Sie rechnen sich noch mehr Tote aus, sagten Sie bei jener
beschämenden Kriegerbeisetzung in Ingolstadt, bei der auch Sie Ihren Sermon dazugeben wollten und selbstverständlich auch durften. Davon wird tatsächlich auszugehen sein, denn während die Vereinigten Staaten einen Rückzug aus Afghanistan für Mitte 2011 festsetzen, herrscht hierzulande diesbezüglich erdrückende Stille. Über die Zukunft deutscher Besatzungspolitik wird kein Wort verloren. Fast dünkt es, als wollten Sie, werter Guttenberg, mit Ihrem kriegsbefürwortenden Parlament, dieser selbstüberschätzten Feldherrnhalle, zu einem gewagten historischen Schritt ansetzen. Einen jener Schritte, ja Ritte vielmehr, Parforceritte genauer, für das Geschichtsbuch, die im ersten Augenblick aus dem geschichtssüchtigen Hauptprotagonisten einen Heroen machen, um ihn nachträglich, aus geschichtlicher Ferne und mit der Reserviertheit historischer Betrachtung begutachtet, zum Trottel des damaligen Zeitpunkts zu klassifizieren. Man könnte vermuten, Sie träumen von einem Deutschland, das wieder alleine seinen Mann in der Welt steht; man könnte annehmen, Sie wollen von den USA die gesamte Verantwortung erben, um Ihren Feldherrenallüren die nötige Gefälligkeit zu erweisen. Gut möglich, dass Sie nicht nur die Wahrheit sprachen, sondern eine leise Botschaft eröffneten: es werden noch mehr sterben, weil noch mehr Krieger nach Zentralasien verfrachtet werden müssen, um den rückziehenden Bundesgenossen, der den Brand seinerzeit entfacht hat, adäquat zu ersetzen.
Doch warum Ihnen böse Absichten unterstellen, warum Ihnen Geschichtsträumereien und zwergenhaften Größenwahn attestieren? Immerhin haben Sie sich entschuldigt, war
allerorten zu lesen - entschuldigt bei den Hinterbliebenen. Aber das haben Sie ja gerade nicht getan! Die Heuchelei solcher Abbitten außer Acht lassend, ist es terminologisch nicht dasselbe, ob sich jemand entschuldigt oder nur, wie Sie, um Verzeihung bittet. Dem Verb das Präfix
ent- vorangestellt, wird es negiert, befreit, ins Gegenteil gekehrt - das was dann eben noch wurzelte, kann mit der kurzen Vorsilbe schon wieder
entwurzelt sein. Wer sich entschuldigt, möchte sich von einer Schuld befreien, möchte die Schuld zur Antithese machen, sie ins Gegenteil gehievt bekommen, möchte Vergebung seiner Schuld erlangen, von ihr
enthoben werden. Sich
entschuldigen bedeutet somit auch, ein Schuldeingeständnis abzuliefern - ein Eingeständnis, von dem man sich Vergebung erhofft. Doch Sie, werter Guttenberg, baten um Verzeihung;
zeihen, dieses heute nurmehr gelegentlich angewandte Wörtchen, steht für verdächtigen oder bezichtigen. Anders formuliert, Sie baten darum, dass die Hinterbliebenen ihren Verdacht, ihre Bezichtigung aufgeben, verwerfen - von Schuld ist hierbei jedoch keine Rede. Um Verzeihung zu bitten verlangt die Einsicht des Geschädigten ohne konkrete Schuldzuweisung - eine Entschuldigung ist der Kniefall des Schadensstifters, bei dem er seinen Fehler, sein Versagen, seinen Verstoß eingesteht. Das ist ein Unterschied, den jene, die täglich mit Worten hantieren, eigentlich kennen müssten - und Sie, wortreicher Guttenberg, Sie haben sich eben nicht entschuldigt, Sie haben die Schuld von sich und Ihrer Klientel gewiesen.
