De dicto

Dienstag, 21. September 2010

"Innerhalb von drei Monaten sollen Arbeitslose bei Fehlverhalten künftig sanktioniert werden. Das Arbeitsministerium will den komplizierten Gesetzestext vereinfachen, damit Jobcenter-Mitarbeiter bei ihrer täglichen Arbeit einfacher durchgreifen können. Gleichzeitig sollen Sanktionen so in allen Jobcentern gleich angewendet werden. Bisher liegt es oft auch im Ermessen der Arbeitsvermittler, wie hart sanktioniert wird."
- Paul Ronzheimer, BILD-Zeitung vom 20. September 2010 -
Zum Gesagten sei angemerkt: Obige Belegstelle entstammt einem Text, der unter dem Aufmacher "Hartz IV-Revolution" logiert. Was von einem Elaborat unter diesem Label zu halten ist, muß nicht gesondert konkretisiert werden. Fraglich ist aber dennoch, was die BILD-Zeitung mit der Textstelle ausdrücken will. Reichlich Fragezeichen blühen auf; drei Seltsamkeiten springen dabei besonders ins Auge:
  1. Das beginnt bereits damit, dass Fehlverhalten bereits heute nicht "innerhalb von drei Monaten" sanktioniert wird, sondern umgehend. Wer sich heute fehlverhält, wird umgehend sanktioniert und erhält bereits im Folgemonat, bei der nächsten Überweisung auf das Konto, den gekürzten Regelsatz.
  2. Der Arbeitsvermittler hat Ermessensspielraum - so weit stimmt es noch. Er kann ermessen, ob ein bestimmtes Verhalten ein Fehlverhalten war oder nicht. Kommt er zu dem Eindruck, dass sich jemand etwas zuschulden kommen ließ, so sind die Sanktionsmechanismen eindeutig. Zehn Prozent der Regelleistung werden abgeschlagen, wenn es sich um ein so genanntes Meldeversäumnis handelt - dreißig Prozent der Regelleistung sind fällig, wenn man eine Pflicht verletzt, beispielsweise eine zumutbare Arbeit ablehnt. Es ist nicht so, wie es die BILD oder namentlich Paul Ronzheimer suggerieren möchte, dass der Arbeitsvermittler willkürlich mit Prozentwerten um sich werfen darf. Dir gebe ich fünf Prozent Kürzung, Dir fünfzehn - und Du da hinten, Du hast nicht ordentlich gegrüßt: Du kriegst vierzig Prozent! - So wird das jedenfalls (noch) nicht gehandhabt...
  3. Sanktionen sollen bundesweit angeglichen werden? Aber das sind sie doch schon: das SGB II läßt da kaum Fragen offen - der oben dargelegte Ermessensspielraum der Vermittler, der womöglich mit der Angleichung gemeint sein könnte, fällt als Angleichungsfaktor jedenfalls raus. Es besteht nämlich die behördliche Verpflichtung, jeden Fall einzeln zu prüfen - eine pauschale Ermessensangleichung kann damit überhaupt nicht umgesetzt werden, zumal dieser Spielraum ohnehin nur zwischen schuldig und unschuldig aussiebt.
Kurzum: Was die BILD-Zeitung hier veranstaltet ist eindeutig. Der ganze Spuk um schärfere Sanktionen, die im Anreißer des Artikels schon angesprochen werden, besitzt überhaupt keine Grundlage. Möglich ist, dass die Arbeitslosenverwaltung teurer wird - Arbeitslose sind, das wird gerne unterschlagen, auch Menschen. Und als solche haben sie Bedürfnisse, Forderungen und Rechnungen zu bezahlen, womit diese Erhöhung öffentlicher Ausgaben zunächst nur begrüßenswert ist. Man will dem BILD-Leser, der seit Jahren darauf eingestimmt ist, dass Hartz IV-Bezieher nur etwas mehr als menschenähnliche Primaten sind, nicht zu ungestüm die schlechte Botschaft von der Teuerung vermitteln. Da braucht es dann eine frohe Botschaft, die die Mehrkosten aufwiegt - und die nennen sich "schärfere Sanktionen". Auch dann, wenn (zum Glück) überhaupt keine neue Sanktionspraxis anberaumt ist.

Ob indes diese frohe Botschaft aus dem Hause Springer stammt oder selbst vom Arbeitsministerium entworfen wurde, um eine Art quid pro quo zu suggerieren, wird noch zu prüfen sein. Auszuschließen ist es nicht, denn wie soll eine verschärfte Sanktionspraxis in einem Rechtsstaat - selbst wenn dieser peu a peu bröckelt! - aussehen? Naiv gesagt: schärfer als heute schon bestraft wird, kann es in einem rechtsstaatlichen Gesellschaftssystem (noch) nicht zugehen...



