Nun noch die Zwiebeln. Schneidest du sie mir bitte in kleine Würfel? Mir wäre es ganz recht, wenn du das übernimmst, zumal du eh erkältet bist, dir ohnehin schon die Augen laufen.
Achso, meine laufen sowieso. Wäre es nicht angebracht gewesen, meinen Augen Ruhe zu gönnen, weil sie ohnehin tränen, weil meine Nasenflügel nicht unter noch mehr Sturzbächen erodieren sollten? Das wäre jedenfalls kollegialer gewesen, menschlicher, fürsorglicher.
Nimm es nicht persönlich, ich habe nur rational abgewogen, habe mir vorher schon Gedanken gemacht, wie es wohl am zweckdienlichsten zu bewerkstelligen sei. Und schau, deine Augen tränen, dem Katarr sei Dank, doch ohnedies; meine sind noch gut zu gebrauchen. Warum beide Augenpaare schwächen, wenn wir mit einem schwachen Paar auskommen können?
Analytisches Denken! Das habe ich ja besonders gerne. Und darüber das Menschliche vergessen, zum Nebenfaktor machen! Weil du jeden Energieschub, jeden Impuls in deinem Schädel der ratio überstellst, vergisst du darüber, dass deine Brüterei nicht im sterilen und abstrakten Idyll des Abwägens stattfindet, sondern im Fleisch und Blut, hauteng an deinen Mitmenschen.
Es schadet nicht, sich seine Welt zu abstrahieren, sie ein klein wenig zu generalisieren, damit das Begreifen und Verstehen innerhalb dieser Realität planbar wird, damit man Schlüsse ziehen, Entscheidungen ableiten kann. Wie sonst, außer in den Räumen der abstrakten ratio, dem Idyll, wie du es nennst, soll man die Welt denn sonst erfassen?
Immer wenn mir jemand mit so einem kühlen Weltbild die Aufwartung macht, ahne ich dahinter Feigheit. Nämlich die Feigheit, mir nicht offen und ehrlich erklären zu wollen, dass man keine Lust hat Zwiebeln zu schälen, sie zu würfeln. Da kramt man dann mutlose Analysen hervor, erzählt was von sachlicher Vernunftmäßigkeit, nur damit die eigene Abneigung ein scheinbar vernünftiges Postament erhält. Sag' doch einfach, dass du das Arbeiten an der Zwiebeln hasst. Aber verschone mich mit deiner halbgaren Vernünftelei.
Und du geh' mir weg mit dieser Romantik vom Mitmenschen, an der ich mich zu orientieren hätte. Außerdem ist es nicht Lustlosigkeit, die mich von der Zwiebel abhält, sondern Kalkül, wie ich dir ja schon eben erklärt habe. Aufgaben sind dazu da, dass sie erledigt werden, ob es einem gefällt oder nicht, hat für die Bewertung der Situation keine Folgen. Wenn dir jemand seine Vorlieben und Abneigungen derart brühwarm unter den Schnabel reiben würde, fändest du das nicht unpassend? Also wenn mir jemand das Würfeln von Zwiebeln mit der Begründung überließe, seine Augen wären ihm zu schade: ich würde das als Angriff begreifen, als Respektlosigkeit an meiner Person.
Aber ich nicht, denn ich kalkuliere nicht so wie du es tust. Ich denke, fühle, empfinde, natürlich ziehe ich auch da und dort meinen Geist heran, aber er dominiert mich nicht. Wenn mir jemand erklärte, er möchte sich einer unliebsamen Aufgabe entziehen, einfach, weil sie ihm unangenehm ist, dann freut mich das vielleicht nicht, aber es ist ehrlich und respektabel, hat was von Freiheit. Mir aber mit vernünftigen Plänen zu kommen, die meine verschnupften Augen beinhalten, das finde ich unverfroren, verlogen, unsäglich frech. Mal abgesehen davon, was du mich indirekt damit wissen läßt. Du sagst ja verklausuliert nichts anderes als: du bist momentan sowieso schon am Boden, da kann man dich auch gleich noch mit der Nase in die Erde drücken. Das macht dann ohnehin nichts mehr aus.
Es war nur zweckdienlich gedacht, und du machst eine Staatsaffäre daraus. Warum doppeltes Leid, wenn einfach genügen würde? Warum dieses falsche Gerechtigkeitsempfinden, nach dem jeder genausoviel Qualen erdulden soll? Es ist schlicht irrational, in dieser Frage falsche Rücksichtnahme von mir zu verlangen. Sachlich betrachtet kannst du mir keine Vorwürfe machen.
