Herren zweier Epochen
Freitag, 9. April 2010
Mensch, Thilo! Carl! Ihr habt euch ja gar nicht verändert. Ihr gleicht euch immer noch! Hätte nie gedacht, dass ihr zum Jubiläum unserer schönen Schule, zum Festtag unserer alterwürdigen Lehranstalt erscheint. Dass ihr unserem geliebten Gymnasium akkurater Herrenmänner mit eurer Anwesenheit einen besonders gleißenden Glanz verleiht. Schön, dass ihr erschienen seid. Stolz war ich, euer Lehrer gewesen zu sein; fast schon hochmütig, den Lehrstoff, den ich nun seid ichweißnichtwieviel Jahrhunderten in die Köpfe meiner Schützlinge pauke, so unverfälscht in eurem späteren beruflichen Wirken wiederentdeckt zu haben. Des Lehrers Herz muß dabei einfach bersten vor Glück. Dabei hegte ich Zweifel. Ihr seid ja aus zweierlei Epochen in meinem Klassenzimmer gesessen. Carl kannte noch den Katheder, von dem ich gleich einem Despoten herabschaute auf die Scholaren; Thilo wurde der damaligen Zeit angepasst, schon etwas lockerer zum Übermenschen herangebildet. Rahmenbedingungen nur, die nichts am Lehrstoff änderten.
Damals, wie gesagt, zweifelte ich an euch. Kränklich dreinblickende Bürschlein seid ihr gewesen; seid ihr immer noch, wie ich über die Jahre feststellen durfte, als ich euch in Tageszeitungen abgelichtet und später im Fernsehen erblickt habe. Sage noch einer, das Aussehen scheide den Herren von seiner Dienerschaft! Darauf kam es noch nie an! Nah am Wasser gebaut hattet ihr auch, war jedenfalls mein Eindruck damals, als ich euch bei mir hatte. Muttersöhnchen vielleicht, aber das kann und will ich nicht behaupten. Im Grunde waren standet ihr unter schlechten Vorzeichen. Und dann las ich später von dir, Carl, dass du im fernen Afrika Karriere gemacht hast. König seist du geworden, der kleine, wenn auch inoffizielle König aller Neger im deutschen Ostafrika. Ein Despot, der den Wilden Furcht und Ordnung lehrte, der auspeitschen und Schlingen um Hälse legen ließ. Hängepeters haben sie dich damals getauft. Was war ich erfüllt von Glück: da stand einer meiner Schüler, ein Absolvent unserer herrlichen, herrischen, herrenmenschlichen Lehranstalt, im Mittelpunkt reißerischer Aufmacher, erntete hier Applaus dort Hass, war also gesund im Geschäft. Einmal sah ich eine Fotografie, wie dich einige Mohren über einen Fluß trugen - ein köstlicher Anblick, ein Anblick der unserer Schule Ehre machte. Und als ich dann noch las, dass du manche schwarze Bestie abgeknallt hast, war ich entzückt. Carl, ich wollte zu der Zeit schon in den Vorruhestand gehen, aber dieser Anblick eines weißen Herrenmenschen, der sich zwischen den wilden Kreaturen dieser Erde aufführt, wie es ihm, wie es seinem Stand als Krone der Schöpfung zukommt, er hat mich zur Besinnung gelangen lassen. Da schwante mir wieder, dass mein Wirken doch einen Sinn hat.