16 Kommentare:

Inglorious Basterd 21. September 2010 um 08:42  

Der Aufmacher lautet: "Hartz-IV steigt stärker als die Rente" und spielt damit Arbeitslose gegen Rentner aus. Ich habe mir das angetan und den ganzen Hetz-Artikel in BLÖD gelesen. Dabei schockiern mich immer wieder aufs Neue die "ausgewählten" Leserkommentare, mit der BILD das soziale Klima noch weiter emotional aufheizt.

Roberto beweist auch in diesem Fall, dass es einer differenzierten Argumentation bedarf, um eine einzige dumme Behauptung von "Rechts" zu widerlegen.

Diese Methode erinnert mich an die Aussage von Erika Steinbach (BdV), dass Polen den Krieg angefangen hätte. Das ist anschließend vielfach als historische Lüge entlarvt und von ihr auch korrigiert worden. Im Gedächtnis der Leser bleibt aber
die Ursprungs-Behauptung haften.

ad sinistram 21. September 2010 um 09:01  

"Hartz IV steigt stärker als die Rente" wurde danach daraus. Als der Artikel erschien, war von der Rente noch keine Rede - BILD.de neigt gerne dazu, Artikel rückwirkend abzuändern...

Knut 21. September 2010 um 10:11  

Die Diskussion der Bild-"Community" ist schon kurz vor der Einführung von Hartz-Lagern.
Als gerecht und ausgegelichen(mehr Geld aber auch mehr Sanktionen) kommt das Thema nicht bei den Bild-Lesern an. Dort liest man nur: Mehr Geld für "Hartzer", also Schmarotzer und Faulpelze.
Immer wieder ein wenig erschreckend, da reinzulesen.

Anonym 21. September 2010 um 10:13  

Wichtig ist doch bei allen diesen Meldungen, Verlautbarungen, Ankündigungen, Vermutungen, die Stimmung weiter wie bisher anzuheizen, den Menschen in ihrer Eigenschaft als Medienkonsumenten Feindbilder, aber auch Ablenkung von den wirklichen Urhebern und Nutznießern der heutigen asozialen Verhältnisse zu verschaffen.
Das gesellschaftliche Klima soll so für weitere Einschnitte, Verschärfungen günstig gestaltet werden.
Wohl mal wieder eine Neue Runde im unbarmherzigen Klassenkampf von OBEN, gegen die GESAMTE lohnabhängige Klasse!

MfG Bakunin

Die Katze aus dem Sack 21. September 2010 um 10:14  

Wer funktioniert, liebäugelnd den unterwürfigen Bückling mimt, braucht sich vor Sanktionen doch nicht unbedingt zu fürchten. Die Bestrafung ist für jene, die sich anschicken, ihre Würde einfordern zu wollen. Zumutbare und unqualifizierte Arbeitsgelegenheiten ablehnen? Wo gibt es denn sowas? Klar, dass dann die geldlichen Rationen auf Wasser und Brot reduziert werden. Ein knurrender Magen kann bewegen.

Anonym 21. September 2010 um 11:46  

Es wird ja weiter gespart.
Den Kommunen wird eine Pauschalierung der Unterkunfts- und Heizkosten erlaubt.
Die Praxis der Kommunen den Mietspiegel zu ignorieren, wird zum allgemeinen Recht erhoben.
Viele HIVer werden einen Teil der Unterkunfstkosten aus dem Regelsatz bestreiten müssen.

Kein Journalist wird darauf hinweisen.

Anonym 21. September 2010 um 12:09  

Die Katze aus dem Sack hat gesagt..."Klar, dass dann die geldlichen Rationen auf Wasser und Brot reduziert werden. Ein knurrender Magen kann bewegen."

Natürlich, ganz klar, Brot und Wasser für Arbeitslose, Millionen-Boni für die Manager der verstaatlichten HRE in München!(pro Werktag runde 10 Mio. Verlust!!! , Schäuble schweigt eisern dazu....)
Das gibt es nur in einem Land mit "großer demokratischer Reife", einem Land, wo die "Gemeinsamkeit aller Demokraten" allein schon an den Visagen sichtbar wird.

MfG Bakunin

Peinhart 21. September 2010 um 12:45  

Was mir - auch wenn es inzwischen geändert wurde - zuerst auffiel, ist dass 'Reform' jetzt offenbar nicht mehr ausreicht, wir werden künftig 'Revolutionen' zu gewärtigen haben. Das Grauen vor diesem 'Gemein-Wesen' wächst mittlerweile exponential.

Anonym 21. September 2010 um 14:47  

Der "Durchgriff" wäre besser bei Bankern, Steuerbetrügern (ugs. Der Steuersünder)etc. angebracht !!!

