Armut abgeschafft - ein Leben in Luxus droht

Mittwoch, 10. Februar 2010

Es ist zunächst einmal einerlei, ob die zukünftigen Regelsätze aufgebessert werden oder eher nicht. Einige Stunden nachdem das Bundesverfassungsgericht gesprochen hat, zählen noch nicht die Rechenkünste künftiger Mathematiker, die dann vermutlich gläserner mit Zahlen, Warenkörben und Bedarfskosten balancieren werden, alleinig um letztlich nicht weitherziger zu bemessen. Diese schwarze Arithmetik erfolgt später. In diesen Stunden, kurz nachdem das Gericht über die Regelsätze und die Verfassungsmäßigkeit derselbigen gebrütet hat, saß man auch über die Arroganz derer zu Gericht, die Hartz IV und die daraus ringsherum resultierenden Perversionen, fanatisch befürwortet haben, die lobten und im Stakkato von der Bedeutsamkeit und dem hohen Stellenwert dieser wichtigsten und größten Reform der bundesrepublikanischen Geschichte sprachen.

Die wichtigste Reform aller Zeiten! Es bezeugt die gesamte Misere, die ganze Kümmernis dieser Republik, wenn die angebliche Mutter aller Sozialreformen, dieser Wegweiser deutscher Sozialpolitik, nun in nicht unbeträchtlichen Teilen als verfassungswidrig anerkannt wurde. Was man nach einem solchen Urteil herauslesen kann, ist nicht nur die Verfassungswidrigkeit - man liest auch die Mittelmäßigkeit derer heraus, die Gesetze ohne jede soziale Verantwortung vorantreiben und erlassen. Man liest Ignoranz und Desinteresse heraus, ebenso Einfältigkeit und Dünkel. Ja, die vollständige Arroganz der Machthabenden schlägt durch. Nach geheuchelter Einsicht in den letzten Wochen und Selbstbeweihräucherung zum fünfjährigen Wiegenfest, bekommen die Parteigänger der Reform - Parteigänger aus beinahe allen politischen Lagern - von hoher Stelle anerkannt, jahrelang außerhalb der Verfassung gutgeheißen, befürwortet, gerühmt zu haben. In verfassungswidriger Überheblichkeit haben sie erklärt, dass die Reform vielleicht hie und da ein wenig überarbeitet gehört, nicht aber wesentlich falsch sei. Solche Demokraten sind wahrlich in einer traurigen Verfassung, wenn für sie Verfassungswidrigkeit nicht bindend falsch ist. Und das verfassungswidrige Einfordern, die jetzt verfassungswidrig erklärten Regelsätze pauschal um zwanzig, dreißig, vierzig Prozent zu stutzen (je höher die Forderung nach Kürzung, desto angesehener und umschwärmter der "Experte"), offenbart die gesamte Mentalität elitären Standesdünkels.

Es ist zunächst unerheblich, ob eine neue Bemessungspraxis zu höheren Regelleistungen führen oder das derzeitige Niveau beibehalten wird. Die berechnenden Gaunereien und zerrechnenden Tricksereien werden im Laufe dieses Jahres folgen, umsäumt von der öffentlichen Berichterstattung, die nichts unversucht lassen wird, um deutlich zu machen, dass die Schmarotzer dieses Landes tiefstes Unglück sind. Eine verschärftere Stimmungsmache muß befürchtet werden, die horrenden Unkosten werden aus Arbeitslosen noch mehr denn je Ballastexistenzen machen. Was so kurz nach Urteilsverkündung ins Auge sticht, diesmal richterlich unterstrichen und nicht lediglich subjektiv betrachtet, ist die eindrucksvolle Arroganz der politischen Zunft und ihrer Herren aus der Wirtschaft. Allesamt Jünger der Hartz IV-Gesetze, Jünger, die herablassend gegen das uferlose Anspruchsdenken von Minderleistern polterten, die selbstgefällig die soziale Komponente ihrer Reform betonten, hochnäsig die Nöte und Sorgen von Millionen von Menschen missachteten. Dabei kannten sie keine Parteien mehr - diese unermessliche Arroganz wurde parteiübergreifend betrieben. Merkel und von der Leyen, Westerwelle mitsamt taliberalen Kamarilla, Oppositionsführer Steinmeier und grüne Realo-Snobs - alle im selben impertinenten Boot.

