De auditu
Dienstag, 14. September 2010
Mit dem Verdachtsmoment Kindesmissbrauch ist man zuweilen schnell zur Hand. Dies hat dramatische Auswirkungen, wie schon Mitte der Neunzigerjahre Katharina Rutschky und Reinhart Wolff unter dem Label "Missbrauch mit dem Missbrauch" verschlagwortisierten - nicht ohne in den Ruch pädophiler Sympathie zu geraten. Was bei der Debatte zu kurz kam: der Kindesmissbrauch als Begriff ist so in den alltäglichen Sprachgebrauch eingeschliffen, so selbstverständlich geworden, dass die darin enthaltene Unstimmigkeit selten Beachtung findet, unmerklich verwischt: denn wenn es möglich ist, ein Kind zu missbrauchen, so muß es korrelativ dazu auch einen Gebrauch von Kinder geben.
Wie aber gebraucht man Kinder? Es dürfte mehrerlei Varianten geben, bei dem der Eindruck von Kindesgebrauch gegeben scheint: Familien aus der Unterschicht wirft die Mittelschicht und die Elite oftmals vor, Kinder nur zu bekommen, um Kindergeld und einen zusätzlichen Regelsatz abzustauben - wäre dem so, würden Kinder dazu gebraucht, ein wenig mehr Geld in der Tasche zu haben. Solche Fälle gibt es zweifellos - aber es geht auch andersherum, es gibt auch eine andere Sichtweise, die man eher denen vorwerfen könnte, die nach Unten treten: deren Kinder müssen oft glänzen, als Aushängeschild ihrer Eltern fungieren, erlernen Klavier zu spielen, gute Noten schreiben und einen Hang zur freudigen Deklination lateinischer Adjektive aufweisen - solche Kinder werden als Korrektiv elterlichen Versagens, eigener jugendlicher Erfolglosigkeit gebraucht; solche Kinder sollen den Eltern Lob und Glückwünsche sichern. Zwei subjektive, ohne Anspruch auf Rechtmäßigkeit herangezogene Gebrauchsverdächtigungen, bei denen niemand auch nur im Traum auf den Gedanken käme, es handelte sich um Missbrauch.
Kindesgebrauch, ganz unabhängig von den oben genannten Vermutungen hierzu, könnte schlicht bedeuten, dem Kind eine Funktion zuzuordnen, ihm ein kindgerechtes Leben im Namen von Bildung, guter Zukunft oder Elternstolz zu verwehren. Man gebraucht das Kind, um besser zu leben oder als Vater oder Mutter angesehener zu sein - das Kind wird zum Objekt, wird verzwecklicht, zum Gebrauchsgegenstand. Kindesgebrauch, so könnte man nach dieser Definition behaupten, findet heute in vielen Alltagsentscheidungen statt, wo Kinder zu Lernbehältern degradiert werden, wo man sie zwecks Bändigung ihres lästigen Daseins, in Kurse oder Ganztagsschulen steckt, ihnen kindesgemäße Freiheit entzieht, sie zum Werbeträger eines heilen Familienidylls erwählt.
Wiewohl der alltäglich benutzte Missbrauchsbegriff unter bösartigen Vorzeichen verstanden wird, könnte man dem Gebrauch, den es alltäglich gesprochen gar nicht gibt, den es jedoch dialektisch gedacht geben müsste, zuschreiben, nicht böser Absicht zu sein - man meint es gegenteilig vielleicht auch nicht gut: eher vernünftig und zweckmäßig. Dass dabei die kindliche Gemütslage oftmals verkannt, dass kindliche Freiheit eingezäunt wird, rückte den Gebrauch in ein fadenscheiniges Licht. Hier entsteht die Schnittstelle, an der Gebrauch und Missbrauch verquirlen; hier wird der Gebrauch das, was er eigentlich nicht sein sollte: Missbrauch! Kinder, Menschen überhaupt, zu gebrauchen: das ist kein Pendant zum Missbrauch - es ist dasselbe, wenn auch manchmal aus einem anderen Impuls heraus. Derjenige, der Kinder missbraucht, gebraucht sie eben zur Befriedigung seiner Triebe - und derjenige, der Kinder gebraucht, missbraucht sie im Namen einer abstrakten Vernunft.
