Einsatz gegen ein Naturgesetz

Sonntag, 18. Oktober 2009

Ein Gastbeitrag von Heidi Laber.

Am 3. Oktober startete die Mitteldeutsche Zeitung (MZ) zum neunten mal die Aktion "Wir-helfen". Die Aktion ruft Privatpersonen und Organisationen zu Spenden für Bedürftige auf. 115.800 Euro kamen im letzten Jahr zusammen.

Eine ganze Seite ihres Blattes widmet die MZ diesem Event. Natürlich hat dieses Projekt, wie es sich gehört, eine würdige Schirmherrin, die mir gütig aus ihrem Bild zulächelt. Es ist Frau Hedwig Neven DuMont und das ist kein Zufall, denn ihrem Gatten, Alfred Neven DuMont, bzw. der Mediengruppe M. DuMont Schauberg (MDS) gehört ja diese Zeitung, die bis 1990 das Zentralorgan der Bezirksleitung der SED Halle war. (Wahrscheinlich war der Kauf das Schnäppchen seines Lebens)

Und um die "lieben Mitmenschen" zum Spenden zu motivieren, findet Frau Neven DuMont auch die richtigen, mitfühlenden Worte. Das beginnt bereits im ersten Satz:

"Wir-helfen möchte dieses Jahr Kindern helfen, die in Armut aufwachsen müssen."

Mit dieser cleveren Einleitung ist schon mal eine wichtige Weiche gestellt. Merke: Kinderarmut ist ein unabänderliches Naturgesetz, gegen das man leider nichts machen kann. Manche Kinder müssen halt in Armut aufwachsen.

Frau DuMont spricht über den Schmerz, den Kinder empfinden, wenn sie andere Kinder sehen, denen es gut geht und den Schmerz des Hungers. Schmerzen, würde ich meinen, die Prinzessin Hedwig von Auersperg und jetzige Frau DuMont nie am eigenen Leibe spüren musste. Das ist so rührselig, und so unglaubwürdig, dass ich eine leichte Übelkeit in mir aufsteigen fühle. Aber es kommt noch schlechter: Sie beschreibt, was passiert, wenn Kinder sich nur noch darauf konzentrieren, etwas zu essen zu bekommen.

"Man wird aggressiv und findet es irgend wann nicht mehr schlimm, sich das Essen von denen, die es haben, einfach heimlich zu nehmen."

Also mal in klarem Deutsch. Kinder von Armen sind die Gewaltverbrecher und Diebe von morgen. In den Augen von Frau Neven DuMont ist es absolut verwerflich, sich etwas Lebensnotwendiges, nämlich Nahrung, von denen zu nehmen, die genug davon haben. Wo kämen wir denn hin, wenn die Armen sich einfach Dinge nähmen, von denen sie glaubten ein Recht darauf zu haben.

"Diese Kinder" fährt sie dann fort "haben wenig Chancen, als Erwachsene ihren staatsbürgerlichen Beitrag zu leisten."

Diese wichtige Aussage wird nun nicht näher definiert, so dass eine gewaltige Deutungsbreite darüber entsteht, was der staatsbürgerliche Beitrag denn sein könnte: Vielleicht das deutsch-typische kuschen vor dem Chef?
Natürlich nur, sofern man die Chance erhält einen Chef zu haben. Diese Chance wird aber auch für Kinder aus ganz "normalen" Familien immer geringer. Buckeln vor der Obrigkeit? Schuften für einen Hungerlohn? Sich in Afghanistan erschießen zu lassen? Den Reichtum der Familie DuMont und ähnlicher Unternehmer mehren?

"Was soll diese ewige Miesmacherei, wenigstens hat sie noch so etwas wie ein soziales Gewissen," werden vielleicht einige Leser sagen. Aber mein Hals ist inzwischen so dick, dass ich der Frau selbst das abstreite. Es ist Publicity, was sie sucht. Goodwill von Menschen, die oft nicht so viel mehr haben als die armen Familien, für die sie 50 oder 100 Euro spenden. Auf keinen Fall verfügen sie über 600 Millionen. Auf diese Summe wird jedenfalls das Vermögen der Verlagsgruppe DuMont und Schauberg im Managermagazin geschätzt.
Die 115.800 Euro, die in der letzten Spendenaktion zusammenkam, sind nicht einmal die Brotkrumen, die von Hedwigs Tisch fallen.

Etwa jedes dritte Kind (in Halle) ist von Armut betroffen. Deshalb müssen wir die Einrichtungen stärken, die diesen Familien helfen können.

