Deutschland ist ein toleranter Ort, steht in der Zeitung

Freitag, 21. Mai 2010

Es ist schon arg bedenklich, wenn ein Sachverständigenrat auf Initiative einiger deutscher Stiftungen tätig wird. Stiftungen: diese Feigenblatteinrichtungen, die so barmherzig, so karitativ, so unerhört sinnstiftend klingen, die aber letztlich nichts weiter als eine Kapitalunterbringungsapparatur für gutsituierte Dynastien sind. Wer sein Vermögen schützen, der Erbschaftssteuer entziehen will, der steckt es in seine Stiftung, der teilt dem Fiskus mit, dass sein Geld nun stiften gegangen ist. Dass Stiftungen daher nicht strikt die Absicht hegen, kritisch zu beobachten und zu analysieren, wenn sie Sachverständige bestellen und bezahlen, liegt damit auf der Hand - dass sie hingegen Impulse geben wollen, wie sie es auch in ihrer Selbstauskunft offen darlegen, ist schon eher wahr. Im Gewand der Gemeinnützigkeit, in dem die Stiftung ja letztlich aufläuft, tut man sich gleich noch viel leichter, der Gesellschaft dahingehend Impulse zu verpassen, wo man sie zum eigenen Vorteil verwandelt wissen möchte. Stiftungen sind, um es mit Albrecht Müller zu sagen, "Kräfte, die außerhalb öffentlicher Verantwortung stehen" ("Meinungsmache", Seite 63) - verantwortungslos jonglieren sie mit ihrer selbstauferlegten Verantwortung.

Wie gesagt, ein solcher Sachverständigenrat, der zwangsläufig das Lied seiner Herrn trällert, ist eine kritisch zu beäugende Sache. Zumal dann, wenn er Studien vorlegt, die wesentliche Probleme des bundesrepublikanischen Alltags ausklammern und für nichtig erklären. So wie jene, erst kürzlich erschienene Studie, in der erläutert wird, dass es um die Integration in Deutschland viel besser bestellt ist, als man das gemeinhin annimmt. Dass nicht der pure, der blutige Hass regiert, wie man deutlich herauslesen kann, das darf man getrost unterschreiben - ob man aber von einem pragmatischen Umgang mit Multikulturalität sprechen kann, darf arg bezweifelt werden. Sicher, wenn man damit meint, nach dem Beipflichten der rassistischen Ausländerschelte eines Sarrazin, schnell zum Döner-Verkäufer um die Ecke zu gehen: ja, dann darf man das Pragmatismus nennen. Denn an diesem Umstand geht die Studie offensichtlich vorbei: Während sie von Sonnenschein kündet, applaudiert man den neuen Volkstribunen, die sich nicht zu schade sind, neben sozial Schwachen auch rassisch Schwache verbal zu ohrfeigen. Gleichwohl damals fast die gesamte BILD-Leserschaft den Sarrazinaden zustimmte, waren es bei den seriöseren Revolverblättern nur sechzig, siebzig Prozent.

Von diesem Ungeist, der durch die Köpfe spukt, will der Sachverständigenrat nichts gemerkt haben - so, als würde der niederste aller Instinkte nur beim Durchblättern der Tageszeitung zum Ausbruch kommen, nachher im wirklichen Leben aber vergessen sein. Oder ist es eben jener oben erläuterte Pragmatismus, der ein solches Verhalten mit einem Wort umschreiben will? Wie auch immer, der Sachverständigenrat umgeht mit seinem Jahresgutachten den virulenten Bazillus unserer Tage, der nicht mehr nur subkutan wütet, sondern teilweise schon eine widerliche Fratze im öffentlichen Raum formte. Jene Dynastien, die hinter der sozialen Fassade des Stiftungsgedankens die Fäden ziehen, sie haben reges Interesse daran, wesentliche Probleme unserer Tage zu kaschieren. Denn was sie von Sachverständigen analysiert wissen wollen, dass ist unsere Gesellschaft, die sie als ihr Produkt ansehen, weil sie sie als führende Familien der Nation mitgeprägt haben. Schönwetter ist Agenda! Schönwetter kostet auch weniger, kann Steuerschenkungen und -vergünstigungen bewirken!

