Intakter Pluralismus

Montag, 31. August 2009

Mit den Landtagswahlen des Wochenendes scheint der Pluralismus nun endgültig die Sitzordnung in Landtagen und Senaten vorzugeben. Kaum ein Landesparlament, in dem nicht mindestens vier Fraktionen lungern - oft sind es gar fünf oder sechs, die dort ihrem Geschäft und den Geschäften ihrer Finanzgeber nachgehen. Natürlich ärgern sich darüber viele lupenreine Demokraten, weil die unkomplizierte Drei- oder Vier-Parteien-Übersicht perdu ist, man am Wahlabend nicht mehr zu Bett gehen könne, ohne zu wissen, welcher Landesvater wohlig in den Schlaf summt. Wenn Demokratie umfangreich wird, dann wird sie zum Ballast. Der zeitgemäße Demokrat, der seine Demokratie als einstudierten Ritus zelebriert, sehnt sich nach einer starken Hand, die ein Heer an Fraktionen unnötig machen würde.

Es muß ja förmlich schlaflose Nächte und Magenkrämpfe stiften, wenn man mit einer Legion von Parteien konfrontiert wird, die den Pluralismus dieses Landes abzeichnen. Da spricht sich zum Beispiel die Union für militärische Auslandseinsätze aus, während die SPD strikt dafür, die Grünen wiederum mit Abstrichen bereit sind - und die FDP andererseits sieht ein solches Vorgehen für dringend geboten an. Unübersichtlich geht es auch in der Sozialpolitik zu. Die SPD, seit nunmehr elf Jahren Regierungspartei, befürwortet eine repressive Erwerbslosenverwaltung, gleichzeitig die Christdemokraten einer solchen Verwaltung nicht im Wege stehen. Die Grünen indes hadern mit der Ungerechtigkeit der Welt, wären gerne dagegen, müssen aber, als Väter und Mütter des Konzepts, dringlich dafür sein. Ganz anders die FDP: sie steht hinter diesem Verwaltungsungetüm, vorallem aber hinter den Repressionsmechanismen. Bei der Umgehung des Grundgesetzes, Umweg nehmend über Lissabon, zeigt sich ebenso deutlich, wie intakt der pluralistische Geist hierzulande arbeitet. Die Union hat dem EU-Vertrag zugestimmt, während die Sozialdemokraten zugestimmt und die FDP zugestimmt hat. Lediglich die Grünen haben quergeschlagen und haben zugestimmt.

Natürlich betrifft das auch die Fremdenpolitik. Für die Liberalen sollten Ausländer in Deutschland schnellstmöglich Anpassung erzielen. Die CDU/CSU stimmt dem zu, fordert aber schnellere Abschiebungsmodalitäten, während die SPD grundsätzlich für schnelle Integration ist und die Grünen, gemäß Cohn-Bendits Heftchen, das er als Integrationsbeauftragter der Stadt Frankfurt dereinst drucken ließ, heimlich, still und leise die Ansicht vertreten, bestimmte Gruppierungen wären schier integrationsresistent. Wie man mit solchen Rebellen am genesendem deutschen Wesen verfährt, das sollen allerdings die anderen entscheiden. Ebenso in Fragen demographischer Natur oder dem Bekenntnis zur Privatversicherung und der daraus resultierenden Aushebelung der paritätischen Sozialversicherungen: auch dort herrscht gesunde pluralistische Gesinnung. Wer da die Wahl hat, der ist ein wahrlich ein Gequälter. Dass sich Demokraten da überfordert fühlen müssen und jenen Zeiten nachtrauern, in denen die Liberalen mal konservativ mal sozialdemokratisch heirateten, liegt auf der Hand.

Dieses Schreckgespenst ist das Feigenblatt heutiger Politik. Wer kann ernsthaft von einer schwindenden Demokratie sprechen, wenn doch plötzlich fünf oder sechs Fraktionen in den Landtagen hocken? So läßt sich leicht auf die Fraktionsmassen deuten, die anständiges Regieren zwar unmöglich machen, die aber dennoch als Ausdruck von Vielheit anzusehen seien. Wer eine moribunde Demokratie wittert, der muß glatt am Durchdrehen sein, bei dieser Anzahl von Parteien, die allesamt derart verschiedenartig aufgestellt sind. Solange Pluralismus vorgegaukelt wird, ist die Demokratie intakt.

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De omnibus dubitandum

Bei der Landtagswahl im Saarland wählten...

  • ... 32,4 Prozent aller Wahlberechtigten gar nicht.
  • ... 22,9 Prozent aller Wahlberechtigten die CDU.
  • ... 16,3 Prozent aller Wahlberechtigten die SPD.
  • ... 14,1 Prozent aller Wahlberechtigten die LINKE.
  • ... 6,1 Prozent aller Wahlberechtigten die FDP.
  • ... 3,9 Prozent aller Wahlberechtigten die Grünen.
Eine Koalition aus SPD, LINKE und Grünen hätte damit einen Rückhalt von 34,3 Prozent aller Wahlberechtigten. Eine Große Koalition könnte 39,2 Prozent aller Wahlberechtigen auf sich vereinen.


Bei der Landtagswahl in Thüringen wählten...
  • ... 43,8 Prozent aller Wahlberechtigten gar nicht.
  • ... 17,2 Prozent aller Wahlberechtigten die CDU.
  • ... 15,1 Prozent aller Wahlberechtigten die LINKE.
  • ... 10,2 Prozent aller Wahlberechtigten die SPD.
  • ... 4,2 Prozent aller Wahlberechtigten die FDP.
  • ... 3,4 Prozent aller Wahlberechtigten die Grünen.
  • ... 2,4 Prozent aller Wahlberechtigten die NPD.
  • ... 2,1 Prozent aller Wahlberechtigten die Freien Wähler.
Eine rot-rote Koalition würde auf einer Wahlgrundlage von 25,3 Prozent aller wahlberechtigen Thüringer basieren. Gäbe es eine Nichtwähler-Fraktion in diesem Landtag, wäre der Block mit den leeren Stühlen mit Abstand der größte.


Bei der Landtagswahl in Sachsen wählten...
  • ... 47,8 Prozent aller Wahlberechtigten gar nicht.
  • ... 20,6 Prozent aller Wahlberechtigten die CDU.
  • ... 10,5 Prozent aller Wahlberechtigten die LINKE.
  • ... 5,3 Prozent aller Wahlberechtigten die SPD.
  • ... 5,1 Prozent aller Wahlberechtigten die FDP.
  • ... 3,3 Prozent aller Wahlberechtigten die Grünen.
  • ... 2,9 Prozent aller Wahlberechtigten die NPD.
Die wahrscheinliche schwarz-gelbe Koalition, souverän gewählt, hat lediglich einen Rückhalt von 25,7 Prozent aller Wahlberechtigen in Sachsen. Eine Große Koalition stünde nur unwesentlich "souveräner" da, würde lediglich um 0,2 Prozentpunkte höher liegen.

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Hättest du nur Teitelbaum ermordet...

Samstag, 29. August 2009

Wenn er nur Goldstein geheißen hätte, oder Weizman oder Teitelbaum. Dann wäre der Fall schon lange abgeschlossen. Aber Buback! Einen Fall Buback kann man nicht einfach ad acta legen. Ein Buback hat Anrecht darauf, nie vergessen zu werden! Es darf nie wieder, nie wieder geschehen!

Hätte er sich nur Oury Jalloh genannt, wäre versehentlich in Polizeigewahrsam verbrannt, oder hätte er in Asylbewerberheimen geglüht oder damals in Mölln und Solingen gelitten. Heute wäre er vergessen, heute wäre er weit, ganz weit unter den Teppich deutscher Nachteilungsgeschichte geschoben. Aber Buback! So einen hymnischen Namen vergisst man nicht, da bleibt man ermittelnd immer am Ball.

Einen Ohnesorg kriminalisiert man, einen Dutschke macht man zum Extremisten. Die haben nur ihr Fett weggekriegt, weil sie frech die Straßen belagerten und einen Dreck auf die Staatsmacht gaben. Aber ein Buback, der faire Prozesse für Terroristen für eine Fahrlässigkeit der Demokratie hielt, der Linke kriminalisieren, abhören, isolieren, weiß foltern, verfolgen, aus ihren Arbeitsverhältnissen werfen ließ, an diesen Mann mit jenem Namen, der wie eine Maschinengewehrsalve klingt, wie ein Buback ...back ...back ...back, erinnert man sich noch heute liebevoll und voller Hochachtung.

Er trägt den richtigen Namen, denn er trägt einen jener Namen, denen in der bundesrepublikanischen Geschichte Heldenverehrung zuteil werden. Der harte Hund Buback hat mit allen Mitteln - wirklich mit allen Mitteln! - gegen den Terror der Anarchisten gefochten. Die anarchistischen Tendenzen der Studentenunruhen waren urplötzlich vereint mit den Bombern und Todesschützen - der Anarchist, dieser staatslose Versager, mordet eben immer, weil er keine Ordnung, keine Moral, keine Werte kennt. Buback hat stets penibel darauf geachtet, die RAF nicht beim Namen zu nennen, sie als anarchistische Bande zu bezeichnen. Wer soviel Eifer bei der Hatz auf anarchistisches Pack an den Tag legt, der hat auch die Aufklärung seiner Todesumstände verdient, dessen Staat - für den er ja lebte und arbeitete - will als kleines Dankeschön die Wahrheit ans Tageslicht fördern - und sei sie auch nicht wahr, Hauptsache sie wird wahr gemacht.

Dabei ist es nur die Betroffenheit einer ganz bestimmten Gruppe von Menschen, die diese Emsigkeit der ermittelnden Behörden befürworten. Leute, die Bubacks jeglicher Art brauchen, die sich glücklich schätzen können, harte Hunde dieser Art in ihren Personallisten gedruckt stehen zu haben, die beruhigten Gewissens schlafen können, weil das menschgewordene Maschinengewehr unentwegt feuert - ...back, ...back, ...back. Bubacks mähen feindliche Heerscharen nieder, zerschießen alles Linke, lassen ihrem persönlichen Hass auf solche, die von Umverteilung, Veränderung der Macht- und Besitzansprüche, von Lockerung staatlicher Allmacht träumen, freien beruflichen Lauf. Leb' dich nur aus, Buback, nähr' privat deinen Hass und therapier' dich hinter deinem Schreibtisch gesund!

Und die anderen, die keinen harmonischen Namen trugen, die nicht salvungsvoll ratterten, die eben Teitelbaum oder Weinreb oder Zuckermann hießen, die nunmehr auch schon seit Jahrzehnten unter der Erde liegen - sofern man dieses unterirdische Dasein nur metaphorisch aufgreift, denn bei vielen gab es nicht mal mehr einen Leichnam, den man hätte beerdigen können -, die liegen da ungesühnt. Andere wurden nur spärlich gesühnt, das Attentat auf einen Asylanten oder auf einen demonstrierenden Studenten ist tragisch, heuchelte die Justiz beizeiten, aber letztlich doch entschuldbar - man muß doch verzeihen können, der Staat ist ein Allerbarmer. Haftstrafen gibt es für solche Gewaltakte nicht, denn man hat dort nicht die Richtigen getötet, als dass es dafür Haftstrafen geben könnte. Das heißt, man hat eigentlich schon die Richtigen getötet, denn es mag zwar tragisch gewesen sein, für die Hinterbliebenen allemal, aber von Bedeutung waren deren Tode nicht. Ja, es hat da die Richtigen getroffen, denn deren Himmelfahrt ist verkraftbar. Aber wer ersetzt uns unseren harten Hund?

Todesschütze dieses vornehmen Herrn, es gelingt nicht, viel Sympathie für dich aufzubringen. Die "Betroffenheit" ob des Ablebens ist eine eingeschränkte, so wie damals viele eingeschränkt betroffen waren. Was kann man dafür, wenn das Mitleid, die Betroffenheit sich nicht einstellen will? Für Gefühle kann man nichts; für ungefühlte Gefühle sowieso nicht. Aber das bedeutet nicht, unbekannter Todesschütze, dass man dir dankbar sein müßte. Der Mord bleibt immer Mord, auch wenn jemand ermordet wird, um den zu trauern unsittlich erscheint. Du hast einfach nur den Falschen ermordet, Todesschütze. Der Mord ist in diesem Land nicht verpönt. Gut, verboten ist er offiziell schon, aber er ist nicht moralisch verwerflich. Wie sonst kann eine Bande von Volksvertretern Berufsmörder engagieren, die den Mittleren Osten reinigen? Nein, Mord ist nicht verpönt, man muß nur richtig, angebracht, vorallem aber die Richtigen töten. Hättest du nochmal einige Jahre mit deinen Mordgelüsten hinter dem Berg gehalten, geduldig gewartet, dann in Kriegen mit deutscher Beteiligung tausendfach gemeuchelt: du hättest einen Orden erhalten. Vielleicht bist du auch schon sehr alt, immerhin bist du ja unbekannt, möglich ist es also. Wenn dem so ist: warum hast du nicht in Auschwitz angeheuert? Man hätte dich dort gebraucht. Sicher, nach dem Krieg hätte das Bürgertum seine "Betroffenheit" gezeigt und dir den Prozess bereitet. Aber lange Haftstrafen bekommen KZ-Wärter nur im Kino oder im Roman - im echten Leben war tausendfacher Mord für fünf Jahre Knast zu haben. Damit wärst du besser gefahren als mit der lebenslangen Haft und der Sicherheitsverwahrung, die du für das Attentat auf den Generalbundesanwalt erhalten würdest - oder wirst, vielleicht fassen dich die Häscher der ewigen Gerechtigkeit ja doch noch.