Stimmvieh 21. September 2010 um 14:51  

Ich denke immer wieder gern an den ersten Tag meiner Ausbildung zurück, als unser Ausbilder uns die Räumlichkeiten der Ausbildungsstätte zeigte und zum Abschluss sagte, es sei natürlich erlaubt in der Pause auch Zeitung zu lesen, aber die Bild wolle er hier nicht zu Gesicht bekommen. (Es hat auch geholfen, dass der Mann ein großartiger Ausbilder war, aber damit hatte der bei mir gleich Sympathiepunkte gewonnen).

Arbo Moosberg 21. September 2010 um 17:42  

So war es eigentlich schon bei den Vorschlägen der Hartz-Kommission. Kaum eineR wusste, dass eine Reihe der "Verschärfungen" bereits existierte ... so "Neu" war das alles nicht. Der Hype wurde aber "benötigt", um die "Reform" als etwas "Neues" zu verkaufen.

Im Übrigens wäre es auch mal interessant, darauf zu schauen, welchen Verlauf die Sanktionen der ARGE nehmen. Wenn ich richtig informiert bin, war es 2008 so, dass etwa 65 % aller Bescheide zurückgenommen bzw. abgeändert werden mussten. Tolle Leistung ... ich wäre dafür, dass die ARGEN für jeden fehlerhaften Bescheid zusätzlich (!) eine Entschädigungssumme zahlen müssen ... und vielleicht noch einen Betrag für einen Fond, der Opfer von "sozialrechtlichen" Maßnahmen unterstützt.

Arbo

Die Katze aus dem Sack 21. September 2010 um 20:00  

@ Anonym 21. September 2010 12:09

Manager, so kenne ich das, bekommen dann einen Bonus, wenn sie, gemäß ihrer Zielvereinbarung, wesentliche Merkmale erfüllt haben. Einen Malus, also keine wesentlichen Boni erhalten sie, wenn wesentliche Punkte nicht erfüllt wurden. Im Falle der HRE-Bank scheinen die unternehmerischen Werte keine tragende Rolle innerhalb der Zielvereinbarungen gespielt zu haben, was auf eine selbstbezeichnende Management-Qualität hinweist. Es kann jedoch auch sein, dass die Verluste des Unternehmens, das eigentliche Ziel des Management-Boards waren. Tatsächlich wissen das, unter Umständen, noch nichtmal die unmittelbar Beteiligten selbst. Vielleicht unerheblich!?

Und so gibt es in dieser Gesellschaftsform für die wirtschaftlichen Gewinner den Bonus und für die wirtschaftlichen Verlierer eben den Malus. Mehr noch: Die Verlierer zahlen den Gewinnern ihre Prämie - politisch, medial, wissenschaftlich und wirtschaftlich dirigiert. Eine ausgezeichnete Symbiose, wenn alle, wie vorgesehen, mitspielen.

Kalle 21. September 2010 um 21:48  

Aber hierüber schweigt die Bild, dieses Drecksblatt, und auch die Diätenfurzer.

Legale Sklaverei in Deutschland : Report Mainz von gestern

http://www.swr.de/report/-/id=233454/did=6921302/pv=video/nid=233454/1sz3y8l/index.html

Anonym 21. September 2010 um 23:27  

Ist schon interessant. Westerwelle richtet seinen politischen Kopf nach der Bildzeitung.

So wie es aussieht gibt es einen neuen Paragrafen: § 11 Darlehen sind als EInkommen zu werten , wenn sie dem Lebensunterhalt dienen.

Ein zu 100% sanktionierter muß verhungern.

Unglaublich , dass ist Genozid der Unterschicht.

http://www.hartz4-plattform.de/images/FoerderungWillkuer_u.Armut-21.09.2010.pdf

Katrin 22. September 2010 um 20:39  

Liebre Roberto,

es ist keine neue Sanktionspraxis anberaumt? Schön wäre es, aber es ist nicht richtig. Siehe hier

http://www.gegen-hartz.de/nachrichtenueberhartziv/hartz-iv-referentenentwurf-teilweise-rechtswidrig-01928.php

Und hier der Referentenentwurf:

http://www.harald-thome.de/media/files/100920-Referentenentwurf-SGB-II.pdf

Ich weiß - es ist höllisch viel zu lesen, aber dann ist man auf dem aktuellen Stand.

Frank Kopperschläger 28. September 2010 um 08:35  

Muss da leider auch mal deutlich widersprechen.
Es gibt eine ganze Reihe von Veränderungen, die de facto eine knallharte Verschärfung der Sanktionspraxis nach sich ziehen. Erwähnt seien nur die Änderungen im Bereich des §44 (Überprüfungsantrag), die veränderte Praxis im Bereich der Rechtshilfebelehrung, der geänderte Umgang mit Sanktionierungen aus Eingliederungsvereinbarngen, die Ortsanwesenheitsregelung und so weiter...
Es wird in Zukunft noch leichter, sich Sanktionen einzuhandeln und noch schwerer, dagegen vorzugehen - wer das nicht erkennt, hat sich leider nicht ausreichend tief mit der Materie beschäftigt.

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