All das ist bedenklich, geht an der Wirklichkeit vorbei - aber es war zu erwarten. Wo Stiftungen ihr Spiel veranstalten, da ist die abgebildete Wirklichkeit genauso stiften gegangen, wie das stiftungsüberführte Kapital für den Fiskus. Dass aber ausgerechnet die taz in die subventionierte Erblindung des Sachverständigenrates einstimmt, den Türken und Arabern, die gerade noch vom tollgewordenen Thilo gebissen wurden, der dafür auch noch von verführten Massen Beifall erhielt, dass man diesen Türken und Arabern also auch noch ans Herz legt, sie könnten sich nun "von ihrem Opferdiskurs verabschieden", weil die Studie ein gutes Klima attestiert: das ist mehr als nur bedenklich. Dass beispielsweise Thomas Straubhaar, Mitglied der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), auch dem Sachverständigenrat beiwohnt, hätte die taz schon stutzig machen können - ausgerechnet Straubhaar, der bei der INSM Augenwischerei von der Pike auf erlernt hat. Taz-Sache ist, dass der Rechtsruck der taz stetig augenscheinlicher wird, dass man nun schon ganz ungeniert Leidtragenden mangelnder Weltoffenheit empfiehlt, erst gar nicht über ihre Opferrolle zu sprechen. Deutschland ist ein toleranter Ort: das muß zutreffen, denn wir haben es in der taz gelesen!

9 Kommentare:

Daniel Limberger 22. Mai 2010 um 01:52  

Ja, lieber Roberto,

der Hass der Leute wächst - angetrieben durch die im Zuge der Finanzkrise eingetretenen und noch viel schlimmeren kommenden Schäden für die Proletarier. Um es klar zu sagen – die Wut ist mehr als berechtigt, aber: Diese Proletarier, die sich gar nicht als solche sehen, tragen völlig falsche Urteile über „unser“ Land und „unsere“ Wirtschaft mit sich herum. Daher werden sie in ihrer Wut auf Banker, Ausländer und Arbeitslose bald nach einem starken Staat und einem Führer schreien, der endlich für "Ordnung" sorgen solle.
Würden die Leute endlich begreifen, dass es der Kapitalismus im bürgerlichen Staat ist, der sie tagtäglich als Ergebnis der Konkurrenz der Ausgebeuteten untereinander schädigt - dann wäre der Weg frei, per Generalstreik und Protest die kapitalistische Geldvermehrung anzuhalten, die Regierung zu stürzen und eine vernünftige Gesellschaft mit Planwirtschaft, ohne Geld und ohne Privateigentum einzurichten. Doch die Zeichen stehen leider eher auf faschistische "Systemkritik" - man hört unter den einfachen Leuten in Gesprächen solche Sachen (heute Nachmittag, Kaffekränzchen unter Müttern mit kleinen Kindern):

"ich kenn' eine, die möchte bald schwanger werden, wird aber vorstellig bei einer Firma und will eingestellt werden - der arme Arbeitgeber!"

Garniert werden solche klassenfremden Standpunkte dann noch mit folgendem:

"Ich habe im Fernsehen gesehen - da hatte eine schon 6 Kinder und wollte sich dann nochmal künstlich befruchten lassen, nur um Sozialhilfe zu bekommen (es ging um die USA), sie bekam dann Achtlinge - boah, so kranke Leute müsste man echt ..."

Ich will gar nicht mehr weiter zitieren, aber es sind ganz normale, liebe Leute, die so daherreden, das es einem nur noch graust! Wenn der Alltag durch solches Denken geprägt ist, dann ist das Unheil nahe - dabei wäre jetzt die Zeit für eine echte Revolution, die wohl aber wieder ausfällt, und dann ... schön wird das nicht werden!

Aufklärung über und messerscharfe Kritik am Kapitalismus kann man aber vom GegenStandpunkt erhalten:

http://www.farberot.de/index_archiv.html

und

http://archiv.argudiss.de/

und

http://doku.argudiss.de/?Kategorie=all

J.K. 22. Mai 2010 um 09:10  

die taz ist das centralorgan von grünen und fdp. beide stammen aus derselben denkrichtung.

Anonym 22. Mai 2010 um 09:33  

Toleranz war und ist noch nie für irgendetwas gut gewesen. Der Begriff heisst "Duldung" und falls sich die Umstände ändern, ist es mit der (zähneknirschenden) Duldung schnell vorbei. Das kann man jetzt überall mehr und mehr sehen. Westerwelle und ähnliche sind die Auswürfe dieser Gesinnung.

Wenn Menschen nicht begreifen, dass Akzeptanz notwendig ist, um angenehm miteinander leben zu können, dann brökelt diese schwache Fassade der Duldung in schwierigeren Zeiten sofort ab und zeigt die so mühsam übertünchte Ablehnung und sogar blanker Hass. Oder mit Goethe...

Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein; sie muß zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen.

G. Gans 22. Mai 2010 um 09:51  

>>rassisch Schwache<< aua, das tut weh! Wo hast du das denn her? Angewandte Rassentheorie?

Anonym 22. Mai 2010 um 10:26  

Über die verquere Denke der deutschen "Mittelschicht":
http://www.nachdenkseiten.de/?p=5626
Einen neuen feudalen Apartheidsstaat mit Führer werden wohl die Migranten nicht mitmachen. Und die sind heute anders drauf als die Juden damals.

landbewohner 22. Mai 2010 um 12:07  

anonym
wenn du dich da man nicht irrst!!!
integrierte immigranten sind sehr oft deutscher als deutsch und solange man selbst nicht betroffen ist und immigranten sind keine homogene gruppe. auch da kann man andere niedermachen!!!

