlosen

Montag, 13. September 2010

Da kugelt die Maske endgültig vom Gesicht! Jetzt, ausgerechnet jetzt, da landauf landab von einer neuen konservativen Partei salbadert wird, deren geistigen Vorsitz ein Chefideologe namens Sarrazin innehaben soll, mag sich auch Erika Steinbach, Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, eine solche neue Partei vorstellen. Inspiriert haben sie diejenigen dazu, die sie für ihre Äußerungen zur Mobilmachung Polens schalten, die aus der Vertriebenenpräsidentin gerne eine vertriebene Präsidentin gemacht hätten. Unverstanden wie sie sich nun fühlt, jetzt auch noch heimatlos geworden auf dem politischen Parkett, giert sie nach einer neuen politischen Heimat, in der "Töne der linken Schickeria" nicht vernehmbar sind.

Zweierlei Gebrechen, an denen der deutsche Elitedünkel darniederliegt, werden an Erika Steinbachs Verhalten sichtbar: Erstens, glaubt sie an einen allgemeinen linken Zeitgeist und, zweitens, bezeichnet man radikale Positionen, rassistische und relativistische Ansichten heute wieder ganz schamlos als Konservatismus. Dass man immer wieder lesen muß, der linke Zeitgeist sei in Mode, das ist man mittlerweile ja gewohnt - wie Sozialabbau, kriegerische Auslandseinsätze oder das Publizieren von sozialeugenischen Hirngespinsten in eine solche linke Mode hineinpassen, wird in der Regel nicht erläutert. Und dass ausgerechnet solche, die von Parasiten und Schmarotzern kündeten, so wie einst Clement oder nun im "wissenschaftlichen" Gepräge Sarrazin, als Köpfe des Konservatismus gezeichnet werden, wirft schon ein trauriges Licht, eine dustere Funzel auf die politische und wirtschaftliche Blüte dieses Landes.

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Brandgefährlich

Samstag, 11. September 2010

Auferstanden aus dem Reich der Toten, trat er vor jene Parteizentrale, die seit geraumer Zeit seinen Namen trug. Behutsam tastete er sich Richtung Eingang, betrat das Atrium und verharrte einen Augenblick vor einer Skulptur, die einen zerknautschten, verknitterten Greis wiedergab, welcher zur seiner Überraschung seinen Namen auf dem Sockel trug. Zur Begutachtung abgestandener Kunst ward er jedoch nicht erneuert, weswegen er schnell weiterstrebte, weiter nach oben, dorthin wo die parteiliche Macht gärte, wo Entscheidungsträger ihre Hintern in weiche Ledersessel pflanzten, wo er mit solchen sprechen konnte, die nun seinen Posten, sein ehemaliges Amt innehatten. Aber just in jenem Moment, da er die Anmeldung passierte, faßte man ihn am Arm, forderte ihn auf anzuhalten, sprach ihn sofort mit seinem bürgerlichen Namen an, jenem Decknamen, den er sich in Exiljahren aneignete und unter dem er zu Amt, Würden und Auszeichnungen kam.

Halt, verweilen Sie bitteschön, hieß ihn ein junger Mann. Ihr Kommen wurde mir angekündigt, man hat mich an jenem Tage, da ich diese Stelle antrat, vor Ihrer Wiederkunft gewarnt; man warnte mich, noch bevor ich in die Funktion der Telefonanlage eingeweiht wurde, bereits beim Einstellungsgespräch kam man schon auf Sie zu sprechen. Halten Sie ihn auf, wenn es je dazu kommt, dass dieser Herr dieses Haus betritt, belehrte man mich. Halten Sie ihn davon ab, uns hier droben aufzusuchen, damit er uns aus seinem angesäuerten, verdrossenen Gesicht heraus zürnt. Ich fragte, mich etwas dumm stellend: aber das ist doch der, na, wie hieß er noch?... und sie sagten mir: ja, das ist er! Keine Fragen dazu, schnitt man mich ab. Wir ahnen, dass er zurückkommt, wir glauben, dass er keinen ruhigen Schlaf finden wird - wenn es so kommt, junger Mann, dann sind Sie unser Bollwerk. Löschen Sie den Brand, bevor er überhaupt erst anfacht.

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