Schatz, ich bitte dich, vergib mir. Ich weiß ja selbst nicht, wie es dazu kommen konnte, wie mir da geschah. Schatz, ich verstehe dich, ich kann es nachvollziehen, dass du die Scheidung willst. In so einem Moment ist man zu drastischen Schritten bereit, nur danach bereut man es dann. Komm, Schatz, laß mich dich ansehen, dreh' dein Köpfchen zu mir, ich will nur einen Blick drauf werfen. Ach Schatz, keine Angst, ich berühr' dich auch nicht. Mensch, ich lieb' dich doch. Versprochen, ich gucke mit den Augen, nicht mit den Fingern. Gut so, vernünftig von dir! Nein, da kann ich entwarnen, gebrochen ist wohl nichts. Aber ein blaues Auge könnte es werden, es ist ziemlich angeschwollen. Du solltest es kühlen.
Doch, ich begreife ja, dass du mir Vorwürfe machen mußt. Nur dass ich eine patriarchalische Drecksau bin, das lasse ich nicht gelten. Schatz, hör endlich auf mit diesem ewigen Feminismuskram! Das geht jetzt seit Jahren so, seitdem du diese verstockte und vertrocknete Alice aufgegabelt hast. Anfangs meinte ich noch, die meint das spaßig. Später habe ich erst bemerkt, dass es ihr todernst war mit ihrem Geschwafel. Und als ihr beiden angefangen habt, mich auf mein Machogehabe hin zu analysieren, da hat sich dieser traurige Faustschlag von eben bereits vorbereitet, in jenem Moment, der bereits einige Jährchen zurückliegt, lag bereits der Faustschlag parat. Als du dich dann mit Alice überworfen hast, hoffte ich ja, du würdest wieder zurückfinden in gemäßigtere Bahnen. Ich war ja immerhin kein Monster, habe dir alle Freiheiten gegeben, dir eigentlich keine Vorschriften gemacht, außer jene, die man sich eben als Ehepartner in idealistischer Ausformung gegenseitig auferlegt. Schatz, aber du hast nicht abgelassen. Immer weiter hast du meine angeblich so patriachalisch untermauerten Verhaltensformen bloßgelegt, hast mich dazu gedrängt, Frauen als eine Art gemächtlose Kopie von Männern zu betrachten.
Ich habe mich immer geweigert, die Sache so einfach anzusehen. Frauen sind keine Kopie von Männern, wären sie das, so muß ich aus meiner Sicht sagen, könnte ich auch mit Kerlen ins Bett springen. Wenn ich einer Frau im Kaufhaus die Türe aufgehalten habe, hast du mir schon Vorwürfe gemacht. Erst glaube ich ja, du seist eifersüchtig, weil ich den Kavalier gab, dabei hast du mir allen Ernstes Vorwürfe gemacht, weil der Kavalier doch ein Gnadenakt des Mannes an die Frau sei, ein Almosen an das schwächliche Geschlecht. Schatz, du bist oft viel zu weit gegangen. Viel zu weit! Oder wenn ich einen nackten Frauenkörper im Fernsehen bewunderte: der Vorwurf war vorprogrammiert. Eine Machosau nanntest du mich dann, einen Voyeur, einen Sexisten. Naja, Schatz, ich schlief in unserer gemeinsamen Zeit nur mit dir - immer mit großen Vergnügen, aber viel zu selten. Es fiele dir schwer, mit einem Patriarchen zu vögeln, hast du immer dort verkündet, wo andere Ehepartner sich gegenseitig Kopfschmerzen vorheucheln.
Nein, Schatz, ich habe es in all den Jahren nicht leicht mit dir gehabt. Wenn ich an deine Vorträge denke, in denen du mir eindringlich erklärtest, dass Karrierismus - die Möglichkeit der Frau, Karriere zu machen also -, das eindeutigste Signal der Emanzipation sei. Mensch! Ich habe nie Karriere machen wollen, bin ich deswegen jetzt nicht emanzipiert genug? Dieses ewige Gewäsch des Feminismus, das Arbeit das oberste Prinzip des Gleichheitsgedankens ist. Weißt du, Schatz, ich bin immer nur zur Arbeit marschiert, damit wir ein Dach über dem Kopf und Fressen im Magen haben. Ich hielt Lohnarbeit nie für besonders gleichberechtigend. Ich habe dir ja nie verboten zu arbeiten, im Gegenteil, ich war der Ansicht, du solltest arbeiten gehen, wenn es dir beliebt, zumal uns einige Groschen mehr nicht schaden würden. Aber dir ging es ja nicht einmal direkt ums Geld, darum, etwas hinzuzuverdienen. Nein, du hast von Selbstverwirklichung gesprochen. Ellenlange Texte zur Selbstverwirklichung! Wenn ich mich selbstverwirklichen wollte, Schatz, ich müßte kündigen, mir kurze Hosen anziehen, in ein Flugzeug nach Vanuatu steigen, dort meine Bücher wälzen, literarische Werke lesen, an intellektueller Bildung nachholen, was ich zuletzt verpaßt habe. In der Sonne Vanuatus, lesend und kühle Getränke schlürfend - da wäre ich selbstverwirklicht. Nicht als Lohnempfänger meines Chefs. Ich habe deine Ansichten dazu nie begriffen. Wie kann man nur so demutsvoll Angestellter sein wollen. Wie gesagt, verboten habe ich es dir nie, ich habe mir lediglich verbeten, dass du mir deine ewige Sklavenmoral, die du ja Emanzipation nennst, unter die Nase reibst. Wenn du arbeiten gehen willst, habe ich erklärt, dann deswegen, damit wir mehr in der Kasse haben, nicht um deinen egoistischen Selbstverwirklichungstrip zu folgen, der am Ende nicht mal egoistisch ist, sondern nur scheinegoistisch, eine ewige und untänige Durchhalteparole für deinen Chef ist.
