Papageien, aufgeschreckte Hennen, pawlowsche Hunde

Dienstag, 9. September 2008

Kaum sind die medial betriebenen Rufmorde an Erwerbslosen zum Gegenstand der allgemeinen Diskussion geworden, kaum also, dass neben der üblichen verdächtigen Tageszeitung auch Vorabendboulevard im Fernsehen und allerlei Feuilletons über die Faulheit und Maschen von Arbeitslosen "sinnieren", da springen auch schon die Herrschaften aus der Politik mit auf den Zug. Diesen darf man freilich nicht verpassen, darf nicht am Bahnsteig stehenbleiben, wenn man weiterkommen, das heißt: sich für eine (Wieder-)Wahl auszeichnen möchte - harte Hunde stehen hoch im Kurs! Jedenfalls: Kaum ist der "faule Erwerbslose" zum Sujet des Diskurses geworden, zum Mittelpunkt politisierten Entertainments, da kriechen auch schon Minister und Abgeordnete aus ihren Löchern und fordern eine härtere Gangart gegen die "Geißel des deutschen Volkes", gegen den gemeinen Arbeitslosen.

So auch der stets gutmütig dreinblickende Olaf Scholz, der den Fingerzeig der Medien und vielleicht - unterstellen wir es ihm einfach mal frech - auch den neuen alten Wind in seiner Partei aufgreift, um sich als Erlösergestalt im Kosmos des Schmarotzertums zu stilisieren; ein Erlöser, herabgestiegen aus dem "Reich Agenda", in dem er einst zur Rechten seines Herrn saß - jener aber ist entflogen in das Reich Gazproms. Nun verkündet dieser Heiland, immer noch mit gutmütigem Gesichte, dass der Zoll besser ausgestattet werden soll, damit arbeitslose Schwarzarbeiter dingfest gemacht werden können. Jene Schwarzarbeiter, die ja nur offiziell arbeitslos sind, um neben ihrer Tätigkeit in der Schattenwirtschaft auch noch die üppigen Regelsätze des SGB II einstreichen zu können. Denn das Arbeitsministerium wähnt sich scheinbar in dem Glauben, dass Hartz IV-Bezieher eigentlich alle beschäftigt seien - nur eben schwarz! Außerdem plant er schärfere Überprüfungen der Arbeitsfähigkeit, will Krankmeldungen genauestens unter die Lupe nehmen lassen. Es scheint die herausragende Methodik Scholz' zu sein, die Tatsachen einfach verdreht darzustellen, vertritt in diesem Falle die Ansicht, dass Arbeitslose krankmachen, damit sie arbeitslos bleiben können und nicht, wie es in vielen Fällen zutrifft, dass sie arbeitslos sind und bleiben, weil sie eben gesundheitlich angeschlagen sind und sich schwertun, einen Arbeitgeber zu finden, der eine vielleicht chronische Krankheit oder ein Leiden anderer Art finanzieren will. Hartz IV, und das wird nur allzugerne unterschlagen - man will die Agenda 2010 ja als Akt der Menschlichkeit bewahren und nicht als Segregationsmaßnahme -, sortiert eben auch jene aus, die gesundheitlich eingeschränkt sind.