Todesschütze, hier erhältst du keine Moralpredigt. Fassen sie dich, dann bekommst du sowieso Predigten, die sich gewaschen haben. Die bürgerliche Presse wird dich in ihrem moralischem Geifer baden. Und fassen sie dich nicht, dann wirst du selbst damit klarkommen müssen. Und man darf sich sicher sein: du leidest darunter. Wenn man als Kind einen Regenwurm zerstückelte, ganz genussvoll das Leiden in die Länge zog, ihm zusah wie er langsam einging, dann denkt man als Erwachsener immer noch daran. Dieses kleine, nichtige, für uns Menschen bedeutungslose Leben brennt sich in unsere Erinnerungen ein. Zuweilen leidet man an der Bösartigkeit, die man damals zur Schau gestellt hatte. Wie muß es da sein, wenn man einen Menschen tötet? Aber wie gesagt, keine Moralpredigt! Du sollst nur erfahren, wie du hättest töten dürfen. Warum bist du denn seinerzeit nicht zur Polizei gegangen, hast nicht im Namen deines Arbeitgebers Linke gequält und ab und an - versehentlich natürlich - gefoltert? Und auf der RAF-Jagd, den Stadtguerillero im Namen des Staates mimend, hättest du sogar töten dürfen, ganz legitim, mit dem Segen der Gesellschaft. Aber nein, du tötetest jemanden, der von Bedeutung war, jemanden, dem die Züge des degenerierten Rechtsstaates ins Gesicht gefurcht waren. Jallohs hättest du morden dürfen, Ohnesorgs ganz ohne Sorge, Teitelbaums sowieso, auch Zaids dürftest du derzeit töten - aber doch nicht dieses Sturmgeschütz bürgerlicher Lebensart.

Du hast dich unproduktiv verhalten, nicht ökonomisch. Tausendfacher Mörder hättest du sein dürfen, dafür mit Orden und Auszeichnungen überhäuft werden können. Wäre das nicht profitabler gewesen? Was für ein Mehrwert! Aber du hast nur einen Mann erschossen! Mehrwert ausgeschlossen! Er mäht dich immer noch nieder, hörst du es nicht? ...back, ...back, ...back. Sein Tod hat ein gut geöltes Maschinengewehr hinterlassen. Das war der ganze Segen des kopflosen Mordens. Er hat den Staatsapparat noch rigider gemacht, noch unerträglicher, Maschinengewehre zum Standardrepertoire werden lassen. Das wissen auch die Häscher, sie wissen, dass Bubacks Tod nicht umsonst war, er hat Repressionsmaßnahmen gegen die Bevölkerung erleichtert, quasi legitimiert. Aber das erzählen sie uns nicht, denn Buback war jemand aus ihrer Mitte, man muß ihn auf Gedeih und Verderb sühnen. Wenn du, Todesschütze, einen Teitelbaum ermordet hättest, heute würde kein Hahn mehr nach dir krähen. Was hat Teitelbaum auch schon für dieses Land geleistet?

Der Tod der Weizmans und Teitelbaums hat den deutschen Staat ja eher behindert, weil nach dem Kriege keiner mehr einen repressiven, hierarchischen Staat haben wollte. Das Unterdrückungspotenzial mußte man sich in langen Jahren erst wieder erkämpfen. Teitelbaum hat nichts geleistet, er hat den Staat nur zurückgeworfen, ihn liberaler, friedliebender, weniger repressiv gemacht. Mensch, Teitelbaums Tod war fast ein anarchistischer Akt, weil er einen schwachen Staat begünstigte. Aber Buback! Der hat was getan! Und den ermordest du! An Teitelbaum hättest du dich halten sollen, dann wärst du nach kurzer Sühne wieder mit offenen Armen in die Gesellschaft integriert worden. Der Teitelbaum hat es doch verdient, stirbt einfach so an Arbeit, die ihn hätte befreien sollen, ermuntert dabei noch seine Mitgefangenen, einfach mitzusterben und tat dem neuen Deutschland damit Böses - "nie wieder!" haben sie dann alle geschrieen. Und die Riege um Buback hat das auch laut gegrölt: Nie wieder! Nie wieder ein Staat, in dem linke Positionen auch nur den Hauch einer Chance haben können!

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De dicto

Donnerstag, 27. August 2009

"Angela Merkel hatte entschieden, einen führenden Bankier unseres Landes ins Kanzleramt einzuladen...
[...]
Ein Blick über die Grenze zeigt: Eine solche Diskussion wie in diesen Tagen in Deutschland wäre in keinem anderen demokratischen Nachbarland vorstellbar."
- BILD-Zeitung, Béla Anda am 27. August 2009 -
Zum Gesagten sei angemerkt: Da könnte Anda recht haben, es könnte zutreffen, dass in Nachbarstaaten nicht diskutiert, sondern gleich randaliert, gleich gegen die Staatsmacht vorgegangen würde. Man beachte hierbei Andas Wink mit dem Zaunpfahl: unsere demokratischen Nachbarländer. Demokratisch! Als wäre die Diskussion um das große Fressen dieser illustren Runde eine undemokratische, als wäre es der Demokratie schädlich, wenn man sich fragt, warum ein Bankier eine Geburtstagsparty auf Staatskosten erhalten muß. Als dürfe man davon nicht sprechen, wer alles geladen war; als dürfe man also nicht darüber sprechen, wie Politik, Wirtschaft, Medien und "Kulturbetrieb" (der Patron der Altherrenwitzigkeit Frank Elstner war auch zugegen) verschmolzen sind; als dürfe man vorallem nicht davon sprechen, dass Springer auch vertreten war - sogar doppelköpfig wie man hört (Friede Springer und Mathias Döpfner).

Wer sowas anspricht, wer sich sogar darüber aufregt, den macht Anda quasi spielend und nebenher zum Antidemokraten. Denn im demokratischen Ausland wäre es undenkbar, dass Menschen sich so entrüsten würden. Wer dagegenspricht, der ist nicht demokratisch. Demokratie ist, wenn alle die Schnauze halten! Und das tun die Menschen in den Nachbarländern sicherlich weniger als hier. Frankreich taugt sicherlich nicht dazu, als Hort von Andas Demokratieverständnis' durchzugehen. Und auch die immer noch liberalere Niederlande ist hundertprozentig nicht nach Andas Geschmack. Demokratisch zu sein bedeutet seit geraumer Zeit in diesem Lande, immer schön zu schweigen, wenn die großen Demokraten aus Politik und Wirtschaft ganz demokratisch die Demokratie mit Füßen treten. Schweigen ist Demokratie!

Es geht ihm und den Seinen auch nicht darum, Abendessen solcher Art zu demokratisieren. Sie sind eben nicht demokratisch, schon gar nicht in einer Zeit, in der bei Arbeitslosen, Rentnern, Kindern, Kranken und Hungerlohnangestellten jeder Cent achtmal umgedreht wird. Nach der Bundestagswahl läuft das Stillhalteabkommen zwischen Regierung und Wirtschaft aus - ebenso eine besonders demokratische Einrichtung, vielleicht beim Abendessen ersonnen, womöglich zwischen Kürbisquiche und gedämpftem Rinderfilet; eine Einrichtung, die die Regierung beschützen soll, Veränderungen in der politischen Landschaft verhindern. Nach der Wahl wird dann demokratisch entlassen, die öffentlichen Kassen werden bluten, was soviel heißt wie: jeder der auf öffentliche Kassen angewiesen ist, wird bluten. Jeder, das sind auch Arbeitnehmer, die zwar direkt erstmal nicht aus der Kasse erhalten, die aber trotzdem irgendwann auf öffentliche Kassen angewiesen sein könnten. Hochsensibel wirft man dann das Geld für Abendessen aus dem Fenster, mokiert sich noch darüber, dass der Pöbel sich darüber aufregt: wo ist denn da der Respekt der Menschen vor unseren Eliten und Leistungsträgern? Gönnt man uns denn nicht mal mehr ein Bankett? Sind die jetzt alle rot verseucht, sozialistisch angehaucht? Das treiben wir ihnen nach der Wahl schon aus!

Und Anda verrät uns mehr. Er ärgert sich nicht nur über die selbstauferlegten Sorgen der Menschen, wenn diese verärgert auf das Kanzleramt blicken und darin einen Korruptionstempel wittern, er ärgert sich vorallem darüber, weil er selbst schon oft geladen war zu solch geselligen Runden. Anders gesagt: Vielleicht hat er Angst, dass es bald keinen Kapaun mehr für ihn gibt. Anda weiß nämlich aus eigener Erfahrung zu berichten, behauptet er zumindest selbst. Er kenne solche Abendessen und wisse, dass die Beschlüsse beim ungezwungenen Essen auf Regelsatzniveau - jeder aufgetragene Teller kostet einen ALG II-Regelsatz - wirkungsvoller seien, als solche die offiziell gefasst würden. Das Stillhalteabkommen, sofern zwischen Fressen und Saufen erdacht, kann wahrscheinlich als Paradebeispiel herhalten. Was zu Tisch liegend beschlossen wird, das hält mindestens einen Verdauungsvorgang lang. Am Montag, den 28. September 2009, hat dieses Land ausverdaut...

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Nomen non est omen

Mittwoch, 26. August 2009

Heute: "Jobcenter"
"Die Zusammenarbeit von Stadt und Arbeitsagentur in der Arbeitsgemeinschaft Jobcenter, kurz ARGE genannt, funktioniert. Sie funktioniert so gut, dass es gelungen ist, die Arbeitslosenquote bei den unter 25-Jährigen auf 3,6 Prozent zu drücken."
- Mitteilung von Stadtrat Joachim Horner aus der Gemeinderatsfraktion der SPD Mannheim vom 9. Februar 2009 -
Die Bezeichnungen des sogenannten "Jobcenters", der "Arbeitsgemeinschaft" (ARGE) oder auch der "Agentur für Arbeit" sind klassische Euphemismen. Das zu deutsch "Zentrum für Arbeit" suggeriert eine Institution, in der es Lohnarbeit zu verteilen gäbe. Quasi ein Hort der Arbeit für Arbeitssuchende. In Wahrheit wird Arbeitslosigkeit, werden die Arbeitslosen verwaltet, schikaniert und herumgestoßen. Das gleiche gilt für die "Agentur für Arbeit". Dieses Marketing-BWL-Neusprech soll dem Arbeitslosen klar machen, dass dort vermittelt und nicht verwaltet wird.

Mit dieser Bezeichnung soll den Arbeitslosen suggeriert werden, dass es ja genügend Lohnarbeit zu verteilen gäbe. Es liegt also nicht an mangelnden Arbeitsplätzen, sondern an der Qualifizierung des Arbeitssuchenden. Und hier beginnt das Jobcenter seine Legitimierung für sämtliche (Repressions-)Maßnahmen zu begründen. Der "Kunde" müsse mehr Eigenverantwortung zeigen, Schulabschlüsse nachmachen, Bewerbungstrainingskurse absolvieren, Ein-Euro-Jobs machen und sich sowieso weiterbilden, was das Zeug hält. Natürlich wird er dazu nicht gezwungen, sondern "eingeladen". Dann hat er vielleicht eines Tages die Chance einen der so vielen Jobs – welche die ARGE, das Jobcenter und die Agentur für Arbeit für alle bereit halten – zu bekommen.

Grundsätzlich muss natürlich betont werden, dass "Jobs" heutzutage schon lange keine sozialversicherungspflichtige Vollbeschäftigung mehr bedeuten. Alles wird als Job definiert, solange der Arbeitslose nicht mehr in der Arbeitslosenstatistik auftaucht. Ob Ein-Euro-Jobs, Leiharbeit, Aufstocker, Mini-Jobs, Praktika oder Maßnahmen. Beschäftigung im Sinne von "beschäftigt sein" ist alles.

Dies ist ein Gastbeitrag von Markus Vollack aka Epikur.

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Drastische Worte: ein Nachtrag

Dienstag, 25. August 2009

Ist das Aufgreifen drastischer Worte zielführend? Bringt eine drastische Ausdrucksweise, unter die Gürtellinie gehende Fäkalsprache, Unterdrückte weiter?

Wenn man Scheiße nicht mehr Scheiße nennen darf, weil man in aller Sachlichkeit auf Sachlichkeit pocht, dann verliert sie ihren charakteristischen Gestank. Aus der Scheiße werden Nahrungsrückstände, werden wohlklingende Termini vielerlei Art, die den Dreck nicht beim Namen aufgreifen. Dann klingt das Beschriebene fast melodiös, ein wenig erhaben, werden die olfaktorischen Zumutungen getilgt. Die Nasenklammer kann in die Schublade gepackt, die Nase muß sich nicht mehr zugehalten werden. Man kann bedenkenlos atmen, kann tief Luft holen, kann Geruchloses in die Lungen saugen.