Ach Schatz, schwer hast du es mir gemacht. Als du angefangen hast, bei Simone nachzulesen, habe ich dir häufig aktiv zugehört, war sogar in vielen, ja in den meisten Punkten, mit Simone d'accord. Nur bei einem zögerte ich, gab keine Zustimmung: Man wird nicht als Frau geboren, man wird zur Frau gemacht. Sicher, ich verstand, was Simone meinte, aber man darf das nicht zu extremistisch sehen. Körperlichkeit und Verhalten bedingen einander, das lehrt uns die Evolution. Wesen verhalten sich so, wie es ihre Körperlichkeit, ihre materielle Beschaffenheit erlaubt; und sie entwickeln sich körperlich so, wie es ihrem Verhalten entspricht - vereinfacht und nicht ganz korrekt erklärt ist das jedenfalls so. Ich würde einen anderen Charakter vorweisen, würde mich anders Verhalten, wenn ich Brüste und Scheide hätte; mit Schwanz wärst du eine andere Persönlichkeit. Jaja, ich weiß ja, Evolution ist herzlose Esoterik - das hast du schon mal deklariert, als ich von Körperlichkeit und Verhalten philosophierte. Menschen sind demnach verschieden, weil sie auch körperlich verschieden sind. Das gilt zwischen Mann und Mann ebenso wie zwischen Frau und Frau. Bei Mann und Frau sieht das natürlich etwas gröber aus, wenn auch nicht so unterschiedlich, wie es Zotenreißer wie dieser... na, wie heißt er? Der, dessen Witze einen langen Barth haben... egal, lassen wir das!... in ihren humorbefreiten Abendprogrammen aufbereiten. Die Unterschiedlichkeit zwischen Mann und Frau ist kein unendlicher Kosmos, sie ist auf einige äußere Merkmale beschränkt, beeinträchtigt damit einige Verhaltensmuster. Man ist eben nicht zur Frau gemacht, man ist sie von Natur aus; man lernt nicht weiblich zu denken, man denkt ganz unbewußt weiblich. Mann und Frau sind nicht Maus und Elefant - manche Männer tun ja gerne so, als sei die Frau ein fremdes Wesen. Wie gesagt, das ist Unsinn, wir sind uns ganz nahe, aber wir sind eben nicht identisch.
Überhaupt, diese trockene und humorlose Albernheit deiner Dogmatik. Schatz, du kommst mir vor wie dieser Hüter im Vatikan, der seine tote institutionelle Religion immer und immer wieder fleddert. Mit demselben Fanatismus hütest du deine Dogmen. Lachen, Flapsigkeit ausgeschlossen; du bist eine verbeamtete Feministin - oder hältst dich jedenfalls dafür. Als du damals in Simones Schriften gewühlt hast, habe ich mir einen Spaß erlaubt. Erinnerst du dich? Ich habe dir übersetzt, habe dir dargetan, dass man Beauvoir mit etwas Wohlwollen mit schöner Blick übersetzen könnte. Dabei sei diese Dame ganz und gar kein schöner Anblick gewesen. Du hast mich fast getötet mit deinen Augen, mit deiner stieren Miene. Ich versöhnlich, den Arm um dich legend, flapsig, auflockernd, meinte daraufhin, dass du nicht so böse starren solltest, nur weil du des Französischen nicht mächtig bist. Schlimmer wäre es, wenn du es mir nicht mehr französisch besorgen könntest. Ein ehelicher Scherz nur - Herrgott, wie soll man denn eine Ehe leben, ohne über das Sexuelle witzeln zu dürfen? Tja, da war sie jedenfalls wieder, die Chauvinistensau! Fellatio als die sexuelle Unterdrückung der Frau, die schlimmste aller Praktiken, die entwürdigendste Variante sexueller Stimulation. Und natürlich: seit jenem Augenblick sind unsere gemeinsamen Französischstunden unter der Gürtellinie auch passé. Jedenfalls einseitig, denn ich darf in geneigten Stunden weiterhin als Franzose durch deinen Schoß schlecken. Nie wäre ich auf die Idee gekommen, dass ich entwürdigt würde, nur weil ich dir zu Füßen liege, während du dich geil im Sessel räkelst. Deine Geilheit war immer meine - für dich war es eine Geschäftsform, in der sich zwei gesonderte und voneinander isolierte Geilheiten vertraglich abzustimmen haben. Wie gerne hätte ich einfach mal en français, s'il vous plaît hinausgeplärrt, als du anderweitig, selbstverständlich feministisch korrekt bei mir zugange warst.
