Jetzt ist der Volkswille genehm

Samstag, 3. Oktober 2009

Basisdemokratie innerhalb eines Systems, welches nicht besonders demokratisch gelaunt ist, ist die vornehme Art, knallharte Interessenspolitik durchzupeitschen, ohne eine Peitsche zu benutzen, die nebenher außerdem noch eine Fassade von Gesamtwillensbekundung errichtet. Wie man seine Interessen besonders galant verwirklicht, ließ sich am demokratischen Esprit Irlands ablesen, der das Nein beim letzten Referendum bezüglich des Lissaboner Vertrags, aus dem Erinnerungsvermögen annullierte, um erneut das Volk zu Rate zu ziehen. Da nun offenbar bejaht wurde, die Iren den erdrückenden Werbekampagnen zugunsten des Vertrags erlegen sind, steht nun keine weitere Befragung an. Man muß das Volk also nicht weiter zur Urne quälen, die gestrige Volksmeinung darf (ganz im Gegensatz zur Volksmeinung von 2008) Maßstab sein, muß nicht mehr überdacht und beiseite gelegt werden, um einer erneuten Befragung Entfaltungsraum zu geben.

Ja zu Europa! Irland und seine Iren haben ja zu Europa gesagt! So reibt es uns die Presse unter die Nasen. Man könnte annehmen, das letztjährige Nein wäre eine Abfuhr an den europäischen Gedanken gewesen. Viel stand auf Seiten der Kritik, angefangen bei der fehlenden Demokratie und dem ausufernden Zentralismus des durch Lissaboner Vertrag reformierten Europas, über Militarisierung des Kontinents, bis hin zum fehlenden Bekenntnis der EU, die Todesstrafe für alle Zeiten zu bannen. Ein Nein zu Europa wurde jedenfalls nicht ausgesprochen - es war ein Nein zu einem Europa, wie es der Politik, oder ehrlicher gesprochen, wie es der Wirtschaft vorschwebt.

Den Iren wurde bereits damals Europafeindlichkeit nachgesagt. Der Vorwurf wurde im Laufe der Zeit kultiviert, immer wieder mußte sich Irland als rückständig im europäischen Denken bezeichnen lassen. Parallel dazu säugte man das Bild vom gierigen Inselbewohner, der sich an den Geldern aus EU-Pötten genüsslich mästete, seine Wirtschaft wachsen ließ, wie nirgends sonst in der alten Welt, der mit Subventionen seinen nimmersatten Reichtum begründete. Und dann konnten die Iren einmal eine Gegenleistung reichen, verweigerten sich aber, weil sie doch tatsächlich die Frechheit besaßen, ihrem freien Wahlwillen zu folgen. Ihr Nein zu Europa hätten sie damit konkretisiert. Ihr Nein zu uns! Zu uns guten, verantwortungsvollen, zukunftszugewandten Europäern! Warum hassen uns die Iren nur so?

Wo man nun in großen Lettern schreibt, Irland würde Europa nun bejaht haben, da spielt sich unverborgen eine antidemokratische Haltung wider. Es wird unterstellt, die Iren würden den europäischen Gedanken nicht hochhalten, sich abwenden, ein eigenes Süppchen kochen wollen. Das ist zwar übliche Kritik an all jenen, die der real exisitierenden EU nichts abgewinnen können, weil sie in ihr nichts weiter als einen international agierenden Wirtschaftsverband wittern, die kein Europa der Menschen, dafür eines der Unternehmen aufbauen will und schon aufgebaut hat. Ein Europa der Maßlosigkeit, in dem Schutzzollpolitik der Entwicklungsländer -die für jene Länder die einzige halbwegs wirksame Methode ist, ihre nationalen Produkte nicht vollkommen von europäischen Produkten verdrängen zu lassen - angemahnt und sanktioniert werden. Ein Europa, das sich mehr und mehr zur Festung macht und auf Flüchtlinge im Maghreb schießen läßt. Ein Europa, das gemeinsam Kriege bestreiten kann und wird, wenn die wirtschaftlichen Notwendigkeiten dazu gegeben sind. Wie gesagt, immer mußten sich EU-Kritiker den Vorwurf der Ketzerei gefallen lassen, wurden nicht EU- sondern Europakritiker genannt. Aber selten geschah dies derart penetrant, derart zwischen den Zeilen, doch immer gut lesbar. Für den Konsumenten der Massenmedien wurde betont, dass Irland ein ketzerisches Fleckchen Wiese sei, auf dem man sich bald entscheiden müsse, ob man für oder wider Europa sei, ein Ja zu Europa abgibt oder eben ein unheilvolles Nein, welches dann klarmachen würde, welcher Gesinnung irische Köpfe seien.

