Wirklich nur mit Dreck geworfen?

Montag, 20. September 2010

Die Gazetten waren schnell bei ihrem Urteil angelangt: Sarkozy sei entweder infam und intrigant - oder aber er habe Merkel lediglich falsch verstanden! Die Kanzlerin habe nie zugesagt, in Deutschland lebenden Roma ein Taschengeld zu versprechen, falls sie schnell das Weite suchten. Eine Räumung etwaiger Roma-Lager werde es unter Merkel nicht geben – da hat Monsieur le Président etwas durcheinander gebracht, war wohl etwas schwerhörig - falls er nicht doch hinterfotzig ist.

Die Dementis aus Berlin könnten ja sogar stimmen. Niemand will Merkel unterstellen, sie wäre eine potenzielle Romajägerin. Und obwohl man weiß, dass die Romafreundlichkeit hierzulande wenig ausgeprägt ist, wäre ein solcher Vorwurf ohne Beweise unlauter. Selbst liberalere Gestalten als Merkel, ja selbst grüne Politiker, haben sich zu diesem Thema schon mehr als unselig geäußert – man denke nur an Cohn-Bendits literarische Verirrung, in der er Roma und Sinti als "troublemakers", "asozial" und "unsozial" definierte. Zigeuner ist immer noch ein Ausruf, den man mal spaßig, mal verächtlich solchen Personen zuruft, die man für durchtriebene Filous oder raffinierte Faulpelze hält. Es wäre also nicht so, dass die Romafeindlichkeit vom Himmel fiele. Sollte diese Regierung sich dazu entschließen, dem französischen Präsidenten zu folgen, wäre das nur sparsam überraschend.

Und genau dieser nie abgeebbte, immer präsente Argwohn gegenüber Roma, sollte eine lapidare Aussage wie "da hat der Mann wohl etwas falsch verstanden", in Zweifel ziehen dürfen. Niemand will Merkel und ihrer Gefolgschaft etwas unterstellen: aber Zweifel ist des Journalisten Lebensgeist – zweifelt er nicht mehr, wechselt er hinüber, wird Regierungssprecher. Wäre es demnach nicht journalistisch konsequent, Sarkozy zunächst keine Schwerhörigkeit oder Begriffsstutzigkeit zu unterstellen, um für weiterführende Nachforschungen nicht allzu betäubt zu sein? Mögliche Fragen wären: Was hat Merkel dann wirklich gesagt? Worauf wollte sie hinaus? Oder, wenn man es drastischer mag: War da vielleicht was geplant, das nach der EU-Schelte nicht mehr ausführbar ist? Musste man vage ins Auge genommene (oder schon fortgeschrittene?) Pläne revidieren?

Es auf verstopfte Ohrkanäle zu schieben: das ist nicht journalistische Berichterstattung, das riecht nach Beschwichtigung. Gleichwohl es unisono als krumme Tour Sarkozys zu erklären, bei der er nur Dreck auf Merkel werfen wollte, wird dem journalistischen Auftrag nicht gerecht. Ob mehr dahintersteckt, ob es wirklich nur Dreck war, ob im Fahrwasser allgemeiner Feindlichkeit gegen andere Volksgruppen, nicht vielleicht doch etwas verborgen liegt: da müsste der Journalismus ansetzen! Monsieur le Présidents Ohren sind seine Privatangelegenheit – solcherlei denkbare Pläne seitens der Regierung, gehen uns alle an. Niemand will Merkel unterstellen, sie hätte dem Räumen eines Roma-Lagers ihren amtlichen Segen gegeben – aber Sarkozy sollte man auch nicht unterstellen, er würde nur schlecht hören, falsch verstehen oder Schuld abwälzen. Für die Berichterstattung sind beides Optionen, sind es Richtungen, in die man vorstoßen, hineinrecherchieren muß.

Die Schwerhörigkeit ist die eine Seite, die andere wäre, nun zu hinterfragen, was Merkel wirklich meinte, was sie ihm gesagt hat, was vielleicht sogar schon in Planung war oder als Tagesordnungspunkt anberaumt. Wenn journalistische Neutralität - ein unerreichbares Ideal? – überhaupt etwas bedeutet, dann in etwa soviel, immer auch die andere Seite zu prüfen, um die Geschichte dahinter zu ertasten...



