Tröstet euch!

Samstag, 31. Oktober 2009

Keine Angst, möchte man ihnen zurufen, nur die Ruhe, alles halb so wild. Natürlich stellt sich Furcht ein, selbstverständlich blickt man ängstlich in die Zukunft. Betriebe schließen, selbst honorige Unternehmen machen die Tore dicht, Arbeitslosigkeit ist ein Wachstumsmarkt. Mancherlei Menschenschläge wird es treffen, unschuldig ihren Dienst runterreißende Angestellte ebenso wie jene, die besonders stolz waren auf ihre spärliche Stellung. Selbst das in Lohnarbeit stehende Kleinbürgertum, diese lächerliche Kopie der Bourgeoisie, Schlipsproletariat und Karikaturen ihrer Herrn, Geiferer und Treter nach unten, Feinde des faulen Lenz, Todfeinde der im Lenz Faulenden, selbst dieses Konglomerat aus Kesseltreibern und Einpeitscher ängstigt sich um die schlackernde Stellung. Doch zurück zum Trost; keine Angst, ihr Massen, besänftigt eure Furcht!

Ruhig Blut, ihr Massen, die Wogen des Sozialgesetzbuches schaukeln euch sanft in die Beschäftigungslosigkeit hinüber, liebkosen euch in der Not, behüten euren Schlaf! All diese Massen, die sich in Leserbriefen, Gästebüchern, Foren auskotzten, die am Stammtisch und in geselligen Runden aufwiegelten, ihren Nachbarn und Bekannten ein Lehrbeispiel in Sachen Menschenverachtung gaben, all diese Befürworter enger Regelsätze, Schönredner schmaler Transferleistungen, Apologeten noch kleinerer Überweisungszahlungen, all dieses aufgehetzte Personal also, es muß sich nicht fürchten. Immerhin wissen sie es seit Jahren blendend, bekommen es zudem immer wieder eingebleut: Das Arbeitslosengeld II ist ausreichend. Man müsse eben sparsamer in den Alltag stolpern, haben sie in die Runden gerufen; müsse sich einschränken, war ihre Devise; müsse lediglich mehr aus der Dose und weniger vom Metzger löffeln, war nur einer von vielen Ratschlägen. Es reicht aus, man könne in jedem Falle davon leben. Wie irrational von denen, nun plötzlich in Angststarre zu verfallen. Skurril, dass man ausgerechnet jetzt die üppig gepolsterte Hängematte nicht zu erkennen vermag.

Kühlt euch ab, ihr Erwartungsfrohen, seid nicht so kleinmütig, nicht so ängstlich! Die Kissen des Sozialstaates sind nicht nur weich gefüllt, sie sind auch als Boxhandschuh verwendbar. Wenn der Beschäftigungslose seines Reichtums überdrüssig wird, stülpt er die Kissenbezüge ab, wickelt sie sich um die Fäuste, marschiert so ausgerüstet in jenes Büro, aus dem die freigebigen Überweisungen angewiesen wurden, knallt der fürsorglichen Schreibtischstute direkt eine auf die Nase, nur um sich hernach gesünder, gebraucht und wichtig zu fühlen. Die Segnungen des Systems sind allumfassend, materiell wie seelisch wird Fürsorge betrieben. Geld für den Bauch, Nasenbrüche für die Seele. Seelenbeamte fangen die Wut noch an der Wurzel auf, an der Nasenwurzel. Es gibt keinen vernünftigen Grund, sich nun in Angst zu suhlen, vor der drohenden Arbeitslosigkeit in die Knie zu gehen, ein schrecklich schönes und barbarisches Leben wartet auf die Massen in spe, ein Barbarentum ohne Tagesstruktur, mit viel Schlaf, mit schwingenden Fäusten und überdies bestens finanziell abgesichert. Herrlich anarchistisches Dasein! Närrisch, falsche Ängste zu bergen, plötzlich in Starre zu verfallen. Seid mutig, ihr Massen, so mutig wie einst, als ihr mutig die Finger in die Wunden derer gelegt habt, die sich nicht mal Verband leisten konnten, um sich notdürftig zu umwickeln. So furchtlos wie damals, als ihr der Wahrheit zum Durchbruch verholfen habt, jener Wahrheit, man könne auch von Luft und Liebe und Almosen ein sattes Leben führen. Geht mit demselben Mut in eure schmarotzende Zukunft, legt euch angstlos in die Hängematte!

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Kopflos

Donnerstag, 29. Oktober 2009

Mit den Kopf unter dem Arm, das Haupt streng in die Armbeuge geflochten, betritt man das Kämmerchen. Grüßt aus Brusthöhe hinüber, grüßt den Herrn seiner Sache, diesen Junker der Sachlage, tischt sein aufreizendstes Lächeln zum anderen Schreibtischufer hinüber. Man wird gebeten Platz zu nehmen, bekommt den unsanften Stuhl gewiesen, worauf man seinen abgetrennten Kopf zwischen beide Handflächen stemmt, um ihn in die gedeutete Richtung zu halten, um zu prüfen, wohin das Dorsale zu wenden ist. Tastend schiebt man sein zittriges Hinterteil auf das Möbel, mit dem Arsch befühlend, wo der Stoff sich von der Leere des Raumes scheidet. Man findet Halt, seufzt kurz darauf erleichtert unter dem Arm hervor, klebt an des Junkers Lippen, harrt dem behördlichen Ritus.

Woran man sei, wird man gefragt; kopflos sei man, gibt man zurück, müsse sein Haupt umhertragen wie eine speckige Aktentasche, hört man sich wie unterm Galgen spotten. Das sei nicht gemeint, wird erwidert, man meine eher die Situation, wie habe sie sich denn entwickelt. Sie ginge schleppend vonstatten, herumschleppend, sich schlapp schleppend. Die Lage, die Lage, schallt es ungeduldig aus dem behördlichen Äther, ob man fleißig Beschäftigung suche, Herrgottnochmal. Beschäftigt sei man, ausreichend und mit Elan, der Kopf beschäftige, man sei Kopfarbeiter. Unter der Achsel zwinkert es, erklärt, man wisse genau, was eigentlich gemeint war, rechtfertigt sich, dass man schon suche, immerhin verlange es das Gesetz, nur fände man keine Beschäftigung, nirgends, überall dasselbe Nichts. Einen, der mit seinen Kopf unter dem Arm reist, nehme man nicht unter Vertrag.

Mit dieser Einstellung fände man niemals Arbeit, da verbliebe man ewig im Leistungsvollzug. Das ist doch keine Einstellung! Kopflos hält man dagegen, man könne nichts dafür, es sei nicht die eigene Schuld, dass die Mitmenschen wenig Freude an Kopflosen entwickeln wollen. Außerdem hätte man mit vier zertrümmerte Fingern und einen zerschlagenen Oberschenkel zu kämpfen, die Funktion des Schließmuskels sei zudem am Unfallort abhanden gekommen. Ein Wunder sei es, dass man noch lebe, darüber sei sich sogar die Schulmedizin einig. Man wäre eigentlich tot, müßte tot sein, wenn nicht dies unerklärliche Wunder geschehen wäre. Aber das ist doch keine Einstellung!

Wunder hin oder her, wird erklärt, es sei nun an der Zeit, wieder ein geregeltes Leben zu ergreifen. Ein Bewerbungslehrgang könnte ein abermaliges Wunder bewirken. Es sei eindeutig, dass bewerbungsrelevante Mängel vorhanden seien. Dies sähe man auf einem Blick, man erkenne prompt, dass der Bewerber sich nicht auf Augenhöhe zu seinem möglichen Brotgeber stellen will. Eine Umkehrung des depressiven Zustands sei nun angebracht. Man müsse lernen seine Vorzüge hervorzuheben. Lernen, aus Nachteilen Gewinnsituationen zu schöpfen.

Man müsse endlich wieder lernen, dass vier ruinierte Finger auch bedeuten können, noch sechs gesunde Exemplare davon zu haben; lernen, dass es nur der abgängigen Schließmuskelfunktion in Tateinheit mit einer Windel zu verdanken sei, dass zeitaufreibende Toilettengänge während bezahlter Arbeitszeit hinfällig seien. Mag alles zutreffen, schallt es aus der Armbeuge hervor, mag ja alles sein, aber betritt man das Büro eines Personaldisponenten, Kopf in den Dunst schwitzigen Achselmilieus geklemmt, habe sich letztlich noch jede Bemühung zerschlagen. Dann heißt es, man sei für den Arbeitsmarkt nicht mehr tauglich, soll doch in den Krankenstand gehen. Jemand, der die Kraft besitzt, dauerhaft eine schauerliche Fratze durch die Gegend zu wuchten, maßregelt es von der anderen Schreibtischseite, der habe auch genug Kraft, einen Erwerb zu erwerben.

So kraftvoll fühle man sich allerdings gar nicht, gibt man zu bedenken. Eher müde, meist total erschlagen von der Last, außerdem habe man oft Kopfschmerzen, der Schmerz befände sich genau dort, genau unter dem Arm. Zerdepperte Finger machten die Situation nicht leichter, man wäre eigentlich ganz froh, nicht arbeiten zu müssen. Das ist doch keine Einstellung! Sowas wolle man im Kämmerchen nicht gehört haben, heißt es brüsk, schließlich sei Arbeitsbereitschaft ein wesentlicher Punkt der Fürsorge. Mit sechs gesunden Fingern könne man auch noch sechs leuchtende Knöpfchen bedienen, gleichwohl seien mindestens noch ein Bein und einige andere intakte Körperteile verwertbar, könnten Arbeit leisten und den Lebensunterhalt wenigstens teilweise sichern. Außerdem sei Gesundheit kein Kriterium, selbst aus siechen Hunden, sofern sie erstmal friedlich eingegangen sind, würde man ja Seife herstellen können.

Ratlos hockt man vor dem Junkertum, sich mit einem Handgriff die Büsche der Achselgegend und das Haupthaar kratzend, dabei nach Beteuerungen forschend, die die Aufrichtigkeit des Arbeitswillens unterstreichen, emphatisch herauskehren sollen. Auf dem Bau habe man gearbeitet, wirft man pflichtschuldigst als Antwort in den Ring. Man traue es sich nicht mehr so richtig zu, sei aber arbeitswillig und werde deshalb keine Sperenzchen machen. Für die Zukunft verspreche man, neben dem Kopf auch noch die Füße in die Hände zu nehmen, um allerlei Baustellen abzuklappern. Man beteuert scheu, wenn man sich was in den Kopf setze, könne man es auch erreichen. Der behördliche Lautsprecher quietscht, kratzt, wiehert, was als Zufriedenheit gedeutet werden kann. Wenn man auch keine Leitern mehr emporsteigen kann, quietscht es hervor, am Erdgeschoss könne man sicher noch restnutzend verwertet werden, man brauche dort sicherlich jedes gesunde Fingerglied, jedes Fitzelchen gesunde Körperzelle.

Man rätselt, weshalb man dem Junker bis heute noch keine Gliedmaßen entrissen hat, könnte er doch auch mit weniger Firlefanz gleichen Dienst tun; man fragt sich verhohlen, weshalb dessen Beine noch anschlüssig, dessen Arme noch als Paar auftreten. Des Herrn Körper ist ein geradezu verschwenderischer Apparat, für jene Beschäftigung reichte auch die halbe Funktionalität, ein beträchtliches Weniger an organischem Plunder. Säbelte man mit einem Hieb dessen Schädel vom Rumpf, ersetzte man die Birne durch eine klaffende, tief hinabreichende Halswunde, man dürfte sich sicher wähnen, die behördliche Beschäftigung würde nach wie vor zur vollsten Zufriedenheit erfüllt. Man sitzt dem Verschwender gegenüber, presst sein Haupt gegen die Flanke, malt sich aus, wie eine zweckdienlichere Variante Dienst im Kämmerchen tun könnte. Würden es nicht auch weniger körperliche Extremitäten tun? Man malt sich aus, wie ein bloßer Rumpf auf dem pompösen Thron sitzt, aus dessen rechter Seite ein dürres Ärmchen erwächst, worauf wiederum ein mageres Händchen sprießt, aus dessen Ende zwei dreigliedrige und zwei zweigliedrige Fingerstummel hervorkriechen. Ein Kopf läge zu Füßen, dort wo die Füße stattfänden, wenn nicht Rationalisierung Gebot des Moments wäre, lägen also zu verlorengegangenen Füßen in einem Schuhkarton, darin von Wange zu Wange kugelnd, hin und her wippend, jedoch fähig des Sprechens, um sein besserwisserisches Geistessekret abzusondern. Augen hätte jenes Haupt nicht, wären sie doch pure Verschwendung, Luxus den sich die Evolution nie leisten konnte, zumal sich doch auch mit dem beschriebenen kärglichen Aufwand der Dienst an der Sache tun ließe.