So läßt sich sachlich über Nahrungsrückstände diskutieren, deren Gerüche finden aber im Gespräch nicht mehr statt. Wohlklingendes riecht nicht. Man spricht über Beschriebenes, zersetzt aber dabei die Charakteristika, kehrt sie unter den Teppich, man stülpt dem Kothaufen eine Käseglocke über, damit er nicht duftet. Nach und nach vergisst man, dass Scheiße stinkt. Man spricht über sie, man macht sie zum Sujet, man behandelt sie thematisch, analysiert sie, aber man erfasst sie nicht als Ganzes, weil der Gestank nicht besprochen wird, weil er nicht Sujet ist, weil er thematisch nicht behandelt wird, weil er in der Analyse nicht müffelt. Man behandelt die Sache zwar in der Diskussion, setzt sich mit der Sache folglich auseinander, macht so, als sei man bei der Sache, steckt sachlich im Disput. Aber in Wirklichkeit bleibt die Sache reduziert, entbehrt um den eigenen natürlichen Charakter; man ist der Sache nicht vollends gewachsen, kann sie nur teilweise begreifen, wird halb-sachlich, viertel-sachlich, un-sachlich: weil die Sache nicht in ihrer Gesamtheit erfasst wird.

Kommt nun jemand und johlt Scheiße, erinnert er die Gesprächspartner an den Gestank, macht die Diskussion zwar sachlicher und konkreter, legt nochmal ein Stück Wahrheit in die Waagschale, verunmöglicht für den Vertreter politisch korrekter Biedermeierei aber das Gespräch. Dieser will vom Gestank der Scheiße ja gerade nichts wissen. Er will von der Sache schwelgen, er will über sie entrückt diskutieren, will sie nicht zu konkret benennen, will im Nebel der Begrifflichkeiten verweilen. Dort erspart er sich den Gestank, dort muß er nicht schnuppern, muß die Scheiße nicht in ihrer Gesamtheit wahrnehmen. Die entrückte Scheiße, die er anders benennt, damit sie ihm nicht stinkt, ist seine Sachlichkeit. Die Halbsachlichkeit des Benannten, diese Unsachlichkeit des neu getauften Dinges, ist sie Sachlichkeit desjenigen, der politisch korrekt bleiben will. Der Unsachliche aber, derjenige, der für die Gefolgschaft politischer Korrektheit unsachlich ist, weil er der Scheiße auch Gestank zubilligt, weil er die Sache als Ganzes betrachtet, der ist bei genauem hinsehen sachlich. Wer unsachlich ist (im Sinne herrschender Wahrnehmung von Unsachlichkeit), der ist sachlich; wer sachlich ist (in jenem Sinne), der ist unsachlich.

Wenn Scheiße nicht mehr Scheiße sein darf, damit sie zum geruchsneutralen Diskussionsstoff taugt, dann darf derjenige, der in der Scheiße sitzt, direkt im Gestank sein Leben fristen muß, auch die Scheiße beim Namen rufen. Würde er in die Gesprächskultur der Schönredner einstimmen, beschreibt er seine Lage nicht treffend. Er würde seine Situation annehmbar machen, würde den außenstehenden Diskutanten vorheucheln, es stänke nicht, obwohl es doch ganz außerordentlich stinkt. Deshalb muß er den Außenstehenden zurufen, wie scheiße die Scheiße doch ist, wie stinkend der Gestank, wie unzumutbar die Zumutung. Die biedere Gesprächskultur des Unbetroffenen betrifft ihn nicht, denn sie ist ein Kunstprodukt der Ahnungslosen, ein willentliches Kunstprodukt, das zur Diskussion taugen soll, nicht zur Ruchbarmachung des Gestankes. Diesen will man ja gerade nicht, mal will ihn unter die Käseglocke verbannen, damit derjenige, der in der Scheiße hockt, es also auch unter der Käseglocke aushalten muß, ihn alleine erträgt. Wenn dieser dann vom Gestank spricht, weil er lauthals Scheiße ruft, dann blicken die Außenstehenden um sich, zucken mit den Achseln und meinen selbstzufrieden: "Also, ich riech' nichts."

Vom "Ich riech' nichts" zum "Bleib' bei den Tatsachen" ist es bloß ein kleiner Schritt. Man fordert Sachlichkeit von demjenigen, der die Sache täglich in sich einatmen muß. Aber seine Sache ist nicht die Sache derer, die Käseglocken überstülpen. "Bei den Tatsachen bleiben!" Dabei meinen sie aber stillschweigend: "Bleib' bei unseren Tatsachen!" Jene Tatsachen also, die sie sich selbst erzwungen haben, ihre Tatsachen - Tatsachen übertünchten Geruches. Gerüche zu benennen, wo keine Gerüche für alle ruchbar sind, erklärt man für unsachliches Vorgehen. Sache ist, dass es nicht stinkt; Sache ist, dass die Scheiße zum Nahrungsrückstand ernannt wurde. Das jedenfalls ist die Sache der Außenstehenden, die Sachlichkeit der Unbetroffenen - die Sache der Involvierten, die Sachlichkeit der Betroffenen gilt als Unsache, wird zur Unsachlichkeit degradiert. Der Gestank ist demnach nicht mehr Ursache der Unerträglichkeit, er ist Unsache, es gibt ihn nicht, weil es ihn terminologisch nicht gibt. Was nicht gesagt wird, existiert nicht; was verschwiegen wird, kann nicht sein.

Wo Scheiße nicht mehr Scheiße ist, da ist auch Teilhabe nicht mehr Teilhabe, Frieden nicht mehr Frieden, Demokratie nicht mehr Demokratie. Wenn die Scheiße ausgeschissen hat, dann hat auch der Unterdrückte, der in der Scheiße sitzt, die nun nicht mehr Scheiße heißt, seine Möglichkeiten verspielt. Drastische Worte gibt es nicht! Es gibt nur wahre Worte, die freilich drastisch werden, wenn sie Besitz- und Machtverhältnisse antasten. Fäkalsprache gibt es ebensowenig, es gibt nur unangenehme Tatsachen, die nicht ins bürgerliche Sprechritual eingearbeitet wurden. Bringt eine solche Sprechweise Unterdrückte weiter? Das kann man nicht beantworten, denn vom Sprechen alleine verändert man nicht. Aber die drastische Sprechart schärft das Selbstbewusstsein. Wenn sich Leute treffen, die alle miteinander in der Scheiße sitzen und dies auch konkret benennen, dann strampelt man sich gezielter aus dem Dreck frei. Treffen sich Leute, die in Nahrungsrückständen hocken, dann beratschlagen sie nur, ob man nicht auch von den Rückständen der Nahrung leben könne. Ist es also hilfreich? Zielführend?

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Das Privileg der Unterdrückten, drastische Worte zu finden

Montag, 24. August 2009

Im Rahmen eines 3sat-Thementages luden Elke Heidenreich und Dietmar Schönherr zu einem Rückblick in die 1970er-Jahre ein. Die Sendung war zwar aufgezeichnet, scheinbar schon ein Paar Jahre alt, passte aber dennoch vortrefflich ins Themenkonzept. Retrospektiv wurde das zu behandelnde Jahrzehnt mit Einspielern unterlegt, dazwischen hatten die beiden Moderatoren mal mehr mal weniger zu kommentieren. Auftritt der jungen Alice Schwarzer. Auf einem Podium sitzend rechtfertigt sie den oft rüden und drastischen Ton der Frauenbewegung. Unterdrückte, so argumentiert sie, hätten das Recht, ihrer Empörung mit drastischen Worten Nachdruck zu verleihen. Man dürfe dies Unterdrückten nicht streitig machen, denn der Schrei der Unterdrückten zeugt von selbsterteilter Würde. Rücksprung zum Moderatorenpaar. Schönherr mokiert sich. So könne man das nicht machen, das sei nicht korrekt. Er wisse, was Unterdrückung heiße, er habe es in Südamerika mit eigenen Augen gesehen, haben dort erfahren, wie sich wirkliche Unterdrückung abzeichnet. Man könne für Rechte kämpfen, auch für Emanzipation, aber nicht mit diesen Mitteln. Die junge Alice Schwarzer konnte ihm nichts entgegensetzen, sie konnte ja nicht in die Zukunft hineinwettern.

Möglicherweise bedarf es eines kurzen Exkurses. Alice Schwarzer. Sie erntete schon damals Kritik, weil sie den Befreiungskampf der Frauen vom Klassenkampf abtrennte. Aus ihrer Warte, mit Blick auf den real existierenden Sozialismus, bedacht auf die dortige Klassenkampf-Rhetorik vorallem, mag das sinnvoll gewesen sein. Im Osten schien zwar die Frau vom Manne emanzipiert, aber dem Staat war die Frau dennoch nur Arbeits- und Gebärmaschine. Doch darum ging es Schwarzer nie, sie hätte nichts dagegen gehabt, wenn Frauen den Männerweg gegangen wären, einen Weg der gesellschaftlichen Anpassung, des Karrierismus, der Ellenbogenmentalität. Die Frau sollte sich nur vom Mann, nicht aber von staatlicher Allmacht emanzipieren. Und genau das war der Vorwurf vieler Linken an Schwarzer und die Ihren. Heute ist sie von diesen Vorwürfen erlöst; heute weiß man, dass Schwarzer zum Establishment dieses Landes gehört, relativ unkritisch geworden ist, eine banale Randerscheinung emanzipatorischer Wirkkraft darstellt. Für sie war es 2005 ausreichend, dass der neue Kanzlerkandidat der Union eine Gebärmutter besaß, eben eine Kandidatin kein Kandidat war. An Geschlechtsmerkmalen glaubte sie eine Veränderung in der bundesdeutschen Politik wahrzunehmen. Politische Inhalte - was soviel heißt wie: politische Inhaltslosigkeiten - der besagten Kandidatin waren ihr zweitrangig. So betrachtet war es jene unstreitbare Koryphäe der Frauenpower, die die Frau auf Gebärmutter reduzierte, ihre möglichen intellektuelle Fähigkeiten aber am Rande liegen ließ. Wenn man im Staatsapparat angekommen ist, wenn die Rolle der Aufrührerin zum Markenzeichen wurde, wenn man vom revoltierenden Ruf lebt und ihn kultiviert, hegt und pflegt, dort gießt, da düngt, dann wandelt sich die einstige Passion zum schauspielerischen Akt. Wie weit es mit dem "Befreiungskampf" gekommen ist, war vor einigen Jahren zu sehen, als eine Unterorganisation der Emma Prekärbeschäftigte suchte - die Vision der Befreiung wurde zur Realität der Unterdrückung anderer Gesellschaftsgruppen. Der Klassenkampf der gealterten Diven fand nun von Oben statt, aus den Unterdrückten wurden Unterdrücker.

Dennoch hatte Schwarzer natürlich recht, als sie klarstellte, dass es das Privileg der Unterdrückten sei, zu drastischen Worten der Empörung zu greifen. Raubt man ihnen diese Möglichkeit, raubt man ihnen die Menschenwürde. In John Steinbecks "Früchte des Zorns" wird den Entrechteten und Unterdrückten dieses Privileg geraubt. Sie dürfen Kritik an ihrer Lage nicht einmal im Ansatz verkünden, denn dann werden sie zu Roten erklärt, die sofort einzusperren sind. Und es gärt natürlich, es reifen Früchte des Zorns, es wird denen, die mundtot gemacht werden sichtbar, dass sie nicht wie Menschen behandelt werden, sondern wie Vieh. Nicht alleine, weil sie für Hungerlöhne arbeiten müssen, sondern weil sie ihre Lage nicht einmal beklagen dürfen.

Und dann tritt Dietmar Schönherr auf, unverdächtig irgendwo im konservativen Sumpf zu stecken, und macht sich zum Apologeten der political correctness, ärgert sich sichtlich über den Umstand, dass Schwarzer die Frau für unterdrückt hielt und dies auch noch offen zur Sprache brachte. Nicht nur das, er bringt Beispiele für sogenannte wirkliche Unterdrückung, spricht also denen, die sich damals (und heute) unterdrückt fühlen, aber von der Masse nicht als unterdrückt wahrgenommen werden, das Recht ab, sich als Unterdrückte begreifen zu dürfen. Wer unterdrückt ist, das gibt er vor, gibt die Gesellschaft vor, die Politik - und wenn es keine Vorgaben gibt, wer als unterdrückt zu gelten habe, dann gibt es letztlich kurz und gut keine Unterdrückung. Schönherr erinnert in fataler Weise an jene Herren im feinen Zwirn, die sich hierzulande hinstellen und davon predigen, es gäbe bei uns keine Armut. Armut gäbe es nur im Sudan, in Burundi und im Kongo. Die Armen dieser Gesellschaft dürfen nicht thematisieren, dass sie sich arm fühlen, sonst erklärt man sie für selbstgerecht und verblendet. Weil sie nicht in Pappkartonhütten leben und keine aufgedunsenen Blähbäuche aufgrund schlechter Wasserqualität haben, sollen sie still schweigen, sollen sie zufrieden sein. Wenn es mal so weit wäre, wenn sie mal im Pappkarton hausen, dann dürften sie vielleicht, aber auch nur vielleicht, über ihre Armut reden. Solange keiner verhungert, und zwar so verhungert, dass es die Öffentlichkeit auch mitbekommt (denn im Stillen verhungern dann und wann schon Menschen auch hierzulande), reden wir nicht von Armut. Und wenn doch welche öffentlich verhungern, dann schieben wir es auf ihre Unfähigkeit und Faulheit, dann wollten sie eben nicht arbeiten, haben es vorgezogen langsam zu verhungern. Sie waren damit ja gar nicht arm, sie waren höchstens arm im Geiste, weil sie keine Selbstinitiative gezeigt haben.