Um den Willen der Iren ging es jedenfalls nicht mehr. Und das, obwohl dort das Volk selbst befragt wurde. Dass es hierzulande oder andernorts auf dem europäischen Festland nicht um den Willen der Menschen ging, konnte weniger geleugnet werden. Man wurde erst gar nicht gefragt. Franzosen und Niederländer hat man gefragt, als der Vertrag noch als Verfassung hätte verabschiedet werden sollen. Beide sagten "Nein zu Europa". Im zweiten Anlauf hat man dafür gesorgt, dass widerspenstige Völker erst gar nicht mehr gefragt werden müssen.

Letztlich läßt sich an diesem Szenario ablesen, dass der laute Ruf vieler linker Kreise, man solle endlich Basisdemokratie in Form von Volksbefragungen verwirklichen, eine unausgegorene Phantasie sind. In einem System, in dem die Meinungsmache in den Händen weniger reicher Interessensgemeinschaften liegt, in der manipuliert und fehlinformiert wird, kann man keinen wirklichen Volkswillen erwarten. Es wird nicht Meinung, es wird eingeimpfter vorauseilender Gehorsam an die Urnen getragen. Und es wird die Urne so oft aufgestellt, bis das Wahlvolk mürbe ist, bis die Menschen durch mediale Beeinträchtigung und langsam aufkeimende Agonie, erst gar nicht mehr zur Volksbefragung gehen. Ob nun also ein Parlament Entscheidungen trifft, ohne sich vorher an das Volk gewandt zu haben, oder ob es basisdemokratisch zugeht: letztlich erreichen die Interessen der Herrschenden früher oder später immer ihr Ziel. Notfalls wird verunglimpft, wird man zum Europafeind, zum Subventionen dürstenden Insulaner, der nur nehmen, nichts geben will.

Wie man vorab und auch danach über das Referendum berichtete, ist keine journalistische Zufälligkeit. Die Berichterstattung ist vollgesogen vom Zeitgeist. Sie ist antidemokratisch, antiliberal, lediglich wirtschaftsliberal und zentralistisch orientiert. Deshalb wird über demokratisch höchst zweifelhafte Methoden, wie eben jener, das Volk solange zu befragen, bis es genehm antwortet, nicht skeptisch berichtet. Antidemokratische Machenschaften und antidemokratische Berichterstattung sind Ausdruck eines antidemokratischen Zeitalters, in dem viel von Demokratie gesprochen, allerdings wenig von ihr gehalten wird.

11 Kommentare:

willi 3. Oktober 2009 um 14:40  

Wie haben wir uns doch früher über die Ostblockstaaten und ihre 99,5% Ergebnisse für die Regierung amüsiert.
Bei und läuft das anders: Wir lassen so lange wählen, bis das Ergebnis passt. Sollte es noch eines Nachweises bedurft haben, dass die EU nichts mit Demokratie zu tun hat, kann man ihn mit dieser Farce als erbracht betrachten. http://www.erlkoenig-blog.de/?p=3708

Steven Black 3. Oktober 2009 um 16:28  

Wohl gesprochen!Eine kleine "Korrektur" wäre vielleicht angebracht: Denn es ist Demokratie was da gelaufen ist .. und zwar in diesem Kontext:

Wilhelm Landig schrieb in „Wolfszeit um Thule“ (Wien, 1980): „Volksherrschaft ist die übliche Bezeichnung. Man geht von der Übersetzung des altgriechischen ‚demos‘ als Wort für ‚Volk‘ aus. Tatsächlich aber ist das altgriechische Wort für Volk ‚laos‘. So wird auch der Name Menelaos richtig übersetzt als ‚Volksführer‘. Das Wort ‚demos‘ indessen heißt ‚Abschaum‘. Die altgriechischen Bauern von Piräus kochten zu ihrer Zeit in großen Kesseln Schaffett und schöpften dann von der Oberfläche des Suds den (wertlosen) Abschaum herunter. Diesen Abschaum nannten sie ‚demos‘. Die Intelligenz und Führungselite der altgriechischen Städteregierungen bezeichneten danach dann ihrerseits die aufkommende Herrschaft des Pöbels verächtlicherweise mit Demokratie, die Herrschaft des Abschaums.“

Wie passend! Oder?