9 Kommentare:

BoleB 20. September 2010 um 07:52  

"Die Kanzlerin habe nie zugesagt, in Deutschland lebenden Roma ein Taschengeld zu versprechen, falls sie schnell das Weite suchten."

Das ist ja nun auch keine neue Idee, da kam unser rot-roter Senat schon letztes Jahr drauf und hat es auch gleich mal in die Tat umgesetzt:
http://www.taz.de/1/berlin/artikel/1/senat-ueberredet-roma-mit-geld/

persiana451 20. September 2010 um 09:59  

Herr Cohn-Bendit hatte ja schon einiges an literarischen Verirrungen

Jutta Rydzewski 20. September 2010 um 10:12  

Dass Sarkozy nicht mehr alle Tassen im Schrank hat, und mit dieser "Räumungsaktion" seine tief im Keller liegenden Umfragewerte aufbessern will (überhaupt traurig, dass mit Menschenverachtung Umfragewerte gesteigert werden können), so wird er sich die "Gedanken" von Frau Merkel sicher nicht aus der Luft gegriffen haben. Ich kann mir gut vorstellen, dass Frau Merkel eine entsprechende "Anmerkung" Sarkozy gegenüber gemacht hat (auch um sich einzuschleimen), die dieser dann, in seiner hinreichend bekannten Unbeherrschtheit, ausgeplaudert hat. Dass Sarkozy "vertrauliche" Gespräche an die Öffentlichkeit bringt, damit hat Frau Kanzlerin offenbar nicht gerechnet. Wer weiß, wer weiß, ob Sarkozy in diesem Zusammenhang nicht noch mehr ausplaudert, und das Eine oder Andere nachschiebt bzw. nachschieben lässt. Diesem Tyxpen ist schließlich alles zuzutrauen, und das nicht erst seit gestern und heute.

mfg
Jutta Rydzewski

Anonym 20. September 2010 um 10:25  

Lieber Roberto J. de Lapuente,
hier ein Hinweis, um gleich eine ganze Branche mit Dreck zu bewerfen in welcher meine Eltern jahrelang ihr Brot verdient haben. In Deutschland wird auf Campingplätzen immer noch nicht gerne gesehen, wenn jemand länger als die normale Urlaubszeit bleibt. Der Grund? Es könnte ein Cinti oder Roma, oder auch nur ein Langzeitarbeitsloser bzw. Niedriglöhner oder Student sein.
Während meine Eltern weder mit Langzeitarbeitslosen, noch mit Studenten - nur gelegentlich mit Wanderarbeitern, die auf Campingplätzen ihren ständigen Wohnsitz aufschlagen wollen, bis diese eine Wohnung gefunden haben -Probleme hatten (ist ein reiner Saisonplatz gewesen) ist eine ganze Bevölkerungsgruppe auf Campingplätzen, auch im Interesse der Kur- und sonstigen Urlaubsgäste nicht gerne gesehen: Cinti und Roma. Die üblichen Vorurteile erhielten allerdings auch Nahrung als meine Eltern doch einmal welche aufnahmen - Der Grund könnte jedoch ein ganz einfacher sein, den ich in einem anderen Zusammenhang - in einem Buch über Amokläufer, und "Unterschichtskinder" - gelesen habe. Frei nach dem Motto: Wenn alle behaupten wir wären so, dann sind wir halt so. Eben der normale menschliche Trotz, den man z.B. auch bei angeblich "faulen Arbeitslosen" in Talkrunden findet. Früher übrigens war es sogar eine Vorgabe des "Deutschen Camping Clubs" Schilder mit der Aufschrift "Landfahrer unerwünscht" in die Eingänge zu Campingplätzen zu stellen. Da dies aber fatal an den Bäder-Antisemitismus erinnerte, und gegen die Antidiskriminierungspolitik der neuen Bundesregierungen verstieß hatte man die Schilder zu entfernen. Geblieben ist, dass Campingplätze in ihren Platzordnungen immer noch verschlüsselte Hinweise auf die Unerwünschtheit von Cinti und Roma stehen haben, eben wegen des Antidiskriminierungsgesetzes, und viele Plätze schon am Telefon Fragen stellen, die darauf hinauslaufen zu erforschen, ob jemand, der länger als normal auf einem Platz verweilen will, ein Cinti oder Roma sein könnte.
Alles so erlebt....
Übrigens eine Ironie daran ist, dass meine Eltern selbst, wegen dem Familiennamen bei der örtlichen Nachbarschaft als "Jenische" (schweizerdt. für Cinti und Roma) gelten, und meine Vorfahren sogar einem Gewerbe nachgegangen sein soll, dass angeblich Cinti und Roma betreiben, dem Messer- und Scherenschleifen, aber hier heißt es, wegen dem Dunkel der Geschichte, nichts genaues mehr weiß man nicht. Tja, auch egal, und traurig finde ich, dass viele die Cinti und Roma immer noch nach uralten NS-Vorurteilen behandeln - in Deutschland, und Merkel ist da sicher ebensowenig eine Ausnahme wie Oskar Lafontaine, der sich auch einmal antiziganistisch geäußert haben soll - Jahre vor der Gründung der Linkspartei, die kein Problem mit Cinti und Roma hat.
Gruß
Bernie