Carl, mein lieber Carl Peters, ich habe es dir nie gesagt, du hast mich, du hast deinen angegrauten Lehrer vor einen folgenschweren Schritt, hast ihn vor der Pension bewahrt, die ihn zur Tatenlosigkeit verurteilt hätte. Freilich wußten wir damals noch nicht, dass wir vor fetten Jahren standen. Das neue Jahrhundert versprach unserer Lehranstalt dicke Früchte in Form einer in unserem Sinne gebildeten Gesellschaft zu schenken. Es war eine herrliche Zeit damals, eine herrenmenschliche Zeit. Es ging sich erbaulich an, als der große Krieg, der später zum ersten zweier Weltkriege werden sollte, manche herrenmenschliche Attitüde heraufbeschwor. Sicherlich fochten auch Herren miteinander. Dass Engländer, Franzosen und mit Abstrichen Amerikaner mit Deutschen rangen, das war eine Wucherung, die unsere geschätzte Schule mit brennender Sorge zur Kenntnis nahmen. Gelobt sei die herrische Vernunft, schoss man auch gegen andere, gegen slawische Horden beispielsweise. Einige Zeit später kam dieser laute Krakeeler mit einem Schattenbild von einem Bärtchen unter seiner Nase über uns. Was für eine paradiesische Zeit! Scharen von Zöglingen wurden mir anvertraut und von mir in bester herrenmännlicher Manier unterwiesen. Carl, ich verdanke dir diese wunderschöne Epoche, die ich nicht im stillen Gelehrtenkämmerlein, sondern als gestaltendes Mitglied einer Volksgemeinschaft erleben durfte.
Danach Ernüchterung! Die Lehren unseres Hauses waren lediglich auf Randzonen der Welt begrenzt. Auf den Süden der Vereinigten Staaten und Afrikas, auf den Ku-Klux-Klan und die Buren konnte man noch bauen, aber es fanden sich nur wenige amerikanische und burische Schüler, die sich hierher, die sich ins Herz Europas vorwagten, um in der Kunst des Herrenmenschen geschult zu werden. Gelegentlich hatten wir freilich auch deutsche Schüler, die mit Feuereifer bei der Sache waren. Aber das waren Strohfeuer, die spätestens dann gelöscht waren, wenn es ins berufliche oder politische Leben hinaus ging. Müdigkeit stellte sich ein, ich wurde berufs-, ich wurde berufungsmüde. Wo früher das Klassenzimmer bis unter die Decke gefüllt war, saßen jetzt nur noch einige Mannsbilder herum, die nicht mal von besonderer Güte waren. Die Handvoll Chauvinisten war noch erträglich, ansonsten nur jugendliche Weicheier und Rentner, die ihre besten Tage schon hinter sich hatten. Der Nachwuchs blieb aus und der Lehrer, nun fast alleinegelassen, dachte erneut an Rückzug. Carl, ich dankte dir zu dieser Zeit erneut im Stillen, dass du mich jene schönen Jahre bis Mitte des Jahrhunderts noch erleben ließest und wollte gerade meinen Hut nehmen...
Da stand er im Klassenzimmer, Aktenmappe unter die Achsel geklemmt, mit lispelnder Stimme fragend, ob er hier richtig sei. Erinnerst du dich noch, Thilo? Ich hätte dir damals nicht erklären können, warum ich meinen Ruhestand erneut verschoben habe, denn sehr vertrauenserweckend warst du ja nicht gerade. Ein schmächtiges Kerlchen mit krumm rasiertem Schnäuzer, die Brille abschüssig auf der Nase sitzend, dazu dezentes Schielen. Später kam mir in den Sinn, weshalb ich mich entschloss, doch noch einige Jährchen am Gymnasium erlesener Herrenmänner zu bleiben: dein Aussehen, deine ganze Physiognomie, diese nichtssagende Mimik, der belämmerte Blick, diese ganze Banalität deiner körperlichen Erscheinung, deiner Bewegungsabläufe, es erinnerte mich an den guten Carl. An meinen Retter Carl, der hier in diesem Raum nie Primus war, dennoch der Primus meines Herzens, meiner Dankbarkeit wurde. Gut, du bist kein Zwilling, gleichst ihm nicht wie das sprichwörtliche Ei dem anderen, aber vielleicht wollte ich mir einbilden, dass du ihm wie aus dem Gesicht geschnitten bist, um mein jetzt schon fast ewig währendes Gastspiel als Pädagoge doch noch einmal zu verlängern. Der Ungepflegtheit und der Schmuddeligkeit deiner Erscheinung, die mich an den nachlässigen und unsorgfältig gekleideten Carl erinnerten, muß ich Dank zollen. Der abgeknickte Hemdkragen, das schlechtsitzende Jäckchen, das aussah, als habe man es dir unter Zwang angelegt, dieses Zwangsjäckchen also: all diese Oberflächlichkeiten hatten sich in mein Gehirn geprägt, waren ins Unterbewußtsein gespeichert und wurden nun wiederbelebt durch dein Anwesenheit.