Im hysterischen Tagtraum malt man sich diesen Typus aus, baut ihn sich langsam vor dem geistigen Auge in die Höhe, will mit der Flamme des heiligen Rationalisierungsgeistes entzündet werden, erhebt sich, platziert den Kopf auf dem Schreibtisch, dreht ihn mit Blick zum Junker, nimmt den perplexen Blick des Gegenüber wahr, kramt ein antiquiertes Taschenmesser aus der Hosentasche, steht einen Augenblick neben sich, sieht sich aus der Lage des Zuschauers zum Angriff bereit, wirft sich auf den Kerl, rammt die rostige Klinge in den Hals, zieht sie gleich einem Dosenöffner rundherum, zerreißt Haut, Fleisch, Adern, trennt fetzenhaft das Fleisch vom Fleische, reißt Glieder heraus, pflückt kurz gesagt den Korpus gesund, rationalisiert ihn durch, macht ihn schlanker, wendiger, effizienter und bemerkt erst spät, zu spät, dass man selbst einem Wunder das Leben in zwei Stücken verdankte, überlebt hat, wo andere bereits gestorben wären. Gestorben wie jener Herr im Kämmerchen, zerrissen, zerschnitten, zerfleddert wie eine Götterspeise in der Waschmaschine.

Man flüchtet stolpernd vom Hort der vielen Kämmerchen, wird noch auf dem Heimweg aufgegabelt, festgehalten, fixiert, um den losen Kopf erleichtert, der im Kofferraum des grünen Taxis landet, wird verhört, ausgequetscht, nach Motiven durchleuchtet. Man weiht die Grünjacken in die hohe Schule der Rationalisierung ein, macht schrittweise klar, dass jede halbwegs gesunde Körperzelle noch Arbeit leisten kann, verschwindet dann mitsamt Kopf in einer dunklen Zelle. Die Zellenwärter treten vor die Kamera, legen dar, dass wieder einmal einer den Kopf verloren hat, in seinem Wahn lynchte, kopflos flüchtete, in Gewahrsam zusammenhanglose Geschichten feilbot. Man wird erklären, dass jener nur einer von vielen sei, einer von vielen Kopflosen, einer von vielen bald kopflos Gewordenen, die sich anders als durch unkalkulierten Wahn nicht mehr zu helfen wissen. Man wird nicht berichten, dass der kopflose Wahn am anderen Ufer der Schreibtische seinen Anfang nahm, dass das Kopflose in den fest verankerten Köpfen seinen Beginn erlebte.

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Sit venia verbo

"Der heutige Liberalismus, sagte er, kombiniere einen fundamentalen Pessimismus hinsichtlich der menschlichen Solidarität mit der Auffassung, das Individuum müsse so frei wie möglich sein. Doch entweder sei man Pessimist und für eine aufgezwungene Ordnung, oder Optimist und dann für die Freiheit. Beides zugleich sei unmöglich. Man könne nicht den Pessimismus des Sozialismus mit dem Optimismus des Anarchismus kombinieren. Doch genau das tue der Liberalismus. Es sei eigentlich ganz einfach, sagte er, man müsse nur wissen, ob man Pessimist oder Optimist sei. Was er denn sei? Anton hob kurz den Blick, senkte ihn dann wieder und sagte: "Pessimist."
Also wählte er die Sozialdemokraten, wie sein Onkel, der zu den vornehmeren Parteimitgliedern gehörte, aus denen in der Regel die Bürgermeister und Minister rekrutiert wurden. Erst Jahre später begriff Anton, daß fast niemand ausschließlich rational und überlegt wählte, sondern ganz einfach aus Eigeninteresse, oder weil er in einer bestimmten Partei den eigenen Nestgeruch vorzufinden glaubte oder der Spitzenkandidat vertrauenserweckend aussah. Es wurde eigentlich "physisch-biologisch" gewählt..."
- Harry Mulisch, "Das Attentat" -

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Blut aus dem Boden

Dienstag, 27. Oktober 2009

"Einmal Asiat, immer Asiat" titelt jenes bürgerliche Blatt, das sich selbst vorlaut zum Leitmedium linker Gesinnung berufen fühlt; "einmal Asiat, immer Asiat", dabei auf die Galerie empordeutend, auf der die neuesten Charaktermasken des Systems geckenhaft stolzieren, mit dem Finger auf Rösler zeigend, diesem höflichen Jungliberalen und Geistlichen der Egomanie, der in einem vietnamesischen Bett das Licht der Welt erblickte. Röslers Berufung sei ein positives Signal; des Vietnamesen Berufung, so lautet es innerhalb der chaotischen Zeilen der Tageszeitung genaugenommen. Da hilft es auch nicht mehr, wenn man den Vietnamesen mit Anführungszeichen flankiert, geschrieben ist nun mal geschrieben. Und auch wenn Rösler sich selbst als Deutscher empfindet, die Tageszeitung läßt dies nur gönnerhaft gelten. Man ahnt förmlich das großzügige Lächeln dahinter, eines dieser Schmunzeln, die immer dann arrogant hinter Handflächen verborgen werden, wenn mal wieder ein Affe im Höschen seinen großen Primatenbruder nachäfft, ein Dreijähriger seine Arbeitstasche packt, um es seinem Herrn Vater nachzutun. Ach sieh mal, wie süß! Sieh nur, geneigter Leser der Tageszeitung, sieh nur wie niedlich, er wäre so gerne Deutscher! Lassen wir ihm seinen Spaß, der doch vorallem unser Spaß ist!

Was aus jener Zeitung tropft, ist eine bürgerliches Sekret, eine Gesinnung, die zwar ökologisch, fortschrittlich, auf Gleichheitsprinzipien aufzubauen vorgibt, die aber genau besehen innerhalb der herrschenden Mißstände angebunden ist. Es ist jener linksverdrehte Bürgerbrei, den man innerhalb der Grünen wahrnimmt, dieses Gemengelage aus Umweltschutz statt Ökologismus, aber nur, wenn auch ersteres nichts oder wenig kostet, und Gleichheitspredigt, die rassische Wurzeln aber nicht durchtrennt, sondern zur Gegebenheit dieser Welt erklärt. Die Tageszeitung gibt sich grünlich, dies schon seit geraumer Zeit, wettert gegen Gysi und Lafontaine, kuschelt sich aber anzüglich an das ergrünte Bürgertum, mit all seinen Berufsbetroffenheitsbeauftragten und Weltverschlimmbesserern.

"Einmal Asiat, immer Asiat" paßt brillant ins Konzept, ist keineswegs ein Ausreißer, ist eher logische Konsequenz der institutionalisierten Grünenbewegung. Von jeher gestaltete sich Blut- und Bodenrhetorik in den grünen Diskursen, die Gründung der Grünen ist geradezu mit Volk ohne Raum-Metaphorik überfrachtet. Naturromantik und Waldidyll prägen das grüne Weltbild, der europäische Mensch hat seine Naturnähe erkannt, kam ja selbst aus dem Wald, schützt ihn daher, ist mit seinem Blut dem Boden verschrieben. Innerhalb dieses romantisierten Waldläufertums ist kein Platz für andere Überlegungen, beispielsweise für solche, dass Menschen nicht Produkt des Erdbodens sind, nicht vom selben geprägt werden, sondern Produkt der gesellschaftlichen Verhältnisse, der jeweiligen Erziehung, des sozial Widerfahrenen. Das grüne Bürgertum haftet jedoch an uferloser Naturschwärmerei, nicht erst neuerdings, sondern seit ewigen Zeiten, und verstärkt wieder, seitdem linke Tendenzen in der Folge der Realo- und Fundi-Auseinandersetzungen gemeuchelt wurden. Galten eine Weile, in der Zeit der Fundis war das, Ökologismus und soziale Umgestaltung für ein Geschwisterpaar, vollzogen nachher die Realos eine willkürliche Grenze, mäßigten zudem den Ökologismus zum einfallslosen Umweltschutz, zogen sich aus sozialen Problemfeldern weitestgehend zurück, nur um später als Regierungspartei ihre soziale Kompetenz unter Beweis zu stellen.

Im Rahmen dieses Wandels kamen auch jene Tendenzen wieder zum Vorschein, die in der Gründungszeit der Partei bedenklich waren, als nämlich allerlei rechte Gruppierungen ihre Naturverbundenheit in rassische Formeln gossen, das Blut mit dem Boden vermengten, um mit dieser menschenverachtenden Auffassung von Naturliebe in die Grünenbewegung zu drängen. Das grüne Bürgertum, die Herren der Realo-Partei, nie besonders engagiert in ökologischer Sache, stattdessen die Partei immer schon als Sprungbrett für Karriere und materielle Absicherung nutzend, fand in der heimeligen Atmosphäre idealisierter Beziehungskonstrukte zwischen Mensch und Natur, die von Urwuchs und Bodenständigkeit erzählten, eine frugale Dogmatik, die wie linke Gesinnung aussieht, dabei aber ganz ordinär nach rechter Szene stinkt. Wenn nun also der Mensch mit dem Boden verwurzelt ist, so bleibt auch der Asiat am Geburtsboden gefesselt - einmal Asiat, immer Asiat. In ihm ist die Verbundenheit zu seinem Herkunftsort gekerbt, auch wenn er dort kaum Lebenszeit verbrachte. Oder andersherum abgewickelt: für das grüne Bürgertum ist es unverständlich, wenn Kinder türkischer Eltern, die auf deutschem Boden geboren wurden, nicht astrein deutsch denken und fühlen, "integriert sind" nach deren Jargon. Wie kann jemand, der sein Blut auf diesem Boden erhielt, nicht den Boden in sich tragen? Sozio-ökonomische Strukturen finden in einer solchen Geisteswelt keinen Niederschlag, gelten als Hokuspokus, werden als Ausreden der Integrationsmuffel verunglimpft. Es verwundert letztlich nicht, dass das grüne Bürgertum im konservativen Lager rege Fürsprache erntet, als Koalitionspartner Nutzung findet.

Was die Tageszeitung hier abliefert ist kein dümmlicher Artikel, der im Eifer des Gefechts und aufgrund des Drucks, ständig irgendwas berichten und kommentieren zu müssen, schon mal entstehen kann. Nein, es ist mehr, es ist das knapp gehaltene Weltbild des Grünbürgers, eine verstümmelte Variante von esoterisch angehauchten Naturburschentum. In dieser Denkweise ist Rösler trotz seines Aufwachsens in Deutschland, seiner strikt deutschen Prägung, weil er eben hierzulande Erziehung und Bildung erhielt, ein positives Signal für die Migrationspolitik der Bundesrepublik. Er bleibt Vietnamese, weil er dort das Blut der Welt erblickte; er bleibt Vietnamese, weil er nicht im deutschen Wald zur Frucht einer Niederkunft wurde. Die verschlüsselte Blut- und Bodenbotschaft kennt nur eine Form der Integration: die Niederkunft einer ausländischen Mutter im mitteleuropäischen Gestrüpp. Solange hier Menschen leben, die andernorts geboren wurden, gilt das multikulturelle Projekt, danach müßte eigentlich, wenn erstmal der heimische Wald zum Kreißsaal befördert wurde, das Multikulturelle absterben, weil dann alle aus einem Boden gestampft sind.

Rösler hat diese Chance verwirkt, er kann nicht mehr eingedeutscht werden, wird daher aus politischer Korrektheit zum Vietnamesen in Anführungszeichen, zum Aushängeschild gelungener Migrationspolitik. Das grüne Bürgertum und die dazugehörigen Schmierfinken, werden ihm sein Deutschsein, das er selbst empfindet, indes nicht abstreiten. Dazu ist man zu geschickt, zu politisch korrekt. Man setzt erheiterte Miene auf, spöttelt hinter vorgehaltener Hand, amüsiert sich herrenmenschlich über all die Äffchen, die den Menschen nacheifern und munkelt über die Phantastereien solcher Personen, die meinen man wäre einheimisch, nur weil man mit Ausnahme der eigenen Geburt seine gesamte Lebenszeit in Deutschland verbrachte. Einmal Herrenmensch, immer Herrenmensch!

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In der Puppenkiste

Montag, 26. Oktober 2009

Man stelle sich nur vor, eine hitzige Meute Journalisten dränge in die Räumlichkeiten der Augsburger Puppenkiste ein, eroberte sich Zugang zu den Lagerhallen, stürmte an die Regale mit den fadenscheinigen Helden längst vergangener Kindertage, richtete Mikrofone auf Kater Mikesch, das Urmel und Schlupp, erkundigte sich bei den Herumhängenden, wie sie sich deren Zukunft vorstellten, nur um ein hölzern-dämliches Lächeln zu ernten. Albern fürwahr, aber weniger phantasievolles Geschwätz, als man anzunehmen glaubt.

