De auditu
Dienstag, 11. August 2009
Jörg Tauss, ehemaliger Sozialdemokrat und Piratenfrischling, ist ein Kinderporno. Zumindest steht er unter Verdacht, ein Kinderporno zu sein. Kinderporno-Verdacht! Egal ob niedergeschrieben oder den Zusehern und -hörern verlesen, eingeleitet und aufgemacht wird im verknappten Stile, jegliches Verb entbehrend: Tauss unter Kinderporno-Verdacht! Was hierzulande Springer-Unkultur war, die Bindestrich-Komposition, ist zum journalistischen Usus verkommen. Tauss steht nicht unter Verdacht, Kinderpornos besessen, angesehen oder verkauft zu haben - er ist zum Kinderporno geworden. Er ist seine Tat - (lassen wir hier mal beiseite wieviel Wahrheit oder Lüge an der Unterstellung ist) -, er ist, was man ihm unterstellt.
Wir leben in Zeiten, in denen schnelle Lösungen, schnelle Informationen, schnelle Konzepte gefordert sind. Auch die Sprache ist davor nicht bewahrt, sie wird pragmatisch verstümmelt, unnötige Verben werden geschluckt und unnötig sind fast alle Verben. Der Bindestrich wird zum eilfertigen Botschafter, egal ob gedruckt und geschrieben oder beim Sprechen unausgesprochen: ohne Bindestrich keine Nachricht. So steht heute kein Täter unter Verdacht, ein Frau genötigt, vergewaltigt oder belästigt zu haben, er steht vielmehr unter Sexmonster-Verdacht. Ministerinnen haben Dienstwagen-Affären, anstatt verdächtigt zu werden, den Dienstwagen zweckentfremdet zu haben. Die verstümmelte Sprache, in der keiner mehr tut, in der der Bindestrich die Gewalt an sich reißt, beseitigt jeden Zweifel: der Delinquent, der Verdächtigte ist zu seiner Tat, besser zu seiner Untat verwandelt.
Erhabene Sprache, wohlklingende Worte, der Wettbewerb mit Sätzen und geschliffenen Ausdrücken zu glänzen, die Eitelkeit Aussagen liebevoll zu gewanden - alles Spielereien aus vergangenen Tagen. Sprache hat heute funktionell zu sein, muß ohne falsche Ablenkung informieren, soll nicht unnötig aufhalten. Die Syntax verkommt zum toten Gegenstand im Grammatikbuch, ist ihres Daseins enthoben. In einem Kurzsatz, der keine Verben mehr kennt, in dem nicht mehr getan und gemacht werden kann, in der das Tunwort also, um es mal grundschulisch zu benennen, ausgeschlossen ist, da kann der Beschuldigte, der Empfänger des Vorwurfs nicht mehr handeln, er kann nur noch handlungsunfähig sein. Er kann nur noch der Vorwurf selbst sein, zur Untat in Person verkommen. Die fehlende Syntax enthebt den Beschuldigten seiner Handlungsfreiheit, entmenschlicht ihn, macht ihn zum steinernen Symbol seiner möglichen Verfehlung, damit zur Verfehlung selbst.
Der Protagonist der medialen Berichterstattung verkümmert jammervoll zum handlungsunfähigen Konstrukt. Der Aufmacher erlaubt keine Ausführlichkeiten, der Konsument muß im Laufe einer Zehntelsekunde informiert sein, darf nicht zum Nachdenken kommen, muß sofort die Richtung des Berichtenswerten kennen. Natürlich wird später ausgeführt, was der Beschuldigte getan hat, darf das Verb zur Geltung kommen. Aber zu jenem Zeitpunkt hat der Großteil der Konsumenten schon umgeblättert oder umgeschaltet. Die kurze Bindestrich-Komposition polarisiert und entscheidet über Sympathie oder Ablehnung. Was hernach kommt ist Beiwerk, denn es steht dann bereits fest, dass der Beschriebene ein Kinderporno oder dergleichen ist.