Also ist der Begriff „Demokratie“ neu zu definieren. Es ist die Regierungsform von einflussreichen Minderheiten, die unerkannt (von den Medien verschwiegen) die Politik der Völker übernational gestalten. Ihr Mittel dafür ist die Staatsverschuldung, Zinsknechtschaft über den Zins und Zinseszins, gleichgeschaltete Medien und eine allgemeine Bildung, deren “Grenze” mit der 5 Schulstufe erreicht ist. Oh, vergessen wir dabei nicht das Hauptzentralgift: Der Fernseher – mit ihm strömen ohne Unterlass, giftige Ideen und Bazillen der Niedertracht, in jede noch so kleine Zelle unseres Geistes und Körpers. Seine Staatstragende Wichtigkeit erschließt sich alleine darin, dass er nicht einmal gepfändet werden darf! Hat darüber schon mal jemand nachgedacht? Nein, wozu auch ..

Anonym 3. Oktober 2009 um 19:08  

Der SPIEGEL schreibt: "Europa ist erleichtert über Irlands "Yes"". Ach ja, ich und die restlichen geschätzten mindestens 150 Millionen anderen Europäer, die gegen den Vertrag sind, sind nicht erleichtert. Ich wüsste nicht, dass der SPIEGEL mich nach meiner Meinung gefragt hätte. Sind all diese Menschen jetzt keine Bürger "Europas" mehr?

Ach ja, und wenn mit "Europa" nur die wirtschaftsliberale "EU-Bürokratie" gemeint sein sollte, dann müssen wir uns für den Kontinent einen neuen Namen ausdenken lassen. Es ist bezeichnend, dass das bürokratische Monstrum namens EU sich erdreistet, den ganzen Kontinent für sich in Anspruch zu nehmen, von dem nur 27 Staaten der EU angehören.

Jan Perlak 3. Oktober 2009 um 19:28  

Das Referendum zum EU-Vertrag hat doch seinen Namen nicht verdient und kann nie und nimmer als Indiz für dessen demokratische Akzeptanz gelten. Das liegt vor allem daran, dass die politische Elite des Landes das Ob und Wann einer Volksabstimmung praktisch alleine festlegen kann. Das heißt, es ist so gut wie unmöglich, dass die Iren später wieder vom neuen EU-Vertrag per Referendum "zurücktreten" werden, sollten sich deren Befürchtungen über die politische Ausrichtung der Union bestätigen.

Dasselbe war doch auch beim Euro und bei anderen Integrationsschritten der Fall - rückgängig gemacht werden können sie kaum, nach einer gewissen Zeit als Selbstverständlichkeit angesehen. Die weitere europäische Integration ist nach wie vor richtig, aber kein Muss. Wenn die "Integration" wie bisher nur zu wirtschaftsliberalen und für die Bürger nachteiligen Bedingungen erfolgt, muss sie abgelehnt werden.

Die Propaganda der Medien hat aber dazu geführt, dass es mittlerweile nicht mehr als parteiisch gilt, wenn man die Machtausweitung der EU befürwortet. Selbst bei der Tagesschau schämt sich niemand mehr, die Nachricht von der Zustimmung Irlands als "frohe Botschaft" zu bezeichnen. Die Propaganda ist hier so stark, dass sie niemandem mehr richtig auffällt.

Raze 3. Oktober 2009 um 22:03  

Tja, sehen wir uns das Ergebnis mal an: 60 Prozent Wahlbeteiligung und etwa 2/3 davon ja - das macht nach Adam Riese und Eva Zwerg 40% Jastimmen auf die gesamte wahlberechtigte Bevölkerung, die restlichen 60% haben NICHT Ja gesagt. Also gab es keine Mehrheit für den Lissabon-Vertrag in Irland. Wer was anderes behauptet, ist ein Lügner.

Anonym 4. Oktober 2009 um 02:06  

Ausgezeichneter Beitrag, Roberto!
Du hast sehr klar herausgearbeitet, wie leicht das demokratische Instrument der Volksabstimmung pervertiert werden kann, so daß am Ende immer das gewünschte Ergebnis herauskommt, unterstützt und begünstigt durch die passende Propaganda.