Kann ja sein, ich habe nie behauptet, nicht irrational zu sein. Aber verdammt, ich bin ein Mensch mit allen Facetten, habe Ideale, die ich nicht einhalten kann, obwohl ich es möchte; tue meinem Körper Schlechtes, obwohl ich weiß, dass ich irgendwann die Rechnung begleichen muß, kurz, ich bin ein Mensch, in sich zerrissen und nicht logisch sezierbar. Was ich dir anlaste ist, dass du dich so unmenschlich benimmst, analytisch-zynisch, ohne Bedacht auf Gefühle und Wünsche, rücksichtslos wie eine Rechenapparatur.
Eine Hymne auf die Unausgewogenheit, auf den haltlosen Menschen - na fein, mir kommen die Tränen, ganz ohne Zwiebelschneiden. Und weil der Mensch eben so ist, weil er keiner geraden Linie aufrichtig folgen kann, ohne ab und zu einen Schritt vom Strich abzugleiten, braucht es die Abstraktion, braucht es den kühlen Kopf des Vernunftmenschen, einen ordnenden Kopf.
Gelegentlich schon. Aber bei dir hat das Methode; du liebst nicht, du schusterst dir eine Liebe vernunftgemäß zurecht. Jede Absage an deine Mitmenschen begründest du mit vernunftuntermalten Ausreden, statt salopp zu erklären, ich hab' keine Lust. Du kommst mir vor wie einer jener Philanthropen, die laut erklären, man müsse den Armen helfen, die aber auch gleich seriös und sachlich nachschieben, dass die Kassen leer seien, womit die Hilfe aus Vernunftgründen, aus Gründen trauriger Kassenlagen, zurückgestellt werden müsse. Das ständige Kalkül erwürgt die Gesellschaft, entfremdet uns immer mehr, hebt jede ethische Kategorie auf. Die totale Vernunft zimmert sich eine eigene Moral zusammen. Eher eine Unmoral; eine Unmoral der Verwertbarkeit, der Zweckdienlichkeit. Jedes Mittel ist recht, wenn es nur den Zweck heiligt. Wer dazu bereit ist, kennt keine Barrieren mehr, der verkauft seine ethische Allergie auch noch als Moralkodex, direkt abgeleitet aus den Tiefen der Vernunftbegabung.
Was für Geschütze für zwei Zwiebeln! Für mich ist es unbegreiflich, dass du aus jeder Bakterie einen Blauwal basteln mußt.
Und genau da zeigt sich dein uferloses Vertrauen auf die ratio, diese ultima ratio deines Wesens. Selbst wenn ihr dir darzulegen versuche, wie ich das Leben sehe, vernünftelst du durch deine Welt. Was heute bei zwei Zwiebeln beginnt, endet letztlich immer in einer Katastrophe. Denn heute erklärt die Vernunft, ich sei der beste Mann zum Zwiebelschneiden, morgen wird ihr aber zu der Auffassung geraten, dass Randgruppen des Gesellschaft, solche die ganz unten stehen, aufgrund ihres tiefliegenden Status', auch noch einen halben Meter weiter absinken können, weil es nun eh keine Rolle mehr spielt. Die fromme Gemeinde der totalen Vernunft nickt dann verständig, so wie sie dabei nickte, als sie Küchenhilfen zur unliebsamen Arbeit verdonnerten. Ich möchte fast behaupten, wer mit einem heuchlerischen Unterton an die Vernunft appelliert, wenn es ans Zerlegen von Gemüse geht, der gibt auch seine Zustimmung, wenn es wieder heißt, es sei am vernünftigsten, ein besonnener Akt geradewegs, unliebsame Menschen in Lager zu sperren. Damals hat man auch irgendwelche kruden Thesen herangezogen, Scheinwissenschaften betrieben, daraus Mord und Totschlag abgeleitet. Die Vernunft war zu allem fähig. Und sie ist es noch. Wenn sie als absolutes Mittel angewandt wird, wenn man sie wie einen Hammer nutzt, nicht wie ein filigranes Skalpell,wie ein hochempfindliches Besteck, dann vermag sie zu morden, ohne Reue zu verspüren. Daher sind mir Vernunftreiter suspekt, sie sind leicht manipulierbar, sind nicht Herr über sich selbst, denn der Vernunfthammer knallt auf jene Stellen im Gehirn, die für das Gefühl, den Instinkt, die Intuition verantwortlich wären. Wegen zwei Zwiebeln, meinst du, mache ich diesen Aufstand, diesen rhetorischen Spagat? Glaub' mir, bei den Zwiebeln geht es los, es endet aber früher oder später unter den Radieschen. Dieser Menschentypus von