Fünf Jahre Verfassungswidrigkeit. Mehr als fünf Jahre, denn schon vormals, als Hartz IV noch ein Zukunftsmodell war, rumorte es wuchtig. Damals schon liefen Wohlfahrtsverbände und andere Kritiker Sturm. Romantiker nannte man jene bereits seinerzeit, und während jener fünf Jahre der Verfassungswidrigkeit mußten Kritiker sowieso mancherlei Verspottungen ertragen. Sozialverkitschte Existenzen seien sie, die nicht wüssten, wie moderner Sozialstaat gestemmt werden muß. Natürlich hat das Gericht nicht explizit erklärt, dass die Regelsätze zu niedrig seien, die Verfassung gibt ja keine konkreten Geldwerte vor. Aber schon alleine, dass diese Selbstgefälligkeit einen Dämpfer erhielt, dass die Selbstverständlichkeit einer fast willkürlich gesetzten Leistungshöhe eben nicht mehr selbstverständlich ist, ist schon ein Sieg. Wenngleich ein temporärer Sieg, im Gedenken an Pyrrhus. Denn dass höhere Sätze errechnet werden, ist in Anbetracht der kriminellen Energien dieser Eliten und ihrer politischen Marionetten, nicht zu erwarten. Man rettet ja keine Banken oder solche, die viel Geld auf Banken tragen könnten. Es geht bloß um Grundsicherung, um das Brot kleiner Leute. Und eine höhere Grundsicherung muß zwangsläufig auch den Arbeitsmarkt erreichen, könnte den Niedriglohnsektor in Bedrängnis bringen, einen ungeliebten Mindestlohn beschwören, um der dann größer ausfallenden, ausufernden Aufstockerei, diesem privaten Produzieren und Dienstleisten auf Staatskosten, doch noch Herr zu werden. Man wird Bemessungsgrundlagen schaffen, die nicht spielend zu kippen sind - wesentliche finanzielle Erleichterung werden Hilfebedürftige aber wohl kaum erfahren.

Schwarzmalerei? Möglicherweise! Aber anhand der heute abgeurteilten Arroganz der oberen Zehntausend, sicherlich kein Pessimismus, der an den Haaren herbeigezogen wäre, sondern empirisches Weiterspinnen dessen, was man seit Jahren in diesem Land ertragen und erleben muß. Man wird Transparenz fordern und ins Leben rufen, keine besseren Lebensumstände - letzteres wäre fast ein Reuebekenntnis. Der Hochmut läßt solcherlei Bekenntnisse aber nicht zu. Und hernach stehen sie blütenweiß da, weil sie eine verfassungsrechtlich abgesegnete Armenverwaltung auf seichtesten Niveau installiert haben. Dann hilft auch kein Jammern mehr, denn dann deutet man nach Karlsruhe und erklärt, man habe alle Auflagen erfüllt, die Armut sei nun abgeschafft und die Regelsätze, die nur unwesentlich modifiziert wurden, seien ab jetzt mit der Menschenwürde vereinbar. Dann mag es weiterhin an allem mangeln - nur an der Würde nicht. Und wer Würde besitzt, der ist wahrlich reich. Würdevolle Armut ist ein unvorstellbarer Luxus! Und genau dieser Luxus droht - nicht höhere Regelsätze.

31 Kommentare:

Anonym 10. Februar 2010 um 02:27  

Hallo Roberto, deinem Pessimismus, dass sich aus diesem wichtigen BVG-Urteil KEINE wirklich spürbaren Verbesserungen für die Arbeitslosen samt deren Anhang ergeben dürften kann ich mich mit guten Gründen nur anschließen.
Denn Hartz 4 ist ein Erfolg, ein Riesenerfolg FÜR das Kapital, für alle Arbeitgeber, ob private oder die des öffentlichen Dienstes!
Hatten wir seit 1945 jemals HÜNDISCHERE "Gewerkschaften" und HÜNDISCHERE Arbeitnehmer?
Gab es jemals zuvor so einen riesigen Anteil an Billiglöhnern, befristet Beschäftigten, Leiharbeitern und Praktikanten wie seit der Einführung von Hartz 4?
Gab es jemals zuvor trotz oder wegen einer Massenarbeitslosigkeit einen so niedrigen Krankenstand wie heute?(mit noch weiter sinkender Tendenz)
Und diesen Riesenerfolg sollten sich Deutschlands Arbeitgeber allein wegen eines solchen Urteils wieder "vom Brot" nehmen lassen?
Eher säuft der Teufel mit Wollust Weihwasser!
Und unsere gleichgeschaltete "Vierte Gewalt", die Medien?
Kleine Kostprobe: Gestern Mittag, Dienstag, den 09.02, Informationen am Mittag des DLF, gleich nach den Nachrichten gegen 12:15 Uhr: ERSTE geäußerte "Sorge": zukünftige "gewaltige Belastungen" könnten auf den "Steuerzahler" zukommen..., sofortige ZWEITE "Sorge": Würde eine Erhöhung der Regelsätze für Kinder und Jugendliche nicht bereits alle "Anreize" für Hartz 4-Bezieher "zunichte machen", eine "Beschäftigung aufzunehmen?...., darauf gleich die DRITTE "Sorge": Würden erhöhte Regelsätze für Kinder überhaupt(!) den Kindern "zugute kommen?.....
Weitere geäußerte "Sorgen" in dieser Sendung?
Kann ich nicht sagen, ich wechselte nach diesen "Sorgen" unerzüglich nur noch ANGEWIDERT den Sender um blos noch Musik zu hören....

