Schuld und Schulden

Donnerstag, 27. Mai 2010

Die einzig wahrhafte Sparleistung sei es, so liest man dieser Tage hie und da, wenn man dafür Sorge trüge, dass sich Arbeit wieder stärker lohne. Wie genau das aussehen soll, bleiben die Freunde leistungsträgerischer Sparfreuden allerdings gewöhnlich schuldig; sie bieten nur selten konkrete, greifbare Lösungswege an. Und wenn es doch mal über das Rezitieren von Schlagworten hinausgeht, dann sind es die üblichen Ansätze, die sie anbieten - und diese offerieren sie zu allem Überdruss auch wieder als Slogans: mehr Netto vom Brutto! oder Lohnabstandgebot wahren!

Arbeit lohne sich dann wieder, wenn man weniger ans Finanzamt überweist, oder aber, wenn man die Sozialleistungen kürzt - im letzteren Falle mag der Niedriglohn von prekär Beschäftigten dann auch nicht ausreichen, aber dann lohnt es sich dennoch zu arbeiten, denn dann hungert man nachhaltiger, kann seinen Hunger über längere Zeit verteilen, während der Transferbezieher schneller an seine asketischen Grenzen stößt. Das ist die Logik von Perverslingen, von liederlichen Menschen, die ein geringschätziges Menschenbild haben - Peitsche als Anreiz, Peitsche als Sparempfehlung. Mit vehementer Nötigung, mit kurzer Leine, so glauben sie, könne man Menschen zur Arbeit treiben - ob nun durch steuergesenktes Ausbluten von Sozialleistungen oder durch die direkte Kürzung der Transferleistungen: Arbeit schafft sich für solche Wächter des sparenden, spärlichen Staates nur mit finanziellem Halseisen.

Anders formuliert: für die Schranzen der herrschenden Meinungsmache fehlt es nicht an Arbeitsplätzen, nicht an Stellen, die auch so bezahlt werden, dass man von ihnen leben kann - es mangelt am Anreiz, auch Arbeit zu ergreifen. Weil sich Arbeit nicht mehr lohne, verharren Millionen Menschen in der sozialen Hängematte - kein Arbeitsplatzmangel, schiere Bequemlichkeit frisst den Sozialstaat auf. Und wo sonst, wenn nicht an der selbstzufriedenen Behaglichkeit sparen? Arbeitsscheue Heimeligkeit kann sich dieser Staat nicht mehr leisten!

Aber auf die Idee, um sparen zu können, zunächst zu investieren, kommen diese Herolde des Leistungsprinzips nicht. Konjunkturprogramme soll es nach Rettungspaketen in Milliardenhöhe nicht geben. Keynes als verblasste historische Figur aus dem Ökonomenkosmos; Keynes als ausgebleichtes Glaubensbekenntnis längst verstrichener Tage. Das würde nämlich unter Umständen Arbeitsplätze entstehen lassen - ein Graus für die Arbeitgeberschaft, das blanke Grauen auch für die Schmierfinken dieser Herrn. Die Reservearmee darf nicht schrumpfen, aus ihr soll nicht desertiert werden können. Laßt uns bloß unsere Armee!, rufen sie der Politik zu. Zulasten der Binnennachfrage zwar, aber zur exportlastigen Gestaltung unserer Expansions- und Geltungsgelüste! Nicht investieren: sparen, sich totsparen. Und das bei denen, die sowieso spärlich leben, die so wenig haben, dass es ohnehin keinen Unterschied mehr macht, wenn sie noch weniger erhalten. Die Schuld geben wir diesen Habenichtsen dann auch gleich mit. Daher die Parole: es gibt genug Arbeit, man muß nur arbeiten wollen!

Klug sparen, so ist mehrfach zu lesen, bedeute, auf der Habenseite, bei den Einnahmen, Einbußen in Kauf zu nehmen - mindestens jedoch, die Einnahmenseite nicht anschwellen zu lassen. Am allerklügsten aber wäre es, wenn man die Einnahmen, die Steuern also, senkt und gleichzeitig auch gleich die Transferleistungen beschneidet - das ist zwar ein Geben und Nehmen, ein fruchtloses Nullsummenspiel, aber es klingt schrecklich sparsam und sparkommissarisch. Schickt die Kostgänger in Arbeit, auch wenn es keine Arbeitsstellen für sie gibt: das ist die oberste Maxime, die unantastbare Heilige, die himmlische Sancta Simplicitas, die diesem ganzen Gedankengebäude jener Sparberauschten vorsitzt. Auf der einen Seite Schulden abbauen um jeden Preis - auf der anderen Seite Schuld an jene verteilen, die sich nicht wehren können. Eine Schuld, die dieser Tage nicht in jedem Artikel unmittelbar lesbar wird, die allerdings immer zwischen den Zeilen mitschwingt. Schuld und Schulden: die heilige Zweifaltigkeit neoliberaler Gemeindemitglieder!