Nicht etwa: "müssen wir die Ursachen der Kinderarmut beseitigen". In ihrem hehren Streben, durch eine gesponserte Urlaubsfahrt oder neuem Spielzeug arme Kinder auf den geraden staatsbürgerlichen Pfad zu trimmen, ist Frau Neven DuMont nicht allein. Ihr zur Seite stehen Menschen wie Frau Szabados (SPD), Bürgermeisterin von Halle oder Herr Bannert (CDU), Landrat des Saalkreises. Hochrangige Vertreter jener Parteien, die mit ihrer Politik diese Kinderarmut zu verantworten haben.
Der paritätische Wohlfahrtsverband registriert, dass sich die Kinderarmut seit der HartzIV- Gesetze verdoppelt hat. Gesetze, welche die SPD auf den Weg gebracht hat und an denen die CDU nicht rütteln will.
Damit wird diese ganze Aktion für mich eine Farce, verlogen, heuchlerisch und zynisch.
Und während ich den ersten rührenden Danke-Schön-Beitrag einer Kindereinrichtung über erhaltene Zuwendungen der Spendenaktion lese, kommt mir der Kaffee wieder hoch und ich frage mich, wie lange wir uns das noch gefallen lassen.

30 Kommentare:

Maverick 18. Oktober 2009 um 11:43  

Die 115.800 Euro, die in der letzten Spendenaktion zusammenkam, sind nicht einmal die Brotkrumen, die von Hedwigs Tisch fallen.

Wobei ein Großteil dieses Betrages aller Wahrscheinlichkeit nach steuermindernd geltend gemacht wurden.
Preisfrage: Wer finanziert also dies ganze Augenwischerei letztendlich?

christophe 18. Oktober 2009 um 12:39  

In den USA, wo die "neue soziale Marktwirtschaft" schon viel weiter ist, empfindet man es als ganz normal, dass sich die Wohlhabenden um die Armen kümmern, so sie denn Lust haben. Auch die 'Reise nach Jerusalem', bei der immer ein Stuhl fehlt, wird dort schon länger so gespielt, dass es für den Tüchtigen immer einen Platz gibt und sich der Rest eben mehr anstengen muß. Dass die Zahl der Stühle sich in den letzten Jahren drastisch verringert hat, wird kaum zur Kenntnis genommen. Wenn es den Wohlhabenden nun schlechter geht, ist das schlecht für die Habenichtse, denn dann gehen die Wohltätigkeitsveranstaltungen zurück. Im alten China gab es übrigens die Sitte, dass wohlhabende Opiumraucher von Zeit zu Zeit vor die Tür der Rausch-Kaschemme traten, um die Schalen der dort Wartenden mit ihrem Urin zu füllen. Für einen kleinen Rausch langte dies allemal.

Wolfgang Buck 18. Oktober 2009 um 12:57  

Gratulation! Dieser Artikel passt ganz wunderbar zum Vorangehenden (Sich selbst der Nächste).

Die Hilfe für "Bedürftige" wird zur Bühne für das Ego. "Ach, was bin ich nicht sozial und alle können es sehen!"

Zum anderen stellst Du die Frage, wie lange wir uns das noch gefallen lassen.

Solange die Medien, die Wirtschaftslenker und die Politik unisono erklären, Leistung und Wettbewerb wären alternativlos das Einzige was unsere Gesellschaft voranbringt (wohin will uns freilich niemnd verraten).

Solange wir glücklich zu machen sind mit dem neuen iPhone, dem neuen BMW, dem neuen James Bond ...(ja auch dem neuen Beitrag im Blog ;)...

So lange wir glauben, dass nur wer Arbeitet auch essen darf...

So lange wir überzeugt sind Schuld hätten ohnehin die Arbeitsscheuen, die Türken...(und manchmal auch einzelne gierige Banker)...

Solange wird das munter weitergehen. Ich sehe für meine Generation (ich bin mitte Vierzig) und für die nächsten fünfzig Jahre keine Änderung. Aber hey! Auch vom Deutschen Reich und der DDR glaubte man, sie überstünden Jahrhunderte.

Anonym 18. Oktober 2009 um 13:21  

Klasse! Wie tönt doch die FDP immer: Freiheit! Weniger Staat!
Das sind dann die Folgen, im übrigen ist der Kölner Stadt Anzeiger alles andere als Unabhängig oder Überparteilich. Ich habe ihn daher vor einigen Jahren gekündigt, keinen Bock mehr auf die Neoliberale Gehirnwäsche.
Schade, war mal eine gute Zeitung!