mfg Bakunin

endless.good.news 10. Februar 2010 um 06:41  

Vor allem hört man jetzt tagein, tagaus was es kosten wird, wenn die Regelleistungen angehoben werden. Wie teuer das System jetzt auch schon ist wird natürlich nicht unerwähnt gelassen. Wie viele Subventionen über Kombilöhne, Bankenunterstürtzung, nichtgezahlte Steuern, etc. bezahlt werden wird dabei natürlich verschwiegen. Ich habe mich imme rgefragt wie die Menschen im Dritten Reich so blind sein konnten, aber es passiert schon wieder.

Bernd Kudanek 10. Februar 2010 um 07:37  

"Würdevolle Armut ist ein unvorstellbarer Luxus! Und genau dieser Luxus droht - nicht höhere Regelsätze."

Lieber Roberto, genau so werden die kriminellen Sprachumlüger uns die künftig gerichtsfeste Reform der Reform verkaufen wollen, um immer schlimmere Sanktionen für Almosenempfang verhängen zu können. Almosen erhält künftig noch mehr nur, wer im Sinne der Herrschenden dieser würdig, also entsprechend demütig ist. So wird, mehr noch als bisher, Würde zu Würdigsein umgelogen werden!

kalle 10. Februar 2010 um 08:48  

Roberto,
ich muß Dir leider, leider Recht geben. Man wird das Todesurteil besser begründen. Das Urteil bleibt.
Herr de Maizière hat schon erklärt, was er von der verfassung hält. Nix!
Man müsse weg von der betrachtung des Individums: Plebs bleibt Plebs.
..und bitte, die Geschäftswagenregelung muß auch noch finanziert werden.
Kann man doch alle Menschen für alle Zeit für blöd verkaufen?

Tim 10. Februar 2010 um 09:00  

Ich teile euren Pessimismus voll und ganz. :-)

Bernd Kudanek 10. Februar 2010 um 10:33  

"Denn dass höhere Sätze errechnet werden, ist in Anbetracht der kriminellen Energien dieser Eliten und ihrer politischen Marionetten, nicht zu erwarten."

... die großdeutsche Bundesmutter mit dem verhartzten Herzen für Kinder kann sich auch schon vorstellen, daß sie z. B. anstelle von Geld für Schulranzen - was laut Sarrazin & Buschkowsky (beide SPD) die Eltern eh nur versaufen würden - den Kindern gleich die Schulranzen "spendieren" könne

... also Wasser auf die Mühlen derer, die ohnehin Sachleistungen und/oder Gutscheine statt Bargeld fordern

... das Zensursula-Kinderporno-Gesetz entpuppt sich dieser Tage auch offiziell als Flop mit fachlichem wie intellektuellem Tiefststand, als nunmehrige Arbeitsmutti bleibt von der Ley(d)en auf gleichem Niveau

ninjaturkey 10. Februar 2010 um 10:34  

Nein, es wird sich nichts verbessern! Das unfassbare weil dankbare Gewäsch von Frau von der Laien nach dem Urteil, die relativierenden Sprüche anderer Offizieller und die verhaltenen Kommentare des Mainstreams lassen schlimmes ahnen. Bis zum Ende des Jahres (ein weiteres verlorenes Lebensjahr für alle Betroffenen) wird man sich an verantwortlicher Stelle auf eine neue Zahlenmystik geeinigt haben, wer will, kann ja wieder dagegen klagen. Besser wird sich nichts, schon weil man sich ja straflos selbst um Urteile des BVG herumwinden kann. Und aus dieser Erkenntnis kann dann noch mehr Stimmung gegen die HartZ IV-Bezieher, gegen Zeitarbeiter, gegen jeden kostenträchtigen Posten Humankapital gemacht werden.
Morgen kommt wieder Maybrit Illner im ZDF. Mal sehen, mit welchen alten Geschützen nun vermehrt auf die rauchenden Reste des Sozialstaates geschossen werden.

Anonym 10. Februar 2010 um 11:03  

Ich hoffe für alle Hartz IV Bezieher, das sich Euer Pessimismus nicht bewahrheiten wird.