Trotz allem, Schatz, es tut mir leid. Natürlich ist der Faustschlag nicht entschuldbar. Ich will mich auch nicht als Opfer gebärden, nicht jetzt, nicht im Moment da dein Auge anschwillt. Doch deine Indoktrination hat gewirkt, sie wurde am Faustschlag sichtbar. Du solltest dein blaues Auge in spe nicht so negativ bewerten, es nicht als Ausdruck patriarchalischer Gewalt verunglimpfen. Deine jahrelange Arbeit war fruchtbar, Schatz. Lassen wir den Grund des Faustschlags beiseite, ich will es nicht kommentieren, nicht jetzt. Wenn du eheliche Treue für patriarchalische Absicherung hältst, damit die legalisierte Hure auch nur noch den einen Freier in sich hineinläßt, dann gibt mir das natürlich zu denken. Und zu schlagen, wie du gemerkt hast. Lassen wir das. Laß uns über den Gewaltakt selbst sprechen. Dein Auge ist kein Produkt eines Machoschweins, ganz im Gegenteil. In dem Moment, da du mir so zugesetzt hast, war ich vollkommen tittenblind, ich habe nicht wahrgenommen, ob ich Männlein oder Weiblein schlage, es war mit unwesentlich, obwohl mir meine Erziehung - die ja patriarchalisch geprägt war, wie du mir bereits mehrfach vermittelt hast -, eindeutig mit auf den Weg gegeben hat, dass man Frauen nicht schlagen dürfe. Über diese traditionelle Einsicht habe ich mich hinweggesetzt, habe nicht darauf geachtet, ob der zu Prügelnde beschwanzt ist oder nicht, sondern in einem Akt vollkommener Gleichmacherei zugehauen.
Schatz, begreifst du eigentlich, dass erst seit heute, erst seit dem Moment, in dem ich dir ein dickes Auge geschenkt habe, deine Indoktrination Früchte trägt? Lange hast du darauf hingearbeitet, nun da du erste Früchte erntest, willst du die Scheidung? Das nenne ich irrational - nein, Schatz, natürlich keine weibliche Irrationalität! Eine universelle! Schau, hättest du mich wütend gemacht, hätte ich meine Faust geballt, sie aber gegen den Türstock geschwungen, anstatt dir ins Gesicht, du hättest mir erneut unterstellt, dass ich einem Klaus, Holger oder Frank nicht so zurückhaltend begegnet wäre. Wie sehr wärst du mir in den Ohren gelegen, dass ich dich nicht als gleichberechtigtes Individuum betrachte, sondern als minderwertigeres Wesen, als schwaches Geschlecht, als Frau eben. Jetzt habe ich endlich begriffen, was du mir da Jahr und Tag in die Gehörgänge gepresst hast. Wir Menschen sind alle gleich, sind gleich zu behandeln, keine Privilegien mehr, keine Freude mehr daran, dass das andere Geschlecht anders ist, bessere Hälfte eines Ganzen sein könnte. Wir sind keine Hälften mehr, wir sind jeder für sich Ganze - wir sind keine Schweinehälften mehr, wir sind jeder für sich ganze Schweine.
Schatz, lächel' doch, ein bißchen wenigstens. Jetzt wird mir alles schlagartig klar, ich habe begriffen, was der Feminismus in seiner extremen Form, dieser gender mainstream meint. Dieser kurze Moment der Tittenblindheit, da ich nicht mehr erkannte, wen ich da dresche, es war der Moment der Erlösung. Jetzt bin ich aus meinem patriarchalischen Winterschlaf erwacht. Siehst du, jetzt lächelst du doch. Du warst erfolgreich, Schatz, steter Tropfen höhlt den Stein. Übrigens, ich stand schon immer auf blauäugige Frauen...
Hier weiterlesen...