Was als oberflächliches Tête-à-tête anfing, wurde tiefgründiger. Ich entließ dich in die weite Welt - allerdings: Abschluss nur befriedigend. Du hattest mehr Verve, bliebst hinter den Erwartungen zurück. Doch ich verspürte in dir ein Feuer, ein Ungehaltensein, wie ich es schon seit Jahren bei keinem Absolventen mehr erspähte. Du bahntest dir deinen Weg, nahmst Ämter an, bist bei den Sozialdemokraten eingetreten, was mich mehr als verwunderte damals, machtest jedoch als Technokrat beachtliche Karriere. Und dann legtest du los! Und wie! Sowas gab es in dieser unbeirrbaren Drastik seit Jahrzehnten nicht mehr. Diese ganze Verachtung für alles, was nicht uns Herrenmenschen gleicht, sie erfüllte mich mit der Gewissheit, dass noch nicht alles für unsere Schule verloren ist. Wie du Moslems und Faulenzer angespieen hast: das war schon großartig. Wie du auf die politische Korrektheit gepfiffen, keiner diese Gefälligkeitshanswursten und Publikumsbajazzos warst: es war betörend. Da warst du der ganze Stolz deines alten, fast schon wurmstichigen Lehrers. Massen wusstest du hinter dir, vielleicht nicht die Mehrheit des Volkes, aber doch jenen Teil der Massen, der immer schon gut für kopflose Aktionen gegen das Gesocks war. Dieser Teil vergütete deine Aussagen mit Respekt, ernannte dich zum Mann des wahren Wortes. Du hast den Zeitgeist getroffen, genau in jenem Moment aufgewiegelt, in dem enttäuschte und unzufriedene Schichten für mehr reif schienen.
Natürlich, Carl war brutaler, hat die wahre Lehre viel detailgetreuer verbreiten können als du heute. Carl war, so würde man heute sagen, ein Mörder. Du bist es nicht. Aber das waren auch andere Zeiten. Für dich wäre es heute strafbar, einige Neger oder Muselmanen abzuknallen. So traurig sind eben die Zeiten! Deshalb unterscheide ich aber zwischen euch nicht, denn jeder muß mit den Wirren seiner Epoche zurechtkommen. Mag ja sein, dass Carl heute genauso via Gazetten aufstacheln würde, wie du möglicherweise damals gepeitscht und geschossen hättest - auf das Wie kommt es nicht an. Das lehrte euch unsere Schule nicht, stand nie im Lehrplan, aber ihr habt es von alleine erkannt: der Herrenmensch muß das tun, was ihn sein Umfeld tun läßt. So weit gehen, wie man es ihm erlaubt! Aufhetzen ist nicht Morden, das ist schon wahr, aber wenn man durch Hetze mein Klassenzimmer füllt, so ist das die Basis unserer Gesinnung. Und Thilo hat doch tatsächlich diesen ehrwürdigen Raum mit Leben erfüllt, hat mir wieder Herrenmänner in Hülle und Fülle in die Arme getrieben und mir den Ruhestand ordentlich vergrätzt.
Ihr euch ähnelnden Zwillinge im Geiste, ich freue mich herrisch, euch hier zu sehen. Hört nicht auf die seitenlangen Erzählungen eines alten Mannes, erfreut euch lieber der illustren Gäste, stoßt an auf eine Zukunft, die unser ehrenwertes Haus zu neuen Höhen geleitet. Eigentlich wollte ich ja auch nur erklären, dass ich mich ausgesprochen freue, meine Retter erblickt zu haben. Und nun entschuldigt, dort hinten trifft gerade Guido ein; habt ihr euch schon bekannt gemacht?