Ich hatte noch das Glück, dass ich zu einer Zeit arbeitslos war, als es noch Arbeitslosenhilfe gab. Da konnte ich noch wählen und abwarten, was ich auch getan hatte, und mußte nicht jeden Job annehmen. Für mich hat sich diese Freiheit sogar gelohnt, so das ich jetzt zumindest im öffentlichen Dienst einen relativ sicheren Job habe.

Ich kann auch nicht verstehen, wie ein ganzes Volk so blöd sein kann, und sich von der Politik und den Medien so verarschen läßt.
Ich bekomme regelmäßig Hassgefühle, wenn ich mir die Sendungen von Will, Plasberg und Co ansehe.

Aber solange Otto Normalverbraucher noch seine Blödzeitung kauft, und CDU, CSU, FDP bei Wahlen nicht abgestraft werden, die SPD ist leider noch zu wenig abgestraft worden, solange kann es nur noch schlimmer kommen.

LG
Mr Anonym

Anonym 10. Februar 2010 um 11:05  

Der allerschlimmste Pessimismus ist wohl der, zu erkennen, dass trotz über Jahre schleichend-konsequenter Abkehr vom sozialen System die Menschen in Lethargie verfallen sind und nicht aufwachen. Keine gemeinsame Kraft stemmt sich gegen den Verlauf, keine Präsenz auf der Straße, die groß und überzeugend genug wäre, um medial nicht ignoriert oder diffamiert zu werden. Stattdessen wird in Lager gespalten, die sich untereinander rechtfertigen und streiten. Die ideologische Schubladen öffnen, anstatt gesunden Verstand walten zu lassen und so ohne Denkschranken ein gemeinsames soziales Ziel verfolgen.

Anonym 10. Februar 2010 um 11:35  

Dieses Urteil war kein guter Tag für Deutschland, denn es wurde ja nicht der Regelsatz als solches, sondern nur die Art und Weise wie diese berechnet werden. Es ist schon ein Hinweis, dass das Bundesverfassungsgericht explizit erwähnt, dass es die Höhe der Regelsätze nicht für zu niedrig hält.

Hier sieht man auch die Machtlosigkeit des Gerichtes, als auch derjenigen die unter Hatz 4 zu leiden haben. Denn was wird passieren?

Es werden wieder irgendwelche Berechnungen angestellt, die - so meine Meinung - sogar einen niedrigeren Satz ergeben, aber seriöser aussehen, ohne wirklich seriös zu sein. Dagegen kann der Empfänger sich nur wehren, wenn er (wieder) den normalen Rechtsweg beschreitet, was sicherlich mindestens ein Jahr dauern wird.

Selbst wenn dann eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht Aussicht auf Erfolg hat und somit angenommen wird, kann das Gericht wieder nur sagen, dass die Berechnungen verfassungswidrig sind und gibt dem Gesetzgebern 1 Jahr Zeit dieses zu korrigieren.

Und dann.....geht es wieder von Vorne los....

thom 10. Februar 2010 um 11:46  

@Bakunin, ich widersprech nur ungern, solche Zeiten hatte dieses Land schon mal, ist nur ein wenig her. Soweit man sieht, ist man bestrebt, diesen Zustand wieder herzustellen.
Erst wenn der Plebs erkennt:
Die politische Macht kommt aus den Gewehrläufen [Mao..]...
Und auch bereit ist, dies umzusetzen, dann wird geändert. Ob dies uns allerdings weiterbringt, bleibt fraglich.

Anonym 10. Februar 2010 um 13:35  

endless.good.news hat geschrieben: "Ich habe mich imme rgefragt wie die Menschen im Dritten Reich so blind sein konnten, aber es passiert schon wieder."

Es gibt einen Film von Michael Verhoeven "Menschliches Versagen". Der zeigt es sehr gut was damals passierte und wie. Die Situation heute ist ähnlich. Man sucht sich einen Teil der Bevölkerung, diffamiert und diskreditiert ihn, nutzt die Medien zur Beeinflussung der Bevölkerung, wiederholt das ganze so lange bis die meisten es verinnerlicht haben und dann schlägt man zu. Wichtig ist auch zu erkennen, daß damals das Handeln vom Staat ausgegangen ist, genauso wie heute.
Im Völkische Beobachter war immer die Rede von "Es entspricht der allgemeinen Rechtsauffassung..." wenn neue Grausamkeiten gegen die Juden verkündet worden (nachzulesen bei Viktor Klemperer).

Heute gibt es ähnliche Redewendungen. Z.B.: "Es ist einem Leistungsträger nicht länger zuzumuten..." (Guido Westerwelle auf FDP Parteitagen), "Lohnabstandsgebot" (Steht das irgendwo in einem Gesetz?), und ähnliches.