Aber was kümmert es Scholz und Konsorten? BILD ruft - er springt. Nicht nur er, auch viele andere, parteiübergreifend sowieso, weil in den Bereichen der Unterdrückung und Verdummung des Volkes, findet sich zwischen den Parteien immer ein Konsens, da sind die angeblich so unüberbrückbaren Differenzen gar nicht mehr so sehr unüberbrückbar, wie man es sich als Außenstehender manchmal wünschen würde. Und wenn RTL und Sat.1 mit ihren wenig fundierten "Arbeitslosen-Analysen" geradezu um härtere Sanktionen flehen, dann können sich die Scholzens dieser Republik einfach nicht mehr zurückhalten, dann fühlen sie sich angesprochen, animiert, geradewegs dazu verpflichtet, ihr unqualifiziertes Mundwerk sperrangelweit aufzumachen, damit auch jeder zur Kenntnis nimmt, dass der Politiker S. oder die Politikerin H. - der eine Sozialdemokrat, die andere Christsoziale - die Zeichen der Zeit erkannt haben. Man will den Menschen schließlich zeigen, dass man aus ihrer Mitte entsprang, sie versteht - dabei verwechseln sie die Aussagen des Springer-Konzerns mit den wirklichen Aussagen des Volkes - und dass man ein Macher ist, jemand der die Probleme anpackt, auch wenn er erst am Morgen zuvor aus der Zeitung erfahren mußte, dass ein diesbezügliches Problem überhaupt existiert. Da heißt es: Nicht lange zögern, vor die Kamera, vor das Volk treten und hart bleiben, schärfere Sanktionen fordern, polizeiliche Maßnahmen in die Wege leiten. Zum Nachdenken bleibt ja immer noch genügend Zeit - danach, wenn man gesagt hat, was man zum Sagen genötigt wurde.

Und damit diese ach so verantwortungsbewußten Papageien, diese personifizierten Tonbandaufnahmen, diese aufgeschreckten Hennen auch wirklich immer wieder zum Wort, und wenn es ganz übel läuft: zur Tat getrieben werden, läßt BILD auch diese Woche nicht locker. Wieder einmal eine "neue Serie", wieder einmal der gleiche Pogrom-Mist, diesmal aber von der andere Seite aufgezäumt: Anstatt die dreisten Tricks der Schmarotzer zu umschreiben, kommen nun solche Menschen zu Wort, die "sich lieber abrackern, als Hartz IV zu kassieren". Zweierlei gibt alleine schon dieses kurz eingeschobene Zitat zum Ausdruck: Erstens, es impliziert, dass der Erwerbslose die Wahl hätte, sich eines Arbeitsplatzes zu bedienen, d.h. dass die Arbeit quasi auf der Straße liegt, und, zweitens, der Erwerbslose bezieht nicht das Arbeitslosengeld II, er "kassiert" es, hält also die Kasse auf, ist gar von Raffgier gezeichnet, was nahelegt, dass er ungerechtfertigterweise den Regelsatz bezieht, es kassiert ohne Anrecht. Alleine diese Sprache ist verräterisch genug, um die Absichten der Volksaufhetzer zu entlarven. Klemperer in abgewandelter Form: "Die Aussagen einer Zeitung mögen verlogen sein – im Stil ihrer Sprache liegt ihr Wesen hüllenlos offen."

Wobei die BILD-Zeitung freilich nicht dazu genötigt ist, mittels feiner Sprache unfeine Tatsachen mitzuteilen. Sie verfährt im Laufe dieser "neuen Serie" ganz direkt, nimmt nicht das sprichwörtliche Blatt vor den Mund, wenn sie einen prekär beschäftigten Mitzwanziger pathetisch in den Mund legt, dass man doch arbeiten könne - als ob Hartz IV-Bezieher einfach nur nicht möchten! - und, dies vielleicht noch viel aufwiegelnder, dass ihm Hartz IV peinlich wäre. Angekündigt wird für den Folgetag eine Person, die jeden Abend unter Schmerzen leidet, aber seine Arbeit dennoch liebt. "Hört, hört, ihr Arbeitslosen!" - genau dieser Ausspruch schwebt immer, wie der mahnende Zeigefinger, zwischen den Zeilen. Ein ständiges "Seht nur her, ihr Faulpelze, so wird es gemacht! So wäre es richtig! Und ihr sitzt den ganzen Tag nur vor dem Flimmerkasten und laßt es euch auf unsere Kosten gutgehen!" Es wird sich schon wieder einer dieser pawlowschen Polithunde finden, der nach regem Speichelfluß zu bellen beginnt, genau in dem Moment, da man ihm einen saftigen Brocken Pogromstimmung vor die Schnauze hält.

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