Wie aber gebraucht man Kinder? Es dürfte mehrerlei Varianten geben, bei dem der Eindruck von Kindesgebrauch gegeben scheint: Familien aus der Unterschicht wirft die Mittelschicht und die Elite oftmals vor, Kinder nur zu bekommen, um Kindergeld und einen zusätzlichen Regelsatz abzustauben - wäre dem so, würden Kinder dazu gebraucht, ein wenig mehr Geld in der Tasche zu haben. Solche Fälle gibt es zweifellos - aber es geht auch andersherum, es gibt auch eine andere Sichtweise, die man eher denen vorwerfen könnte, die nach Unten treten: deren Kinder müssen oft glänzen, als Aushängeschild ihrer Eltern fungieren, erlernen Klavier zu spielen, gute Noten schreiben und einen Hang zur freudigen Deklination lateinischer Adjektive aufweisen - solche Kinder werden als Korrektiv elterlichen Versagens, eigener jugendlicher Erfolglosigkeit gebraucht; solche Kinder sollen den Eltern Lob und Glückwünsche sichern. Zwei subjektive, ohne Anspruch auf Rechtmäßigkeit herangezogene Gebrauchsverdächtigungen, bei denen niemand auch nur im Traum auf den Gedanken käme, es handelte sich um Missbrauch.
Kindesgebrauch, ganz unabhängig von den oben genannten Vermutungen hierzu, könnte schlicht bedeuten, dem Kind eine Funktion zuzuordnen, ihm ein kindgerechtes Leben im Namen von Bildung, guter Zukunft oder Elternstolz zu verwehren. Man gebraucht das Kind, um besser zu leben oder als Vater oder Mutter angesehener zu sein - das Kind wird zum Objekt, wird verzwecklicht, zum Gebrauchsgegenstand. Kindesgebrauch, so könnte man nach dieser Definition behaupten, findet heute in vielen Alltagsentscheidungen statt, wo Kinder zu Lernbehältern degradiert werden, wo man sie zwecks Bändigung ihres lästigen Daseins, in Kurse oder Ganztagsschulen steckt, ihnen kindesgemäße Freiheit entzieht, sie zum Werbeträger eines heilen Familienidylls erwählt.
Wiewohl der alltäglich benutzte Missbrauchsbegriff unter bösartigen Vorzeichen verstanden wird, könnte man dem Gebrauch, den es alltäglich gesprochen gar nicht gibt, den es jedoch dialektisch gedacht geben müsste, zuschreiben, nicht böser Absicht zu sein - man meint es gegenteilig vielleicht auch nicht gut: eher vernünftig und zweckmäßig. Dass dabei die kindliche Gemütslage oftmals verkannt, dass kindliche Freiheit eingezäunt wird, rückte den Gebrauch in ein fadenscheiniges Licht. Hier entsteht die Schnittstelle, an der Gebrauch und Missbrauch verquirlen; hier wird der Gebrauch das, was er eigentlich nicht sein sollte: Missbrauch! Kinder, Menschen überhaupt, zu gebrauchen: das ist kein Pendant zum Missbrauch - es ist dasselbe, wenn auch manchmal aus einem anderen Impuls heraus. Derjenige, der Kinder missbraucht, gebraucht sie eben zur Befriedigung seiner Triebe - und derjenige, der Kinder gebraucht, missbraucht sie im Namen einer abstrakten Vernunft.
9 Kommentare:
Dieser Text ist etwas unvollständig und irritierend für mich. Beispiel: "Derjenige, der Kinder missbraucht, gebraucht sie eben zur Befriedigung seiner Triebe - und derjenige, der Kinder gebraucht, missbraucht sie im Namen einer abstrakten Vernunft."
Unter "Missbrauch" fällt auch der soziale Missbrauch, bei dem die Eltern stets das von ihnen definiere Wohl des Kindes -nicht die Befriedigung ihrer Triebe- im Auge haben. Ich denke dabei an die vielen Talentshows und erinnere an die "Mini-Playback-Show" von Mareike Amado die in den 90er Jahren eingestellt wurde. Hierbei wird das Kind dazu benutzt, einen (fraglichen) Ruhm durch öffentliche Aufmerksamkeit zu erlangen, der den Eltern versagt blieb. Und das findet eine Mehrheit der Gesellschaft normal. Im Bereich des Sports (Talentsichtung)
habe ich dies zu häufig selbst beobachten können.
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die semantische Betrachtung des umgangssprachlich sehr geläufigen Begriffs "Kinderschänder" oder "geschändetes Kind". Damit wird das unschuldige Opfer als mit einem Makel versehen stigmatisiert. So als ob eine Schande auf ihm laste.
Kurz und knapp auf den Punkt gebracht, Danke!!!