Eines ist für mich sicher: Es wird noch schlimmer werden, die meisten werden wegsehen, irgendwann wird das alles mit einem großen Knall auseinanderfliegen und hinterher werden die meisten sagen, das haben wir ja gar nicht gewußt.

Geschichte wiederholt sich nicht, sie ist aber auch nicht sonderlich einfallsreich.

jane doe 10. Februar 2010 um 13:36  

es wird jetzt auf evidenzbasierten regelsätzen umgestellt, vulgo: die alten sätze bleiben

Ralf-zwei.null 10. Februar 2010 um 14:16  

Schlimm ist, dass die Sanktionierungspraxis nicht in diesem Urteil Gegenstand war. So wird es einer neuen Klage bedürfen und wieder einige Jahre dauern, bis diese Knebelung und das bewusste Inkaufnehmen körperlicher Schäden der Betroffenen thematisiert wird...

Anonym 10. Februar 2010 um 14:43  

Es KANN sich nichts an der Höhe der Sätze ändern. Diese sind die Basis für die neoliberale Umstrukturierung dieses Landes.
Inklusive der Schaffung einer besitzlosen Unterschicht, die zu jedem Preis und zu jeder Bedingung arbeiten muss, um ihre physische Existenz zu gewährleisten.
Eine Erhöhung auf die von Sozialverbänden (und anderen) geforderten 450€ würde rund 2 Millionen zusätzlicher Aufstocker bedeuten. Das wäre schlicht nicht zu bezahlen.
Das gesamte neoliberale Projekt hierzulande, das sich ja nicht nach dem von Naomi Klein beschriebenen "Schock-Prinzip" richtet, sondern versucht in einem stillen, kontinuierlich andauernden Prozess (das ist die Ursache für die von Albrecht Müller beschriebenen Reformen ohne Ende) das Land nach neoliberalem Muster umzugestalten, Stünde zu Disposition.
Die aktuellen Mehrheiten legen nahe, das es schlicht völlig unrealistisch ist, dies zu erwarten.

Manul 10. Februar 2010 um 15:23  

Ich teile den Pessimismus auch und halte dieses Urteil für alles andere als eine wirkliche Grundrevision. Die hätte nämlich auch die Hartz 1-3 Gesetze genauso mit in Betracht ziehen müssen, denn die sind es, die Menschen letztlich in eine Zwickmühle bringen, die eigentlich kaum überwindbar ist. Hartz 4 steht nur am Ende und es geht hier auch gar nicht so sehr um die Höhe der Sätze, sondern darum, dass dieses Gesetzesmachwerk den Menschen Handlungsalternativen nimmt, statt ihnen welche zu eröffnen und dafür verantwortlich ist, dass der immer mehr Menschen auf die Stütze angewiesen sind, selbst wenn sie arbeiten.

Ja, es ist ein Sieg der Oligarchie in diesem Land, die über schein- gGmbHs Millionen Euro aus den Sozialausgabentopf entnimmt, ohne wirkliche Gegenleistung dafür zu liefern. Jede noch so unsinnige Massnahme wird deshalb auch gefördert, denn alles ist gut, was die offizielle Arbeitslosenstatistik schönt. Die Betroffenen sind dabei völlig egal und noch unwichtiger ist dabei, dass mancheine Massnahme, die im Lebenslauf dann steht eher schädlich, als nützlich ist. Hier ist die völlige Entwertung des Arbeitnehmers das Ziel und dafür sind auch diese Kampagnen wichtig, die Menschen am Rande der Gesellschaft als nutzlosen Abschaum darstellen, der noch nicht mal wirklich die Reife besitzt sich um das eigene Leben zu kümmern.

Sowas zerstört bei vielen Menschen das Selbstbewusstsein und Lethargie ist die Folge. Das ist auch der Grund weshalb die Betroffenen sich kaum wehren. Die meisten sind einfach so sehr mit eigenen Problemen und dem Kampf um die Existenz beschäftigt, dass sie gar nicht die Energie dazu haben sich dagegen zu wehren. Sie werden schnell so zur Masse, die sich beliebig einsetzen lässt und die auch nicht so genau nach den Bedingungen fragt. Alles ist dann besser, als Hartz4, denn Hartz4 ist ein Leben ohne Hoffnung und ohne Zukunft. Und genau das ist gestern unterm Tisch gefallen...

Lutz Hausstein 10. Februar 2010 um 16:09  

@ Mr. Anonym - netter Name übrigens :-) :

Du hast doch das parteienpolitische Dilemma schon in Deinem eigenen Satz benannt: "... und CDU, CSU, FDP bei Wahlen nicht abgestraft werden, die SPD ist leider noch zu wenig abgestraft worden, ..."