Wenn Menschen, denen das Leben wohlgesonnen war, sich öffentlich hinstellen und Vorgaben machen wollen, wo man wie und warum über Themen zu reden hat, dann vollzieht sich ein anti-aufklärerischer Akt. Dietmar Schönherr ist jemand, dem das Leben freundlich begegnet ist, was er auch selbst in der besagten Sendung zugegeben hat. Und er steht als Österreicher den österreichischen Sozialisten nahe - früher unter Kreisky wohl mehr als heute. Von einer sozialen Nähe ist aber wenig zu spüren, wenn er Gesellschaftsgruppen aufoktroyieren möchte, wie sie sich darzustellen haben. Oder vielleicht ist es gerade doch zu spüren, weil sich herausstellt, dass die Eindimensionalität durch alle parteilichen Gruppen, durch alle NGOs, durch das Denken engagierter Menschen zieht. Alle sind in der political correctness vereint, tun so, als liefen sie auf ein gemeinsames Ziel zu. Der sozial engagierte Schauspieler und Künstler genauso wie der Kanzler mit Gebärmutter; die Emanze ebenso wie irgendwelche sozialen Gruppen. Schönherr hat das wunderbar verdeutlicht, er hat den gemeinsamen Kosmos dieser neuen, harmlosen Sachlichkeit widergespiegelt, in dem Konservatismus und Aufklärung Zwillinge geworden sind. Immer sachlich bleiben, nicht drastisch werden, nicht zu konkret, immer Argumente liefern - und vorallem: alle Zähne verlieren, die man zum Beißen benötigt hätte.

Schönherr glaubt, und er steht hier nur für die Masse an privilegierten Menschen, dass Unterdrückte und Arme in der westlichen Gesellschaft nur befreit werden können, wenn sie sich sachlich in der Reihe anstellen und warten, bis man sie zu Wort kommen läßt. Wobei man gar nicht von Befreiung sprechen darf, denn auch das wäre ein Frevel an der Korrektheit, am korrekten Benehmen, am politischen Knigge. Denn wer ist hier schon so gefangen, als dass er befreit werden müßte? Wenn man als Schüler seinen Protest lauthals vorruft, ohne den Finger zu heben, dann wird man gehört. Meldet man sich, wartet darauf aufgerufen zu werden, weiß der Lehrer außerdem, dass wohl Protest ins Haus steht, ignoriert er den Schüler und läßt den Protestierer hebenden Armes verhungern. Wenn sich unterdrückt Fühlende nicht mehr als Unterdrückte artikulieren dürfen: wie weit ist es dann noch zur totalitären Gesellschaft? Der Faschismus der Sachlichkeit untergräbt den freien Menschen, er darf nur frei sein im vorgestecktem Rahmen, hat sich dort sachlich und ordentlich zu benehmen. Aber Befreiung von Mißständen wird so nicht bewirkt...

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Der gute Wille

Sonntag, 23. August 2009

"Gratuliere, mein lieber Herr B., Ihr medizinisches Gutachten ist abgeschlossen. Und ich gratuliere, weil ich Ihnen einen positiven Befund mitteilen darf", säuselte der Sachbearbeiter mit hervortuender Scheißfreundlichkeitsfassade.
"Befund? Mich hat kein Arzt nicht gesehen. Wie kann es einen Befund meines Krankheitszustandes geben, wenn ich nie untersucht wurde", erwiderte B. ohne sich einer überflüssigen Fassade hingeben zu wollen.
"Nach Aktenlage steht auf dem Kopf des Gutachtens. Und weiter steht hier, Sie sind vollschichtig einsatzfähig, Einschränkungen gibt es keine, sind demnach für jede Arbeit zuteilbar", ratterte es wie einstudiert hervor. "Damit wäre Ihr Gesundheitszustand geklärt, nun wissen wir, dass wir Sie jeder Arbeit zuteilen können."
B. lächelte dämlich, schüttelte den Kopf, setzte zu einer Antwort an: "Ich habe nur ein Bein. Wie soll ich da vollschichtig arbeiten können? Wie soll ich jede erdenkliche Arbeit tun können? Steht in dem Gutachten überhaupt etwas von einer amputierten Extremität?"
"Hier steht, dass nach vorgelegten Unterlagen des Hausarztes begutachtet wurde. Nach medizinischer Begutachtung haben Sie beide Beine."
"Schauen Sie doch mal über Ihren Schreibtisch hinweg, machen Sie sich doch mal diese Mühe."
Scheu lugte der Sachbearbeiter über den Tisch, blinzelte dreimal ungläubig, steckte dann seine Nase wieder in Papier, griff sich einen Stift und notierte einige undefinierbare Worte auf ein seitlich liegendes Notizzettelchen.
"Ein Bein, oder?"
"Hier steht nicht, dass Sie einbeinig sind, Herr B., für den Amtsarzt und damit für die Behörde sind Sie gesund und munter."
"Aber Sie haben doch eben gesehen, dass ich nur ein Bein habe. Sie haben es doch selbst mit Ihren eigenen Augen gesehen", schrie B. erregt durch die Räumlichkeiten des Staatsdieners.
"Beruhigen Sie sich. Sie haben es ja eben selbst beantwortet: ich hätte es mit meinen eigenen Augen gesehen. Richtig, das ist vollumfänglich zutreffend. Jedoch bin ich nicht die Behörde. Meine Augen können sich nämlich täuschen, aber eine Behörde, ausgestattet mit der Allmacht des Staates, betrieben von den besten Fachleuten der Gesellschaft, irrt sich normalerweise nie", antwortete der Sachbearbeiter und nahm dabei eine stramme Körperhaltung ein, legte zudem ein devotes Lächeln auf sein Gesicht und unterstrich dabei die Erhabenheit seiner Worte.
"Das heißt, Sie haben einen Sehfehler und sehen nur ein Bein, wo es eigentlich zwei gibt? Darf ich das so verstehen?"
"Hören Sie, Sie nehmen das zu persönlich. Ich sehe nur ein Bein, das stimmt schon. Aber ich habe hier einen offiziellen Befund, der mir mitteilt, Sie seien vollschichtig einsetzbar. Für Sie sieht es jetzt so aus, als müßte ich zwischen Empirie und Glauben entscheiden. Doch das ist falsch. Hier wird geglaubt, hier müssen wir uns auf offizielle Schreiben berufen, nicht auf Sinneseindrücke, die letztlich ja immer nur schwammig sind. Was ist schon das Wahrnehmbare? Ich bin da ganz kantianisch. Sie sollten da pragmatischer werden, umsomehr, weil Sie keine Möglichkeit des Widerspruchs haben. Wir haben die Untersuchung nicht per Verwaltungsakt erlassen und damit können Sie keinen weiteren Rechtsweg beanspruchen. Empirie hin oder her, es ist also jetzt so, wie es ist."
B. schwindelte es. Ist das alles wahr? Hat ihm dieser Mann eben einen wirren Vortrag über die Nichtigkeit von Sinneseindrücke gehalten? "Aber die Sinneseindrücke des Arztes, der den Befund ausstellte, die waren nicht getrübt", bemerkte er spitz und mit hasserfülltem Blick.
"Dies steht mir nicht zu zu bewerten. Wenn ich es aus Sicht des Menschen durchdenke, dann haben Sie schon recht. Er kann sich genauso getäuscht haben. Aber hier gelten keine Menschen, hier gelten Hierarchien. Ich kann mich nicht hinstellen und Befunde bezweifeln. Diese Kompetenz habe ich nicht. Mensch, ich bin doch kein Arzt!"
"Muß man denn Arzt sein, um zu erkennen, dass einem Menschen ein Bein fehlt? Was zählt denn mehr, ich oder das Papier? Das real fehlende Bein, das ja eher nicht real ist, weil es eben fehlt oder der Befund nach Aktenlage?"
Der Sachbearbeiter lehnte sich zurück, schloss die Augen, dachte gut sichtbar für seinen Gegenüber nach. "Wollen Sie das wirklich wissen, was hier zählt? Ja? Na schön. Zunächst zählt das Papier, das was geschrieben steht, ist für uns maßgeblich. Wir sind hier Leute der Schrift. Papier ist geduldig, Gesagtes oder Gesehenes kann verzerrt werden, verhallt in zeitlichen Strudeln. Was jemand gesagt oder gesehen hat, wird irgendwann vergessen; was aber jemand niederschrieb, das hat Bestand. Zuerst kommt das Papier, dann hat sich der Mensch mit dem Papier abzugleichen, hat das zu erfüllen, was aufgeschrieben steht, damit auch der Mensch zählen kann."
"Das heißt also, ich muß mir ein zweites Bein nachwachsen lassen, damit ich auch für die Behörde als Mensch wahrgenommen werden kann?"
"Unsinn! Wenn Ihnen wirklich ein Bein fehlt (ich sage nicht, dass Ihnen eines fehlt, ich spreche von der Möglichkeit, dass Ihnen eines fehlen könnte), wenn Ihnen also wirklich ein Bein abhanden gekommen ist, dann wächst da nichts mehr nach. Und als Mensch wahrgenommen zu werden ist nicht der Anspruch der Behörde. Sie sind ein Fall von vielen. Als Fall wahrgenommen, aber nicht als Mensch, lieber Fall B. Die Frage wird nun aber sein, warum passen Befund und die Wahrnehmung des Patienten oder Kunden nicht zueinander."
"Na also, dann kommen wir ja doch noch zusammen. Warum passen sie nicht zusammen? Und damit muß eine neue Untersuchung eingeleitet werden", sagte der Fall B. höhnisch und rieb sich ebenso die Hände.
"Sie machen es sich einfach. Ein Befund kann doch nicht einfach aufgehoben werden! Die Behörde ist kein Arzt, sie kann ärztliche Befunde nicht einfach aufheben und neu verlangen. Wir können nicht den Arzt, aber den Patienten beeinflussen. Deshalb fragen wir uns also, warum paßt es nicht zusammen und geben uns möglicherweise als Antwort: weil der Kunde nicht guten Willens ist. Wird so entschieden, liegt es an mir, eine Sanktion in Betracht zu ziehen."
"Sie haben doch gesehen, dass ich einbeinig bin, ich bin ein verdammter Krüppel und Sie wollen mir dafür auch noch mein Geld rauben? Schämen Sie sich nicht?"
Der Sachbearbeiter sprang aus seiner Denkerpose auf: "Rauben? Sind Sie ganz bei Trost? Ihr Geld? Es ist nicht Ihr Geld, weil wir den Betrag, der abgeschlagen wird, gleich einbehalten. Es hat Ihnen demnach nie gehört. Ich will diese Frechheit von Raub gar nicht gehört haben! Wenn es Ihnen am guten Willen fehlt, dann legt man mir nahe, meinen Kunden zu sanktionieren. Die gesetzlichen Vorgaben lassen mir quasi keinen Raum mehr, mich wohlwollend gegenüber den Kunden zu verhalten. Ich muß förmlich sanktionieren. Deswegen meinte ich vorhin ja, Sie sollten kein Theater machen und sich damit abfinden."
"Aber wie Sie es auch drehen und wenden, ich habe doch nur ein Bein!", schluchzte B. tränenunterdrückend.
"Anstatt sich darüber zu freuen, dass Sie gesund sind, dass Ihnen ein Arzt attestiert, es gehe Ihnen gut, jammern Sie hier durch die Gegend. Wer bekommt denn heute noch Gesundheit nachgewiesen. Mein Hausarzt schreibt mich ständig aus vielerlei Gründen krank, dabei wäre ich so gerne mal wieder stark und gesund. Und Sie bekommen es schriftlich, schwarz auf weiß, sind aber unzufrieden damit. Sagen Sie mir, Herr B., wie soll ich da Ihren guten Willen erkennen können?"
B. schüttelte den Kopf, wandte den Blick ab, stierte an die Wand, befühlte seinen Beinstumpf, holte sich in Gedanken den verlustreichen Unfall zurück, sah sich nochmals schreiend und blutverspritzend, erlebte den Schmerz nochmals und vergaß im selben Moment, dass es eine Erinnerung aus seinem Leben war, vergaß den Unfall, vergaß die Folgen, hochgesteckte Hosenbeine, das schmerzende Ziehen im Stumpf. Er vergaß, um ein neues Leben anfangen zu können, ein gesundes Leben, ein Leben im gutem Willen, vollschichtig einsatzfähig, ohne Einschränkungen am Arbeitsmarkt. Optimistisch zu sein bedeutet, das Schlechte auszublenden, den Lebenspessimismus zu verlernen, verlorene Beine zu übersehen.
"Gut, Herr B.", sagte der Sachbearbeiter nach längerem Schweigen entschlossen, "wie ich sehe, haben Sie zur Vernunft zurückgefunden. Das freut mich. Wissen Sie warum? Weil ich da eine Arbeitsstelle für Sie hätte. Am Bau werden Helfer gesucht. Trauen Sie sich zu Leitern hochzusteigen und Säcke zu hieven? Ja? Na sehen Sie, so gefallen Sie mir, so gefallen Sie uns, schon viel viel besser. Nicht verbittern - ranklotzen! Sie waren gefangen in Ihrem Pessimismus, nun werden Sie frei, Sie werden gute, schwere Arbeit tun und dabei frei werden. Sie werden sich Ihr Leben wieder verdienen und erkennen, wie schön es ist, wenn man ein verdientes Leben besitzt. Ich schreibe Ihnen mal auf, wo Sie sich da vorstellen sollen. Und lassen Sie bloß die Krücken daheim, hören Sie, das schreckt doch nur ab. Wenn ich erfahre, dass Sie mit Krücken zum Vorstellungstermin gegangen sind, werde ich an Ihrem guten Willen zweifeln müssen."
B. erhob sich, stützte sich dazu auf seine Krücken, starrte mit leerem Blick den Sachbearbeiter an, nahm das Papier mit der Anschrift entgegen, grüßte nicht und ging zur Tür.
"B., hören Sie. Jeder kann mal einen schlechten Tag haben. Sie dürfen sich sowas aber nicht zu oft leisten. Bin aber frohen Mutes, dass sich bei Ihnen alles zum Besten wendet. Sie sind ja ein robuster Kerl, hat Ihnen ja sogar ein Arzt aus der Ferne nachgewiesen. Wenn Sie aus der Weite schon so gesund wirken, dann muß doch was Wahres dran sein. So sollten Sie das mal sehen, optimistisch müssen Sie sein. Dann lebt es sich leichter..."