8 Kommentare:

landbewohner 27. Mai 2010 um 09:59  

wenn sich arbeit wieder lohnen soll, kann das nur durch ein striktes lohnabstandsgebot erreicht werden. niemand darf weniger verdienen als 50% eines ackermanngehalts. und da die normalos nicht so durchtrieben sind beim steuernhinterziehen wie die ackermänner würden auch die (steuer)einnahmen sprudeln.

Die Katze aus dem Sack 27. Mai 2010 um 10:30  

Weniger Geld für Menschen in Transferleistungen? Soll die Kaufkraft der Menschen demnach noch weiter reduziert werden? Wer kauft dann die Regale leer? Wer widmet sich dann all den sinnlosen und nutzlosen Zeit- und Geldräubern in Gestalt von Waren- und Dienstleistungsangeboten welche zu Hauf angeboten werden?

Klingt widersprüchlich!

Anonym 27. Mai 2010 um 12:02  

Der Geiz ist der Bruder der Gier und der Neid ist die Schwester.

Götzendiener der Habsucht leiden unter dem Neid, den sie auf JEDEN haben, der nur irgendwie ETWAS hat, das sie haben könnten. Da sie es haben wollen, neiden sie es ihnen. Von der Gier getrieben beschaffen sie es sich mit allen möglichen lauteren und unlauteren Methoden, je nach dem wie stark die Krankheit der Habsucht vorliegt, sogar über Leichen gehend.
Der Geiz wird dem Habsüchtigen geboren, wenn er endlich Besitz ergriffen hat von etwas, das er Haben wollte. Er gibt es nicht mehr her, es ist ihm ein Graus, das es den Staat gibt, der ihm zwangsweise etwas wegnimmt. Es ist seine irdene Hölle, das er teilen soll, was er sich zusammengerafft hat.
Das tiefere Problem beim Geiz ist der Zusammenhang mit der mangelnden Innenwelt. Der habgierige Mensch wird zu einem Abklatsch eines Menschen, ohne inneres Wesen. Er ist nicht der Reflektion fähig, denn er trägt die einem geistig gesunden Menschen inhärente Reflektionsfähigkeit nicht in sich, sondern ausserhalb seiner Selbst. Der Habgierige Mensch ist was er hat. Daher ist der staatlich geforderte Anteil an seinem Gewinn, ein Raub an seinem Selbst, das er aber nie gehabt hatte, weil er dem Götzen Habsucht verfallen ist.

Wer sich einem Ding verschreibt, wie es mit Götzendienst hier gemeint ist, der ist früher oder später selbst ein Ding. Er verliert die menschliche Dimension von Glaube, Liebe und Hoffnung und ersetzt sie durch Glaube an den Markt, Geldliebe und Hoffnung auf Reichtum.
____

Klingt nach abgedroschenen religiösen Phrasen?
Das ändert nichts daran, das es mehr als wahr ist.

Peinhard 27. Mai 2010 um 14:10  

@Kätzchen

"Weniger Geld für Menschen in Transferleistungen? Soll die Kaufkraft der Menschen demnach noch weiter reduziert werden? Wer kauft dann die Regale leer?"