Die Puppenkiste steht dieser Tage nicht in Augsburg, sie steht in Berlin. Allerlei berichtendes Volk mischt die miefigen Lagerräume auf, in denen gerade Gliederpuppen entstaubt werden, um für ihren Einsatz schnittig aufbereitet zu sein. Der Journalismus gibt sich nicht minder närrisch als jene, die erfindungsreich am Kater Mikesch herumgefingert haben. Das idiotische Grinsen der Holzköpfe findet auch hier seine Berechtigung, auch wenn sich hier zur mimischen Dämlichkeit gelegentlich noch Äußerungen von gleicher Güte hinzuaddieren.

Es ist wie ein Sturm aufs Marionettentheater, was sich derzeit in Deutschlands Journaille abspielt. Man interviewt Herrschaften, denen die Ösen, an denen die Fäden geknotet sind, direkt unter den Manschetten hervorspitzen; die mit der toten Mimik eines freundlichen Holzkopfs geistesabwesend in die Ferne blicken; die sprechen, doch dabei nicht den eingekerbten Mund öffnen; die stets durch großtuerische Gestik und dank gut geölter Scharniere bemüht sind, die Fäden, die an ihnen angebracht sind, vergessen zu machen. Es ist, als befragte man Spielpüppchen, holzige Gesellen - die führende Hand dabei entschwindend. Dieser ist es einerlei, ob das klobige Ding am anderen Ende der Spielkreuzes Hotzenplotz oder Jim Knopf heißt, solange es nur so durch die Gegend stolpert, sich mehr recht als schlecht den Pendel- und Schwerkraftgesetzen erwehrt, wie es das eigene schäbige Spiel benötigt. Das aufgebundene Etwas ist austauschbar, ersetzbar, die Handhabung, der Spielkreuzaufbau bleibt sich immer treu. Es ist, als würden derzeit Gespräche mit Gehölz geführt, mit aus Holz geschnitzten Visagen.

Visagen aus Holz und Pappmaché und Metallgelenken und Metallösen und Strippen, Unmengen von Strippen; Visagen, bei denen wir so tun, als seien sie für ihren Auftritt verantwortlich, nicht jedoch der stille Führer, der oberhalb der Bühne sein Werk tut. Es ist, als würden wir das Urmel aus dem Eis fragen, wohin es demnächst zu wandern gedenkt. Antwortete es, würde es antworten, was die führende Hand erlaubte, wäre also nicht mehr Antwort darüber, wohin das Ding marschieren würde, sondern wohin man das Ding marschieren läßt. Der Journalismus steht aber nichtsdestotrotz Spalier, hält Mikrofone an eingeritzte Mundpartien, liest von holzsplitterigen Lippen ab, was Ramsauer der Lokomotivführer meinen oder Kater Pofalla denken oder Räuber Niebel finden oder Brüderle vom grünen Stern vorausplanen könnte. Gerade so, als wären Namen die an Fadenkreuzen aufgebunden sind, nicht austauschbar, trivial, nebensächlich. Die Journaille bewertet das neue Ensemble, erklärt Vorzüge der einen Gliederpuppe, gibt Bedenken zu Protokoll bei anderen Marionetten. Man könnte fast anfangen zu denken, es sei von wesentlichem Unterschied, welchen Namens man hölzerne Zwerge tauft. Als sei es auch nur im Kern von Bedeutung, wenn ein liberaler Holzbengel mit dem versteinertem Lächeln einer geschnitzten Kreatur, von sozialem Ausgleich spreche, dies ewig dämlich vor sich hin grinsend; mit dem puppenhaften Grinsen, mit dem Einschnitte, Kürzungen, Erhöhungen und Abbau schöngelächelt wird.

Es ist, als nehme man die Figurenparade so ernst, wie weiland, als wir noch mit dem Kasperl fieberten, als wir ihm zuriefen, ihn vor dem Krokodil warnten, voll in der Geschichte aus Stoff und Plüsch involviert waren. Als der Kasperl für uns realistischer, fassbarer war, als mancher Mitmensch, er für uns trotz stofflicher Weichheit menschlicher war, als viele unserer Kindergartenfreunde. Erst später haben wir begriffen, wir können den Kasper noch so oft plärrend vor dem Krokodil warnen, wenn wir nicht hinter die Fassade klettern und dem Puppenspieler ordentlich vors Schienbein treten, gerät er dennoch in Gefahr. Solange Holzvisagen ausgequetscht werden, solange wir nicht anfangen, die Fäden gleich unterhalb des Handgelenks des Puppenspielers abzuhacken, ändert sich hierzulande nichts, ganz egal, welche Krawattenfarbe man seinen Marionetten um den Kragen wickelt. Das Ändern des Ensembles, verändert nicht den Intendanten, es ist vielmehr banaler Theateralltag. Will man das Theater verwandeln, heißt es Fäden zu kappen.

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De dicto

Sonntag, 25. Oktober 2009

"Ein Waisenjunge aus den Wirren des Vietnam-Krieges wird Gesundheitsminister. Ein bekennender Schwuler wird Vize-Kanzler und Außenminister. Eine Frau aus dem Osten schafft als Kanzlerin die Wiederwahl. Eine Frau mit sieben Kindern bleibt Familienministerin. Und ein 67-jähriger Mann im Rollstuhl wird der wichtigste Finanzminister Europas.
Diese Lebensläufe sagen mehr über unser Land aus als unsere eigenen Vorurteile und die unserer Nachbarn. Deutschland ist ein weltoffenes Land, in dem es ein "Einwanderer" der ersten Generation mit 36 Jahren (!) zum Bundesminister bringen kann."
- BILD-Zeitung, Michael Backhaus am 25. Oktober 2009 -
Zum Gesagten sei angemerkt: "Bunte Republik" nennt man es also, wenn jemand, der mit schwarzen Koffern durch die Hinterzimmer dieses Landes rollte, ein obskures Verhältnis zu Geld an den nebligen Tag legte, zum Finanzminister nominiert wird. Die Buntheit des neuen Deutschland ist schwarz, tiefschwarz, nicht nur parteipolitisch mit gelben Stich, sondern eher schwarzkassig, schwarzkassierend. Das Vielerlei der Farben orientiert sich an abgegriffenen Oberflächlichkeiten, in einem solchem Ausmaß, dass selbst jener Kerl, der mit seinen schwarzen Gepäckstücken ihm untergebene Angestellte an seiner statt aufs Schafott vorschickte, zum rosa Farbtupfer werden kann. Man möchte der "bunten Republik" noch einen Charakter hinzufügen: den blinden Journalisten, der von Farben spricht, die er offenbar nie erblicken durfte. Kurzum, in diesem Land gibt es keine Begrenzungen, keine Barrieren, herrscht Barrierefreiheit. Schwule werden Außenminister, Berufsmütter Ministerin, Rollstuhlfahrer Kassenwart und Erblindete zu Dozenten der Farblehre; Deutschland ist demnach eine liberale und tolerante Gesellschaft, ein Eldorado des Gleichheitsgedankens.

Der Bodenlosigkeit dieser Botschaft wird die Krone aufgesetzt, wenn man auch noch Rösler als "Einwanderer der ersten Generation" präsentiert, der seinen bundesrepublikanischen Erfolgsweg beschritten habe. Da steht er dann auf einem verklärten Podest, wird den Einwanderern, den vielen integrationsmuffeligen Moslems, am Nasenring gezogen vor Augen geführt. Blickt auf Ihr Eigenbrötler, Ihr könntet Karriere machen, wenn Ihr nur endlich zu uns stoßen würdet! Dabei nimmt Philipp Rösler die Stelle eines Paradebeispiels ein, zumindest soll er als solches fungieren. In Vietnam geboren, kam er 1973 im Alter von neun Monaten nach Deutschland, wurde von einem Haushalt adoptiert, der mit vielem gesegnet war, nur mit Armut nicht. Er trägt einen deutschen Vor- und Zunamen, ist Inhaber einer deutschen Karriere und vertritt jene Spielart deutscher Liktorenbündelei, die man hierzulande smart als Liberalismus kennt. Einiges davon ist freilich nicht verwerflich. Verwerflich ist es aber, dass man Rösler nun heranzieht, um die "bunte Republik" auszurufen, in der die Gleichheit aller Menschen so weit gediehen ist, dass jedermann Ministerposten ergattern kann, wenn er nur ausreichend deutsch sein will. Denn Rösler ist kein Einwanderer, er ist Adoptivkind mit asiatischer Physiognomie, deswegen aber dennoch deutsch, so deutsch man eben sein kann, wuchs in sorglosen Verhältnissen auf, leistete ein Studium ab, wurde Arzt. Für Mehmet standen solche Optionen nicht offen.

Wenn aus Mehmet im zarten Säuglingsalter ein Manfred geworden wäre, aus Kemal Karl oder aus Ali Adolf, dann hätten sie womöglich ähnliche Sprünge vollzogen. Dann wären sie aber auch keine Einwanderer gewesen, sondern Kind einer deutschen Bürgersfamilie. Wer Rösler als Musterexemplar hervorhebt, der spricht sich im Stillen für genetische Konditionierungen aus, die sich am Rassischen ausrichten. Wenn man den angeblichen Einwanderer Rösler missbraucht, um zu erklären, dass er trotz vietnamesischer Wurzeln zum Minister aufgestiegen ist, dann beweihräuchert man nicht nur die liberale Gesinnung der Bundesrepublik, man betont damit auch die rassische Genetik, weil man die sozio-ökonomischen Vorteile, die Rösler in die Wiege gelegt bekam, schamlos ausblendet. Man tut großkotzig gönnerhaft; seht nur, selbst einen Asiaten schustern wir einen Posten zu, wenn er sich brav eingedeutscht hat! Und wehe den Menschen ausländischer Herkunft, die jetzt noch poltern und von Benachteiligung und Ausgrenzung sprechen. Dann holt man das Aushängeschild gelungener Integration aus der Schublade und fragt die Poltergeister, wie wohl ein Rösler erklärbar sei, wenn es hierzulande angeblich doch so ungerecht zugeht. Was man wieder einmal verschlucken wird, ist die Erkenntnis, dass aus Ali auch ein hohes Tier hätte werden können, wenn sein Vater kein unterbezahlter anatolischer Hilfsarbeiter, sondern ein deutscher Bürgersmann gewesen wäre.

Zynischer interpretiert: Rösler ist auf die richtige Weise eingewandert, die Alis und Mehmets nicht. Wer durchs Schaukelbettchen in die wohlige Kinderstube immigriert, steht nicht auf einer Ebene mit solchen, die durchs Straßenfegen und Maschinenreinigen versucht waren, in dieser Gesellschaft Fuß zu fassen.