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Sit venia verbo

"Es ist nicht genug, den Menschen ein Spezialfach zu lehren. Dadurch wird er zwar zu einer Art benutzbarer Maschine, aber nicht zu einer vollwertigen Persönlichkeit. Es kommt darauf an, dass er ein lebendiges Gefühl dafür bekommt, was zu erstreben wert ist. Er muß einen lebendigen Sinn dafür bekommen, was schön und was moralisch gut ist. Sonst gleicht er mit seiner spezialisierten Fachkenntnis mehr einem wohlabgerichteten Hund als einem harmonisch entwickelten Geschöpf."
- Albert Einstein -

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Entlastet Hitler!

Samstag, 22. August 2009

Jener geschichtsträchtige Schuss, hallend in den Niederungen der Reichskanzlei, als der Führer seinem Leben einen letzten Paukenschlag schenkte, sich vergiftete und erschoss, weil er sich gleich Rasputin für schwer tötbar hielt, dieser wohl bekannteste Selbstmord jüngerer Geschichte, ist der Vermächtnis des Herrn an sein dann führerloses Volk. Der Krieg war zuende und die Bestie Hitler geboren, eine Bestie, die zum Alleinverantwortlichen taugte. Auch die Mitverantwortlichen, über die man in Nürnberg zu Gericht saß, hatten erkannt, dass es möglicherweise lebensrettend wäre, die Schuld in die Schuhe des Toten zu kippen. Und das deutsche Volk der Nachkriegszeit wusste es sowieso: Die Bonzen des Regimes waren schuld, vorallem dieser Österreicher, vorallem Hitler war der teuflische Kopf dieser Bande. „Wenn das der Führer wüsste“, hieß es in der Hitler-Zeit; nach dem Krieg war man sich sicher, er hat nicht nur alles gewusst, sondern alles in die Wege geleitet, das Gas selbst eingekauft, angeschlossen, aufgedreht und nachbestellt.

Dies ist nicht der Ort um Adolf Hitler zum Unschuldslamm zu küren. Unschuldig ist er ja gerade nicht. Aber die Bestie, die dem gigantischen Heer von Mitläufern, Mitwissern, Stillschweigern, Gutheißern, Antreibern ein Alibi lieferte, die ist er eben auch nicht. Wäre er seinerzeit mit Eichmann rattenlineal nach Südamerika geflüchtet, um dort irgendwo untertauchen zu können mit diesem „banalen Hanswursten“, wäre er dann Jahre später vom israelischen Geheimdienst entführt und vor Gericht gestellt worden: man hätte der Welt gezeigt, wie eine Bestie aussieht. Mit großer Wahrscheinlichkeit wäre ein verstockter, unsicherer Tölpel hinter Glas gesessen, jemand den man seine Komplexe von der Nasenspitze hätte ablesen können, der unfähig für soziale Kontakte und emotionale Reaktionen gewesen wäre. Die Bestie wäre entzaubert gewesen, die Bösartigkeit des Teufels dahingeschwunden. Man hätte sich fragen müssen, wie ein Drittes Reich entstehen konnte, mit einem solchen seelisch verkrüppelten Trottel an der Spitze; man hätte sich fragen müssen, ob an Hitlers fiktionaler Verteidigungsrede in Jerusalem, wonach er nur tat, was das Volk von ihm verlangte (jedenfalls der größte Teil des Volkes), nicht ein Fünkchen Wahrheit zu finden sei.

Das geschundene Volk hätte den Angeklagten Hitler mehrfach gehängt - nein, nicht die geschundenen Israelis, sondern die gebeutelten Deutschen. Sie hätten ihren Messias hingerichtet, weil er ihnen die Schuld zurückgebracht, weil er seine Rolle als Packesel deutscher Schuld abgelegt hätte, um vor Gericht mit dem Leben davonzukommen - was wahrscheinlich sowieso ein hoffnungsloses Unterfangen gewesen wäre. So viele Galgen gibt es gar nicht, als dass jeder Mitschuldige an jenen Verbrechen, seinen ehemaligen Führer von eigener Hände Arbeit hätte hängen können. Es war das Vermächtnis Hitlers, ungewollt zwar, mit ganz anderer Absicht unterlegt zwar, zum Sündenbock zu werden. Als er erstmal tot war, als die meisten Parteibonzen ihren schlechten Atem aushauchten, da konnten all die kleinen Mitspieler - die Hetzer vom Stammtisch - der Denunziant, der versteckte Juden verriet und aufgeschnappte Kritik am Führer weiterleitete - der Lehrer, der kompetent und mit Schaubeispielen ausgestattet, Rassenkunde hielt - der Beamte, der Abstammungsurkunden ausstellte oder Bescheide zum Reichsarbeitsdienst verschickte - der Metzger, der an seiner Ladentüre ein „Juden bleiben draußen“-Schild anbrachte - die Mutter, die mit Nachdruck ihren Sohn in die Hitlerjugend drängte - der Arbeitgeber, der seine Belegschaft unter drastischen Strafen dazu aufforderte, mit Heil Hitler zu grüßen – der Priester, der auf das Konkordat deutete und daher vor seinen versammelten Schäflein vom Führer als gnädige Hand Gottes sprach – die selbsterklärten Intellektuellen, die das falsch ausgelegte Evolutionskonzept der Nationalsozialisten zur philosophischen Gewissheit renovierten – da konnten just all diese Mitschuldigen ihre Schuld mit ins unbekannte Grab ihres Führers schmeißen.

Das Vermächtnis des deutschen Nachkriegsvolkes an die Nachfolgegenerationen war und ist, dass die Schuld für die Verbrechen des Krieges, für das Unrecht auch schon vor dem Kriege, nicht bei denen zu suchen ist, die ja „nur ihre Arbeit gemacht haben“, sondern bei der Bonzokratie des Reiches, die aber leider – Gott sei es gedankt – nicht mehr unter uns weilte. Außer vielleicht Speer, aber der war ja ein feiner Kerl, hat sich gegen den Führer gestellt und Befehle nicht befolgt. Schweine sind nur diejenigen gewesen, die bereits tot waren, Schweine und willkommene Esel, denen man das Schuldgepäck aufladen konnte. Selbst als die Studenten etwas mehr als zwanzig Jahre nach Kriegsende auf die Straße gingen, konnten sie an der Sichtweise, dass vorallem auch der kleine Mann sündig war, kaum etwas ändern. Man habe nur überleben wollen, bekam die revoltierende Jugend zu hören, man mußte mitmachen, man war gezwungen, war aber selbstverständlich gegen das Regime. Man wollte doch nur ein ruhiges Leben und wenn es dazu nötig war, die aberkannten Bürgerrechte jüdischer Mitmenschen stillschweigend zu ertragen, dann mußte das eben so sein. Überhaupt solle man aufhören, ständig hinter jedem Zeitgenossen dieser dunklen Ära einen Mitläufer zu wittern. Schuld waren die von ganz oben! Aber die haben sich ja ihrer Verantwortung entzogen, sind in den Tod gegangen. Gott sei Dank! Ein Dank hinter vorgehaltener Hand, denn man war heilfroh, heilhitlerfroh, dass die Schuld mit ins Jenseits ging, dass der Führer nochmal so gut für seine Volksgenossen gesorgt hat.

Dies ist das Vermächtnis jener Generationen, die Hitler aktiv miterlebt haben; ein Vermächtnis an die Nachfolgegenerationen dieser Republik. Wenn Tageszeitungen, besonders natürlich ein Blatt, dessen Namen hier nicht schon wieder erwähnt werden soll, jede Woche neue Schuldzuweisungen an Hitler und seine Schergen ersinnen, wenn beinahe im Monatstakt neue Erkenntnisse ans Tageslicht kommen, wonach die Schuld nun eindeutig zuweisbar würde, dann ist das als Selbstreinigungsprozess des deutschen Bürgertums zu werten. Zudem wird ein deutscher Adliger und Offizier zur Legende, zum Widerstandskämpfer geschminkt, der deutlich machen soll, dass im Bürgertum, egal ob Klein- oder Großbürgertum, keine Schuld zu suchen sei. Die Zivilgesellschaft war damals reinen Gewissens. Und daher können besonders ausgewiesene Vertreter der heutigen Zivilgesellschaft Äußerungen tun, die mehr als bedenklich sind. Wie sonst könnte ein ehemaliger Senator und heutiger Bankangestellter laut in Richtung Sterilisation denken? Wie läßt es sich sonst erklären, dass ein Leiter einer Behörde einer Frau nachdrücklich klarmachen kann, sie sei geistig behindert, obwohl dies offensichtlich nicht der Fall ist? Wie können Ärztefunktionäre Prioritätslisten einfordern, die man als Selektionsrampe verstehen muß? Wie können um Himmels willen solche Dinge geschehen, ohne dass sich wirkliche Gegenwehr formiert? Wie? Ganz einfach: Als Vertreter der deutschen Zivilgesellschaft ist man unverdächtig, jemals mit dem Teufel im Bunde gewesen zu sein. Man kann solche Sachen fordern, weil man damals unschuldig blieb und daher heute als Gesellschaft immer noch unschuldig ist. Man steht in keiner Chronologie mit dem Nationalsozialismus, man war ja eher Opfer dieser Bande. Und wenn so unverdächtige Gesellschaftsgruppen sich so unverdächtig äußern, dann kann es auch keine öffentliche Gegenwehr geben. Man wird doch als unbescholtenes Bürgertum noch mal denken und sagen dürfen!

Es täte gerade in diesen Zeiten aber Not, gerade in diesen Zeiten, da die faschistische Streckbank beharrlich angezogen wird, Hitler und seine Schergen zu entlasten. Keine Diktatur lebt vom Bonzen alleine, es braucht Mitläufer, es braucht ganz normale Menschen aus der Zivilgesellschaft, die den Wahnsinn mittragen und im vorauseilendem Gehorsam umsetzen, was Machthaber empfehlen. Kein Machthaber kann sich je erträumen, dass die eigenen Untertanen so willfährig tun, was man von ihnen verlangt. Hitler, Stalin, Mao, Pol Pot: sie alle (und noch andere) müssen erstaunt gewesen sein, wie brav und strebsam ihre Völker folgten und mitwerkelten am Wahnsinn - damit sahen sie sich bestätigt, denn die Diktatur war demnach nicht Alleinherrschaft eines Mannes, sondern der Wille des Volkes, gebündelt im Körper einer Person; Diktator und Volk verschmolzen zur Einheit. Es ist also notwendig, auch wenn es makaber klingen mag, die Herren des Dritten Reiches zu entlasten, damit die Schuld gleichmäßiger verteilt wird, damit auch die Zivilgesellschaft aufarbeiten darf, was sie seinerzeit an Opportunismus und Karrierismus hat walten lassen. Dann wird denen, die heute im bürgerlichen Rock daherkommen, aber handfesten Faschismus predigen, das Leben nicht mehr leichtgemacht. Dann sind alle verdächtig, die heute in bester nationalsozialistischer Gesinnung stehen, dies aber natürlich sofort zurückweisen und womöglich sogar juristisch dagegen vorgehen würden. Und die Justiz wüsste einen solchen Vorwurf gewiss zu bestrafen, denn immerhin ist die deutsche Justiz auch blütenweiß geblieben, war auch unschuldig, wurde von den Herren gezwungen, hätte nie freiwillig unschuldige Menschen der Tötungsmaschinerie überstellt. Freisler war doch kein Jurist, er war NS-Bonze!