Es gibt keine gänzlich wasserdichten Rechtssysteme. Auch Demokratie und Rechtsstaat sind darauf angewiesen, daß die Akteure überwiegend rechtschaffend sind.
Sind sie es nicht, helfen auch die besten Gesetze nicht mehr.
Transparenz in allen Entscheidungen UND Entscheidungsvorbereitungen können diese Rechtschaffenheit befördern oder erzwingen. Hinterzimmerpolitik und "elitäre" Zirkel, deren Ergebnisse für die Bevölkerung überfallartig daherkommen sind das Gegenteil von Transparenz und Gift für Demokratie und Rechtsstaat.

Wir leben in einer Scheindemokratie und die Inanspruchnahme des Rechtsstaats kann sich kaum einer leisten.

Eurohasenbär, SZ-Leserforum

klaus baum 4. Oktober 2009 um 13:17  

Ich melde mich mal als Ausdruck des Volkswillens: Die jetzige Version Deiner Seite gefällt mir besser (jetzt ist 4.10.09, 13:17) als die dreispaltige von gestern, bei der rechts und links des Textes noch Informationen waren. Dier jetzige Version ist optisch einfach ruhiger.

Charlie 5. Oktober 2009 um 03:11  

Danke für diesen Text.

Du erwähnst zwar nur am Rande, aus welchen Gründen das infame Machwerk des Lissabon-Vertrages von den (keineswegs "europakritischen") Bürgern abgelehnt werden muss - aber Du hast wunderbar herausgearbeitet, wie demokratiefeindlich der ganze Prozess ist. Die Jubelhymnen der Propaganda-Medien sprechen eine deutliche Sprache.

Und dennoch muss immer und immer wieder darauf hingewiesen werden, wohin uns dieser demokratiefeindliche Weg führen wird: Nämlich geradewegs hinein in eine Diktatur der Konzerne, in der soziale Standards, Menschenrechte oder nationale Gesetze oder Verfassungen keine Bedeutung mehr haben.

Und das "demokratisch gewählte" EU-Parlament ist dabei nichts weiter als eine Farce, denn es hat nur eine "beratende" Funktion, aber in wesentlichen Teilen keine Entscheidungskompetenz.

Darüber wurden die Iren nicht informiert - und der Rest der EU-Bürger ebenfalls nicht. Wir alle sind der Propaganda ausgesetzt, die uns erzählt, der Vertrag von Lissabon sei unser Glück. Doch es wird ein Heulen und Zähneknirschen geben, wenn wir eines nicht mehr allzu fernen Tages aufwachen und bemerken, dass wir in der Dystopie einer kapitalistischen Diktatur längst angekommen sind. Welch eine Horrovision.

"Wenn sie mit Fleischermessern durch eure Schlafzimmer geht, werdet ihr die Wahrheit wissen."

(Heiner Müller: Die Hamletmaschine)

Markus 5. Oktober 2009 um 05:09  

Es ist wieder die übliche "There is no alternative"-Politik der Eliten und ihrer Journaille. "Wer gegen den Lissabon-Vertrag ist, ist gegen die EU, der ist gegen Europa, ist der Feind". Durchaus berechtigte Kritik am Lissabon-Vertrag (ich hab da in meinem Blog mal was drüber geschrieben: http://guardianoftheblind.wordpress.com/2009/10/04/der-vertrag-von-lissabon-gruende-fuer-eine-ablehnung/) kommt in den Mainstream-Medien so gut wie gar nicht vor.

Und auch das "Demokratieverständnis" zeigt sich: stimmen die Bürger gegen eine Verfassung, benennen wir sie einfach um und lassen sie nicht mehr drüber abstimmen. Und wenn das doch noch ein Land macht und die dummen Bürger sich dagegen entscheiden, wiederholen wir es so oft, bis sie uns glauben.

Anonym 5. Oktober 2009 um 10:33  

Stellen wir uns folgendes Szenario vor: der tschechische Präsident Klaus wartet, bis die Tories die Mehrheit in Großbritannien bekommen,was durchaus realistisch sein könnte. Dann kommte es zu einem Referendum in Grobritannien und Tschechien mit einer möglichen Ablehnung des infamen Machwerks "EU- Vertrag". Was dann Senor Cardoso?

Anonym 6. Oktober 2009 um 13:11  

@ Willi
beim Tennis gibt es zumindest noch ein "best of five"

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