Jutta Rydzewski 20. September 2010 um 12:48  

Noch ein kleiner Nachtrag bzw. Nachgedanke. Herr Westerwelle hatte in diesem Zusammenhang von einem Missverständnis gesprochen. Das beinhaltet ja, es ist über das Thema, Romaabschiebung, zwischen Merkel und Sarkozy offensichtlich gesprochen worden, denn sonst hätte es ja überhaupt nicht zu einem Missverständnis kommen können. Ohne Gespräch auch kein Missverständnis. Das Missverständnis scheint aber wohl darin zu bestehen, Frau Merkel hat nicht damit gerechnet, dass Sarkozy an die Öffentlichkeit geht. Wenn man so will hat Herr Westerwelle, ob nun bewusst oder unbewusst, was bei diesem Herrn ja auch nicht immer klar ist, die Wahrheit gesagt. Denn natürlich war zwischen Merkel und Sarkozy nicht vereinbart, dass Sarkozy Merkels geheime Gedanken ausplaudert. Wenn es dann doch geschieht, nennt man so etwas "diplomatisch" eben ein Missverständnis.;-))

mfg
Jutta Rydzewski

Inglorious Basterd 20. September 2010 um 17:55  

Ein kurzer Auszug aus der Chronik der Sinti und Roma unter http://jenische.info/forums/printthread.php?tid=3:

1990
6. Januar 1990
Ca. 400 Roma besetzen den Kölner Dom.
7. Januar
Weitere 400 Roma schließen sich an und beginnen am
9. Januar
den „Bettelmarsch“ durch NRW. Insgesamt beteiligen sich 1.700 Roma an dieser Aktion, darunter viele Familien mit Kindern
1.Februar
Innenminister Schnoor sagt den Roma ein Bleiberecht zu, die sich vor dem Stichtag 12.1.90 in NRW aufgehalten haben und ihre de-facto-Staatenlosigkeit glaubhaft machen können. Der „Bettelmarsch“ wird abgebrochen.
Februar

Frühjahr 1990
Roma-Demonstration an der Aachener Grenze mit der Forderung nach einer europäischen Lösung für die de-facto staatenlosen Roma.
Sommer 1990
Die NRW-Landesregierung führt erste Gespräche mit Makedonien über eine „Rückführung“ der Roma in ihre angebliche Heimat.

November 1990
Autobahnblockade durch Roma aus der ganzen BRD bei Weil am Rhein. Nur eine kleine Delegation wird über die Grenze gelassen. Sie fordert vom Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen Schutz für ihr Volk. Die Petition hat keine konkreten Ergebnisse.
4. Dezember 1990
Die Regierung von NRW bricht die Bleiberechts-Diskussion ab und beschließt im Rahmen einer „Neuen Flüchtlingspolitik“ die „Rückführung“ der de-facto-staatenlosen Roma nach Jugoslawien. Das Reintegrationsprogramm für Roma aus Skopje, Makedonien wird kreiert.
(Jekh Chib Nr. 2, März 1994, S. 31/32)

Das war zur Zeit des SPD-regierten NRW.