Solange die Herrenmenschen von damals als Alleinschuldige in den Geschichtsbüchern stehen, ist jederzeit ein neuer Rückfall möglich. Ein unschuldiges Volk kann schließlich immer wieder schuldlos in die Bredouille geraten. Man wird sich auch dann wieder herauszureden wissen und am Ende sind ein Müntefering oder ein Clement, die sich gegen eine christlich-liberale Faschisierung gestellt haben, die Stauffenbergs der Zukunft, Widerstandskämpfer und Heilige. Bist du Republikfeind, wird man in der Zukunft fragen, weil du Münteferings Geburtstag nicht gedenkst? Diesem Gründervater unseres neuen Deutschland! Das Andenken an Clement so beschmutzen, ihn einen neoliberalen Hetzer nennen, obwohl er so löwenhaft mit den Bestien gerungen hat! So eine Gesinnung gehört ja eingesperrt! Dann hat man vergessen, dass auch sie am feuchten Schoss herumlutschten, aus dem es dann danach kroch...

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Zu politisch?

Donnerstag, 20. August 2009

Ich und politisch? Ich ein politischer Mensch? Mit Verlaub, das ist Unsinn! Ich bekomme es ja immer wieder zu hören, dass ich ein sehr politischer Zeitgenosse sei, viele meiner alltäglichen Gesprächsthemen in ebendiese angebliche Richtung gleiten. Seien Sie doch nicht immer gleich so politisch! Sie sind mir zu politisch! Dabei bin ich es gar nicht - überhaupt nicht. Wenn mir jemand mit Parteigesülze kommt, das ja hierzulande als politisch an den Mann gebracht wird, wenn er seinen parteilichen Grabenkrieg in Gespräche bettet, dann bin ich gar nicht politisch inspiriert, gehe auf das Gerede auch gar nicht ein. Ich werde eher sauer, muß mich umdrehen und gehen, bevor sich was in mir umdreht und ich mich gehen lasse, mich hinreißen lasse, Nettigkeiten zu erdenken, die ich dem Parteisoldaten an den Schädel knalle.

Ich bin unpolitisch. Und das bekennend! Die Leute verwechseln da was, können nicht eins und eins zusammenzählen. Weil ich so unpolitisch bin, werde ich gezwungen, wie ein Politischer herumzulaufen. Ich bin politisch, weil ich unpolitisch bin. Dieses ganze Gequatsche über Wirtschaft und das dazugehörige Wachstum, Arbeitsplätze, Parteien und deren Visionen, die sowieso nie Realität werden, es sei denn, es handelt sich um düstere Visionen, denen immer Atem eingehaucht wird. Diese ganze unerträgliche Schwafelei! Kein Mensch kann das ertragen wollen, kein Mensch kann sich zwischen dem Herunterrattern von Worthülsen und parteilichen Parolen wohlfühlen, menschlich fühlen. Das was sich heute als Politik manifestiert ist weltfremde Wichtigtuerei, Bütteldienst für Wirtschaftsbarone. Soll ich also in politische Diskurse einsteigen, somit mitbütteln und deren eindimensionale Dialektik übernehmen? Soll ich etwa linke Sichtweisen über Wirtschaftswachstum vertreten, das heißt, Ansichten die von links her erklären wollen, wie man Wachstum erzielen und erweitern kann? Politik, egal von welcher Seite, spricht von Wachstum, Demographie und Schaffung von Arbeitsplätzen - ich halte das meiste davon für unwesentliches Geschwätz, für Alibilamentos, die an der Lebensrealität der meisten Menschen vorbeigehen. Innerhalb des politischen Diskurses will und kann ich mich nicht bewegen - ich bin eben unpolitisch.

Nein, mich trieb immer schon etwas anderes. Etwas, wovon mein Vater glaubte, es würde mir mal viele Sorgen bereiten, würde mir das Leben schwer machen. Mein Gerechtigkeitsempfinden war immer riesenhaft, schon als Kind konnte ich es oftmals kaum fassen, wie Menschen, damals vorallem meine Mitschüler, von anderen Menschen, damals von Lehrern, ungerecht behandelt wurden. Als Kind ließ ich daher mal einer ungerechten Lehrerin wissen, dass mein Vater sie besuchen, ihr säuberlich die Fresse polieren werde. Naja, ich habe es feiner, kindgerechter ausgedrückt, aber gemeint habe ich genau das. Mein Vater war in meinen Phantasien der heilige Zorn meiner selbst. Er nagelte die Dame an die Tafel und traktierte sie gleich George Foreman Muhammad Ali in Kinshasa. Phantasien eines jeden, der Gerechtigkeit als Mangelware kennenlernen durfte. Lächerliche Phantasien, denn wie einst Foreman doch noch unterlag, weil er sich wild an Alis Nehmerqualitäten abreagiert hatte und seine Kräfte schwanden, so hätte mein boxender Vater ebenso den Kürzeren gezogen. Im Gefängnis wären ihm sicherlich auch die Kräfte geschwunden. Dennoch denkt man so, nicht nur als Kind. Den Unterdrücker im Geiste zu verprügeln, das kann einem keiner nehmen. Welcher Hass muß sich da erst in Menschen aufbauen, die in Entwicklungsländern leben müssen, die Gerechtigkeit lediglich als Werbeslogan von industriestaatlichen Plakaten her kennen?

Zorn treibt mich an, verletzter Gerechtigkeitssinn. Alles was ich hier, in dieses Tagebuch schreibe, ist nicht politisch motiviert. Ich habe nicht den Anspruch, mich als Politologe zu verkappen, will mich nicht an verwissenschaftlichten Ausdrücken ergötzen, die nichts als leere Hülsen für Nichtigkeiten sind. Nein, diesen Anspruch habe ich nicht, das heißt, ich habe nicht die Tristesse dazu, mich politologisch zu betätigen. Obwohl Melancholiker, so traurig kann man gar nicht sein, um mit verwissenschaftlichen Floskeln um sich werfen zu wollen. Denn innerhalb dieser wissenschaftlichen Kategorie findet sich kein ethisches Maßband. Es wird zugunsten schöner Termini und wohlklingender Schlagworte verworfen. Wissenschaft darf doch nicht moralisch sein – das kennen wir ja. Ich bin viel zu unpolitisch, um die Moral über Bord werfen zu können. Was wiederum aber auch heißt: Moralist könnte ich sein, das gebe ich zu. Aber Moralapostel bin ich nicht, denn ich sündige selbst ja auch zuweilen - weil ich Mensch bin. Nichts Menschliches ist mir fremd. Moralisch und menschlich! Wer sich so einteilt, der kann kein politischer Mensch sein.

Ich glaube, eine perfekte Welt würde sich dadurch auszeichnen, dass kein Mensch mehr genötigt wäre, sich politisch hervorzutun. Wenn jeder Mensch auf Erden Teilhabe am Reichtum der Menschheit erlangen könnte, dann wäre das, was wir heute Politik nennen, keine Option mehr. Freilich hätten sich kleine Gruppen und Kooperationen über bestimmte Umstände zu besprechen, Regelungen zu treffen. Aber das wäre weniger politisch als familiär, es wäre gelebte Gemeinschaftlichkeit, kein abstraktes Politikum, ausgeführt von einigen stellvertretenden Wort- und Meinungsführern jenseits unseres Lebensumfeldes, irgendwo in einem Parlament. Indes ist mir bewusst, dass diese perfekte Welt nicht auf dem Spielplan des Menschheitstheaters steht. Oder noch nicht steht. Möglicherweise bin ich aber auch zu sehr Kind dieser Zeit, als dass ich mir vorstellen könnte, dass ein letzter menschlicher Akt friedvoll und unpolitisch aussehen könnte. Ich irre mich gerne, weil ich Mensch bin. Sich irren zu können beruhigt, es zeigt Menschlichkeit.

Freies Menschsein empfinde ich als unpolitische Zone. Und Menschen, die sich eine solche Zone erdenken können, selbst wenn sie zunächst noch nicht daran glauben können, die sind im Grunde ihres Handelns unpolitisch. Sie werfen sich nicht ins Politische, um dies Geschäft in die Unendlichkeit auszudehnen, damit auch ja immer Diskussionsstoff zurückbleibt, über den sich weiter und weiter politisieren läßt. Sie versuchen das Politische zu einem Ende zu bringen. Schon deshalb kann kein freiheitlich denkender Mensch wahrhaft annehmen, jemand aus dem „Berufsstand“ des Politikers würde eine Politik betreiben, die die Politik letztlich überflüssig mache. Was täten wir dann mit dem Reichstag? Der steht ja dann leer!

Ich bin unpolitisch, daher wirken meine Texte so politisch. Dafür kann ich nichts. Wäre die Ungerechtigkeit heute Geschichte, würde Teilhabe herrschen, würde Freiheit ohne staatliche Einflussnahme beschert, ich würde mich darüber freuen, hier nicht mehr schreiben zu müssen. Dann könnte ich über die schönen Dinge des Lebens schreiben, über berichtenswerte Dinge, über Umstände, die mir innerlichen Segen und nicht Magenverkrampfungen bereiteten. Ein politisch Getriebener! Das ich nicht lache! Das Unpolitische läßt mich handeln. Ich bin unpolitisch! Daher manchmal unbeliebt bei Politischen. Freilich wird man in politisches Land gesetzt, wenn man sich zu Fragen unserer Zeit äußert. Aber das tue ich nicht aus Leidenschaft, weil ich etwa gerne rhetorisch glänzte. Ich tue es, damit es getan ist - und damit es vielleicht Wirkungen zeigt. Ich wäre glücklich, wenn ich es nicht mehr tun müßte, weil mein Gerechtigkeitssinn verkündete: So, jetzt ist es vollbracht!

Aber bis dahin ist es ein weiter Weg, wenn es überhaupt einen Weg dorthin gibt. Zumal ich alles viel zu persönlich nehme. Noch lebe ich, noch bin ich Person, noch kann ich persönlich es persönlich nehmen - wer es nicht mehr tut... na, ich will nicht sagen, der sei schon tot, aber er ist auf dem besten Wege, probiert schon sein Leichenhemd, liegt schon Probe im polierten Eichenholz, liegt schon zur Ölung darnieder. Wer nicht mehr persönlich nimmt, verrät seine Person, verrät sich selbst, gibt sich auf. Tut mir leid, aber besonders lebensbejahend wirkt das nicht.

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Allein wie eine Mutterseele

Mittwoch, 19. August 2009

Ein Gastbeitrag des Kreisler-Begeisterten Seldon.

Vor einigen Tagen hat Roberto einen Text von Georg Kreisler veröffentlicht. Das hat mich sehr gefreut, denn ich glaube nicht, dass er allzu vielen noch ein Begriff ist. Und das ist schade. Wie kaum ein anderer Kabarettist und Liedermacher versteht es Kreisler nämlich, politische, soziale, kulturelle Erscheinungen nicht nur bissig zu kommentieren, sondern sie zu analysieren, auf den Punkt zu bringen, und das mit einer Sprachgewandtheit und einem Witz die ihresgleichen suchen.

Kreisler ist mittlerweile 87 Jahre alt und seit über 50 Jahren tätig: als Musiker, Komponist, Sänger, Dramaturg, Regisseur, Schriftsteller. Als Wiener Jude mußte er in der Nazi-Zeit in die USA emigrieren, wo er für den Film Musik schrieb und spielte (seine Klavier spielenden Hände "doubelten" mal die Hände Chaplins). Wer sich näher mit seinem Leben befassen möchte, findet in seinen Büchern oder folgenden Webpräsenzen sicher genug Stoff. Was Kreisler so einzigartig macht, ist die Mischung aus bitterbösen, makaberen Humor, einem Sarkasmus der weh tun soll, einem gerechten Zorn und einer poetischen Kraft, einer Feinfühligkeit, einer Verletzlichkeit, die Kreislers Lieder so unter die Haut gehen lassen.

Kreisler selbst sieht sich so: "Ich begreife mich natürlich als politischer Liedermacher, eigentlich fast mehr als Schriftsteller denn als Liedermacher - ich mag das Wort eh nicht sehr. Von den Produzenten, Veranstaltern und Kritikern bin ich auch immer politisch begriffen worden, wurde immer sehr vorsichtig und dosiert eingesetzt - das geht auf die vierziger Jahre zurück, bis heute... Politisch einzuordnen dürfte ich schwer sein, Partei gehöre ich keiner an, bin noch immer amerikanischer Staatsbürger, Heimat habe ich keine. . ."

Und er ist wütend und schreit seinen Zorn hinaus. Gibt damit all jenen eine Stimme, die die Kraft, den Mut oder einfach die Fähigkeit nicht haben, ihre Wut zu artikulieren.

"Sie sind so mies. Ja, sie sind so mies,
die großen und die kleineren Verbrecher.

Der schönste Platz wird kein Paradies -

sie bohren überall dieselben Löcher.

Sie schrauben dir die Blumen und die Bäume ab

und treten dich voll Freude in den Bauch.
Sie sind so mies, ach, so schrecklich mies,

und sie glauben, alle andern sind es auch."