Im Vergleich zum conatus der Zukunftsaufblähung durch instrumentelle Vernunft ist die Kindeszeit eine um die Gegenwart gewichtete Zeiterfahrung. Das Spiel, die Handlungsform der kindlichen Existenz, experimentiert in die in die Zukunft hinein. Wo die Gegenwart der Erwachsenen wenig Befriedigung mehr bringt und ihr Leben aus den Projektionen in die Zukunft pocht und alles und jedes um das gemainstreamte Erfolgslaufbahnleben gescharrt wird im Kreisgang aus Unsicherheit und Hoffnung, da kann auch das Verständnis für das Spiel schwinden und die Kindeswelten in den instrumentellen Zukunftsconatus eingesogen werden und die geheimnisvollen Erscheinungsweisen des Kindeswesens remoduliert oder an ihnen neue Sinnmomente erzeugt werden zur Verstärkung der kollektiven Hybris in die Flucth nach vorn. Man schaufelt sich heute den Boden der Gegenwart unter den Füßen weg und wirft jeden Schaufelhieb in die Zukunft. Anstatt das zu lassen, wird man panisch und schaufelt nur noch mehr ab und Berge auf vor sich in der Zukunft. Dort gibt es alles, in der Gegenwart nichts. Oder alles was es in der Gegenwart nicht gibt, muss es in der Zukunft geben. Experimentelle Kindeswelten sterben aus, der kleine Individualitätsspielraum steht einem aufgestellten Arsenal an Operationen zur Hereinholung in den Sog und den Drang in den instrumentellen conatus. Die Kindeswelten verblassen wie weiße Wolken im heraufziehenden Gewitter.
kindesmissbrauch durch kindesgebrauch ist alltäglich, ja sogar normalität. diese tatsache zeigt eigentlich schon, wie verkommen unsere gesellschaft ist.
bin immer wieder beeindruckt, wie du durch genaue beobachtung der sprache auf mißstände hinweist.
Es passt zum krankhaften Menschbild der Gegenwart, sich an Menschen zu vergreifen, die sich noch nicht wehren können.
So werden also die Psychopathen der nächsten Generation gezüchtet. Wundert sich jemand darüber, wenn die es dann noch doller treiben, als ihre Peiniger?
Dummheit, dein Name ist Mensch.
Lieber Daniel,
da hab ich was für Dich!
http://www.prof-kurt-singer.de/
Bemerkenswert erscheint mir auch der Name der von Stephanie zu Guttenberg präsidierten einschlägigen Organisation: „Innocence in Danger e.V.“ Die Organisation wurde in Paris als „innocence en danger“ gegründet, und dict.cc übersetzt das französische „innocence“ mit „Arglosigkeit / Naivität“ – aber das deutsch-anglizistische „Innocence“ wird von dict.cc primär als „Unschuld“ bzw. „Schuldlosigkeit“ übersetzt und suggeriert damit eine Nähe zur Bedeutung als „sexuelle Unschuld“ der Kinder, die durch den „Missbrauch“ in Gefahr sei.
Sex als Verlust der Unschuld: Ein Kind, das vergewaltigt wird, wird also in diesem Sprachgebrauch auch noch schuldig gesprochen – was einiges über die allgemeine Einstellung zur Sexualität in dieser Organisation vermuten lässt.
Hallo Roberto,
klasse geschrieben. Mißbrauch wäre dem nach illegal. Illegal ist was der Gesetzgeber oder die Politik momentan für richtig hält.
Legal wäre also das Gegenteil. Der Gebrauch.
Das Thema Gebrauch von Kindern in den Eliten, den Führungsschichten und denen die sich bereits da oben wähnen: Kinder und "unser Erben" da ist wohl kein Unterschied, für diese Sorte Menschen die schäbig auf den Bonus für Sozial Schwache herabsieht. "Unsere (meine) Erben" im Sinne "mein Haus, meine Firma, meine ausgebeuteten Arbeiter, mein Image (Luxusauto), meine..... usw. Hier wird der Gebrauch deutlich sichtbar. Das Kind ist der Erbe. Sie können seine Liebe nicht erwerben. Sie können oftmals nicht einmal erkennen, dass sie diese Liebe des Kindes bereits haben.
Das Kind nur zum Zwecke das Zusammengeraffte zu erhalten.
Wie erklärt man so einem gebrauchten Kind was Liebe ist? Liebe ist wenn der Partner ein gleiche großes Grundstück erbt wie Du eines Tages? Große Liebe ist wenn das Grundstück auch noch an Dein Grundstück grenzt? "Die große Liebe" ist wenn er wesentlich mehr erbt wie Du, und Dich trotzdem "liebt"?
Ich bin absolut gegen sexuellen Gebrauch von Kindern. Das ist die Reduktion der Menschlein auf die Sexualität.
Das Menschlein reduziert auf Besitz. Dieser Gebrauch scheint mir jedoch nur legaler - nicht besser.
Mach weiter so.
Gruß aus Baden
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