Wenn wir jetzt noch die Grünen hinzunehmen, die Du vergessen hattest, und uns eine Linke anschauen, die unter "realpolitischen" Verhältnissen in den Landesregierungen eigentlich nichts Anderes macht, haben wir 6 Luschen, von denen wir allerdings bekanntermaßen nur 2 in den Skat drücken dürfen.

Sobald jemand auch nur in die Reichweite von Macht kommt, dient er sich ihr an. Überzeugungen sind dabei nur hinderlich.

Die parlamentarische Demokratie ist unfähig, eine am Gemeinwohl des Volkes ausgerichtete Politik zu machen. Damit handelt sie zwar dem eigenen Grundgesetz zuwider. Das macht aber nichts, da man dies mit "Neusprech" alles verkleistern kann.

Die Suche nach neuen Wegen kann beginnen ...

Anonym 10. Februar 2010 um 16:12  

Anonym Anonym hat gesagt...

"Es KANN sich nichts an der Höhe der Sätze ändern. Diese sind die Basis für die neoliberale Umstrukturierung dieses Landes."... schreibt Herr/Frau Anonym.

So ist isses!!
Hartz 4 hat sich sozusagen als "Wunderwaffe" ("V3") im Klassenkampf des in Deutschland agierenden Kapitals gegen die gesamte Arbeitnehmerschaft erwiesen.
Es hat das Kräfteverhältnis zwischen "Lohnarbeit & Kapital" schon heute signifikant zu Gunsten des Kapitals verschoben.
Nun zu glauben, das Kapital würde diesen Vorteil einfach auf Grund von Jammereien von Betroffenen oder politischen Heuchlern(Ämterjägern aller Art..) oder auf Grund von mehr oder weniger wohlmeinenden Gerichtsurteilen einfach "easy" aus der Hand geben lebt in einem Wolkenkuckucksheim.
Diese fürchterliche "Wunderwaffe" muss dem Kapital und seinen politischen Agenten ganz einfach machtvoll aus den Händen geschlagen werden, nein, nicht durch Demos und das Schwenken von lächerlichen Pappschildern und/oderTrillerpfeifen-Konzerten, nein, sondern durch einen ernsthaft geführten Klassenkampf, einen Kampf, der zur Not auch nicht davor zurückschreckt, die Machtfrage in diesem Land zu stellen.
Wollen die Lohnabhängigen in diesem Lande wieder frei und würdig atmen können, so werden sie nicht umhinkommen, sich politisch NEU zu organisieren, ohne alle bisherigen Mitläufer und Verräter, die sich bisher als "Interessenvertreter" der Arbeitnehmer aufspielten, in Wahrheit aber korrumpierte Agenten des Kapitals sind.
Eine ganz alte Frage ist wieder zu einer neuen Aktualität gelangt: WAS TUN ?
Gute Antworten darauf wurden schon vor Jahrzehnten gegeben.....

Lutz Hausstein 10. Februar 2010 um 16:19  

Da ja bekanntlich die Hoffnung zuletzt stirbt, hatten viele eine (überzogene) Hoffnung in das BVerfG gesetzt, welche dieses nicht erfüllen konnte/wollte. Doch eigentlich sollten wir alle es besser wissen.

Es ist nun einmal so, dass man die Hand nicht schlägt, die Einen füttert. Das wissen auch die Verfassungsrichter. Sie sind vom Wohlwollen der Politik (bzw. besser: der Politiker) abhängig. Um den grundgesetzlichen Schein zu wahren, verteilen sie auch schon mal eine kleine Rüge an die Politiker, die denen nicht weh tut. Je stärker der (offene oder verdeckte) Widerstand der Politiker jedoch wird, umso mehr weichen sie von ihrer Linie ab. Einfache Kausalkette.

feldmann 10. Februar 2010 um 16:39  

Solange "das Volk" nicht begreift, daß Jeder gegen Jeden ausgespielt wird und solange die Solidarität versagt, solange hat die "Elite" und deren Handlanger leichtes Spiel.
Zur Sanktionspraxis ist anzumerken, daß Randnummer 137 entscheidend sein könnte, (immer im Konjunktiv), den daraus ließe sich im Umkehrschluß ableiten, daß die Sanktionspraktiken ebenfalls Verfassungswidrig sind. Aber man weiß auch, bevor Gerichte die Entscheidungen des BVerG überhaupt zur Kenntnis nehmen ist es für sehr viele Menschen zu spät.