- Sie sind so mies -

"Das Persönliche ist politisch, wie alle so verdammt gerne betonen. Wenn also irgendein idiotischer Politiker, irgendein Machtspieler, eine Politik durchzusetzen versucht, die euch oder euren Angehörigen schadet, dann nehmt es persönlich! Regt euch auf! Die Maschinerie der Justiz wird euch dabei keine Hilfe sein, sie ist langsam und kalt, und ihre Hard- und Software liegt in den Händen der Politiker. Nur die kleinen Leute leiden unter der Justiz, die Kreaturen der Macht entziehen sich ihr mit einem Grinsen und Augenzwinkern. Wenn ihr Gerechtigkeit wollt, müsst ihr sie den Machtmenschen aus den Händen reißen. Macht es zu einer persönlichen Angelegenheit! Richtet so viel Schaden wie möglich an. Macht euch verständlich! So habt ihr eine wesentlich bessere Chance, beim nächstem Mal ernst genommen zu werden. Für gefährlich gehalten zu werden. Und in diesem Punkt solltet ihr euch keinen Illusionen hingeben: Nur wer ernst genommen wird, wer als gefährlich gilt, kann etwas bewirken. Das ist für sie der einzige Unterschied, der zwischen den Machtspielern und den kleinen Leuten. Mit Machtspielern werden sie sich einigen. Kleine Leute werden liquidiert. Und immer wieder werden sie eure Liquidation, eure Verdrängung, eure Folterung und brutale Hinrichtung mit der größten Beleidigung rechtfertigen: dass alles nur das übliche Geschäft der Politik ist, dass es nun einmal so und nicht anders in der Welt zugeht, dass das Leben nicht einfach ist und dass man es nicht persönlich nehmen sollte. Scheiß drauf! Nehmt es persönlich!"
- Richard Morgan, "Das Unsterblichkeitsprogramm" -

Kreisler nimmt persönlich, und er fordert dazu auf persönlich zu nehmen. "Kommt der Kissinger morgen zu Besuch, gib ihm keinen Kaffee!"

Aber er weiß auch, wie einsam dieser Weg machen kann, "denn die Majorität ist in jedem Fall bleed" und "wer immer was andres will als die Andern,
Muß natürlich sein Bündel schnüren und wandern.

Doch wir sind nicht so roh, wir helfen ihm packen und so,
Und wir tragen sein Gepäck, winken bis zum Eck,

Lassen seine Frau mit ihm weg."

- Anders als die Andern -

Natürlich ist es frustrierend ins Leere zu rufen, keine Resonanz zu spüren, keine Veränderung.

"Ich soll immer was Lustiges schreiben.

Aber das laß ich vorläufig bleiben,
weil ich nirgends, egal, wo ich gehe,

auch nur irgendwas Lustiges sehe.

Und da biegt sich mir die Feder nicht,

es laufen meine Räder nicht.

Was ich auch schreibe, schwemmt die Wahrheit fort,

und jede Pointe verdorrt.


Doch die anderen leben wie immer.

Und sie schreiben wie immer, nur dümmer.

Und sie sagen von mir: Was soll sein?

Er ist alt, und jetzt fällt ihm nichts ein."

- Ich soll immer was Lustiges schreiben -

Der Rufer in der Wüste leidet selbst am meisten an Durst und Erschöpfung, und trotzdem kann er nicht anders als zu rufen. Die Oasen sind ihm versperrt. Er kann sie nur zu dem Preis der Selbstaufgabe erreichen, also ruft er weiter. Und obwohl er es kaum für möglich hält, erreicht seine Stimme den einen oder anderen. Karawanen ziehen vorüber, offenbar ohne ihn zu bemerken, aber seine Lieder klingen denen, die dafür offen sind, in der Seele, geben ihnen Kraft für den Rest des Weges, vielleicht gelingt es sogar manchmal, die Karawane aufzuhalten, ihre Richtung neu zu bestimmen.

Deshalb ist er wichtig. Und mit ihm all jene, die, wie er, rufen, mahnen, informieren, bloggen, demonstrieren, aussteigen, Projekte initiieren, Zeitungen machen, Artikel schreiben. Und dieser Weg ist der einzig richtige: "Allein, wie eine Mutterseele, so mach Revolution, dann ist sie Deine..warte nicht auf Lenin und Godot...." Laß Dir nichts erzählen, nichts vormachen, Dich nicht für dumm verkaufen, öffne die Tür und geh' durch! Nimm es persönlich, aber vergiss Dich selbst und den Spaß am Leben nicht dabei:

"Wenn nicht Liebe, was sonst? Nur Gehorsam?
Aus Gehorsam bin ich nicht für dich entflammt.

Und mir leuchtet viel mehr ein,

für die Liebe tot zu sein,

als für Vaterland und Bundeskanzleramt."

- Wenn nicht Liebe, was sonst -

Es lohnt sich, Georg Kreisler (wieder) zu entdecken. Ein paar Lieder gibt es bei youtube, seine Platten und CD's bei kip-media.de.

Der Verfasser ist über e-Mail erreichbar. Seine Adresse lautet: Seldon-X@web.de

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De dicto

Dienstag, 18. August 2009

"Sänger Jan Delay (32) macht super Musik, redet aber Blech! Er hat Verständnis für Kriminelle, die Autos anzünden. „Jeder braucht wohl sein Ventil und muss mal Druck ablassen. Für 50 Prozent der Leute ist es Entertainment und für die anderen wirkliche Agitation“, sagte der Hip-Hop-Musiker aus Hamburg „welt.de“.

BILD meint: Gewalt gegen Menschen fängt mit Gewalt gegen Sachen an!"
- BILD-Zeitung, Verlierer des Tages vom 17. August 2009 -
Zum Gesagten sei angemerkt: Bloß nicht verstehen, bloß nicht begreifen wollen! Wer versucht die Ursachen für Gewaltakte frustrierter Menschen, das Verhalten gewalttätiger Jugendlicher zu ergründen, der verbrüdert sich aus Sicht der BILD mit den Gewalttätigen selbst. Dem geht es nicht um Erkenntnis, dem geht es um Legitimation. Wer darlegt, weshalb Menschen derart die Schnauze voll haben könnten, so sehr, dass sie sogar dazu übergehen, ihre Aggressionen an Gegenständen abzureagieren, der macht den Akt der Vernichtung erklärbar, der entweiht ihn der reinen Boshaftigkeit, macht ihn verständlich.

Denn in diesen Sphären der Boshaftigkeit siedelt der Konservatismus jede Form außerstaatlicher Gewalt an. Menschen demolieren und verbrennen Autos, nicht weil sie frustriert sind, weil sie Aufmerksamkeit benötigen, sondern weil sie abgrundtief böse sind, einen Hang zur dunklen Seite menschlichen Aktionismus' haben, weil sie gerne zündeln, zerschlagen, zerdeppern. Gewalttäter aus Leidenschaft! Und wehe dem, der da auftritt und meint darlegen zu müssen, dass die Ursache nicht das sinnlos Böse ist, sondern die soziale Ausgrenzung, das Angewidertsein von einem Staat, der mehr und mehr polizeistaatliche Züge trägt. Ob das freilich sinnvoll ist, ob es Wirkung zeitigt, ob durch brennende Kraftfahrzeuge politischer Wandel bewirkt wird, wird bei der Begründung freilich nicht thematisiert und ist daher zunächst unwesentlich.

Und so schließt die BILD mit der Binsenweisheit, dass Gewalt gegen Menschen mit Gewalt gegen Sachen beginne. Aber es ist andersherum, ein Blick in französische Banlieues genügt, in denen Migrantenkinder weggesperrt werden, einer hoffnungslosen Zukunft harren, ausgegrenzt sind. Eingepfercht in Betonblockpromenaden hat die Gewalt bereits am Menschen begonnen, an den Menschen aus dem Maghreb, an den Kindern dieser Migranten aus Nordafrika. Gewalt gegen Sachen ist demnach die Reaktion auf Gewalt gegen Menschen. Einer Gewalt, die in Form gewaltiger Ausgrenzung stattfand und auch weiterhin stattfindet. Zuerst werden Menschen unterdrückt und entwürdigt, dann zerschlägt man das Ding.

An diesem finalen Satz der BILD erkennt man deutlich, von welcher Seite aus Ereignisse in diesem Blatt kommentiert werden: Für die Verständnislosen an der Zertrümmerungswut, für diejenigen, die glauben, man zertrümmere aus boshafter Passion, ist die Gewalt an der Sache Vorläufer weiterer Gewalt, die dann am Menschen begangen wird. Für denjenigen jedoch, der erkannt hat, dass man nicht aus Lust und Laune randaliert, ist die Gewalt an der Sache Reaktion auf bereits ausgeführte Gewalt am Menschen. Letztere Sichtweise entzaubert die Gewalttat der transzendenten Boshaftigkeit, holt sie auf den profanen Boden zurück, macht sie fassbar, verstehbar - erlaubt es, dass durchdacht wird, wie solcherlei Reaktionen gebannt werden können. Die erste Sichtweise erlaubt nur Reaktionen, die mit Polizeiknüppeln auf platzende Hautpartien aufgetragen werden. Wer versteht, wer das auch noch offen ausspricht, der unterbindet repressive Mittel, der unterläuft den gängigen Kurs der Eskalation, der deeskaliert und schadet damit pervertierter Gesellschaftspolitik, die zugunsten bestimmter Bevölkerungsschichten betrieben wird; wer versteht und begreift, agitiert gegen diese Bevölkerungsschichten und wird von ihnen und ihren Verlautbarungsorganen zum Mittäter geadelt.

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Wer behindert, wird verbehindert

Montag, 17. August 2009

Es mag ja noch nicht der Regelfall sein, doch zeigt jener (Einzel-)Fall, in dem man eine Erwerbslose nach Aktenlage für geistig behindert erklärte, das ganze Menschenbild derer auf, die sich je für jene Reformen der Menschenverachtung einsetzten. Es ist genauer besehen auch gar kein Menschenbild, dem hier hörig und pflichtversessen gefolgt wird, es ist ein Gegenstandsbild, denn der Mensch wurde getilgt, ausgemerzt, weil er unkalkulierbar ist, weil er fehlerhaft sein kann. Er wird zum nummerierten Gegenstand, ein Objekt behördlicher Begierde. Die Person erhält eine behördliche Kundennummer, ist dabei soviel Kunde wie Wellensittich - wobei letzterer ein Lebewesen wäre und keine nummerierte Karteileiche, die zufällig auch in einem menschlichen Körper schlummert -, wird nurmehr als Anreihung von Zahlen wahrgenommen, wird schlicht zu Papier, zu Karton, zur Karteikarte. Der Mensch wird zur Aktenlage, wird nach Aktenlage bewertet, nach Aktenlage kategorisiert, nach Aktenlage fallengelassen. Er ist zur Nummer heruntergesetzt, ist zum Objekt verschiedenster Verwaltungsakte verwandelt, zur toten Materie aus Druckerschwärze und Papier.

Das für sich wäre schon tragisch, aber was nebenher aus dieser toten Materie gemacht wird, nämlich eine genetische Fehlkonstellation, ist um Längen schlimmer, auch gefährlicher. Soziale Hemmnisse, gesellschaftliche Barrieren, wenn beispielsweise fehlende Arbeitsplätze uminterpretiert werden, folglich aus äußeren Einflüssen innere werden, wenn die Tatsache, seit Jahren keinen Arbeitsplatz zu finden, zu einer genetischen Ursache umgedeutet wird, dann bewegt man sich in den höchsten Sphären des Sozialrassismus. Unfähigkeit, Pech, falsche soziale Herkunft, lange Arbeitslosigkeit: all das sind sozio-ökonomische Wurzeln, die bestimmte Umstände beeinflussen und manifestieren. Diktaturen neigten häufig dazu, jemanden der zu viele solcher schlechten Einflüsse auf sich vereinte, zu pathologisieren. Dann war er kein Pechvogel, sondern ein Geistesgestörter. Die Herren dieser Gesellschaft sind stolz darauf, einem Staat vorzustehen, der keine Diktatur ist: Deswegen ist bei uns auch niemand geistesgestört, deswegen sind unpassende Charaktere geistig behindert - an den Worten werden sie gemessen.

Der genetische Makel unterbindet es, konkrete Maßnahmen zu ergreifen. Wenn jemand aus geistiger Behinderung heraus nicht arbeiten soll, dann muß auch keine Sorge dafür getragen werden, Arbeitsplätze zu schaffen, keine Politik betrieben werden, die auch Normalarbeitsverhältnisse ermöglicht. Es lohnt sich ja nicht, denn der Behinderte könnte die Stelle eh kaum antreten. So wird herrschaftliche Wahrheit gemacht: Gegenden in denen Arbeitslosigkeit floriert, leiden nicht an Arbeitsplatzmangel, sondern an einem Gemisch aus Faulen und Behinderten. Und wer durchgehend faul ist, das heißt, wer seit Jahren keine Arbeit findet, der muß doch geradewegs behindert sein. Denn irgendwas hindert ihn ja an der Ergreifung einer Arbeit. Arbeitsplatzmangel? Mitnichten! Denn wer arbeiten will, der findet auch Arbeit. Wer nicht will, bleibt ewig arbeitslos, ist also ein fauler Socken. Da wir in humanen Zeiten leben und hinter jeden Eigenartigkeit einen Mangel wittern, der womöglich auch noch in die DNS gegossen ist, ist der Rückgriff auf einen genetischen Defekt nicht ungewöhnlich. Dies sind die Segnungen wissenschaftlicher Zeitalter, in denen Wissenschaft nicht mehr Wissen schafft, dafür aber Machtstrukturen begünstigen soll.