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Der totalitäre Typus

Freitag, 23. Oktober 2009

Nun noch die Zwiebeln. Schneidest du sie mir bitte in kleine Würfel? Mir wäre es ganz recht, wenn du das übernimmst, zumal du eh erkältet bist, dir ohnehin schon die Augen laufen.
Achso, meine laufen sowieso. Wäre es nicht angebracht gewesen, meinen Augen Ruhe zu gönnen, weil sie ohnehin tränen, weil meine Nasenflügel nicht unter noch mehr Sturzbächen erodieren sollten? Das wäre jedenfalls kollegialer gewesen, menschlicher, fürsorglicher.
Nimm es nicht persönlich, ich habe nur rational abgewogen, habe mir vorher schon Gedanken gemacht, wie es wohl am zweckdienlichsten zu bewerkstelligen sei. Und schau, deine Augen tränen, dem Katarr sei Dank, doch ohnedies; meine sind noch gut zu gebrauchen. Warum beide Augenpaare schwächen, wenn wir mit einem schwachen Paar auskommen können?
Analytisches Denken! Das habe ich ja besonders gerne. Und darüber das Menschliche vergessen, zum Nebenfaktor machen! Weil du jeden Energieschub, jeden Impuls in deinem Schädel der ratio überstellst, vergisst du darüber, dass deine Brüterei nicht im sterilen und abstrakten Idyll des Abwägens stattfindet, sondern im Fleisch und Blut, hauteng an deinen Mitmenschen.
Es schadet nicht, sich seine Welt zu abstrahieren, sie ein klein wenig zu generalisieren, damit das Begreifen und Verstehen innerhalb dieser Realität planbar wird, damit man Schlüsse ziehen, Entscheidungen ableiten kann. Wie sonst, außer in den Räumen der abstrakten ratio, dem Idyll, wie du es nennst, soll man die Welt denn sonst erfassen?
Immer wenn mir jemand mit so einem kühlen Weltbild die Aufwartung macht, ahne ich dahinter Feigheit. Nämlich die Feigheit, mir nicht offen und ehrlich erklären zu wollen, dass man keine Lust hat Zwiebeln zu schälen, sie zu würfeln. Da kramt man dann mutlose Analysen hervor, erzählt was von sachlicher Vernunftmäßigkeit, nur damit die eigene Abneigung ein scheinbar vernünftiges Postament erhält. Sag' doch einfach, dass du das Arbeiten an der Zwiebeln hasst. Aber verschone mich mit deiner halbgaren Vernünftelei.
Und du geh' mir weg mit dieser Romantik vom Mitmenschen, an der ich mich zu orientieren hätte. Außerdem ist es nicht Lustlosigkeit, die mich von der Zwiebel abhält, sondern Kalkül, wie ich dir ja schon eben erklärt habe. Aufgaben sind dazu da, dass sie erledigt werden, ob es einem gefällt oder nicht, hat für die Bewertung der Situation keine Folgen. Wenn dir jemand seine Vorlieben und Abneigungen derart brühwarm unter den Schnabel reiben würde, fändest du das nicht unpassend? Also wenn mir jemand das Würfeln von Zwiebeln mit der Begründung überließe, seine Augen wären ihm zu schade: ich würde das als Angriff begreifen, als Respektlosigkeit an meiner Person.
Aber ich nicht, denn ich kalkuliere nicht so wie du es tust. Ich denke, fühle, empfinde, natürlich ziehe ich auch da und dort meinen Geist heran, aber er dominiert mich nicht. Wenn mir jemand erklärte, er möchte sich einer unliebsamen Aufgabe entziehen, einfach, weil sie ihm unangenehm ist, dann freut mich das vielleicht nicht, aber es ist ehrlich und respektabel, hat was von Freiheit. Mir aber mit vernünftigen Plänen zu kommen, die meine verschnupften Augen beinhalten, das finde ich unverfroren, verlogen, unsäglich frech. Mal abgesehen davon, was du mich indirekt damit wissen läßt. Du sagst ja verklausuliert nichts anderes als: du bist momentan sowieso schon am Boden, da kann man dich auch gleich noch mit der Nase in die Erde drücken. Das macht dann ohnehin nichts mehr aus.
Es war nur zweckdienlich gedacht, und du machst eine Staatsaffäre daraus. Warum doppeltes Leid, wenn einfach genügen würde? Warum dieses falsche Gerechtigkeitsempfinden, nach dem jeder genausoviel Qualen erdulden soll? Es ist schlicht irrational, in dieser Frage falsche Rücksichtnahme von mir zu verlangen. Sachlich betrachtet kannst du mir keine Vorwürfe machen.
Kann ja sein, ich habe nie behauptet, nicht irrational zu sein. Aber verdammt, ich bin ein Mensch mit allen Facetten, habe Ideale, die ich nicht einhalten kann, obwohl ich es möchte; tue meinem Körper Schlechtes, obwohl ich weiß, dass ich irgendwann die Rechnung begleichen muß, kurz, ich bin ein Mensch, in sich zerrissen und nicht logisch sezierbar. Was ich dir anlaste ist, dass du dich so unmenschlich benimmst, analytisch-zynisch, ohne Bedacht auf Gefühle und Wünsche, rücksichtslos wie eine Rechenapparatur.
Eine Hymne auf die Unausgewogenheit, auf den haltlosen Menschen - na fein, mir kommen die Tränen, ganz ohne Zwiebelschneiden. Und weil der Mensch eben so ist, weil er keiner geraden Linie aufrichtig folgen kann, ohne ab und zu einen Schritt vom Strich abzugleiten, braucht es die Abstraktion, braucht es den kühlen Kopf des Vernunftmenschen, einen ordnenden Kopf.
Gelegentlich schon. Aber bei dir hat das Methode; du liebst nicht, du schusterst dir eine Liebe vernunftgemäß zurecht. Jede Absage an deine Mitmenschen begründest du mit vernunftuntermalten Ausreden, statt salopp zu erklären, ich hab' keine Lust. Du kommst mir vor wie einer jener Philanthropen, die laut erklären, man müsse den Armen helfen, die aber auch gleich seriös und sachlich nachschieben, dass die Kassen leer seien, womit die Hilfe aus Vernunftgründen, aus Gründen trauriger Kassenlagen, zurückgestellt werden müsse. Das ständige Kalkül erwürgt die Gesellschaft, entfremdet uns immer mehr, hebt jede ethische Kategorie auf. Die totale Vernunft zimmert sich eine eigene Moral zusammen. Eher eine Unmoral; eine Unmoral der Verwertbarkeit, der Zweckdienlichkeit. Jedes Mittel ist recht, wenn es nur den Zweck heiligt. Wer dazu bereit ist, kennt keine Barrieren mehr, der verkauft seine ethische Allergie auch noch als Moralkodex, direkt abgeleitet aus den Tiefen der Vernunftbegabung.
Was für Geschütze für zwei Zwiebeln! Für mich ist es unbegreiflich, dass du aus jeder Bakterie einen Blauwal basteln mußt.
Und genau da zeigt sich dein uferloses Vertrauen auf die ratio, diese ultima ratio deines Wesens. Selbst wenn ihr dir darzulegen versuche, wie ich das Leben sehe, vernünftelst du durch deine Welt. Was heute bei zwei Zwiebeln beginnt, endet letztlich immer in einer Katastrophe. Denn heute erklärt die Vernunft, ich sei der beste Mann zum Zwiebelschneiden, morgen wird ihr aber zu der Auffassung geraten, dass Randgruppen des Gesellschaft, solche die ganz unten stehen, aufgrund ihres tiefliegenden Status', auch noch einen halben Meter weiter absinken können, weil es nun eh keine Rolle mehr spielt. Die fromme Gemeinde der totalen Vernunft nickt dann verständig, so wie sie dabei nickte, als sie Küchenhilfen zur unliebsamen Arbeit verdonnerten. Ich möchte fast behaupten, wer mit einem heuchlerischen Unterton an die Vernunft appelliert, wenn es ans Zerlegen von Gemüse geht, der gibt auch seine Zustimmung, wenn es wieder heißt, es sei am vernünftigsten, ein besonnener Akt geradewegs, unliebsame Menschen in Lager zu sperren. Damals hat man auch irgendwelche kruden Thesen herangezogen, Scheinwissenschaften betrieben, daraus Mord und Totschlag abgeleitet. Die Vernunft war zu allem fähig. Und sie ist es noch. Wenn sie als absolutes Mittel angewandt wird, wenn man sie wie einen Hammer nutzt, nicht wie ein filigranes Skalpell,wie ein hochempfindliches Besteck, dann vermag sie zu morden, ohne Reue zu verspüren. Daher sind mir Vernunftreiter suspekt, sie sind leicht manipulierbar, sind nicht Herr über sich selbst, denn der Vernunfthammer knallt auf jene Stellen im Gehirn, die für das Gefühl, den Instinkt, die Intuition verantwortlich wären. Wegen zwei Zwiebeln, meinst du, mache ich diesen Aufstand, diesen rhetorischen Spagat? Glaub' mir, bei den Zwiebeln geht es los, es endet aber früher oder später unter den Radieschen. Dieser Menschentypus von heute, dieser kühle, berechnende, abwägende Hominidenschlag, der die Welt nur noch als großes Kaufhaus wahrnimmt, in dem zwischen Angeboten rein rational entschieden werden muß, ist zu allem fähig. Natürlich ist es ein Segen, wenn die Vernunft uns lehrt, dass alle Menschen gleich sind, weil die über Jahrhunderte bahnbrechende Vernunft uns bis an die Schwelle der mitochondrialen DNS geführt hat, die uns ihrerseits bewiesen, vernünftig unterbreitet hat, dass wir alle von einer einzigen Urmutter abstammen. Hier hat die Vernunft ihre Aufgabe erfüllt, hat den Wissensdrang befriedigt. Doch wenn die Vernunft das einzige Mittel ist, mit dem man die Welt wahrnimmt, dann blüht uns eine keimfreie Welt, eine Welt wie ein gekacheltes, kaltes Schlachthaus. Wie schnell wird aus der Urmutter die banale Einsicht, wir alle seien letztlich nichts weiter, als wandelnde Säureverbindungen - was nicht mal gelogen wäre. Wer es schafft, der Vernunft einzuimpfen, es habe nicht weiter zu kümmern, wenn Säureverbindungen andere Säureverbindungen in Zwangsarbeit, Lager oder Gaskammern stecken, der hat die treuesten Mitläufer geschaffen. Wer fanatisch glaubt, wer der Religion der totalen Vernunft verschrieben ist, der hinterfragt nicht mehr, der betet und klammert sich ans Dogma. Dies vermögen nur Götzen! Die Vernunft klärt auf, schafft aber auch Atomwaffen, Repressionsmittel, genmanipulierte Lebensmittel; sie läßt uns die Welt klarer sehen, fügt der Klarheit aber Kühle hinzu, manchmal Todesahnung. Wenn man dem nicht entgegenwirkt, wenn man das Gefühl, den Bauch nicht als gleichberechtigten Antagonisten hinzufügt, dann ist die reine Vernunft und nichts als die Vernunft, so vernünftig sie uns helfe, ein ansehnliches Mordinstrument. Die heutige Sachlichkeit ist ein repressiver Witz! Diese beliebigen Spaßvögel, die auf Bühnen steigen, dort in aller Erhabenheit ganz sachlich Mißstände breitklopfen, die die Sache selbst nicht touchieren, wissen vom Gefühl eines im Mißstand Gefangenen gar nichts. Gefühle sind für solche Debatten nicht vorgesehen, Gefühle hegen solche Possenreißer nur für ihr eigenes Fortkommen - wobei deren Gefühle nichts weiter sind, als die vernünftelnde Freude an der eigenen Karriere; man erklärt vernunftvoll, das eigene Aufsteigen diene allen Menschen, man sei ja mit Herzblut engagiert, weswegen es die Vernunft gebietet, ausgerechnet diesen Gecken Karriere machen zu lassen. Solche Kerle hauchen heute großkotzig ins Mikrofon, dass der Verschnupfte sich ans Zwiebelwerk machen soll, weil ihm ohnedies schon Tränen aus den Augen rinnen, er keinen weiteren Schaden dabei erleide - vom Brennen und Zwicken in den Augenwinkeln, wird nicht gesprochen; den Schmerz sieht man nicht, die Augen laufen so oder so, der hinzugekommene Schmerz jedoch ist unsichtbar. Und morgen laufen sie zur Bestform auf, wenn sie mit gleicher Stimmfärbung, mit der gleichen seriösen Gesetztheit, leidenschaftslos phrasierend, liebevoll ihre ach so grandiose Vernunft tätschelnd, auf Arbeitslose, Ausländer oder Moslems losgehen. Für Gefühl ist da kein Platz mehr. Es würde nur stören, denn in der durchrationalisierten Welt herrscht die ratio, das Gefühl ist eine terroristische Untergrundbewegung, anarchistischer Bombenlegerverband, fanatisches Querulantentum. Eine solche Welt ist totalitär, weil sie anders geartete Lebensphilosophien in die Illegalität zwingt; die eine, die einzige Lebensweise, die überdies als Unphilosophie die Geschichtsbücher bereichern wird, ist also letztes Ideal für jedermann erkoren. Hör' mir also damit auf, mir das Zwiebelschneiden mit rationalen Unterton schmackhaft zu machen. Die Vernunftzwiebel ist nur der Einstieg. Wenn selbst schon an der Zwiebel rational herumgedoktort wird, dann ist auch bald der Mensch Gegenstand kühlen Kalküls. Ist er ja heute schon! Am Anfang stand ein Wort: Zwiebel!

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Kein Grund zu jammern

Donnerstag, 22. Oktober 2009

Dass dieses Land als Hochburg des geschmackvollen Jammerns gilt, ist fürwahr keine neue Einsicht. Wer strebsam seine Hauspostille liest, der weiß aus den Spalten, die den sozialen Frieden herbeischreiben, dass auf hohen Niveau gejammert wird, wenn Rentner oder Erwerbslose sich mal wieder empören. Säcke von Leserbriefen unterstreichen diese Erkenntnis, verewigen das Gewimmer für all jene, die glauben, sich lediglich mittels Massenmedien auf dem Laufenden halten zu müssen. Defätismus ist deutsch - sowas weiß man, wenn man der Jammergestalten tägliche Not aus den täglichen Blätterhainen herausfiltert, wenn man erklärt bekommt, dass des Armen Not kein Hilferuf ist, sondern wohlfahrtliche Zivilisationserkrankung, nämlich Gejammer dritten Grades, das den Gehirnlappen dazu zwingt, als Jammerlappen aufzutreten.