Damals, wie gesagt, zweifelte ich an euch. Kränklich dreinblickende Bürschlein seid ihr gewesen; seid ihr immer noch, wie ich über die Jahre feststellen durfte, als ich euch in Tageszeitungen abgelichtet und später im Fernsehen erblickt habe. Sage noch einer, das Aussehen scheide den Herren von seiner Dienerschaft! Darauf kam es noch nie an! Nah am Wasser gebaut hattet ihr auch, war jedenfalls mein Eindruck damals, als ich euch bei mir hatte. Muttersöhnchen vielleicht, aber das kann und will ich nicht behaupten. Im Grunde waren standet ihr unter schlechten Vorzeichen. Und dann las ich später von dir, Carl, dass du im fernen Afrika Karriere gemacht hast. König seist du geworden, der kleine, wenn auch inoffizielle König aller Neger im deutschen Ostafrika. Ein Despot, der den Wilden Furcht und Ordnung lehrte, der auspeitschen und Schlingen um Hälse legen ließ. Hängepeters haben sie dich damals getauft. Was war ich erfüllt von Glück: da stand einer meiner Schüler, ein Absolvent unserer herrlichen, herrischen, herrenmenschlichen Lehranstalt, im Mittelpunkt reißerischer Aufmacher, erntete hier Applaus dort Hass, war also gesund im Geschäft. Einmal sah ich eine Fotografie, wie dich einige Mohren über einen Fluß trugen - ein köstlicher Anblick, ein Anblick der unserer Schule Ehre machte. Und als ich dann noch las, dass du manche schwarze Bestie abgeknallt hast, war ich entzückt. Carl, ich wollte zu der Zeit schon in den Vorruhestand gehen, aber dieser Anblick eines weißen Herrenmenschen, der sich zwischen den wilden Kreaturen dieser Erde aufführt, wie es ihm, wie es seinem Stand als Krone der Schöpfung zukommt, er hat mich zur Besinnung gelangen lassen. Da schwante mir wieder, dass mein Wirken doch einen Sinn hat.
Carl, mein lieber Carl Peters, ich habe es dir nie gesagt, du hast mich, du hast deinen angegrauten Lehrer vor einen folgenschweren Schritt, hast ihn vor der Pension bewahrt, die ihn zur Tatenlosigkeit verurteilt hätte. Freilich wußten wir damals noch nicht, dass wir vor fetten Jahren standen. Das neue Jahrhundert versprach unserer Lehranstalt dicke Früchte in Form einer in unserem Sinne gebildeten Gesellschaft zu schenken. Es war eine herrliche Zeit damals, eine herrenmenschliche Zeit. Es ging sich erbaulich an, als der große Krieg, der später zum ersten zweier Weltkriege werden sollte, manche herrenmenschliche Attitüde heraufbeschwor. Sicherlich fochten auch Herren miteinander. Dass Engländer, Franzosen und mit Abstrichen Amerikaner mit Deutschen rangen, das war eine Wucherung, die unsere geschätzte Schule mit brennender Sorge zur Kenntnis nahmen. Gelobt sei die herrische Vernunft, schoss man auch gegen andere, gegen slawische Horden beispielsweise. Einige Zeit später kam dieser laute Krakeeler mit einem Schattenbild von einem Bärtchen unter seiner Nase über uns. Was für eine paradiesische Zeit! Scharen von Zöglingen wurden mir anvertraut und von mir in bester herrenmännlicher Manier unterwiesen. Carl, ich verdanke dir diese wunderschöne Epoche, die ich nicht im stillen Gelehrtenkämmerlein, sondern als gestaltendes Mitglied einer Volksgemeinschaft erleben durfte.
Danach Ernüchterung! Die Lehren unseres Hauses waren lediglich auf Randzonen der Welt begrenzt. Auf den Süden der Vereinigten Staaten und Afrikas, auf den Ku-Klux-Klan und die Buren konnte man noch bauen, aber es fanden sich nur wenige amerikanische und burische Schüler, die sich hierher, die sich ins Herz Europas vorwagten, um in der Kunst des Herrenmenschen geschult zu werden. Gelegentlich hatten wir freilich auch deutsche Schüler, die mit Feuereifer bei der Sache waren. Aber das waren Strohfeuer, die spätestens dann gelöscht waren, wenn es ins berufliche oder politische Leben hinaus ging. Müdigkeit stellte sich ein, ich wurde berufs-, ich wurde berufungsmüde. Wo früher das Klassenzimmer bis unter die Decke gefüllt war, saßen jetzt nur noch einige Mannsbilder herum, die nicht mal von besonderer Güte waren. Die Handvoll Chauvinisten war noch erträglich, ansonsten nur jugendliche Weicheier und Rentner, die ihre besten Tage schon hinter sich hatten. Der Nachwuchs blieb aus und der Lehrer, nun fast alleinegelassen, dachte erneut an Rückzug. Carl, ich dankte dir zu dieser Zeit erneut im Stillen, dass du mich jene schönen Jahre bis Mitte des Jahrhunderts noch erleben ließest und wollte gerade meinen Hut nehmen...