Was jener Frau widerfuhr, ist sicherlich nicht das Ende der Fahnenstange. Was innerhalb der Sozialgesetze an großen und kleinen Sozialrassismen praktiziert wird, in Zeiten, in denen schöne Statistiken wie lauter kleine Eldorados aus der Ferne winken sowieso, kann nur als Einstieg einer bürgerlichen Auffassung von Genetik begriffen werden. Jemand ist mit seinem Arbeitsplatz und dem damit verbundenen niedrigen Gehalt zufrieden? Zufriedenheit ist ein Gendefekt! Jemand verfällt nicht in Depressionen, obwohl er schon ewig und drei Tage arbeitslos ist? Unbeschwertheit ist ein genetischer Mangel! Jemand lebt selbstversorgend, versucht sich wenigstens teilweise als Aussteiger? Wer sich von der Gesellschaft abwendet, muß an asozialen Genverunreinigungen leiden! Jemand läßt Propaganda nicht über sich ergehen, gibt Widerworte, weiß es immer besser, pocht auf sein Recht? Soviel Querulanz ist doch krankhaft! Jemand bezweifelt, ob ein Wirtschaftssystem aus Wachstum und Expansion einen Segen für die ganze Menschheit darstellt? Wer hier zweifelt ist boshaft, muß geradezu geistig behindert sein!

Wenn jemand seit langer Zeit ohne Arbeit ist, so wie jene Frau, die aus Sicht der Behörde nur ein Objekt ist, das man ebensogut aus der Ferne begutachten und bewerten kann, wenn man also folglich Ewigkeiten dem Steuerzahler auf der Tasche liegt, damit der Gesellschaft Kosten aufbürdet, nicht mehr gesellschaftsfähig ist, asozial wird, dann kann man scheinbar geistige Behinderung attestieren. Noch begrenzt sich dies auf das Sozialgesetz. Aber immer rigidere Eingriffe in Freiheitsrechte, in Fragen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit beispielsweise, werden in Zukunft auch erlauben, besonders freiheitsliebende Menschen zu pathologisieren. Schon heute nennt man außerparlamentarische Oppositionskräfte Verschwörungstheoretiker, wenn sie auf das Zusammenspiel von Wirtschaft und Politik verweisen. Vom Verschwörungstheoretiker zum Irren ist es dann nur noch ein kleiner Schritt. Denn man muß es so sehen: Jemand der immer wieder querschlägt, ständig die Gesellschaft mit seinem Defätismus nervt, den reibungslosen Ablauf der gesellschaftlichen Gleichschaltung stört, also ständig ganz asozial Behinderungen in den Weg legt, die offensichtlich niemand aus der Gesellschaft haben möchte, der muß doch an inneren Barrieren leiden, der muß doch irgendwie gehemmt sein, weil er es nicht vermag, sich in die Reihen einzuordnen und mitzumarschieren. So einer leidet doch an inneren Behinderungen, der muß behindert, geistig behindert sein. Sein Wesen behindert ihn dann beim Dabeisein, beim Mitmachen, beim Mitziehen am gleichen Strang. Es kann nur sein Wesen sein, in ihm muß die Behinderung gefunden werden, denn außerhalb, im sozialen Umfeld, in der Gesellschaft, steht alles zum Besten, dort hatten und haben alle die gleichen Chancen. Wer diese nicht nutzte, kann nur selbst schuld sein, stand sich mal wieder selbst im Wege, behinderte sich selbst und die Gesellschaft der Steuerzahler: einer solchen genetisch erkrankten Figur drückt man dann den Stempel auf die Stirn, den Stempel der Behinderung.

Die bürgerliche Gesellschaft im Stile der heutigen Liberalen macht es ganz deutlich: Wer uns behindert in unserem Tun, den verhindern wir, indem wir ihn verbehindern...

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Vom Mischen der Farben

Samstag, 15. August 2009

Dass die deutsche Sozialdemokratie ebenso unschuldig ist an einer inhumanen, militaristischen und weltfremden Politik wie Deutschlands unierte Christen, ist an allen bundesrepublikanischen Stammtischen klar analysiert und ausgewertet worden. Beide Fraktionen tragen keine Schuld, beide Fraktionen sind partnerschaftlich gehemmt. Nur daran lag und liegt es. Wie herrlich wäre deutsche Politik, müßte die Union nicht auf die SPD oder die SPD nicht auf die Union achten! Was aber seit Jahren aus dem Darmbereich der Gesetzgebung bläht, sind Kompromisse, die niemand nützen, sind nichts Halbes und nichts Ganzes. Und ethisch ist es schon dreimal nicht. Aber beide Parteien können dafür nichts - die Koalition trägt Schuld daran. Die Koalition, dieser in Zahlen gegossene Wille des Wählers, muß als Schuldiger herhalten. Denn hemmte die SPD die Union nicht, würde die Union nicht der SPD ins Handwerk pfuschen, dann wäre alles besser und gerechter und in Sonnenschein gehüllt.

Die Koalition ist das Schutzbiotop regierender Parteien. Alleine wären sie geheiligte Einrichtungen, die ihre Visionen am Land abreagieren könnten - aber wenn sich die Bevölkerung noch einen manisch-repressiven Kandidaten ins Boot holt, dann zerfleischt man sich naturgemäß nun mal. Jedenfalls stellt man das in der Öffentlichkeit gerne so dar. Es wirkt professionell, wenn zwei Parteien so tun, als würden sie sich zwar grundlegend unterscheiden, aber dennoch zueinanderfinden, um dem Land zu dienen. Dieses Pathos verehren viele Menschen, das gibt der Politik einen idealistischen Anstrich, eine beinahe göttliche Aura. Dann ist Politik eben doch nicht das ungeliebte Handwerk herrschender Interessen, doch nicht Zurechtbiegeapparatur, in der herrschende Interessen zu angeblichen Interessen des Volkes gebogen und geklopft werden. Wenn zwei so unterschiedliche Kandidaten sich aus Vernunftgründen ehelichen, muß es sich um eine hehre Einrichtung handeln, um der Profanität enthobene Liebe am Nächsten, denn man verbindet sich unter Schmerzen mit dem Feind, um den Menschen dieses Landes dienlich zu sein. Wer so selbstlos handelt, der nährt Vertrauen und zerschlägt das eigentlich angebrachte Misstrauen.

Möglicherweise bahnt sich eine neue Koalition an. Die Union bleibt als Elternteil dieses Vaterlandes erhalten, nur verheiratet man sich möglicherweise neu. Mit einer Prostituierten, wie es heißt - aber dieser Vorwurf ist unfair, denn prostituiert haben sich politische Parteien alle irgendwann einmal. Jedenfalls wählt keiner Schwarz-Gelb: Man wählt Schwarz oder eben Gelb. Jeder überzeugte Wähler seiner Farbe ist sich dabei auch bewusst: Würde nur die Reinheit bewahrt, würde nur Schwarz oder würde nur Gelb regieren dürfen: es wäre eine politisches Paradies, es ginge aufwärts, es würden azurblaue Himmelszelte über unseren Köpfen aufgehen. Doch dann ist man urplötzlich koaliert, steckt dem Partner einen zeitgebundenen Ehering an die Kralle, wirft sich in den öden Ehealltag und versucht Schuldige zu finden. Ja, Schuldige, denn die Ehepartner stehen unter Beschuss, weil sie eine menschenverachtende, polizeistaatliche, kriegerische Politik verfolgen. Aber natürlich sind beide Partner unschuldig. Als man noch unverheiratet war, heißt es dann, da konnte man noch gut miteinander leben, aber nun, so zusammengeschweißt nach dem unheilbringenden Jawort, da ist das Leben doch so anders geworden, so kompliziert und gebunden. Immer faule Kompromisse, immer unfreie Entscheidungen fällen müssen: da muß doch politischer Schrott zustandekommen. Ja, wären wir Unionisten nur Single! Ach, würde man uns Liberale nur namensgemäß herrschen lassen! Aber miteinander?

Schwarz-Gelb, Rot-Grün, Schwarz-Rot gibt es gar nicht. Es gibt bestenfalls Schwarze und Gelbe, Rote und Grüne, Schwarze und Rote. Die Vermischung der Farben ist ein Alibi. Die matschige Farbe, also das Produkt sich vermengender Farben, ist die Räuberhöhle der herrschenden Politik. Wenn sich schwarze Menschenfeinde und rote Widerlinge treffen, um Gesetze wider dem Volke zu verabschieden, dann ist es für sie vorteilhaft, die strenge Farbentrennung aufzuheben. Dann wird aus Schwarz und Rot ein Braunton, aber ein Braunton, für den niemand was kann. Man mußte eben die Schweinerei verabschieden, trauert der Sozialdemokrat, weil der Christdemokrat es so wollte; man mußte leider diesem Ausgleich zustimmen, sagt der unierte Christ, damit hat der Sozi unsere eigentlichen Absichten verwässert. Was dann am Ende aus der Rosette der Gesetzgebung herauspupst, dieses Gas mit braunem Gusto, ist niemanden Produkt - es war die Koalition, die war schuld! Sie hat das bewirkt, sie wollte das! Dieses Ungeheuer, dieses heilige Sakrament der parlamentarischen Demokratie, dieses widernatürliche Regieren, das jedem natürlichen Machtgelüst' nur im Wege steht. Hängt die Koalition! Dabei sollte gerade die grüne Politik, zufällig genau dann im Amt, als in diesem Lande ein sozialer Kahlschlag veranstaltet wurde, wie nie zuvor in der Geschichte, dabei sollten die Grünen doch eigentlich nicht ans Hängen der Koalition denken. So können sie sich schön im Ehealltag verstecken und die eigenen Sünden an jener Enteignung und Entrechtung an den Schwächsten dieser Gesellschaft kaschieren. Wir waren unschuldig, das waren Zwänge innerhalb der Koalition. Es lebe die Koalition!

Die gelben Herren betonen dieser Tage immer wieder, sie stünden dem schwarzen Pascha, der einfach nur die Ehefrau austauschen würde, fern. Man unterscheide sich, könne sich eine Ehe nur sehr schwer vorstellen. Hier wird darauf hingearbeitet, die spätere Koalition zum Schuldigen zu machen. Schließlich habe man vormals immer vor dieser Heirat gewarnt, man wollte ja gar nicht, aber der Wähler wollte die Vernunftehe. Der Wähler ist somit selbst schuld, wenn aus der neuen Koalition, die keine Liebesheirat war, nur brauner Wind dem därmischen Gewirr entfleucht. Das Schwarze hadert dann mit der Welt, weil kein Ehepartner je wirklich passend war, weil man sich unverstanden fühlt; das Gelbe wird sich darüber ereifern, dass der schwarze Pascha einfach kein Verständnis zeigt, immer nur seine Dominanz durchpeitschen will. Und am Ende, wenn man an Scheidung denkt, weil eine neue Wahl mögliche neue Partner ins Spiel zurückbringt, kommt erneut die Einsicht, dass die Koalition schuldig war. Nicht Schwarz, nicht Gelb, sondern Schwarz-Gelb. Das erfreut auch potenzielle Wähler dieser Farben, denn damit bleiben ihre Lieblingsfarbtöne auch zukünftig wählbar, denn die braune Emulsion, die aus der Koalition heraustropfte, war ja nicht das Werk von Schwarz oder Gelb. Es war nichts anderes als der ausgepresste Saft eines brutalen Rosenkrieges; es war die Mixtur aus Zwängen, für die beide Farben nichts dafür können.

Wir haben in diesem Land keine menschenverachtenden, militaristischen oder ausbeuterischen Parteien. Jeder Ehepartner für sich ist ein feiner Kerl. Aber wenn ihm nach der Hochzeit die Ehehölle bereitet wird, dann entstehen schuldlos einfach braune Gebräue. Jemanden, der die Ehehölle durchlebt, hat man zu verzeihen. Er ist nicht er selbst, er ist sich und seinen edlen Absichten entfremdet, wird getrieben, wird leicht lenkbar, weil ihm das letzte Quäntchen Widerstandskraft langsam aus den Venen gesogen wird. Sicher, Rot und Grün haben sich bräunlich vermengt seinerzeit, sie haben repressive Gesetze aus ihrem Darm entfliehen lassen, haben die gesellschaftliche Stellung derer, die auf den Bodensatz der Gesellschaft gedrückt werden, verschlechtert. Aber seien wir nicht katholischer als der Papst: Diese armen Lebensgefährten haben sich ehelich zerfleischt, so sehr, dass die Ergebnisse ihres Handelns nicht rational begutachtet werden dürfen. Die Koalition war damals schuld, aber nicht die SPD und die Grünen schon gar nicht. Wir haben keine Parteien, die bräunlich-ranzig riechen, nur die Koalitionen tragen braunes Duftwasser. Das will man auch gar nicht verbieten, man spricht sich nur für Verbote solcher Ehepartner aus, die schon vorehelich braun waren. Mit Braunen kann man sich auch nur schwer mischen, es käme ja nichts Braunes dabei raus...

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