Anonym 10. Februar 2010 um 18:53  

Das Urteil ist eine Bankrott-Erklärung der Menschenrechte.

pillo 10. Februar 2010 um 21:07  

Da hat das Gericht soeben den Vorturnern der neoliberalen Blockparteien und ihren Auftraggebern aus der Wirtschaft jahrelanges verfassungswidriges Handeln attestiert, und Zensursula hat nichts besseres zu tun, als sich grinsend vor die Kameras zu stellen und dieses Urteil zu "begrüßen". Soviel Dreistigkeit auf einmal macht einen sprachlos. Wenn die "Mutter der Nation" der Meinung ist, daß das Gericht mit seinem Urteil, besonders in Punkto Kinder, so richtig liegt, wieso hat sie dann nicht schon längst gehandelt. Immerhin gehört von der Leyen ja nicht erst seit gestern der Bundesregierung an.

Man kann nur hoffen, daß möglichst vielen Menschen die Heuchelei und Doppelzüngigkeit der verantwortlichen Akteure auffällt. Zum Positiven - da schließe ich mich der Meinung vieler anderer Kommentatoren hier an - wird sich für die Betroffenen wohl nichts ändern.

Robert Reich 10. Februar 2010 um 21:15  

CDU-Partei-Bonze Kauder will gar jeden Hartz4-Fall einzeln prüfen und im Einzelfall könnte dies auch zur Senkung des Regelsatzes führen. Und dann noch Zensursula von der Layarbeit:"...ein wegweisendes Urteil..." Wirklich war, hier wird ein ganzes Volk verarsc....!

Kassandra 10. Februar 2010 um 22:50  

Leseempfehlung folgender Kurzgeschichte:

http://www.symbolon.de/books2003/poe/SystemdesDrTeer.htm

Geheimrätin 11. Februar 2010 um 01:23  

hab da auch eben was zu gepostet,

Schluss mit “Teile und Herrsche”, Zeit zu teilen und zu leben!

Es geht darin um den Regelsatz Asylsuchender, der mehr als 35 % unter den Hartz IV Regelsätzen liegt und also ebenso mehr als verfassungswidrig ist.

Ferner habe ich die Presseerklärung der Hartz IV Plattform verlinkt, die auch dazu aufruft, jetzt nicht locker zu lassen und Frau v. d. Leyens Stände und Almosenstaats-Phantasien entschieden entgegen zu treten!

Geheimrätin 11. Februar 2010 um 01:26  

ps. kleine Kostprobe wie die mütterliche Arbeitsministerin das Urteil interpretier:

„Man muss den Menschen ja nicht unbedingt Geld für einen Schulranzen, man kann ihnen ja auch gleich einen Schulranzen geben.“

Manfred 11. Februar 2010 um 03:12  

@ feldman: Richtig, habe ich auch so gelesen. Randziffer 137 bedeutet doch wohl, dass Sanktionen nach Paragraph 31 SGB II endgültig der Geschichte angehören! Es wäre dennoch schön, wenn auch dieses Kernelement von Hartz IV eigens für verfassungswidrig erklärt werden würde - und zwar möglichst schnell!

Auch finde ich es sehr bedauerlich, dass selbst nach 5 Jahren Armut per Gesetz nicht die Regelsätze selbst, sondern nur das Berechnungsverfahren für verfassungswidrig erklärt wurde.

NOCH SCHLIMMER aber ist die Tatsache, dass der Wesenskern von Hartz IV ebenso verfassungswidrig ist wie schon die ARGE-Mischverwaltung und die Regelsatzfindung, dass die Feststellung dieses Verfassungswidrigkeit aber NOCH LÄNGER dauert als beim Regelsatz - obwohl ganz zwanglos das Urteil gegen die Pendlerpauschale als Begründung herangezogen und gewissermaßen per Copy&Paste in das neue Urteil reinkopiert werden könnte. Die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe auf dem Niveau der Sozialhilfe bedeutet schließlich ebenfalls nackte Willkür! Für die Mehrheit der Bevölkerung ist die Gerechtigkeitsstufe Arbeitslosenhilfe unverzichtbar!

Anonym 11. Februar 2010 um 14:53  

Es ist einfach nur noch zum brechen.
Mir war von vornherein klar, das dieses Urteil, egal in welche Richtung es fällt, für Sprengstoff sorgt. Wünschenswert wäre, das die Bevölkerung jetzt aufwacht und die richtigen Fragen stellt..

Ach und die Uschi bestimmt jetzt, welchen Billigranzen mein Kind tragen darf oder wie? Nein danke. Dann spare ich es mir lieber vom Munde ab, als das mein Kind mit einem klapprigen Ranzen, den es nichtmal mag und mit dem es vielleicht noch ausgelacht wird, rumrennen muss.