Anonym 18. Oktober 2009 um 13:23  

Es war doch schon immer das Ziel aller dieser neoliberalen Reformer aus fast allen Parteien und ihrer Hintermänner und Auftraggeber aus der Wirtschaft, rechtlich gesicherte soziale Ansprüche durch Mildtätigkeit der Reichen und Wohlhabenden zu ersetzen.
Damit werden zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen, nämlich dass die Lohnabhängigen so besser klein und unterwürfig gehalten werden können, vor allem wenn sie arbeitslos oder sonstwie arm sind, aber auch schon, wenn sie für die Arbeitgeber zu diesem oder jenen Lohn noch schuften können, noch schuften dürfen.
Auf diese so politisch geschaffenen Tatbestände können dann ganze Orgien an Heuchelei der Reichen und Wohlhabenden aufgesetzt werden, können sie sich mit(steuerlich oft absetzbarer!) "Mildtätigkeit" aller Art vor der Öffentlichkeit brüsten.
Und genau von so einer Gesellschaft von "Ungleichen"träumen eben alle, die fortwährend von Eigenverantwortung, Entlastung der Unternehmen, gar von Freiheit des Individuums faseln.
Die Feinde von Freitheit und Gerechtigkeit erkennt man am besten an ihren Zielen, Zielen, die sie aber hinter riesigen Lügengebäuden zu verstecken suchen, Lügengebäuden, die sie von Legionen von Meinungsmachern allerorts errichten lassen.

Bernd Kudanek 18. Oktober 2009 um 13:43  

... das, liebe Heidi, frage ich mich schon lange

... in die gleiche Kategorie wie die Dumont-Heuchelaktion fallen m. E. auch die vor allem von der etablierten Bourgeoisie vielgepriesenen sogenannten (oft kirchlich organisierten) Tafeln mit ihren Lebensmittel-Abfallprodukten für "Bedürftige" und ähnliche Feigenblatt-Einrichtungen

Bernd Kudanek alias bjk

landbewohner 18. Oktober 2009 um 14:55  

diese und ähnliche aktionen sind einfach widerlich. aber nur so kann man den bedürftigen klar machen, daß sie für almosen auch dankbar zu sein haben. und das perverse dabei ist, daß jene, die sich auf kosten der allgemeinheit bereichern bzw bereichert haben auch noch als die wohltäter der gesellschaft auftreten.

Anonym 18. Oktober 2009 um 16:29  

Vielleicht quält die Neven-DuMonts ja das schlechte Gewissen, durch Arisierung reich geworden zu sein? Da kann man schon mal was gegen die Kinderarmut ins Leben rufen!
Wen's interessiert, hier der Eintrag in Wikipedia:
"Zur Beseitigung von Kriegsschäden auf dem Verlagsgelände sollen indes auch politische Häftlinge zum Einsatz gekommen sein. Noch 1947 musste die Zahlung der rückständigen Löhne für solche Arbeitseinsätze durch die Stadt Köln angemahnt werden. Darstellungen, wonach Kurt Neven DuMont und seine Ehefrau privat wie geschäftlich von der Arisierung jüdischer Vermögen profitieren konnten, werden vom Verlag zurückgewiesen und juristisch verfolgt: Der Ankauf fraglicher Grundstücke und Immobilien in bester Lage Kölns zwischen 1938 und 1941 sei zum Verkehrswert abgewickelt worden und stehe in keinem direkten Zusammenhang mit der Emigration oder Deportierung der jüdischen Alteigentümer. Nachdem das Unternehmen M. DuMont Schauberg im Februar 2006 angekündigt hatte, zur differenzierten Aufarbeitung dieses Teils der Verlagsgeschichte einen unabhängigen renommierten Historiker zu gewinnen, wurde im Mai 2006 der Frankfurter Honorarprofessor Dr. Manfred Pohl mit dieser Aufgabe betraut. Im März 2009 veröffentlichte der ehemalige Leiter des historischen Instituts der Deutschen Bank seine Forschungsergebnisse im Campus Verlag unter dem Titel "M. DuMont Schauberg. Der Kampf um die Unabhängigkeit des Zeitungsverlags unter der NS-Diktatur".

Im Oktober 2006 erklärte die Zeitschrift Der Spiegel dazu: Behauptungen, die Eltern von Alfred Neven DuMont sowie dessen Verlag M. Dumont Schauberg hätten von 'Arisierungen' und den 'Enteignungen ihrer jüdischen Nachbarn' profitiert, haben sich als nicht stichhaltig erwiesen. Der Historiker Ingo Niebel räume Fehler ein, die durch zu rasches Durchblättern von Akten entstanden."

Honi soit qui mal y pense!

Robert Reich 18. Oktober 2009 um 16:33  

Zitiert: "Man wird aggressiv und findet es irgend wann nicht mehr schlimm, sich das Essen von denen, die es haben, einfach heimlich zu nehmen."

Komisch, wenn man den Menschen vor Somalia den Fischreichtum wegnimmt sind dann aber die Somalier die Bösen und Aggressiven, weil sie nun Piraten sind und sich irgendwas anders zum Leben besorgen müssen. Oder wenn man den Irakern das Erdöl wegnimmt und die sich dagegen wehren sind die die Bösen.
Die verlogene Doppelmoral dieser Leute aus der Kaste der Leistungsträger kot... einen an.