Anonym 22. Mai 2010 um 19:38  

"wenn du dich da man nicht irrst!!!"

Da irre ich mich garantiert nicht. Ich habe durch mein Wohnumfeld sehr viel Kontakt zu Immigranten. Und die Stimmung ist einfach: Laßt Nazis rein und nie mehr raus.

Jutta Rydzewski 22. Mai 2010 um 19:49  

Einerseits, lieber Herr De Lapuente, ist es in der Tat schon arg bedenklich, wenn sich acht deutsche Stiftungen, durch diesen Sachverständigenrat, Bestandsaufnahmen, Entwicklungsanalysen, kritische Politikbegleitung und die Information der Öffentlichkeit in den Bereichen Integration und Migration, zur zentralen Aufgabe gemacht haben. Auch ich habe dabei meine Zweifel, Insbesondere deshalb, weil auch das Schlachtschiff aller Stiftungen, die Bertelsmannstiftung, mit von der Partie ist. Die Bertelsmannstiftung, deren Botschafter, Kuratoren und sonstiges bezahltes Gezumpele, mittlerweile in alle relevanten gesellschaftlichen Bereiche (Politik, Medien (auch Ö.R.), Wirtschaft, Wissenschaft usw.) eingeschleust wurde, die der Republik ein anderes System überstülpen will, weg vom Sozialstaat, überhaupt weg vom Staat, und hin zu weiterem Privatisierungswahn, will sich ernsthaft und ehrlich für Integration einsetzen? Zweifel sind sicher mehr als nur angebracht. Andererseits ist es vielleicht doch eine kleine Chance, dass das (Integrations)Feld nicht nur den Kultur- und Sozialrassisten, den Sarrazins und Konsorten überlassen wird. Eventuell geht dieser Sachverständigenrat ja tatsächlich in Richtung "wissenschaftlich fundierter, politisch neutraler, um Objektivität bemühter Einschätzungen", wie er es sich auf seine Fahnen geschrieben hat. Es mag natürlich auch sein, dass ich mal wieder sehr naiv denke, aber so lange ich atme hoffe ich.;-))

Noch ein Wort zu den so genannten sozial Schwachen. Diese Begrifflichkeit geistert seit Jahren durch die Republik, und natürlich sind damit Arbeitslose, Migranten und ganz besonders Hartz IV-er gemeint. Und genau dagegen versuche ich immer anzugehen, ganz egal wo ich diese Begrifflichkeit lese oder höre. Es sollte, nein, es muss unterschieden werden zwischen Einkommens-Schwachen und Sozial-Schwachen. Z.B. ist eine alleinerziehende, von Hartz IV lebende Mutter, die ihre Kinder unter größten Schwierigkeiten groß zieht, hinsichtlich ihrer sozialen Kompetenz nicht schwach, sondern sogar außerordentlich stark. In jedem Fall ist sie sozial um Längen stärker als die Sarrazins oder Buschkowskys, denen die soziale Schwäche schon aus den Augen trieft und, wenn man ihnen zu nahe kommen würde, der Gestank von sozialer Armut sicherlich unüberriechbar und unerträglich wäre.

mfg
Jutta Rydzewski

Anonym 27. Mai 2010 um 13:45  

"integrierte immigranten sind sehr oft deutscher als deutsch"


Wer seine Herkunftskultur, seine mentalitätsbestimmenden Einflüsse, die Grundstrukturen seines Denkens aufgibt, weil er sich einer neuen Klasse von Moralvorstellungen und Realitätsdeutungen einer neuen Kulturzone unterwirft, der verfällt dem üblichen Problem des Verräters, der sein altes Ich und sein altes Handeln und Leben hasst, ja hassen muss! Weil er es im übertragenen Sinne abtöten will und muß. Er braucht diese Form der Widerlegung seiner alten Lebensrealitäten, weil er seinen Verrat an seiner ehemaligen kulturellen Gemeinschaft nur so überdauern kann. Es ist ja nicht nur ein Verrat an dem was seine eigene Seele/Psyche bestimmt und strukturiert, es ist auch ein Verrat an seiner Mutter, seinem Vater, seinen Vorfahren, seinen prägenden Freundschaften und Verwandschaften. Er wird also zum Verräter an seiner Herkunft und dadurch will er sich und dem Deutschen mit seinem deutsch-deutschen Verhalten beweisen, das er garantiert assimiliert ist, ein wahrlich Bekehrter. Einer der seine Herkunft und sein altes Leben bereut.
Diese Beobachtungen sind am besten natürlich in den Extremen zu beobachten. Es gibt sie jedoch in einer Vielschichtigkeit, die sich auf einem Prinzip begründet, das eigentlihc allgemein bekannt sein sollte.

MFG

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