Wir haben 100 Euro für den Schulbedarf unseres Kindes erhalten, welches letzes Jahr eingeschult wurde. 68 Euro haben alleine die Schulbücher gekostet. Wenn die Grosseltern nicht alles andere gekauft hätten, hätten wir uns weder Ranzen, Turnzeug noch das restliche Schulmaterial leisten können.

Und ja, ich würde gerne wieder arbeiten, damit es meiner Familie wieder besser geht. Ich bin gut ausgebildet, weder bildungsfern noch faul noch blöd, noch versaufe und verqualme ich unsere Stütze. Ich habe über 300 Bewerbungen geschrieben - nichts. Es ist aussichtslos. Mit zwei Kindern ist man weg vom Fenster als Frau.

Und wenn man dann das tägliche HartzIV-Bashing im Manistream liest, kann man nur noch müde lächeln. Auch die, die jetzt mit Steinen schmeissen, werden irgendwann merken, das sie selber an dem Ast sägen, auf dem sie sitzen..

Netzaktion Faulheitslüge 13. Februar 2010 um 20:40  

Kampagne gegen die Faulheitslüge: Jetzt reicht’s! …
bekannte Fakten statt endloser Hartz IV-Verleumdungen
http://bit.ly/8YZuPM

Netzaktion bei Twitter ..
http://twitter.com/Netzaktion


GESAMTÜBERSICHT
http://www.faulheitsdebatte.hartz4-im-netz.de

Hans Kolpak 13. Februar 2010 um 21:51  

Es scheint, als folgten seit Monaten die Meldungen rund um das Arbeitslosengeld II einem Marketingplan politisch Verantwortlicher. Psychologen, Soziologen und Ärzte sollten um die intensive bedeutungsvolle Bindung zwischen Müttern und ihren Kindern wissen. Mütter sehen sich oft gezwungen, Geld zu verdienen und die Aufsicht über ihre Kinder anderen Menschen zu überlassen. Viele Kinder werden daher nie geboren, weil Niedriglöhne und Niedriggehälter für Väter und Mütter so gering ausfallen. Bei einer Staatsquote von 50 Prozent wundert das niemanden mehr. Das deutsche Volk wird immer kleiner und schwächer. Die meisten politischen Ideologien fördern diese Entwicklung mit aller Kraft.

Das Kurieren von Symptomen verspricht mehr Wählerstimmen bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 9. Mai 2010. Doch nur die Arbeit an den Ursachen kann den Schuldenberg der Öffentlichen Hand schmelzen und die komplizierten bürokratischen Prozeduren vereinfachen. Allerdings wird mit der Arbeit an den Ursachen Wahlkampf überflüssig. Regierungen und Oppositionsfraktionen hätten alle Hände voll zu tun, die Herausforderungen zu meistern. Für leere Versprechungen hätten sie keine Zeit mehr. Doch so weit ist es noch nicht.

Noch ist das Bundesverfassungsgericht (Grundgesetzgericht) damit befaßt, die Arbeit der Bundesregierung im Rahmen des Grundgesetzes (keine Verfassung) am 9. Februar 2010 zu kritisieren: Regelleistungen nach SGB II ("Hartz-IV-Gesetz") nicht verfassungsgemäß. Da es keine Verfassung gibt, schweben einige grundsätzliche Fragen frei im öffentlichen Raum.

Den meisten Steuerzahlern ist nicht bewußt, daß es Ursachen und Wirkungen gibt. Sie glauben immer noch an Märchen von schicksalshaften Verwicklungen und gottgewollten Verstrickungen. Mehr Öffentlichkeit für volkswirtschaftliche, betriebswirtschaftliche und juristische Zusammenhänge zu wecken, ist die Motivation für ein wachsendes Team von Fachautoren auf www.NationalPartei.eu . Das Bestreben ist, öffentlichen Freiraum für die herrschenden Eliten zu schaffen, die Kritik Unwissender zurückzudrängen und das Wohl des deutschen Volkes zu mehren.

Ajax 14. Februar 2010 um 12:59  

"Wir haben 100 Euro für den Schulbedarf unseres Kindes erhalten, welches letzes Jahr eingeschult wurde. 68 Euro haben alleine die Schulbücher gekostet."

Genau weiß ich es nicht, aber ich meine 1965 und ne Zeit danach waren die Schulbücher noch oder teilweise frei. (Ich weiß es wirklich nicht mehr)

Ich meine es machte mir immer Spaß, sie gegen Gutschein einlösen zu gehen.

Damals war es für die Eltern darüber hinaus noch kein Problem Arbeit zu haben.



(Damit das niemand falsch versteht).

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