Zuerst schafft man Arbeitslosigkeit, Niedriglohnbereiche, Sklavenarbeit und dann schafft man Suppenküchen und sagt hinterher: "..ach diese armen Menschen können sicht mal mehr selbst ein warmes Essen zubereiten..."

Anonym 18. Oktober 2009 um 17:13  

Es ist aber frappierend, wie es dem Bürgertum gelingt, hässliche Schicksale von anderen dem Versagen der Betreffenden zuzuschreiben - und diejenigen, die das anders sehen, gleich auch noch als Versager abzustempeln.

In einem etwas anderen Zusammenhang ist mir das mal ganz krass aufgefallen: Im Gespräch mit einer Freundin, die wie ich dem gehobenen Bildungsbürgertum entstammt, habe ich mich über die - nach meinem Eindruck - sehr schlechte Betreuung an meiner früheren Massenuni aufgeregt. Es gab viel zuwenig Personal, und etliche Professoren waren von ihren nebenbei betriebenen privaten Beratungsunternehmen in Anspruch genommen. Dies führte dazu, dass Studenten, die mit dem Stoff nicht weiterkamem, kaum Unterstützung erhielten und teure Repetitorien benötigten. Viele - besonders solche aus schwächeren sozialen Verhältnissen - fielen nach wenigen Semestern ganz hintenunter.

Da fiel sie aber böse über mich her! Ich dürfe mein eigenes Versagen doch nicht mit den Umständen rechtfertigen, ich hätte halt mehr tun müssen, hätte mir mehr Material in der Bibliothek besorgen müssen, es wäre doch schließlich alles da gewesen! Sie wurde richtig aggressiv, was ich von ihr gar nicht kenne.

Das Verrückte ist: Es gehört schon einige Chuzpe dazu, mich als Versagerin abzustempeln, und das müsste sie auch wissen. Ich war unter den besten 10% meines Jahrgangs und habe das Studium schneller als in Regelstudienzeit abgeschlossen. In dieser Zeit war ich im Ausland, ich habe zahlreiche Praktika absolviert und nebenher gejobbt. Aber ich habe mir fast den ganzen Stoff selbst angelesen und keine Unterstützung der Lehrkräfte in Anspruch genommen (hätte ja ohnehin nichts gebracht) - wobei mir ganz sicher meine gute Schulbildung und mein Aufwachsen in einem Akademiker-Elternhaus geholfen haben.

Ihre Eltern dagegen haben ihr ihr überlanges Studium inklusive mehrerer Orts- und Fachwechsel finanziert, sie musste nicht jobben, war nicht im Ausland, und ihre ein, zwei Praktika in klangvollen Unternehmen verdankt sie den Kontakten ihres Vaters (ich habe ihr das allerdings nie, nie vorgeworfen - es fällt mir nur jetzt auf).

Aber Versager sind immer nur die anderen. Und diejenigen, die die "Versager" verteidigen, sind selber auch welche.

Daisy

Tim 19. Oktober 2009 um 02:25  

Ich habe vor zwei Tagen einen Artikel über die "Tafeln" gelesen. Denen wird ja inzwischen schon aus allen Richtungen vorgeworfen, sie helfen eigentlich gar nicht richtig, da sie mit ihren Nahrungs-Geschenken ja nur die "Armut zementieren". Da ist MIR der Kaffee hochgekommen!
1. arbeiten bei den "Tafeln" keine gutbetuchten "Charity-Ladies", die ein bisschen was für's Gewissen tun und ein paar Steuern sparen wollen. Sondern selbstlos engagierte Menschen, die selbst kurz vor dem Nichts stehen.
2. frage ich mich, was man mit solcher Kritik intendiert... Abschaffen - die Leute ihrem Schicksal überlassen, damit sie endlich durch den Druck des Hungers aus ihrer (selbstverständlich selbstverschuldeten) Armut herausfinden?
3. Schwingt da halt schon wieder diese "Sind doch alle selber schuld"-Einstellung mit, die suggeriert, es wäre für jeden Arbeit da, man müsse nur wollen. Ansonsten sollen sie doch verhungern!
4. Wer ist denn in der Verantwortung, den Menschen dauerhaft aus der Armut zu helfen? Ist das wirklich die Aufgabe von selbstlosen Helfern, die unentgeltlich ihre Freizeit und ihre Energie opfern - oder sind dafür nicht viel mehr die Politik und gewisse einflussreiche Kreise verantwortlich?