Wir leben in Zeiten, in denen schnelle Lösungen, schnelle Informationen, schnelle Konzepte gefordert sind. Auch die Sprache ist davor nicht bewahrt, sie wird pragmatisch verstümmelt, unnötige Verben werden geschluckt und unnötig sind fast alle Verben. Der Bindestrich wird zum eilfertigen Botschafter, egal ob gedruckt und geschrieben oder beim Sprechen unausgesprochen: ohne Bindestrich keine Nachricht. So steht heute kein Täter unter Verdacht, ein Frau genötigt, vergewaltigt oder belästigt zu haben, er steht vielmehr unter Sexmonster-Verdacht. Ministerinnen haben Dienstwagen-Affären, anstatt verdächtigt zu werden, den Dienstwagen zweckentfremdet zu haben. Die verstümmelte Sprache, in der keiner mehr tut, in der der Bindestrich die Gewalt an sich reißt, beseitigt jeden Zweifel: der Delinquent, der Verdächtigte ist zu seiner Tat, besser zu seiner Untat verwandelt.
Erhabene Sprache, wohlklingende Worte, der Wettbewerb mit Sätzen und geschliffenen Ausdrücken zu glänzen, die Eitelkeit Aussagen liebevoll zu gewanden - alles Spielereien aus vergangenen Tagen. Sprache hat heute funktionell zu sein, muß ohne falsche Ablenkung informieren, soll nicht unnötig aufhalten. Die Syntax verkommt zum toten Gegenstand im Grammatikbuch, ist ihres Daseins enthoben. In einem Kurzsatz, der keine Verben mehr kennt, in dem nicht mehr getan und gemacht werden kann, in der das Tunwort also, um es mal grundschulisch zu benennen, ausgeschlossen ist, da kann der Beschuldigte, der Empfänger des Vorwurfs nicht mehr handeln, er kann nur noch handlungsunfähig sein. Er kann nur noch der Vorwurf selbst sein, zur Untat in Person verkommen. Die fehlende Syntax enthebt den Beschuldigten seiner Handlungsfreiheit, entmenschlicht ihn, macht ihn zum steinernen Symbol seiner möglichen Verfehlung, damit zur Verfehlung selbst.
Der Protagonist der medialen Berichterstattung verkümmert jammervoll zum handlungsunfähigen Konstrukt. Der Aufmacher erlaubt keine Ausführlichkeiten, der Konsument muß im Laufe einer Zehntelsekunde informiert sein, darf nicht zum Nachdenken kommen, muß sofort die Richtung des Berichtenswerten kennen. Natürlich wird später ausgeführt, was der Beschuldigte getan hat, darf das Verb zur Geltung kommen. Aber zu jenem Zeitpunkt hat der Großteil der Konsumenten schon umgeblättert oder umgeschaltet. Die kurze Bindestrich-Komposition polarisiert und entscheidet über Sympathie oder Ablehnung. Was hernach kommt ist Beiwerk, denn es steht dann bereits fest, dass der Beschriebene ein Kinderporno oder dergleichen ist.
11 Kommentare:
Binde-Stricher!
Wir sind Terrorist, wir sind Kinderporno, wir sind Deutschland...
Der Gipfel der Frechheit ist die neue Ausgabe des Spiegel. So viel Dummheit und Selbstüberschätzung auf einem Fleck ist nicht mehr zu ertragen. Es wird Zeit ein paar Zeitungen vor dem Bundestag zu verbrennen.
Nun ja, ich glaub man sagt schon sehr lange: Jemand steht unter Mordverdacht, oder Betrugsverdacht. Auch schon zu Zeiten, als die Sprache nicht so verhunzt wurde wie heute. Aber trotzdem ist der Gedanke nicht falsch, dass diese "Binde-Stricher" (schöner Begriff, Anonym!) ihre Menschenverachtung unters Volk bringen.
Eine Dienstwagen-Affäre *gg* trau ich aber eher einem Mann zu!
Letzten Donnerstag zeigte die ARD den Film "1984".(Wie üblich mitten in der Nacht.)
Hier die Szene in der es um die Sprache geht:
Winston Smith: " Und das Neusprech Komitee?"
Wortzerstörer: "Die machen Überstunden. Ganz schön schwierig. Wir sind jetzt bei den Adjektiven. Wir haben auch Mühe der Sprache ihre endgültige Gestalt zu geben.