Da stand er im Klassenzimmer, Aktenmappe unter die Achsel geklemmt, mit lispelnder Stimme fragend, ob er hier richtig sei. Erinnerst du dich noch, Thilo? Ich hätte dir damals nicht erklären können, warum ich meinen Ruhestand erneut verschoben habe, denn sehr vertrauenserweckend warst du ja nicht gerade. Ein schmächtiges Kerlchen mit krumm rasiertem Schnäuzer, die Brille abschüssig auf der Nase sitzend, dazu dezentes Schielen. Später kam mir in den Sinn, weshalb ich mich entschloss, doch noch einige Jährchen am Gymnasium erlesener Herrenmänner zu bleiben: dein Aussehen, deine ganze Physiognomie, diese nichtssagende Mimik, der belämmerte Blick, diese ganze Banalität deiner körperlichen Erscheinung, deiner Bewegungsabläufe, es erinnerte mich an den guten Carl. An meinen Retter Carl, der hier in diesem Raum nie Primus war, dennoch der Primus meines Herzens, meiner Dankbarkeit wurde. Gut, du bist kein Zwilling, gleichst ihm nicht wie das sprichwörtliche Ei dem anderen, aber vielleicht wollte ich mir einbilden, dass du ihm wie aus dem Gesicht geschnitten bist, um mein jetzt schon fast ewig währendes Gastspiel als Pädagoge doch noch einmal zu verlängern. Der Ungepflegtheit und der Schmuddeligkeit deiner Erscheinung, die mich an den nachlässigen und unsorgfältig gekleideten Carl erinnerten, muß ich Dank zollen. Der abgeknickte Hemdkragen, das schlechtsitzende Jäckchen, das aussah, als habe man es dir unter Zwang angelegt, dieses Zwangsjäckchen also: all diese Oberflächlichkeiten hatten sich in mein Gehirn geprägt, waren ins Unterbewußtsein gespeichert und wurden nun wiederbelebt durch dein Anwesenheit.
Was als oberflächliches Tête-à-tête anfing, wurde tiefgründiger. Ich entließ dich in die weite Welt - allerdings: Abschluss nur befriedigend. Du hattest mehr Verve, bliebst hinter den Erwartungen zurück. Doch ich verspürte in dir ein Feuer, ein Ungehaltensein, wie ich es schon seit Jahren bei keinem Absolventen mehr erspähte. Du bahntest dir deinen Weg, nahmst Ämter an, bist bei den Sozialdemokraten eingetreten, was mich mehr als verwunderte damals, machtest jedoch als Technokrat beachtliche Karriere. Und dann legtest du los! Und wie! Sowas gab es in dieser unbeirrbaren Drastik seit Jahrzehnten nicht mehr. Diese ganze Verachtung für alles, was nicht uns Herrenmenschen gleicht, sie erfüllte mich mit der Gewissheit, dass noch nicht alles für unsere Schule verloren ist. Wie du Moslems und Faulenzer angespieen hast: das war schon großartig. Wie du auf die politische Korrektheit gepfiffen, keiner diese Gefälligkeitshanswursten und Publikumsbajazzos warst: es war betörend. Da warst du der ganze Stolz deines alten, fast schon wurmstichigen Lehrers. Massen wusstest du hinter dir, vielleicht nicht die Mehrheit des Volkes, aber doch jenen Teil der Massen, der immer schon gut für kopflose Aktionen gegen das Gesocks war. Dieser Teil vergütete deine Aussagen mit Respekt, ernannte dich zum Mann des wahren Wortes. Du hast den Zeitgeist getroffen, genau in jenem Moment aufgewiegelt, in dem enttäuschte und unzufriedene Schichten für mehr reif schienen.