Erneut bestätigt sich, wie tief verwurzelt dieses Krankheitsbild in diesem Lande ist. Da packt die Koalition unserer Wahl brachliegende Reformfelder an, will sich in Sachen Pflegeversicherung betätigen, möchte eine private Zwangsversicherung einführen, und was sie erntet ist Gewimmer und Bedenkenträgerei. Die Privatisierung der Pflegeversicherung wäre ein weiterer Mosaikstein, den man aus dem sozialstaatlichen Kunstwerk entferne, man würde Menschen zum Sparen zwingen, die womöglich kaum genug besitzen, um in der Gegenwart würdevoll über die Runden zu kommen. Konstruktive Kritik ist jedoch Mangelware, stattdessen Jammereien, negative Schwingungen und Pessimismus.

Doch dazu gäbe es gar keinen Grund. Was die Koalition in Lauerstellung mitteilt ist doch eindeutig: Sie bekennt sich zu den Alten, sie will eine Gesellschaft, in der potenzielle Alte - was soviel heißt wie heutige Junge - Chancengerechtigkeit erlangen. Jeder soll die Möglichkeit haben, im Alter versorgt zu sein. Wer keinen ausreichenden Kapitalstock erwirtschaftet hat, der kann hadern, aber er kann dann niemandem vorwerfen, er hätte keine Chance gehabt. Es ist gelebte Großzügigkeit der Koalitionäre, die laut ideologischer Lehre zur rationalen Wirtschaftlichkeit verpflichtet wären, jeden unbrauchbar gewordenen Torso zu entsorgen, ihn auf eine Müllhalde zu werfen, damit er nicht die wertvollen Ressourcen auffrisst, die diejenigen brauchen, die noch nicht unbrauchbar geworden sind; es wäre wie gesagt deren Verpflichtung, ausgebrannte Torsi zu entfernen. Aber sie nehmen Abstand davon! Ist das denn ein Grund zu Jammern, wenn uns die baldige Koalition mitteilt, sie würde nicht so rigoros aussortieren, wie das ihrem eigentlichen Naturell entspräche?

Man muß doch auch mal optimistisch ins Weite glotzen; man muß doch honorieren, wenn Leute, die in der Verantwortung stehen, ihren eigenen windigen Impetus zur Seite stupsen, um ihren Untertanen was Gutes zu tun. Stattdessen Mäkeleien hier, Nörgeleien dort. Dabei ist es doch eine frohe Botschaft für alle, die nicht mehr gebraucht werden in Zukunft. Denn es wurde ihnen Karitas vor Augen gehalten. Natürlich nur, wenn die zukünftigen Unbrauchbaren vorher auch brauchbar waren. Durchgehend unbrauchbare Objekte mit menschlichem Anschein werden wohl nicht hinzugezählt, und wer nur einen spärlichen Kapitalstock für die drohende Karitas hamsterte, hat sich letztlich auch als durchgehend unbrauchbar erwiesen. Aber deswegen muß man nicht gleich resignieren, schimpfen, jammern, alles schwarz und grau zeichnen. Die Chance bleibt dennoch für jeden greifbar.

Erstmal heißt es Freude zeigen, der soziale Kahlschlag fällt humaner aus als befürchtet. Man läßt die Reststoffe des produktiven Verwurstungsprozesses leben - wenn das erstmal kein Grund ist durchzuatmen! Und es liegt am Einzelnen, auch weiterhin leben zu dürfen. Spare in der Not, dann hast du in der Not, meint schon der Volksmund. Damit die menschliche Ruine in seiner ruinösen Not zehren kann, muß er nun, in der Not, seinen ausgebeuteten Leib arbeitsfähig zu halten, schon einmal etwas kürzertreten. Das verringert höchstwahrscheinlich auch die Lebenserwartung - was nicht heißt, man dürfe darüber jammern. Es ist notwendig, die Kassenlage macht es nötig, dass der Arbeitsautomat gesundschrumpft, weniger verbraucht, damit die Gattung als Ganzes überleben kann. Ja, es ist durchweg evolutionär vorgesehen, dass bestimmte Gattungsvertreter früher ableben müssen, damit die Spezies nicht zum absterbenden Ast biologischer Entwicklung wird, damit sie sich nicht als Sackgasse und Irrtum erweist, dem homo neanderthalensis in die ewigen Jagdgründe hominider Verwandter nachfolgt. Spare also in Zeiten des Mangels, damit der Gattung eine Zukunft bevorstehen kann. Wer hier jammert, ist ein Netz-, Bau- oder Höhlenbeschmutzer.

So weit soll aber noch nicht gedacht werden, es reicht zunächst anzuerkennen, dass die Koalition der Ellenbogen dazu bereit ist, die Ellenbogen dezent einzufahren, ausrangiertes Stückgut weiter an Luft und Wasser teilhaben zu lassen. Wenn es nur für Luft und Wasser bezahlen kann, versteht sich. Denn irgendwo ist auch die Menschenliebe in ökonomische Fundamente zu betten.

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Im Sumpf

Dienstag, 20. Oktober 2009

Sloterdijk, Sie sehen eine "Epidemie des Opportunismus" entbrannt, glauben auch Axel Weber, Präsident der Deutschen Bundesbank, sei infiziert, weil er dem schnauzbärtigen Seneschall der Misanthropie, nicht händchenhaltend zur Seite stand, sondern sich der "abgekarteten Gruppendynamik" unterwarf. Stellen wir eines gleich von vorneherein klar, Sloterdijk, womöglich liegen Sie sogar richtig, man muß Weber kein empörtes Gewissen attestieren, empört war er bestenfalls deshalb, weil seinem Fiskalklub schlechte Presse ins Haus zu stehen drohte - was nicht mal eintraf, ganz im Gegenteil. Ob es ihn entrüstet hat, mit welchen herabblickenden Herrenmenschenallüren diese Karikatur von einer Karikatur sich über Menschen hermachte, die nicht die Gnade der deutschen Geburt besitzen, darf stark bezweifelt werden.

Aber Sloterdijk, wir widmen uns nicht Weber, wir widmen uns Ihrer Person. Mit Genuss haben ich seinerzeit Ihre Kritik der zynischen Vernunft gelesen, verschlungen geradezu. Und es hat befruchtet, Ihre Schreibe, der dargelegte Inhalt, es war spannend und lehrhaft, nie langweilig und dennoch ausführlich. Die "Epidemie des Zynismus" haben Sie darin beschrieben, unterstrichen, sichtbar gemacht. Nun sind Sie selbst erkrankt, Sloterdijk. "Unleugbar vorhandene Integrationsscheu" ließen Sie zu Protokoll geben. Wieviel wissen Sie wirklich davon? Sloterdijk, Sie wissen nicht, wie schwer es Menschen in diesem Lande gemacht wird. Man muß gar nicht arabische Wurzeln haben, das heißt, aus fernem kulturellen Einfluss entfliehen, um hier keinen Fuß zu fassen. Es reicht schon, wenn man Spanier, Italiener oder Grieche ist, um nie richtig akzeptiert, immer als der Andere, Andersartige, manchmal Abartige begutachtet zu werden. Der selektive Blick ist in diesem Land gemütlich zuhause, vom Sofa aus, bei Kaffee und Kuchen, wird er ausgewertet und zur Perfektion getrieben. Sloterdijk, ich befürchte, Sie sind seit geraumer Zeit zwischen den Polstern irgendeines Sofas versunken, sitzen womöglich direkt auf einer jener steinharten Stahlfedern, die normalerweise unter den Polstern verschwinden, Gesäße abfedern sollen. Wenn man erstmal eingesunken ist, gibt es nichts mehr, was einem den Hintern vor spitzigen Federn schützt.

Apropos Versinken: was ist Ihre erste Konnotation, wenn ich Versinken sage, das Wort Versinken erwähne? Wollen Sie wissen, was meine ist? Nicht? Einerlei, ich teile es Ihnen trotzdem mit. Ich denke an einen Sumpf. Und da trifft es sich doch hervorragend, dass Sie bereits vorhin vom Sumpf sprachen. Sie nannten es nur Opportunismus, klingt feiner, einem Philosophen standesgemäßer. Ihr Sofa, Sloterdijk, ist nicht aus Gewebe, Schaumstoff, Federn und Holz, es gleicht eher einem ziemlich matschigen Feuchtgebiet. Beinahe erzeugen Sie Mitleid, wie Sie da in Ihrer Brühe hocken und auf Opportunisten schimpfen, die dem gepflegten Wahnsinn des schielenden Trommlers entgegentreten, und dabei merken Sie nicht einmal, wie nahe Ihnen die Scheiße schon ans Kinn steht. Mann, wenn Sie nur einmal die Augen aus den Tiefen Ihres Knautschgesichts puhlen würden, dann würden Sie merken, dass Sie nicht ins gemütliche Sofa eingesunken sind, Sie würden die versumpfte Brühe erkennen; Sie würden dann auch bemerken, dass es keine wohligen Decken sind, die Sie wärmen, sondern laues Brackwasser, das Sie umspült.

Es ist zum Heulen, dass man einem Philosophen empfehlen muß, er möge bitte die Augen bemühen. Die Augen, als Eingangsbereich des Denkens, als Pforte zum Gehirn. Wir können heute ja nicht mehr trennen zwischen Körper und Seele, dazu haben die Naturwissenschaften zuviel Verbandelung angestellt, zu eindeutig geklärt, dass wir aus der Materie Seele machen, nur um nachher aus der Seele wieder aufs Materielle zu schließen. Aber wem erzähle ich das? Sloterdijk, Sie wissen verdammt gut, wozu Augen da sind, Sie haben sie ja auch mal gebraucht. Philosophie hatte lange Zeit auch etwas mit humanistischem Denken zu tun, sie war kein blutloses Fach, in dem man ein wenig lustlos Sümpfe durchpflügte oder für Honorar offensichtliche Lügen niederschrieb, sie hatte sich einen Auftrag erteilt, einen edlen Auftrag. Sie verstand sich als Mittler, wollte Wissen vermitteln und sprach sich zumeist für Frieden, Miteinander und Solidarität aus. Natürlich gab es von jeher Ausnahmen. Heidegger ist einer jener Sündenfälle der Philosophie. Genau besehen, war er aber ein harmloser Sündenfall, denn er ruinierte nur wenige Leben, und das in Zeiten, wo der durchschnittliche Bürger fleißig am Ruinieren anderer Lebensentwürfe war. Aber er hat den Sumpf mit Stechschritt durchquert, hat den Sumpf philosophiert, könnte man sagen, hat das Jahrhundert vorbereitet auf eine Ära, in der Philosophie zum Arschkriecher der Realpolitik mutieren sollte. Sloterdijk, er hat den Sumpf vorbereitet, damit einst Leute philosophischer Schule darin sitzen können, ohne schief angesehen werden.

Seien wir doch mal ehrlich, Sloterdijk, Sie sitzen tief in der Bredouille. Sie sollten qua Ihrer Stellung der Wahrheit verpflichtet sein, sollten bedächtig und angemessen reagieren, eine Mittlerrolle zwischen groben Lebensrealitäten und politisch-wirtschaftlicher Höllenfahrt einnehmen, kurzum, philosophisches Denken in den Diskurs werfen. Aber das tun Sie schon seit Jahren nicht mehr. Nein, Sie sind zum intellektuellen Sturmtrupp des Zynismus geworden, Sie scheinen den eigenen Buchdeckeln entstiegen, sind Diener Ihrer Herrn, vornehm tuender Kläffer Ihrer Herrchen. Philosophie sei tot, heißt es gemeinhin. Das stimmt nicht, sie ist nicht tot. Die Philosophen sind tot, es gibt kaum noch welche. Sloterdijk, Sie sind das Aushängeschild der deutschen Totenliturgie, wenn man hierzulande von zeitgenössischen Denkern spricht, fällt Ihr Name ganz unwillkürlich. Letztlich sind Sie der Herr einer toten Kultur, weil Kultur immer von Menschen betrieben wird, weil tote Kultur als Produkt toter Menschen erscheint. Mann, Sie sind der Vorsteher der Toten, so tot in Ihrer Kunst, wie es nur geht. Toter geht es kaum noch. Natürlich, Sie leben, Sie essen, Sie lehren, Sie verdienen an dem Stuß, den Sie verbreiten. Aber der Philosoph Sloterdijk, der ist begraben - lange schon. Der Herold Sloterdijk, der Verkünder der frohen Botschaft des Zynismus, der weilt noch unter uns, der macht uns das Leben schwerer, als es sowieso schon ist.