Anonym 19. Oktober 2009 um 03:26  

"Versager sind immer nur die anderen. Und diejenigen, die die "Versager" verteidigen, sind selber auch welche. "

Das regt mich schon so lange auf, bringt mich jedes mal aufs Neue auf die Palme. Verlierern muss die Schuld zugeschoben werden, denn wenn man das nicht tut, muss die Frage nach dem Warum gestellt werden und das geht nun wirklich nicht, das erfordert ein selbstkritisches Bild.

Das Sie wohl offensichtlich haben.

Es scheint wohl für einen großen Teil der Menschen eine tiefe Kränkung zu sein, wenn sie zugeben müssten ihre Position nicht alleine oder gar nicht aus eigener Leistung erworben zu haben, sondern dem goldenen Löffel zu verdanken, mit dem sie aufgewachsen sind oder speziellen Chancen und Zufällen verdanken.
Nein, heute will jeder für sich beanspruchen das er seines eigenen Glückes Schmied ist.

Übrigens ist die extreme Reaktion ihrer Freundin evtl. darauf zurückzuführen, daß sie sich sehr wohl im unbewußten Bewußt ist, das sie selbst keine herausragende Leistungsträgerin ist, aber eben an diesem inneren Konflikt, an dieser Lüge zu wackeln erzeugt schnell Aggressionen, wie so oft wenn verdrängte Konflikte berührt werden.

Grüße

ad sinistram 19. Oktober 2009 um 07:16  

Zur Tafel-Mentalität

Daisy 19. Oktober 2009 um 13:21  

Den Tafel-Mitarbeitern Vorwürfe zu machen oder ihnen jede Anerkennung zu entziehen, finde ich auch daneben. Ich denke, zwischen dem, was diese Menschen täglich tun und der "Nächstenliebe" einer Frau Neven DuMont besteht schon noch ein Unterschied.

Was die Diskussion um die Tafeln ausgelöst hat, scheint mir aber wohl die Tatsache zu sein, dass Sozialabbau gelegentlich dadurch gerechtfertigt wird, dass die Menschen sich ja immer noch bei den Tafeln versorgen könnten. Das muss doch auch für die Mitarbeiter der Tafeln ein Schlag ins Gesicht sein!

Lustigerweise führt das dann aber dazu, dass sich die öffentliche Wut tatsächlich gegen die Tafeln wendet - als seien tatsächlich sie die Ursache dafür, dass Sozialleistungen weiter gekürzt werden. Dabei war es vermutlich ein durchaus wohl kalkulierter Vorwand der Entscheider, die damit mal wieder ihr Ziel erreichen: Wer wirklich die Schuld trägt, gerät in den Hintergrund. Nur ein weiteres Beispiel für das Prinzip "Spalte und herrsche".

ad sinistram 19. Oktober 2009 um 13:45  

Genau genommen sind die Tafeln, dieses Kind McKinseys, durchaus für die Kürzung von Sozialleistungen mitverantwortlich. Sie sind das Alibi, mit dem man Kürzungen rechtfertigt.

Ob ein gravierender Unterschied zwischen Charity-Ladies und einem Großteil - wohlgemerkt: einem Großteil - der Mitarbeiter der Tafeln besteht, muß bezweifelt werden. Oft sind es etwas kleinere, geldbeutelig dünnere Ladies, die ihre soziale Ader befriedigen wollen. Persönlich sind mir Damen bekannt, die die Nase rümpfen, wenn das Pack mal wieder zum "Shoppen" kommt, die zudem ein Arbeitsklima innerhalb der Tafeln erzeugt haben, dass es einer Sau graust (um es bayerisch zu sagen). Aber schön, seinen Mitmenschen zwischendrin mal geliebt zu haben.

Aber ob es einem gefällt oder nicht: Die Mitarbeit fördert den Suppenküchenstaat, selbst dann, wenn die Mitarbeit aus den frömmsten Gründen stattfindet. Gleichwohl ist es eine Verlagerung des Teilhabegedankens in ökonomisch-rationale Bahnen. Man gibt ab, weil man überflüssige Ware hat, man tut es nicht einmal von Herzen.

Die Suppenküche ist, egal wie man es dreht und wendet, der Verfall des Teilhabegedankens. Wo Suppenküchen entstehen und hochgelobt werden, da liegt die Gerechtigkeit am Boden; wo Mitarbeiter der Suppenküchen zu Helden der Arbeit werden, wird der Mangel zum Alltag, zur Selbstverständlichkeit der Gesellschaft.

Daisy 19. Oktober 2009 um 14:00  

Du hast natürlich recht, der Grundgedanke der Tafeln ist extrem zynisch, aber man hat sich schon viel zu sehr daran gewöhnt. Auch deren Kuschelei mit den Unternehmen, die ihnen Reste zuliefern, ist anrüchig.