heute, dieser kühle, berechnende, abwägende Hominidenschlag, der die Welt nur noch als großes Kaufhaus wahrnimmt, in dem zwischen Angeboten rein rational entschieden werden muß, ist zu allem fähig. Natürlich ist es ein Segen, wenn die Vernunft uns lehrt, dass alle Menschen gleich sind, weil die über Jahrhunderte bahnbrechende Vernunft uns bis an die Schwelle der mitochondrialen DNS geführt hat, die uns ihrerseits bewiesen, vernünftig unterbreitet hat, dass wir alle von einer einzigen Urmutter abstammen. Hier hat die Vernunft ihre Aufgabe erfüllt, hat den Wissensdrang befriedigt. Doch wenn die Vernunft das einzige Mittel ist, mit dem man die Welt wahrnimmt, dann blüht uns eine keimfreie Welt, eine Welt wie ein gekacheltes, kaltes Schlachthaus. Wie schnell wird aus der Urmutter die banale Einsicht, wir alle seien letztlich nichts weiter, als wandelnde Säureverbindungen - was nicht mal gelogen wäre. Wer es schafft, der Vernunft einzuimpfen, es habe nicht weiter zu kümmern, wenn Säureverbindungen andere Säureverbindungen in Zwangsarbeit, Lager oder Gaskammern stecken, der hat die treuesten Mitläufer geschaffen. Wer fanatisch glaubt, wer der Religion der totalen Vernunft verschrieben ist, der hinterfragt nicht mehr, der betet und klammert sich ans Dogma. Dies vermögen nur Götzen! Die Vernunft klärt auf, schafft aber auch Atomwaffen, Repressionsmittel, genmanipulierte Lebensmittel; sie läßt uns die Welt klarer sehen, fügt der Klarheit aber Kühle hinzu, manchmal Todesahnung. Wenn man dem nicht entgegenwirkt, wenn man das Gefühl, den Bauch nicht als gleichberechtigten Antagonisten hinzufügt, dann ist die reine Vernunft und nichts als die Vernunft, so vernünftig sie uns helfe, ein ansehnliches Mordinstrument. Die heutige Sachlichkeit ist ein repressiver Witz! Diese beliebigen Spaßvögel, die auf Bühnen steigen, dort in aller Erhabenheit ganz sachlich Mißstände breitklopfen, die die Sache selbst nicht touchieren, wissen vom Gefühl eines im Mißstand Gefangenen gar nichts. Gefühle sind für solche Debatten nicht vorgesehen, Gefühle hegen solche Possenreißer nur für ihr eigenes Fortkommen - wobei deren Gefühle nichts weiter sind, als die vernünftelnde Freude an der eigenen Karriere; man erklärt vernunftvoll, das eigene Aufsteigen diene allen Menschen, man sei ja mit Herzblut engagiert, weswegen es die Vernunft gebietet, ausgerechnet diesen Gecken Karriere machen zu lassen. Solche Kerle hauchen heute großkotzig ins Mikrofon, dass der Verschnupfte sich ans Zwiebelwerk machen soll, weil ihm ohnedies schon Tränen aus den Augen rinnen, er keinen weiteren Schaden dabei erleide - vom Brennen und Zwicken in den Augenwinkeln, wird nicht gesprochen; den Schmerz sieht man nicht, die Augen laufen so oder so, der hinzugekommene Schmerz jedoch ist unsichtbar. Und morgen laufen sie zur Bestform auf, wenn sie mit gleicher Stimmfärbung, mit der gleichen seriösen Gesetztheit, leidenschaftslos phrasierend, liebevoll ihre ach so grandiose Vernunft tätschelnd, auf Arbeitslose, Ausländer oder Moslems losgehen. Für Gefühl ist da kein Platz mehr. Es würde nur stören, denn in der durchrationalisierten Welt herrscht die ratio, das Gefühl ist eine terroristische Untergrundbewegung, anarchistischer Bombenlegerverband, fanatisches Querulantentum. Eine solche Welt ist totalitär, weil sie anders geartete Lebensphilosophien in die Illegalität zwingt; die eine, die einzige Lebensweise, die überdies als Unphilosophie die Geschichtsbücher bereichern wird, ist also letztes Ideal für jedermann erkoren. Hör' mir also damit auf, mir das Zwiebelschneiden mit rationalen Unterton schmackhaft zu machen. Die Vernunftzwiebel ist nur der Einstieg. Wenn selbst schon an der Zwiebel rational herumgedoktort wird, dann ist auch bald der Mensch Gegenstand kühlen Kalküls. Ist er ja heute schon! Am Anfang stand ein Wort: Zwiebel!
Hier weiterlesen...