Manul 20. September 2010 um 21:51  

Mit der Romafeindlichkeit ist es genauso wie mit Ausländerfeindlichkeit. Man will immer schön politisch korrekt bleiben, da es ja im gesellschaftlichen Konsens vereinbart ist, dass man nicht offen gegen Minderheiten vorgehen kann. Man schafft aber hinterrücks Gesetze und Verordnungen, die genau das Gegenteil davon bewirken und geht mit den Minderheiten, die nicht ökonomisch sinnvoll sind, letztlich wie mit Dreck um.

Zu den Roma speziell muss man allerdings sagen, dass der Umgang mit ihnen in ganz Europa schändlich ist, dafür, dass es sich um eine Volksgruppe handelt, die schon seit ca. 400 Jahren in Europa lebt. Ich kenne selbst einige Roma, ich lebe praktisch unter ihnen und bin immer wieder erstaunt welche Klischees über diese Menschen heute noch im Umlauf sind, die schon längst nicht mehr stimmen. Manche Klischees sind allerdings treffend, aber so sind die Roma halt, die sind immer etwas anderes und die sind auch sehr stolz auf ihre Kultur.

So ist hier wie woanders die Hauptmotivation schlichte Xenophobie und Unfähigkeit das Fremde zu verstehen. Es ist also gleich, ob es auf die offensive oder versteckte Art geschieht, ich bin nur noch entsetzt über diesen Umgang mit diesen Menschen und wie man über sie spricht.

landbewohner 21. September 2010 um 11:28  

taschengeld, kleine drohung und nachts über die grenze - merkel hat das totenschiff gelesen.

Anonym 21. September 2010 um 16:04  

@Manul

"[...]Es ist also gleich, ob es auf die offensive oder versteckte Art geschieht, ich bin nur noch entsetzt über diesen Umgang mit diesen Menschen und wie man über sie spricht[...]"

Dito.

Traurig finde ich, dass bestätigt wird was ich 1992 schon einmal irgendwo las - in Zeiten von Wirtschaftskrisen zeigen kapitalistische Länder ihre hässliche Seite - Dies war 1929 nicht anders als 2008.

Gilt nicht allein für Deutschland, die Fremdenfeindlichkeit, die die unterschiedlichsten Bevölkerungsgruppen treffen kann, ist ein europaweites Problem, und ein Teil des kapitalistischen Systems neoliberaler Prägung.

Ich denke einmal, dass es, so las ich es zumindest einmal, im Sozialismus keinen Antiziganismus gab - Der kam erst als der neoliberale Kapitalismus Zug für Zug Osteuropa, und die UDSSR erobert hat.

Unbestätigten Gerüchten Zufolge soll es auch in heutigen sozialistischen Staaten keine Fremdenfeindlichkeit geben.

Es ist wohl wirklich ein Teil des (neoliberalen) Kapitalismus, und des "Teile und Herrsche", dass eben nicht allein zwischen Arbeitslosen und Arbeitsplatzbesitzern bzw. Arbeit"gebern" praktiziert wird sondern auch zwischen den, um die jeweiligen Arbeitsplätze konkurrierenden Menschen.

In der Schweiz z.B. sind Deutsche derzeit äußerst unbeliebt, und werden mit offenem Rassismus an die Adresse von Deutschland empfangen. Der Grund? Ein ganz banaler. Die Schweizer fürchten um ihre Arbeitsplätze, die Deutsche ihnen wegnehmen, um ihre Immobilien, die Deutsche wegkaufen etc. usf. Konkurrenz eben.....

Man sollte sich einmal fragen:

Fördert das Konkurrenzdenken unter Menschen nicht gar den Rassismus bzw. die anderen Formen von Vorurteilen?

Ich wäre nicht überrascht wenn dem so wäre.....

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