Und wer bei den Tafeln wirklich nur mitarbeitet, weil er/sie es (zu recht oder zu unrecht) als besten Weg ansieht, auf die Schnelle das schlimmste Leid zu lindern, der müsste sich zumindest mit Händen und Füßen dagegen wehren, als Alibi für weitere Grausamkeiten missbraucht zu werden.

Daisy 19. Oktober 2009 um 15:08  

Das ist übrigens auch nicht neu, sondern im Grunde genommen eine Variante der Mentalität, mit der "feine" Damen ihren Putzfrauen abgelegte Kleider schenken. Ich bin mit so etwas aufgewachsen, aber ich würde das nicht fertigbringen (wobei ich auch keine Putzfrau habe).

Das Problem sind nicht die gebrauchten Dinge an sich - ich mag gerne Sachen aus zweiter Hand und kaufe häufiger so etwas. Das Unangenehme ist das Prinzip "Neues für oben, Gebrauchtes für unten" - wobei "unten" zusätzlich noch auf die Auswahl angewiesen ist, die "oben" getroffen hat.

Daisy 19. Oktober 2009 um 15:10  

... und natürlich nicht nur Gebrauchtes an sich, sondern insbesondere das Weggeworfene als Wohltat für "unten". Das macht die Sache so schlimm.

Maverick 19. Oktober 2009 um 15:19  

Oft sind es etwas kleinere, geldbeutelig dünnere Ladies, die ihre soziale Ader befriedigen wollen. Persönlich sind mir Damen bekannt, die die Nase rümpfen, wenn das Pack mal wieder zum "Shoppen" kommt, die zudem ein Arbeitsklima innerhalb der Tafeln erzeugt haben, dass es einer Sau graust (um es bayerisch zu sagen).

Da „Die Tafeln“ ein eingetragener Verein ist, ist somit auch die Bedingung der Gemeinnützigkeit erfüllt. Ob die Arbeit dann auch noch als „zusätzlich“ deklariert werden kann, obliegt meistens der Interpretationsbegabung der 1 Euro-Jobanbieter.
Die Tafeln. – Eine (hunds)gemeinützige Einrichtung, „arbeitsmäßig“ oft getragen von Bedürftigen für Bedürftige. Hier bin ich Prekarier! – Hier darf ich es sein!!! Hier seid ihr unter euch, ihr Unwürdigen. (Nicht selten unter mitleidig-liebevoller aber doch gestrenger Anleitung o. g. Ladies mit eingefrorenem, süßsauerem Lächeln und ebenso eiskalter Stimme. – Denn etwas Warmes braucht der Mensch. – Oder aber auch: Hunde wollt ihr ewig leben.)

hedera 19. Oktober 2009 um 20:31  

Für mich sind die Tafeln, insbesondere der Verkauf von minderwertigen Lebensmitteln einfach nur erniedrigend, ehrenrührig und demütigend. Egal wie gut man es mit mir meint. Unser aller Aufgabe muss doch darin bestehen, Tafeln überflüssig zu machen!
Heidi Laber

Daisy 19. Oktober 2009 um 22:09  

Als ich zum ersten Mal von den Tafeln hörte (muss schon viele Jahre her sein), da habe ich in meiner Naivität gedacht: Ist doch gut, dass nicht mehr ganz so viele (so gerade eben noch) gute Lebensmittel im Müll landen. Aber gleichzeitig dachte ich auch: Wozu soll das denn gut sein, es haben doch auch so in Deutschland alle genug zu essen? Damals stimmte das auch fast noch, glaube ich - von den wenigen Menschen, die damals schon hungern mussten, bekam man jedenfalls nicht viel mit. Also, mein soziales Gewissen war zu jener Zeit vermutlich nicht sehr ausgeprägt, aber vielleicht brauchte es das auch nicht, weil wir eben noch einen halbwegs funktionierenden Sozialstaat hatten.

Heute ist das anders - und der "Bedarf" für die Tafeln ist da. Dabei gibt es heute mit Sicherheit nicht weniger Essen in unserem Land als damals. Trotzdem wird uns eingeredet, es sei ein "Naturgesetz", dass dieser Überfluss an Nahrung für bestimmte Gesellschaftsschichten nicht mehr zur Verfügung steht (außer als Abfall natürlich).

Tim 21. Oktober 2009 um 02:57  

@Roberto:

Nun ja, was ist denn nun aber die praktische Konsequenz, die du aus diesem Gedanken ziehst?