Von Opportunismus reden, selbst sein Fach aber durch selbigen ausgetauscht haben. Wissen Sie, Sloterdijk, wenn Ihr Anblick mich nicht so wahnsinnig sentimental stimmen würde, weil ich an die herrlichen Stunden mit Ihrer Kritik der zynischen Vernunft zurückdenken muß, ich würde laut herauslachen. Objektiv besehen ist es einfach köstlich, wie die Karikatur eines Philosophen, die Karikatur einer Witzfigur in Schutz nimmt, wie sich diese beiden hohen Tiere deutscher Öffentlichkeit gegenseitig den Schnäuzer kämmen, sich in den Arm nehmen als Brüder im Geiste. Fehlt nur noch, dass Sie den feinen Herrn in den Stand eines Philosophen honoris causa hineinadeln. Wie gesagt, wäre ich nicht so furchtbar sentimental, Sloterdijk, ich würde Ihre Rolle als Stützstrumpf des Rassismus zur Grundlage nehmen, um Ihnen zu erklären, dass Sie für mich gestorben sind - endgültig gestorben sind. Aber das wäre schön blöd von mir, ich würde alle tugendhaften Pfade der Logik verlassen, mich ganz unphilosophisch verhalten, denn wie erklärt man einem Toten logisch und schlüssig, dass er verstorben ist?

"Wie tief bei uns der Sprachkarren im Dreck steckt", würde sich daran zeigen, wie entrüstet Sie reagierten, würden Sie diese Zeilen lesen. Was Sie nicht tun, denn Sie schweben derzeit über Wolkenkuckucksheim, die Außenmauern des Elfenbeinturms polierend, in dem Sie hinter dicken Schinken und Schmonzetten daran feilen, wie man offensichtlichen Rassisten metaphorisch den halbsteifen Pimmel hält, damit der Pißstrahl auch dorthin trifft, wo er hintreffen soll, nämlich ins dösende und latrinäre Gemüt der Stammtisch-Massen, in diese ruhenden Sturmtruppen des Wahnsinns. Würden Sie dies aber lesen, ich bin mir sicher, Sie würden sich entrüsten, fänden sich verunglimpft, beleidigt, in Ihrem akademischen Stolz verletzt. Aber Sloterdijk, nur ruhig, ich arbeite schwer daran, den "Sprachkarren aus den Dreck zu ziehen". So wollten Sie es doch, oder nicht? Was dem Türken und Arabern zumutbar ist, sollte für Sie gerade gut genug sein, Sloterdijk.

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Sit venia verbo

"Wir sind Beamte der Zeit, Angestellte der Atmung, Würdenträger der Hoffnung, Glieder eines amtlichen Alls, nehmen wir alle den uns angewiesenen Platz darin ein, gehorchen dem Mechanismus eines starren Geschicks. Alles wird euch verziehen, vorausgesetzt, dass ihr einen Beruf ausübt, dass eurem Namen ein Untertitel folgt, dass euer Nichts ein Siegel trägt. Keiner ist kühn genug, um auszurufen: „Ich will nichts tun!“ Einem Mörder gegenüber ist man nachsichtiger als gegenüber einem Geist, der sich von allem Tun losgesagt hat."
- Emile Cioran -

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Gepeinigte Peiniger

Montag, 19. Oktober 2009

Jene noch gebrauchte Gesellschaftsschichten, die noch einen Dienstherrn haben, wenigstens dann und wann über sich erdulden müssen, fürchten sich dieser Tage besonders vor Maultaschen, Frikadellen und Leergutbons. Sie müssen auch berechtigte Furcht haben, bald selbst mit dem Bissen im Mund ertappt zu werden, womöglich sogar einen Happen in den Rachen geschoben zu bekommen, ohne sich dagegen wehren zu können. Und mit dieser Angst unter der Zunge entrüstet man sich quer durch die Republik, mokiert sich in Zeitungen, empört sich im Alltagsplausch, ereifert sich in allen möglichen Lebenslagen.

Um hier kein falsches Bild zu zeichnen: Auf keinen Fall soll dem Bußprediger seiner Herrn unter die schwitzigen Achseln gegriffen werden. Es geht nicht darum, den Diebstahl einer Frikadelle oder den wahrscheinlich nie geschehenen Raub eines Pfandcoupons zu verdammen. Kleinlich sind die Herren der Milliarden ja nie, wenn es darum geht, sich auf Kosten anderer schadlos zu halten. Warum also dann kleinlich sein bei der Belegschaft? Und wieso denn auch, sind doch die postulierten Diebstähle gar keine, im frevelndsten Falle nur Banalitäten gewesen?

Aber es sollte schon einmal darauf aufmerksam gemacht werden, dass es eben jene noch benötigten Schichten waren, die in langen Jahren der Schmarotzerschelte mithalfen, Menschen ins Abseits zu drängen, sie zu kriminalisieren, als Verbrecher und Nichtsnutze aus dem Gesellschaftsbild zu desintegrieren. Es waren eben nicht nur die verfassenden Bluthunde der Unternehmen, die Journalisten und Redakteure, die geiferten und einheizten, die den Mythos des Sozialschmarotzers stifteten. Vielmehr waren es jene kleinbürgerlichen Kreise, die laut tönten, man würde Beschäftigung schon finden, wenn man nur wollte, wenn man sich nicht zu schade sei, auch mal Dreckarbeit zu machen, auch mal weniger, viel weniger zu verdienen; jene kleinbürgerlichen Sturmtruppen, die in jedem schwarzverdienten Fünfziger eines Erwerbslosen einen Betrug an ihren steuerlichen Hoheitsrechten wähnten und deswegen rigidere Kontrollen und Eingriffe in die Privatsphäre für angebracht hielten. Sekretärinnen, Fachangestellte, Verkäufer, Schichtarbeiter hatten weitestgehend keinen Sinn zur Solidarisierung, griffen die Treiberei seitens der Medien auf, erweiterten sie zur Tyrannei, machten das arbeitslose Opfer zum böswilligen Täter der Arbeitslosigkeit.

Keine Frage, die Entrüstung bezüglich der läppischen Kündigungsgründe ist berechtigt, sie ist ein gesundes Empfinden. In maßlosen Tagen, in denen Unternehmen größenwahnsinnig bevorteilt werden, in denen Unternehmensvertreter auf die Fiskalgestapo des Staates schimpfen dürfen, um flugs auch erhört zu werden in ihrer Pein, ist das harmlose Wegessen einer Frikadelle nichts, was jemanden in Not gebracht hätte. Hätte man sie einem Obdachlosen entwendet, einem Arbeitslosen, der auf jeden Cent achten muß, einem Niedriglöhner, der sich mal was gönnen wollte: ja dann! Dann hätte man drastische Strafen anwenden sollen, dann dürfte die Entrüstung umschlagen, müsste sich gegen die Sekretärin wenden. Nur dann, davon muß man beinahe ausgehen, wäre niemals ein Sturm der Empörung entfesselt worden. Einem Obdachlosen wäre man nie zur Seite gestanden, die kleinkarierte Öffentlichkeit des Kleinbürgertums hätte keinen Bedarf an Sozialromantik, an zu Herzen gehende Geschichten, die einem Penner zu seinem Recht verhölfen. Wer nichts leistet, so ist es in deren Denken mit Widerhaken verkeilt, hat keinen Anspruch auf Solidarität.

Es gestaltet sich schwierig, Sympathie für Menschen zu empfinden, die standesselbstgerecht jammern und Gerechtigkeit fordern, dann aber zurückfallen in selbstgefällige Atavismen. Gestern des Arbeitslosen schwarzen Fünfziger verurteilt, härtere Sanktionen gefordert, die horrenden Kosten für die kaum vorhandene Versorgung von Obdachlosen angemahnt und, in besonders dreisten Fällen, Arbeitslager gefordert - heute die Frikadelle zur Nichtigkeit verklären wollen, zum harmlosen Griff aufs Teller - morgen womöglich erneut die Heere von Arbeitslosen geißelnd, die aus Bequemlichkeit in Faulheit erlahmen, obwohl doch jeder halbwegs vernünftige Bürger weiß, "wer arbeiten will, der findet auch Arbeit". Das Verhalten solcher Vorgesetzten, die aus Lappalien Kündigungsgründe basteln, ist unzumutbar und jederzeit für eine betriebsinterne Revolte gut. Dennoch fällt es schwer, Mitleid mit denen zu haben, die gerne peinigen und peitschen, nun selbst noch fester auf die Streckbank geschnallt werden. Vielleicht haben die fester sitzenden Riemen ja nochmals ins Gedächtnis gerufen, dass man damals schon festgeschnallt war, als man noch gegen Seinesgleichen ohne Erwerb wetterte.

Natürlich mag das ungerechtfertigt gegenüber jenen Personen sein, die durch ihre Lappalie unrühmliche Bekanntheit erwarben, ihren Erwerb durch den Erwerb von trauriger Berühmtheit ersetzten. Möglicherweise ist die betroffene Sekretärin ja eine Gegnerin der Fordern und Fordern-Mentalität, hat sich nie oberlehrerhaft über Wirtschaftsopfer geäußert. Davon sollte man ausgehen, man unterstellt Einzelpersonen nicht einfach vage, was sie hätten vermutlich meinen oder äußern können. Aber Gesellschaftsschichten die sich agil gegen andere Schichten hervortaten, können dieses Maß an Rücksicht und Milde nicht einfordern; in der angeklagten Masse finden sich allzuviele Schuldige. Doch einerlei, wie heuchlerisch die noch gebrauchten Schichten heute ihrer Furcht Ausdruck verleihen, es bedarf keiner Lockerung des Kündigungsschutzes, es ist eher nötig ihn zu stärken, damit diese Missbrauchsfälle des milliardenschweren Gesindels verschwinden. Auch wenn das erneut dazu führen würde, dass sich die breite Masse der noch gebrauchten Arbeitskräfte, über jene erhöbe die nicht mehr gebraucht würde, die unnütz essen und schönes Geld kosten, dass man hätte anders investieren können.

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Einsatz gegen ein Naturgesetz

Sonntag, 18. Oktober 2009

Ein Gastbeitrag von Heidi Laber.

Am 3. Oktober startete die Mitteldeutsche Zeitung (MZ) zum neunten mal die Aktion "Wir-helfen". Die Aktion ruft Privatpersonen und Organisationen zu Spenden für Bedürftige auf. 115.800 Euro kamen im letzten Jahr zusammen.

Eine ganze Seite ihres Blattes widmet die MZ diesem Event. Natürlich hat dieses Projekt, wie es sich gehört, eine würdige Schirmherrin, die mir gütig aus ihrem Bild zulächelt. Es ist Frau Hedwig Neven DuMont und das ist kein Zufall, denn ihrem Gatten, Alfred Neven DuMont, bzw. der Mediengruppe M. DuMont Schauberg (MDS) gehört ja diese Zeitung, die bis 1990 das Zentralorgan der Bezirksleitung der SED Halle war. (Wahrscheinlich war der Kauf das Schnäppchen seines Lebens)

Und um die "lieben Mitmenschen" zum Spenden zu motivieren, findet Frau Neven DuMont auch die richtigen, mitfühlenden Worte. Das beginnt bereits im ersten Satz:

"Wir-helfen möchte dieses Jahr Kindern helfen, die in Armut aufwachsen müssen."

Mit dieser cleveren Einleitung ist schon mal eine wichtige Weiche gestellt. Merke: Kinderarmut ist ein unabänderliches Naturgesetz, gegen das man leider nichts machen kann. Manche Kinder müssen halt in Armut aufwachsen.

Frau DuMont spricht über den Schmerz, den Kinder empfinden, wenn sie andere Kinder sehen, denen es gut geht und den Schmerz des Hungers. Schmerzen, würde ich meinen, die Prinzessin Hedwig von Auersperg und jetzige Frau DuMont nie am eigenen Leibe spüren musste. Das ist so rührselig, und so unglaubwürdig, dass ich eine leichte Übelkeit in mir aufsteigen fühle. Aber es kommt noch schlechter: Sie beschreibt, was passiert, wenn Kinder sich nur noch darauf konzentrieren, etwas zu essen zu bekommen.

"Man wird aggressiv und findet es irgend wann nicht mehr schlimm, sich das Essen von denen, die es haben, einfach heimlich zu nehmen."