Ob eine Entschuldigung überhaupt angebracht gewesen wäre, ist allerdings wieder eine andere Frage. Die Soldaten im Auslandseinsatz sind dort nicht unter Zwang, sie wissen, dass das kalkulierte und hingenommene Risiko des Berufs, aber auch des frei gewählten Einsatzortes, ein tödliches ist - das wissen sie und das wussten auch die Getöteten. Und Sie alleine müssten sich auch gar nicht entschuldigen, Guttenberg. Da wäre die gesamte Regierung, da wäre fast der gesamte Bundestag, da wäre eine Flankenschutz gebende Presse - wenn schon, dann müssten auch jene sich entschuldigen. Denn Verantwortung tragen nicht nur Sie, so wie Sie im Ingolstädter Münster larmoyant kundtaten - und Sie wissen das auch selbst, weil Sie die Verantwortlichkeiten, die man vor Untersuchungsausschüssen aus Ihnen herausquetschen möchte, strikt ablehnen und abschieben. Wenn sich Verantwortliche zu entschuldigen hätten, dann alle. Und Verantwortung tragen allerlei Sparten, die den Krieg mit Mandat ausstatteten, befürworteten und zu legitimieren versuchten und weiterhin versuchen. Wobei Sie auch nicht behaupteten, dass Verantwortungsträger sich entschuldigen sollten - sie müssen um Verzeihung bitten, haben Sie erklärt. Sie müssen darum bitten, dass die Opfer ihres politisch-militärischen Irrtums, ohne Vorurteil, ohne Bezichtigung, ohne ungerechten Verdacht gegen die Verantwortlichen zurückbleiben - kurzum: sie sollen ohne Gram und Groll gegen die Verantwortlichen auftreten, milde hinnehmen und sich damit abfinden. Ob Ihnen indes der Unterschied bewusst ist, kann aber nicht geklärt werden.
Wie ernst es Ihnen mit dieser fein einstudierten, positive Effekte schnappenden Abbitte war, ließ sich, wie erwähnt, schon an der Wortwahl ermessen. Wie beschämend allerdings eine Zeremonie für erschossene junge Männer sein kann, konnte erneut beobachtet werden. Dass in einer Kirche dekorative Militärs, Stahlhelme, Orden und Marschtritt anwesend oder praktiziert sein dürfen, ohne überhaupt ein Wort von Kritik oder wenigstens Skepsis zu vernehmen, macht schon mehr als stutzig und läßt für die Zukunft Schlimmes erahnen. Soldateska im Ingolstädter Münster - und keiner stößt sich daran! Sage da noch einer, dass es heute keine Wunder mehr gäbe! Es scheint also kein Problem mehr zu sein, aus einem Ort des Friedens eine militärisch-politische Trutzburg zu machen. Und dann ließen Sie auch wieder diese Litanei an Phrasen der Peinlichkeit walten. Die Freiheit aller Deutschen hätten diese Männer verteidigt, ihr Tod wäre nicht vergebens und dergleichen Durchhalteparolen mehr. Aus einer Trauerfeier, ein politisches Bekenntnis gemacht! Ein politischer Glaubensakt für die Massen, ein Dogma des Jetzt erst recht! Das ist blamabel, das ist demütigend - eine Demütigung für diejenigen, die eben noch um Verzeihung gebeten wurden.
Man wollte nur hoffen, dass die Hinterbliebenen nicht durch den Schmerz der Stunde, durch die Vernebelung der Berichterstattung, durch die emsig umherschwirrenden Militärs, zu paralysiert wären, um sich über diese würdelose Inszenierung entrüsten zu können. Nichts geschah! Es schien ausreichend geschmeichelt zu haben. Irgendwann wird es auch denen dämmern, was da veranstaltet, wie sie militärisch missbraucht und politisch vergewaltigt wurden. Weinende Eltern, heulende Freundinnen und Frauen sollten im Augenblick des Schmerzes nicht ein schwammiges Motiv zur Schürung des Stolzes gereicht bekommen, sie sollten nicht stolz sein müssen, sondern trauern dürfen - hadern, grollen, schimpfen, schreien: alles was Verlustschmerz ausmacht. Und dann, wenn wieder ein wenig Lebenssaft in diese trauernden Existenzen geflossen ist, sollten sie fragen dürfen, wer dafür verantwortlich ist, wer belangt werden kann. Immerhin sind ihre Söhne, ihre Geliebten und Gatten, nicht im greisen Sterbebett verschieden - das hat man ihnen verwehrt. Haben sie sich freilich selbst auch verwehrt, als sie damals freiwillig Hier! schrien; doch man hätte sie auch gar nicht verführen, sie dazu aufmuntern dürfen. Der Stolz, den man ihnen, den Hinterbliebenen, einimpft, soll vor ungemütlichen Fragen bewahren, er soll als Narkotikum dienen, soll einen sinnlosen Tod - und der Tod ist immer sinnlos, weil er nicht nach Sinn oder Unsinn fragt - aufwerten und die Hinterbliebenen nicht nur trösten, sondern mundtot machen. Hoffentlich begreifen sie nach der Schwere des Augenblicks irgendwann einmal, dass nur ihr Kind, nur ihr Mann gestorben ist, nicht aber ihre Fähigkeit, die Umstände dieser Tode anzuklagen und die Täter und Befürworter zur Rechenschaft zu ziehen; hoffentlich kapieren sie, dass nur ihr Angehöriger tot, nicht aber ihr Mund tot ist.