Natürlich, Carl war brutaler, hat die wahre Lehre viel detailgetreuer verbreiten können als du heute. Carl war, so würde man heute sagen, ein Mörder. Du bist es nicht. Aber das waren auch andere Zeiten. Für dich wäre es heute strafbar, einige Neger oder Muselmanen abzuknallen. So traurig sind eben die Zeiten! Deshalb unterscheide ich aber zwischen euch nicht, denn jeder muß mit den Wirren seiner Epoche zurechtkommen. Mag ja sein, dass Carl heute genauso via Gazetten aufstacheln würde, wie du möglicherweise damals gepeitscht und geschossen hättest - auf das Wie kommt es nicht an. Das lehrte euch unsere Schule nicht, stand nie im Lehrplan, aber ihr habt es von alleine erkannt: der Herrenmensch muß das tun, was ihn sein Umfeld tun läßt. So weit gehen, wie man es ihm erlaubt! Aufhetzen ist nicht Morden, das ist schon wahr, aber wenn man durch Hetze mein Klassenzimmer füllt, so ist das die Basis unserer Gesinnung. Und Thilo hat doch tatsächlich diesen ehrwürdigen Raum mit Leben erfüllt, hat mir wieder Herrenmänner in Hülle und Fülle in die Arme getrieben und mir den Ruhestand ordentlich vergrätzt.
Ihr euch ähnelnden Zwillinge im Geiste, ich freue mich herrisch, euch hier zu sehen. Hört nicht auf die seitenlangen Erzählungen eines alten Mannes, erfreut euch lieber der illustren Gäste, stoßt an auf eine Zukunft, die unser ehrenwertes Haus zu neuen Höhen geleitet. Eigentlich wollte ich ja auch nur erklären, dass ich mich ausgesprochen freue, meine Retter erblickt zu haben. Und nun entschuldigt, dort hinten trifft gerade Guido ein; habt ihr euch schon bekannt gemacht?
6 Kommentare:
Es sind keine Zwillinge, sondern Drillinge:
Der Dritte der Drillinge sind epochenübergreifende Wohlfahrtsorganisationen, die betriebswirtschaftlich immer wohler fahren (siehe beigefügten Link)und als Erfüllungsgehilfen ihren betriebswirtschaftlichen Nutzen einfahren (siehe 'Ein Volk von Ökonomen von RdLP).
http://www.rp-online.de/duesseldorf/mettmann/nachrichten/wuelfrath/Fit-werden-fuer-die-Altenpflege_aid_841927.html
PS: Eigentlich sind es sogar Vierlinge, denn die mittlerweile wirklichkeitskonstruierende und sich prostituierende Wissenschaft fungiert ebenfalls als Erfüllungsgehilfe von Staat und Wirtschaft und Kirchen.
ich war heute in einer diabetologischen praxis. dort sah ich eine reihe von menschen, die an krücken gingen. ich überlegte mir, was sarrazin wohl über diese menschen sagen würde?
bis 1994 gab es hier einen carl peters platz samt denkmal, wurde dann umbenannt. wenn hier einmal ein thilo sarazzin platz geben sollte, um daran zu erinnern, daß der typ hier an einer laterne hing, dann hoffe ich, daß der name mindestens genauso lange bestand haben möge.
Mir fallen da auch noch andere Parallelen ein - das Militär in Deutschlands Kolonien zB fimierte unter der netten Bezeichnung 'Schutztruppen'...
so schreibt man polemiken!
Du bist schuld, Roberto. ;-)
Schuld daran, dass ich gestern mehrere Stunden im Netz wieder einmal Geschichtsunterricht genommen habe. Angefangen von einem Carl Peters, den ich bisher noch nicht einmal kannte, habe ich den Weg über die Alldeutschen mit mehreren Zwischenstationen bis zu Propagandafilmen des Dritten Reichs gefunden. Wer glaubt schon, dass man den Weg von Carl Peters bis hin zu Heinz Rühmann oder Hans Albers finden kann.
Danke dafür!
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