Natürlich wäre es mir auch lieber, wir bräuchten die Tafeln gar nicht. Ich würde auch lieber in einer Welt leben, in der Tiny Tim seine Behandlung einfach so bekommt. Aber 1. werden bei den Tafeln keine jahrealten Leder-Schinken verteilt, sondern Lebensmittel, die absolut in Ordnung sind und aus größtenteils völlig irrationalen Gründen bei den Supermärkten aussortiert wurden. 2. Waren die Tafeln schon vor dem Sozialabbau da, d.h. es gab auch ohne die "neue" Defintion des Sozialstaates schon einen Bedarf; und außerdem kann man daher die Tafeln nicht zum Erfüllungsgehilfen des Sozialabbaus verklären. Da wird nur umgekehrt ein Schuh draus: Wenn es eine Korrelation zwischen Sozialpolitik und Tafeln gibt, dann die, dass Politiker u.a. die Tafeln als Ausrede missbrauchen. 3. Ging meine Kritik ja eigentlich in eine ganz andere Richtung: Ich musste kotzen, weil ich las, wie manche Leute ernsthaft den Tafeln vorwerfen, die Armut überhaupt erst zu erzeugen, bzw. zu zementieren. Und dass man ihnen die Aufgabe andichten wollte, die Armen dazu zu erziehen, mit dem Nichts, dass ihnen die Politik lässt irgendwie auszukommen.

Anonym 21. Oktober 2009 um 21:22  

http://video.google.de/videoplay?docid=-9159519242306999793&ei=-F7fSuHND4Ss2wLUxoDaCw&q=essen+aus+m%C3%BCll&hl=de&client=firefox-a

Sollte man auch mal bedenken, wenn man über "Müllnahrung" redet.

Damit will ich aber nicht andeuten, daß hier ein Zwang zur Ernährung nach dem dargestellten Muster erfolgen soll. Es ist wäre nur für diejenigen als Anregung zu verstehen, die diese Form für sich nur noch entdecken wollen und freiwillig darin eine Bereicherung sähen.

Daisy 22. Oktober 2009 um 00:47  

In dieser ganzen Diskussion wird uns ja - und übrigens nicht nur an dieser Stelle - suggeriert, es gäbe so wenig Nahrungsmittel, dass man mit denen sparsam haushalten müsse. Deswegen müssten halt einige Leute mit der 1B-Ware vorliebnehmen, und das seien logischerweise die, die die Gesellschaft für am wenigsten "wert" hält. Was für ein Unsinn! Wir wissen doch alle, dass es zumindest in unseren Breiten eher zu viel als zu wenig Nahrungsmittel gibt (und vermutlich auch weltweit der Hunger mit den vorhandenen Gütern zu stillen wäre). Und sogar Leute, die Ungleichheit toll finden, müssten eigentlich zugeben, dass auch die Reichsten irgendwann satt werden, sogar wenn sie mit allen anderen Dingen den Hals nicht vollkriegen können. Man kann eben nicht unbegrenzt Essen konsumieren. Also, was nutzt es, wenn der Übefluss an Nahrung für andere noch größer wird, weil man HartzIV-Empfänger davon ausschließt?

Klar wirft unsere gegenwärtige Nahrungsmittelproduktion ganz andere Fragen auf, was Ökologie, Tierschutz etc. angeht. Aber die Lösung kann nicht heißen, gewisse Leute "aus Prinzip" mit Minderwertigem abzuspeisen. Und die meisten Hartz-IV-Tafel-Fans dürfte Ökologie ohnehin wenig interessieren, also kann sie wohl kaum als Rechtfertigung für ihren Kürzungswahn herhalten. Ich glaube, das Bedürfnis zu demütigen, zu verunsichern und einzuschüchtern taugt viel eher als Erklärung.

Anonym 22. Oktober 2009 um 19:01  

"Also, was nutzt es, wenn der Übefluss an Nahrung für andere noch größer wird, weil man HartzIV-Empfänger davon ausschließt? "

Es wird ja nicht für den Bedarf sondern für die Rendite produziert. Das ist Kapitalismus.

Daisy 22. Oktober 2009 um 19:55  

Aber nicht mal diese Logik haut ja hin. Wenn Arbeitslose nur noch Abfälle bekommen, bleiben für Kleinbauern und Großkonzerne weniger Abnehmer, die für ihre Produkte bezahlen - ergo weniger Rendite.

Und (anders als bei anderen Waren) kann man die Nachfragelücke kaum ausgleichen, indem man den Reichen einfach mehr verkauft. Man kann ihnen zwar ein viertes Auto, ein drittes Haus und eine zweite Yacht andrehen, aber mehr als drei Steaks am Tag bekommen die meisten Menschen beim besten Willen nicht runter (zumal die Oberschicht ja heute dünn sein will).

Deswegen klappt an dieser Stelle nicht mal das simple Umverteilungskalkül. Ich glaube, bei dem Kürzungswahn spielt durchaus die Tatsache eine Rolle, dass man Leuten nur dann richtig Angst einjagen kann, wenn man sie hungern und um Essen betteln lässt.