Also mal in klarem Deutsch. Kinder von Armen sind die Gewaltverbrecher und Diebe von morgen. In den Augen von Frau Neven DuMont ist es absolut verwerflich, sich etwas Lebensnotwendiges, nämlich Nahrung, von denen zu nehmen, die genug davon haben. Wo kämen wir denn hin, wenn die Armen sich einfach Dinge nähmen, von denen sie glaubten ein Recht darauf zu haben.

"Diese Kinder" fährt sie dann fort "haben wenig Chancen, als Erwachsene ihren staatsbürgerlichen Beitrag zu leisten."

Diese wichtige Aussage wird nun nicht näher definiert, so dass eine gewaltige Deutungsbreite darüber entsteht, was der staatsbürgerliche Beitrag denn sein könnte: Vielleicht das deutsch-typische kuschen vor dem Chef?
Natürlich nur, sofern man die Chance erhält einen Chef zu haben. Diese Chance wird aber auch für Kinder aus ganz "normalen" Familien immer geringer. Buckeln vor der Obrigkeit? Schuften für einen Hungerlohn? Sich in Afghanistan erschießen zu lassen? Den Reichtum der Familie DuMont und ähnlicher Unternehmer mehren?

"Was soll diese ewige Miesmacherei, wenigstens hat sie noch so etwas wie ein soziales Gewissen," werden vielleicht einige Leser sagen. Aber mein Hals ist inzwischen so dick, dass ich der Frau selbst das abstreite. Es ist Publicity, was sie sucht. Goodwill von Menschen, die oft nicht so viel mehr haben als die armen Familien, für die sie 50 oder 100 Euro spenden. Auf keinen Fall verfügen sie über 600 Millionen. Auf diese Summe wird jedenfalls das Vermögen der Verlagsgruppe DuMont und Schauberg im Managermagazin geschätzt.
Die 115.800 Euro, die in der letzten Spendenaktion zusammenkam, sind nicht einmal die Brotkrumen, die von Hedwigs Tisch fallen.

Etwa jedes dritte Kind (in Halle) ist von Armut betroffen. Deshalb müssen wir die Einrichtungen stärken, die diesen Familien helfen können.

Nicht etwa: "müssen wir die Ursachen der Kinderarmut beseitigen". In ihrem hehren Streben, durch eine gesponserte Urlaubsfahrt oder neuem Spielzeug arme Kinder auf den geraden staatsbürgerlichen Pfad zu trimmen, ist Frau Neven DuMont nicht allein. Ihr zur Seite stehen Menschen wie Frau Szabados (SPD), Bürgermeisterin von Halle oder Herr Bannert (CDU), Landrat des Saalkreises. Hochrangige Vertreter jener Parteien, die mit ihrer Politik diese Kinderarmut zu verantworten haben.
Der paritätische Wohlfahrtsverband registriert, dass sich die Kinderarmut seit der HartzIV- Gesetze verdoppelt hat. Gesetze, welche die SPD auf den Weg gebracht hat und an denen die CDU nicht rütteln will.
Damit wird diese ganze Aktion für mich eine Farce, verlogen, heuchlerisch und zynisch.
Und während ich den ersten rührenden Danke-Schön-Beitrag einer Kindereinrichtung über erhaltene Zuwendungen der Spendenaktion lese, kommt mir der Kaffee wieder hoch und ich frage mich, wie lange wir uns das noch gefallen lassen.

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Sich selbst der Nächste

Samstag, 17. Oktober 2009

Ich will günstig einkaufen, billig Dienste geleistet bekommen, will jeden Tag neue Schnäppchen. Ich will, dass das, was heute billig ist, morgen noch ein klein wenig billiger wird. Und wenn man es unter dem Wert verkauft, wenn man davon keine ordentlichen Löhne mehr bezahlen kann, dann ist mir das einerlei. Ich will es billig, das ist es was mir zählt. Ich selbst habe ja einen ordentlichen Lohn, ich habe ein Anrecht darauf, ich leiste ja gute Arbeit, ich bin loyal und engagiert. Ich bin es wert, ich bin es mir wert, denn unterm Strich zähl’ ich.

Ich will freundlich umworben werden, begrüßt und empfangen, egal wohin ich auch komme. Was schert es mich, dass die Empfangsdame unterbezahlt ist, denn wenn ich meinen Auftritt habe, als Kunde oder Gast, dann zähle nurmehr ich. Ich habe ein Recht darauf, bevorzugt behandelt zu werden. Ich bin doch zu mir selbst auch nett. Ich will Freundlichkeit erleben, Aufmerksamkeit erfahren, ich will umgarnt und versorgt sein. Das ist mein Anspruch als Kunde. Letztlich zähle nur ich, denn ich bezahle die Rechnungen derer, die mein Geld wollen. Ich sorge dafür, dass sie essen, ich bin der Arbeitgeber. Da ist es recht und billig, dass man mich hegt und pflegt und liebevoll umsorgt.

Ich will versorgt, ich will im Alter abgesichert und behütet sein. Ich will nicht, dass mein schwer erarbeitetes Geld im Staatsrachen landet, ich möchte mein Geld behalten, ich möchte es privat anlegen, denn ich möchte hohe Renditen erwirtschaften. Solidarität ist ein tolles Wort, ich bin dafür - aber nicht auf meine Kosten. Ich sehe das gar nicht ein. Es steht mir zu, mich nicht von Umverteilern ausbeuten lassen zu müssen. Was habe ich denn davon, wenn man Fremde von meinem Geld durchfüttert? Es ist nur gerecht, wenn ich mein Geld für mich behalte, um es dann für Sozialprojekte auszugeben, die ich bevorzuge. Am sozialsten ist es immer noch, Arbeit zu schaffen, ist es immer noch, wenn ich mein Geld in Discounter trage, damit mein Geld dort Arbeitsplätze sichert.

Ich will Spaß, ich will Amüsement. Ich will laute Musik hören, trinken, speisen, tanzen. Ich will günstig in den Urlaub fliegen, günstig tanken, ein günstiges Auto. Ich will Freude am Leben, will erstklassig bedient werden, will herausragende Events für kleinen Preis. Auf Kosten meiner Mitmenschen? Was kümmert es mich denn? Ich bin mir selbst Mitmensch genug, ich habe es mir verdient, mich in die Spaßindustrie zu werfen, dort billig und tüchtig liebkost zu werden. Schade, dass dort Menschen ausgebeutet, Niedriglöhne ausbezahlt werden, aber ich kann darauf keine Rücksicht nehmen, wenn ich Zerstreuung und Erholung suche. Ich muß doch auch mal die Augen schließen, damit ich nicht ständig mit den Nöten der Welt in Blickkontakt gerate. Denn sonst werde ich nur krank und depressiv. Das will ich nicht, ich will nicht trauern, ich will feiern, ich will Spaß, ich geb’ Gas.

Ich will nicht warten, ich will mich nicht in einer Reihe anstellen, ich will nicht schweigen, wenn eine Kassiererin offensichtlich zu langsam tippt. Ich lebe doch im Jetzt, nicht im Später. Ich plärre dann, ich schreie durch den Laden. Dieses Recht habe ich, denn ich bin es dem Unternehmen wert, zufriedengestellt zu werden. Ich will keine Wartezimmer von Innen sehen müssen, ich will nicht erst der Vierte sein, der drankommt. Ich will auch nicht der Dritte oder Zweite, ich will Erster sein, immer Erster sein, egal wo. Das ist mein Anspruch, ich bin mir wichtig genug, immer ganz vorne landen zu dürfen. Notfälle hin oder her, Schmerzpatienten so oder so, der schlimmste Notfall bin immer ich, gleichgültig, was mir fehlt. Habe ich einen harmlosen Schnupfen, bin ich schlimmer dran, als ein fremder Krebskranker. Seine Krankheit ist nicht meine. Mein Leid ist mein Leid, meine Not geht mir ans Herz. Ich habe ein Recht darauf, sofort und kompetent behandelt zu werden - ich zuerst, ich vor allen anderen. Schließlich bin ich krankenversichert.

Ich will den besten Lebenspartner, schön muß er sein, intelligent, humorvoll, lasziv und immer bereit für Sex, wenn ich Befriedigung brauche. Ich habe mir ein Musterexemplar als Gegenstück verdient. Er muß zu mir passen. Solange er passt, passe ich gerne zu ihm. Aber ich muß die Freiheit haben dürfen, mich auch trennen zu dürfen, wenn es mir nicht mehr passt. Dann sondiere ich wieder den Markt. Ich gehe mit jeder zweibeinigen Möglichkeit ins Bett, wenn es mir danach ist. Ich will Spaß haben, ich will Orgasmen, ich will hemmungslos stöhnen und fauchen, ich will Befriedigung. Auch mit denen, die sich sichtbar mehr erhoffen, die mich lieben, die sich in mich verliebt haben. Was kümmert mich ihr Begehr? Ich spende ihnen stundenlanges Glück, danach bin ich mir jedoch zu schade, mich zu erklären. Zu erklären, warum aus dem Fick keine Liebe wird – ich bin doch dazu nicht verpflichtet! Es ist doch meine Entscheidung, ich kann doch ganz alleine entscheiden, mit wem ich es treibe. Wenn ich dann einen Rohdiamanten finde, dann schleife ich ihn, poliere ihn mir zurecht, damit er detailgenau zu mir passt. Ich erziehe mir meine Partner, ich trimme sie, schneidere sie mir zu, wie ich sie brauche. Schlechte Angewohnheiten und unnütze Hobbies gewöhne ich ihnen ab, ich entwerfe mir die Liebe so, wie sie mir gefällt.

Ich habe wenig Zeit für Freunde und Verwandte. Beruf und Freizeit vereinnahmen viel von meiner Zeit. Freizeit, Erholungszeit steht mir ausgiebig zu, ich trete nicht kürzer, ich brauche eher noch mehr Angebote, noch mehr Konsummöglichkeiten. Ich will mehr Erholung, mehr Zerstreuung, ich will rund um die Uhr beschäftigt werden. Ich kann nicht zu Mutters Geburtstag oder Bruders Hochzeit, ich habe doch keine Zeit. Ich muß mich auch nicht rechtfertigen, jeder kann doch machen was er will, ich kann machen was ich will! Wenn ich die Einladung ablehne, telefonisch, denn ich habe einen günstigen Tarif, so wie es mir zukommt, dann tröste ich freundlicherweise. Ich bin doch kein Unmensch. Ich sage, an meinem Geburtstag sehen wir uns doch, seid nicht traurig. Ich sage, ich freue mich darauf, ich kann es kaum erwarten. Und sie beschenken mich reichlich, denn ich bin ein braves Kind, ein liebes Geschwisterchen, ich habe es mir einfach verdient. Ich werde gefeiert, besungen, bekomme eine Torte, einen Gutschein, wieder eine Einladung, die ich später ablehnen muß, weil mein straffer Zeitplan keine Extratermine erlaubt. Ich bin untröstlich, sehe aber gar nicht ein, mich dafür zu entschuldigen.

Ich spreche gerne von mir, das gönne ich mir. Ich habe ein Recht darauf, von mir reden zu dürfen. Ich finde mein Leben spannend genug, ich will mich gar nicht mit den Leben anderer Menschen abgeben. Ich habe mit mir genug zu tun, genug zu erzählen, genug zu lieben und lachen. Ich bin nicht alleine, ich habe doch mich. Ich bin mein bester Freund, mein bester Liebhaber, mein liebster Nachbar. Ich verstehe nicht, wie sich Menschen mit ihren Mitmenschen aufhalten können. Mit sich selbst ist man doch ausreichend beschäftigt. Ich habe jedenfalls kaum Zeit, mich um andere zu sorgen. Ich sorge mich um mich schon genug. Wenn jeder auf sich selbst achten würde, anstatt bei Mitmenschen rumzustochern, mehr Eigenverantwortung zeigen würde, dann würde ich auch in einer besseren Welt leben. Selbstheilungskräfte wären das. Ich tue ja niemanden etwas Böses, wenn ich nur bei mir verharre. Ich hätte dazu gar keine Zeit, weil ich mir selbst keine Zeit dazu erteile. Wer sich um seinen Mitmenschen kümmert, tut manchmal Gutes, aber viel zu oft Böses. Ich nicht! Ich tue alles was ich tue für mich. Ich tue mir oft Gutes, manchmal versehentlich Böses. Nur so läßt sich das Böse ausmerzen, indem jeder auf sich sieht, sich selbst um sich kümmert. Ich mache es genau richtig, ich habe das erkannt. Es ist der einzige Weg, den die Menschheit in der Zukunft gehen kann. Jeder für sich, jeder friedlich für sich alleine. Nebenbei ist es ein schöner, angenehmer Weg, das kann ich bestätigen. Nie hatte ich einen so guten Draht zu mir, zu meinem Körper, nie vermochte ich es, so verständig in mich hineinzuhorchen, wie seit jener Zeit, in der ich ausschließlich von mir angetan bin.