Wir doch nicht - die anderen! Also Griechen, Spanier, Portugiesen... ;)

Anonym 27. Mai 2010 um 14:41  

Arbeit muss sich wieder lohnen! So hören wir es von allen Seiten. Nur für wen?
Fordert man von allen Seiten kräftige Lohn- und Gehaltserhöhungen für die Masse der Beschäftigten?
Fordert man von allen Seiten auch gleichen Lohn für gleiche Arbeit, unabhängig von Alter, Geschlecht, Herkunft?
Bisher habe ich in dieser Richtung noch nichts vernommen,
Ganz im Gegenteil: Sparen bei den Löhnen und allen sonstigen Lohnbestandteilen wie Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld, günstigen Kantinenessen u.v.a, bei den Arbeitslosen und der Masse der Rentner sowieso.
Für wen soll sich Arbeit wieder lohnen, wenn nicht für die breite Masse der Beschäftigten?
Wer bleibt dann noch übrig, für den sich Arbeit wieder lohnen soll?
Offensichtlich soll sich die Arbeit wieder oder besser noch mehr lohnen für jene, welche Arbeitplätze anbieten, die eigentümliche Ware Arbeitskraft KAUFEN! Also: Für das Kapital!
Aber warum sagt das kaum einer offen?
Weil dann das gute "ehrliche" Kapital dastünde wie ein unermesslich hungriger Vampyr, welcher sich unablässig mit menschlicher Arbeitskraft vollsaugen muss um nicht zu verenden?
Der eigentliche und geheimste Zweck aller "Arbeit", der Profit für das Kapital, wird uns immer wieder verschleiert!
Und die fehlenden Arbeitsplätze?
Warum begünstigten - auch steuerlich - praktisch alle bisherigen Regierungen den Abbau und den Export von Millionen von Arbeitsplätzen ins Ausland?
Warum bauten diese Regierungen laut Statistischen Bundesamt zwischen 1991 - 2008 allein im öffentlichen Dienst um die 2,2 Mio Arbeitsplätze ab?
Haben alle diese abgebauten Arbeitsplätze sich für die dort vormals Beschäftigten nicht mehr "gelohnt"?
Und wenn doch, für wen haben sie sich dann wohl nicht mehr gelohnt?
Womit wir wieder bei unserem guten "ehrlichen" Kapital und seinem Sachwalter, diesem Staat, angekommen wären....
Aber auch hier wird es natürlich nicht offen gesagt.
Wenn also Staat und Kapital als die eigentlichen Verursacher von Massenarbeitslosigkeit, massenhaften Armutlöhnen permanent konsequent ausgeblendet werden, bleiben als "Schuldige" natürlich nur noch diejenigen zurück, "die nicht arbeiten", die irgend welche "persönlichen Probleme" haben sollen, einen Arbeitsplatz "zu finden".
Also muss man diesen Arbeitslosen tüchtig "Beine machen" auf dass sie wieder "arbeiten gehen", überhaupt: "wieder arbeiten wollen"..., wozu unser guter Staat natürlich "Druck" machen muss.
Wolfgang Clement einst: Vorfahrt für die Anständigen!

MfG
Bakunin

Banana Joe 27. Mai 2010 um 15:39  

Zitat Schuld und Schulden: die heilige Zweifaltigkeit neoliberaler Gemeindemitglieder...

Ergänzende ANMERKUNG - Die heilige DREIFALTIGKEIT neoliberaler Gemeindemitglieder lautet: Deregulierung, Privatisierung, Sozialabbau. Mit diesem "Rezept" sind sie schon seit Jahren "erfolgreich"...

...die Dosis dieser Medizin muss lediglich noch erhöht werden, weil die versprochene Wirkung bisher leider aus unerklärlichen Gründen ausgeblieben ist. Doch gut Ding will Weile haben - nicht wahr?!?

Stanzen "WIR" deshalb ein weiteres Loch am Gürtel des armen Mannes und prosten uns derweil in Sektlaune zu in der Gewissheit, dass die Menschen lieber am Strick des Anderen ziehen als gemeinsam an EINEM Strick für die gemeinsamen Interessen...

...

Anonym 27. Mai 2010 um 18:09  

Die kommende Deflation läßt sich nicht mehr verhindern.

Welcher Politiker aus der CDU hat den Mut den Spitzensteuersatz auf 60% wie 1920 anheben zu wollen?

Es wird schlimm für die kleinen Leute.

Anonym 29. Mai 2010 um 20:52  

Sehr geehrter Herr Lapuente,

seit langer Zeit verfolge ich Ihre ausserordentlich lesenswerten Beiträge, die sich insbesondere mit gesellschaftlicen und politischen Themen befassen.
Heute möchte ich ihnen empfehlen sich dringend über das Geldsystem näher zu informieren.

Mit freundlichen Grüßen
Michael Weik
www.liebeangelamerkel.de

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