Anonym 22. Oktober 2009 um 22:01  

"Aber nicht mal diese Logik haut ja hin. Wenn Arbeitslose nur noch Abfälle bekommen, bleiben für Kleinbauern und Großkonzerne weniger Abnehmer, die für ihre Produkte bezahlen - ergo weniger Rendite."

Nicht wirklich. Denn beim Einsparen geht es imm um einige wenige Zahlen einzelner Betriebe und einzelner Unternehmer / Unternehmen. Das das Lohndumping des einen die Nachfrage des anderen ruiniert ist unerheblich.

Sicher spielen auch rein ideologische Optionen und elitäre Weltanschauung eine Rolle, das bleibt auch bei kurzsichtigen Gesellschaftsanalysen nicht aus. Trotzdem ist die Kurzsichtigkeit mit dem das Kapital seine Rendite durch Kosteneinsparung und Auslagerung von Kosten auf die öffentliche Hand oder den Kunden, produziert, der zumeist allein bestimmende Maßstab für den Aktionsrahmen.


http://video.google.de/videoplay?docid=8484233630157880825&ei=ErrgSp_BEI2a2wLr4oCyCg&q=Bernd+Senf+der+Tanz+um+den+Gewinn&hl=de&client=firefox-a

http://video.google.de/videoplay?docid=3003221754742023166&ei=ErrgSp_BEI2a2wLr4oCyCg&q=Bernd+Senf+der+Tanz+um+den+Gewinn&hl=de&client=firefox-a

Anonym 22. Oktober 2009 um 22:10  

Also um es noch mal auf den Punkt zu bringen: BWL ist oft nicht im Interesse der Volkswirtschaft. Es ist ein Interessenkonflikt und dieser wird ausgetragen wenn der Binnenwirtschaft das Wasser abgegraben wird um die Kassen der Kapitalgeber mit Rendite zu füllen. Aber auch hier gibt es Gesetzmäßigkeiten

http://www.ngo-online.de/ganze_nachricht.php?Nr=11630

Das Problem ist wie ich anderswo schrieb, das dem Menschen der Überblick fehlt und das Zinssystem nutzen, weil es so schön dynamisch ist und schnelle Erfolge bringt, ohne wirkliche langfristige Perspektive auf Bestand.

Daisy 23. Oktober 2009 um 12:49  

Was mich ja nur zunehmend irritiert, ist, dass so viele Menschen dieses simple einzelwirtschaftliche und angebotsorientierte Denken unhinterfragt als "optimal für die Volkswirtschaft" akzeptieren. Dabei zeigt schon das Beispiel der Tafeln, wo es hakt. Dass Unternehmer wie Unternehmer denken, wundert mich wenig - aber dass auch Leute das tun, die wohl nie in ihrem Leben Unternehmer sein werden, schon.

Und anstatt sich zu fragen, weshalb all diese Theorien in der Praxis nicht funktionieren, akzeptieren viele anscheinend die Sündenböcke, die ihnen vorgesetzt werden - damit meine ich z.B. Ausländer und Arbeitslose.

Anonym 23. Oktober 2009 um 22:14  

Dazu kann ich nur empfehlen sich auf diesem Blog und zb in diesem Vortrag
http://video.google.de/videoplay?docid=-343934689018248257&ei=5f5kSbzEDZSw2QLM-azdDQ&q=politik&hl=de&dur=3#
ein Gefühl für Sprachkultur zu entwickeln. Als Beispiel taugt insbesondere auch das dritte Reich und die sprachlichen Entwicklungen dort. Im Vortrag wird das Buch von Victor Klemperer erwähnt, das durchaus ein Verständniss anbietet, wie sprachliche Entwicklung vor sich geht. Warum ist das so wichtig?
Sprache ist Sitz der Gedanken, die Sprache ist Spiegel des Denkens und dies steckt an. In der Memetik kann man lernen wie sich kulturelle Entwicklungen und Denken über die Sprache an Menschen weitervermittelt.
Mit dem Blogtitel (Vorherrschende Gedanken...) und mit Hilfe der Presse und allgemeiner Propaganda, Zwängen und Problemen die Menschen Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu Opfern der entfremdeten Welt vom eigentlichen Sein machen, sie von der Menschlichkeit in großer Masse Stück für Stück entfernen, sie in den Konsumismus überführen, mit diesem Grundverständniss (wenn ich mich verständlich ausgedrückt habe) könnten Sie der gesellschaftlichen Entwicklung nachfolgen, sie verstehen. Ändern läßt sie sich nicht. Das wäre sich einem Tsunami in den Weg zu stellen oder zu probieren diesen umzuleiten. Was nicht heißt das man selbst mitmachen muss beim Abstieg. Im Gegenteil!

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