Was für eine Peinlichkeit diese Zeremonie doch war! Man trauerte nicht um tote junge Männer, denn um die ging es nur am Rande. Es ging um tote Soldaten. Wäre es um den Mann in Uniform gegangen, nicht um die Uniform selbst, dann hätte es eine zivile Trauerfeier sein können. Keine Stahlhelme, kein auszeichnender Firlefanz am Sarg, kein Stechschritt für Arme, keine militärisch gleichförmige Choreographie, keine politischen Bekenntnisse von Ministern, die solche Auftritte bloß nutzen, um sich selbst als barmherzige Lämmer und ihre Politik als alternativloses Übel darzustellen. Den toten Männern zu gedenken, wenn schon nicht trauern, denn die Trauer ist ein Akt von nahen Verwandten und einer Handvoll nahestehender Bekannter - den toten Männern also zu gedenken, das fiele auch den kritischen Individuen einer Gesellschaft leichter. Aber den Soldaten im Manne herauszuputzen, um nicht mehr ihm, sondern seiner Funktion zu gedenken, das heißt, der Funktion, die ihn zu Tode brachte, das ist für viele kritische Menschen unmöglich.
Uniformlos, in Zivil, eine öffentliche Zeremonie zu veranstalten: das wäre auch respektvoller gegenüber den Hinterbliebenen gewesen. Dann hätten sie gewusst, dass es hier um ihre Familienmitglieder geht, dass man der Männer gedenkt - nicht der staatlichen Funktionsträger. So aber bleibt ein bitterer Geschmack zurück. Denn ins militärische Kollektiv gepackt, heißt die einzige Wahrheit: der Mann, der in der Uniform steckt, er ist austauschbar. Und wenn man des toten Soldaten gedenkt, dann gedenkt man keines bestimmten Mannes, man gedenkt irgendeines toten Kriegerhelden, eines Stereotyps und Klischees, das vollkommen entrückt der wahren Person ist, das Thomas, Jörn, Marius oder Josef heißen kann, wie jene Toten im Ingolstädter Münster oder Klaus, Ulf, Ralf oder sonstwie. Ein jederzeit auswechselbares Klischee! Das war alles in etwa so persönlich, wie der gemeine Soldat üblicherweise als Persönlichkeit wahrgenommen wird: als Nummer, als Humankapital, aus Kanonenfutter.
Meine Güte, Guttenberg! Meine Güte, ihr dünkelhaften Vertreter der politischen Zunft, die ihr die Sitzbänke des Ingolstädter Münsters belagert habt! Welcher Teufel reitet euch? Schämt ihr euch überhaupt nicht? Nicht mal ein bisschen? Ihr nutzt den tiefsten Schmerz von Eltern, Geschwistern, Lebenspartnern, Verwandten und Freunden aus, um eure politische Irrfahrt zu rechtfertigen! Ihr seid so schauderhaft billig, so unverfroren schamlos, dass ihr euch auf Kosten von Seufzern und Tränen rehabilitiert. Ihr wollt die Spitze dieser Gesellschaft sein, die Elite - aber spitzenmäßig seid ihr nur in eurer Frechheit, in eurem schlechten Benehmen, in eurer unnachahmlichen Selbstdarstellung! Es gab schon Menschen, die wurden aufgrund wesentlich besseren Benehmens eingesperrt, solche beispielsweise, die auf der Straße ihr Gemächt baumeln ließen - sowas mache man nicht, heißt es dann pikiert! Aber die wirkliche Erregung öffentlichen Ärgernisses seid ihr! Ein nackter Mann kann kaum Schaden anrichten. Aber ihr, ihr schadet uns und der Welt, ihr beschwört den Schaden, ihr fordert Schaden heraus - ihr habt einen Schaden!
Hier weiterlesen...