Ist eine fabelhafte Sache Worte zu zerstören."
Winston Smith: "Das heißt, dass die Revolution abgeschlossen ist, wenn die Sprache perfekt ist."
Wortzerstörer: " Das Geheimnis liegt in der Übersetzung von direkten Gedanken zur kürzesten Sprache. Man sollte die Sprache auf das Notwendigste beschränken. Die Sprache kommt von hier (zeigt auf den Kehlkopf) und nicht von da. (zeigt auf die Stirn)
Nachbar des Wortzerstörers: Entschuldige wenn ich mich einmische, aber das würde heißen, dass Goldstein keine Chance mehr hat mit seinen Parolen, wenn die Sprache erstmal völlig gereinigt ist. Da könnte ich auch nie mehr mit dir einer Meinung sein."
Wortzerstörer: "Sehr richtig! Es ist ein ermutigender Gedanke, dass allerspätestens im Jahr 2050 kein Mensch mehr in der Lage sein wird, eine Unterhaltung wie diese zu verstehen."
Winston Smith: Außer den Proletariern"
Wortzerstörer: Die Prol sind Tiere, die zählen nicht."
Winston Smith ist wieder allein und sinniert: ´Wenn es eine Hoffnung gibt, liegt sie bei den Proletariern. Wenn sie sich ihrer eigenen Kraft bewusst werden könnten, brauchten sie nicht zu konspirieren. Geschichte bedeutet ihnen nichts."
Ob hier Parallelen zur heutigen Zeit sind und wie weit unser Sprache schon zerstört ist, kann jeder nur für sich selbst beantworten.
Liebe Grüße
Margitta
Bindestrich-Falsch-Nachricht.
Bindestrich-Manipulation
Bindestrich-Lüge
Binde-Stricher-Bild
Ich muss schon lachen... genau mit dem gleichen Gedanken habe ich mich neulich auch befasst! :) Was da grammatikalisch manchmal für ein Stuss steht, ist schon hart. Auch wenn es so tragisch ist, es hat mich mal wieder zum Lachen gebracht.
Die sprachgeschichtliche Ausgangslage ist treffend analysiert. Trotzdem zählt dieser Beitrag zu den Schwächeren dieses ansonsten ausgezeichneten Blogs.
Denn die deutsche Sprache ist kein Felsen, sondern ein Fluss. Mit vielen Nebenrinnsalen.
Die richtige Antwort auf das Kauderwelsch (dessen Urheberschaft ich übrigens in bei der BILD sehe) müsste anders sein:
Loben!
Loben!
Loben bis zum Erbrechen!
Tja, die Binde-Stricher!
Die Nachrichten beweisen es: "Führende Unionspolitiker wollen das Internet einer schärferen Kontrolle unterziehen und eine
Internet-Polizei einführen.
Denn beispielsweise der Herr Bosbach weis zu berichten:" Das Internet biete zwar eine fantastische Vielfalt,
sei aber auch "Quelle für Kriminalität, Terrorismus und ziemlich viel Schmutz".
Und deshalb muss ein Internet-Ausweis her, mit dem Nutzer
identifiziert und zurückverfolgt werden können.
Victor Klemperer merkte einmal sehr richtig an:
"Sprache kann aus giftigen Elementen gebildet oder zu Trägern von Giftstoffen gemacht werden. Worte können sein wie winzige Arsendosen: Sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da."
ergänzung zum beitrag von robert reich. ich habe getsern teile des films WE FEED THE WORLD gesehen. gegen ende des films kam einer der chefs von nestle aus vevey zu wort. er sagte zum thema wasser als nahrungsmittel. >>da gäbe es die position, die meinte, dass wasser sei für alle da, sei ein öffentliches gut. na, ja, diese position ist ein extrem.<<
wenn also ein wirtschaftsunternehmen mit starker finanzieller macht bestimmen kann, was als extrem anzusehen ist, dann ist derjenige, der meint, wasser sei kein zu privatisierendes gut, insonderheit keines für großkonzerne, kann er als extremist bezeichnet werden. und schon ist er aus dem internet draußen und wird verhaftet.
denkbar ist solch ein geschehen durchaus.
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