Ich habe Zukunft, weil die Zukunft im Ich ruht. Wir müssen gemeinsam alleine in die Zukunft gehen, tolerant und ignorant, jeder auf sich selbst bedacht. Ich bin Fachmann, ich weiß es, ich tue mein Bestes dafür. Ich will eine Welt in der ich ich sein darf, ohne dumm angesehen zu werden.

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Lösungswege

Freitag, 16. Oktober 2009

Sie sind heute aber wieder destruktiv. Recht haben Sie ja, keine Frage. Aber Sie bieten einfach keine Lösungen, Sie klagen nur an, zeigen mit dem Finger auf Konstellationen. Wie es besser zu gestalten sei, dazu äußern Sie sich nicht. Wenn man nicht konstruktiv sein will, sollte man in Verstummung harren. Entweder Kritik und als Nachschub des Rätsels Lösung oder Schweigen und als Nachschlag Ruhe. Ganz oder gar nicht! Unreif ist es, wenn man nur motzt, Befindlichkeiten angreift, laut über den Globus lärmt, man wolle es so, in dieser Weise nicht mehr erleben müssen. Ja, wie wollen Sie es denn dann erleben? Seien Sie konstruktiv, Mann! Lassen Sie sich ein neuartiges Konstrukt einfallen, ein Konzept, wie die Welt besser würde. Bäh, ich will das nicht! Das ist doch kindisch. Vorallem ist es nutzlos, peinlich, ohne Aussicht auf Gehörtwerden.

Hier haben wir es mit des Kritikers täglichem Brot zu tun, mit dem (fast) alltäglichen Versuchen, kritische Stimmen zu erwürgen. Lösungen soll man anbieten, Aussichten auf neue Welten, Gesamtkonzepte erarbeiten, in die Zukunft hineinstochern und voraussehen, mit welchem Patentrezept sich Besserungen hundertprozentig verwirklichen lassen. Der Ruf nach konstruktiver Kritik zeigt sich selten als Ausdruck von Interesse am Kritiker und seinen Kritikpunkten; er zeigt sich als Würgeeisen, als Mechanismus, die Kritik der Lächerlichkeit preiszugeben. Man streift der Kritik die Legitimität ab, degradiert sie zum wertlosen Vorgeplänkel reformerischen Denkens und erstickt sie langsam und genussvoll, bevor sie zur Entfaltung gelangen kann, erklärt sie zur gefühlsbetonten Maßnahme, die in geschäftlich-kühlen Zeiten wie antiquierte Romantik wirkt.

Lösung ist die Losung! Die Losung des Schweigens. Nur weil ein Mißstand benannt wird, muß noch nicht klar ersichtlich sein, wie man es zufriedenstellender bewerkstelligen könnte. Dabei ist die Kritik nicht destruktiv, sie ist Lösung in sich. Loslösung vom Falschen, sie löst die irrige Auffassung in den Köpfen auf, wonach der Übelstand so wie er sich zeigt, annehmbar und unbehebbar sei. Die Kritik löst sich vom Gegenstand, sie ermöglicht dem Kritiker und seinen Zuhörern, ein entlöstes Bild zu zeichnen, losgelöst von den Prämissen und Gesetzen der real existierenden Realität. Der Loslösung folgt eine schrittweise Ablösung. Im Denken derer, die die Kritik aufgreifen und durchkauen, wird der Urmißstand, das schlecht Gegebene langsam abgelöst. Zurück bleibt die Auflösung dessen, was vor der Kritik als a priori richtig erkannt wurde, was unverrückbare Vorbedingung war.

Die Negation ist kein Vorspiel zur Veränderung. Sie ist Säule - die Säule - tragende Säule möglicher Lösungsansätze. Wo kritiklos und geschäftig an Lösungen herangetreten wird, die Los- und Ablösung noch nicht stattgefunden hat, da ist Veränderung eine leere Phrase. Es ist seit einer Weile das Zeitalter kritikloser Reformtreiberei angebrochen, als dessen Ausdruck bestimmt besinnungsloser Aktionismus das Geschehen. Indem die Kritik herabgewürdigt, zu einen Akt emotionaler Entleerung umgedeutet wird, der zur Lösungsfindung keinen Beitrag zu leisten imstande ist, wird das Herangehen an Lösungswege schon im Kern unmöglich gemacht. Die Negation ist das Fundament der Veränderung, sie ist nicht der Beginn des Prozesses, sie ist der Prozess selbst.

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Nomen non est omen

Mittwoch, 14. Oktober 2009

Heute: "Belastbarkeit"
"Belastbarkeit und Flexibilität sind außerordentlich wichtig, da – bedingt durch das Wesen von Projektarbeit – oft und immer mal wieder unplanmäßige und den Fortgang erschwerende Situationen eintreten können."
- Stefan, 41 Jahre, Unternehmensberater auf authentisch-bewerben.de -

"Belastbarkeit: Können Sie unter Zeitdruck eine Entscheidung für die beste von mehreren plausiblen Lösungen treffen?"
- Basiswissen für Führungskräfte auf jobware.de -
Das Stichwort der sogenannten Belastbarkeit ist oftmals eine Kernforderung von Unternehmen an ihren Lohnarbeitern. Damit sind Überstunden, Stress, schlechtes Arbeitsklima, Schichtarbeit, zeitlicher Druck und vieles andere gemeint – meist für den Lohnarbeiter vornehmlich unangenehme Sachverhalte. In vielen Stellenausschreibungen ist heute die Belastbarkeit eine wichtige Eigenschaft, die gefordert wird.

Belastbar sein kann bedeuten, selbstbewusst gegen starke Widerstände anzukämpfen ohne sich von Misserfolgen unterkriegen zu lassen – fernab einer ökonomischen Dimension. Genau diese Form und Definition der Belastbarkeit interessiert Unternehmen jedoch nicht. Ihnen geht es um eine möglichst große ökonomische Verwurstung der Lohnarbeiter. Insofern ist "Belastbarkeit" im Munde eines Unternehmers ein Euphemismus für möglichst hohe "Ausbeutbarkeit". Ganz im Sinne des Profitvermehrers sollen Lohnarbeiter intensiv ausgepresst werden. Ein Arbeiter beispielsweise, der nicht ständig pendeln oder Überstunden machen möchte, da er bei seiner Familie sein will, ist im Sinne des Unternehmers nicht "belastbar" genug. Die Forderung nach Belastbarkeit, impliziert die unausgesprochene Formel: "Ich als Chef verlange von Dir, was immer den Profit mehrt. Ganz egal, was Deine persönlichen Bedürfnisse dabei sind!".

Menschen werden zu Packeseln gemacht, auf denen alles abgeladen werden soll. Viele Arbeiter werden dabei von ihren Chefs bis an ihre Grenzen gebracht, was die zunehmende Zahl von Burnout-Syndromen und Depressionen am Arbeitsplatz verdeutlichen.

Dies ist ein Gastbeitrag von Markus Vollack aka Epikur.

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Ausländische Affären

Dienstag, 13. Oktober 2009

Erschreckend, wie sich das seriös Reckenhafte fast täglich einen Weg in die journalistische Öffentlichkeit freihetzt, wie Milizen aus du und ich, aus Arbeitslosen und Unternehmern, aus Armen und Reichen, als Querschnitt der völkischen Überheblichkeit, als Volkmiliz nationaler Einheit, die Aufrührer eskortieren, tätscheln, als Ausgeburten freigeistigen Brütens und Tüftelns hochleben lassen. Erschütternd, so erschütternd, dass es beinahe schon wieder komisch dünkt, ist die Tatsache, dass innerhalb dieser flankierenden Volksheere keine Bereitschaft amtiert, sich des eigenen Verstandes zu bedienen.

Da tritt doch allen Ernstes diese Witzfigur von einem Recken auf, jener boshafte Bosbach, pflanzt sich großflächig in die Öffentlichkeit, läßt seinem intellektuellen Dünnpfiff freien Lauf und erntet dafür auch noch regen Applaus der Lesermilizen. Vierzig Prozent irgendwelcher Ausländer, gegenständlich wird er dabei nicht, man kann sich daher frei auswählen, wen er wohl gemeint haben könnte - diese ominösen vierzig Prozent jedenfalls würden sich Deutschkursen verweigern. Wie weiland Wolfgang Clement, der sich nicht entblödete, mit Nachdruck zu behaupten, fünfundzwanzig Prozent aller Parasiten seien überdies arbeitsscheu, so jongliert nun der schwarze Dämlack mit irgendwelchen Zahlen, die zu beweisen er schuldig bleibt. Clement wurde seinerzeit entzaubert, was er bis heute nicht wahrhaben will. Ab einer gewissen gesellschaftlichen Stellung ist die Berauschtheit am eigenen Ego ohnehin chronisch.

Aber wen kümmert es schon, woher Bosbach seine Berechnungen bezieht. Wesentlich ist den Jubelmilizen nur, dass da jemand hetzt und aufstachelt, dass da jemand ihr Ressentiment füttert. Da trifft es sich gut, dass Bosbach so tut, als bezöge jeder Nicht-Deutsche Sozialleistungen - oder jeder Nicht-Europäer, je nachdem, wessen Vorurteil befriedigt werden soll. Wer nicht mit uns ist, der ist ohne Geld! Das freut die, die es ja schon immer wussten, die stets darauf hinwiesen, dass Ausländer faul seien, nicht arbeiten wollten, nur Kindergeld und Sozialleistungen bezögen. Der ulkige Recke aus christlichem Milieu weiß halt auch solchen Kündern Bestätigung zu erteilen.

Oh, was droht da am Horizont. Ein Ministerium einzig und alleine für die Integrationsunwilligen! Geführt von Bosbächern und Westerwellern, beide ausgewiesene Deutschmeister, zweiterer ein anerkannter Freund der deutschen Sprache - und nur der deutschen Sprache! Sicherlich wird innerhalb der heiligen Hallen dieses Ministeriums ein liebevoller Ton gepflegt, lieblich um Zusammenleben gebuhlt werden. Und wer nicht spurt, den machen wir das Leben trist! Ein deutsches Bureau of Indian Affairs, in dem die einzige Affäre darin bestehen wird, ständig mit den Ressentiments eines Gutteil der Milizen in die Federn zu springen. So wie einst die jungen USA dieses Bureau, damals noch dem Kriegsministerium unterstellt, eröffnete, so schenkt sich diese greise Republik mit ihren greisen Voreingenommenheiten und ihrem greisen Geltungsbedürfnis, ein Büro für ausländische Affären. Damals wurde im Namen indianischer Angelegenheiten weißer Landraub begangen, nun soll der Landraub der Kosovaren verhindert und rückgängig gemacht werden, wird den hiesigen Ausländermassen das Geld aus der Tasche gestohlen, nein besser noch, gar nicht erst mehr in die Taschen überwiesen. Wer sich nicht leitkultivieren läßt, den kultiviert der Hunger. Eigentlich schade, wird sich der kommenden Reichsintegrationsminister denken, dass Bosbachs Thesen nur halbgares Zeug war und nicht jeder Ausländer arbeitslos ist, Sozialleistungen bezieht. Wie ziehen wir dann den arbeitenden Mullahs das Geld aus dem Turban, wie bekommen wir deren Devisen aus dem Bart?

Überall würden Menschen gezwungen, die Sprache des Landes zu erlernen, nur der deutsche Gutmensch sähe das nicht ein, rufen die Milizen quer durch alle Gazetten. Gutmensch! Alles was sich an humanistischen Idealen orientiert, wird diesem spöttisch gemeinten Begriff unterworfen. Wider dem Humanismus war man hierzulande schon mal. Die Milizen würden einen Bezug zu den Feinden der Gutmenschelei von einst vehement verneinen, aber sie entkommen diesem Vergleich nicht, sie sind deren Enkel, in Fleisch und Blut und - unleugbar - auch im Geiste. Überall sei es so, nur im gutmenschlichen Deutschland nicht. Da würden so feine Demokraten wie Sarrazin, Clement, Bosbach ganz unfein tituliert. So weit sei es schon gekommen mit dem Reich! Die Deutschen sterben aus!

Dabei steht eines fest, scheint stündlich augenscheinlicher zu werden, die nützlichen Idioten, die auf den Tisch steigen, um der enthemmten Menge zu predigen, sind kein Zufall. Es wird dafür gesorgt, dass das Deutsche auch zukünftig leben kann, mit Ministerium und Sanktionen, mit Hetze und Treiberei, mit Aufpolieren des Deutschseins und Madigmachen des Andersseins. Die ausländischen Affären werden uns noch lange beschäftigen...

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